Die Macht um Acht. Der Faktor TAGESSCHAU
Autoren: Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Verlag: PapyRossa Verlag, Köln;
ISBN 978-3-89438-633-7.
15 Minuten lang informiert die TAGESSCHAU über die vorgeblich wichtigsten Ereignisse des Tages. Als »Flaggschiff der ARD« gibt sie sich als verlässlich, neutral und seriös. Diesen Anspruch hinterfragen Uli Gellermann, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer detailliert und gründlich. Sie gehen der Geschichte der TAGESSCHAU nach, beleuchten ihre Vermittlung und Auswahl von Nachrichten, kommentieren ihre Berichterstattung zu zentralen aktuellen Themenschwerpunkten wie dem Krieg gegen Syrien und dem Konflikt um die Ukraine, stellen die viel zu unbekannten »Programmbeschwerden« als Möglichkeit des Zuschauerprotests und der demokratischen Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dar.
Ihr Fazit ist ernüchternd. Sie halten die TAGESSCHAU weder für verlässlich noch für neutral, nur für bedingt seriös und bestenfalls für schlau. Nach diesen 15 Minuten weiß man, was die Regierung denkt; was die Republik denken soll und was zu denken unter den Tisch fallen kann. (Klappentext)
► Über die Autoren:
Uli Gellermann, *1945, Journalist und Filmemacher. Hat als Creative Director gearbeitet. Verantwortet die Website rationalgalerie.de.
Friedhelm Klinkhammer, *1944, Jurastudium in Hamburg. Dreieinhalb Jahrzehnte angestellt beim NDR. Langjähriger IG Medien / ver.di-Vorsitzender und Gesamtpersonalratsvorsitzender im NDR.
Volker Bräutigam, *1941, Journalist. 14 Jahre bei Tageszeitungen, danach beim NDR in Hamburg, dort u. a. zehn Jahre Redakteur bei der TAGESSCHAU und weitere zehn Jahre in der Kulturredaktion von N3. Seit 2001 freier Autor.
► Inhaltsverzeichnis:
I. Vorwort
Fünfzehn Minuten Staatsfunk . . . . . . . . . . 7
II. Von der Gründung bis zur Mündung
Ein Tauchgang in die Geschichte der TAGESSCHAU . . . . . . . . . . 12
III. Die Macht um acht
Die TAGESSCHAU macht Quote . . . . . . . . . . 31
IV. Die Agentur der Agenturen . . . . . . . . . . 34
V. Wer sich beschwert, macht nichts verkehrt
Programmbeschwerden sind das gute Recht der Zuschauer . . . . . . . . . . 53
1. Wie man Spione zu Beobachtern macht . . . . . . . . . . 55
2. Nazis wegmoderiert . . . . . . . . . . 57
3. Sechzig Prominente unterschlagen . . . . . . . . . . 58
4. Das Schweigen über eine Anti-Nazi-Resolution der UNO . . . . . . . . . . 61
5. Gemäßigter Terror in Syrien . . . . . . . . . . 63
6. Schweigen ist Geld . . . . . . . . . . 64
7. Hinten in der Türkei blickt keiner durch . . . . . . . . . . 65
8. Wer aus trüben Quellen trinkt, dem ist der Sinn getrübt . . . . . . . . . . 67
9. Die halbe Wahrheit ist die ganze Lüge . . . . . . . . . . 69
10. Wenn der Vatikan nicht gut genug ist . . . . . . . . . . 71
11. Wie man kein Interview führt . . . . . . . . . . 73
12. Die Türkei kämpft an allen Fronten, die ARD kämpft mit . . . . . . . . . . 75
13. Tote Zivilsten? Sind nur Jemeniten . . . . . . . . . . 78
14. Eine Erklärung, die nichts erklärt . . . . . . . . . . 79
15. Ein Datenleck wird gestopft . . . . . . . . . . 81
16. Nazis? In der Ukraine? Niemals! . . . . . . . . . . 83
17. Eine gepflegte Berichterstattung . . . . . . . . . . 85
18. Hillary, go for it! . . . . . . . . . . 88
19. Selbstjustiz ist irgendwie unschön . . . . . . . . . . 91
20. Krieg und Flucht kennen keine Verantwortlichen . . . . . . . . . . 93
21. Reden ist einfach nur Silber, Schweigen ist Blech . . . . . . . . . . 96
22. Kanzlerin? Welche Kanzlerin? . . . . . . . . . . 99
23. Ein Dementi als Ende der Recherche . . . . . . . . . . 100
24. Weit hinter der Scham-Grenze . . . . . . . . . . 103
25. Abbruch journalistischer Regeln . . . . . . . . . . 107
26. Die Rente ist sicher – fragt sich nur: Wessen Rente? . . . . . . . . . . 109
27. Putin gewinnt deutsche Wahlen . . . . . . . . . . 111
VI. Die Ab-Blogger
Von der Halbwahrheit zur Unwahrheit . . . . . . . . . . 115
VII. Keine Antwort unter dieser Nummer
Wie ARD-aktuell antwortet, wenn der Zuschauer antwortet . . . . . . . . . . 122
Grundsätzliche Anmerkungen zur Ukraine-Berichterstattung . . . . . . . . . . 141
Grundsätze der Syrien-Berichterstattung . . . . . . . . . . 147
Betrachtung nach der Befreiung Ost-Aleppos . . . . . . . . . . 162
VIII. Wer fragt, ist selbst schuld
Das Chaosprinzip als Sender-Schema . . . . . . . . . . 165
IX. Mitgucken & Mitreden
Technisch möglich: Der Rück-Kanal . . . . . . . . . . 169
► Vorwort
Fünfzehn Minuten Staatsfunk
Seit mehr als 60 Jahren informiert die TAGESSCHAU Abend für Abend im Ersten Deutschen Fernsehen das deutsche Fernseh-Volk über die wichtigsten Nachrichten des Tages. Rund fünfzehn Minuten lang, scheinbar verlässlich, neutral, seriös. Natürlich ist die Übermittlung von Fußballergebnissen objektiv. Und auch über das Wetter wird so seriös berichtet wie möglich.
Auch Unfälle, Ausstellungen und Trauerfeiern werden mit einer gewissen Neutralität ausgesucht. Doch schon, wenn es darum geht, welche Beerdigung es wie in die Nachrichten schaffen soll, bringt dieser Prozess der auswählenden Gewichtung die Redaktion in den Fahrstuhl der Parteilichkeit: Im Nachruf zum Beispiel auf Muhammed Ali wären zwei erklärende Sätze zu dessen Hinwendung zur »Nation of Islam« ein sinnvoller Beitrag zur deutschen Islam-Debatte gewesen.
Im Westen Deutschlands sind es inzwischen drei Generationen, die sich der täglichen Richtlinienkompetenz des Ensembles von ARD-aktuell – der TAGESSCHAU, den Tagesthemen, dem Nachtmagazin und der TAGESSCHAU24 – relativ freiwillig aussetzen. Die Zuschauer aus dem Osten sind, je nach geografischer Lage, auch seit geraumer Zeit dabei, ganz sicher gehören sie seit 1990 zu jenen, die ihre Informationen aus der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenquelle schöpfen.
Relativ freiwillig: Die TAGESSCHAU gilt als eine Art amtliche Vermittlung von Neuigkeiten. Selbst Gegner dieser Sendung müssen das Format beachten: Nach den jeweiligen 15 Minuten weiß man, was die Regierung über dieses oder jenes Ereignis denkt, weiß man, was die Republik denken soll, und auch, was nicht zu denken gewünscht ist. Denn an manchen Tagen ist es interessanter zu sehen, was die TAGESSCHAU nicht sendet, als jenen Ausschnitt von Nachrichten aufzunehmen, den die Redaktion den Gebührenzahlern zuteilt.
Relativ freiwillig: Von all den Massen-Nachrichten-Produkten auf dem Markt – von der heute-Sendung (ZDF) bis zur täglichen BILD – ist das TAGESSCHAU-Ensemble noch das ansehnlichste: Der Ausschnitt der Nachrichten ist nicht so klein wie bei RTL aktuell oder so offenkundig politisch gefärbt wie bei der FAZ. Wenn man kein Internet-Querlesen veranstalten will, ist die TAGESSCHAU immer noch der schnelle Schluck aus der Nachrichten-Pulle.
Relativ freiwillig: Wer mit seinen Nachbarn und Kollegen über die Lage im Land und der Welt reden will, der verlässt sich auf die TAGESSCHAU als gemeinsame Wissensvermittlerin: Hier ist der Horizont abgesteckt, hier weiß man, was man hat, hier ist die ziemlich kollektive Plattform, aus der eine Mehrheit der Bundesbürger ihre Meinung bezieht. Wer wissen will, wie hoch der TAGESSCHAU-Konformitätsdruck ist, der muss am Morgen nur eine andere Meinung äußern als jene, die gestern Abend als ziemlich endgültige Wahrheit verkündet wurde.
Sie halten sich für klug, die Damen und Herren aus Hamburg-Lokstedt, dort wo der Norddeutsche Rundfunk, der NDR, die TAGESSCHAU für das Erste, das TV-Nachrichten-Progamm der ARD, sampelt. Für klug wie weise, kundig, vernünftig, ganz sicher auch berufen halten sich die Journalisten, manche wohl sogar für begnadet. Und doch sind sie nichts weiter als schlau: So bauernschlau, um den Ansprüchen der Herrschaft so zu genügen, dass ihre Einseitigkeit nicht sofort auffällt. Schlau wie gewieft, um nicht anzuecken und doch auch schon mal eckig auszusehen. Schlau wie ausgefuchst genug, um eine blendende Objektivität zu präsentieren, die eben primär zum Blenden taugt und ansonsten nicht viel.
Vor geraumer Zeit konnten zwei ehemalige NDR-Mitarbeiter, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, die wachsende Schläue der TAGESSCHAU-Redaktion nicht mehr ertragen. Erst begann Bräutigam mit einer Programmbeschwerde: Ziemlich zu Beginn des Ukrainekrieges, im Frühjahr 2014, hatte die TAGESSCHAU tagelang von der Gefangennahme angeblicher »OSZE-Militärbeobachter« berichtet, die aber in Wahrheit – und für seriöse Journalisten auch schnell überprüfbar – eben nicht offiziell von der OSZE in das Krisengebiet gesandt waren. Wer sie mit welchem Auftrag in den beginnenden Krieg geschickt hatte, ein Krieg der mehrmals am Rande eines allgemeinen Ost-West-Krieges entlang schrammte, ist bis heute nicht bekannt. Volker Bräutigam nutzte eine Programmbeschwerde – »ein Rechtsbehelf der Bürger gegen die Verletzung von gesetzlich festgelegten Programmgrundsätzen des Fernsehens« (vgl. wikipedia.org: »Programmbeschwerde«)–, um die TAGESSCHAU in einer internationalen Krisensituation auf eine gefährliche Falschberichterstattung, eine klassische Desinformation hinzuweisen.
So wie der beginnende Ukraine-Krieg der Beginn auch der Programmbeschwerden war, so war er auch eine Vertiefung der Vertrauenskrise zwischen Medien und Konsumenten. Diese kritische Distanz wuchs – auch und gerade zwischen der TAGESSCHAU und ihre Rezipienten – mit der Intensivierung des Syrien-Krieges. Deshalb liegt darauf der Schwerpunkt der Programmbeschwerden in der Berichterstattung von ARD-aktuell. Weitere Themen – von der Rentendebatte über den Clinton-Wahlkampf bis zu den Panama-Papers – weisen die Breite und Tiefe der Nachrichtenmanipulation in der TAGESSCHAU nach.
Die öffentliche Resonanz auf Bräutigams Beschwerde erreichte immerhin die Zeit, die von anonymen »Fernsehzuschauer(n)« schrieb, die Beschwerden wegen »verzerrter Berichterstattung« beim NDR-Rundfunkrat eingereicht hätten. Der Rundfunkrat ist eigentlich ein Gremium, das den Staatsvertragsgrundsatz [1] sichern soll: »den Rundfunkteilnehmern und Rundfunkteilnehmerinnen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben«. Doch der Rat gab und gibt auf Beschwerden lieber vorgestanzte Antworten von entschiedener Belanglosigkeit ab.
Nur wenig später sandte Friedhelm Klinkhammer demselben Rundfunkrat eine Beschwerde, mit der er die Wortwahl der ARD zugunsten des Regimes in Kiew kritisierte: Denn dort wurden Personen, die zeitgleich vom Handelsblatt aus gutem Grund als »Neonazis« klassifiziert wurden, als »regierungstreue Kämpfer« bezeichnet. Eine Wortwahl, die an offener Parteinahme in einem Bürgerkrieg kaum zu überbieten war: Schon das neutrale Wort »Kämpfer« war ein falsches Etikett, auch die Qualifizierung des Kiewer Putsch-Regimes als Regierung war Meinung und nicht Nachricht, und das Adjektiv »treu« gab der Information jenen einseitigen westlichen Drive, den die TAGESSCHAU im Fortgang des Ukraine-Krieges noch verschärfen und in diesem wie auch in anderen internationalen Konflikten beibehalten sollte.
Bräutigam und Klinkhammer haben dann im Dezember 2014 eine erste gemeinsame »Beschwerde wegen Verstoßes gegen §§ 5, 7 und 8 NDR-Staatsvertrag« erhoben, wegen offenkundiger »Nachrichtenunterdrückung«. Es ging um den Prominenten-Appell »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!«. Dieser Appell – bestückt mit Erstunterzeichnern erster Nachrichtenqualität, zu denen ein ehemaliger Bundespräsident, ehemalige Bundestags-VizepräsidentInnen, ein Ex-Bundeskanzler, Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete und viele über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannte Kulturschaffende, Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehörten – schaffte es einfach nicht in die TAGESSCHAU. Übrigens auch nicht in andere wichtige Medien wie ZDF, BILD, FAZ etc.
Inzwischen sind von Klinkhammer und Bräutigam gemeinsam mehr als 200 Programmbeschwerden verfasst worden, die über das Internet in die Öffentlichkeit gelangt sind. Zumeist wurden sie von der Website www.rationalgalerie.de publiziert. Sie sind zum Anlass für dieses Buch geworden. Fast vollständig archiviert finden sich die Beschwerden – mit den Stellungnahmen der Sender – auf der Webseite der Ständigen Publikumskonferenz. (https://publikumskonferenz.de/forum) Sie sind per Suchmaschine mit »Ständige Publikumskonferenz« und einem Stichwort aus dem Beschwerde-Betreff leicht aufrufbar.
Die ARD-Nachrichten sind der Taktgeber für die meisten Medien der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, der kritisiert den Kern des deutschen Journalismus. Auf den folgenden Seiten wird dargelegt, dass die TAGESSCHAU-Maschine weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös ist. Sie ist nur wenig Anderes als eben fünfzehn Minuten Staatsfunk.
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[1] Der Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (kurz: Rundfunkstaatsvertrag oder RStV) ist im Recht der Bundesrepublik Deutschland ein Staatsvertrag zwischen allen 16 deutschen Bundesländern, der bundeseinheitliche Regelungen für das Rundfunkrecht schafft. (wikipedia.org: »Rundfunkstaatsvertrag«)
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Vorwort aus dem Buch "Die Macht um acht. Der Faktor TAGESSCHAU" von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam; PapyRossa Verlag, Köln; ISBN 978-3-89438-633-7.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Buchcover: "Die Macht um Acht. Der Faktor Tagesschau" von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam; PapyRossa Verlag, Köln; ISBN 978-3-89438-633-7.
2. Texttafel: "Für einen Politiker ist es gefährlich, die Wahrheit zu sagen. Die Leute könnten sich dran gewöhnen, die Wahrheit hören zu wollen." Grafik: Wilfried Kahrs / QPRESS.
3. Texttafel: "Die Ukraine und die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg - Imperiale Interessen damals wie heute." Grafik: Wolfgang Blaschka (WOB), München.
4. Texttafel: "Aus Lügen die wir glauben, werden Wahrheiten, mit denen wir leben." Grafik: Wilfried Kahrs / QPRESS.
5. ARD - ERSTES DEUTSCHES WEGSEHEN. ALLGEMEINE PROPAGANDASCHAU. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress.de .
6. Texttafel: "Menschen folgen leider der Mehrheit, nicht der Wahrheit." Grafik: Wilfried Kahrs / QPRESS.
7. Mark Twain: "Es ist leichter die Menschen zu täuschen, als davon zu überzeugen, dass sie getäuscht worden sind." Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de.
8. Buchcover wie Pos. 1.
9. TAGESSCHAU.de - das deutsche Zentralorgan für NATO-Märchen. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress.de .