Das falsche Leben
Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft
Autor: Hans-Joachim Maaz
Verlag C.H.Beck, München >> http://www.chbeck.de/ .
256 Seiten. Klappenbroschur. ISBN 978-3-406-70555-7. Auch als e-Book (ePub) ISBN: 978-3-406-70556-4.
► Über den Autor:
Hans-Joachim Maaz (* 17. Februar 1943 in Niedereinsiedel, Böhmen), Bestsellerautor und seit vierzig Jahren praktizierender Psychiater und Psychoanalytiker, war von 1980 - 2008 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik des Diakoniekrankenhauses Halle (Saale).
Der breiten Öffentlichkeit wurde Maaz durch sein Buch „Der Gefühlsstau. Psychogramm der DDR“ (1990) bekannt, in dem er den Einfluss von staatlicher und familiärer Repression im DDR-System auf die psychische Befindlichkeit der Bevölkerung untersuchte. Weitere wichtige Bücher von ihm sind: „Der Lilith-Komplex“ (2003), „Die Liebesfalle“ (2007), „Die narzisstische Gesellschaft“ (2012), „Hilfe! Psychotherapie“ (2014) und „Das falsche Leben“ (2017).
Hans-Joachim Maaz meldet sich immer wieder zur gesellschaftlichen Situation in unserem Land zu Wort und bezieht durch Vorträge und Publikationen, aber auch in Funk und Fernsehen zur aktuellen politischen Lage Stellung.
► Klappentext:
Ein Normopath ist stets normal und angepasst, sein Verhalten überkorrekt und überkonform. Die Zwanghaftigkeit, mit der er den Erwartungen entspricht, verrät indes, dass er ein falsches, ein unechtes Leben führt. Krank ist nicht nur er, sondern vor allem die Gesellschaft, in der er lebt und deren Anpassungsdruck er sich unterwirft - bis er die Gelegenheit gekommen sieht, seine aufgestaute Wut an noch Schwächeren oder am "System" abzureagieren.
Der Hallener Psychoanalytiker u. Psychiater Hans-Joachim Maaz ist bekannt für seine brillanten, zukunftsweisenden Analysen kollektiver Befindlichkeiten und gesellschaftlicher Zustände - vom Gefühlsstau, einem Psychogramm der DDR, bis zur narzisstischen Gesellschaft, einer Psycho-Analyse unserer Promi- und Leistungsgesellschaft. In seinem neuen Buch nimmt er Phänomene wie Pegida und AfD, den zunehmenden Hass auf Ausländer, aber auch die Selbstgerechtigkeit der politischen Elite zum Anlass, ein konturenscharfes Bild unseres falschen Lebens zu zeichnen, in dem wir uns lange eingerichtet haben und aus dem uns nun die zunehmende Polarisierung und Barbarisierung unserer sozialen und politischen Verhältnisse herausreißt. Das falsche Leben ist das Buch zur Stunde - Augen öffnend und alles andere als Mainstream.
► Inhalt:
Teil I
1 Wie entsteht die Fälschung?
2 Selbst und Ich
3 Das falsche Selbst begründet falsches Leben
• Das bedrohte Selbst • Das gequälte Selbst • Das ungeliebte Selbst • Das abhängige Selbst
• Das gehemmte Selbst • Das vernachlässigte Selbst • Das überforderte Selbst
4 Die Grundmelodien des falschen Selbst
5 Die innerseelischen Schutzmechanismen des falschen Selbst
• Spaltung • Projektion • Reaktionsbildung
6 Die äußeren Rettungsversuche des falschen Selbst
• Kompensation und Ersatz • Anstrengung und Leistung • Anpassung • Ablenkung
• Soziales Ausagieren • Masochistisches Aushalten
7 Krankheit und Gewalt
8 Die Krankheiten des falschen Selbst
Teil II
9 Die Grundbedürfnisse des Selbst
10 Woran erkenne ich mein falsches Selbst?
11 Der Weg aus dem falschen Leben
12 Das wahre Leben
Teil III
13 Normopathie
14 Die deutschen Normopathien
15 Die aktuelle deutsche Krise
16 Die gespaltene Gesellschaft
17 Willkommen im falschen Leben
18 Politische und psychische Demokratie
19 Der Fluch der Freiheit und Liberalität
20 Schuld und Selbst-Störungen
21 Protestbewegungen spiegeln falsches Leben
22 Populismus als Herausforderung
23 Zur Ehrenrettung der Ostdeutschen
Teil IV
24 Gefühlsfähigkeit ist das Tor zu echterem Leben
25 Was ist und will «Beziehungskultur»?
26 Beziehungskultur ringt um echtes Leben
27 Meine Selbstentfremdung
Leseprobe (die Fotos sind kein Bestandteil des Buches!)
1 Wie entsteht die Fälschung?
Der Mensch ist ein soziales Lebewesen. Beziehungen entscheiden über seine Entwicklung, und Beziehungskultur bestimmt die Lebensqualität. Durch Säuglingsforschung, Hirnforschung und die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie sind diese einfachen Aussagen in überzeugender Weise wissenschaftlich gesichert.
Umso erstaunlicher, ja beunruhigender ist deshalb die Tatsache, dass in Politik und Wirtschaft dieses Wissen nicht ausreichend berücksichtigt wird und im menschlichen Zusammenleben psychosoziale Konflikte, Beziehungsängste und Feindseligkeiten das Leben mehr bestimmen als soziale Gemeinschaft, als die Erfahrung psychischer Verbundenheit und eines wechselseitigen empathischen Verstehens.
Die Säuglingsforschung hat uns gelehrt, dass der Mensch von Anfang an ein Subjekt von Beziehung ist. Dabei ist die Beziehungsqualität zwischen Mutter – Kind, Vater – Kind und Mutter – Vater – Kind von entscheidender Bedeutung. Der Säugling gestaltet in seiner Einmaligkeit und mit seinen Bedürfnissen die Beziehung aktiv mit. Das Kind macht die Frau zur Mutter und den Mann zum Vater. Es geht bei der Einschätzung der Beziehungsqualität um die Frage, wie die Eltern auf die originären Angebote ihres Kindes reagieren und welche individuellen Beziehungsangebote sie selbst machen.
Die Beziehungspartner bilden allmählich ein spezifisches Beziehungsensemble – ein Familienmuster. Dabei liegt die Gestaltungsmacht mehr bei den Eltern, und die Kinder sind die Opfer der elterlichen Einflüsse. Aber auch die immer schon vorhandenen Eigenarten eines Kindes, sein einmaliges Sosein, verlangen empathisches Verstehen und adäquates Reagieren der Eltern.
Mutter und Vater mit schwacher, ungeübter oder gestörter Elternfunktion werden schnell selbst zu Opfern ihrer Kinder, wenn sich diese aufgrund von vorenthaltenem Verständnis, erlittener Kränkung oder verweigerter Begrenzung in «Quälgeister» verwandeln. Auffälliges Verhalten von Kindern oder später die sogenannte «Pubertät» sind keine Krankheiten, sondern Symptome von Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind. Wenn Kinder mit Handicaps geboren werden, ist das zumeist eine besondere Herausforderung für die Eltern. Sie müssen dann lernen, Ängste und Unsicherheit, aber auch Kränkungen aufgrund der Behinderung, für die sie sich zumeist verantwortlich fühlen, sowie mögliche eigene Ablehnungstendenzen gegen das Kind zu regulieren und zugleich eine schuldgefühlsgetragene falsche Fürsorge zu vermeiden.
Vor der Erforschung der Mutter-Kind-Interaktionen galt das Kind als ein Objekt der Erziehung, dem das «richtige» und «gute» Leben beigebracht werden müsse. Das Kind war den Erziehungsvorstellungen der Familie und damit in der Regel den gesellschaftlichen Normen und Entwicklungserwartungen ausgesetzt. Erziehung geschah überwiegend durch autoritären Druck, durch Einschüchterung, mittels Manipulation durch Lob und Strafe und endete am häufigsten in der Unterwerfung des Kindes unter den Willen der Erwachsenen. Nicht selten führte dieses Verhalten zu Erkrankungen des Kindes und manchmal auch zu rebellischen Kämpfen.
Heute wissen wir, dass die Entwicklungschancen eines Menschen ganz wesentlich davon abhängen, ob und wie die ersten Beziehungspartner (Eltern, Geschwister, Großeltern, Krippenerzieher, Tagesmütter) in der Lage sind, die Beziehungsangebote des Kindes richtig zu verstehen und angemessen darauf einzugehen. Dabei ist mit «angemessen» eine Antwort auf das Signal des Säuglings im Sinne einer optimalen Befriedigung (qualitativ und quantitativ) des gezeigten Bedürfnisses gemeint, optimal nach dem Empfinden des Kindes und nicht nach den Vorstellungen der Betreuungspersonen. Solange keine krankheitswertige Störung vorliegt, äußern nicht frustrierte Säuglinge kein falsches oder überzogenes Verlangen. Es ist alles echt und unmittelbar und sollte so auch verstanden und beantwortetwerden. Der Säugling erfährt Lust oder Unlust noch ohne Möglichkeit einer rationalen Einsicht und kognitiven Verarbeitung der Betreuungsqualität. Deshalb ist die erlebte Qualität der frühen mütterlichen Versorgung für das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes so wichtig.
Mit dem Heranwachsen des Kindes sollte die immer auch vorhandene Begrenzung an guter Mütterlichkeit [1] als aktuelle Schwierigkeit der Mutter kommuniziert werden (z.B.: «Es geht jetzt nicht ..., Ich habe jetzt keine Zeit ..., Ich bin jetzt überfordert ..., Ich bin jetzt mit mir/meiner Arbeit beschäftigt ... Es tut mir leid!»). Solche Reaktionen sind natürlich auf das Alter des Kindes und das jeweilige Anliegen abzustimmen, aber immer kommt es darauf an, dass verständlich gemacht wird, dass das Beziehungsproblem beim Erwachsenen liegt und sich das Kind nicht als unverstanden, abgelehnt oder als falsch erleben muss. Das gilt auch, wenn Kinder überzogene und unerfüllbare Wünsche äußern. Dann ist es entscheidend für das Wohl des Kindes, ob es die Information erhält: «Nein, ich kann/will das jetzt leider nicht ...», «Nein, das ist nicht möglich, weil ...» oder ob es wegen seines Bedürfnisses gekränkt oder ganz und gar abgelehnt wird: «Du bist doch unmöglich ..., wie kannst du nur so etwas wollen? ... Du musst doch Rücksicht auf mich nehmen!»
Eine Mutter sollte wissen, dass sie vom kleinen Kind ausschließlich als «Mutter» wahrgenommen wird und nicht als eigenständige Person mit individuellen Bedürfnissen, Interessen und Verpflichtungen. Die Mutter ist kein «Mensch» für das Kind, sondern ausschließlich versorgendes Objekt, das entweder als lustvoll wahrgenommen wird oder Unlust erzeugt. Dabei ist es für die emotionale Verarbeitung des kindlichen Erlebens und für seine Orientierung entscheidend, ob der Erwachsene mit einer Ich-Botschaft reagiert oder mit einer Du-Bewertung des Kindes. Wenn dem Kind etwas nicht erfüllt werden kann, sollte es wenigstens traurig sein dürfen, auch enttäuscht reagieren und vielleicht sogar wütend seinen Unmut zeigen dürfen. So bleibt es mit dem angemessenen Gefühlsausdruck gesund, weil es den Enttäuschungsstress emotional abführen kann. Und es lernt dabei, mit einer der wichtigsten Lebenserfahrungen umzugehen: der Begrenzung.
Begrenzung ist in jeder Hinsicht normal, unbegrenzte Erfüllung würde in die Sucht führen. Unendliches Wollen ist bereits ein Krankheitssymptom unerfüllter basaler Bedürftigkeit. Das Kind, das sich bei immer auch notwendiger Ablehnung eines Wunsches kaum beruhigen lässt, macht bereits sehr nachdrücklich auf seinen defizitären Status aufmerksam, bei dem der quengelnde Wunsch zusammen mit der heftigen Erregung Symptom eines grundlegenden Unbefriedigtseins ist. Je weniger die basalen Grundbedürfnisse des Kleinkindes erfüllt werden, desto mehr sucht es nach Ersatz und Kompensation. Nur die Not lässt horten, geizen, tricksen und kämpfen; Überlebensnot macht den Menschen böse, gefährlich und gewaltbereit. Und Not entsteht nicht nur aus Nahrungs- und Wassermangel, sondern ebenso aus Liebes- und Bestätigungsmangel sowie bei sozialer Ablehnung und Ausgrenzung.
Von den Suchterkrankungen wissen wir, dass es nicht so sehr die Drogen sind, die den Menschen süchtig machen. Vielmehr sucht der ungestillte Mensch sich Mittel, die seine Qual lindern sollen, die er dann aber ständig braucht, weil sie die Bedürftigkeit nicht löschen, sondern nur betäuben. Bei dann zwangsläufig ständigem Mittelgebrauch können zusätzliche biochemische Abhängigkeiten entstehen, die einen Entzug – nicht nur psychisch, sondern dann auch körperlich – so schwer machen.
Kollektiv gesehen, versammelt das Ersatzstreben ungestillter Menschen süchtige Energien, um immer mehr «Drogen» zu gewinnen und zu konsumieren. Das kann sich zu einer basalen Pathologie einer Leistungs- und Wachstumsgesellschaft auswachsen, wenn die Menschen vor allem nach materiellem Ersatz für Beziehungsdefizite streben. Süchtigkeit macht aus Begrenzung Bedrohung, egoistische Überlebensnot verhindert soziale Erfüllung in Beziehungskultur. Der Nachbar ist dann kein Mensch mehr zur sozialen Bereicherung, sondern bedrohlicher Konkurrent, während die Gemeinschaft, die am ehesten Schutz, Hilfe und Unterstützung gewähren und Verständnis, individuelle Bedeutung und Anerkennung vermitteln könnte, in Gewinner und Verlierer, in Starke und Schwache, in Mächtige und Ohnmächtige, in Reiche und Arme zerfällt.
In Deutschland ist materielle Not mehrheitlich so gut wie überwunden. [sic! Anm. H.S.: angesichts von millionen ausgebeuteten Niedriglöhnern, Hartz-4-Empfängern, Obdachlosen, Tafelnutzern, Armutsrentnern und stetig wachsender Kinderarmut - jedes 5. Kind in Deutschl. lebt in Armut - erscheint diese Aussage realitätsfremd!]. Das süchtige Verhalten vieler Menschen muss deshalb vor allem als Symptom seelischer Defizite verstanden werden. Der narzisstische Liebes- und Bestätigungsmangel speist die materielle egoistische Wachstumssucht; das dadurch verursachte Konkurrenzstreben produziert dann Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Im Verteilungskampf schaffen Gewinner zwangsläufig Verlierer. Wird infolge traumatisierender Beziehungserfahrungen ein Leben in Gemeinschaft nicht mehr als befriedigend und lustvoll erlebt, dann will man «Herr» sein, um die erlittene Schmach zu überdecken und sich zu rächen.
Tragischerweise zieht auch der «Knecht» noch Vorteile aus der ungleichen Verteilung, indem er per Projektion glauben kann, die «Herren» allein seien schuld an seinem Elend; so verwandelt er seinen entwicklungspsychologisch begründeten innerseelischen Stress in Protest und Kampf gegen Außenfeinde. Auf diese Weise entstehen Feindschaften, und keiner weiß mehr – und will es auch nicht wissen –, dass eine tiefe seelische Not auf beiden Seiten der Front die eigentliche Quelle der wechselseitigen Vorwürfe bis hin zur gezielten Gewalt gegen den erklärten Gegner ist. Dabei sitzen Arm und Reich, Oben und Unten, Links und Rechts in Wirklichkeit in einem Boot, nämlich dem des «falschen Lebens», und keine Seite ist, psychodynamisch gesehen, besser dran als die andere. Keiner von beiden ist nur gut oder böse, liegt nur richtig oder falsch. Wahrheit ist die größte Gefahr, mit der eigenen Fehlentwicklung konfrontiert zu werden, die ja in aller Regel mit vermeintlich guten Argumenten heftig verteidigt wird.
Ich bin weit davon entfernt, das Elend von Benachteiligten zu bagatellisieren. Aber ich vermag auch nicht das Leben der Erfolgreichen zu glorifizieren, deren psychosoziale Probleme weder durch Reichtum noch durch Macht oder Ruhm beseitigt werden. Eher werden sie damit noch vermehrt, weil die Falschheit ihres Lebens unter der «Goldkruste» besonders schwierig zu erkennen ist. Eine Veränderung wird dann vor allem als Verlust erlebt – wie bei jeder Sucht, wenn auf die Droge verzichtet werden soll. Die Plattitüde «Geld beruhigt, macht aber nicht glücklich!» ist inzwischen halbwegs akzeptiert. Aber das wichtigste Therapeutikum – Liebe statt Geld! – ist keineswegs einfach zu haben. Eine wirkliche Chance für ein friedliches Zusammenleben besteht aber nur dann, wenn Reiche und Arme bei ausreichendem materiellen Ausgleich in einer «Beziehungskultur» lernen, sich lebensechter zu begegnen und soziale Grundbedürfnisse der Anerkennung und Bestätigung beidseitig zu befriedigen. Unterschiede wird es immer geben, doch müssen sie nicht zu Feindseligkeiten führen, solange sie nicht durch Ungerechtigkeiten erzwungen worden sind.
Natur ist Werden und Vergehen, Wachsen und Schrumpfen. Falsches Leben ist Wachstumssucht und Verleugnung der Begrenzung und des Endes. Natur ist Vielfalt und Verschiedenheit, natürlich ist das systemische Zusammenspiel der unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen. Falsches Leben ist die Dominanz der einen über die anderen durch politische, militärische, religiöse und ökonomische Macht mit Selbstüberhöhung und Fremdabwertung.
Das Schicksal einer Gesellschaft entscheidet sich an der Frage, ob Kinder erzogen werden sollen oder ob ihre Entwicklung durch reflektierte und optimierte Beziehung gestaltet wird: Erziehung oder Beziehung! Erziehung erzeugt «gute» und «böse» Kinder, teilt in Gewinner und Verlierer, in richtiges und falsches Verhalten. Erziehung ist verantwortlich für Fehlentwicklungen, für viele Krankheiten und Verbrechen. Beziehung hingegen verzichtet auf Entwicklungsziele und Bewertung. Beziehung fördert Verstehen, würdigt Verschiedenheit, stärkt den Selbstwert und ermöglicht soziale Integration. Beziehung statt Erziehung heißt Liebe statt Macht, Gemeinschaft statt Konkurrenz, natürliche Leistungsdynamik statt künstlicher übertriebener Anstrengung.
Die wichtigste Erkenntnis der Hirnforschung liegt darin, dass die ersten Beziehungserfahrungen des Kindes die Gehirnentwicklung wesentlich beeinflussen, und zwar bereits zu einer Zeit, bevor das Kind sprechen kann. So bekommt die präverbale Beziehungsqualität eine prägende Bedeutung. Diese hängt wesentlich von der Beziehungsfähigkeit des Erwachsenen, von seiner Einstellung zum Kind, von seiner Empathiefähigkeit, sich in das Kind einfühlen zu wollen und zu können, und von seiner Reaktions-(d.h. auch Befriedigungs-)Fähigkeit ab. Nicht, was ein Erwachsener für richtig hält, ist entscheidend, sondern was davon beim Kind ankommt. Es gibt unzählige Eltern, die überzeugt sind, nur das Beste für ihr Kind zu tun. Womöglich wird das von dem betreffenden Kind aber ganz anders empfunden, wenn sein Befinden nicht richtig erkannt und verstanden wird. Dieser tragische Dissens bestimmt sehr oft das pädagogisch orientierte Erziehungsverhalten in Kitas, Schulen und Heimen.
Auch in Krankenhäusern dominieren in der Regel medizinisch begründete Maßnahmen über die Bedürfnislage des Kindes. Das mag einerseits unvermeidbar sein. Andererseits ließe sich durch ein empathisches Eingehen auf das kindliche Erleben eine wesentliche Brücke schlagen zwischen dem medizinisch Notwendigen und dem kindlichen Befinden. Das würde nicht nur das Kind aus einer Stresssituation befreien, sondern auch seine Heilungschancen verbessern. Wenn jetzt in den Kitas frühkindliche Bildung auf Kosten der notwendigen Bindung des Kindes propagiert wird, gefährdet das auch den Erfolg jedes Bildungsangebots. Bei sicherer und bestätigender Bindung dagegen kann sich das Kind aus innerem Antrieb frei entwickeln und wird ganz von alleine ein Bildungsbedürfnis entfalten und zunehmend auch artikulieren.
Die für eine gesunde Entwicklung des Kindes so wichtige frühe Bindung lässt sich deshalb nie durch Bildung ersetzen. Gerade Letzteres wird aber von vielen Politikern zunehmend als Begründung für eine Kita-Betreuung vorgebracht. So kommentierte etwa die NRW-Familienministerin Sylvia Löhrmann das Entfallen des Betreuungsgeldes, einer Sozialleistung für Familien, die ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr ohne Inanspruchnahme öffentlicher Angebote wie etwa Kitas selbst betreuen, mit den bezeichnenden Worten: «Die Antibildungsprämie ist vom Tisch», während die Sozialministerin von Baden-Württemberg Katrin Altpeter meinte: «Das Betreuungsgeld setzt falsche Anreize, weil es Eltern ermuntert, ihre Kinder von den vorschulischen Bildungseinrichtungen fernzuhalten.»
Fest steht: Es sollte keinen ideologisch oder ökonomisch begründeten Streit und Kampf um Familien- oder Krippenbetreuung geben. An erster Stelle sollte das Wohl des Kindes stehen. Und das heißt, Eltern so zu unterstützen, dass sie ihre Aufgaben als Mutter und Vater so gut wie möglich erfüllen können, zum Beispiel durch Elternschulen und ein angemessenes Betreuungsgeld, etwa in Analogie zur staatlichen Subvention eines Krippenplatzes in Höhe von 1000 bis 1500 € monatlich. Wenn Eltern ihre Pflicht nicht gut erfüllen, sollte eine optimale Fremdbetreuung möglich sein, die vor allem durch die Beziehungsqualität der Krippenerzieherin («Herzensbildung» sollte hierbei über jeder pädagogischen Lehre stehen!), durch die Gruppengröße der zu betreuenden Kinder und durch eine zuverlässige Bindung an eine Betreuungsperson gewährleistet werden muss.
Die für die Gehirnentwicklung des Kindes und damit für dessen spätere Persönlichkeitsstrukturen verantwortliche frühe Beziehungsqualität muss man aus der Sicht des Kindes beurteilen. In Entsprechung zu den wesentlichen mütterlichen und väterlichen Funktionen lauten die entscheidenden Fragen zur Beziehungsqualität aus kindlicher Perspektive:
• Bin ich gewollt? Ist mein Leben erwünscht? Bin ich existenzberechtigt? Oder soll ich besser nicht sein («Mutterannahme» oder «Mutterbedrohung»)?
• Werde ich in meiner Existenz freigelassen, oder werde ich von der Mutter besetzt, energetisch für Mutters Leben ausgesaugt? Wird mein einmaliges Leben akzeptiert, oder muss ich für Mutter leben («Mutterbesetzung» durch eine «Vampir-Mutter» oder «Mutterfreiheit»)?
• Bin ich wirklich geliebt? Werden alle meine normalen Bedürfnisse erkannt und zuverlässig und ausreichend bestätigt und erfüllt («Mutterliebe» oder «Muttermangel»)?
• Darf ich mich erkennen? Darf ich so sein, wie ich bin? Oder muss ich erkennen, was von mir erwartet wird und wie ich sein soll («Mutterbestätigung» oder «Muttervergiftung»)?
• Darf ich mich entfalten? Meine Fähigkeiten entdecken und entwickeln? Oder werde ich eingeschüchtert, geängstigt, abgewertet («Vaterliebe» oder «Vaterterror»)?
• Werde ich hinreichend gefördert, ermutigt und unterstützt und hilfreich gefordert? Oder hat keiner Interesse an mir, kümmert sich keiner um mich, und bekomme ich keine Unterstützung und Anleitung («Vaterförderung» oder «Vaterflucht»)?
• Werden auch meine Grenzen gesehen und respektiert? Oder muss ich mich über meine Möglichkeiten hinaus immer nur anstrengen («Vaterverständnis» oder «Vatermissbrauch»)?
«Beziehungsqualität» von Erwachsenen ist eine innere Einstellung, eine Haltung, die sich dem Kind übermittelt. Vonseiten des Kindes ist sie ein Verhaltensangebot und eine Erlebniserfahrung, die auf Spiegelung und Resonanz wartet. Beziehung spielt sich sehr viel mehr «energetisch» und emotional ab als rational-pädagogisch.
Wer nur pädagogische Erkenntnisse, rationale Überzeugungen und «richtiges» Verhalten zur Grundlage seiner Beziehungsangebote macht, der bewirkt eine Entfremdung des «Erziehungsobjektes» von sich selbst, bestenfalls mit dem Ziel der Anpassung und schlimmstenfalls mit dem Ergebnis von Trotz, Verweigerung und Verhaltensstörung. Durch Anpassung kann man im Wertekanon der dominierenden Normen sehr erfolgreich werden. Das aber ist häufig mit erhöhtem Erkrankungspotential verbunden und immer mit einer Entfremdung von sich selbst. Bei massenwirksamer autoritärer und repressiver Beeinflussung durch Erziehung entsteht eine gesellschaftliche Fehlentwicklung. Das falsche Leben erscheint dann als das richtige und erwünschte, weil es zunächst durchaus erfolgreich ist – bemessen an den Mainstream-Werten – und gar nicht mehr als Fehlentwicklung wahrgenommen wird, weil ja alle (oder zumindest die meisten) so denken, urteilen und sich verhalten («Normopathie»).
► Ich fasse zusammen:
• Das falsche Leben ist die Folge von Beziehungsstörungen – von Anfang an.
• Die frühe Beziehungsqualität prägt die Persönlichkeit und entscheidet über «echtes» oder «falsches Leben».
• Fehlentwicklungen und Fehlverhalten als Folge von Beziehungsstörungen sind schwer erkennbar, wenn eine Mehrheit davon betroffen ist.
• So können Störung, Abnormität und Destruktivität als normal, richtig und notwendig erscheinen, wie wir dies etwa im Nationalsozialismus und Sozialismus zur Kenntnis nehmen mussten und heute in einer narzisstischen Gesellschaft als Gefahr einer bedrohlichen Fehlentwicklung erkennen sollten. [ENDE DER LESEPROBE. Die Übertragung des Textes dient nur zu dokumentarischen Zwecken und natürlich zur Steigerung des Anreizes, dieses Buch käuflich zu erwerben! Die Text-Rechte verbleiben selbstverständlich beim Rechteinhaber (Autor / Verlag C.H. Beck]
Hans-Joachim Maaz
Hans-Joachim Maaz: Das falsche Leben, unsere normopathische Gesellschaft - Vortrag (Dauer: 1:05:14 Std.)
Hans-Joachim Maaz: Die Gefahr der Spaltung des Landes - Psychodynamik von Protest und Gegenprotest (50:19 Min.)
Das falsche Leben - Die narzisstische Normopathie der Gesellschaft
- Interview mit Hans-Joachim Maaz (Dauer 1:19:50)
ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt - ebenso die Unterstreichungen zur besseren Wahrnehmung der Aussagen.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Buchcover "Das falsche Leben: Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft" von Hans-Joachim Maaz; Verlag C.H.Beck; 256 Seiten. Klappenbroschur; ISBN 978-3-406-70555-7.
2. Eine glückliche Familie - längst kein Alltag für alle Kinder dieser Welt. Foto: cobalt123. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz. Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0).
3. Ängste sind oft die Folgen traumatischer Erlebnisse. Vor der Erforschung der Mutter-Kind-Interaktionen galt das Kind als ein Objekt der Erziehung, dem das «richtige» und «gute» Leben beigebracht werden müsse. Das Kind war den Erziehungsvorstellungen der Familie und damit in der Regel den gesellschaftlichen Normen und Entwicklungserwartungen ausgesetzt. Erziehung geschah überwiegend durch autoritären Druck, durch Einschüchterung, mittels Manipulation durch Lob und Strafe und endete am häufigsten in der Unterwerfung des Kindes unter den Willen der Erwachsenen. Nicht selten führte dieses Verhalten zu Erkrankungen des Kindes und manchmal auch zu rebellischen Kämpfen. Foto: D Sharon Pruitt. Quelle: Flickr und Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.
4. Baby: Immer mehr Eltern gehen dazu über, ihren schlaflosen und schreienden Babys und Kleinkindern Beruhigungsmittel und andere psychoaktive Substanzen zu verabreichen. Sie fügen ihren Kindern damit nicht nur Schaden zu, sondern üben sie obendrein – ohne es zu ahnen – in den Modus der chemisch-pharmakologischen Verhaltenssteuerung und Affektregulierung ein. Normgerechtes Verhalten wird mehr und mehr zu einer Frage der „Einstellung“ – auf das richtige Medikament und die richtige Dosis. Foto: TaniaVdB / Tania Van den Berghen, Gemmenich/Belgien. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Bild.
5. Wandgraffito: "Wir machen Jobs die wir hassen und kaufen dann Scheisse, die wir nicht brauchen." Foto: Flickr-user redhope. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).
6. Kind mit Schnuller. Foto: Flickr-user caratello. Quelle: Flickr. (Verlinkung nicht mehr möglich) Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0). Der Schnuller (engl.: pacifier / baby-soother) mit Piratenmotiv ist ein Produkt der Fa. ROCK STAR BABY (RSB) wurde von uns nachträglich eingearbeitet. Danke Wilfried / QPress. RSB ist die stylische Marke von Tico Torres - dem Drummer von BON JOVI. Wer so ein Teil cool findet, hier gibt es ihn u.a.: http://www.baby-nova-shop.de/
7. Verantwortungsvolle und liebende Väter wissen, daß die folgende Aussage auch auf sie zutrifft: „Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein.“ Foto: William M. Connolley, engl. Wikipedia-User mit seinen Kindern D. und E. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
8. Buchcover "Das falsche Leben: Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft" von Hans-Joachim Maaz; Verlag C.H.Beck; 256 Seiten. Klappenbroschur; ISBN 978-3-406-70555-7. Auch als e-Book (ePub) ISBN: 978-3-406-70556-4 erhältlich.
Konkretisierung der Maßnahmen zur Beendigung von Fluchtursachen
Zum Ende des zweiten Videos hat Herr Maaz drei absolut notwendige Voraussetzungen bzw. Fluchursachen benannt: “... nur mit einer maximalen realen Hilfe gegen Hunger, Armut und Kriege auf dieser Welt ...“.
„Kriege beenden“ ist hinreichend klar und eindeutig, sofern bewußt ist, dass diese heutzutage in menschenverachtendem Neusprech als „Friedenssichernde Maßnahmen, Pflichtverteidigung, Engagement in Krisenregionen, Stabilisierungsmission, bewaffneter Konflikt oder kriegsähnlicher Zustand“ schöngeredet werden. Um auch die „maximale reale Hilfe gegen Hunger und Armut“ zu konkretisieren:
Sofortige Beendigung und/oder Verbot von:
1) Freihandelsabkommen jedweder Art
2) Landgrabbing >> "Land Grabbing – die marktkonforme Wiedergeburt des Kolonialismus" >> weiter. Ein ebenfalls exzellenter Artikel: "Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas". >> weiter.
Bekannt geworden für seinen vehementen Einsatz für Ökologie, Humanität und Soziales ist OXFAM, auf dessen Webseite sich ein gut gemachter Animationsclip zum Thema LAND GRABBING befindet. Während zehn Monaten hat der britische Trickfilmzeichner Tim Wheatley mehr als 1.700 Bilder für diese Animation angefertigt.
Das Ergebnis: knapp zweieinhalb Minuten Gänsehaut-Atmosphäre, die das tödliche Prinzip von Landraub (englisch: land grabbing) deutlich machen. Dabei kaufen Investoren Land im großen Stil. Die Folge: Ganze Gemeinden werden vertrieben und hungern. OXFAM engagiert sich gegen Land Grabbing. Mehr Informationen: http://www.oxfam.de/landgrabbing.
3) Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF) >> "Stabilisieren, deregulieren, liberalisieren, privatisieren. So funktionieren die Strukturanpassungsprogramme des IWF" >> weiter.
4) „konventioneller“ Entwicklungshilfe, die entweder mehr den Geber- als den Empfängerländern nützt und/oder die Korruption der Machthaber vor Ort fördert
5) allen Maßnahmen und Aktionen, welche die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort zerstören und/oder und in die Abhängigkeit oder Flucht treiben. Konkret zu verbieten bzw. abzuschaffen wären da z.B.:
• industrielle Befischung, sodass einheimische Fischer in den Ruin getrieben werden
• Öffnung für äußere industrielle Dumpingangebote. Stattdessen Schließung oder Abschottung nicht hinreichend entwickelter Bereiche (Verbot oder hohe Zölle)
• Knebelverträge für gentechnisch verändertes Saatgut >> "Tödliche Agri-Kultur. Wie Monsanto die Welt vergiftet" >> weiter.
• Privatisierung der Wasserversorgung >> "Menschenrecht auf Grundversorgung: Wem gehört das Wasser?" >> weiter.
Stattdessen muss eine „neue und konstruktive Art“ der Entwicklungshilfe erfolgen, die in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe ist sowie zum Ziel hat und de facto darauf hinarbeitet, dass Menschen ihren Lebensunterhalt vor Ort ohne fremde Hilfe bestreiten können.
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1. Buchcover: "Die Große Flucht: Ursachen, Hintergründe, Konsequenzen" von Conrad Schuhler; erschienen am 15.05.2016 im PapyRossa Verlag, Köln; ISBN 978-3-89438-601-6; EUR 12.90 (DE).
2. Heftcover: isw-report 104 - erschienen Februar 2015 - 44 Seiten 4,00 Euro zzgl. Versand - Bestellung via Email: isw_muenchen@t-online.de
Die isw-Autoren Claus Schreer, Fred Schmid und Conrad Schuhler untersuchen in dem report mit dem Titel „Auf der Flucht“ die Dimensionen der Flüchtlingsströme; ihre Ursachen; die Maßnahmen, mit denen sich der „Westen“ gegen die Ströme abschotten will, und wie eine humane Flüchtlingspolitik aussehen müsste.
Logos
Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64