Minijobs fallen in der Krise als erstes weg
Es ist höchste Zeit, sie abzuschaffen
von Laurenz Nurk, Dortmund
Über sieben Millionen Menschen in Deutschland waren zu Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise geringfügig beschäftigt, sie waren als Minijobber tätig. Bereits im März 2020 wurde 224.000 von ihnen von heute auf morgen gekündigt. Obwohl eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bei Minijobs gilt, wurde sie in den meisten Fällen geflissentlich übergangen.
Minijobber waren die ersten Beschäftigten, die in der neuen Krise entlassen wurden, Kurzarbeitergeld gibt es für sie auch nicht. Selbst die Minijob-Zentrale spricht von einem „erheblichen Rückgang” und erwartet in den nächsten Wochen eine zweite Kündigungswelle. Die „Flexibilität durch Minijobs“ nutzen die Unternehmen nun in der Krise, um Personal schnell abbauen zu können.
Im Jahr 2003 wurden die Minijobs von der rot-grünen Regierung grundlegend reformiert, um vor allen Dingen die Schwarzarbeit in privaten Haushalten als Reinigungs- oder Nachhilfekräfte einzudämmen und sie sollten als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt als Vollzeitkraft dienen.
Die Minijobber werden heute aber weniger im Privathaushalt eingesetzt, sondern vor allem in der Gastronomie, in Werkstätten und im Gesundheitswesen. Das Ziel der Verringerung der Schwarzarbeit wurde auch nicht erreicht, trotz Ausweitung der Minijobs. Anfang 2020 waren über sieben Millionen Menschen in Deutschland als Minijobber tätig und das Märchen vom Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt wird immer wieder erzählt, deshalb wird es aber nicht wahr.
Etliche Unternehmen haben das Konstrukt Minijob genutzt, um ihre Vollzeitstellen durch mehrere Minijobber zu ersetzen, um flexibler zu sein und viele Minijobs ersetzen heute die früheren vollzeitbeschäftigten Menschen. Für die fest angestellte Kassiererin arbeiten dann drei Minijobber oder in der Gastronomie ersetzen drei studierende junge Leute den langjährig vollzeitbeschäftigten Kellner.
Minijobber haben für die Unternehmen auch noch den Vorteil, dass sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne fordern, sie wagen es nicht zu streiken oder gar einen Betriebsrat zu gründen.
Knapp 4,4 Millionen Beschäftigte sind auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen, weil sie keine andere Arbeit als ihn haben, darunter sind viele studierende, alleinerziehende und alte Menschen mit geringen Renten.
Weil die Minijobber keine Abgaben zahlen, haben sie auch kein Recht auf Leistungen wie Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Wenn sie wie jetzt ihre Beschäftigung verlieren, rutschen sofort einige hunderttausend Menschen in HARTZ-4 bzw. Sozialgesetzbuch II / Grundsicherung ab.
Mehr als 80 Prozent der geringfügig entlohnten Minijobber lassen sich von der Rentenversicherungspflicht befreien und verzichten damit auf deren Schutz. Im Alter sind diese Menschen dann auf die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII angewiesen.
In Unternehmen mit Minijobs werden Steuerzahlungen in Milliardenhöhe umgangen. Das ist ungerecht, weil jeder Beschäftigte mit unterem und mittlerem Einkommen, der z.B. Überstunden macht, diese voll versteuern muss, während die Tätigkeit im Minijob mit Ausnahme einer eher symbolischen Pauschalsteuer steuerfrei ist.
In Minijobs sind Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Ansprüche noch immer an der Tagesordnung. So enthält etwa ein Drittel der Beschäftigten keinen bezahlten Urlaub und beinahe genauso viele müssen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten.
Seit Jahren wird bei jeder Lohnerhöhung oder Erhöhung des Mindestlohns von der organisierten Unternehmerschaft die Erhöhung der 450-Euro-Grenze gefordert, denn wenn in einem Minijob mehr als 450 Euro verdienen werden, müssen die Beschäftigten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Das soll ja auf jeden Fall verhindert werden, denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht macht diese Beschäftigungsform für die Unternehmer erst so attraktiv. Deshalb wird auch flächendeckend getrickst, z.B. in dem man den Mindestlohn unterläuft, die Arbeitszeit reduziert, Arbeitsmittel in Rechnung stellt und Trinkgelder anrechnet, um nicht die 450-Euro-Grenze zu überschreiten.
Minijobs verhindern Lohnerhöhungen, verdrängen reguläre Arbeitsplätze, befördern die Altersarmut und bilden in der Krise einen Großsteil der Reservearmee an Arbeitskräfte.
Es ist höchste Zeit, dieses Arbeitsmodell endlich aufzugeben.
Laurenz Nurk, Dortmund (Quellen: Zeit Online, Minijob-Zentrale, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dgb.de, BA)
► Quelle: Erstveröffentlicht am 20. Juli 2020 auf gewerkschaftsforum-do.de >> Artikel. Die Texte (nicht aber Grafiken und Bilder) auf gewerkschaftsforum-do.de unterliegen der Creative Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 3.0 DE), soweit nicht anders vermerkt.
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3. Butterwegge-Zitat:
»Lebensstandardsicherung und Armutsbekämpfung sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille. Nur wenn der Lebensstandard aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Ruhestand halbwegs gewahrt bleibt, kann Altersarmut für Niedrigeinkommensbezieher verhindert werden. Dies kann am ehesten eine Weiterentwicklung der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zu einer solidarischen Bürgerversicherung, in die eine bedarfsgerechte, armutsfeste und repressionsfreie Grundsicherung integriert ist, sicherstellen. Alle früheren Erwerbstätigen im Alter auf eine steuerfinanzierte Grundrente zu verweisen, hieße dagegen, den sozialen Abstieg vieler Millionen Menschen vorzuprogrammieren.« (Prof. Dr. Christoph Butterwegge).
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4. Buchcover: "Leitfaden Alg II / Sozialhilfe von A-Z". 30. Auflage, Februar 2019, Herausgeber: Harald Thomé u.a.; Verlag: Digitaler Vervielfältigungs- und VerlagsService, Frankfurt/M. (DVS); 798 Seiten, ISBN 978-3-932246-67-8; Preis: 16,50 € inkl. Versandk. >> http://www.dvs-buch.de/ .
Inhalt:
Die 30. Auflage des bekannten "Standardwerks für Arbeitslosengeld II-Empfänger" (Spiegel 43/2005) ist im Februar 2019 erschienen. Der Leitfaden wird vom Autorenteam rund um Harald Thomé vom Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. in Wuppertal herausgegeben. Der Verein Tacheles hat das Ratgeberprojekt für Leistungsbeziehende, Berater/-innen und Mitarbeiter/-innen in sozialen Berufen aufgrund der Pensionierung von Prof. Rainer Roth von der AG TuWas übernommen.
Der Ratgeber beruht auf vielen Jahren Beratungs- und Schulungspraxis und einem bewährten Konzept, das im Laufe von 35 Jahren "Leitfadenarbeit" entwickelt wurde. Er stellt zugleich mit den Regelungen des Arbeitslosengelds II auch die Regelungen der Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung dar. Als einziger umfassender Ratgeber für das SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) und das SGB XII (Sozialhilfe) ist er deswegen für Beratungszwecke und als Nachschlagewerk sowohl für Rechtsanwender als auch für Laien besonders geeignet.
Im ersten Teil werden in 91 Stichworten alle Leistungen ausführlich in übersichtlicher und bewährt verständlicher Form erläutert. Der zweite Teil behandelt in 34 Stichworten, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen und sich erfolgreich gegen die Behörde wehren können.
Die Rechtsprechung und Gesetzgebung sind mit Stand vom Februar 2019 eingearbeitet und kritisch kommentiert. Auch der Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, ihre sozialen und wirtschaftlichen Ursachen und die Zielsetzung aktueller Sozialgesetzgebung fehlt nicht.
Die Autoren wollen mit diesem Leitfaden BezieherInnen von Sozialleistungen dazu ermutigen, ihre Rechte offensiv durchzusetzen und sich gegen die fortschreitende Entrechtung und die Zumutungen der Alg II-Behörden zu wehren. Sie wollen dazu beitragen, dass sie bei SozialberaterInnen, MitarbeiterInnen der Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Anwältinnen und Anwälten fachliche und parteiische Unterstützung für die rechtliche Gegenwehr erhalten, die dringend benötigt wird. Jäger und Thomé empfehlen Erwerbslosen, sich lokal zu organisieren und gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Um dem zunehmenden Abbau der sozialen Sicherung und der damit einhergehenden Ausweitung von Niedriglohn und schlechten Arbeitsbedingungen zu begegnen, treten sie dafür ein, dass solidarische Bündnisse zwischen Erwerbslosen, Beschäftigten und anderen vom Sozialabbau betroffenen Gruppen geschmiedet werden, die dem Sozialabbau und Lohndumping den Kampf ansagen.
Die Autoren üben detaillierte Kritik an der Höhe des Existenzminimums oder der rechtswidrigen Ausdehnung von Unterhaltsverpflichtungen. Sie decken die leeren Versprechungen der Politik auf, die vorgeben, die Verschärfung des Sozialrechts würde Langzeitarbeitslosen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschaffen.
Gerade weil sich die Behörden immer rigider über geltendes Recht hinwegsetzen, ist dieser Leitfaden nötiger denn je. (Quelle: Verlagstext! >> http://www.dvs-buch.de/.)