Schauen Sie mit beiden Augen
Mit der absoluten und der relativen Perspektive.
Mit dem inneren und dem äußeren Bewusstsein.
Von Caitlin Johnstone (Übersetzt von Helmut Schnug)
Vor Jahren sah ich einen Videoclip des Philosophen Kenneth „Ken“ Earl Wilber Jr, auf den ich immer noch von Zeit zu Zeit zurückgreife. Darin wird Wilber über die Misere unserer Welt befragt und darüber, wie die Kämpfe unserer Spezies mit der erleuchteten Perspektive oder dem "großen Geist" zusammenhängen.
Ich bin immer noch nicht sehr vertraut mit Wilbers Arbeit, aber in dem Clip spricht er sehr eloquent die paradoxe Beziehung zwischen
- (A) spiritueller Erleuchtung als Verwirklichung von vollkommenem Frieden und
- (B) dem herzzerreißenden Mitgefühl, das die Erweiterung des Bewusstseins für das Leiden aller Wesen in unserer Welt mit sich bringt. Er tut dies mit einem sehr einfachen Satz: Er sagt, dass das Leiden beim Erwachen "mehr weh tut, aber es stört dich weniger."
Im Wesentlichen sagt er, dass das Erwachen ein Bewusstsein sowohl für die "absolute" Perspektive mit sich bringt, aus der die Welt als eine Illusion ohne ultimative Realität gesehen wird, in der keine Unvollkommenheit existieren kann, als auch für die "relative" Perspektive, in der das Leiden oder Glück anderer für einen selbst von großer Bedeutung ist.
"Ich kenne niemanden, der das einfach aufgelöst hat", sagt Wilber über dieses Paradoxon. "Und ich glaube nicht, dass man das tun sollte. Und ich glaube, dass die Leute, die es tun, nur auf der einen oder anderen Seite dieser Straße spielen. Und wir müssen uns selbst viel Raum geben, um sowohl absolute Vollkommenheit in allem, was entsteht, zu fühlen, als auch eine Person zu sehen, die verhungert, und du wirst so sehr zu weinen beginnen, dass es dich umbringt. Und wenn man nicht beides tut, macht man etwas falsch."
Es scheint mir wahrscheinlich, dass jeder, der sich aufrichtig der Erweiterung seines Bewusstseins sowohl nach innen als auch nach außen verschrieben hat, schließlich mit dieser "tut mehr weh, stört dich weniger"-Perspektive in Resonanz gehen wird. In dem Maße, in dem sich Ihr Bewusstsein für Ihre eigenen inneren Prozesse erweitert, werden Sie von den Wahnvorstellungen befreit, die Sie früher an den Fäden zogen und Sie hinter den Schatten des Unbewussten leiden ließen. Und in dem Maße, in dem sich Ihr Bewusstsein nach außen hin erweitert, werden Sie das tiefe Leid und die Grausamkeit in unserer Welt heulend auf die Knie zwingen.
Deshalb denke ich, dass es für diejenigen, die sich aufrichtig der Wahrheit verschrieben haben, so wichtig ist, an der Erweiterung des Bewusstseins sowohl nach außen als auch nach innen zu arbeiten. Wenn man es nur nach innen erweitert, endet man als masturbierendes, nabelschauendes Glückshäschen, dessen Leben bestenfalls eine Halbwahrheit ist. Wenn man es nur nach außen erweitert, wird man schnell überwältigt und verbittert von dem Elend, das alles mit sich bringt. In den spirituellen Kreisen, in denen ich mich früher bewegte, gehörten die meisten Menschen zum ersteren Lager, und in den politischen Kreisen, in denen ich mich jetzt bewege, gehören die Menschen sehr oft zum letzteren.
Der beste Weg, ein Leben zu führen, das auf Wahrheit beruht, und der beste Weg, der Welt von Nutzen zu sein, besteht darin, das Bewusstsein sowohl nach innen als auch nach außen zu erweitern. Erforschen Sie Ihr eigenes Bewusstsein gründlich. Befreien Sie sich von den falschen Vorstellungen und Annahmen über Ihr Denken, Ihre Wahrnehmung und Ihr Selbst, die Ihr Verhalten bestimmen, und entdecken Sie Ihre wahre Natur. Lernen Sie außerdem alles, was Sie können, darüber, was in der Welt vor sich geht, wie Menschen durch missbräuchliche Systeme unnötigem Leid ausgesetzt sind, wie Macht wirklich strukturiert ist, was die Mechanismen der Fehlfunktionen unserer Zivilisation sind und wo mögliche Lösungen liegen könnten.
Tun Sie diese beiden Dinge.
Wenn Sie beides tun können, wenn Sie wirklich beide Augen öffnen können, dann haben Sie sich selbst zu einer sehr nützlichen Waffe gegen die Maschine gemacht, denn Sie können die ganze Dysfunktion sehen und sie effektiv angreifen, ohne von ihr mitgerissen zu werden. Darauf wollte ich in der Einleitung zu einem Buch hinaus, das ich vor einigen Jahren veröffentlicht habe, ein illustrierter poetischer Leitfaden, um die Erde von den Kräften des Todes und der Zerstörung zurückzuerobern. Es trägt den Titel "WOKE: A Field Guide For Utopia Preppers".
»Dieses Buch ist für diejenigen, die mit beiden Augen sehen. Es ist nicht für die, die nur mit dem rechten Auge schauen, die sich mit tröstlichen Ideen und philosophischen Positionen und spirituellen Konzepten vor dem Schmerz der Welt verstecken, die sich selbstgefällig zurücklehnen und es besser wissen, während die Erde schreit, während Männer in Anzügen mit Kannibalengehirnen die Wälder zupflastern und alles mit Öl überziehen.
Die nur mit dem rechten Auge schauen, haben den Teil in sich abgetötet, der fühlt, der nicht wegschauen kann, der sie angesichts der nassen Schönheit jedes Augenblicks und des Wehklagens der Meeresengel und der Tränen der Eingeborenen zitternd auf die Knie fallen lässt. Sie weichen geschickt den Schlägen aus, die das Leben ihnen an den Kopf wirft, wenn es schreit: "Sieh mich an! Fühle mich! Warum bist du überhaupt hergekommen?" Sie haben die Lebendigkeit ihres Lebens eingetauscht, um die Intensität des Lebens zu vermeiden.
Dieses Buch ist nicht für die, die nur mit dem rechten Auge schauen. Dieses Buch ist für diejenigen, die mit beiden Augen sehen.
Es ist nicht für diejenigen, die nur mit dem linken Auge schauen, die die fliegenden Roboter sehen, die Feuer auf Kinder regnen lassen, die die Schreie der Mutter hören, die sich an blutige Fetzen des Nichts klammert, die das sterbende Keuchen der Traumführer der weißen Hirsche spüren und vor Entsetzen wie gebannt dastehen, bis sie vor lauter Tränen kaum noch sehen können.
Die nur mit dem linken Auge schauen, lehnen sich in jeden Augenblick hinein, aber der Schmerz verzehrt sie, ergreift von ihnen Besitz, kontrolliert sie, wird zu ihnen. Sie bauen einen Tempel der Niedergeschlagenheit und beginnen, fremde Götter anzubeten. Ihre Welt ist grau geworden, und ihre Engel sind eingesperrt. Und sie sagen, dass es keinen Sinn hat, weiterzumachen. "Wir gehen dem Untergang entgegen, und das ist auch gut so, denn wir sind alle aus Gift."
Sie meiden das Leben nicht, und ihr Leiden lässt sie verkümmern.
Dieses Buch ist nicht für diejenigen gedacht, die nur mit dem linken Auge schauen. Dieses Buch ist für diejenigen, die mit beiden Augen sehen. Es ist für diejenigen, die die Bomben und die Bastarde sehen und zitternd dastehen, mit dem Atem der Bestie auf ihrer Haut. Wenn du mit beiden Augen schaust, spürst du alles, aber du fliehst nicht oder erstarrst.
Du kämpfst. Du schwingst dein Schwert mit beiden Händen, Tränen fließen aus beiden Augen. Und wenn sie versuchen, dich zurückzutreiben, stößt du vor.
Dieses Buch ist für diejenigen, die sehen, was passiert, wie stark die Bestie ist, wie durchdringend ihr Griff, wie gnadenlos ihre Mission, und sagen: "Scheiß drauf", und ihr Schwert ziehen.
Für die weinenden Krieger, für die wilden Heiligen, für die blutenden Mütter mit Feuer in den Augen, für die verborgenen Mystiker, deren Gebete die Erde in Schwung halten, für die Buddhas, die ihre Zähne benutzen, wenn ihre Klingen zerbrochen sind, und ihre evolutionären Vorfahren durch sie hindurch heulen lassen, dies ist für euch, meine Lieben.«
Wenn genug von uns lernen, mit beiden Augen zu sehen, mit der absoluten und der relativen Perspektive, mit dem inneren und dem äußeren Bewusstsein, werden die Bastarde keine Chance haben. Es wird nichts geben, was sie tun können, um das Ende ihrer Herrschaft zu verhindern oder die Schaffung einer gesunden Welt zu vereiteln.
Caitlin Johnstone
____________
Caitlin Johnstone, eine von Lesern unterstützte unabhängige Journalistin aus Melbourne / Australien, ist Anarcho-Psychonautin, Guerilla-Poetin, Utopie-Prepperin und Mutter zweier Kinder. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft, Medien, Feminismus und die Natur des Bewusstseins. Ihre Artikel wurden unter anderem in Inquisitr, Zero Hedge, New York Observer, MintPress News, The Real News und International Policy Digest veröffentlicht. Für weitere Informationen darüber, wer Caitlin Johnstone ist, wofür sie steht und was sie mit dieser Plattform erreichen will, kann man HIER nachlesen. Alle Werke wurden gemeinsam mit ihrem Mann (Seelenverwandten) Timothy P. Foley (Amerikaner) verfasst.
Den Artikel gibt es in englischer Sprache auch als Hörbeitrag auf Youtube, gelesen von Tim Foley >> weiter.
► Quelle: Der Artikel von Caitlin Johnstone wurde am 08. Mai 2023 in englischer Sprache erstveröffentlicht auf caitlinjohnstone.com >> Artikel. Er wurde von Helmut Schnug übersetzt. Jeder, rassistische Plattformen ausgenommen, hat die Erlaubnis von Caitlin Johnstone, Teile dieses Werks (oder alles andere, was sie geschrieben hat) auf jede beliebige Art und Weise kostenlos zu veröffentlichen, zu verwenden oder zu übersetzen. Sie schreibt:
»Ich gebe permanent alle Urheberrechte an meinen Texten frei. Verwenden Sie es, wie Sie wollen. [..] Meine Arbeit gehört allen, und wenn Sie etwas sehen, das Sie veröffentlichen möchten, ermutige ich Sie, es zu verwenden. Sie brauchen mich weder vorher noch nachher zu kontaktieren. [..]
Ich versuche, gesunde Ideen in einer ungesunden Welt zu verbreiten, aber meine eigene Reichweite und Zeit sind begrenzt. Ich möchte in einer gesunden Welt leben, und wenn Sie helfen, gesunde Ideen zu verbreiten, helfen Sie mir. Ich werde ausschließlich durch freiwillige Spenden von Lesern unterstützt, so dass ich nicht auf Urheberrechte angewiesen bin, um meine Rechnungen zu bezahlen. Ich habe mich entschieden, die Freiheit, die mir das gibt, zu nutzen, indem ich jedem erlaube, meine Worte zu verwenden, der das möchte.
[..] In diesem Sinne übergebe ich hiermit alle Urheberrechte an meinen Texten an alle Menschen auf der Welt. Dazu gehören Tweets, Blogs, Gedichte, digital oder gedruckt, vergangene oder zukünftige Texte, die jeder verwenden kann, wie er will. Ihr könnt sie auf Autoaufkleber, Kaffeebecher oder T-Shirts drucken, sie in Broschüren oder Bücher verwandeln, um sie kostenlos oder für euren eigenen Profit zu verteilen, oder alles dazwischen. Es steht Ihnen frei, mich als Urheber zu nennen oder nicht, oder selbst die Urheberschaft zu beanspruchen.«
ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Schauen Sie mit beiden Augen: Mit der absoluten und der relativen Perspektive. Mit dem inneren und dem äußeren Bewusstsein. Foto: kalhh (user_id:86169). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
2. In dem Maße, in dem sich Ihr Bewusstsein für Ihre eigenen inneren Prozesse erweitert, werden Sie von den Wahnvorstellungen befreit, die Sie früher an den Fäden zogen und Sie hinter den Schatten des Unbewussten leiden ließen. Und in dem Maße, in dem sich Ihr Bewusstsein nach außen hin erweitert, werden Sie das tiefe Leid und die Grausamkeit in unserer Welt heulend auf die Knie zwingen. Foto: geralt / Gerd Altmann, Freiburg (user_id:9301). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
3. Rechtes Auge: Die nur mit dem rechten Auge schauen, haben den Teil in sich abgetötet, der fühlt, der nicht wegschauen kann, der sie angesichts der nassen Schönheit jedes Augenblicks und des Wehklagens der Meeresengel und der Tränen der Eingeborenen zitternd auf die Knie fallen lässt. Foto: BlenderTimer / Daniel Roberts, Idaho/United States (user_id:9538909) - photographer, videographer, digital artist, and programmer. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
4. Linkes Auge in kleiner Tasche: Die nur mit dem linken Auge schauen, lehnen sich in jeden Augenblick hinein, aber der Schmerz verzehrt sie, ergreift von ihnen Besitz, kontrolliert sie, wird zu ihnen. Sie bauen einen Tempel der Niedergeschlagenheit und beginnen, fremde Götter anzubeten. Ihre Welt ist grau geworden, und ihre Engel sind eingesperrt. Und sie sagen, dass es keinen Sinn hat, weiterzumachen. Foto: JaymzArt / Português (user_id:6841189). >> Foto.
5. Augenmosaik. Illustration: geralt / Gerd Altmann, Freiburg (user_id:9301). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
6. TIME FOR CHANGE: »Können wir etwas bewirken? Vielleicht. Manchmal. Nicht viel. Aber eines weiß ich: Wir sollten nie aufhören es zu versuchen. Und wir sollten uns darüber im Klaren sein, daß jede Kleinigkeit zählt. - Die destruktivste Kritik ist die Gleichgültigkeit.« - »Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.« Foto OHNE Inlet: Alexas_Fotos / Alexa. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto. Der Text wurde von Helmut Schnug in das Foto eingearbeitet, die Lizenz bleibt erhalten.