DER SPIEGEL ruft zum „Widerstand“ gegen Trump auf
Von Johannes Stern / wsws.org
Rund zwei Wochen nach dem Amtsantritt von Donald Trump werden die Forderungen von deutschen Politikern, Wirtschaftsvertretern und Medien, Berlin müsse den USA entgegentreten und die eigenen Interessen in Zukunft auch gegen den Hauptverbündeten der Nachkriegszeit durchsetzen, immer aggressiver.
Der jüngste Höhepunkt ist die aktuelle Ausgabe des SPIEGEL. Das Cover zeigt Donald Trump mit einem blutigen Schlachtermesser, der in der Pose eines IS-Kämpfers den abgeschlagenen Kopf der amerikanischen Freiheitsstatue in die Luft hält. Darunter steht „America First“. Der Leitartikel der gleichen Ausgabe mit dem Titel „Nero Trump“ vergleicht den amerikanischen Präsidenten mit dem „Kaiser und Zerstörer Roms“ und bezeichnet ihn als einen „brachialen Choleriker“, „pathologischen Lügner“, „Rassisten“ und „Tyrannen“.
Die Botschaft des SPIEGEL ist klar: Trump steht für Krieg, Zerstörung, Fremdenhass und Diktatur – also wird Deutschland „gemeinsam mit asiatischen und afrikanischen Partnern“ und „zusammen mit Partnern in Europa, mit der EU“ den „Widerstand vorbereiten“ und sich „gegen den 45. Präsidenten der USA und dessen Regierung stellen müssen“.
Die Pläne des SPIEGEL erinnern an den deutschen Größenwahn früherer Zeiten. Bislang habe die „deutsche Führungsrolle“ ja bereits „durchaus eine Politik gegen die Interessen anderer europäischer Länder“ vorgesehen. Nun müsse „die wirtschaftlich und politisch dominierende Demokratie Europas“ aber „diverse Lücken schließen, die Amerikas Ausstieg aus der alten Weltordnung… reißen wird“, und „eine Allianz gegen Donald Trump aufbauen“.
„Die Bedrohung wird sich nicht selbst beseitigen“, warnt der Leitartikel und stellt fest: „Die deutsche Wirtschaft ist der Gegner der amerikanischen Handelspolitik, die deutsche Demokratie ist der weltanschauliche Gegner Trumps… Es ist an der Zeit, für das was Bedeutung hat, einzustehen: Demokratie und Freiheit, den Westen und seine Bündnisse.“
Der Autor des Artikels und aktuelle Chefredakteur des SPIEGEL, Klaus Brinkbäumer, ist sich offenbar bewusst darüber, dass er mit seiner Polemik einer neuen Konfrontation zwischen Deutschland und den USA das Wort redet, wie sie im zwanzigsten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen geführt und Millionen Menschenleben gefordert hat. „Das bedeutet nicht Eskalation und auch nicht, die Kontaktpflege und all die Arbeitsebenen aufzugeben“, versichert er beschwichtigend. Nur um dann hinzuzufügen: „Es bedeutet, dass Europa zu stärken ist und politische wie ökonomische Verteidigung zu planen sind. Gegen Amerikas gefährlichen Präsidenten.“
Ebenfalls im aktuellen SPIEGEL fordert der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einem härteren Auftreten gegenüber Washington auf. Die Kanzlerin dürfe „nicht schweigen zu Handlungen, die wir nicht akzeptieren können. Wenn Trump mit der Abrissbirne durch unsere Werteordnung läuft, muss man klar sagen: Das ist nicht unsere Politik.“ Schulz bezeichnet den neuen US-Präsidenten als „hochgradig demokratiegefährdend“. Er spiele „mit der Sicherheit der westlichen Welt“ und beginne „einen Kulturkampf“.
Im Rahmen seiner zweitägigen US-Reise ließ sich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag in der altehrwürdigen Library of Congress eine historische Übersetzung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zeigen und betonte, wie wichtig es sei „in diesen Tagen an die Universalität der amerikanischen Verfassung zu erinnern“.
Kurz nach seiner Rückkehr riet er dann in einem Interview mit der ARD dazu, trotz „ermutigender“ Gespräche mit dem neuen amerikanischen Außenminister Rex Tillerson und Vize-Präsident Mike Pence jetzt nicht „wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen“ und auf die USA zu starren, sondern „Selbstbewusstsein“ zu zeigen. Die inneren Konflikte dürften Europa nicht auseinander treiben. Denn „wenn wir beieinander bleiben, dann sind wir selbst eine Figur, die handeln kann“. Europa müsse als Kontinent agieren lernen, dann spiele es auch eine Rolle in der Weltpolitik und müsse keine Sorgen vor anderen haben.
Gabriel und andere Vertreter der herrschenden Klasse versuchen, die weitverbreitete Empörung über den rechtesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten für die Interessen des deutschen Imperialismus auszunutzen. Aber ihr Versuch, ihre Großmachtoffensive mit Phrasen von Demokratie und Menschenrechten zu rechtfertigen, ist zynisch und verlogen.
Die deutsche Bourgeoisie verfügt über keinerlei bürgerlich-demokratische Traditionen und hat mit dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und dem Holocaust die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit begangen.
Spätestens seit der Wiedervereinigung hat sie wieder Blut geleckt. An der Seite der USA hat sie sich an den imperialistischen Raubzügen in Jugoslawien, Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten beteiligt und die NATO-Offensive gegen Russland unterstützt. Europa hat sie ein brutales Spardiktat verordnet und damit vor allem im Süden des Kontinents Millionen in bittere Armut und Verzweiflung gestürzt. Die brutale Abschottung der „Festung Europa“ führt täglich zu neuen Toten im Mittelmeer, dem mittlerweile größten Massengrab der Erde.
Hinter der geheuchelten „Menschenrechtskritik“ an Trump – die vor allem von der SPD, den Grünen, der Linkspartei, aber auch von Teilen der CDU propagiert wird – steht nicht die Sorge um die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung, sondern der Anspruch der deutschen Eliten, wieder unabhängig von den USA weltpolitisch aufzutreten und die eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.
Auf der einen Seite betrachtet die herrschende Klasse Deutschlands Trumps „America-First“-Politik als Chance, die Anfang 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) verkündete Rückkehr des deutschen Militarismus voranzutreiben. So fordert etwas das Handelsblatt in seiner Wochenendausgabe das endgültige „Ende der Abrüstung“. Mit ihrem „Weißbuch für die Zukunft der Bundeswehr“ habe die Verteidigungsministerin bereits die „Weichen für mehr Soldaten gestellt“. Wenn Trump nun „ernst machen sollte“, müssten die Europäer und „allen voran das größte EU-Land Deutschland… einspringen – und womöglich mehr Soldaten zur Unterstützung der Osteuropäer an der Grenze zu Russland bereitstellen.“ Und auch „die Verteidigungsausgaben müssten dann schneller als geplant steigen“.
Auf der anderen Seite fürchten Wirtschaft und Politik die Konsequenzen von Trumps nationalistischem Kurs. Nach dem Vorwurf der „Währungsmanipulation“ durch Trumps Chefberater Peter Navarro schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Deutschlands Industrie fürchtet den Trump-Schock“: „Die USA, bisher Traumhandelspartner der Deutschen, ist über Nacht zum potenziellen Gegner in einem Handelskrieg geworden. Es geht dabei um viel. 2015 importierten die USA deutsche Waren für 114 Milliarden Dollar – mehr als jedes andere Land“.
Und in einem weiteren Kommentar mit der Überschrift „Niemand hat so viel zu verlieren wie Deutschland“ schreibt die führende deutsche Tageszeitung: „Die deutsche Wirtschaft ist erfolgreich, aber höchst verletzlich. Die politischen Risiken sind dabei so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sollte die Welt protektionistisch werden, wäre das für Deutschland eine Katastrophe.“
Der Grund für die sich anbahnende „Katastrophe“ liegt, wie Trumps Aufstieg und die deutsche Reaktion darauf, in den unlösbaren Widersprüchen des Kapitalismus, der nicht fähig ist, den Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und dem Nationalstaat zu überwinden. Wie am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkrieg löst der Wettstreit der imperialistischen Mächte um Rohstoffe, Absatzmärkte, Einflusszonen und billige Arbeitskräfte wieder heftige Konflikte aus, die in Handelskrieg und Krieg münden.
Johannes Stern
► Quelle: WSWS.org > WSWS.org/de > Erstveröffentlichung des Artikels vom 07. Februar 2017. Dank an Redakteur Ludwig Niethammer für die Freigabe zur Veröffentlichung.
► Bild- und Grafikquellen:
1. DER SPIEGEL - Schriftzug an Hauswand. Foto: barockschloss / Zeilitzheim. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
2. Martin Schulz (SPD) - Kanzler in Deutschland? Nach dem taktischen Verzicht Sigmar Gabriels ist Schulz nun Spitzenkandidat der SPD im Bundestagswahlkampf gegen Merkel. Läuft es am Ende gar wieder auf eine Grosse Koalition hinaus? Im Volksverarschen haben die beiden (Volks-)Parteien ja reichlich Erfahrung. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).
3. AMERICA FIRST - TAKING OUR COUNTRY BACK. Donald Trump, getrieben von dem Bestreben, von globalen Verpflichtungen nicht länger, wie er sagt, „ausgebeutet“ zu werden, setzt unter dem Motto „AMERICA FIRST“ auf Parzellierung gewachsener globaler Strukturen bei gleichzeitiger Überhöhung seines und des US-Machtanspruches. Das setzt autoritäre und nationalistische Impulse frei. Grafik: Netzfund.
4. MAKE AMERICA GREAT AGAIN. The Capitol Building after Trumps Trumpageddon! Grafikbearbeitung: Jan Müller / borgdrone. Dieses Werk von borgdrone ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Antiamerikanische Hetze von den Systemmedien
Wenn von anderer Seite besser fundiert und mit weniger Brachialvorwürfen die US-Regierung kritisiert wurde, dann erfolgte seitens der Systemmedien mit der Sicherheit eines Amen in der Kirche der Vorwurf "Antiamerikanismus". Und jetzt hetzen die gleichen Systemmedien in einer Art und Weise, die einem den Atem verschlägt?
Müssten sich das unter Anlegung der gleichen Maßstäbe diese Systemmedien den Vorwurf der "antiamerikanischen Hetze" gefallen lassen? Nein, das ist bestimmt ganz was anders. Doppelmoral? Heuchelei? Und sowas beschwert sich über den Vorwurf "Lügenpresse"? Wie wäre es mit "Hetzpresse"?
Allerdings bedürfen auch die letzen drei Absätze einer kritischen Hinterfragung:
1. Wenn die Süddeutsche schreibt „Deutschlands Industrie fürchtet den Trump-Schock“ dann ist das so platt und undifferenziert schlicht weg falsch: korrekte wäre „Deutschlands EXPORT-Industrie fürchtet den Trump-Schock“
2. „Niemand hat so viel zu verlieren wie Deutschland“ Korrekt! Aber warum ist das so? Weil Deutschland Exportweltmeister ist! (Export die 2.)
3. „Die deutsche Wirtschaft ist erfolgreich, aber höchst verletzlich.“ Bedarf der gleichen Einschränkung wie oben: deutsche EXPORTwirtschaft. (Export die 3.)
4. Sollte die Welt protektionistisch werden, wäre das für Deutschland eine Katastrophe.“ Und warum ist das so? Weil Deutschland Exportweltmeister ist! (Export die 4.)
Ergo: der Grund für
führt bei allen vier Negativa auf einen einzigen Aspekt zurück: den Export. Die „überbordenden Eportüberschüsse“ um genau zu sein. Könnte das vielleicht Anlass genug geben, den Export[überschuss] [endlich] einmal kritisch zu hinterfragen? Und womöglich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass sich Deutschland ohne Not in sehr unangenehme Abhängigkeiten begeben hat? In der Sache wäre dies sicherlich angezeigt - praktisch geschieht das offensichtlich nicht.
Dass es die Systemmedien unterlassen, diesen sich aufdrängenden Fragen nachzugehen, war nicht anders zu erwarten, aber dass auch kritisch denkende Menschen in den vorgenannten Sachverhalten kein Problem zu erkennen scheinen, stimmt schon bedenklich. Augenscheinlich sind „deutscher Export“ mit der Zusatzplakette „Weltmeister“ sakrosankte „Errungenschaften“, die nicht kritisch hinterfragt werden dürften - praktisch die „heiligen Kühe“ Deutschlands.
Der erste Satz des letzten Absatzes „Der Grund für die sich anbahnende „Katastrophe“ liegt, wie Trumps Aufstieg und die deutsche Reaktion darauf, in den unlösbaren Widersprüchen des Kapitalismus, der nicht fähig ist, den Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und dem Nationalstaat zu überwinden.“ lässt mich ziemlich ratlos zurück:
1. Das liest sich so, also läge auch Trumps Aufstieg „in den unlösbaren Widersprüchen des Kapitalismus“ begründet. What? Trump wurde gewählt, weil die US-amerikanische Bevölkerung die Nase voll von Establishmentvertretern hatte, weil die Korrumpierbarkeit Hillary Clintons und ihre Niederträchtigkeit gegenüber Sanders öffentlich wurde und immer mehr Amerikanern so unter dem neoliberalen Schweinesystem zu leiden haben, dass sie jemanden Glauben schenkten, der ihnen Jobs versprach. Ob letzteres berechtigt oder klug war sei mal dahingestellt - aber mit „unlösbaren Widersprüchen des Kapitalismus“ hat das nichts zu tun.
2. Zu „unlösbaren Widersprüchen des Kapitalismus, der nicht fähig ist, den Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und dem Nationalstaat zu überwinden“. Angesichts der Tatsache, dass der Kapitalismus sich kurz nach seiner Entstehung um 1760 in England rasend schnell über weite Bereiche der Welt ausbreitete ist es nicht nachvollziehbar, warum nun ausgerechnet nach rund 250 Jahren die „Katastrophe“ in der Unfähigkeit des Kapitalismus liegen soll, den Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und dem Nationalstaat zu überwinden. Praktisch von Beginn an führte der Kapitalismus zu internationaler Produktion in Nationalstaaten. Was genau hat sich denn jetzt auf einmal so drastisch geändert, dass dieser seit einem Viertel Jahrtausend bestehende Sachverhalt zu einem katastrophalen Problem wird? Das würde mich brennend interessieren.
Logos
Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64