Neoliberalismus - eine Steigerung des Kapitalismus?
Kapitalismus und Neoliberalismus - Brüder oder Feinde?
Turbokapitalismus, Hyperkapitalismus, Raubtierkapitalismus, Killerkapitalismus, Schnappfischkapitalismus etc. - alles letztlich verwirrende und nicht zielführende Versuche, das zu beschreiben, was längst einen Namen hat: Neoliberalismus* - bzw. Marktradikalismus. *Gemeint sind hier stets die Ausprägungen nach chicagoer (Milton Friedman) oder österreichischer (Mises, Hayek) Schule - nicht der Ordoliberalismus!
Die zu beantwortenden Fragen lauten:
- Was haben Neoliberalismus und Kapitalismus miteinander gemein?
- Ist Neoliberalismus tatsächlich eine extreme Steigerungsform oder eine Variante des Kapitalismus, wie allenthalben angenommen wird?
- Wäre dem tatsächlich so, dann dürften nur quantitative Unterschiede zu verzeichnen sein - wesentliche qualitative Unterschiede könnte es somit nicht geben. Ist dem tatsächlich so?
Alle diese Fragen beantwortet die Tabelle (s.u.).
Wie wichtig ist die korrekte Unterscheidung? Haarspalterisch oder fundamental?
Wenn die Anamnese grundlegend falsch ist, werden Diagnose und Behandlung nicht nur nicht helfen, sondern die Heilung mit gewisser Wahrscheinlichkeit sogar konterkarieren. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Neoliberalismus bzw. die korrekte Zuordnung der Fehlentwicklungen alles andere als „akademische Haarspalterei“, sondern vielmehr fundamental.
Die Unterschiede zwischen Kapitalismus und Neoliberalismus sind so mannigfaltig, dass sie um der Übersichtlichkeit Willen in folgender Tabelle dargestellt werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, bitte die Erläuterung des * bei "ideal" unterhalb der Tabelle beachten):
# | Aspekt | Kapitalismus | Neoliberalismus |
1 | Entstehung | ungeplant | geplant |
2 | Vorhersehbarkeit der Entstehung | unvorhersehbar | menschengemacht (Hayek, Friedman, von Mises) |
3 | Art des Prozesses | wirtschaftlicher Wachstumsprozess | Umverteilungsprozess von Arm nach Reich |
4 | Qui Bono? / Nutznießer bei optimaler Steuerung* | gesamte Gesellschaft | nur Superreiche, Oligarchen & Groß- bzw. Transnationale Konzerne (TNC) |
5 | Erzeugt idealerweise* | wirtschaftliches Wachstum | soziale Ungerechtigkeit, extr. Vermögensunterschiede |
6 | Ideale* wirtschaftliche Folge für die Gesellschaft | Verbesserung, Wohlstandsmehrung | weitere Bereicherung der Superreichen durch Verarmung des „Restes“/der Allgemeinheit |
7 | Ideale* soziale Konsequenzen für die Gesellschaft | Verbesserung, Gleichberechtigung, Demokratie | Sozialdarwinismus / Survival of the Fittest / Soziale Kälte auf absolutem Nullpunkt, Solidaritätsvernichtung, Ausgrenzung,Spaltung, Entmenschlichung, Werteverfall |
8 | Prozess wird getrieben durch | Gewinnbestreben+hohe&steigende Löhne sowie technische Innovation (Produktion) | politischer Lobbyismus & gesellschaftl. Indoktrination, Lohndumping, Ausbeutung, Zinseszins und Spekulation |
9 | Erfordernisse / Forderungen | Massenkaufkraft durch steigende Löhne | 1. Privatisierung, 2. Liberalisierung, 3. Deregulierung |
10 | Ideal* im Bezug auf staatliche Eingriffe | unabdingbar - der systemimmanent zu Krisen neigende Kapitalismus bedarf starker stabilisierender Eingriffe | Nachtwächterstaat, ultra-liberaler Staat, Minimalstaat - nur zur Sicherung der Vermögen der Superreichen & Manifestierung neoliberaler Positionen in Gesetze |
11 | Staatlich benötige / geforderte Maßnahmen zur Krisenüberwindung | Konjunkturprogramme: vermehrte Ausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft, Lohnsteigerungen <=> Nachfragetheorie | (Kaputt-)Sparen, Austeritätspolitik, Lohnsenkungen <=> Angebotstheorie |
12 | Natur des Phänomens | realer Wirtschaftsprozess | irreale Ideologie |
13 | Grenzen | Umwelt & Ressourcen | kennt keine |
14 | Benötigt unabdingbar | Fortschritt durch effizienzsteigernde Technik | Handlanger, Wasserträger, Lobbyhuren & nützliche Idioten, welche die neoliberale Dogmatik propagandie- ren & in politische Rahmenbedingungen durchdrücken |
15 | Kapitalkonzentration | Starker systemischer Druck zur Macht-konzentration (Akkumulation d. Kapitals) => Oligopol- & Monopolbildung | gesamte Ideologie ist faktisch auf die extreme Vermögenssteigerung Superreicher ausgerichtet |
16 | Marktwirtschaft im Sinne der Marktwirtschaftslehre | nur in Nischen vorhanden - ansonsten nicht existent: BRD: weniger als 1% der Unternehmen beherrschen über 2/3 der gesamten Wirtschaftsleistung | ignorante und ideologisch / dogmatische Fiktion einer freien [sozialen] Marktwirtschaft mit ganz vielen Anbietern und Nachfragern |
17 | Art des Wettbewerbs | faktischer Verdrängungswettbewerb | herbeifabulierter „[freier] Konkurrenzwettbewerb“ |
18 | Zum Wohl der Gesellschaft | muss der Staat durch harte Regularien Schutzrechte (Umwelt, Arbeitnehmer und Verbraucher) gegen ansonsten verantwortungslos agierende Unternehmen & Konzerne durchsetzen | sollte der Staat sich völlig aus d. Wirtschaft raushalten, weil die sog. "unsichtbare Hand" selbstregulierend und korrigierend in den Markt eingreift, so dass eigennützi- ges/egoistisches Handeln von Käufern & Verkäufern in einem „freiem Markt“ automatisch zum Wohle aller wirkt |
19 | Spektrum | Volkswirtschaft (Makro- & Mikroökonomie) | betriebswirtschaftliche Sichtweise wird zum allgemeinen Credo erhoben |
20 | Konflikt zum Rechtsstaat | prozesslich / systemisch: NEIN! menschlich / unternehmerisch: oft JA, Geldgier von Großkapitalisten versucht sich der gerechten Besteuerung zu entziehen | systemisch: JA! Rechtsstaat nur zur Sicherung des Superreichtums der Oligarchen, ansonsten feindlich: versucht durch Sonderklagerechte & Sondergerichts-barkeit den Rechtsstaat zu unterminieren (> TTIP, CETA, TISA u.a. Freihandelsabkommen) |
21 | Konflikt zur Demokratie | prozesslich / systemisch: NEIN, menschlich / konzernmäßig: oft ja, Machtgier von Großkapitalisten versucht unbotmäßige Einflussnahme auf Politik | systemischer Konflikt zum neoliberalen Paradigma des "freien Marktes" / versucht demokratische Institutionen auszuschalten (Freihandelsabkommen > regulative Kooperation / regulatorischer Rat > corporatocracy |
22 | Abschaffung | extrem schwer, hat bislang alle Krisen überlebt. Kann nicht ad hoc per Entscheidung abgeschafft werden | bedarf nur der Entscheidung, Neoliberalismus als [asozialen] Unsinn zu verwerfen > Rollback neoliberaler Gesetze durch politische Entscheidungsträger |
23 | Folgen des Versagens (Kapital.) / d. Abschaffung (Neoliberalismus) | chaotischer wirtschaf. Zusammenbruch, Armut, Leid, psych. Störungen, Tote | Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse |
24 | Bedeutung des Geldes | fundamental wichtig / immense Relevanz | ideologisches Postulat: nur "neutraler Schleier" |
25 | gesellschaftl.Reichtum result. aus | Einkommen <=> Fließgröße (dynamisch) | Vermögen <=> Bestandsgröße (statisch) |
26 | Ursache / Postulat für Inflation | Lohnstückkosten (Verhältnis von Stück- Arbeitskosten zur Produktivität) | Geldmenge <=> Monetarismus (ideologisch. Konstrukt) |
27 | Freigeld: systemischer Konflikt? | NEIN, im Gegenteil: Verstärkung | JA, konterkariert intendierte Umverteilung |
28 | Investitionen benötigen | Kredite, FIAT-Geld (Geld aus dem Nichts) | vorausgehendes Sparen gemäß ideologischem Dogma |
29 | Wirkung des Sparens auf die Volkswirtschaft | De facto negativ: Nachfrage-, Investitions- & Wachstumsreduktion > Liquiditätsfalle: Depressionsgefahr & Abwärtsspirale | Gemäß ideologischem Dogma: positiv Fiktion: nötig für Investitionen & Finanzkonsolidierung |
30 | Gefahr bei nicht mit der Produktivität wachsenden Löhnen | Überproduktion, Absatzkrise>Produktions- einschränkung > Beschäftigungsrückgang > Depressionsgefahr & Abwärtsspirale | Gemäß „says „gesetz“ kann es keine Überproduktion geben, weil jedes Angebot sich seine Nachfrage schafft |
31 | Menschenbild / < Realitätsbezug | keines / - | Homo oeconimicus / irreales Konstrukt |
32 | Bezug zur Realität | ist Bestandteil der Wirklichkeit | marginal bis nicht vorhanden / kognitive Dissonanz (gespaltene Wahrnehmung), Leugnung, Ignoranz |
33 | Verhältnis von Gier und Wachstum | Gier konterkariert de facto den kapitalistischen Wachstumsprozess | Gier wird ideologisch zum „Motor und Antrieb“ der Wirtschaft hochstilisiert, verbrämt und verklärt |
34 | Art der Förderung von Gier | indirekt, wird als ohnehin vorhandene Haltung gewissener Fehlgeleiteter oftmals infolge des Nichtbegreifens kapitalist. Wirkmechanismen verstärkt | direkt / offiziell, ist integraler Bestandteil der Ideologie und wird somit in Ignoranz ihrer faktisch zerstörerischen Wirkung ins Extrem gesteigert |
35 | Förderung v. Ellenbogendenken | indirekt | direkt |
36 | Komplexität | dermaßen hoch, dass selbst die meisten [Anti-/]Kapitalisten die Wirkmechanismen nicht begriffen haben | absurd niedrig: extrem simplifizierend und verkürzend |
37 | Verständnis des Prozesses (Kapit.) / Akzeptanz des Modells (Neolib.) erfordert | Wahrheitssuche, Sachkompetenz, gesunden Menschenverstand, Logik, Blick auf die Realitäten/Historie | modernen Magieglauben (unsichtbare Hand), Realitätsverlust/-leugnung, Ideologieaffinität, Verblendung, Ausschaltung logischen Denkens und selbstkritischer Hinterfragung, Tunnelblick |
38 | Novum / Neuigkeit | erstmaliger systematischer Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Technik | 1) Umverteilung von unten nach oben als Ideologie 2) Trotz Aufklärung Dominanz einer völlig unlogischen & realitätsfernen Ideologie in Politik, Wirtschaft & Unis |
39 | zukünftige wirtschaftl.Entwicklung | ungewiss, unberechenbar, unbekannt | ideologische Fiktion: deterministisch & berechenbar |
40 | Flexibilität der Wirtschaft | Dynamischer Wachstumsprozess | Fiktion einer starren bzw. statischen Tauschwirtschaft |
*: bei optimaler staatlicher Steuerung. Davon sind praktisch alle Länder "Dank" kontraproduktiver neoliberaler Indoktrinierung Lichtjahre entfernt. In diesem Kontext sei ausdrücklich auf die Wirkprinzipien des kapitalistischen Wachtstumsprozesses (Kapitel 1.3) und die fundamentale Abhängigkeit der Ergebnisse des Kapitalismus von seiner Steuerung (Kapitel 1.4 und Fazit 1.13) im "Das kapitalistische Manifest" verwiesen.
Die Auswertung kommt zu folgendem Ergebnis: von 40 Aspekten stellt nur ein einziger (sofern man den Unterschied zwischen indirekt und direkt -Punkt 34+35- als "halbe" Steigerung ansehen will: zwei) eine Steigerung dar (15, Kapitalakkumulation) während die restlichen 39 (bzw. 38) keine Solche erkennen lassen. Im Detail sind das:
- das glatte Gegenteil: elf (1, 11, 13, 19, 24, 25, 27, 29, 31, 36, 39), von denen sich fünf (11, 24, 29, 36, 39) sogar inhaltl. hart widersprechen
- Unterscheidung direkt / indirekt: zwei (34, 35),
- wesensmäßiger / qualitativer Unterschied: gesamter Rest, also 26
Obwohl sich wahrscheinlich noch weitere Aspekte finden lassen ist damit der eindeutige Nachweis geführt, dass verschiedendste Aspekte beim Kapitalismus und Neoliberalismus durch extreme Unterschiede (ausgenommen Punkt 15) gekennzeichnet sind. Womit die Frage beantwortet bzw. der Nachweis erbracht ist, dass Neoliberalismus eben weder eine „abartige“ Steigerungsform des Kapitalismus, kein Turbo- oder Raubtierkkapitalismus ist, noch eine "Variante" desselben, sondern etwas wesensmäßig völlig Anderes. Die sich aus dieser Erkenntnis ergebenden Konsequenzen in Bezug auf zu fordernde Abstellmaßnahmen könnten kaum gewichtiger sein.
Vorausgesetzt, die oberste Priorität liegt nicht in ideologischer Dogmatik, sondern gesellschaftlichen Verbesserungen (in allererster Linie in Bezug auf mehr soziale Gerechtigkeit > Abbau der extremen Vermögensungleichheit > Umverteilung von oben nach unten) so könnten die Konsequenzen im Hinblick auf eine erfolgreiche Durchführbarkeit verbessernder Maßnahmen in Abhängigkeit dessen, ob Problemursachen im Kapitalismus oder Neoliberalismus verortet werden, kaum größer sein:
- Kapitalismus ist ein realer Wirtschaftsprozess, welcher praktisch die gesamte Lebenswirklichkeit der Menschen auf unterschiedlichste Weise durchdrungen hat. Ihn abzuschaffen ist ein Systemwechsel - kaum etwas dürfte schwieriger zu vollziehen sein, als die Abkehr von einem System, welches eine derartige Wirkmächtigkeit besitzt. Ein sich eigentlich selbsterhaltender Wirtschaftsprozess wie den Kapitalismus künstlich beseitigen zu wollen, ist ein Unterfangen, an dem bisher sämtliche Versuche (z. B. Kommunismus) desaströs gescheitert sind.
Nicht umsonst konnte der bekannte ägyptische Ökonom Samir Amin auf die Frage, wie denn der Ausstieg aus dem Kapitalismus aussehen soll, nichts liefern, was sich auch nur annähernd zu Recht „klare Antwort“ nennen dürfte (siehe diesen KN-Artikel). Das ist aber nicht dem Unvermögen Amins geschuldet, sondern allen Kapitalismuskritikern zu eigen: auf das Wie kommt immer nur nebulöses und abstraktes Drumherumgerede.
Wenn selbst keiner der Kapitalismuskritiker eine konkrete und überzeugende Vorstellung davon hat, wie so ein Ausstieg zu gestalten ist, dann zeugt das zumindest von einem Ausmaß an Schwierigkeiten, welches so extrem ist, dass Alle bisher an einer überzeugenden Modellierung scheiterten.
- Völlig anders sieht die Angelegenheit aus, wenn viele (nicht alle) Probleme korrekt dem Neoliberalismus zugeschrieben werden: er ist eine menschengemachte Ideologie; aus ihr kann -zumindest theoretisch- einfach per Entscheidung und entsprechenden Gesetzesänderungen ausgestiegen werden. Als erster Ansatz reicht dann schon eine Analyse der Maßnahmen, welche die neoliberale Ideologie in der Vergangenheit in die Politik und Gesetze gedrückt hat. Auf diese Weise lassen sich jede Menge ganz konkrete Ursachen der sozialen Ungerechtigkeit benennen und entsprechende Verbesserungen zu deren Abhilfe einfordern. Diesen zielführenden Weg aber dürften die meisten Kapitalismusbasher schon deswegen ablehnen, weil sie so das Objekt ihres Hasses nicht los werden.
Mit anderen Worten:
- Die Erkenntnis, dass Neoliberalismus ein von Menschen bewußt aus der Taufe gehobener, realitätsleugnender ideologischer Irrsinn ist, der einzig und allein den Superreichen (und mittelbar deren Handlangern und nützlichen Idioten) dient, mündet unmittelbar in die Konsequenz, dass diese Menschen gemachte Unheilslehre auch wieder abgeschafft werden kann - einfach durch Entschluss bzw Entscheidung, die ideologischen Dogmen als asozial und gesellschaftszerstörend zu verwerfen.
- Kapitalismus hingegen ist keine von Menschen gemachte Ideologie, sondern ein dynamischer Wirtschaftsprozess, der mit dem Einzug der Technik/Maschinisierung in die Arbeitswelt begonnen und einen „Siegeszug“ angetreten hat, der eben nicht durch Entscheidung einfach abgeschafft werden kann.
Dass Neoliberalismus keine Steigerung des Kapitalismus sein kann beweist außerdem folgender Sachzusammenhang: Die totale Umsetzung neoliberaler Forderungen würde in die allerschlimmsten Zeiten des Kapitalismus zurück führen, in denen dieser von einer Existenz bedrohenden Krise geschüttelt wurde. Nur durch die Überwindung der extrem prekären Lage der Arbeiter durch Lohnsteigerungen infolge eines harten Arbeitskampfes konnte der Kapitalismus gerettet werden. Nun kann aber eine Ideologie (Neoliberalismus), die einen realen Wirtschaftsprozess (Kapitalismus) nicht nur in eine schwere Krise treibt, sondern deren langfristige Totalumsetzung zu dessen Exitus führt, keine Steigerung dieses Wirtschaftsprozess sein.
Ein weiterer Sachverhalt ist möglicherweise noch zwingender: Kapitalismus ein realer Wirtschaftsprozess - Neoliberalismus hingegen eine völlig durchgeknallte, realitätsferne und - leugnende Ideologie. Letzeres kann schon logisch unmöglich eine Steigerung des Ersten darstellen.
Die Folge einer falschen Zuordnung der [extrem] asozialen Ungerechtigkeit schaffenden Ursachen führt [forderungsmäßig] zu nicht weniger als dem kompletten Versäumnis der Abschaffung ebenjener.
► Fazit:
Weil neoliberale politisch-gesetzliche Regelung den kapitalistischen Wachstumsprozess konterkariert und eine nahezu maximale Fehlsteuerung kapitalistischer Wirkprinzipien darstellt, ist Neoliberalismus ein Feind des Kapitalismus und nicht dessen Steigerung.
Warum das alles? Weil die Erkenntnis dieser fundamentalen Unterschiede im Ergebnis der Forderungen kaum unterschiedlicher ausfallen könnte:
I) Halten Linke/Kapitalismuskritiker in „bewährter Ideologie“ an der Forderung der „Überwindung“ des Kapitalismus fest, so wird man wohl am Ende nur mit leeren Händen dastehen, weil sich der Kapitalismus als dynamischer Wirtschaftsprozess mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht künstlich beseitigen lässt. Insbesondere lässt er sich nicht per Entscheidung abschaffen. Obwohl das Ziel doch in der Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen lag wäre mit all den Forderungen der Systemüberwindung am Ende nichts gewonnen - kein Missstand wäre beseitigt.
II) Wäre Neoliberalismus tatsächlich eine extreme Steigerungsform oder „das Endstadium“ des Kapitalismus, so wie es die sachlich verfehlten Begriffe wie z.B. Turbokapitalismus oder Raubtierkapitalismus suggerieren, dann würde für diesen dasselbe gelten.
III) Die gute Nachricht ist jedoch: Neoliberalismus ist „nur“ eine menschengemachte (kaputte und asoziale) Ideologie. Deswegen ließe er sich - zumindest theoretisch - relativ einfach überwinden: es bedarf nur der politischen Entscheidung, neoliberale Dogmen als kontraproduktiv zu verwerfen und des Willens, endlich einmal die Wirkprinzipien des Kapitalismus (welche die Allermeisten nicht begriffen haben) im Sinne von Mensch und Umwelt zu nutzen bzw. zu fördern. Praktisch scheitert eine „einfache“ Überwindung des Neoliberalismus an dem Umstand, dass Neoliberale die absolute Meinungsdominanz in Wirtschaft, Politik und Lehrbetrieben an sich gerissen haben und hinter diesen neoliberalen Handlangern, Wasserträgern, Steigbügelhaltern und Lobbyhuren die Macht der Hyperreichen ([Multi-]Milliardäre), also den Profiteuren des Neoliberalismus auf Kosten der Gesellschaft, steht.
„Wer Dinge falsch benennt, trägt zum Unheil in der Welt bei.“ – nicht von Albert Camus, siehe Fußnote [1]
Diese sich nicht unmittelbar erschließende Erkenntnis benennt nichts desto Trotz eine tiefe Wahrheit.
Wer die zunehmend übleren sozialen und wirtschaftlichen Probleme „dem Kapitalismus“ zuschreibt, wie es viele Linke, Kommunisten oder Kapitalismuskritiker landauf landab zelebrieren, verschleiert das wahre [Haupt-]Problem Neoliberalismus und verhindert, dass dieser in den Fokus einer dringend erforderlichen und unbedingt nötigen kritischen gesellschaftspolitischen Debatte gerät. Dies konterkariert die indendierte Verbesserung sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zustände.
Logos
Lesetipp: "Schweiz, Filz und Neoliberalismus" - Artikel in "schweizer monat" - weiter.
Die Wiedergeburt des Liberalismus nach dem Zweiten Weltkrieg fand auf dem Mont Pèlerin bei Vevey statt. Das helvetische Netzwerk freiheitlicher Ökonomen war breit: NZZ, Institut für Auslandforschung, Economiesuisse – und immer wieder die «Schweizer Monatshefte». Eine Spurensuche. Von Andrea Franc.
Lesetipp: "Warum schweigen die Lämmer? Strategien der Erzeugung von Duldung und Lethargie" - weiter.
NSC #68: Rainer Mausfeld 2.0: Der Neoliberalismus ist das geplante Ende der Demokratie.
[1] Die Dinge falsch benennen heißt zum Unglück der Welt beitragen“
„Mal nommer un objet, c'est ajouter au malheur de ce monde.“
Das ursprüngliche Zitat lautet: "Einen Gegenstand falsch zu benennen, bedeutet, zum Unglück dieser Welt beizutragen." Die dem frz. Schriftsteller und Philosophen Albert Camus unterstellte Formulierung ist nicht korrekt. Das Zitat ist apokryph. Die Passage stammt aus »Sur une philosophie de l'expression«, einer Rezension aus einem Buch des frz. Philosophen und Essayisten Brice Parain mit dem Titel »Recherches sur la nature et la fonction du langage«, (1942), éd. Gallimard, in Poésie 44, Nr. 17, S. 22. Im Deutschen erschien es unter dem Titel »Untersuchungen über Natur und Funktion der Sprache«, Stuttgart 1969, Klett-Verlag, ISBN 3-12-906390-0.
Parains Grundgedanke ist der der Ehrlichkeit: Die Sprachkritik kann der Tatsache nicht ausweichen, dass unsere Worte uns verpflichten und wir ihnen treu bleiben müssen. Wenn man einen Gegenstand falsch benennt, trägt man zum Unglück dieser Welt bei. Und das große menschliche Elend, das Parain lange Zeit verfolgte und das ihn zu so bewegenden Worten inspirierte, ist eben die Lüge.
► Bild- und Grafikquellen:
1. KAPITALISMUS vs. NEOLIBERALISMUS. Turbokapitalismus, Raubtierkapitalismus, Killerkapitalismus, Casino-Kapitalismus etc. - alles letztlich verwirrende und nicht zielführende Versuche, das zu beschreiben, was längst einen Namen hat: Neoliberalismus - bzw. Marktradikalismus. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).
2. NEOLIBERALIMUS - räuberischste asoziale Phase unmenschlicher Entwicklung. NEOLIBERALISM - the predatory antisocial phase of unhuman development! Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).
3. Buchcover: "Untote leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist" von Philip Mirowski, Übersetzung: Felix Kurz, Verlag Matthes & Seitz Berlin, 352 Seiten, Hardcover, Erschienen: 2015, ISBN: 978-3-95757-087-1, Preis: 29,90 €. Originaltitel: "Never Let a Serious Crisis Go to Waste: How Neoliberalism Survived the Financial Meltdown". Das gebundene Buch ist vergriffen, wird aber als Broschur im August 2019 neu aufgelegt, ISBN: 978-3-95757-813-6, Preis: 15,00 €.
»Jahrhundertkrise«, »Bankencrash«, »Systemkollaps« – Markige Worte wurden bemüht, um die Wirtschaftskrise zu beschreiben, die in den letzten Jahren zum Bankrott ganzer Länder geführt hat und den Euro an den Rand des Abgrunds trieb. Markige Worte, die nach grundlegenden Änderungen schreien. Doch als wäre nichts geschehen, geht alles weiter wie bisher: Die neoliberale Wirtschaft beginnt erneut heißzulaufen, Staatsinvestitionen sind weiter verpönt und schon sieht man wieder die ersten Spekulationsblasen wachsen.
Angesichts dieser aberwitzigen Beharrungskräfte verfolgt Philip Mirowski das neoliberale Projekt bis zu seinen Anfängen zurück und zeigt, wie es gelingen konnte, der Welt eine ökonomische Theorie nach starren mathematischen Gesetzen überzustülpen, die sich als stählernes Mantra festgesetzt hat. Seine tiefgreifende, bissig und anschaulich geschriebene Untersuchung, die Intellectual History, Kulturkritik und die Aufdeckung des Einflusses mächtiger Interessenverbände umfasst, zeigt zudem, dass sich der Neoliberalismus mittlerweile zu einer Kultur verdichtet hat, die alle Bereiche unseres Lebens bestimmt und auch unser Denken fest im Griff hat. Die Krise der Wirtschaft entpuppt sich so auch als intellektuelle Krise.
4. NEOLIBERALISMUS: In kaum einem anderen Bereich zeigt sich der neoliberale Zeitgeist so stark wie im Sozialbereich, wo es gegenwärtig zu einem starken Rückbau des Wohlfahrtsstaates kommt. Einige der Auswirkungen (alphabetisch): Abbau hart erkämpfter Sozialstandards, Altersarmut, Arbeit auf Abruf, Arbeitsarmut, Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitsmarktflexibilisierung, Armutsrente, atypische Arbeitsverhältnisse, Ausbeutung, Ausgrenzung, Austeritätspolitik, Bürgerbekämpfung, Demokratieabbau, Deregulierung, Destabilisierung, Diskriminierung,
Einkommensarmut, Entdemokratisierung, Entmenschlichung, Entwürdigung, Erwerbsarmut, extreme politisch gewollte Vermögensschieflage, Gesellschaftsspaltung, Gruppenegoismus, ideologischer Dogmatismus, Kinderarmut, Knechtschaft lohnabhängig Beschäftigter, kognitive Indoktrination, Lohndumping, Marktfetischismus, Marktgläubigkeit, Marktfundamentalismus, Marktideologie, Marktkonformismus, Marktmoral, Marktradikalismus, Massenkonditionierung, Massenverelendung, Menschenverachtung,
neoliberale Agenda, neoliberale Diktion, neoliberale Doktrin, neoliberale Dystopie, neoliberaler Ausverkauf, neoliberaler Raubzug, neoliberales Dogma, neoliberales Framing, neoliberales Mantra, neoliberale Standards, neoliberale Zwangsjacke, Neoliberalismus, Niedriglohnjobs, Nutzmenschhaltung, prekäre Jobs, Prekarisierung, Rentenbetrug, Repressionen, Solidaritätsvernichtung, Sozialabbau, Sozialdarwinismus, soziale Kälte, soziale Schieflage und Ungerechtigkeit, Stellenabbau, zunehmende Verarmung, verantwortungsloses Kaputtsparen, Verlust gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe, VerteilungsUNgerechtigkeit, Werteverfall, Wohlstandschauvinismus, working poor etc. Bildidee: Helmut Schnug. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa). Bildidee: Helmut Schnug. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).
5. Finanzfaschismus: "Die Verbindung hochkonzentrierter Unternehmensmacht mit einem autoritären Staat, der die politisch-ökonomische Elite auf Kosten des Volkes bedient, muss korrekterweise als ›Finanz-Faschismus‹ bezeichnet werden." (Robert Scheer, Financial Fascism, The Nation, 24.9.2008 ⇒ Artikel).
Engl. Originalversion: "The marriage of highly concentrated corporate power with an authoritarian state that services the politico-economic elite at the expense of the people is more accurately referred to as “financial fascism. After all, even Hitler never nationalized the Mercedes-Benz company but rather entered into a very profitable partnership with the current car company’s corporate ancestor, which made out quite well until Hitler’s bubble burst."
Grafik nach einer Idee von KN-ADMIN Helmut Schnug; technische Umsetzung: Wilfried Kahrs / QPress.
LOGOS, Jahrgang 64, Dipl.-Ing. Maschinenbau