Der Politologe und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad warnt vor einer Beschönigung der Ergebnisse beim türkischen Referendum. Zugleich kritisiert er eine Politik, die Muslime als Kollektiv betrachtet. Ein Kommentar.
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Die Kinder der "Ja"-Sager
von Hamed Abdel-Samad
Kluge Köpfe versuchen seit Tagen die Zahlen der "Ja-Sager" beim türkischen Referendum zu relativieren, um die hier lebenden Türken in Schutz zu nehmen. Sie erinnern uns daran, dass die Hälfte der Türken nicht wahlberechtigt ist, und dass nur die Hälfte der Wahlberechtigten tatsächlich wählen gegangen sind. So gesehen hätten nur 14 bis 17 Prozent der hier lebenden Türken für Recep Tayyip Erdoğan gestimmt. Jetzt sollen wir uns freuen, dass fast 85 Prozent der hier lebenden Türken eigentlich Erdoğan-Gegner sind?
Solche komischen manipulativen Rechnungen versuchen das Ausmaß des Problems zu relativieren. Was sie aber außer Acht lassen ist, dass die Zahl von 63 Prozent tatsächlich repräsentativ ist, wenn man frühere Studien heranzieht, die zeigen, wie hier lebende Muslime über Identität, Islam, Scharia und Grundgesetz denken. Sie lassen außer Acht, dass viele Ja-Sager auch Kinder haben, die noch nicht wählen dürfen, aber das gleiche Gedankengut automatisch von den Eltern übernehmen.
Will man das Ausmaß der Katastrophe tatsächlich messen, sollte man in den Schulen eine Umfrage machen, wie beliebt Erdoğan, Pierre Vogel oder sogar der IS sind. Das ist die Zukunft dieses Landes, und das macht mir Sorgen.
Selbstverständlich gibt es viele Muslime und auch viele Türken, die mit Erdoğan und sogar mit dem Islam nichts zu tun haben. Und selbstverständlich dürfen wir diese Individuen für das Wahlverhalten oder die Taten Anderer nicht bestrafen. Aber wir müssen endlich erkennen, dass die muslimische Masse auch in Deutschland islamistisch orientiert ist. Sie will vom Wohlstand in Deutschland profitieren aber will nicht Teil dieses Landes werden. Sie träumt vom Kalifat und von der Übermacht der muslimischen Umma. Und wenn ihr der IS zu brutal ist, dann träumt sie von einem Kalifen, der eine Krawatte trägt. Das ist die bittere Realität. Die schweigende Minderheit oder von mir aus Mehrheit, ist da irrelevant.
Deshalb sollten wir aufhören, Muslime wie ein Kollektiv zu behandeln, denn dieses Kollektiv erzeugt immer diese Erdoğan-Wähler. Die Islam-Verbände, vor allem Ditib, die seit Jahren beste Partner des Staates in Sachen Islam sind, sind Urheber dieser Katastrophe. Die Eltern, die ihre Kinder entweder islamistisch oder chauvinistisch-nationalistisch erziehen, sind daran schuld.
Doch die weiche deutsche liberale Seele sucht schon wieder die Schuld bei sich. Was haben wir bloß falsch gemacht, so dass unsere Türken uns nicht so mögen, fragt man sich.
Ich sage euch was ihr falsch gemacht habt:
- Ihr habt die Islamverbände hofiert und somit dem politischen Islam verholfen, seine Infrastruktur in Deutschland aufzubauen
- Ihr habt gedacht die Integration läuft über die Religion und habt den Islam für einen Teil Deutschland erklärt, ohne die damit verbundenen Risiken zu kalkulieren
- Ihr habt die fatalen Entwicklungen an deutschen Schulen ignoriert und somit zugelassen, dass wir nun eine tickende Zeitbombe haben
- Ihr habt immer jede Kritik, die sich an den Islam, an die Migranten oder Migrationspolitik der Regierung als Islamophobie, Rassismus oder Populismus abgestempelt, ohne euch ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Dabei habt ihr ein Auge zugedrückt, wenn im Namen des Islam Hetze betrieben wurde.
- Ihr habt immer euch Gedanken gemacht was ihr für Muslime tun könnt, aber niemals was ihr von ihnen erwarten könnt. Ihr habt sie immer wie willenlose Objekte behandelt, die bemuttert und bevormundet werden sollten.
- Ihr habt die Verbindung von Islam und Terror verneint und die Verbindung von Ditib und Erdoğan ignoriert.
- Ihr habt mehr in Islamisierung investiert als in Bildung und Aufklärung.
Und das muss jetzt sofort aufhören. Hört auf zu relativieren und fangt an, das Kind beim Namen zu nennen, bevor uns die wirkliche Katastrophe ereilt! Ich bin auch dagegen, alle Türken und alle Muslime pauschal zu verurteilen, aber es ist auch ein Fehler, alle Muslime pauschal zu verniedlichen! Wir können nicht immer auf Verschließungstendenzen nur mit mehr Öffnung und mehr Toleranz reagieren. Wir können nicht immer einen "kühlen Kopf" bewahren!
Wir müssen endlich handeln!
Hamed Abdel-Samad
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Hamed Abdel-Samad: Der Autor ist einer der profiliertesten Islamexperten im deutschsprachigen Raum. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete Hamed Abdel-Samad als Wissenschaftler in Erfurt und Braunschweig sowie in Japan, wo er sich mit fernöstlicher Spiritualität befasste. Bis Ende 2009 lehrte und forschte er am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München. Danach entschloss er sich, vollberuflich Autor zu werden.
Abdel-Samad wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt durch sein Werk "Mein Abschied vom Himmel" (2009). Nach der Veröffentlichung des Buches, in dem der Autor sich anhand seiner eigenen Geschichte kritisch mit dem Islam auseinandersetzt, wurde in Ägypten eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen, sodass er danach unter Polizeischutz leben musste.
Das Werk Der islamische Faschismus: Eine Analyse entstand in der Folge eines 2013 gehaltenen Vortrags. Abdel-Samad sieht darin neben der übereinstimmenden Entstehungszeit in den 1920er-Jahren inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Islamismus und Faschismus. Das Werk wurde innerhalb der Massenmedien breit rezipiert und wurde zum Bestseller.
In seinem im Herbst 2015 erschienenen Werk Mohamed – Eine Abrechnung vertritt Abdel-Samed die Auffassung, Mohammed sei ein gekränkter Außenseiter, krankhafter Tyrann, Narzisst, Paranoiker und Massenmörder gewesen. Das, woran die islamische Welt kranke, könne nur geheilt werden, wenn Muslime sich von den multiplen Krankheiten des Propheten lösen würden: Selbstüberschätzung, Paranoia, Kritikunfähigkeit sowie die Neigung zum Beleidigtsein. Auch das verzerrte Bild Gottes, das zum Vorbild für Despoten geworden sei, müsse infrage gestellt werden
Lesetipps:
"Präsidialsystem in der Türkei: Ein Blick auf die geplanten Verfassungsänderungen" - weiter.
"Erdoğans Ermächtigungsgesetz: Der Weg zum Kalifat" - weiter.
"Hamed Abdel-Samad: "Erdoğan will aus dem Faschismus eine Staatsdoktrin machen" - weiter.
Abd al-Hakeem Carney: "Was ist politischer Islam. Plädoyer für eine Neuklassifizierung" - weiter.
"Erdoğan droht den Êzîden im Nordirak mit neuer Militärintervention" - weiter.
► Quelle: Erstveröffentlichung am 19. April 2017: "Humanistischer Pressedienst" > > zum Artikel.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Banner des Internetportals Humanistische Pressedienst (hpd). Die Rechte verbleiben bei hpd!
2. Todesstrafe (ölüm cezası): Ich, Recep Tayyip Erdoğan, bringe dieses Land endlich auf Linie. Karikatur von Kostas Koufogiorgos. Koufogiorgos wurde 1972 in Arta, Griechenland geboren, studierte nach dem Abitur 1989 Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Athen und begann zeitgleich als Karikaturist für verschiedene griechische Zeitungen und Magazine zu arbeiten. Seit dem Umzug 2008 nach Deutschland veröffentlicht er seine Karikaturen in verschiedenen Tages-, Wochen- und Online-Zeitungen. Des Weiteren findet man seine Arbeiten in Magazinen (z. B. „Nebelspalter“, „Der Spiegel“), Fach- und Gewerkschaftszeitungen (z. B. „Allgemeine Hotel und Gastronomiezeitung“, „vida“), Onlineportalen (z.B. „web.de“, „gmx.de“), und Bildungsmedien.
2008 wurde sein Buch „Minima Politika“ (mit Wolfgang Bittner) veröffentlicht, 2011 folgte „Frau Schächtele will oben bleiben“ (mit Monika Spang). 2012 erhielt er eine Auszeichnung beim Deutschen Preis für die politische Karikatur „Mit spitzer Feder“. In Griechenland ist er der Karikaturist der Athener Tageszeitung „Eleftherotypia“. Kostas Koufogiorgos lebt mit Ehefrau und Kater in Stuttgart- Bad Cannstatt.
Webseite > www.koufogiorgos.de > Karikatur > Facebook: www.facebook.com/koufogiorgos
3. Hamed Abdel-Samad auf der Frankfurter Buchmesse 2015. Foto: © JCS. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
4. Buchcover: "Mohamed - Eine Abrechnung" von Hamed Abdel-Samad. Hardcover, Droemer HC 10.2015, 240 S. ISBN: 978-3-426-27640-2. Auch als Taschenbuch ISBN: 978-3-426-30079-4 und E-Book ISBN: 978-3-426-43353-9 erhältlich.
Die Biographie Mohameds wurde 200 Jahre nach dessen Tod verschriftlicht – mit politischer Intention: Muslimische Fürsten suchten ihre Position zu sichern und dem christlichen Jesus eine eigene, die Herrschaft legitimierende Erlöserfigur entgegenzusetzen. Dennoch hat sich das ambivalente Bild eines sich radikal verändernden und unter psychischen Problemen leidenden Menschen erhalten. Hier der milde, dort der gewalttätige Mohamed. Hamed Abdel-Samad zeichnet in seiner biographischen Skizze nach, welche bis heute verhängnisvollen Folgen aus diesen Traditionen erwachsen – und weshalb radikale Islamisten mit demselben Recht den »Propheten« zitieren wie laizistische und integrierte Muslime.
5. Buchcover: "Die Grenzen der Toleranz. Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen." von MICHAEL SCHMIDT-SALOMON. >> zur Buchvorstellung.
DITIB kann kein Partner gegen Islamismus sein
„Die Wiederaufnahme der Projektförderung von DITIB aus Bundesmitteln ist das falsche Signal. Wer für das autoritäre Erdogan-Regime wirbt und dessen Kritiker in Deutschland bespitzelt und einschüchtert, darf kein Partner der Bundesregierung sein“, erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., Ulla Jelpke zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Stopp der staatlichen Förderung des Islamverbandes DITIB“ (Drs. 18/11855).
Der direkt der türkischen Religionsbehörde DIYANET angeschlossene Islamverband soll in diesem Jahr rund 982.000 Euro an Fördergeldern des Bundes für verschiedene Projekte erhalten, unter anderem im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben“, dass sich gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit richtet.
Ulla Jelpke weiter:
Anfrage und Antwort sind hier einzusehen.
Ulla Jelpke, MdB