Volk oder mehrere Leute? Wir Deutsche oder wir Deutschen?

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Volk oder mehrere Leute? Wir Deutsche oder wir Deutschen?
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Volk oder mehrere Leute?

Wir Deutsche oder wir Deutschen?

von Egon W. Kreutzer, Elsendorf

 Frank-Walter-Steinmeier-Transatlantiker-transatlantische-Buendnistreue-Heuchelei-Heuchler-Schwafelpraesident-Kritisches-Netzwerk-Kriegsoffensive-Kriegsrhetorik-Kriegstreiber Seit mehreren Monaten stellen sich mir die Nackenhaare auf, wenn ich von Politikern – vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier angefangen – einen Satz höre, in dem die Wortfolge „wir Deutsche“ vorkommt. Aber es sind nicht nur Politiker. Das weggeätzte „n“ schleicht sich allmählich – das Vorbild wird eben nachgeahmt – in immer weitere Kreise der verbalen Kommunikation ein.

Das ist doch grottenfalsch!“, höre ich meinen kleinen Mann in der Großhirnrinde protestieren. Ja, und dann stellen sich die Nackenhaare auf. Menschen aus meinem Umfeld, die ich darauf angesprochen habe, meinten, es sei beides möglich, ich möge mich doch bitte wegen solcher Kleinigkeiten nicht aufregen.

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Dass es so lange gedauert hat, lag daran, dass ich gewohnheitsmäßig davon ausgegangen bin, dass, wenn jemand vom Kaliber eines Bundesministers, Bundeskanzlers oder gar Bundespräsidenten, „wir“ und „Deutschen“ sagt, dann schon wegen des Amtes und ggfs. der Verpflichtung, seine Kraft dem deutschen Volke zu widmen, stets nur das ganze deutsche Volk, hilfsweise auch die gesamte deutsche Bevölkerung gemeint sein kann, niemals aber nur eine Teilmenge davon, die sich eventuell als Deutsche irgendwo in der Fremde begegnen.

Dass ich ferner davon ausgegangen bin, dass der Versuch, vom ganzen deutschen Volk zu sprechen, zwingend mit „wir Deutschen“ zum Ausdruck gebracht werden müsse, und dass folglich „wir Deutsche“ einfach ein Fehler, eine Sprachschlamperei, ein Sprechfehler, ein Zeichen beginnender Verwirrung in Verbindung mit selektiver Aphasie – oder so etwas – sein müsse.

Nun hat es „klick“ gemacht. Der Groschen ist gefallen. Ich weiß, dass „wir Deutsche“ neuerdings richtig sein soll, um zum Ausdruck zu bringen, dass nicht das ganze deutsche Volk gemeint ist, sondern lediglich diejenigen, die innerhalb einer größeren Menge – von der Abstammung oder der Zuschreibung her – deutsch sind und daher von dritten als „Deutsche“ bezeichnet werden.

Es kann sich zum Beispiel um einige Deutsche handeln, die als Minderheit auf einem hauptsächlich von Briten gebuchten Kreuzfahrtschiff durch die Karibik schippern, die sich dabei weniger über ihre Staatsangehörigkeit, sondern vielmehr über ihre kulinarischen Vorlieben definieren und dem Oberschiffskoch signalisieren, dass Deutsche nicht länger täglich mit Fish & Chips verpflegt werden wollen, sondern mindestens an einem Tag in der Woche auch einmal ein Schnitzel auf dem Teller haben wollen.

Schnitzel-Wienerschnitzel

Doch auch diese kleine Gruppe von Deutschen würde sich stets als „wir Deutschen auf diesem Schiff“ bezeichnen, weil die deutsche Grammatik bei der Pluralbildung folgende Regeln kennt:

Schritt 1 – Bestimmung der Art des Nomens: n-Deklination

Die Zahl der Nomen, die zur Gruppe der n-Deklination gehören, ist relativ klein. Schwache Nomen sind immer maskulin und enden immer auf –e. Zu dieser Gruppe gehören vor allem: der Buchstabe, der Gedanke, der Name und die Nationalitäten (der Afghane, der Baske, der Brite, der Bulgare, der Chinese, der Däne, der Franzose, der Grieche, der Ire, der Jugoslawe, der Kroate, der Kurde, der Mongole, der Pole, der Russe, der Schotte, der Türke, der Ungar)

Schritt 2  Bestimmung der Art der Pluralbildung bei Nomen der n-Deklination.

Alle maskulinen Nomen der n-Deklination bilden ihre Pluralform mit -(e)n.

der Junge – die Jungen das Auge – die Augen die Frage – die Fragen
der Löwe – die Löwen das – die Betten die Idee – die Ideen

 

Wenn der Bundespräsident aber von „wir Deutsche“ spricht, und damit nichtdie Deutschen“ insgesamt meinen kann, weil er sonst „wir Deutschen“ sagen müsste, dann handelt es sich um die per Sprachtrick zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass es ein „deutsches Volk“ nicht gebe, sondern nur noch mehrere – einzelne – „Deutsche“, deren Anteil an der Bevölkerung bereits soweit rückläufig ist, dass es sich nur noch um „zufällig“ deutsche (Adjektiv!) Personen unter vielen anderen Leuten handelt, aber nicht um eine zusammengehörige Gruppe. „Wir“ bezeichnet aber zwingend eine Zusammengehörigkeit. Daraus folgt wiederum zwingend: Wir Deutsche“ gibt es im Deutschen nicht.

Volk-Bevoelkerung-Staatsvolk-Deutsche-Deutschen-Gesellschaft-Abstammung-Nationalitaet-Volksgemeinschaft-Kritisches-Netzwerk-Zusammengehoerigkeitsgefuehl

„Wir Deutsche“ bezeichnet folglich etwas nicht Existentes. Es ist eine Leerstelle, wie das Loch im Schweizer Käse, und selbst dieses Loch ist, obwohl es „Nichts“ ist, noch konkreter und eindeutiger.

Selbst der SPIEGEL, der in einem weit ausgreifenden Text versucht klar zu machen, dass „die Deutsche“ und „die Deutschen“ austauschbar seien, verweist zum Schluss dann doch auf eine Tabelle, in welcher eindeutig ausgewiesen ist, dass im „bestimmten“ Plural nur von „den Deutschen“ gesprochen, geschrieben, geredet und hohl getönt werden kann.

Vermutlich wird ein Wanderer des Weges kommen, von sich behaupten, Germanist und Sprachgelehrter und Mitglied der Dudenredaktion zu sein, woselbst man festgelegt habe, es gäbe zwei Formen, nämlich eine starke („wir Deutsche“) und eine schwache („wir Deutschen“) und dass es jedem selbst überlassen bleibe, welcher Form er den Vorzug gibt.

► Die starke Form!

War da nicht mal was, wie hieß der doch gleich? Matthias Koeppel. So hieß der – und der hat das „Starckdeutsch“ erfunden, und auf starckdeutsch gedichtet, zum Beispiel über die Architekten: (Aus: Matthias Koeppel - Starckdeutsche Gedichte)

Arrckiteikturr

Arr, di Arr; di Arrckitucktn -

jarr, di sünd tautul pfarrucktn.

Pauhn onz euburoll Quaduren,

vo se gurrtücht henngehuren.

Vn demm Hurz büsz ze denn Ullpn

snd di Häusur steitz di sullpn.

Duch di Arrckitucktn tschumpfn:

Onzre Pauhörrn snd di Tumpfn!

Olle zullte mon kastruren,

düßße auff ze pauhin huren;

odur stott ünn rachtn Winkuln

se dönn pauhin, wi se pinkuln.

Architektur

Die Architekten -

Ja, die sind total verrückt.

Bauen uns überall Quadrate,[?]

wo sie gar nicht hingehören.

Von dem Harz bis zu den Alpen

sind die Häuser stets dieselben.

Doch die Architekten schimpfen:

Unsere Bauherrn sind die Dummen!

Alle sollte man kastrieren,

dass auf sie zu bauen hören;

oder statt in rechten Winkeln

sie tun bauen, wie sie pinkeln.

 

Die beiden letzten Zeilen verweisen klar auf Friedensreich Hundertwasser und seine 'Starckbauweise'.

Ich hoffe nur, dass „Wir Deutsche“, nach der fast rückstandslosen Tilgung des Genitivs (was schon ungefähr 25% Sprach- und Verständnisverlust mit sich gebracht hat), nicht etwa als der nächste folgenschwere Schritt hin zu einem immer stärkeren Deutsch gedeutet werden muss, das sich mit Riesenschritten auf die frühzeitlichen Grunzlaute der Neandertaler zubewegt und sich jeder entzifferbaren schriftlichen Darstellung noch mehr entzieht als jenes „Schreibe was du hörst!" mit dem mindestens einer Generation von Grundschülern in bestimmten Bundesländern die Legasthenie förmlich eingebleut wurde.

Egon W. Kreutzer, Elsendorf

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Lesetipps zum Thema Sprache und Rechtschreibung von Helmut Schnug:

»Mieterversammlung – laut Duden ohne Frauen. Aus 'jemand' wird in Wörterbuch-Definitionen 'männliche Person'.« von Daniel Goldstein für INFOsperber, ins KN übertragen am 3. Februar 2021 >> weiter.

»Volk oder mehrere Leute? Wir Deutsche oder wir Deutschen?« von Egon W. Kreutzer, Elsendorf, ins KN übertragen am 23. Oktober 2020 >> weiter.

»Sprachlupe: Zu viel Englisch? Ist doch nur Code-Switching!« von Daniel Goldstein für INFOsperber, ins KN übertragen am 18. Oktober 2020 >> weiter.

»Mehrsprachige Lebenswelt der Menschen in Österreich. Sprachstatistiken: Kategorisierungen mit weitreichenden Folgen.« von Sabine Lehner / A&W blog, ins KN übertragen am 13. Mai 2020 >> weiter.

»Good bye, expert. Welcome, stupid! Eingeständnis einer kollektiven Verblödungssehnsucht.« von Egon W. Kreutzer,  ins KN übertragen am 22. April 2020 >> weiter.

»Der große Bluff. Wie der Staat sich die Herrschaft über die Sprache sicherte.« von Roman Müller / RUBIKON, ins KN übetragen am 12. Mai 2018 >> weiter.

»REGELUNGSGEWALT. Hintergründe der Rechtschreibreform« von Theodor Ickler, 2004, 291 Seiten >> weiter. (PDF)

»Sprachwissenschaftliches Gutachten zur Petition zur Beendigung des Rechtschreibreformprojekts« von Theodor Ickler, 2004, 6 Seiten >> weiter. (PDF)

»Die sogenannte Rechtschreibreform – ein Schildbürgerstreich« von Theodor Ickler, 1997, 98 Seiten >> weiter. (PDF)

»Ablenkungsmanöver. Eine Replik auf Gerhard Augst/Burkhard Schaeder: Rechtschreibreform - Antwort an die Kritiker« von Theodor Ickler, 1997 >> weiter. (PDF)


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Quelle: Der Artikel wurde am 22. Oktober 2020 erstveröffentlicht auf Egon W. Kreutzers Webseite egon-w-kreutzer.de >> Artikel. Autor Egon Wolfgang Kreutzer, Jahrgang 1949, ist ein selbstdenkender, kritischer und zuweil bissiger Unruheständler aus dem niederbayrischen Elsendorf. Kreutzer greift bewusst regierungs- und systemkonformes Denken und Verhalten an und durchbricht auch mal Tabus. Dabei bedient er sich der Stilmittel der Ironie (harmlos), des beißenden Sarkasmuses (härter) und des verhöhnenden Spotts, welche auch mal in Polemik münden.

Kreutzer wird gelegentlich als zynisch empfunden, allerdings sollte zwischen der 'Äußerung' und der 'Absicht' unterschieden werden. Tatsächlich prangert er - ohne sich hinter einem Pseudo zu verstecken - empfundene Missstände offen und in seiner ureigenen Weise an, was bei Lesern zu unterschiedlichen Reaktionen führt - von Übereinstimmung, Lob, Begeisterung bis hin zu Irritation, Aufregung und Ablehnung.

ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken und Illustrationen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.

Bild- und Grafikquellen:

1. Frank-Walter Steinmeier (* 5. Januar 1956 in Detmold) ist der zwölfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Bildbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).

2. Wiener Schnitzel mit Zitrone on top. Foto: phutix. Quelle: Flickr. Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0).

3. Fotocollage: Mit dem Wort Volk werden allgemein (große) Gruppen von Menschen bezeichnet, die durch kulturelle Gemeinsamkeiten, reale oder fiktive gemeinsame Abstammung oder einen politisch und rechtlich organisierten Personenverband zu einer unterscheidbaren Einheit zusammengefasst sind. Eine verbindliche Definition gibt es nicht. Fotocollage: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Fotocollage.

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Matthias Koeppel: Leibins-Zünn- Lebens-Sinn

 

Das Foto eines Hauses, das Kreutzer in seinem Originalartikel auf seinem Blog zeigt, ist nicht von Friedensreich Hundertwasser konzipiert und gebaut worden. Es zeigt das KunstHausAbensberg der Brauerei Kuchlbauer in D-93326 Abensberg, welches am im Juni 2014 eröffnet wurde. Auf 280 Quadratmetern, die sich über zwölf Ebenen erstrecken, wird in zahlreichen Exponaten das Leben und Werk des Künstlers Friedensreich Hundertwasser dargestellt. In der Architektur des KunstHausesAbensberg, geplant nach Entwürfen des Wiener Architekten Peter Pelikan (* 29. Oktober 1941 in St. Pölten, Niederösterreich), finden sich auch die für Hundertwasser typischen Formen und Farben wieder. Am markantesten ist dabei der schiefe Turm des Gebäudes.

Hier zwei Fotos: >> KunstHausAbensberg >> KunstHaus (andere Ansicht).

Seit 1980 widmete sich Pelikan der architektonischen Realisierung und Mitarbeit an Architekturprojekten von Friedensreich Hundertwasser, aber auch anderen unorthodoxen Bauvorhaben. Eines der bedeutendsten Projekte, an dessen Planung Pelikan seit 1981 beteiligt war, ist das Hundertwasserhaus in Wien.

__________________________

Hier noch ein weiteres Beispiel starckdeutscher Dichtung, aus: Matthias Koeppel - Starckdeutsche Gedichte:

Leibins-Zünn

Kmuh, di Kmuh, di Kackakmuh

schmartzt ont fraßzet ümbarzu.

Hart sü pfull müdd Kgrass dm Beuchn

dutt sü auchch nucb wüdarkeuchn

Ont mütt praunin Augagulen

glautzt sü glöckzlüch zommnannpulen.

Arch, - diss Dür - diss harrtis gaut:

wann'z keneugnd frasßzn daut,

pfündet äss dm Zünn diss Leibins.

Onsuroinz zuucht ühm vargaibinz.

Lebens-Sinn

Kuh, die Kuh, die Muhkuh

schmatzt und frisst immerzu.

Hat sie voll mit Gras den Bauch

Tut sie auch noch wiederkäuen

Und mit braunen Augen

glotzt sie glücklich zu 'nem Bullen. [?]

Ach - dies Tier - das hat es gut:

Wenn' s genügend fressen tut,

findet es den Sinn des Lebens.

Unsereins sucht ihn vergebens.

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