Ländervergleich: ÖsterreicherInnen arbeiten schon jetzt länger als andere

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Ländervergleich: ÖsterreicherInnen arbeiten schon jetzt länger als andere
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Ländervergleich:

ÖsterreicherInnen arbeiten schon jetzt länger als andere

von David Mum / A&W blog

Die Regierung dehnt gerade die Höchstarbeitszeiten und zulässigen Überstunden massiv aus. Die Frage ist: Wozu soll das notwendig sein? Der Ländervergleich zeigt: ArbeitnehmerInnen in Österreich arbeiten jetzt schon länger als andere.

oesterreich_austria_oesterreicher_oesterreicherinnen_wien_vienna_wirtschaftskammer_industriellenvereinigung_kritisches_netzwerk_alexander_van_der_bellen_sebastian_kurz.pngKünftig sollen je Woche 20 Überstunden möglich sein und damit Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden ermöglicht werden. Derart lange Arbeitszeiten waren bislang im Einzelfall zur Verhinderung unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteile möglich. Sie mussten jeweils mit der Vertretung der ArbeitnehmerInnen, dem Betriebsrat, in Betriebsvereinbarungen vereinbart werden. Die Neuregelung bedarf keiner Betriebsvereinbarung mehr. ArbeitgeberInnen können künftig einfach den 12-Stunden-Tag anordnen, ohne Zustimmung des Betriebsrates und de facto auch ohne Zustimmung der ArbeitnehmerInnen. Es wird bei Beschluss des Initiativantrags der Regierung möglich sein, legal bis zu 13 Wochen am Stück 60 Stunden lang zu arbeiten.

► Die Frage ist: Wozu soll das notwendig sein?

Die Industriellenvereinigung (Abk.: IV) zeichnet ein völlig falsches Bild, wonach die Arbeitszeiten in Österreich extrem restriktiv geregelt sind. In ihrem Forderungsprogramm „Österreich kann Mehr!“ vom letzten Jahr behauptet die IV, dass Österreich „im europäischen Vergleich ein nicht mehr zeitgemäßes und zu restriktives Arbeitszeitrecht“ habe. Und weiter: „Es braucht mehr Freiheit für gemeinsame, sachorientierte Lösungen auf Betriebsebene. Schweden, Norwegen oder Dänemark zeigen es vor, z. B. mit mehr Spielraum bei der Tagesarbeitszeit.“ Die IV verweist auch darauf, dass man in Norwegen und Schweden bis zu 13 Stunden täglich arbeiten darf. Anscheinend sind auch die zwölf Stunden nicht genug. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) hat dieses Wording übrigens übernommen.

► Aber was ist zu diesem Vergleich zu sagen?

In Österreich besteht wirklich nicht das Problem, dass die Menschen zu wenige Überstunden machen oder gar zu kurz arbeiten würden. Gerade der Vergleich mit den Ländern, die die IV anführt, ist äußerst aufschlussreich. Dort sind sowohl die vereinbarten als auch die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten weitaus kürzer als in Österreich.

Die vereinbarten Arbeitszeiten liegen in Österreich pro Jahr – unter Berücksichtigung von Feiertagen und Urlauben – sogar 43 bis 103 Stunden über denen von Finnland, Dänemark und Schweden. Bei uns müssen Vollzeitbeschäftigte also im Ausmaß von ein- bis zweieinhalb Wochenarbeitszeiten länger arbeiten, um ihre vereinbarte Arbeitszeit zu erfüllen. In den skandinavischen Ländern sind kürzere Arbeitszeiten in den Kollektivverträgen vereinbart. Man sieht: Arbeitszeitverkürzung funktioniert und ist gerade in den wettbewerbsfähigen Staaten Nordeuropas Praxis.

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Aber auch ein Blick auf die üblicherweise geleisteten Arbeitszeiten zeigt, dass dort kürzer gearbeitet wird. In Österreich ist die effektive Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten weitaus höher als die vereinbarte Normalarbeitszeit. Grund sind eine Vielzahl von Überstunden und Mehrarbeit. Wir haben die drittlängsten Arbeitszeiten in der EU und liegen mit 41,4 Stunden um 3,6 Stunden pro Woche weit über Dänemark!

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  Vereinbarte Jahresarbeitszeit, Stand: 2016 (KV) Differenz zu Österreich Effektive Arbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten 2016 Vereinbarte Wochenarbeitszeit
Österreich 1.738,20 - 41,4 38,8
Finnland 1.695,00 43,2 39,1 37,5
Schweden 1.664,30 73,9 39,9 37,2
Dänemark 1.635,40 102,8 37,8 37,0
Quelle: Vereinbarte Jahreszeit: Tarifarbeitszeit von Arbeitnehmern 2016, WKO Übersicht auf Basis von „Working time developments – 2016“ der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions. Geleistete Arbeitszeiten: Eurostat

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Es ist vollkommen absurd: Die Industriellenvereinigung argumentiert längere zulässige Arbeitszeiten genau mit dem Hinweis auf jene Länder, die real zu der Ländergruppe mit den kürzesten Arbeitszeiten in Europa zählen.

Ein weiteres Plus der skandinavischen Länder besteht darin, dass diese an der Spitze der Länder stehen, in denen ArbeitnehmerInnen die Arbeitszeit selbst bestimmen können und viele Wahlmöglichkeiten haben. Im Regierungsantrag zu den Arbeitszeitänderungen sind hingegen keinerlei Wahl- und Gestaltungsrechte für ArbeitnehmerInnen vorgesehen.

► Was wäre wirklich notwendig?

12-stunden-tag-zwoelfstundentag-60-stunden-woche-arbeitszeitflexibilisierung-arbeitszeitregelung-arbeitszeitverlaengerung-ausbeutung-lohnraub-kritisches-netzwerk-neoliberalismus.png Wenn man also die Arbeitszeitregelungen jener Länder als Vorbild heranzieht, auf die die IV verweist, dann müsste man in Österreich die Arbeitszeiten verkürzen und den ArbeitnehmerInnen mehr Rechte geben, die Arbeitszeiten selbst zu gestalten.

In Österreich ist das Arbeitsvolumen sehr ungleich verteilt. Einerseits haben wir sehr lange Arbeitszeiten bei den Vollzeitbeschäftigten, andererseits die zweithöchste Teilzeitquote.

80 % der Teilzeitarbeitsplätze fallen auf Frauen und 65 % der Vollzeitarbeitsplätze auf Männer. Wenn jetzt der 12-Stunden-Tag generell zulässig wird, wird das die ungleiche Verteilung der bezahlten und unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen noch mehr verschärfen. Denn nur wer von Betreuungspflichten freigespielt ist, kann zwölf Stunden arbeiten. Diese Veränderung ist daher rückschrittlich und es ist in hohem Ausmaß zynisch und weltfremd, wenn die Industriellenvereinigung dies als Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt.

David Mum, Ökonom, arbeitet in Wien als Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp.

pin_green.gif  KONTRAST.at: "Diese 8 Verschlechterungen bringt der 12-Stunden-Tag für die Beschäftigten" >> Artikel (15.06.2018).

pin_green.gif  derStandard.at: "Zwölfstundentag: Chaos um Zuschläge für Überstunden bei Gleitzeit" >> Artikel (18.06.2018).

pin_green.gifA&W blog: "12-Stunden-Tag: Mit Vollgas hundert Jahre zurück" von Susanne Haslinger >> Artikel (19.06.2018).

Wirtschaftskammer Österreich macht sich mit diesen Video komplett lächerlich: "Willkommen in der neuen Welt der Arbeit" (Dauer 3:06 Min.).



► Quelle: A&W blog / Redaktion »Arbeit&Wirtschaft«: 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 >> www.arbeit-wirtschaft.at >> A&W blog >> Artikel vom 19. Juni 2018. Der Artikel ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0. Die Lizenz bezieht sich immer nur auf den Textbeitrag, die Wirksamkeit auf alle Bilder ist davon ausgeschlossen. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen. Der durch die Bearbeitung des Beitrages entstandene neue Beitrag muss ebenfalls unter SA lizensiert werden.

Die Fotos wurde von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..

► Bild- und Grafikquellen:

1. Flagge und Wappen Österreichs als Button. Grafik: OpenClipart-Vectors. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.

2. Grafik: Arbeitszeitdifferenz zu Österreich pro Jahr 2016 >> Quellen: Details siehe Textinlet.

3. Grafik: Üblicherweise geleistete Stunden pro Woche - Vollbeschäftigte, inklusive Überstunden, 2016 >> Quellen: Details siehe Textinlet.

4. 12-Stunden-Tag: Mit Vollgas hundert Jahre zurück. Grafik: Clker-Free-Vector-Images. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.