SPD-Vorsitzende Andrea Nahles tritt zurück
Partei hat seit 1987 15 Parteivorsitzende verschlissen
Von Peter Schwarz
Andrea Nahles hat am Sonntag ihren Rücktritt vom Partei- und Fraktionsvorsitz der SPD erklärt. Sie reagierte damit auf das verheerende Ergebnis der SPD bei der Europawahl und der Bremenwahl vom 26. Mai.
„Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“, begründete Nahles ihren Schritt in einer schriftlichen Erklärung. In den Tagen davor hatte es innerhalb der SPD heftige Kritik an ihr gegeben. Die 48-Jährige will sich vollständig aus der Politik zurückziehen und in absehbarer Zeit auch ihr Bundestagsmandat niederlegen.
Politiker quer durch das politische Spektrum drückten Nahles ihre Wertschätzung und ihr Beileid aus. „Hochachtung vor Andrea Nahles. So brutal darf Politik nicht sein“, erklärte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Juso-Chef Kevin Kühnert, der als innerparteilicher Gegner von Nahles gilt, twitterte, man dürfe „nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben. Ich schäme mich dafür.“
Der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, lobte Nahles als „ehrliche und kompetente“ Politikerin und mahnte, der Umgang mit ihr solle „alle in Politik und Medien“ zum Nachdenken bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte sie einen „feinen Charakter“. Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck bekundeten ihren Respekt für Nahles „klare Entscheidung“ und erklärten: „Wir hoffen, dass die SPD rasch ihre Personalfragen klärt und sich dann mit neuer Kraft auf ihre Aufgaben konzentrieren kann.“
Die Krise an der Spitze der SPD ist eine weitere Stufe des Niedergangs einer Partei, die seit 1987 15 Parteivorsitzende verschlissen hat. In den 41 Jahren davor hatte sie nur drei Vorsitzende gehabt.
Wie bei früheren Führungswechseln in der SPD sind die Medien voll mit Spekulationen über die Ursachen. Die SPD habe ihre „Erfolge“ in der Großen Koalition nicht richtig kommuniziert; sie sei zu sehr mit sich selbst als mit der Zukunft beschäftigt – so oder ähnlich lauten fast alle Kommentare.
Das alles ist, gelinde gesagt, Unsinn. Die Gründe für die Krise und den Niedergang der SPD liegen klar auf der Hand – und daran werden noch so viele Personalwechsel und Bemühungen, sich neu darzustellen, nichts ändern. Seit die Sozialdemokraten 1998, nach 16 Jahren in der Opposition, in die Bundesregierung zurückkehrten, spielen sie die führende Rolle bei der Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben, bei der Aufrüstung des Staatsapparats und bei der Rückkehr des deutschen Militarismus.
Die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der die Bundesregierung von 1998 bis 2005 führte, hat Millionen zu prekärer Arbeit und niedrigen Renten verurteilt, während die Steuern für Unternehmen und Reiche drastisch sanken. Das unterste Zehntel der Bevölkerung verdient heute zehn Prozent weniger als 1990, zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung, das reichste Zehntel dagegen 35 Prozent mehr. Dieses Auseinanderdriften fand zum größten Teil in den sieben Jahren der Regierung Schröder statt.
Seither hat die SPD dieselbe Politik als Juniorpartner der CDU/CSU in der Großen Koalition vorangetrieben. Angela Nahles spielte dabei als Bundesarbeitsministerin von 2013 bis 1917 eine führende Rolle. der gesetzliche Mindestlohn, den sie einführte und als großen Erfolg feierte, ist derart niedrig, dass er die Löhne nach unten nivelliert.
Im April 2018 löste sie Martin Schulz an der Spitze der SPD ab, der nur ein Jahr vorher als angeblicher Retter der Partei zum Vorsitzenden gewählt worden war. Gegen erheblichen Widerstand aus den eigenen Reihen setzte sie eine Neuauflage der Großen Koalition auf der Grundlage eines ultrarechten Programms durch, in dessen Zentrum die Aufrüstung der Bundeswehr, ein strikter Sparkurs und die Übernahme der Flüchtlingspolitik der AfD stehen.
Als Folge dieser Politik haben sich große Teile der Arbeiterklasse, die früher die wichtigste Wählerbasis der SPD bildeten, von ihr abgewandt. Städtische Mittelschichten, die einst ebenfalls die SPD unterstützten, haben sich den Grünen zugewandt, während sich unter Jugendlichen kaum mehr jemand für die SPD interessiert.
Die Wahlergebnisse der SPD legen ein beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung ab. Hatte sie 1998, als sie in die Regierung zurückkehrte, noch 40,9 Prozent erhalten, waren es 2005, am Ende der Regierung Schröder, nur noch 34,2 Prozent. Bei der Bundeswahl 2017 wählten nur noch 20,5 Prozent die SPD. Und bei der Europawahl vor einer Woche erzielte sie mit 15,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer nationalen Wahl. Im Stadtstaat Bremen, den sie seit Kriegsende ununterbrochen regiert, verlor sie ihre Stellung als stärkste Partei erstmals an die CDU.
Die arbeiterfeindliche Politik der SPD ist nicht das Ergebnis persönlicher Fehler oder taktischer Fehlkalkulationen. Sie ergibt sich unausweichlich aus dem sozialen und politischen Charakter dieser Partei, die sich auf privilegierte Teile der Mittelklasse sowie Staats- und Gewerkschaftfunktionäre stützt und uneingeschränkt die Interessen der deutschen Wirtschaft verteidigt – gegen ihre internationalen Rivalen wie gegen die Arbeiterklasse. Ihre Rechtsentwicklung und ihr Niedergang werden weitergehen – ganz unabhängig davon, wer Nahles ablöst.
Welche Auswirkungen Nahles Rücktritt auf die Große Koalition haben wird, ist offen. Ihr Vorgänger als SPD-Fraktionschef, Thomas Oppermann, deutete an, dass sich die SPD aus der Regierung zurückziehen könnte. „Wir stehen vor der Frage: Gibt es die GroKo Weihnachten noch?“, sagte er.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt appellierten an die SPD, in der Koalition zu bleiben. „Ich gehe davon aus, dass die SPD die jetzt anstehenden Personalentscheidungen zügig trifft und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition nicht beeinträchtigt wird“, sagte Kramp-Karrenbauer. Für die CDU gelte: „Wir stehen weiter zur großen Koalition.“
Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) forderte die SPD indirekt auf, an der Großen Koalition festzuhalten. „Häme ist wirklich nicht angebracht, aber Sorge“, kommentierte er Nahles Rücktritt auf Twitter. „Was passiert wenn das Parteiensystem endgültig ins Rutschen kommt, kann man in Italien besichtigen. Ein Komiker verhilft mit fünf Sternen dem Neofaschismus in den Sattel und hält dazu denen die Steigbügel. Nein Danke!“
Die Grünen, die derzeit in Umfragen weit vor der SPD liegen, deuteten an, dass sie für eine Regierungsbeteiligung nach dem Rückzug der SPD nicht zur Verfügung stehen und Neuwahlen bevorzugen. Daran haben aber weder die SPD noch die CDU/CSU ein Interesse, die mit massiven Verlusten rechnen müssten.
Auch Vertreter der Wirtschaft warnten vor Neuwahlen oder einem vorzeitigen Ende der Großen Koalition. So mahnte Mittelstandspräsident Mario Ohoven: „Angesichts des einsetzenden Abschwungs in Deutschland und weltweiter Krisen braucht der Mittelstand Planungssicherheit und Stabilität.“ Neuwahlen und eine schwierige Regierungsbildung würden „für Verunsicherung der Wirtschaft im In- und Ausland sorgen. Einen monatelangen Regierungsstillstand kann sich Deutschland nicht mehr leisten.“
Vieles deutet also darauf hin, dass die Große Koalition auch ohne Nahles im Amt bleibt und ihre rechte, arbeiterfeindliche und militaristische Politik fortsetzt, obwohl ihre Unterstützung bei den Wählern in raschem Tempo kollabiert.
Peter Schwarz
► Quelle: WSWS.org > WSWS.org/de > Erstveröffentlichung des Artikels vom 3. Juni 2019. Dank an Redakteur Ludwig Niethammer für die Freigabe zur Veröffentlichung. Achtung: Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..
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1. Andrea Nahles (SPD) hat am 10. Februar 2019 das so genannte „Sozialstaatskonzept“ ihrer Partei vorgestellt und verkündete dabei: „Wir lassen Hartz IV hinter uns.“ Määäääh . . . Ihr glaubt auch alles was Euch die SPD vorsetzt. Tatsächlich ist das SPD-Konzept ein zusammengerührtes Gericht aus Etikettenschwindel, falschen Versprechungen und neuen sozialen Angriffen, angerichtet in einer klebrigen Soße aus hohlen Phrasen über „Solidarität“, „Menschlichkeit“ und „Chancen“, die selbst im stärksten Magen Brechreiz verursacht.
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3. Martin Schulz als Wackeldackel. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa) >> QPRESS.de .
4. EINEN GUTEN RUTSCH WÜNSCHEN WIR DER SPD: 10-9-8-7-6-5-4-3- Quelle: FB-Seite von Andreas Schlegel. Verbreitung mit CC-Lizenz Öffentliche Domäne - Public Domain Dedication - CC0 1.0 Universell (CC0 1.0). Kein Urheberrechtsschutz!
5. Das neue LOGO der SPD: TSCHÜSS SPD! SPD im freien Fall dank massivem Glaubwürdigskeitsverlust in der Sozial- und Außenpolitik. Grafik: Elias Schwerdtfeger. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Öffentliche Domäne - Public Domain Dedication - CC0 1.0 Universell (CC0 1.0). Kein Urheberrechtsschutz!
6. SPD . . schafft sich ab. Eintritt zum Ausstieg - der unschöne Tod der SPD. Komm doch zur Beerdigung der SPD, nirgendwo schmeckt der Zer-Streuselkuchen besser. Bildidee: Helmut Schnug, Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).
7. Ausgeglüht wird sie schwarz sein, die SPD. Das sagt uns dann auch schon alles über die Zukunft der SPD. Derzeit sind die falschen Schmiede, die Funktionäre, noch wie die Irren am Hämmern, um ihr eigenes Wohl zu retten. Noch glüht die SPD unten drunter. Wenn die Glut erst einmal erkaltet ist, sieht sie schwarz aus wie die Nacht. Das entspricht dem Wesen von CDU/CSU. Bildbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).