Kämpfe um Zeit
Die Hoheit über die Arbeitszeitpolitik zurückgewinnen
von Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG)
Netzwerk-Info Gewerkschaftslinke
Kämpfe um Zeit begleiten die ArbeiterInnen- und die Gewerkschaftsbewegung seit ihrer Entstehung. Im Mittelpunkt standen meist die Dauer des Arbeitstages bzw. der Arbeitswoche, aber auch die Lebensarbeitszeit, Urlaub- und Pausenzeiten. Auch wenn die Kämpfe vorwiegend von den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und den Gewerkschaften geführt wurden, waren sie doch immer auch eingebettet in gesellschaftliche Konflikte und Bewegungen.
Nicht zufällig konnte in der Novemberrevolution 1918 der 8-Stunden-Tag erkämpft werden. Im Zeichen der Systemkonkurrenz begann 1955 der Kampf um die 5-Tage- und 40-Stunden-Woche, die etwa 10 Jahre später zum tariflichen, nicht aber zum gesetzlichen Standard wurde.
Der Aufbruch der 68er-Protestbewegung und das damit einhergehende Erstarken der Gewerkschaften schufen den Rahmen für die Durchsetzung der Steinkühlerpause. Und die Protestdynamik der 70er Jahre und das Erstarken der Frauenbewegung bildeten einen wichtigen Hintergrund für die Kämpfe um die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren.
Immer waren Kämpfe um Zeit Klassenkämpfe, in denen das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit neu justiert wurde. Immer ging und geht es dem Kapital darum, die Arbeitszeit zu verlängern und die Profite abzuschöpfen. Den Gewerkschaften muss es daher ebenso immer um beides gehen: Arbeitszeit absolut zu verkürzen und den Anteil am Gewinn zu erhöhen.
► Die Hoheit über die Arbeitszeitpolitik zurückgewinnen
Seit den 90er Jahren sind die Kämpfe um Zeit ins Stocken geraten. Die tatsächliche Arbeitszeit und die Entgrenzung des Arbeitstages nimmt für einen Teil der Beschäftigten wieder zu, andere (meist Frauen) werden in unfreiwillige Teilzeit, Mini- und Midijobs und damit strukturelle Unterbeschäftigung gedrängt und einige Millionen werden ganz aus dem Erwerbsleben geschmissen. Diese ganz verschieden betroffenen Beschäftigtengruppen eint, dass sie ein anderes Arbeitszeitregime wollen. Eine gute Voraussetzung für eine gesellschaftliche Debatte und eine neue Initiative für Arbeitszeitverkürzung.
► Arbeitszeitkampagne der IG Metall greift zu kurz
Die Kampagne der IG Metall „Mein Leben – meine Zeit. Arbeit neu denken!“ stellt mobiles Arbeiten, lebensphasenorientierte Arbeitszeiten, sowie weniger Arbeit für Schichtarbeiter in den Mittelpunkt, aber keine generell kürzere Arbeitszeit für alle. Das führt zu Zersplitterung, weil Beschäftigtengruppen unterschiedlich von den Zielen profitieren. Eine allgemeine Mobilisierung ist damit schwer möglich und die Hoheit über die Arbeitszeitpolitik ist damit nicht zurückzuholen.
Die Forderungen sind weder eine Antwort auf den zu erwartenden immensen Personalabbau in Folge der Digitalisierung, Industrie 4.0 (hier und hier) und Elektromobilität, noch auf den ständig steigenden Stress und Leistungsdruck und damit einhergehende gesundheitliche Belastungen in allen Beschäftigtengruppen. Hier braucht es Forderungen, die der Zersplitterung entgegenwirken.
In Diskussion sind z.B. 5 Tage mehr Urlaub für alle. Das wäre ein Ansatz, der allen Beschäftigten Vorteile bringt und ermöglicht, in die Debatte um kürzere Lebensarbeitszeiten einzusteigen, um in den nächsten Jahren eine Strategie entwickeln zu können, wie wir auch kürzere Wochenarbeitszeit fordern und durchsetzen können. Der Kampf in den 80ern um die 35-Stunden-Woche zeigt, dass mit einer guten Strategie ein gesellschaftliches Klima für Arbeitszeitverkürzung erzeugt werden kann und ein Erfolg möglich ist.
► Erfahrungen aus den Streiks um die 35-Stunden-Woche
Ein gesellschaftliches Klima für Arbeitszeitverkürzung gab es auch in den 80ern nicht. Der Streik der IG Metall 1984 wurde deshalb über ein Jahr lang intensiv vorbereitet: strategisch, argumentativ, agitatorisch, kulturell. Auch damals war es nicht einfach, die Belegschaften für den Arbeitskampf zu gewinnen, die gesellschaftliche Debatte zu beeinflussen, der Abwehrfront des Kapitals und ihrer Medien eine wirkungsvolle Strategie entgegenzusetzen.
Die betrieblichen Aktionen „Unternehmer auf dem Prüfstand“ waren ein wesentlicher Baustein dieser Strategie. Mit den 4 Themenschwerpunkten „Wie sicher sind unsere Arbeitsplätze“, „Arbeitszeitvorschläge der Unternehmer“, „Wie haben sich Arbeits- und Leistungsbedingungen entwickelt“ und „Die Sache mit dem Lohnausgleich“ konnten die Belegschaften überzeugt und mobilisiert werden. Die Termine und inhaltlichen Schwerpunkte der Tarifverhandlungen wurden auf die in den Betrieben laufenden Prüfstandsaktionen abgestimmt.
Bei den verhandlungsbegleitenden Aktionen wurden viele Funktionäre einbezogen, die stündlich über die Verhandlungen informiert wurden, was der Stimmung vor Ort sehr gut tat, eine große Öffentlichkeit herstellte und dabei Mobilisierungsschübe bewirkte. Detaillierte Widerlegungen der Argumente des Kapitals zeigten die Interessensgegensätze auf und stärkten die gewerkschaftliche Position.
Diese Strategie kann natürlich nicht eins zu eins auf heute übertragen werden. Die gesellschaftlichen Bedingungen sind heute anders. Aber dass eine gute Strategie erfolgreich ist, dies kann daraus gelernt werden.
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Die Voraussetzungen für eine neue Offensive sind gut
Arbeitszeitverkürzung ist keine rein tarifpolitische Aufgabe, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Dies findet auch in vielen Beschlüssen seinen Ausdruck. Nicht nur viele Gewerkschaftsgliederungen fordern sie, sondern auch zahlreiche gesellschaftliche Gruppen. Der Deutsche Frauenrat fordert z. B. seit 10 Jahren die 30-Stunden-Woche. An den Internationalen Frauentagen 2014 und 2015 hat er gemeinsam mit dem "Bundesforum Männer" dazu aufgerufen, dass die Arbeitszeitverkürzung wieder auf die politische Agenda muss und wir eine neue „Norm“ einer 30-Stunden-Woche brauchen, um alle Menschen im Erwerbsalter existenzsichernd beschäftigen zu können – ohne Arbeitsverdichtung und erhöhten Leistungsdruck.
Auch die "Katholische Arbeitnehmer-Bewegung" (KAB) hat bereits 2014 eine Arbeitszeitoffensive für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich beschlossen und fordert ein gesamtgesellschaftliches Projekt, in dem viele gesellschaftliche Akteure und die Zivilgesellschaft eingebunden werden.
Die AG ArbeitFAIRTeilen von attac setzt sich seit einigen Jahren für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein und baut ein breites gesellschaftliches Bündnis auf, „in dem neben den Gewerkschaften auch Kirchen, Sozial- und Frauenverbände, Gesundheits- und Sportorganisationen ebenso wie Umweltverbände und Wissenschaftler vertreten sind. Ziel ist es, den Diskurs auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu führen und gesellschaftlich zu verankern. Damit können wir die Gewerkschaften bei ihren Tarifauseinandersetzungen stärken sowie den Druck auf die Politik erhöhen.“ Auch auf europäischer Ebene fand auf Initiative von attac und anderen im Herbst 2016 ein erster Kongress statt (siehe NWI Dez. 2016).
In vielen Einzelgewerkschaften und beim DGB gibt es auf Frauenseite sowie in vielen Bezirken klare Beschlüsse für die 30-Stunden-Woche, so bei IGM, Verdi, DGB und GEW. Auch in anderen europäischen Gewerkschaften gibt es erste Kampagnen. Die österreichische Gewerkschaft GPA-djp – die mitgliederstärkste Gewerkschaft innerhalb des "Österreichischen Gewerkschaftsbundes" (ÖGB) – führt eine Kampagne „kürzer Arbeiten – leichter Leben“, die die Verkürzung der Normalarbeitszeit beinhaltet. Der Generalsekretär der französischen CGT, dem zweitgrößten, sicher aber mächtigsten und politisch einflussreichsten Gewerkschaftsbund der französischen Beschäftigten, sieht als Antwort auf die digitale Revolution eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden als das Mindeste, „weniger wäre besser und würde helfen, diese Revolution zum Guten zu wenden.“
Die Gewerkschaften haben die Hoheit über die Arbeitszeitpolitik zwar seit den 90er Jahren verloren. Mit guten Konzepten, einer wirkungsvollen Strategie und guter Bündnispolitik mit anderen gesellschaftlichen Organisationen kann die Hoheit zurück gewonnen werden. Die Beschlusslage in den Gewerkschaften, sowie die verschiedenen Kampagnen und Initiativen für Arbeitszeitverkürzungen der verschiedenen Organisationen sind gute Voraussetzungen, um hier wieder in die Offensive zu kommen und die Handlungsmacht der Gewerkschaften zu stärken.
Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften
► Quelle: Veröffentlicht als "Netzwerk-Info Gewerkschaftslinke" Extra zur Arbeitszeitverkürzung - APRIL 2017 bei labournet.de > Artikel als PDF.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Kämpfe um Zeit begleiten die ArbeiterInnen- und die Gewerkschaftsbewegung seit ihrer Entstehung. Im Mittelpunkt standen meist die Dauer des Arbeitstages bzw. der Arbeitswoche, aber auch die Lebensarbeitszeit, Urlaub- und Pausenzeiten. Foto: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden.
2. Ansteckbutton "35-Stunden-Woche" der IG Metall aus der Tarifauseinandersetzung um eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Das Logo wurde vom Frankfurter Grafiker Wilhelm Zimmermann geschaffen. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
3. Arbeitszeitverkürzung ist keine rein tarifpolitische Aufgabe, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Dies findet auch in vielen Beschlüssen seinen Ausdruck. Nicht nur viele Gewerkschaftsgliederungen fordern sie, sondern auch zahlreiche gesellschaftliche Gruppen. Grafik: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.