Die Abschaffung der Demokratie
Autor: Wolfgang Bittner
Verlag: Westend Verlag, Frankfurt am Main - Erscheinungstermin Feb. 2017.
Broschur, 224 Seiten, ISBN 978-3-86489-167-0; 16,00 Euro.
auch als eBook erhältlich, 224 Seiten, Format EPUB 978-3-86489-667-5; 11,99 Euro.
► Über den Autor:
Wolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz, lebt als Schriftsteller in Göttingen. Der promovierte Jurist war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (1997-2001 im Bundesvorstand) und im P.E.N., erhielt mehrere Auszeichnungen und Preise und hat über 60 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, darunter die Romane »Hellers allmähliche Heimkehr«, »Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben« und »Niemandsland«, das Sachbuch »Beruf: Schriftsteller – Was man wissen muss, wenn man vom Schreiben leben will« sowie im Westend Verlag der hier vorgestellte Satireband »Die Abschaffung der Demokratie«.
Zuletzt am 02. Juni 2017 erschien eine komplett überarbeitete und deutlich erweiterte Neuausgabe des Erfolgstitels "Die Eroberung Europas durch die USA. Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung". [Buchvorstellung im KN]
► Klappentext:
„Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird.“ Kurt Tucholsky.
Fantasie und gute Gedanken haben eines gemeinsam – sie können uns einen klaren Blick auf die Realität vermitteln. Genau das ist das Anliegen von Wolfgang Bittner. Der Schriftsteller und promovierte Jurist präsentiert in seinem neuen Buch eine große Bandbreite satirischer und polemischer Texte. Gespickt mit Hinweisen auf die fortschreitende Entsolidarisierung in der Gesellschaft und die Erosionen unserer Demokratie.
Bittner berichtet von seltsamen Begebenheiten: Er erzählt von der Wiedergeburt habgieriger Reeder als ölfressende Bakterien, dem Einsatz von Nacktscannern an Flughäfen, dem Dank an den US-Präsidenten für sein „Friedensengagement“ oder der Einführung einer Mundsteuer für nicht gehaltene Münder. Seine scharfsinnigen Satiren kommen dabei oft ganz harmlos und eher lakonisch daher.
Und während wir beim Lesen noch schmunzeln, bleibt uns das Lachen mit Erkenntnis gewinnendem Aha-Effekt auch gleich wieder im Hals stecken. Denn immer wieder zeigt uns Bittner sehr feinfühlig die Diskrepanz zwischen Ernst und Spaß, Theorie und Realität, Anspruch und Wirklichkeit auf. Da Lachen bekanntlich die beste Medizin ist, empfehlen wir Ihnen diese Lektüre trotz aller nachdenklich stimmenden Risiken und Nebenwirkungen rezeptfrei und ohne dass Sie Ihren Arzt oder Apotheker fragen müssen.
► Inhaltsverzeichnis:
Satire darf alles – wenn sie es nicht darf, ist es keine Satire | 11 | Lob der Wissenschaft | 99 | |
I Wiedergeburt, Mr. President und der deutsche Schäferhund | 15 | User mit Pensionsberechtigung | 102 | |
Unsere Freunde, die Amerikaner: Verschwörungstheorien, Drohnen und die Schmach von Stalingrad |
17 | Tauschwert | 105 | |
Die Wiedergeburt habgieriger Manager | 19 | Dein Freund und Helfer | 107 | |
Die Entdeckung Europas durch die Amerikaner | 21 | Die gute Stube unserer Stadt | 109 | |
Die Verbrüderung der Schafe und Wölfe | 24 | Ein ungeliebtes Rathausportal | 111 | |
Der Privatbundeskanzler | 26 | III Sonnenstich, Dschungelcamp und schnelle Radler | 115 | |
Der Blick in den Computer und ins Schlafzimmer | 29 | Der neue deutsche Fernsehfilm oder Entführte Pathologentöchter in Namibia |
117 | |
Vater Staat? Dass ich nicht lache! | 31 | Bärchen und seine Freunde | 119 | |
Königliche Zeiten | 33 | Seeigel, Sonnenstich und Nudelauflauf – eine Touristenreise in den Süden |
121 | |
Freiheit und Terror | 35 | Scharf gewürzt – glücklich und willensschwach mit Pfeffer und Fluor |
123 | |
Der Imperator und die Macht des Bösen – ein modernes Märchen | 38 | Ein Kuckuck im Meisennest: Hoffnungsträger der Familie | 125 | |
Danke, Mr. President! | 41 | Dschungelcamp am Sonnenstrand | 127 | |
Das bundestrojanische Pferd und seine Jockeys | 43 | Touristengebiet | 129 | |
Der Nacktscanner und die totale Sicherheit | 45 | Bequem und schnell mit der Bahn? | 131 | |
Privatisierung – das Gebot der Stunde | 47 | Schnelle Radler oder Überdimensionale Insekten im Geschwindigkeitsrausch |
133 | |
Kolonie Europa oder Nach dem Euro kommt der Dollar | 49 | Balkonien oder zu Hause am Südseestrand | 135 | |
Fehlprogrammierte Fuzzis* | 51 | Anruf genügt: Unser Nachbar, der Terrorist | 137 | |
Der große Vorsitzer | 53 | Komm mit mir ins Fleischstudio | 139 | |
Rettet die deutsche Wirtschaft! Zahlt mehr Steuern und geht shoppen! |
55 | Die Axt im Haus | 141 | |
Der deutsche Soldat und der deutsche Schäferhund | 57 | Otto Normalo | 143 | |
China und die USA – heimtückische Eroberungspolitik | 59 | Anleitung für den Umgang mit Behörden | 145 | |
NSA: Welch ein verbrecherischer Irrsinn! | 61 | Ungünstige Zeiten für Behörden gänge | 148 | |
Big Brother: Gelenkte Politik und Meinungsmache | 64 | Betrifft: Bezuschussung – ein Subventions-Sketch | 149 | |
II Monopoly, Plagiatoren und mörderische Konsequenzen | 69 | IV Der Staatsanwalt, Eifersucht und indische Trockenfliegen | 155 | |
Fahrradsteuer und Briefkasten gebühr: Neue Steuerpläne der Bundesregierung |
71 | Der Staatsanwalt erklärt sich für befangen | 157 | |
Mein Monopoly oder Ich kaufe eine Straße | 73 | Der dritte Vogel namens Manuel | 173 | |
Helm- und Handypflicht für Fußgänger | 75 | Theorie von den zwei Hälften | 176 | |
Google Street View als Hoffnung | 77 | Freizeitvergnügen | 178 | |
Unternehmensberatung für Jungunternehmer | 79 | Das Geburtstagsgeschenk | 181 | |
Kratzige Zeiten | 82 | Ein Bild aus der Heimat | 182 | |
Der Kassenpatient oder Besser reich und gesund | 84 | Mit guten Wünschen | 185 | |
Hier spricht das Steueramt | 86 | Echt progressiv und biodynamisch | 195 | |
Ein Nachruf für viele | 88 | Der Schattendichter | 199 | |
Autofreundliche Bahnpolitik | 91 | Der Wachtmeister | 208 | |
Mengenlehre für Vorgesetzte | 93 | Was macht der Weihnachtsmann, wenn Weihnachten vorbei ist? |
212 | |
Mörderische Konsequenzen | 95 | Nachweis der Veröffentlichungen | 215 | |
Plagiatoren und Leichenfledderer | 97 |
Satire darf alles – wenn sie es nicht darf, ist es keine Satire
Satire, im alten Rom als eine scharf gewürzte Opfergabe an die Götter gedacht, darf alles, wie schon der begnadete Satiriker Kurt Tucholsky festgestellt hat. »Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.« Als spezielles Genre der Literatur steht Satire in unserer Zeit rein rechtlich unter dem Kunstvorbehalt des Artikels 5 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.« Satire ist also ein Grundrecht, zugleich ist sie Notwehr und Nothilfe, Waffe und Überdruckventil. Aber Satire darf nicht alles, wenn es keine Satire ist.
Es gibt Grenzfälle. Handelt es sich um Satire, wenn jemand wie der größenwahnsinnige türkische Staatspräsident Erdoğan in einem gedichtartigen Text unflätig und vulgär sexbezogen attackiert wird? Oder ist das nur die peinliche Darbietung eines spätpubertierenden Schmocks, eines Möchtegern-Satirikers? Die Frage verlangt genaugenommen keine Antwort, auch wenn darüber wochenlang diskutiert wurde und aufgrund einer Anzeige die Justiz damit beschäftigt ist.
Die Politik fordert Satire heraus, sie ist nicht erst seit heute derart fragwürdig, dass in vielen Fällen nur noch der Ausweg in Spott, Ironie, Sarkasmus und Hohn bleibt. Denn bei genauerem Hinsehen liegt der Schluss nicht allzu fern, dass uns in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit die reale Idiotie umgibt. Nehmen wir die in letzter Zeit so intensiv betriebene Aufrüstung auf Kosten des Volksvermögens gegen einen fingierten Feind. Dachten nicht die meisten Mitmenschen um die Jahrtausendwende, solche Zeiten seien vorbei? Doch nicht wenige unserer Zeitgenossen scheinen als Couch-Potatoes nichts als ihr tägliches Tittitainment zu genießen, und die Medien unterstützen sie fleißig und beflissen dabei.
Hier wäre Satire mehr denn je gefordert. Aber wo sind der Ort und das Verständnis dafür? Stattdessen gibt es Comedy. Wie es bei uns – selbst bei einigen unserer »Literaturverwalter« – um das Einfühlungsvermögen in die Satire im Tucholsky’schen Sinne steht, wurde mir schlagartig bewusst, nachdem ich 2002 meine Satire über die Wiedergeburt habgieriger Manager an eine große überregionale Tageszeitung geschickt hatte. Ich entwickele darin eine seltsam kuriose, allerdings nicht völlig absurde Reinkarnationstheorie, nach der moralisch fehlgeleitete Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in bestimmten, ihnen mit Sicherheit suspekten Lebensformen wiedergeboren werden, um ihre Sünden abzubüßen. Seinerzeit wurden Texte dieser Art wie auch Gedichte und Kurzgeschichten gelegentlich noch in den Feuilletons abgedruckt. Doch der für Literatur zuständige Chefredakteur schrieb mir zurück, dass er sich nicht entschließen könne, meinen Artikel zur Reinkarnationslehre zu veröffentlichen, ich möge mich doch an ein religiös orientiertes Blatt wenden.
Zum Satiriker wurde ich schon während meines Studiums der Rechtswissenschaft und mehr noch während meiner beruflichen Tätigkeit in der Justiz, die allerdings nur wenige Jahre andauerte. Nachdem ich feststellen musste, dass sich zwischen meinem seit frühester Kindheit ausgeprägten Rechtsempfinden und der praktizierten Rechtsprechung ein Abgrund auftat, eine Diskrepanz, die mich zutiefst beleidigte, manchmal sogar erschütterte, war mein Ausweg aus diesem Jammertal bei klarem Verstand die Satire. Ich begann bissige Hohn- und Spotttexte zu schreiben, die ich später (1975 mit steigenden Auflagen) als Rechts-Sprüche – Texte zum Thema Justiz veröffentlichte – mein Überdruckventil und der Stein im Schuh so manches Juristen und Politikers.
Bedauerlicherweise haben sich dann einige meiner Satiren nach und nach bewahrheitet. Ich schrieb über die Vorbereitung einer Maut für die Benutzung privatisierter Straßen, über den qualitativen Absturz der Kinderliteratur oder die Einführung irgendwelcher absurder Steuern und Verpflichtungen – und es dauerte nur ein, zwei Jahrzehnte, dann waren diese Absurditäten im Gespräch oder sie wurden sogar umgesetzt. Hin und wieder flog mich der Gedanke an, dass es tatsächlich Politiker und sonstige Glücksritter geben könnte, die meine Satiren lesen.
Als ich in den späten siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer Bildungsstätte der Deutschen Bundespost vor Postbeamten und -angestellten eine Satire über die Privatisierung der Post vortrug, erntete ich schallendes Gelächter. Etwa fünfundzwanzig Jahre später war die Deutsche Post in Privathand überführt worden und das Postlerheim gab es nicht mehr.
Was geht da vor, fragte ich mich damals? Gibt es ein Sensorium für derartige Entwicklungen? Sind sie vorhersehbar, wenn man seine Antennen auf Empfang hält? Zudem unabweisbar die Fragen: Wozu Satire? Lässt sich mit Satire überhaupt etwas ändern? Wer Satire liest und versteht, weiß doch sowieso schon Bescheid. Aber bisweilen dachte ich dann, dass manche dieser Texte, die schließlich auch einen unterhaltenden Charakter haben, diesen und jene, wenn schon nicht aufrütteln, so doch wenigstens amüsieren oder bestätigen könnten. Und eine positive Seite hat die Satire auf jeden Fall, nämlich für den Satiriker: Er lässt den Dampf ab, der gefährlich angestiegen ist, und danach geht es ihm besser. Ist das etwa nichts?
Die Wiedergeburt habgieriger Manager
Da ich im vergangenen Jahr nach dem Genuss von Obst und Gemüse mehrfach unter leichten Vergiftungserscheinungen litt, habe ich mich auf Anraten meines Arztes einem Laden für Bioprodukte zugewandt. Der Besitzer, ein durchaus gebildeter Mann, ist Anhänger der Reinkarnationstheorie, die für ihn in letzter Zeit zugleich zu einer Kompensationstheorie geworden ist. Jeder Mensch wird wiedergeboren, so behauptet er, und diese Wiedergeburt sorge in einem übergeordneten kosmischen Sinne für Gerechtigkeit.
Zum Beispiel würden Reeder, die ihr Geschäft mit schrottreifen Tankern bestreiten, oder Betreiber riskanter Ölförderungsanlagen als ölfressende Bakterien wiedergeboren, um ihre Sünden abzuarbeiten; Ärzte, die qualvolle Tierversuche durchführen, kämen als Laborratten wieder zur Welt, habgierige Vermieter als Nacktschnecken und Bauern, die ihre Kühe mit geraspelten Schafsleichen fütterten, als Mistkäfer. Aus Pornoproduzenten würden Filzläuse, aus Spionen Küchenschaben, betrügerische Zahnärzte kehrten als faule Zähne zurück. Das alles hört sich recht plausibel an, finde ich.
Für unfähige oder korrupte Politiker hält mein Bioladenbesitzer eine besonders reichhaltige Auswahl von Wiedergeburtsoptionen bereit, die mir ebenfalls einleuchten: Pfaue, Stinktiere, Krokodile, Haifische, Platzhirsche, Gockel, Faultiere, Krähen, Aasgeier, Hyänen und so weiter. Wer hätte da nicht sofort Gesichter vor Augen! Auch Börsenanalysten und Banker genießen nicht gerade sein Wohlwollen. Er ist der festen Überzeugung, dass sie sich als Blindschleichen und Blutegel reinkarnieren, Daytrader als Eintagsfliegen.
Mein Bioladenbesitzer ist nicht nur ein rechtschaffener Mensch mit philosophischen Ambitionen, sondern auch ein politischer Kopf. »Stellen Sie sich vor«, sagt er, »meine Altersversorgung durch Sozialversicherung und Aktienfonds, die mir staatlicherseits und von meiner Bank wärmstens empfohlen wurden, hat sich innerhalb weniger Jahre auf etwa die Hälfte reduziert. Nicht dass Sie denken, ich sei rachsüchtig, das liegt mir fern. Aber ich bin der Meinung, dass keine Handlung ohne Wirkung bleibt und jeder irgendwie für seine Handlungen und sogar seine Gedanken einzustehen hat.«
Wenn mein Bioladenbesitzer mir so seine ethisch-religiösen Vorstellungen nahebringt, wird er mir von Mal zu Mal sympathischer. Ich bewundere seine Kreativität, die ihn zu immer neuen produktiven Überlegungen führt. »Wenn unfähige Manager«, so sagt er, »schon nicht bestraft, sondern mit Bonuszahlungen oder Millionenabfindungen belohnt werden, opportunistische und sogar korrupte Politiker satte Pensionen kassieren, warum sollten sie nicht zum Ausgleich dafür in einem – womöglich mehreren! – weiteren Leben für ihre Verfehlungen sühnen müssen?«
Solche Gedanken waren mir zwar zunächst fremd, jedoch erscheinen sie mir umso sinnvoller, je mehr ich mich darauf einlasse. Auch ich habe mich in letzter Zeit immer wieder über die vielen Skandale und Ungerechtigkeiten aufgeregt, die zunehmend durch Egoismus und Habgier verursacht werden. Und ich muss gestehen, dass mich die Aussicht, es könnte für diese individuellen menschlichen Fehlleistungen einen Ausgleich geben, versöhnlich stimmt. Eigentlich könnte die Reinkarnations- und Kompensationstheorie gänzlich neue Perspektiven für unser künftiges gesellschaftliches Leben eröffnen. Allerdings gibt es auch Vorbehalte – stünde doch zu befürchten, dass die Menschheit allmählich ausstirbt.
Wolfgang Bittners "Die Abschaffung der Demokratie"
Scharf gewürzt
Buchtipp von Harry Popow
Wenn unser noch amtierender oberster Staatshäuptling Deutschland vollmundig als die beste Demokratie in der Geschichte preist, kann man sich nur an den Kopf fassen. Nicht ohne Grund werden sich deshalb viele Leser gern darauf einlassen, wenn eine derart unreflektierte Schönfärberei entlarvt wird und der Kaiser plötzlich ohne Kleider dasteht.
Das passiert in Wolfgang Bittners Buch „Die Abschaffung der Demokratie“, einer kräftig gewürzten satirisch-literarischen Attacke auf die alltäglichen Unwägbarkeiten in der Postdemokratie und auf die gefährlichen Machenschaften der Kapitaleliten. Damit steht Wolfgang Bittner in der Tradition von Kurt Tucholsky und Erich Kästner, die die Warnzeichen ihrer Zeit fest ins Visier genommen haben. Damals wie heute ein Anrennen gegen die Wand? Keineswegs, denn im Nichtstun erstickt Menschlichkeit. Wer will das bestreiten?
► In Zeiten der Vorbereitung neuer Kriege
In meist kurzen, zupackenden Polemiken, Glossen und satirischen Texten führt der Autor den Lesern die Schwächen und Widersprüche des menschlichen Daseins in Zeiten der Vorbereitung neuer Kriege vor Augen. Ebenso scharfkantig weist er auf die Menschlichkeit absorbierende Wirklichkeit hin, auf die weltweiten inhumanen Verhältnisse, in denen die Gattung Mensch zu ersticken droht, trotz Vernebelung, Beschwichtigungen und gelegentlicher Zückerli, die das Establishment stets parat hat, um das Volk bei Konsumfreude und – wenn es beliebt – bei Kriegslaune zu halten.
Das Buch besteht aus vier größeren Abschnitten und aus insgesamt über zweihundert politisch scharfsinnigen, immer eine Überraschung bereithaltenden Beiträgen. Oft nur ironisch andeutend, dann wieder in überspitzter und damit wirkungsvoller Weise, kommt der Autor zum Wesentlichen. Das tut dem Leser und seiner intellektuellen Aufnahmebereitschaft gut und macht das Buch zu einem Lesevergnügen, wie es bei diesem politisch profilierten Schriftsteller und promovierten Juristen nicht anders zu erwarten war, der u.a. das sehr erfolgreiche Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“ geschrieben hat.
Gleich zu Anfang seines Satirebuches steht eine Eloge auf die US-Eliten als vermeintliche Friedensstifter, weil sie die Kapital- und Energiemärkte und den zwischenstaatlichen Warenaustausch regulieren und uns militärisch schützen. Zugespitzt heißt es: „Vielleicht gelingt es mithilfe unserer Freunde demnächst ja doch noch, die Schmach von Stalingrad zu tilgen“ (S. 17-18). (Ob sich mit Trump nun wirklich etwas zum Besseren wendet, bleibt abzuwarten.)
► Lächerlichkeit zu inszenieren, will gekonnt sein
Mitunter ist es schwer, bei ernsthaften politischen Themen das entlarvende Gegenargument anzubringen, denn Lächerlichkeit zu inszenieren will gekonnt sein. Aber das gelingt dem Autor auf vielfältige Weise. Wenn er die Formulierung „laut Aussagen von...“ benutzt, ist Aufmerksamkeit geboten. Manchmal heißt es auch: „Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet …“ Dann geht es zur Sache.
Treffend und originell ist auch die Satire über die Wiedergeburt habgieriger Manager oder korrupter Politiker, in der zum Beispiel die Betreiber riskanter Ölförderungsanlagen nach ihrem Ableben als „ölfressende Bakterien“ ihre Sünden abarbeiten müssen (S. 19).
Mit sehr spitzer Feder nimmt der Autor die Schwächen und Unvorhersehbarkeiten menschlichen Daseins aufs Korn, die dem marktwirtschaftlichen und globalisierten Neoliberalismus geschuldet sind. Nachdem er auf die Verbrüderung der Schafe mit den Wölfen eingeht – man weiß sofort, was gemeint ist –, prangert er die Auswirkungen dieser untauglichen Vereinigung an (S. 24-25). Er parodiert die Welle der Privatisierungen auf immer mehr Gebieten, die zunehmende Überwachung und Kontrolle sowie die zahlreichen Bestrebungen, aus den Bürgern höhere Steuern herauszupressen.
Der „Fürsorgestaat“, der keine Grenzen kennt, erlegt – dem Vernehmen nach – Autofahrern und sogar Fußgängern eine Schutzhelmpflicht auf. Und in der Satire „Unternehmensberatung für Jungunternehmer“ empfiehlt Wolfgang Bittner aufstrebenden Profiteuren in der Maskeradengesellschaft, sich mit den Honoratioren der Stadt zu verbrüdern, sich bei Einladungen und Partys nicht lumpen zu lassen und die eigene Kreditwürdigkeit durch Geldtransaktionen von einem Konto aufs andere zu steigern. Dazu gehört dann noch, Medien zu beeinflussen, Konkurrenten auszuschalten und schließlich den Mitarbeitern vorzutäuschen, allen gehöre alles zu gleichen Teilen. Wichtig dabei:
„Schulabschlüsse, Ausbildung, eventuelle Studien sind sekundär, auf den Willen kommt es an“ (S. 79).
Eine volle Breitseite bekommt die vom Markt gesteuerte „Persönlichkeitsentwicklung“ ab: der Wahn des Shoppens. Hin und wieder fällt das Wort „gehobene Verdienstklasse“, zu der jene gehören, die sich vor allem mit materiellem Besitz brüsten und so ihren „menschlichen Wert“ bezeugen wollen.
► Seitenhiebe auf eine überlebte Gesellschaft
Alles in Allem: Anspruch und Wirklichkeit klaffen im Zuge der Manipulationstechniken der „Qualitätsmedien“ immer mehr auseinander. Leidtragende sind die geistig verarmenden Menschen, die dem Konsum erliegen, vereinsamen oder sozial auf der Strecke bleiben, die von demokratischer Mitbestimmung ausgenommen sind oder davon gar nichts wissen wollen.
Das wird in vielen dieser Geschichten deutlich.
Für all jene Leser, die sich vor allem von pfiffigen Ideen, listigen Übertreibungen, angriffslustiger Polemik und vom Lächerlichmachen der Zeitumstände angesprochen fühlen, ist dieses Satirebuch ein Gewinn, ein Erkenntnis-Erlebnis. Wenn manche Leser sich in ihrem Denken und Verhalten wiederfinden, so liegt das sicherlich in der Absicht des Autors, weist er doch vollen Ernstes und mit viel Fabulierungsspaß nach, dass Demokratie – wenn sie überhaupt vorhanden war – in die Binsen geht.
Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, soll dieses scharf gewürzte Buch der Seitenhiebe auf eine überlebte Gesellschaft nach der Bundestagswahl als Anregung und offizielle Vorlage für neue Regierungsvisionen zur Verfügung stehen. Bis dahin herrscht allerdings darüber ein Redeverbot. „Demokratie“ in Aktion!
Harry Popow, Schöneiche b. Berlin. (Rezension erstveröffentlicht in der NRhZ).
► Bild- und Grafikquellen:
1. Buchcover "Die Abschaffung der Demokratie" von Wolfgang Bittner, erschienen im Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017.
2. "Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht". - "Where all think alike, no one thinks very much". Foto ohne Text: Francisco Laso. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0). Digitale Einbindung des Textes: Wilfried Kahrs (WiKa), QPRESS. Bildidee: KN-ADMIN Helmut Schnug.
3. Wolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz, lebt als Schriftsteller in Göttingen. Foto: © privat! Quelle: http://www.wolfgangbittner.de/ >> Pressefotos.
4. Martin Schulz: Er war von 1994 bis 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments und von 2012 bis 2017 dessen Präsident . Am 29. Januar 2017 wurde Schulz vom SPD-Parteivorstand einstimmig als Kanzlerkandidat seiner Partei für die Bundestagswahl 2017 nominiert. Nachdem diese für die SPD erwartungsgemäß zum Debakel in historischem Ausmaß wurde und - bisher - noch drei Landtagswahlen verloren gingen, richtet sich nun der Blick auf die LTW in Niedersachen am 15. Oktober 2017. Für seine treibende Austeritätspolitik in Brüssel und einem verlogenen "Gerechtigkeits"-Wahlkampf hierzulande dürfte er gerne in einem weiteren Leben als Faultier für seine Taten büßen müssen. Bildbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa), QPress.
5. PROFIT - die Maxime der Manager. Dabei geht man auch gerne für Leichen. Ein privates Krankenhaus ist angehalten jährlich einen Gewinn von 11 Prozent zu machen. Ein Krankenhaus! Das muss man sich mal vorstellen! Aber auch die kommunalen müssen auf diese Weise ums Überleben kämpfen, weil sie auch mit den menschenfeindlichen Fallpauschalensystem arbeiten müssen. Und sobald sie in ein Minus kommen, werden sie entweder geschlossen oder die Filetstücke privatisiert. "PROFIT OVER PEOPLE".
Die Reinkarnations- und Kompensationstheorie würde gänzlich neue Perspektiven für unser künftiges gesellschaftliches Leben eröffnen und korrupte Manager und Politiker sollten für ihr neoliberales, unmenschliches Tun in einem weiteren Leben als Hartz IV-Empfänger oder Leiharbeiter kräftig büßen müssen.
Grafik / Foto: geralt / Gerd Altmann • Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden.
6. Repräsentative Demokratie: "Erst werdet im Wahlkampf sechs Wochen umworben, und dann werdet ihr vier Jahre gefickt." (fucking turtles). Foto: Massimo Finizio, Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Italien“ lizenziert. Bildbearbeitung (Textzeilen ergänzt u. Rahmen) durch Elias Schwerdtfeger, brotloser Künstler und Bettler aus Hannover-Linden, Bananenrepublik Deutschland. >> https://tamagothi.wordpress.com/. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).
7. "Neo-liberalism: the devolution starts here." Der Neoliberalismus ist die räuberischste Phase unmenschlicher Entwicklung und muss daher als Rückentwicklung betrachtet werden!
8. Buchcover "Die Abschaffung der Demokratie" von Wolfgang Bittner, erschienen im Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017.
9. Buchcover "Die Eroberung Europas durch die USA. Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung" von Wolfgang Bittner; komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Westend Verlag, Frankfurt/M. 2017; Klappenbroschur, 254 Seiten, 1. Auflage (2. Juni 2017), ISBN: 978-3-86489-189-2; 18 Euro.