Das härteste Polizeigesetz seit 1945 soll heute in Bayern beschlossen werden

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Das härteste Polizeigesetz seit 1945 soll heute in Bayern beschlossen werden
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Das härteste Polizeigesetz seit 1945

. . . . soll heute in Bayern beschlossen werden

von Leo Thüer

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Gegen Bayerns neues Polizeigesetz gab es breiten Protest, dennoch soll es heute im Landtag beschlossen werden. In einem Vortrag auf der re:publica  2018, (eine Konferenz rund um das Web 2.0, speziell Weblogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft), blickt Marie Bröckling von netzpolitik.org auf die Erfolgsgeschichte des Gesetzesentwurfs und auf die Berichterstattung. Außerdem: die lustigsten Zitate des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann zum Thema debunked.

Am vergangenen Freitag [11.05.] haben in München mehr als 40.000 Menschen gegen die Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) demonstriert. Nach der Diskussion ab 14 Uhr im Landtag wird die CSU-Mehrheit den Gesetzesentwurf heute in letzter Lesung gegen 21 Uhr aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem durchwinken. Marie Bröckling hat für netzpolitik.org ausgiebig dazu berichtet. Ihr Vortrag erklärt, was bei dem umstrittenen Gesetzesentwurf juristisch und politisch auf dem Spiel steht.

Bröcklings Recherche begann im vergangenen März mit einer Forderung aus dem Koalitionsvertrag: DNA-Analysen in Strafverfahren sollen auf äußerliche Merkmale (Haar, Augen, Hautfarbe) ausgeweitet werden. Zu diesem Zeitpunkt war im bayerischen Landtag bereits ein entsprechender Gesetzesentwurf (pdf) auf den Weg gebracht. Die PAG-Novellierung schoss jedoch weit über die Forderungen des Koalitionsvertrags hinaus, da sie Überwachungsmaßnahmen ausweitet und geheimdienstliche Kompetenzen für die Polizei vorsieht.

Die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs wurde bereits im Rahmen einer Sachverständigenanhörung im bayerischen Landtag angezweifelt. Das PAG stehe sinnbildlich für eine Versicherheitlichung des öffentlichen Diskurses und müsse ebenso politisch angefochten werden, so Bröckings Überzeugung. Der breite zivilgesellschaftliche Protest ließ nicht lange auf sich warten.

► Straftaten-Wahrsagerei und Racial Profiling

Insbesondere die Vorverlagerung polizeilicher Eingriffsbefugnisse sorgte für Empörung unter Verfassungsrechtlern. Der bayerische Gesetzesentwurf weite die aus dem BKAG-Urteil abgeleitete Begründung „drohender Gefahr“ unverhältnismäßig auf die polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung aus, weit jenseits der Zwecke der Terrorismusbekämpfung.

Die bayerische PAG-Novelle sehe umfassende Befugnisse schon bei unspezifischem Verdacht vor. Hinzu komme, dass in erster Linie nicht nur auf besonders schützenswerte Rechtsgüter, sondern überwiegend auf Tatbestände wie erhebliche Sachbeschädigung gezielt werde. Bröckling stellt klar:

"Die Polizei wird künftig eingreifen dürfen, lange bevor eine Straftat begangen wurde. Und eingreifen heißt in diesem Fall: Die Polizei darf der Person, von der sie vermutet, dass sie eine Straftat begehen wird, Aufenthaltsgebote und -verbote aussprechen, […] elektronische Fußfesseln anlegen, sie darf die Konten dieser Person sperren".

Die Polizei habe zwar bereits die Befugnis, bei hinreichendem Verdacht etwa den Rucksack eines vermeintlichen Sprayers zu kontrollieren. Wenn allerdings plötzlich Cloud-Daten nur aufgrund von Vermutungen abgefragt und sogar verändert werden dürfen, stünden dabei fast immer sensible Daten auf dem Spiel. Die Polizei werde schlicht zur Datensammelbehörde ausgebaut.

diktatur_der_sicherheit_ueberwachung_ueberwachungsstaat_vorratsdatenspeicherung_polizei_kritisches_netzwerk_entdemokratisierung_terroranschlag_terrorismus_amoklauf_sicherheitspolitik.jpg Der massive politische Protest richtete sich auch gegen die Forderung aus dem Gesetzesentwurf, DNA-Spuren im Strafverfahren auf sogenannte Merkmale „biogeographischer Herkunft“ zu untersuchen. Dies bringe ein hohes Diskriminierungspotenzial für Minderheiten mit sich und lege den Vorwurf des Racial Profiling nahe. Der Einsatz der Erweiterten DNA-Analyse wird auch aus der Wissenschaft immer wieder kritisiert, die umstrittene Technik sei noch nicht ausreichend entwickelt.

Leo Thüer
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Leo Thüer hat Politikwissenschaft und Öffentliches Recht in Berlin studiert. Nach Zwischenstopps bei La Quadrature du Net, Digitale Gesellschaft e.V. und Ligue des droits de l'homme unterstützt er seit Mai die Redaktion von netzpolitik.org als Praktikant. Interesse an Netzneutralität, Plattformregulierung, Widerstand im Überwachungskapitalismus und mehr. Erreichbar unter leo.thuer[ett]netzpolitik.org (PGP). Ab und zu auf Twitter.

netzpolitik.org ist eine Plattform für digitale Freiheitsrechte. Die Betreiber und deren Autoren thematisieren die wichtigen Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik und zeigen Wege auf, wie man sich auch selbst mithilfe des Netzes für digitale Freiheiten und Offenheit engagieren kann. Mit netzpolitik.org beschreiben sie, wie die Politik das Internet durch Regulation verändert. Und wie das Netz Politik, Öffentlichkeiten und alles andere verändert. Sie verstehen sich als journalistisches Angebot, sind jedoch nicht neutral. Ihr Haltung ist: Engagement für digitale Freiheitsrechte und ihre politische Umsetzung.

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► re:publica 2018 – Marie Bröckling: Ab Sommer in Bayern: Das härteste Polizeigesetz seit 1945 (Dauer  26:25 Min.)



► Quelle: Erstveröffentlicht am 15. Mai 2018 auf NETZPOLITIK.org >> Artikel. Lizenz: Die von NETZPOLITIK verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons (Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0). Die Bilder im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..

► Bild- und Grafikquellen:

1.  Joachim Herrmann (* 21. September 1956 in München) ist ein deutscher Politiker der CSU. Er ist seit dem 16. Oktober 2007 Bayerischer Staatsminister des Innern, seit 2018 hat er zusätzlich die Zuständigkeit für den Bereich Integration. Foto: Jürgen Pohl, Germaringen. > https://juergenpohl.wordpress.com/. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)

2. DIKTATUR DER SICHERHEIT. Foto: Sven Steinmeyer. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).