«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Demonstration in Bremen fordert Freilassung von Yüksel Koç
In Bremen haben Kurd:innen und Internationalist:innen gegen die Festnahme und Inhaftierung des ehemaligen Ko-Vorsitzenden des kurdischen Europadachverbands KCDK-E, Yüksel Koç, protestiert. Unter dem Motto „Freiheit für Yüksel Koç“ forderten sie seine sofortige Freilassung.
Die Demonstrierenden richteten ihren Appell direkt an die Bundesregierung: Statt Friedensaktivist:innen zu inhaftieren, solle Deutschland einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung von Friedens- und Demokratisierungsprozessen in der Türkei und einer politischen Lösung der kurdischen Frage leisten.
In den Redebeiträgen wurde betont, dass Koç sich über Jahre hinweg auf verschiedenen Ebenen für die Rechte und die Freiheit der kurdischen Bevölkerung eingesetzt habe. Die Verhaftung eines solchen Akteurs ausgerechnet in einer Phase, in der im Zuge des Friedensaufrufs Abdullah Öcalans über Dialog und friedliche Lösungen diskutiert werde, sei ein bezeichnendes Signal, hieß es weiter.
Yüksel Koç war am 20. Mai in Bremen vom Bundeskriminalamt festgenommen worden. Gleichzeitig fand eine Durchsuchung seiner Wohnung statt. Grundlage ist ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof. Der 61-Jährige befindet sich derzeit wegen des vermeintlichen Verdachts der Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der JVA Bremen in Untersuchungshaft. Wann Anklage gegen ihn erhoben wird, ist unklar.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/protest-in-zurich-gegen-verhaftung-von-yuksel-koc-46509 https://anfdeutsch.com/aktuelles/azadi-e-v-verurteilt-verhaftung-von-koc-46387 https://anfdeutsch.com/aktuelles/tsp-fordert-freilassung-von-yuksel-koc-46438 https://anfdeutsch.com/aktuelles/schweizer-politikerin-fordert-freilassung-von-koc-46434
Dreier-Treffen zur Umsetzung des 10.-März-Abkommens in Syrien
Vertreter:innen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) sowie des Demokratischen Syrienrats (MSD) haben sich zu einem hochrangigen Treffen versammelt, um die Umsetzung des am 10. März mit der syrischen Zentralregierung in Damaskus unterzeichneten Abkommens zu erörtern. Im Fokus standen zudem eine mögliche gemeinsame Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sowie die Vorbereitung einer nationalen Konferenz.
An dem Treffen nahmen unter anderem der QSD-Oberkommandierende Mazlum Abdi, Rohilat Efrîn von der Generalkommandantur der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), sowie Leitungsmitglieder der Exekutivräte der DAANES und des MSD teil.
Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Umsetzung der zwischen Abdi und dem syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa am 10. März getroffenen Vereinbarungen. Die Zusammenkunft fiel mit der Aufnahme erster Verhandlungen Nord- und Ostsyriens mit Damaskus über die praktische Umsetzung des Abkommens zusammen. Aktuell hält sich eine Delegation aus der DAANES in der syrischen Hauptstadt auf.
Ein weiterer Schwerpunkt des Treffens war die Bekämpfung des IS. Diskutiert wurden Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem syrischen Verteidigungsministerium. Zur Sprache kamen zudem die humanitäre und sicherheitspolitische Situation in den Lagern und Gefängnissen, in denen Zehntausende IS-Mitglieder und ihre Familienangehörigen untergebracht sind.
Positiv aufgenommen wurde der kürzlich bekannt gewordene Beschluss der USA und der Europäischen Union, die Sanktionen gegen Syrien teilweise aufzuheben. Dies, so die Teilnehmenden, sei ein wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Erholung und zum Wiederaufbau des Landes. Die Maßnahme könne zur Rückkehr von Geflüchteten und Vertriebenen in ihre Heimatregionen beitragen und langfristig zu mehr Stabilität führen.
Abschließend wurde beschlossen, mit den Vorbereitungen für eine umfassende nationale Konferenz zu beginnen, die alle gesellschaftlichen Gruppen Nord- und Ostsyriens einbeziehen und sich mit den weiteren Schritten zur Umsetzung des 10.-März-Abkommens befassen soll.
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/verhandlungskomitee-der-daanes-in-damaskus-46506 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/mazlum-abdi-und-al-scharaa-unterzeichnen-abkommen-45546 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/qsd-bilden-verhandlungskomitee-fur-gesprache-mit-damaskus-45911
Berlin: Kiezrundgang zum Gedenken an Amara und Nûdem
In Erinnerung an die am 31. Mai 2005 bei einem Autounfall in Südkurdistan ums Leben gekommenen Internationalistinnen Ekin Ceren Doğruak, bekannt als Amara, und Uta Schneiderbanger, genannt Nûdem, fand am Samstag ein Gedenkspaziergang durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg statt. Organisiert von Weggefährt:innen und Freund:innen aus der autonomen Vernetzung führte der Kiezrundgang entlang prägender Stationen im Leben und Wirken von Schneiderbanger.
Zum Auftakt des Rundgangs wurde ein Brief der kurdischen Frauenpartei PAJK aus dem Jahr 2005 verlesen, in dem Doğruak gedacht wurde. Im Anschluss erinnerten Teilnehmende an Schneiderbangers Kindheit und Jugend, bevor zentrale Etappen ihres politischen Engagements aufgesucht und reflektiert wurden.
Die Route begann an der von der FrauenLesben Großgruppe besetzten Ladenetage und führte vorbei am FrauenEigenerBetrieb (FEB) zu zwei früheren Wohnadressen von Schneiderbanger. Ihre Wohnungen, so berichteten Weggefährt:innen, seien stets Orte der Begegnung, Ankünfte und Verabschiedungen gewesen – geprägt von Offenheit und Solidarität.
Stationen wie das internationale Frauenplenum (iPlenum), die Besetzung der Mainzer Straße sowie die erste bekannte Berliner Adresse des kurdischen Komel in der Kottbusser Straße rückten insbesondere die Jahre 2003 und 2005 in den Fokus. Dort wurden politische Entwicklungen und persönliche Erinnerungen vertieft.
Unter den Teilnehmenden waren auch zwei Genossinnen von Schneiderbanger, die von ihren Erfahrungen im „Halk Evi“ (Volkshaus) und in der Antifa Gençlik (Antifa Jugend) berichteten. Sie zeichneten ein eindrückliches Bild der Lage politischer Exilierter aus der Türkei nach dem Militärputsch von 1980 und gaben Einblick in den selbstorganisierten antifaschistischen Widerstand jener Jahre – auch im Spannungsfeld mit etablierten Strukturen der deutschen Linken.
Ein weiterer Halt war das „Heilehaus“, wo Schneiderbanger als Teil eines alternativen Sanitätskollektivs aktiv war und sich für kostenlose gesundheitliche Versorgung engagierte. Am Oranienplatz wurde an die „13 Uhr O-Platz“-Demonstrationen zum 1. Mai erinnert. Zugleich stand der Platz als Symbol für das Berliner Refugee Movement und als Gedenkort für Opfer rassistischer Polizeigewalt im Mittelpunkt.
Der Rundgang endete am Gedenkort für die Internationalistin Sarah Handelmann (Sara Dorşin) – und inzwischen auch für Ivana Hoffmann –, wo in einer stillen Gedenkminute an sie und weitere gefallene Weggefährt:innen erinnert wurde.
https://anfdeutsch.com/frauen/wir-haben-nach-losungswegen-fur-eine-neue-zeit-gesucht-46500
Die demokratische Gesellschaft als Weg für eine friedliche Lösung des „Gordischen Knotens“
„Wenn es nötig ist, wenn ihre Existenz auf dem Spiel steht, wenn sie mit dem Verlust ihrer Freiheit und ihrer Würde konfrontiert sind, ist es für die Völker unvermeidlich, Widerstand zu leisten. Keine andere Methode als der Widerstand kann zur Bewahrung ihrer Existenz, ihrer Freiheit und ihrer Würde führen. Der Widerstand in Kurdistan war eine Methode der Verteidigung der Existenz noch vor der Freiheit und der Befreiung.“ ¹
Welche Art von Unterdrückung, Assimilation, Vernichtung und Verleugnung ist notwendig, um einen Menschen oder eine kollektive Gesellschaft an den Punkt zu bringen, ihre eigene Existenz zu verleugnen? Denken Sie darüber nach, was einer Gesellschaft wie der kurdischen angetan wurde, um sie dazu zu bringen, sich für ihre eigene Identität zu schämen und diese sogar zu fürchten. Ich verlange kein Mitgefühl, ich möchte nur, dass Sie einen Moment darüber nachdenken. Das Leben im historisch als Kurdistan bezeichneten und mehrheitlich von Kurd:innen bewohnten Gebiet, insbesondere das innerhalb der Grenzen der 1923 gegründeten Republik Türkei, ist einer monistischen Staatsdoktrin (verankert in der Verfassung) unterworfen, die alles vom Türkentum Abweichende verleugnet. Es ist selbstverständlich, dass ein gesellschaftliches Kollektiv, in diesem Fall die kurdische Gesellschaft, eine solche Situation nicht einfach hinnehmen und ertragen kann.
Widerstandskampf für ein menschenwürdiges Leben
So begann Abdullah Öcalan in den 1970er Jahren seinen legitimen Kampf für eine Veränderung dieses historischen Unrechts und gegen die Tyrannei. Die Legitimität dieser Bemühungen ist auch in der Präambel der UN-Menschenrechtscharta verbrieft, wo explizit von einem Recht auf Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als Ultima Ratio die Rede ist. Mit der Gründung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) am 27. November 1978 begann der Kampf zur Überwindung der Vernichtung und Verleugnung des kurdischen Volkes. Wenig später, im Jahr 1984, begann ein Guerillakrieg, der von Millionen Kurd:innen unterstützt wurde. Unzählige Menschen erkannten darin eine Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse. Aller Schwierigkeiten und der Vernichtungskriegsführung der zweitgrößten NATO-Armee zum Trotz, wird dieser Kampf seit 47 Jahren ungebrochen fortgesetzt. Das kurdische Volk führt seither einen gerechten Widerstandskampf für ein menschenwürdiges Leben. Zehntausende haben ihr Leben für diese Ideale geopfert. Niemand hat das Recht, die Kurd:innen für ihren Kampf zu beschuldigen oder von ihnen Reue zu verlangen. Im Gegenteil, der türkische Staat muss sich mit seiner Vergangenheit der Verfolgung und Unterdrückung auseinandersetzen und sich beim kurdischen Volk entschuldigen. Dies ist allerdings ein wichtiger Schritt, der unternommen werden sollte, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind.
Auf der Suche nach einer Lösung
In einem historischen Aufruf ² appellierte Abdullah Öcalan, der PKK-Vorsitzende und ohne Zweifel politisch bedeutendste Gefangene, am 27. Februar 2025 an die PKK, die Waffen niederzulegen, sich zu einem Kongress zu versammeln und die Selbstauflösung zu beschließen. Dieser Aufruf schlug hohe Wellen und führte zu intensiven Diskussionen in der Türkei und weltweit.
Öcalans Aufruf vom 27. Februar ist das Ergebnis monatelanger Vermittlungen, mehrerer Treffen mit Öcalan sowie von Briefen und Gesprächen, die eine Delegation der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM-Partei) mit verschiedenen politischen Akteuren des Konflikts führte.
Obwohl die Niederlegung der Waffen von der türkischen Regierung unter R. T. Erdoğan zur Bedingung gemacht wurde, hat die Suche nach einer Lösung des von Abdullah Öcalan als „gordischen Knoten“ bezeichneten Problems eine lange Vorgeschichte. Die Gründung der PKK 1978 und die Aufnahme des bewaffneten Kampfes 1984 sind keine Ursache, sondern eine Folge der Verleugnungs- und Assimilationspolitik des türkischen Staates.
Es wird allgemeinhin akzeptiert, dass diese Politik der Grund für enorme Unterstützung der kurdischen Gesellschaft für den Widerstand der PKK ist. Die Jahre, in denen die PKK entstand, fielen in eine Zeit zahlreicher nationaler Befreiungskämpfe weltweit. Sie entwickelte sich mit einem sozialistischen Parteiprogramm und wurde von den nationalen Befreiungskämpfen dieser Zeit beeinflusst. Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker setzte sie sich das Ziel der Errichtung eines Nationalstaates. In seinem jüngsten Aufruf erklärte Öcalan, dass diese Zielsetzung auch stark vom damals weltpolitisch sehr präsenten Realsozialismus beeinflusst war. Doch der 1984 beginnende bewaffnete Kampf gewann entscheidend an Einfluss, als der Realsozialismus zusammenbrach. Die PKK wurde jedoch durch das Ende des Realsozialismus nicht geschwächt, sondern behielt ihre gesellschaftliche Basis und Zustimmung. Sie konnte diese sogar noch ausweiten, indem sie aufgrund ihrer Kritik am staatlichen Realsozialismus den Weg zu einem stärker gesellschaftsorientierten demokratischen Sozialismus in den Mittelpunkt ihres Kampfes stellte.
Die 1990er Jahre
Mit dem ersten Waffenstillstand im Jahr 1993 suchten Öcalan und die PKK (über verschiedene Vermittler) eine politische Lösung mit dem ebenfalls um eine Lösung bemühten türkischen Präsidenten Turgut Özal. Dieser starb jedoch unter verdächtigen Umständen genau an dem Tag, an dem er auf den Waffenstillstand reagieren wollte. Die Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine Lösung wurden offensichtlich sabotiert. In diesem Vakuum wurde der Konflikt von den politischen Verantwortungsträgern der Türkei erneut auf die militärische Ebene verlagert. Die Entwicklungen der darauffolgenden Jahre richteten viel Zerstörung an und wurden als „schmutziger Krieg“ bezeichnet. Die Türkei wurde von der Militärpolitik vereinnahmt und die türkische Gesellschaft mithilfe der sogenannten „Sicherheitspolitik“ eingeschüchtert. Um der PKK den gesellschaftlichen Rückhalt zu entziehen, wurden in den 90er Jahren mehr als 4.000 kurdische Dörfer vom türkischen Militär zerstört. Tausende „unaufgeklärte“ (türkisch: faili meçul) Morde wurden verübt, Millionen Kurd:innen durch systematische ethnische Säuberungen nach Europa und in die Metropolen der Türkei vertrieben. Unzählige Massaker, Vergewaltigungen, Folterungen und Verhaftungen sind in den Dokumenten von Menschenrechtsorganisationen, u.a. der IHD, nachzulesen. Die Auseinandersetzung der türkischen Gesellschaft mit den Folgen dieses schmutzigen Krieges, der in ihrem Namen geführt wurde, ist einer der notwendigen Schritte auf dem Weg zu einer politischen Lösung. Denn diese erniedrigenden und unmenschlichen Praktiken gegen die Kurd:innen wurden von den militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräften des Staates unter dem weitgehenden Schweigen der türkischen Gesellschaft durchgeführt. Die kurdische Frage wurde jedoch nicht gelöst. Der NATO-Mitgliedsstaat Türkei und sein Militärapparat konnten mit internationaler NATO-Unterstützung die Oberhand gewinnen. Dazu wurden alle möglichen Zugeständnisse politischer, wirtschaftlicher und geostrategischer Natur gemacht. Im Gegenzug wurde der Widerstandskampf der PKK in vielen Ländern kriminalisiert und durch die Listung als terroristische Organisation (zuerst in den USA und ab 2002 in der EU) verteufelt. Die internationale Gemeinschaft betrachtete die PKK allein durch die Brille des türkischen Nationalismus. Die Wahrheit wurde durch systematische Hetze und Antipropaganda in Medien und Politik bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, Opfer wurden zu Tätern gemacht und Täter zu Opfern. Dennoch hielt Öcalan an seiner Suche nach Ansprechpartnern in der türkischen Politik fest. Er versuchte mit großer Ausdauer das Problem mit politischen und friedlichen Mitteln zu lösen. Als dies nicht gelang, bemühte er sich sogar, die Angelegenheit auf die internationale Bühne zu bringen. Bevor er am 15. Februar 1999 im Rahmen eines internationalen Komplotts von NATO-Mitgliedern und Ländern wie den USA, Israel, Griechenland, Kenia, der Türkei und deren Geheimdiensten in Kenia in die Türkei verschleppt wurde, hielt er sich auf der Suche nach internationaler Unterstützung für eine politische Lösung monatelang in Italien, also in Europa auf.
Demokratischer Konföderalismus als Lösungsansatz
Wer glaubte, die PKK und Öcalan würden durch das Komplott seiner Verschleppung und durch seine Isolation auf der Gefängnisinsel İmralı geschwächt, hat sich getäuscht. Im Gegenteil, die PKK als Vorreiterin des Befreiungskampfes in Kurdistan hat auf der Grundlage der von Öcalan geschaffenen ideologischen, theoretischen und politischen Basis, die auch in Öcalans Gefängnisschriften nachzulesen ist, an Einfluss und Überzeugungskraft gewonnen.
Mit der Kritik an der zerstörerischen kapitalistischen Moderne entwickelte Öcalan auch einen Gegenentwurf, die aufbauende demokratische Moderne. Mit dem Projekt des demokratischen Konföderalismus (auf der Basis des demokratischen Sozialismus) zeigte er Perspektiven und Lösungsansätze für die Schaffung einer demokratischen, ökologischen und auf die Freiheit der Frau ausgerichteten Gesellschaft auf. Die kurdische Frauenbewegung spielt überall dort, wo sie organisiert ist, eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung des demokratischen Konföderalismus. Öcalans Formel „Jin, Jiyan, Azadî“, die sich durch alle seine Verteidigungsschriften zieht, steht nicht nur für Widerstand, sondern auch für den Willen, die Kraft und die Organisation zum Aufbau eines neuen demokratischen Systems jenseits des Patriarchats unter der Führung von Frauen. Mitte September 2022 begannen kurdische Frauen, denen sich später zehntausende Frauen im Iran anschlossen, eine Protestbewegung, die weltweit Aufsehen erregte. Auch die multiethnische und multireligiöse Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) orientiert sich an den Ideen und dem theoretischen Rahmen Öcalans.
Damit beeinflusst er bis heute nicht nur Millionen Kurd:innen und zahlreiche politische Parteien und Bewegungen in der Türkei, Syrien, Irak und Iran, sondern bietet auch demokratische Lösungsansätze für den gesamten konfliktreichen Mittleren Osten und darüber hinaus – überall dort, wo Unterdrückung herrscht. Denn die Geschichte zeigt, dass die Gleichsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker mit der Gründung eines neuen Nationalstaates nicht zu einer Lösung führt, sondern zu den bestehenden Problemen nur ein weiteres hinzufügt. Die aktuellen Konflikte, die als Teil des heute stattfindenden Dritten Weltkriegs zu sehen sind, brauchen nicht noch mehr Waffen und Gewalt, sondern Dialog als Basis für den Raum der demokratischen Politik. Die Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Demokratie erfordert in Kurdistan wie auch in anderen Regionen keine neuen Grenzen, sondern die Aufweichung und Überwindung eben dieser. Nicht der Staat soll, wie es in der Türkei und vielen anderen zentralistischen Nationalstaaten der Fall ist, die Gesellschaft dominieren und kontrollieren, sondern umgekehrt: Wenn die Gesellschaft ein demokratisches Bewusstsein und demokratische Strukturen entwickelt, kann sie auch den Staat demokratisch kontrollieren. Deshalb ist eine demokratische und friedliche Entwicklung auch eine Chance für die türkische Gesellschaft, ihren Staat durch Demokratisierung und demokratische Strukturen zu kontrollieren. Daher könnte Öcalans Kompromissformel „Demokratie plus Staat als allgemeine öffentliche Autorität“ in Zukunft als Grundlage dafür dienen, dass Kurd:innen und Türk:innen ihr Leben ohne gegenseitige Ausgrenzung im selben Gebiet leben können.
Friedensaufruf Öcalans als Ausdruck der Suche nach einer demokratischen Lösung
Vor diesem Hintergrund ist der Aufruf vom 27. Februar keine Überraschung, sondern Ausdruck einer jahrzehntelangen Suche nach einer demokratischen Lösung. Öcalan schreibt in der Erklärung weiter: „Die PKK, die längste und umfangreichste Aufstandsbewegung und bewaffnete Bewegung in der Geschichte der Republik, fand eine soziale Basis und Unterstützung und wurde in erster Linie durch die Tatsache inspiriert, dass die Kanäle der demokratischen Politik verschlossen waren.“ Und wenn nach Jahren des Widerstands, heute die PKK und ihre Waffen ein Hindernis dafür sind, „die Kanäle der demokratischen Politik zu öffnen“, dann ist der kurdische Befreiungskampf auch in der Lage, dieses Hindernis zu überwinden. Denn damit nehmen Öcalan und die PKK dem türkischen Staat den Grund und damit die „Waffe“ bzw. den Vorwand aus der Hand, eine gerechte, friedliche und demokratische Lösung zu ignorieren oder aus taktischen Gründen oder politischem Kalkül zu verzögern, wie im Falle des oben erwähnten ersten Waffenstillstands und des letzten Dialogprozesses in den Jahren 2012 – 2015. Spätestens nach Öcalans Aufruf ist jetzt der türkische Staat am Zug. Öcalan hat seine Forderung an eine Bedingung geknüpft: „Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage.“
Öcalan zeigt die Reife seines Befreiungskampfes: gegebenenfalls dessen bisherigen Mittel – den bewaffneten Kampf und die Partei (PKK) – zu beenden und aufzulösen, ihn aber in einer neuen Form unter demokratisch entwickelten Bedingungen weiterzuführen. Es geht also nicht darum, den Befreiungskampf zu beenden, sondern seine Mittel und seine Form den Gegebenheiten entsprechend zu verändern.
Die PKK stimmte dem Friedensaufruf Abdullah Öcalans zu und verkündete ³ noch am 1. März einen Waffenstillstand. Sie erklärte: „Als PKK erklären wir, dass wir den Inhalt des Aufrufs vollständig unterstützen und unsererseits alle erforderlichen Schritte einhalten und umsetzen werden.“
Unter extrem erschwerten Bedingungen kam die PKK zwischen dem 5. und 7. Mai zu ihrem 12. Parteikongress zusammen. Aufgrund der massiven türkischen Angriffe versammelten sich 232 Delegierte an zwei verschiedenen Orten. Die PKK erklärte, sie habe ihre historische Mission, die „Politik der Verleugnung und Vernichtung zu durchbrechen“ erfolgreich erreicht. Die kurdische Frage könne nun durch demokratische Politik gelöst werden. Daher habe der Kongress entschieden „die organisatorische Struktur der PKK aufzulösen und die Praxis des bewaffneten Kampfes zu beenden.“
Neues Staatsverständnis
Kommen wir noch einmal zurück zu Öcalans Gefängnisschriften, z.B. das im Jahr 2004 veröffentlichte Buch „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“, in dem er Lösungsansätze entwickelt. Darin schlägt er eine Neudefinition des in der Türkei und in ganz Kurdistan herrschenden Staatsverständnisses vor. „Besser wäre, sich auf einen schlanken Staat zu einigen, der lediglich Aufgaben zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit und zur Versorgung sozialer Sicherungssysteme wahrnimmt. Ein solches Staatsverständnis hat nichts mehr mit dem autoritären Charakter des klassischen Staates gemein, sondern entspräche dem Charakter einer gesellschaftlichen Autorität.“ In einer neu definierten demokratischen Republik Türkei würde das für die Kurd:innen den Genuss sämtlicher Bürgerrechte und -freiheiten bedeuten. Somit könnte ein demokratischer Raum geschaffen werden, in dem eine demokratische Gesellschaft (Türk:innen, Kurd:innenen und andere Ethnien im selben Land) ihre Identität verfassungsrechtlich abgesichert leben können. In demselben Buch fügt Öcalan hinzu: „Damit die Kurden als Volk die Republik anerkennen, muss die Republik sie als kulturelle Gruppe und als Träger von politischen Rechten anerkennen. Die Anerkennung muss also gegenseitig und auf der Grundlage gesetzlicher Garantien erfolgen.“ (Dies wird auch in dem aktuellen Appell hervorgehoben).
Die PKK stellte klar, dass der Kongressbeschluss kein Ende, sondern ein neues Stadium im Kampf um Freiheit, Demokratie und Sozialismus einläute. In der Erklärung heißt es, dass das kurdische Volk insbesondere die Frauen und die Jugend die Aufgaben der neuen Phase des demokratischen Kampfes und Selbstorganisierung für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft übernehmen werden.
Notwendigkeiten für einen Friedensprozess
Zur Umsetzung der Kongressbeschlüsse sei eine direkte Führung des Friedensprozesses durch Abdullah Öcalan notwendig. So seien die Anerkennung seines Rechts auf Beteiligung an demokratischer Politik und entsprechende juristische Garantien notwendig. Gleichzeitig sei eine Beteiligung des Parlaments und der außerparlamentarischen Kräfte und sozialer Bewegungen für den Friedensprozess entscheidend. Die Freilassung von Abdullah Öcalan wäre daher einer der wichtigsten Schritte, um diesen Prozess zu beschleunigen.
Das bedeutet, dass die praktische Umsetzung dieser Beschlüsse mit dem derzeitigen Rechtssystem der Türkei, dem antidemokratischen Verständnis, den autokratischen und willkürlichen Regierungen, den Anti-Terror-Gesetzen und der politischen Instrumentalisierung der Justiz nicht zu erreichen ist. Es sind rasche Veränderungen in Politik, Rechtssystem und Gesellschaft erforderlich. Die Anerkennung der Kurd:innen und anderer in der Türkei lebender ethnischer und religiöser Identitäten erfordert Demokratie, politisches Bewusstsein und Gerechtigkeit. Wenn der türkische Staat und die türkische Gesellschaft die von Öcalan angedeutete demokratische Transformation und Veränderung vollziehen, werden sie auch „demokratisch“, worauf sie seit ihrer Gründung verzichtet haben.
Nach Jahren der Isolation und 26 Jahren Haft beweist Öcalan mit seinem letzten Aufruf einmal mehr, dass er nach wie vor die Schlüsselfigur für einen gerechten Lösungsprozess in der Türkei ist, der auch in der Region großen Einfluss haben wird. Auf internationaler Ebene betonten Vertreter der UN, der USA, der EU, des Vereinigten Königreichs, Deutschlands und vieler anderer Länder in Erklärungen die Bedeutung des Aufrufs Öcalans und der nachfolgenden Beschlüsse der PKK als wichtige Schritte zur Lösung der kurdischen Frage. Es darf aber nicht nur bei Erklärungen bleiben. Stattdessen muss die Türkei zu einer Demokratisierung und friedlichen Lösung ermutigt werden. Die bisherigen Reaktionen auf den Aufruf Öcalans von Vertretern der politischen Landschaft der Türkei, darunter Staatspräsident Erdoğan und sein Regierungspartner Devlet Bahçeli, der Vorsitzende der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), aber auch Vertreter der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), enthalten positive Signale. In diesem Zusammenhang hat sich Bahçeli am 18. Mai in einer Mitteilung für eine überparteiliche Kommission im Parlament ausgesprochen, die eine Strategie erarbeiten soll. Der parlamentarische Ausschuss solle unter der Leitung des Parlamentspräsidenten stehen und aus 100 Mitgliedern bestehen. Neben Mitgliedern aller im Parlament vertretenen Parteien sollen auch parteiunabhängige Expertinnen beteiligt werden. Doch sowohl Bahçelis Rhetorik als auch die anderer politischer Vertreter enthält noch immer den alten obrigkeitlichen Ton. Dies gilt auch für Erdoğans Erklärung vom 22. Mai. Demnach könne die Gesellschaft nicht auf der Grundlage einer von den Putschisten geschriebenen Verfassung „vereint“ werden. (Die aktuell gültige Verfassung wurde schließlich nach dem Militärputsch von 1980 unter der Regie des Militärs verfasst. Die Verfassung aus der Zeit der Republikgründung wurde unter der Prämisse einer besonderen Betonung des Türkentums neu verfasst.) Erdoğan unterstrich dabei die Notwendigkeit und Bereitschaft, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Gleichzeitig sagte er, man habe kein Problem mit den ersten vier Artikeln der Verfassung. Das Grundproblem liegt jedoch genau in diesen ersten vier Artikeln, die die zahlreichen ethnischen Identitäten – darunter Kurd:innen – außer der türkischen ignorieren und leugnen. Doch die Rechte der Kurd:innen und anderer ethnischer Identitäten – ob sozial, kulturell oder politisch – dürfen und können nicht ignoriert werden. Wenn wir das Problem von der Wurzel her betrachten, dann sind die PKK und der politische Kampf der Kurd:innen nicht die Ursache, sondern die Folge dieser antidemokratischen und autokratischen Staatsdoktrin.
Die Organisierung als demokratische Gesellschaft und die damit verbundene Bereitschaft der kurdischen Seite, auf eine Lösung und Frieden hinzuarbeiten, sowie die bisherigen Schritte in diese Richtung werden von den Staatsvertretern mit dem für die Türkei traditionellen Obrigkeitsdenken behandelt. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob die Türkei tatsächlich einen ernsthaften Weg der Demokratisierung und friedlichen Lösung einschlägt oder ob althergebrachtes Obrigkeitsdenken die Praxis bestimmen wird.
(¹) aus dem 5. Band (türk. Titel: Kürt Sorunu Ve Demokratik Ulus Çözümü – Kültürel Soykırım Kıskacında Kürtleri Savunmak) von Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ (2010); dieser Band ist noch nicht auf Deutsch erschienen.
(²) https://anfdeutsch.com/aktuelles/aufruf-von-abdullah-Ocalan-fur-frieden-und-eine-demokratische-gesellschaft-45431
(³) https://anfdeutsch.com/aktuelles/pkk-stimmt-Ocalan-aufruf-zu-und-verkundet-waffenstillstand-45444
https://anfdeutsch.com/hintergrund/frieden-in-der-turkei-kann-es-nur-mit-Ocalan-geben-45315 https://anfdeutsch.com/hintergrund/der-kampf-um-demokratie-in-der-turkei-ist-nicht-vorbei-37494
Dersim-Festival in Frankfurt: Kultureller Protest gegen Assimilation und Vergessen
Das 15. Europäische Dersim-Festival im Rebstockpark in Frankfurt war mit zahlreichen Besucher:innen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland stark besucht. Unter dem diesjährigen Motto „Ma ne Xorasan, ma ne Tunceli – Ma Dersim me!“ („Ich bin weder aus Horasan noch aus Tunceli – ich bin aus Dersim“) stand das zweitägige Festival im Zeichen kultureller Selbstvergewisserung, politischer Reflexion und generationsübergreifender Begegnung.
Die Veranstaltung versteht sich als Plattform zum Erhalt der kulturellen Identität und historischen Erinnerung der alevitisch-kurdischen Region Dersim (tr. Tunceli), insbesondere in der Diaspora. In diesem Sinne war das Festivalgelände mit Symbolen der alevitischen Kultur, historischen Fotografien, Buchständen und kulinarischen Spezialitäten aus der Region gestaltet.
Auftakt mit Gedenken und alevitischer Zeremonie
Der zweite Festivaltag begann am Sonnabend mit einem Panel mit dem Titel „Feminizid und religiöse Verfolgung im Kontext der Frauenfrage“. Im Anschluss eröffnete der Geistliche Pir Zeynel Kete das Festival mit einer Gulbang-Zeremonie. In seiner Rede betonte Kete die friedfertigen Grundwerte des Alevitentums und erinnerte an die historischen Verfolgungen der kurdisch-alevitischen Gemeinschaft.
Es folgten traditionelle Tanzdarbietungen und ein musikalischer Auftritt der Gruppe DAKME.
Politische Reden: Erinnerung und Perspektive
Die aus Dersim angereiste DEM-Abgeordnete Ayten Kordu fokussierte ihre Rede auf die politische Lage in Kurdistan und die Türkei. Die Entscheidung der PKK zur Selbstauflösung und dem Ende des bewaffneten Kampfes würdigte sie als einen historischen Wendepunkt. Sie erinnerte an zwei zentrale Figuren der Bewegung – Ali Haydar Kaytan und Rıza Altun – und sagte: „Dersim hat zwei mutige Söhne verloren. Wir gedenken ihrer mit Liebe und Respekt.“
Kordu rief im weiteren Verlauf zur Unterstützung des „Aufrufs für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ auf, den Abdullah Öcalan am 27. Februar aus seiner Haft heraus veröffentlicht hatte, und rief die Gesellschaft dazu auf, sich diesem Appell anzuschließen.
Zugleich warnte sie vor der anhaltenden Gewalt gegen Alevit:innen und Alawit:innen, insbesondere in Syrien: „Das ideologische Fundament für religiös motivierte Massaker ist nicht verschwunden – es wirkt bis heute fort.“
Cafer Oğur: „Kehrt nach Dersim zurück“
Ein weiterer Redebeitrag kam von Cafer Oğur, Bürgermeister der nordkurdischen Kreisstadt Dep (Karakoçan). Er bezeichnete das Festival als Ort kollektiven Gedächtnisses und erinnerte an den Dersim-Genozid von 1937/38, dessen Folgen bis heute nachwirkten. „Noch immer werden Menschen aus Dersim verdrängt. Die Entvölkerungspolitik ist nicht beendet.“ Insbesondere richtete er sich an die junge Generation in der Diaspora: „Wendet euch Dersim zu – und lebt dort. Lasst uns gemeinsam in einem freien Kurdistan zusammenkommen, in dem Krieg und Massaker der Vergangenheit angehören“, so Oğur.
Festival endet mit Dank und Appell zur Kontinuität
Zum Abschluss des Festivals dankte Muharrem Erdoğan im Namen des Organisationsteams allen Mitwirkenden und Besucher:innen für ihr Engagement.
https://anfdeutsch.com/kultur/15-dersim-festival-in-frankfurt-eroffnet-46498 https://anfdeutsch.com/kurdistan/4-mai-gedenktag-des-tertele-genozids-in-dersim-46159 https://anfdeutsch.com/aktuelles/bern-eroffnet-erstes-alevitisches-grabfeld-der-schweiz-46232
Istanbul: „Gezi lebt und durchbricht die Barrikaden“
Zum Jahrestag des Beginns der Gezi-Proteste vor zwölf Jahren haben in Istanbul hunderte Menschen an die Toten des Aufstands erinnert und die sofortige Freilassung der sogenannten Gezi-Gefangenen gefordert. Obwohl die Behörden alle Zufahrten zum Taksim-Platz absperrten, versammelten sich zahlreiche Teilnehmer:innen – darunter Abgeordnete Parteien DEM, CHP und TIP – in der Mis-Straße unweit des Platzes.
Die Demonstrierenden trugen Transparente mit der Aufschrift „Gezi lebt, durchbricht die Barrikaden“ und „Die Dunkelheit geht, Gezi bleibt“. Zudem wurden Fotos der bei den Protesten ab Ende Mai 2013 Menschen gezeigt und Parolen wie „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“, „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“ und „Tausend Grüße der Gefallenen und Kämpfenden von Gezi“ gerufen.
Kritik an autoritärem Kurs und Justiz
Eine Rede des Istanbuler Sprechers des Verbands der revolutionären Arbeitergewerkschaften (DISK) Adalettin Aslanoğlu verdeutlichte die Wut über den repressiven Umgang mit der Protestbewegung und ihren Unterstützer:innen: „Es wurden nicht nur die letzten Reste von Demokratie ausgeräumt, auch das Wort selbst hat seinen Wert verloren“, sagte Aslanoğlu.
Der Gewerkschafter verwies insbesondere auf das harte Urteil gegen den Kulturmäzen Osman Kavala, der trotz fehlender Beweise wegen versuchten Umsturzes der Regierung durch eine vermeintliche Organisierung der Gezi-Proteste zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sowie auf weitere hohe Strafen gegen andere Aktive der Gezi-Zeit wie Can Atalay, Tayfun Kahraman und Çiğdem Mater.
„Die Justiz hat mit ihrer Bestätigung dieser Urteile durch das Kassationsgericht auch die Unschuldsvermutung abgeschafft.“ Zugleich kritisierte Aslanoğlu die Normalisierung von Rechtsbrüchen in Form von Zensur, Repression und politischen Sanktionen wie Amtsenthebungen oder politischen Berufsverboten: „Wer protestiert, wer twittert, wer berichtet – wird eingeschüchtert. Und das Unrecht wird zur Normalität.“
Polizeiliche Übergriffe und zahlreiche Festnahmen
Im Anschluss an die Reden kam es zu massiven Polizeiübergriffen. Sicherheitskräfte gingen gewaltsam gegen die Versammlung in der Mis-Straße vor und nahmen dutzende Personen fest. Auch in Seitenstraßen rund um den Taksim-Platz wurden Demonstrierende angegriffen und verfolgt. Die genaue Zahl der Festnahmen war bis Mitternacht nicht bekannt.
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Der Gezi-Aufstand
Der Gezi-Aufstand begann am 27. Mai 2013, als die AKP-geführte Istanbuler Stadtverwaltung für ein geplantes Bauprojekt Bäume im zentralen Gezi-Park am Taksim fällen wollte. Damals stellten sich Mitglieder verschiedener Vereine, Berufsverbände und Initiativen vor die Baumaschinen und verhinderten die Abholzung. Unter ihnen war auch der damalige HDP-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder, der im Vormonat an den Folgen eines schweren Herzinfarkts verstorben ist und während der Gezi-Proteste mehrfach von der Polizei verletzt wurde. Aus der ersten von ihm mitinitiierten Aktion entstand eine Massenbewegung: Im Gezi-Park wurden Zelte aufgebaut, immer mehr Menschen beteiligten sich an der Mahnwache. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei immer wieder äußerst brutal gegen die Demonstrierenden vorging. Schließlich wurde die Bewegung blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, über 8.000 weitere wurden verletzt.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/taksim-solidaritat-die-dunkelheit-geht-gezi-bleibt-42391 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/amnesty-stuft-gezi-verurteilte-als-gewaltlose-politische-gefangene-ein-32698 https://anfdeutsch.com/aktuelles/osman-kavala-die-hoffnung-nicht-verloren-39644
Tausende Frauen fordern in Amed Frieden und Freiheit für Abdullah Öcalan
Unter dem Motto „Für gesellschaftlichen Frieden und eine demokratische Lösung“ versammelten sich am Samstag Tausende Frauen aus verschiedenen Teilen der Türkei und Kurdistans in der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır). Die Demonstration wurde von der Bewegung freier Frauen (TJA) organisiert und begann im Şemse-Allak-Park. Ziel war das Ulu-Camii-Viertel in der historischen Altstadt von Sûr.
Begleitet von Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit“ und Transparenten, die Gleichheit, Frieden und Geschlechtergerechtigkeit einforderten, richtete sich der Protest gegen patriarchale und militaristische Strukturen sowie gegen die aktuelle Kriminalisierung kurdischer Politik. Viele Teilnehmerinnen trugen weiße Tücher als Symbol des Friedens. Auch Fotos von verschwundenen und ermordeten Frauen wie Gülistan Doku und Narin Güran wurden mitgeführt.
„Wir brauchen Frieden“
Im Zentrum der Forderungen stand der Appell an die türkische Regierung, Schritte in Richtung eines nachhaltigen Friedens einzuleiten. In einer Erklärung, verlesen von Xece Şahin, betonten die Organisatorinnen die Bedeutung des von Abdullah Öcalan Ende Februar veröffentlichten Aufrufs für Frieden und eine demokratische Gesellschaft, dem auch die Selbstauflösungserklärung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor einigen Wochen folgte.
„Mit diesem historischen Schritt ist ein neuer Weg für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage eröffnet worden“, hieß es. Die TJA sei entschlossen, diesen Prozess aktiv zu begleiten und nicht dem männlich dominierten Staatsapparat zu überlassen: „Wir werden nicht zulassen, dass dieser Moment durch mediale Desinformation und politisches Kalkül entwertet wird.“
Freilassung Öcalans und politische Reformen
Die Bewegung forderte konkret die Freilassung von Abdullah Öcalan als Voraussetzung für ernsthafte Friedensverhandlungen und eine umfassende rechtliche Anerkennung kurdischer Identität, Sprache und Kultur durch Verfassungsreformen. Auch der Rückzug der staatlichen Zwangsverwaltung in von der DEM-Partei gewonnenen Kommunen wurde verlangt.
Weitere Kernforderungen:
▪ Die Einrichtung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen zur Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen.
▪ Eine vollständige Entmilitarisierung der Sprache und der öffentlichen Politik.
▪ Gleichberechtigung von Frauen in allen Gesetzes- und Entscheidungsprozessen.
▪ Verankerung der Muttersprache im öffentlichen Leben und im Bildungswesen.
▪ Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt und institutionalisierte Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Initiative Ich brauche Frieden: „Edî besê – Es reicht“
Auch die zivilgesellschaftliche Initiative „Ich brauche Frieden“ meldete sich bei der Abschlusskundgebung zu Wort. Sprecherin Selin Top kritisierte das anhaltende Schweigen des Staates gegenüber den politischen Entwicklungen: „Während die kurdische Seite konkrete Schritte unternimmt, bleibt die Regierung passiv. Statt Reformen erleben wir weiterhin Festnahmen, Militäroperationen und staatliche Repression.“
Weiter betonte Top: „Der Staat spricht von Geschwisterlichkeit. Wir fragen: Werden Kurd:innen gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger sein? Wird es ein friedliches Miteinander geben?“
Sie rief zur sofortigen Freilassung politischer Gefangener, der Abschaffung der Antiterrorgesetze (TMK) und der Rückgabe aller zwangsverwalteten Kommunalverwaltungen auf. „Wir kämpfen für eine gleichberechtigte und freie Welt – und wir werden sie gemeinsam aufbauen“, so Top.
Tülay Hatimoğulları: „Frieden braucht uns Frauen“
Höhepunkt der Abschlusskundgebung war die Rede von Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der DEM-Partei. Sie betonte, dass Frauen nicht Zuschauerinnen, sondern aktive Gestalterinnen eines künftigen Friedens seien: „Wir sind hier, um den Frieden mit weiblicher Stimme lautstark einzufordern. Wir Frauen sind nicht das Beiwerk eines Friedensprozesses – wir sind sein Fundament. Die jüngsten Entwicklungen, einschließlich des Friedensaufrufs von Herrn Öcalan und der Selbstauflösungserklärung der PKK, sind ein historischer Moment, den wir als Frauenbewegung mittragen und stärken werden.“
Hatimoğulları erinnerte daran, dass Frauen in Kriegen und Konflikten zu den am stärksten betroffenen Gruppen gehören – von sexualisierter Gewalt über Vertreibung bis hin zur Entrechtung. Sie kritisierte, dass Frauen, die für Frieden und Gleichstellung eintreten, häufig kriminalisiert werden. „Uns wurde das Etikett ‚Terroristinnen‘ angeheftet, nur weil wir uns gegen Gewalt, für die Istanbul-Konvention und für gesetzlich verankerte Rechte ausgesprochen haben.“
Die DEM-Vorsitzende forderte die Einrichtung einer parlamentsübergreifenden Friedenskommission, in der Frauen eine tragende Rolle spielen müssten – aus allen sozialen, ethnischen und politischen Lagern. „Frieden kann nicht vom Staat allein verordnet werden. Er muss in der Gesellschaft verankert und von ihr getragen werden. Und dazu sind wir bereit: unsere Ideen, unsere Erfahrungen und unsere Organisierung einzubringen.“
Auch Hatimoğulları bekräftigte die Forderung nach einer sofortigen Freilassung von Abdullah Öcalan. Nur mit seiner aktiven Beteiligung könne der Prozess glaubwürdig und nachhaltig gestaltet werden. Hatimoğulları betonte: „Wenn wir einen dauerhaften und gerechten Frieden wollen, dann braucht es die rechtlichen und physischen Voraussetzungen, dass Herr Öcalan frei arbeiten kann. Auch er hat seine Grüße und seinen Willen zum Frieden übermittelt – wir senden unsere Solidarität von diesem Platz lautstark zurück!“
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Weitere Aktionen geplant
Die Organisatorinnen kündigten an, auch künftig für Frieden, demokratische Rechte und geschlechtergerechte Teilhabe im öffentlichen Leben einzutreten. Die Demonstration in Amed sei dabei ein kraftvolles Signal gewesen: „Wir Frauen sind nicht nur Betroffene, sondern Akteurinnen eines neuen sozialen Gesellschaftsvertrags“, hieß es zum Ende.
https://anfdeutsch.com/frauen/tja-veranstaltet-gesellschaftlichen-friedensmarsch-in-amed-46497
Protest in Zürich gegen Verhaftung von Yüksel Koç
Vor dem deutschen Konsulat in Zürich haben Aktivist:innen am Samstag gegen die Verhaftung des ehemaligen Ko-Vorsitzenden des kurdischen Europadachverbands KCDK-E, Yüksel Koç, protestiert. Die von der Demokratischen Kurdischen Gemeinde in der Schweiz (CDK-S) organisierte Kundgebung richtete sich gegen die aus Sicht der Demonstrierenden „kriminalisierende Repressionspolitik“ der Bundesrepublik Deutschland gegenüber kurdischen Politiker:innen.
Unter dem Motto „Freiheit für Yüksel Koç“ forderten die Teilnehmer:innen die sofortige Freilassung des kurdischen Aktivisten. In Redebeiträgen wurde die Verhaftung als politisch motiviert bezeichnet und insbesondere mit den aktuellen Friedenssignalen aus der kurdischen Bewegung in Verbindung gebracht.
Kritik an deutscher Reaktion auf PKK-Kongress
Cemal Özdemir, Ko-Vorsitzender der CDK-S, verwies auf die Entscheidung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sich bei ihrem 12. Kongress Anfang Mai aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden. Dieser Beschluss sei eine direkte Antwort auf den von PKK-Begründer Abdullah Öcalan am 27. Februar aus seinem aus der Haft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali heraus veröffentlichten „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ gewesen. „Die Festnahme von Yüksel Koç unmittelbar nach dieser historischen Entscheidung zeigt, dass Deutschland diesen Friedensimpuls nicht unterstützt, sondern vielmehr behindert“, sagte Özdemir.
Taşdemir: „Kriminalisierung statt Unterstützung“
Auch die kurdische Exil-Politikerin Dilan Dirayet Taşdemir, die ebenfalls bei der Kundgebung sprach, kritisierte die Haltung Berlins deutlich. „Gerade jetzt, in einer Phase, in der Schritte zu einem dauerhaften Frieden notwendig wären, greift Deutschland zu alten Mustern der Kriminalisierung“, sagte Taşdemir.
Sie forderte von der Bundesregierung ein Umdenken in Türkei-Politik sowie im Umgang mit der kurdischen Bevölkerung: „Ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten ist nur möglich, wenn der Dialog gesucht und die Vorschläge von Abdullah Öcalan ernst genommen werden.“
Abschließend sprach sich Taşdemir auch für die Freilassung aller in Deutschland aufgrund des PKK-Verbots inhaftierten kurdischen Politiker:innen aus. „Das PKK-Verbot in Deutschland steht einer friedlichen und politischen Lösung des Konflikts im Weg“, sagte sie.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/schweizer-politikerin-fordert-freilassung-von-koc-46434 https://anfdeutsch.com/aktuelles/azadi-e-v-verurteilt-verhaftung-von-koc-46387 https://anfdeutsch.com/aktuelles/tsp-fordert-freilassung-von-yuksel-koc-46438
Beratungen zu Justizreform in Ankara gestartet
Im türkischen Parlament haben am Samstag die Beratungen zum 10. Justizreformpaket im zuständigen Ausschuss begonnen. Das von der regierenden AKP eingebrachte Paket steht wegen möglicher Verstöße gegen das Gleichheitsprinzip in der Kritik der Opposition. Neben der CHP nahmen auch zahlreiche Abgeordnete der DEM-Partei an der Sitzung teil. Der Vorsitzende des Justizausschusses, Cüneyt Yüksel (AKP), eröffnete die Verhandlungen.
In einer im Vorfeld abgehaltenen Pressekonferenz betonten die Mitglieder der DEM-Fraktion, dass das Reformpaket zentrale Erwartungen der Gesellschaft nicht erfülle. Die Abgeordnete Dilan Kunt Ayan kritisierte, das Paket ignoriere sowohl rechtliche als auch gesellschaftliche Anforderungen: „Es wurde mit einer Haltung erarbeitet, die weder auf die Stimme der Bevölkerung noch auf die der juristisch und sozial benachteiligten Gruppen hört.“
Keine Verbesserungen für kranke und politische Gefangene
Besondere Kritik übte die DEM-Partei an der aus ihrer Sicht diskriminierenden Ausgestaltung der neuen Strafvollzugsregelungen. Diese brächten keine Verbesserungen für kranke oder politische Gefangene. Ayan betonte, die Änderungen seien „weder verfassungskonform noch rechtsstaatlich nachvollziehbar“ und würden bestehende Ungleichheiten im Strafvollzug noch vertiefen.
Pressekonferenz der DEM-Partei
„Die Gesellschaft hatte klare Erwartungen – unter anderem die bedingungslose Freilassung kranker Gefangener und eine Gleichstellung politischer Häftlinge bei der Strafaussetzung“, sagte Ayan weiter. Sie erinnerte daran, dass viele dieser Erwartungen auch durch öffentliche Zusagen von Justizminister Yılmaz Tunç entstanden seien.
Anträge zur Änderung angekündigt
Die DEM-Partei kündigte mehrere Änderungsanträge für die Ausschussphase an. So solle die im Gesetzentwurf enthaltene Ausnahme für lebenslang Verurteilte gestrichen werden. Auch vage Formulierungen wie die Haftentlassungsbedingung, keine „konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darzustellen, sollen aus dem Gesetzestext entfernt werden.
Weitere Anträge betreffen die Gleichbehandlung von Frauen, Kindern und älteren Gefangenen – hier sei es nicht hinnehmbar, dass politische Gefangene explizit ausgeschlossen werden. Zudem werde vorgeschlagen, die COVID-19-Regelungen vom 31. Juli 2023 gesetzlich zu verankern und die Formulierung „akute Lebensgefahr“ durch „schwere Erkrankung“ zu ersetzen, um eine realistischere Grundlage für medizinisch notwendige Entlassungen zu schaffen.
Appell an Ausschuss und Regierung
„Noch ist es nicht zu spät“, so Ayan. „Die Regierung muss die Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit ernst nehmen.“ Die DEM-Partei kündigte an, sich sowohl im Ausschuss als auch in der Plenarsitzung weiterhin mit Nachdruck für eine umfassende Überarbeitung des Gesetzes einzusetzen. „Wir werden für gesellschaftlichen Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit kämpfen – überall und mit aller Deutlichkeit“, betonte Ayan abschließend.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/ankara-vor-politisch-entscheidender-woche-46445 https://anfdeutsch.com/aktuelles/kocyigit-rechtsstaatlichkeit-darf-keine-auslegungssache-sein-46447 https://anfdeutsch.com/aktuelles/zeit-fur-frieden-dem-formuliert-politischen-zukunftsentwurf-46409
EU-Linksfraktionschef trifft Spitzen von QSD und YPJ
Der Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL), Martin Schirdewan, hat im Rahmen seines Besuchs in Nord- und Ostsyrien Gespräche mit führenden Vertreter:innen der Demokratischen Selbstverwaltung (DAANES) sowie der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) geführt.
Begleitet wurde Schirdewan unter anderem vom Leiter der internationalen Abteilung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Philip Degenhardt, dem Europa-Vertreter der DEM-Partei in Straßburg, Faik Yağızay, der Journalistin Sarah Glynn und der parlamentarischen Assistentin Nora Friese-Wendenburg aus dem Büro Schirdewans
Am Vormittag traf sich die Delegation mit Vertreter:innen der Kommunalverwaltungen der Region. In einer Präsentation schilderten lokale Verantwortliche die schwierige Versorgungslage in Folge türkischer Militärgewalt. Die Sperrung grenzüberschreitender Wasserzuflüsse, gezielte Angriffe auf Infrastrukturanlagen und die Blockade eines UNICEF-Projekts zur Wasserzufuhr über den Tigris seien zentrale Ursachen für gravierende Engpässe bei Wasser- und Stromversorgung.
Zudem sei die Region zunehmend von Desertifikation bedroht. Die Folgen der Kriegssituation verschärften sich besonders für Binnenvertriebene aus Serêkaniyê (Ras al-Ain), Girê Spî (Tall Abyad), Minbic (Manbidsch) und Şehba, von denen viele noch immer in provisorischen Unterkünften wie Schulen in Hesekê leben – teils seit mehr als fünf Jahren. Die lokale Verwaltung kritisierte zudem die Einstellung der US-Entwicklungshilfe (USAID) auf Betreiben der Trump-Administration.
YPJ-Kommandantin: „Unsere Errungenschaften sind nicht verhandelbar“
Am Nachmittag besuchte die Delegation das Hauptquartier der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ). Kommandantin Rohilat Efrîn kritisierte, dass die syrische Übergangsregierung die Freilassung von mehreren YPJ-Kämpferinnen verweigere, die Ende vergangenen Jahres im Zuge der Offensive gegen das Assad-Regime von der Dschihadistenkoalition „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) in Aleppo gefangengenommen worden waren. Trotz dieser Herausforderungen bekräftigte sie die Verteidigungsbereitschaft der YPJ und erklärte: „Wir sind gut vorbereitet und werden unsere Errungenschaften verteidigen. Unser Ziel bleibt die Reform der syrischen Armee.“
Treffen mit Mazlum Abdi
Im Anschluss fand ein Gespräch mit dem Oberkommandierenden der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazloum Abdi, statt. Dabei ging es um den Stand der Verhandlungen mit der syrischen Übergangsregierung. Abdi betonte, dass Damaskus auf eine Eingliederung der Autonomieverwaltung abziele, die QSD hingegen einen gleichberechtigten Partnerschaftsansatz verfolgten.
Aufruf für langfristige Programme
Abdi rief die internationale Gemeinschaft, insbesondere westliche Staaten, dazu auf, Damaskus zur Umsetzung der bereits getroffenen Vereinbarungen zu bewegen und die Türkei zur Einhaltung eines Waffenstillstands zu verpflichten. Er betonte außerdem die Notwendigkeit internationaler Investitionen in die Region. Es brauche langfristige Programme, die nicht nur Energieprojekte, sondern auch den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Stabilität Nordostsyriens umfassend fördern.
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/eu-linksfraktionschef-martin-schirdewan-in-rojava-46489 https://anfdeutsch.com/kurdistan/schirdewan-die-unterdruckung-muss-aufs-scharfte-kritisiert-werden-46483 https://anfdeutsch.com/kurdistan/eu-abgeordneter-schirdewan-zu-besuch-in-Sengal-46463
Verhandlungskomitee der DAANES in Damaskus
Eine hochrangige Delegation der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) ist in der syrischen Hauptstadt Damaskus eingetroffen, um Gespräche mit der Übergangsregierung zu führen. Im Zentrum der Gespräche stehen die Bedingungen eines Abkommens, das zwischen dem syrischen Übergangspräsidenten Ahmad al-Scharaa und dem Oberkommandierenden der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, vereinbart worden war.
Der Delegation gehören Foza Yûsif vom Präsidialrat der Partei PYD, der Ko-Vorsitzende des DAANES-Exekutivrats Abid Hamid al-Mihbash, Sanherib Barsum von der Assyrischen Einheitspartei, der Ko-Vorsitzende des Finanzrates der DAANES, Ehmed Yûsif, und Sozdar Hacî vom Generalkommando der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) an. Sie bilden ein Verhandlungskomitee, das im April gegründet worden war, um die Interessen der Bevölkerung Nordostsyriens gegenüber der syrischen Zentralregierung zu vertreten.
Als Sprecher:innen des Komitees fungieren Meryem Ibrahim, Ko-Leiterin des Ausschusses für innere Angelegenheiten in der Autonomieregion, und Yasir Silêman, stellvertretender Vorsitzender des Demokratischen Volksrates Foto: DAANES/handout
Nach Informationen aus Delegationskreisen sollen die ersten Verhandlungsrunden noch am Samstagabend beginnen. Ziel sei es, gemeinsame Grundlagen für eine politische Lösung in Syrien zu erarbeiten und eine neue Phase der Zusammenarbeit zwischen den Regionen einzuleiten.
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/qsd-bilden-verhandlungskomitee-fur-gesprache-mit-damaskus-45911 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/mazlum-abdi-und-al-scharaa-unterzeichnen-abkommen-45546 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/daanes-delegation-am-freitag-in-damaskus-46475
Israelische Luftangriffe auf Ziele an syrischer Mittelmeerküste
Israel hat mehrere Luftangriffe gegen Syrien geflogen. Laut dem israelischen Militär seien Waffenlager in der Nähe von Latakia an der Mittelmeerküste, in denen Antischiffsraketen und Boden-Luft-Raketen gelagert wurden, Ziel der Angriffe gewesen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London berichtete von schweren Explosionen.
Auch das syrische Staatsfernsehen meldete israelische Angriffe. Die Ortschaft Sama südlich von Latakia sei getroffen worden. Der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana zufolge wurde bei einem „Luftangriff der israelischen Besatzung auf die Umgebung von Sama“ ein Zivilist getötet.
Es handelte sich um die ersten israelischen Luftangriff ein Syrien seit Anfang dieses Monats, als Ziele nahe dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Damaskus getroffen wurden. Zwischen Dezember 2024, als Ex-Diktator Baschar al-Assad gestürzt wurde, und Anfang Mai führte Israel Dutzende Luftangriffe gegen Ziele in Syrien durch.
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/israelische-luftwaffe-greift-damaskus-an-46136 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/toter-bei-israelischem-luftangriff-in-qamislo-44565 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/israelische-angriffe-auf-militaranlagen-im-suden-syriens-45555
Weitere Festnahmewelle gegen CHP-geführte Kommunen
Im Zuge einer weiteren Festnahmewelle gegen die Istanbuler Stadtverwaltung hat die türkische Polizei 30 Personen festgesetzt, darunter mehrere Bezirksbürgermeister:innen der oppositionellen CHP. Im Rahmen von Korruptionsermittlungen würden landesweit Festnahmeanordnungen gegen insgesamt 47 Verdächtige vorliegen, berichteten regierungsnahe Medien.
Unter den Festgenommenen sind demnach der frühere CHP-Parlamentsabgeordnete Aykut Erdoğdu, drei Vizebezirksbürgermeister aus Istanbul sowie zwei Bürgermeister:innen aus der südlichen Provinz Adana. Die Festnahmen seien Teil der Ermittlungen der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft, die vermeintlichen Korruptionsvorwürfen in der Stadtverwaltung nachgehe, teilten die Behörden mit.
Seit der Verhaftung und Absetzung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoğlu im März läuft die staatliche Repressionsmaschine gegen die CHP auf Hochtouren. Der 53-Jährige war im Zusammenhang mit angeblichen Korruptions- und Terrorvorwürfen inhaftiert und aus seinem Amt entlassen worden. Das Vorgehen gegen ihn wird als politisch motiviert gewertet und hat in der Türkei die größten Anti-Regierungsproteste seit Jahren ausgelöst.
Imamoğlu, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist, gilt als aussichtsreichster Gegner des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Mit den jüngsten Festnahmen steigt die Zahl der Festnahmewellen gegen die CHP-geführte Stadtverwaltung der Metropole Istanbul auf fünf.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/neue-festnahmewelle-in-istanbuls-stadtverwaltung-46364 https://anfdeutsch.com/aktuelles/boykott-festnahmen-in-istanbul-45808 https://anfdeutsch.com/aktuelles/nuri-aslan-als-stellvertretender-burgermeister-von-istanbul-gewahlt-45732
DEM fordert demokratische Reformen für lokale Selbstverwaltung
Die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) hat nach ihrem zweitägigen Zwischentreffen des Rates für Demokratische Kommunalverwaltungen zentrale Forderungen für eine Demokratisierung der lokalen Selbstverwaltung in der Türkei vorgestellt. Die Konferenz hatte unter dem Motto „Mit demokratischen Kommunen zur demokratischen Gesellschaft“ in Amed (tr. Diyarbakır) stattgefunden und wurde dem verstorbenen DEM-Politiker und Filmemacher Sırrı Süreyya Önder gewidmet.
An dem Treffen nahmen zahlreiche Vertreter:innen der DEM und ihrer Schwesterpartei DBP sowie Bürgermeister:innen, Ratsvorsitzende und Sprecher:innen regionaler Verwaltungsgremien teil. Schwerpunkt der Beratungen war die politische Gesamtlage nach den Kommunalwahlen im März vergangenen Jahres sowie die Ausrichtung für die kommende Amtszeit.
Kritik an Zwangsverwaltung und Zentralismus
Die DEM-Partei kritisierte scharf die erneute Einsetzung staatlicher Treuhänder in bislang zehn von der Partei gewonnenen Kommunen. Die Absetzung gewählter Bürgermeister:innen sei ein klarer Bruch demokratischer Prinzipien und ein Ausdruck der politischen Blockadehaltung der Regierung. Die Partei kündigte an, „unter allen Umständen die Entscheidung der Wähler:innen zu verteidigen“ und forderte eine breite gesamtgesellschaftliche Reaktion gegen das Instrument der Zwangsverwaltung.
Einführung und Schutz des Ko-Vorsitzsystems gefordert
Ein zentrales Anliegen bleibt laut Beschlussfassung die gesetzliche Anerkennung des Prinzips der genderparitätischen Doppelspitze bestehend aus einer Frau und einem Mann, das für die DEM-Partei Ausdruck von Geschlechtergerechtigkeit und demokratischer Teilhabe ist. Die Partei wolle das Modell weiter stärken und gegen politische wie juristische Angriffe verteidigen.
Gesellschaftsorientierte Kommunalpolitik im Fokus
Die DEM-Partei bekräftigte ihre Ausrichtung auf eine „demokratische, ökologische und frauenbefreiende“ Kommunalpolitik. Im Mittelpunkt stünden Bedarfe in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sprache, Jugend, Kultur, Behinderung, Kinderbetreuung und Ökologie. Ziel sei es, eine bürgernahe Verwaltung mit partizipativen Entscheidungsprozessen zu etablieren.
Forderungskatalog für gesetzliche Reformen
Die Konferenz verabschiedete einen siebenteiligen Katalog mit konkreten Reformvorschlägen:
▪ Rücknahme aller Zwangsverwaltungsanordnungen und Wiedereinsetzung der gewählten Bürgermeister:innen
▪ Änderung des Kommunalgesetzes zur Abschaffung der rechtlichen Grundlage für Zwangsverwaltungen
▪ Gesetzliche Verankerung des Ko-Vorsitzmodells im Kommunalrecht
▪ Abbau zentralstaatlicher Kontrollbefugnisse über die Kommunen
▪ Rechtliche Absicherung partizipativer Strukturen wie Stadtteilversammlungen und Dorfkomitees
▪ Überprüfung kommunalrechtlicher Vorschriften im Sinne lokaler Demokratie
▪ Aufhebung der Vorbehalte gegenüber der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung
Verweis auf Abdullah Öcalans Friedensinitiative
Abschließend verwies die Partei auf die Bedeutung der von dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan am 27. Februar formulierten Friedensinitiative. Die Umsetzung seines Konzepts des „Modells einer demokratischen Nation“ sei ein Weg zu einer gerechten und inklusiven Gesellschaft in der Türkei. Die DEM-Partei erklärte, ihren Beitrag zur Verwirklichung dieser Perspektive weiterhin entschlossen zu leisten.
https://anfdeutsch.com/frauen/dem-frauen-demokratischen-frauenkonfoderalismus-von-unten-aufbauen-46450 https://anfdeutsch.com/kurdistan/bakirhan-frieden-beginnt-auf-lokaler-ebene-46432 https://anfdeutsch.com/frauen/hatimogullari-zwangsverwalter-gesetz-abschaffen-lokale-demokratie-starken-46410
Samstagsmütter: Wo ist Mehmet Sait Zengin?
Mit ihrer 1053. Mahnwache haben die Samstagsmütter ihr 30-jähriges Bestehen begangen. Auf dem symbolträchtigen Galatasaray-Platz in Istanbul forderten sie erneut Aufklärung über das gewaltsame Verschwinden von Personen in staatlichem Gewahrsam. „Seit dem 27. Mai 1995 fordern wir Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit. Ohne ein Ende der Straflosigkeit kann es keine Gerechtigkeit geben – und ohne Gerechtigkeit keinen gesellschaftlichen Frieden“, erklärte Ikbal Eren zu Beginn der Mahnwache.
Im Mittelpunkt der dieswöchigen Aktion stand Mehmet Sait Zengin, ein 36-jähriger Gewerbetreibender aus Midyad und Mitglied der damaligen pro-kurdischen Partei HADEP. Laut Angaben seiner Familie wurde der Kurde wiederholt von Sicherheitskräften bedroht, festgenommen und gefoltert. Am 6. Mai 1995 wurde er von mutmaßlichen Polizisten in Zivil verschleppt und in einem weißen Renault des Typs Toros abtransportiert. Die damals typischen Dienstfahrzeuge des Militärgeheimdienstes JITEM gelten als Symbole des antikurdischen Staatsterrors der 1990er Jahre.
Hinweise auf den Verbleib Zengins gibt es seither nicht. Die Familie des vierfachen Vaters wurde bei Nachforschungen in Midyad und Mêrdîn (tr. Mardin) immer wieder mit dem Tod bedroht, gab die Suche aber nicht auf. Eine wiederaufgenommene Ermittlungsakte liegt laut Ikbal Eren seit Jahren unbearbeitet bei der Staatsanwaltschaft in Midyad. Die türkische Justiz wolle die Sache offenbar so lange hinauszögern, bis die Verjährung eintritt. „Wir werden den Kampf nicht aufgeben und die fortdauernde Praxis des institutionellen Schweigens nicht akzeptieren“, sagte Eren. Es sei Aufgabe des Staates, nach internationalem Recht und den Grundsätzen rechtsstaatlicher Verantwortung für Aufklärung zu sorgen.
Ikbal Eren ist die Schwester des 1980 verschwundenen Hayrettin Eren
Gruß von Emine Ocak
Hanife Yıldız, Mutter des 1995 in Polizeihaft verschwundenen Murat Yıldız, übermittelte den Gruß der mittlerweile hochbetagten Emine Ocak. Die 89-Jährige gilt als Symbol der Samstagsmütter. Es war die Kurdin, die die am längsten in der Türkei andauernde Aktion des zivilen Ungehorsams ins Rollen brachte, nachdem ihr Sohn Hasan Ocak an Newroz 1995 in Istanbul festgenommen und zu Tode gefoltert wurde. „Seit 30 Jahren fordern wir Wahrheit – doch viele Mütter starben, ohne das Schicksal ihrer Kinder zu erfahren“, so Yıldız.
Die Mahnwache endete mit dem symbolischen Niederlegen von roten Nelken auf dem abgesperrten Galatasaray-Platz.
https://anfdeutsch.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-wiederaufnahmeverfahren-im-fall-Orhan-46417 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/keine-untersuchung-von-verschwindenlassen-und-totungen-in-haft-46373 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-aufklarung-gerechtigkeit-und-politischen-willen-zu-frieden-46324
London bewertet PKK-Rückzug als „wichtigen Schritt für Frieden und Sicherheit“
Das britische Außenministerium hat die Selbstauflösungsentscheidung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als „wichtigen Schritt für Frieden und Sicherheit in der Türkei und der Region“ begrüßt. Die Erklärung erfolgte als Antwort auf ein Schreiben des Komitees für Außenbeziehungen des Kurdischen Volksrats im Vereinigten Königreich.
In dem Schreiben hebt das britische Außenministerium die strategischen Beziehungen Großbritanniens zur Türkei hervor und betont, man beobachte die Entwicklungen nach dem PKK-Kongress aufmerksam. Die Entscheidung der Organisation, den bewaffneten Kampf einzustellen und sich aufzulösen, wertet London als „positives Signal“ und bekräftigt seine Unterstützung für „alle Bemühungen, die zur Deeskalation von Konflikten und zur Förderung von Stabilität beitragen“.
Zur Frage nach der Freilassung des langjährig inhaftierten PKK-Begründers Abdullah Öcalan erklärte das Ministerium, dessen Inhaftierung sei „eine Angelegenheit der türkischen Justiz“ und unterliege dem nationalen Rechtssystem. Auch die umstrittene Praxis der Zwangsverwaltung in DEM-regierten Kommunen kommentierte London zurückhaltend. Zwar handele es sich um eine Entscheidung im Ermessen der türkischen Regierung, doch erwarte das Vereinigte Königreich, dass sämtliche Verfahren gegen gewählte Repräsentant:innen fair, transparent und im Einklang mit dem Rechtsstaat geführt würden.
Agit Karataş vom Komitee für Außenbeziehungen des Kurdischen Volksrats erklärte, man habe sich in einem dringlichen Schreiben an das Außenministerium gewandt, um eine Position Londons zur neuen politischen Linie der PKK sowie zur Anwendung des internationalen Rechts – etwa des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“ – zu erfragen. Die Antwort Londons bezeichnete Karataş als „nicht überraschend, aber bedenklich“. Die britische Regierung erkenne zwar die Bedeutung des PKK-Schritts für den Frieden an, schiebe jedoch die Verantwortung für eine politische Lösung, inklusive der Zukunft Öcalans, vollständig der Türkei zu.
Karataş betonte, dass ein demokratischer Lösungsprozess ohne die Freiheit Öcalans kaum denkbar sei. Er rief dazu auf, internationale rechtliche und zivilgesellschaftliche Mechanismen zu aktivieren, um eine politische Lösung zu ermöglichen. „Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess entschlossen zu unterstützen“, so Karataş abschließend.
https://anfdeutsch.com/kurdistan/pkk-verkundet-auflosung-und-ende-des-bewaffneten-kampfes-46252 https://anfdeutsch.com/aktuelles/turkische-polizei-ermittelt-gegen-migrantisches-kulturfestival-in-london-46492 https://anfdeutsch.com/aktuelles/nach-auflosung-der-pkk-Ozdemir-fordert-kurswechsel-der-bundesregierung-46454
„Wir haben nach Lösungswegen für eine neue Zeit gesucht“
Uta Schneiderbanger (Nûdem) ist 1961 in Mülheim an der Ruhr geboren und war seit den 1990er Jahren in der kurdischen Frauenbewegung aktiv. Ekin Ceren Doğruak (Amara) ist 1981 als Tochter türkischer Eltern in Ankara zur Welt gekommen. Beide Frauen starben am 31. Mai 2005 bei einem Autounfall in der Nähe der südkurdischen Kleinstadt Qeladizê. Die beiden Internationalistinnen befanden sich auf dem Rückweg von der III. Generalversammlung des Volkskongress Kurdistan (Kongra-Gel) nach Europa, als der Fahrer in dem steilen Berggelände die Kontrolle über den Wagen verlor.
Kurz vor ihrem Tod gab Uta Schneiderbanger der kurdischen Nachrichtenagentur MHA bei der Generalversammlung des Kongra-Gel ein Interview über ihre politische Geschichte und ihren Bezug zur kurdischen Bewegung. Dieses wollen wir anlässlich ihres 20. Todestages nochmal in Erinnerung rufen.
Was hat Sie als Deutsche hier zur kurdischen Guerilla geführt? Wer ist Uta?
Ich komme aus einer katholischen Arbeiterfamilie. Zunächst war ich in der Kirche aktiv. In den siebziger Jahren gab es sogar in der katholischen Kirche sehr fortschrittliche Kreise. Wir waren insbesondere von der Befreiungstheologie in Lateinamerika beeinflusst. Es gab da Pastoren, die sich gegen die Oligarchie und für die arme Bevölkerung der Guerilla angeschlossen haben. Ich habe die Kirche verlassen, als die offizielle Kirche, also der Papst im Vatikan, die Befreiungstheologie abgelehnt hat. Danach habe ich mich einer kommunistischen Partei angeschlossen. Ich habe keinen großen Unterschied im Verständnis gesehen. Aufgrund der patriarchalen Strukturen habe ich mich mit einer großen Frauengruppe von dieser Partei schließlich getrennt und der antiimperialistischen Bewegung angeschlossen. Es handelte sich dabei um Kreise, die der RAF-Ideologie nahestanden. Von Anfang an war ich sowohl in der feministischen als auch in der sozialistischen Bewegung aktiv. Ich setzte mich für eine unabhängige Frauenorganisierung ein, aber weil ich von der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der gesamten Gesellschaft überzeugt war, habe ich auch in gemischten sozialistischen Zusammenhängen gearbeitet. Es gab da eine ideologische und praktische Verbindung. Aber ich war in organisatorischer Hinsicht unabhängig.
Uta und Ekin Ceren bei der Generalversammlung des Kongra-Gel
Wie haben Sie die Kurden und die PKK kennengelernt?
1977 oder 78 lernte ich das erste Mal Kurden kennen. Sie waren damals in der türkischen Linken. Aber sie erzählten von Kurdistan und wussten über alle Aufstände in der Geschichte bescheid. Sie sprachen auch von einer neu gegründeten kurdischen Partei. Das weckte mein Interesse. Ich erinnere mich gut an diese Diskussionen. Als Feministin fand ich das kurdische Bedürfnis nach einer unabhängigen Organisierung normal und richtig. Weil ich die patriarchalen Strukturen in sozialistischen Bewegungen kannte, hatte ich an diesem Punkt kein großes Vertrauen. Wer Frauen unterdrückt, unterdrückt auch andere Völker. Aber diese Genossen haben mich weder ernst genommen noch verstanden. Sowieso war ich schockiert, als ich sie zuhause besuchte. Genossen, die auf der Straße sehr revolutionär und fortschrittlich waren, benahmen sich zuhause ganz anders. Da wurden sie zu Paschas.
In den achtziger Jahren lernte ich die ersten PKKler kennen. In dieser Zeit arbeiteten wir meistens an Tagen wie dem 1. Mai, dem 12. September, Newroz und bei aktuellen Anlässen mit der PKK und türkischen linken Gruppierungen zusammen. Als die YJWK (Patriotische Frauenunion Kurdistans) gegründet wurde, fragten wir nach der Frauenarbeit. Aber das fing erst 1987-88 an. Wir arbeiteten gemeinsam mit diesen Frauen. In Berlin gründeten wir einen internationalen Frauenrat. Und die kurdischen Frauen waren auch dabei.
Wie war das, als sie sich als deutsche Frau der PKK anschlossen?
1994 nahm ich an der YAJK-Konferenz in Europa teil. Ich war sehr aufgeregt. Die Atmosphäre war völlig anders, als ich sie aus den siebziger Jahren kannte. Ich erinnerte mich an schweigsame Hausfrauen, die kein Bewusstsein zum Thema Frauenbefreiung hatten und nur selten in den Verein kamen. Jetzt fühlte ich mich ihnen sehr nah. Weil ich 1992 angefangen hatte, türkisch zu lernen, konnten wir jetzt mehr miteinander diskutieren und ich verstand viel mehr. Aber ganz sicher war ich mir erst, nachdem ich die Verteidigungsschriften von Abdullah Öcalan gelesen hatte. Ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten damit, diese Bücher zu lesen. Ich fühlte mich beim Lesen so, als ob alle Widersprüche in meinem politischen Leben gelöst werden. Feminismus, Sozialismus, Realsozialismus oder der Begriff Demokratie, das waren Punkte, an denen ich immer hängen geblieben war und die ich nicht lösen konnte. Ich sah viele offene Fragen wie Hierarchie, revolutionäre Logik, die Degeneration der nationalen Befreiungsbewegungen, Nationalismus, Internationalismus. Aber wir hatten uns immer rund um diese Fragen bewegt, ohne sehr viel weiter zu kommen. Abdullah Öcalan zeigt ein umfassendes System auf, indem er alle diese Fragen zu einer Synthese zusammenbringt. Er schafft eine Alternative, eine Lösung, einen Ausweg aus diesem System. Das habe ich bewundert.
Aber ich muss auch sagen, dass es für mich keine einfache Entscheidung war, mich der PKK anzuschließen. Es hat sehr lange gedauert. Seit 1992 habe ich darüber nachgedacht. Aber ich habe mich als Deutsche auch immer für die revolutionäre Entwicklung in Deutschland verantwortlich gefühlt. Weg zu gehen und meine Genoss:innen allein zu lassen, bedeutete Verrat. Nach 1990 haben wir sehr intensiv gearbeitet und eine neue Frauenorganisation gegründet. Wir haben nach Lösungswegen für eine neue Zeit gesucht. Aber insbesondere aufgrund unseres extremen Dogmatismus haben wir das nicht geschafft. Ich empfinde immer noch eine Verantwortung in Bezug auf Deutschland. Aber aus Europa allein kann keine Lösung kommen. Ich bin davon überzeugt, dass die Entwicklung eines demokratischen Konföderalismus im Mittleren Osten auch Europa und Deutschland beeinflussen wird. So wie die nationalen Befreiungsbewegungen seit 1968 kann auch die Idee des demokratischen Konföderalismus die Welt erschüttern. Ich wollte ein Teil auf dem Weg dorthin sein.
Uta im Jahr 1996
Es gibt viele kämpfende Befreiungsbewegungen auf der Welt. Warum haben Sie sich nicht für eine andere Bewegung, sondern für die PKK entschieden?
Als antiimperialistische, feministische Bewegung waren wir natürlich solidarisch mit den Befreiungsbewegungen anderer Länder. Wir hatten Kontakt miteinander und gründeten internationale Frauenplattformen. Der Internationalismus und internationalistische Solidaritätsbewegungen waren in den siebziger und achtziger Jahren sehr stark. Am meisten Interesse bestand an Palästina und den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas. Aufgrund der Vernichtung der Juden in der Zeit des deutschen Faschismus fühlten sich viele Deutsche verantwortlich für eine Lösung der Palästina-Israel-Frage. Das ist meiner Meinung nach auch richtig. Aber unsere Verantwortung hätte alle Massaker, Völkermorde und jede Art von Faschismus und Militarismus einschließen müssen. Die Befreiungskräfte in Lateinamerika stehen Europa in ihrer Kultur nahe. Deshalb bestand an ihnen viel Interesse.
Interessanterweise war die Solidarität mit Kurden und Türken immer schwach. Dabei sind sie die größte Gruppe in Deutschland. Es ist einfacher, mit einem Volk und seinem Kampf solidarisch zu sein, das weit weg ist, weil man es dann idealisieren kann. Mit Kurden und Türken geht das nicht. Sie sind unsere Nachbarn, Kollegen, Mitschüler. Man sieht ihre Lebensrealität und kann sie nicht idealisieren, sie nicht zum Gegenstand der eigenen Träume machen. Solidarität lässt sich nicht vom Sessel aus erledigen. Mich haben insbesondere die kulturellen Unterschiede interessiert. Ich wollte sie kennen lernen, alles wissen und erfahren. Die Entwicklung der kurdischen Bewegung und insbesondere der kurdischen Frauen wurde in den letzten Jahren sehr anziehend für mich.
Innerhalb des Kongra-Gel sind Sie Mitglied des Disziplinarausschusses. Wie laufen Ihre Arbeiten? Mit welcher Art von Schwierigkeiten sind Sie dabei konfrontiert?
Ich war sehr unerfahren, als ich diese Aufgabe begonnen habe. Ich bin auch keine Anwältin. Mit dem bisher existierenden Rechtssystem bin ich nur als Angeklagte in Kontakt gekommen. Das ging den meisten von uns so. Deshalb haben wir ziemlich unprofessionell gearbeitet. Innerhalb dieses Jahres habe ich gelernt, dass es nicht sehr schwer ist, nach starren Regeln vorzugehen. Aber gerechte, menschliche und gewissenhafte juristische Entscheidungen zu treffen, ist sehr schwer. Dieses Thema muss noch viel mehr diskutiert werden. Wir müssen neue Methoden finden. Es ist noch viel Zeit, Recherche und Diskussion notwendig, um diesen Ausschuss richtig arbeiten zu lassen.
Zîlan-Frauenfestival 2005
Gleichzeitig haben wir die Probleme, die in der gesamten Bewegung bestehen, wie z.B. hierarchisches Denken, Klassen- und Geschlechterfrage, auch im Disziplinarausschuss erlebt. Dadurch wurde unsere Arbeit negativ beeinflusst. Das müssen wir überwinden. Das muss diskutiert und falls notwendig bekämpft werden. Unsere Aufgabe ist es, klarer zu werden. Schließlich lernen wir aus unseren Fehlern. Dieser Grundsatz gilt auch für den Disziplinarausschuss.
Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Was haben Sie gefühlt, als Sie das erste Mal in die Berge gekommen sind? Ist es Ihnen leichtgefallen, bei der Guerilla zu sein?
Das erste Mal bin ich zum ersten Kongra-Gel-Kongress in die Berge gekommen. Ich war unglaublich glücklich. Dieses Gefühl hat sich ein bisschen gelegt, als ich während des Kongresses die Realität der Organisation von nahem gesehen habe. Aber trotzdem habe ich sehr schöne Momente erlebt. Vor allem mit den Frauen von den HPG habe ich mich sehr gut gefühlt. Da hatte ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Natürlich hatte ich Probleme beim Laufen, aber ich musste auch gar nicht viel laufen. Leider konnte ich die fantastische Aussicht kaum genießen, weil ich ständig damit beschäftigt war, Atem zu holen und auf den Weg vor mir zu schauen.
Welche Bedeutung haben für Sie die Berge?
Die Berge der Freiheit, das ist für mich keine Parole mehr, sondern Wirklichkeit. Trotz aller Schwierigkeiten, oder vielleicht auch gerade deshalb, bietet das Leben in den Bergen den Einzelnen viele Möglichkeiten. Hier kannst Du Dich entwickeln und Deine individuellen Grenzen überwinden. Du kannst auf menschliche Weise leben. Das wird durch die Ausstrahlung der Genoss:innen hier bestätigt, durch ihre glänzenden Augen, ihr Lachen, ihre Haltung, ob Mann oder Frau. Die Europäer sind wie lebende Tote. Trotz aller materiellen Möglichkeiten sind ihre Augen tot und strahlen Stillstand und Hoffnungslosigkeit aus. Wir haben besonders gegen den extremen Individualismus und die Entfremdung gekämpft. Wir waren auf der Suche nach einem organisierten, kollektiven und menschlichen Leben. In Europa war das sehr schwer. Vielleicht ist es der schwerste aller Kämpfe. Meine größte Sehnsucht war es, in den Bergen zu leben. Für eine kurze Zeit konnte ich das verwirklichen. Das macht mich sehr glücklich.
Uta beim 1. Zîlan-Frauenfestival 2004
Wie bewerten Sie die dritte Generalversammlung des Kongra-Gel?
Es war sehr anders als der erste Kongress, an dem ich teilgenommen habe. Die Atmosphäre war sehr viel klarer, entschlossener und entspannter. Insbesondere die Haltung der Frauen hat sich sehr verändert. Es besteht ein Zusammenhalt und eine daraus resultierende Stärke. Natürlich gibt es immer noch viele Schwächen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Die patriarchale, hierarchische Staatslogik besteht immer noch. Das Demokratieverständnis ist nicht ganz eindeutig. Aber für mich ist der wichtigste Punkt, dass eine positive Entwicklung stattfindet. Die bestehenden Probleme sind bekannt. Aber der Willen und die Bemühungen, um diese zu überwinden, sind sehr groß. Das ist eine Entwicklung, die Anlass zur Hoffnung gibt.
Schließlich versuchen wir, eine Struktur, die von dreißig Jahren Krieg geprägt ist, und sogar ein 5000 Jahre altes System zu überwinden. Wir haben versucht, die Perspektiven Öcalans in Beschlüsse umzuwandeln, um eine solide Grundlage für die praktische Umsetzung zu schaffen. Die Umsetzung liegt in der Verantwortung aller. Die Überwindung unserer Fehler und Schwächen sowie ein freies Leben sind nur durch einen organisierten und entschlossenen Kampf an der Basis möglich.
Und wie sehen Sie das Entwicklungsniveau der Frauenbefreiungsbewegung? Was für eine Beziehung und gemeinsame Arbeit sollte mit anderen Frauenbewegungen stattfinden?
Wie ich vorhin bereits gesagt habe, sind die Frauen viel stärker geworden. Die Diskussionen vor dem Kongress, insbesondere die konkreten Diskussionen auf der vorher stattfindenden Frauenversammlung haben viel dazu beigetragen, dem Kongress Stärke zu verleihen.
Die Schwächen sind offensichtlich, aber die Haltung der Frauen war diesmal viel mehr von Klarheit, Verantwortungsbewusstsein und Offenheit geprägt. Den Kontakt zu anderen Frauenorganisationen weltweit sehe ich als sehr unzureichend an. Wir müssen den demokratischen Konföderalismus als einen internationalen Lösungsweg bekannt machen und praktische Beziehungen herstellen. Ich finde beispielsweise die Frauenorganisation Gabriella auf den Philippinen, die Frauenkooperativen in Indien und die Art und Weise des Lebens und Kämpfens der Zapatista-Frauen sehr wichtig. Es gibt noch viel mehr Beispiele dieser Art. Wir müssen voneinander lernen. Das ist ein wichtiges Standbein des demokratischen Konföderalismus.
Hinweis: Dieses Interview erschien erstmals am 18. Juni 2005 bei Mezopotamya Haber Ajansı (MHA)
https://anfdeutsch.com/frauen/gedenken-an-uta-und-amara-in-mulheim-und-ankara-32437 https://anfdeutsch.com/frauen/biografie-von-uta-schneiderbanger-auf-turkisch-erschienen-28523 https://anfdeutsch.com/aktuelles/gedenken-an-ekin-ceren-dogruak-11733
QSD nehmen mehrere IS-Mitglieder bei Razzia in Al-Busayrah fest
Bei einer gezielten Sicherheitsoperation im Osten Syriens sind mehrere mutmaßliche Mitglieder der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) festgenommen worden. Das teilte das Medienzentrum der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) am späten Freitagabend mit.
Die Operation wurde demnach vom Kommando Spezialkräfte (Hêzên Komandos) in der Kleinstadt Al-Busayrah im Osten der Provinz Deir ez-Zor durchgeführt. Unterstützt wurden die Einheiten von Truppen der internationalen Anti-IS-Koalition. Grundlage des Einsatzes sei die zuvor erfolgte Beobachtung einer aktiven IS-Zelle gewesen, hieß es.
Zur Zahl der Festnahmen machten die QSD zunächst keine Angaben. Weitere Details sollen nachgereicht werden. „Unsere Kräfte setzen in Koordination mit der internationalen Koalition ihren Einsatz zur vollständigen Zerschlagung des IS und zur Stabilisierung Syriens entschlossen fort“, erklärte das Medienzentrum.
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/qsd-is-terrorist-bei-anschlagsversuch-getotet-46470 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/qsd-melden-festnahme-wegen-verbindungen-zu-auslandischen-geheimdiensten-46462 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/qsd-vereiteln-weiteren-is-angriff-zivilist-bei-schusswechsel-verletzt-46443
15. Dersim-Festival in Frankfurt eröffnet
Unter dem Motto „Ma ne Xorasan, ma ne Tunceli! Ma Dersim me!“ („Weder aus Chorasan, noch aus Tunceli, ich bin aus Dersim!“) hat am Freitagabend im Frankfurter Rebstockpark das 15. Europäische Dersim-Kulturfestival begonnen.
Die zweitägige Veranstaltung steht im Zeichen des Widerstands gegen Assimilation sowie des Engagements für den Erhalt von Sprache, Kultur und kollektiver Erinnerung. Organisiert von der Diaspora-Gemeinschaft soll das Festival ein Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt und kulturelle Selbstbehauptung setzen.
Auftaktpanel thematisiert Kultur- und Glaubensvernichtung
Eröffnet wurde das Festival mit einem Panel zum Thema „Sprach-, Kultur- und Glaubensvernichtung – der Nahe Osten, Kurd:innen und Alevit:innen“. Auf dem Podium diskutierten Gülistan Kılıç Koçyiğit, Fraktionsvize der DEM-Partei im türkischen Parlament, Hüseyin Şimşek von der Föderation der sozialistischen Räte (SMF) und der Literaturwissenschaftler und Autor Dr. Selim Temo über historische Kontinuitäten staatlicher Repression und kollektives Gedächtnis.
Koçyiğit: Dersim schweigt nicht mehr
Die DEM-Abgeordnete Koçyiğit bezeichnete die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte als „schmerzlich, aber notwendig und würdevoll“. Die Aufarbeitung des Dersim-Genozids von 1937/38 habe jahrzehntelang unterdrückt stattgefunden, werde nun aber zunehmend öffentlich diskutiert. Auch auf den aktuellen politischen Prozess ging sie ein: Die kurdische Gesellschaft sei organisatorisch gefestigt und daher ein aktiver Faktor im geopolitischen Umbruch der Region. Im Kontext möglicher Friedensgespräche mahnte sie: „Ein nachhaltiger Lösungsprozess braucht gegenseitiges Vertrauen – und Vertrauen entsteht nur durch konkrete Schritte.“
Şimşek: Alevitentum Dersims ist einzigartig
Hüseyin Şimşek, Mitglied des Zentralkomitees der SMF, betonte die kulturelle Eigenständigkeit der Region: „Dersim ist weder Horasan noch Tunceli. Dersim ist eine eigenständige Realität.“ Der Charakter des lokalen Alevitentums unterscheide sich sowohl vom iranischen Schiitentum als auch vom arabischen Alawitentum. Er erinnerte daran, dass der Völkermord von 37/38 ein gemeinsames Projekt aller damaligen politischen Kräfte in der Türkei gewesen sei.
Temo: „Horasan-Kurd:innen sind Teil des kollektiven Gedächtnisses“
Der Literaturwissenschaftler Dr. Selim Temo unterstrich, dass die Präsenz kurdischer Stämme aus Horasan kein neues Forschungsergebnis, sondern eine im kollektiven Gedächtnis tief verankerte Tatsache sei. Am Beispiel des Klassikers Mem û Zîn von Ehmedê Xanî, der bereits vor über 300 Jahren die sozialen Strukturen kurdischer Stämme beschrieb, belegte er die Kontinuität dieser Narrative. Auch historische Quellen, Gedichte und mündliche Überlieferungen zeigten, dass die „Horasan-Kurd:innen“ seit Jahrhunderten Teil des kurdischen Bewusstseins seien.
Kultur, Musik und Vielfalt
Nach dem Panel trat der Musiker Kivrem Erdal Timurlenk auf. Zudem präsentierten Künstler:innen, Autor:innen und Handwerker:innen ihre Werke; es gab kulinarische Spezialitäten und Informationsstände. Zahlreiche Gemeindevertreter:innen sowie Abgeordnete nahmen teil.
Programm am Samstag
Am zweiten Festivaltag stehen weitere Diskussionen und ein thematisches Panel zu geschlechtsspezifischer und religiöser Gewalt auf dem Programm. Das Panel „Feminizid und Glaubensunterdrückung“ mit Elif Kaya, Zeynep Hayır, Nuray Atmaca (Moderation: Songül Morsümbül) beginnt um 11 Uhr.
Ab 13 Uhr startet das Bühnenprogramm mit einer Gulbang-Zeremonie durch Pir Zeynel Kete. Auftritte gibt es unter anderem von Grup Munzur, Çar Newa, Diyar 23, Beser Şahin, Cemîl Qoçgîrî & Zarokên Tenburxane und Hazaran, ein armenisches Musikensemble.
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TJA veranstaltet „Gesellschaftlichen Friedensmarsch“ in Amed
Die Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, TJA) hat für den 31. Mai eine Großdemonstration unter dem Motto „Gesellschaftlicher Frieden und demokratische Lösung“ angekündigt. Der Marsch soll am späten Nachmittag auf dem Şêx-Seîd-Platz im Stadtzentrum von Amed (tr. Diyarbakır) stattfinden. Erwartet werden mehrere tausend Teilnehmerinnen aus verschiedenen Teilen der Türkei und Kurdistans.
Im Zentrum der Mobilisierung stehen feministische Forderungen, eine kritische Auseinandersetzung mit der staatlichen Politik gegenüber der kurdischen Bevölkerung sowie ein Appell zur Wiederaufnahme eines Friedensprozesses. Aktivistin Arzu Karaman erklärte gegenüber ANF, der Aufruf Abdullah Öcalans vom 27. Februar sei als „neuer Impuls für Dialog und Lösung“ zu verstehen. Frauen seien aufgrund der Kriegsfolgen besonders betroffen – und zugleich entscheidend für gesellschaftliche Veränderungen.
„Frauen sind Trägerinnen des Wandels“
„Wir wollen mit der Demonstration unsere Forderung nach einem gerechten, demokratischen Leben für alle öffentlich machen“, sagte Karaman. Die Frauenbewegung rufe bewusst alle politischen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen dazu auf, sich dem Marsch anzuschließen – darunter Feministinnen, Künstlerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen, junge Frauen und Vertreterinnen religiöser und ethnischer Minderheiten.
In ihrem Aufruf zu der Protestveranstaltung betont die TJA, dass Frauen nicht nur Leidtragende von Krieg und Gewalt seien, sondern aktive Gestalterinnen einer demokratischen Gesellschaft. Der Marsch wolle deshalb auch auf Themen wie Gewalt gegen Frauen, politische Repression, Umweltzerstörung, Armut, patriarchale Familienmodelle sowie die Situation politischer Gefangener aufmerksam machen.
Aufruf zur solidarischen Teilnahme
Die Initiatorinnen verweisen zudem auf den besonderen Stellenwert des Ortes: Der Şêx-Seîd-Platz in Amed gilt als Symbol für kurdischen Widerstand und politische Versammlungen. „Wenn Frauen sich erheben, bewegt sich die Gesellschaft“, so Karaman. Der Marsch solle auch ein Aufruf an die türkische Regierung sein, auf den Friedenswillen der kurdischen Bevölkerung zu reagieren. Die Protestveranstaltung beginnt um 16 Uhr Ortszeit.
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