ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur

ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur  Feed abonnieren
ANFDeutsch
Aktualisiert: vor 1 Stunde 47 Minuten

Kältewelle verschärft humanitäre Lage im Camp Waşokanî

29. Dezember 2025 - 18:00

Eine Kältewelle mit Schneefällen hat die Situation im Flüchtlingscamp Waşokanî in Nordostsyrien deutlich verschärft. Nach Angaben von Bewohner:innen sind mehrere Zelte unter der Schneelast eingestürzt, zahlreiche weitere wurden durch eindringendes Wasser unbewohnbar. Es mangele an Heizmaterial und humanitärer Hilfe, berichten Betroffene.

Das Camp nahe der Stadt Hesekê beherbergt seit Jahren tausende Vertriebene aus der Region um Serêkaniyê (Ras al-Ain), die während der türkischen Invasion im Jahr 2019 ihre Heimat verlassen mussten. Besonders ältere Zelte seien mittlerweile stark beschädigt und böten keinen ausreichenden Schutz mehr gegen die Witterung, erklärten Geflüchtete gegenüber einem Reporter von ANHA.

 


„Unsere Zelte halten dem Schnee und der Kälte nicht stand, das Wasser dringt ein und viele Menschen sind krank“, sagte die Camp-Bewohnerin Kamra Ibrahim Abdo. Die aus Serêkaniyê stammende Frau berichtete von Atemwegserkrankungen, Fieber und Unterkühlungen unter der Bevölkerung. „Die letzte Dieselration reicht nicht aus. Wir brauchen mindestens 15 Liter Heizöl pro Tag, aber es gibt kaum Nachschub“, erklärte sie.

Mehrere Personen mussten laut ihren Angaben bereits medizinisch versorgt werden. „Unsere Matratzen sind durchnässt, die Böden in den Zelten stehen unter Wasser“, so Abdo weiter. Ihr größter Wunsch sei es, in ihre Heimat zurückzukehren: „Wir wollen einfach nur in unsere Häuser zurück. Aber jetzt brauchen wir dringend neue Zelte.“

Auch Rami Khidr, ein Vertriebener aus der Region Til Temir, schilderte die schwierige Lage: „Die Heizmittel reichen nicht aus. Unsere Zelte sind beschädigt, es fehlt an Decken, Diesel und auch an humanitärer Hilfe insgesamt.“ Er rief Hilfsorganisationen und Behörden zum sofortigen Eingreifen auf: „Wir wollen nach Hause zurück, aber bis dahin brauchen wir Schutz und Unterstützung.“

Das Camp Waşokanî, das mehrere tausend Menschen beherbergt, gerät bei jeder Kältewelle erneut an seine Grenzen. Die Infrastruktur ist schwach, die humanitäre Versorgung unzureichend. Besonders in den Wintermonaten führt das regelmäßig zu dramatischen Notlagen. Auch in anderen Lagern für Vertriebene verschärfen Kältewellen jedes Jahr die humanitäre Lage.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/sechs-jahre-nach-turkischem-einmarsch-serekaniye-48292 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/hiso-fordert-ruckzug-der-turkei-aus-syrien-und-dialog-mit-autonomieverwaltung-49244 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/nordostsyrische-selbstverwaltung-fordert-ruckkehrrecht-fur-vertriebene-49073

 

Kategorien: Externe Ticker

Artilleriebeschuss bei Tişrîn-Staudamm verletzt drei QSD-Mitglieder

29. Dezember 2025 - 18:00

Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben der islamistischen Übergangsregierung in Damaskus vorgeworfen, erneut gegen das bestehende Waffenstillstandsabkommen verstoßen zu haben. Nach Angaben des Medien- und Kommunikationszentrums der QSD kam es am Montagnachmittag gegen 16 Uhr Ortszeit zu einem Artillerieangriff auf ein Wohngebiet nahe dem Tişrîn-Staudamm südlich von Kobanê.

Bei dem Beschuss mit Artillerie und schweren Waffen seien drei Mitglieder verletzt worden, teilte das multiethnische Bündnis in einer Erklärung mit. Die Angreifer sollen bewaffnete Milizen sein, die dem Kommando des sogenannten Verteidigungsministeriums in Damaskus unterstehen.

Die QSD warfen den regierungstreuen Fraktionen vor, wiederholt Feuerpausen in verschiedenen Regionen Nord- und Ostsyriens zu brechen. Man übe jedoch das „legitime Recht auf Selbstverteidigung“ aus, um weitere Eskalationen zu verhindern und die Stabilität in der Region zu bewahren, hieß es weiter. Angaben zur Identität der Verwundeten und zur Schwere ihrer Verletzungen machte das Bündnis nicht.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/kind-getotet-drohnenangriff-auf-dorf-bei-dair-hafir-49412 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/sozdar-haci-das-10-marz-abkommen-ist-ein-wendepunkt-fur-syrien-49456 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/drei-qsd-kampfer-bei-einsatzen-in-nord-und-ostsyrien-gefallen-49448

 

Kategorien: Externe Ticker

DEM-Partei warnt nach Einsatz in Yalova vor anhaltender IS-Bedrohung

29. Dezember 2025 - 16:00

Nach dem tödlichen Antiterroreinsatz in der nordwesttürkischen Stadt Yalova hat die DEM-Partei vor einer anhaltenden Bedrohung durch die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) und ähnliche Gruppen gewarnt. In einer Stellungnahme des Parteivorstands sprach die DEM-Partei den Angehörigen der getöteten Sicherheitskräfte ihr Beileid aus und wünschte den verletzten Polizisten eine rasche Genesung.

In dem Text heißt es, vergangene Fehler in der Türkei-Politik gegenüber Syrien, dem Irak und dem Nahen Osten hätten dazu beigetragen, dass dschihadistische Strukturen in das Landesinnere getragen wurden. Sowohl aktive als auch „schlafende“ Zellen des IS seien zu einem langfristigen Sicherheitsproblem geworden, betonte die Partei.

Die DEM-Partei kritisierte zugleich, dass der Kampf gegen den IS und verwandte Gruppierungen nicht ausschließlich mit sicherheitspolitischen Mitteln geführt werden könne. Er müsse vielmehr auch gesellschaftliche, politische und internationale Dimensionen berücksichtigen. Eine dauerhafte Lösung sei nur möglich, wenn sich die Politik mit den gesellschaftlichen Ursachen und den bisherigen staatlichen Maßnahmen kritisch auseinandersetze, hieß es weiter.

Besondere Sorge äußerte die Partei mit Blick auf die Entwicklungen in Syrien und im Irak. Diese dürften nicht erneut zur Grundlage für ein Erstarken dschihadistischer Kräfte werden. Schritte, die in der Vergangenheit im Kampf gegen den IS erfolgreiche Akteure schwächten, müssten im Interesse der Sicherheit der Türkei und der gesamten Region vermieden werden.

Der Kampf gegen den Terror müsse mit einem demokratischen, friedensorientierten und solidarischen Ansatz geführt werden, erklärte die DEM-Partei abschließend. Nur so könnten weitere tragische Vorfälle wie der in Yalova verhindert werden. Die Partei rief dazu auf, in gemeinsamer Verantwortung zu handeln.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/neun-tote-bei-anti-is-operation-in-der-turkei-49458

 

Kategorien: Externe Ticker

Bericht: Systematische Internetzensur in der Türkei

29. Dezember 2025 - 16:00

In der Türkei sind im Jahr 2025 tausende Online-Inhalte gesperrt worden – besonders häufig traf es regierungskritische Berichterstattung, kurdische Medien und zivilgesellschaftliche Gruppen. Das geht aus dem neuen Jahresbericht zur Internetzensur der Initiative „Free Web Turkey“ hervor, einem Projekt der Istanbuler Medienrechtsorganisation MLSA.

Demnach wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres insgesamt 1.306 Inhalte durch gerichtliche oder administrative Entscheidungen gesperrt, während 3.330 URLs aus der Türkei nicht mehr erreichbar waren. Besonders betroffen seien journalistische Inhalte, Beiträge in sozialen Netzwerken und unabhängige Medienangebote, heißt es in dem Bericht.

Zensur auf Grundlage diffuser Sicherheitsargumente

Am häufigsten wurde laut Free Web Turkey die Sperrung mit dem Verweis auf den Schutz der „nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung“ begründet. Allein unter diesem Vorwand wurden 496 Inhalte blockiert – das entspricht rund 38 Prozent aller dokumentierten Fälle. An zweiter Stelle folgen Sperren wegen angeblicher Verstöße gegen „Persönlichkeitsrechte“ oder „Markenschutz“. In 41 Fällen wurden Inhalte sogar ohne jegliche Begründung blockiert.

Kurdische Medien und soziale Bewegungen besonders im Visier

Besonders stark von der digitalen Repression betroffen seien laut Bericht kurdische Medien, darunter vor allem die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA), deren Berichterstattung gleich mehrfach Ziel sogenannter „Sammelentscheidungen“ zur Sperrung wurde. Auch die feministische Frauennachrichtenagentur Jin News und die Zeitung „Yeni Yaşam“ seien systematisch blockiert worden – in einigen Fällen wurden sowohl Haupt- als auch Backup-Konten auf Social Media gesperrt.

Die Plattform X (ehemals Twitter) habe auf Ersuchen der türkischen Behörden mehr als 700 Nutzerkonten eingeschränkt. Darunter befänden sich laut Free Web Turkey mindestens 53 Accounts von Jugendorganisationen, 30 von Journalist:innen sowie mehrere von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen.

Auch Inhalte zur Kritik an Zwangsverwaltungen, insbesondere in den kurdischen Provinzen Wan (tr. Van), Mêrdîn (Mardin) und Colemêrg (Hakkari), seien gezielt gelöscht oder blockiert worden. Allein in diesem Themenbereich dokumentierte der Bericht 174 Sperrungen. Livestreams von Protesten sowie Social-Media-Kampagnen gegen die Praxis der Zwangsverwaltung in kurdischen Kommunen seien ebenfalls entfernt oder zensiert worden, häufig mit dem Hinweis auf nationale Sicherheit oder angebliche „Provokation“.

Mehrheit der blockierten Inhalte betrifft Regierungspartei

Laut Bericht betraf ein Großteil der blockierten Beiträge Nachrichten über Mitglieder der Regierungspartei AKP, insbesondere in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen oder Debatten über Vermögensverhältnisse. Insgesamt wurden 446 solcher Inhalte gesperrt.

Auch Beiträge von Evrensel und Bianet, zwei etablierten unabhängigen Nachrichtenportalen, waren Ziel von Sperrungen. Über 90 Artikel von Evrensel seien dabei unter dem Vorwurf der „Störung der öffentlichen Ordnung“ blockiert worden.

Zensur nimmt systematische Züge an

In der Auswertung des Berichts heißt es, die digitale Zensur in der Türkei habe inzwischen einen systematischen, umfassenden und mehrschichtigen Charakter angenommen. Die gesetzlichen Grundlagen, insbesondere die breit angewandte Klausel 8/A des Internetgesetzes Nr. 5651, würden trotz Urteilen des Verfassungsgerichts weiterhin extensiv genutzt. Neben staatlicher Zensur kritisiert der Bericht auch globale Entwicklungen, etwa Veränderungen im Google-Algorithmus, die sich negativ auf die Sichtbarkeit unabhängiger Medien in der Türkei auswirkten.

Reformforderungen im Bericht

Free Web Turkey fordert unter anderem:

▪ Eine Einschränkung von Artikel 8/A auf akute Notfälle

▪ Stärkere gerichtliche Kontrolle der Sperrentscheidungen

▪ Rechtssichere und transparente Beschwerdemechanismen

▪ Ein Ende der standardisierten Begründungen durch Strafgerichte

▪ Eine Überarbeitung der Sperrpraxis im Einklang mit demokratischen Standards

Der Bericht von Free Web Turkey kann unter diesem Link eingesehen werden: https://tinyurl.com/bdxj939y

Foto: Gruppenausstellung „Fractured Spine – Widerstand durch Sichtbarkeit von Zensur in Journalismus und Kunst” des Vereins MigrArt, Zürich | ANF

https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/bericht-Uber-1-2-millionen-websites-in-der-turkei-gesperrt-47781 https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/kurdische-und-arabische-sender-kunftig-uber-myflix-tv-verfugbar-47276 https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/dfg-kritisiert-zensur-kurdischer-medieninhalte-auf-sozialen-netzwerken-48568 https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/ihd-repression-gegen-medien-ist-zur-normalitat-geworden-47251

 

Kategorien: Externe Ticker

Helîm Yûsiv: „Schreiben ist für mich wie Atmen“

29. Dezember 2025 - 15:00

Helîm Yûsiv, einer der führenden Vertreter der modernen kurdischen Literatur, stammt ursprünglich aus Amûdê. Bei seiner letzten Reise durch Rojava hat er sich unter anderem in Dêrik und Kobanê zum literarischen und kulturellen Austausch mit Studierenden und Literaturliebhaber:innen getroffen. Zwar lebt der Schriftsteller in Deutschland, hat aber die tiefe Verbindung zu seiner Heimat nie abgebrochen und war seit der Rojava-Revolution bereits mehrfach zu Besuch in der Region.

Nach literarischen Gesprächen mit Studierenden der Universität von Kobanê, in denen er auch seine Biographie thematisierte, beteiligte Yûsiv sich an einem Literaturfestival in der Stadt. Er signierte seine Bücher und nahm an Podiumsdiskussionen teil. Während dieser Veranstaltungen teilte der Schriftsteller seine Gedanken zur kurdischen Sprache, Literatur und der Geschichte des Kampfes des kurdischen Volkes, was den Rückmeldungen zufolge vor allem die jüngeren Generationen inspirierte.

Durch Sprachverbot geprägte Schulzeit

In seiner Kindheit begegnete der Autor dem Sprachverbot, welches die kurdische Sprache lange Zeit aus bestimmten Bereiche verbannte. Die Konfrontation hiermit erlebte er in der Schule: „Als ich zur Schule ging, wurde dort eine andere Sprache gesprochen. Ich wusste nicht, dass meine eigene Sprache verboten war, da meine Mutter und mein Vater nur Kurdisch sprachen. Infolgedessen stellten sich mir viele unbeantwortete Fragen.“


Yûsiv sprach auch mit ANF über seinen Werdegang als Schriftsteller und reflektierte darüber, wie seine Beziehung zum Schreiben schon in jungen Jahren begann: „Meine Beziehung zum Schreiben begann, als ich noch sehr jung war. Meine Kindheit verbrachte ich an der Grenze, zwischen Minen, Soldaten und Stacheldraht. Nachts, wenn die Menschen in Amûdê auf den Dächern schliefen, konnte man die Lichter von Mêrdîn sehr deutlich sehen. Ich dachte immer, es seien Sterne. Erst später wurde mir klar, dass es gar keine Sterne waren, sondern eine Stadt. Die Familie meines Vaters stammt aus Nordkurdistan, und zwischen uns lag eine Grenze, die nicht überschritten werden konnte.

Fragen und die Suche nach Antworten

Als ich in die Schule kam, sprach mein Lehrer, wie bei allen kurdischen Kindern, eine andere Sprache als meine Mutter und mein Vater zu Hause. Diese sieben Jahre der Entfremdung in der Schule warfen viele Fragen in mir auf. Damals wurde mir klar, dass meine Sprache verboten war, dass sie keine Amtssprache und nicht die Sprache der Schule war. Während meiner gesamten Kindheit suchte ich nach Antworten auf diese Fragen.

Niemand sagte uns, dass dieses Land geteilt war oder dass unsere Sprache verboten worden war. Ich bewegte mich zwischen Fragen und suchte nach Antworten, und so kam ich zum Lesen. Wenn ich meine Gefühle niederschrieb, fühlte ich mich erleichtert. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Schriftsteller werden würde oder dass meine Bücher veröffentlicht würden. Aber das Schreiben tat mir gut; Schreiben ist für mich wie Atmen.“

„Wir können in unserer eigenen Sprache schreiben“

Mit einer Entscheidung, die er 1996 traf, begann Helîm Yûsiv, alle seine Werke ausschließlich auf Kurdisch zu schreiben. Er unterstrich die Bedeutung der kurdischsprachigen Literatur und sagte: „Wenn ein Engländer auf Englisch schreibt und ein Türke auf Türkisch, dann können wir Kurden auch in unserer eigenen Sprache schreiben.“

In seiner Jugend sah sich Yûsiv aufgrund seiner Bücher dem Druck des syrischen Regimes ausgesetzt. Nachdem seine Werke wiederholt verboten worden waren und seine Familie Einschüchterungen ausgesetzt war, sah er sich Anfang der 2000er Jahre gezwungen, sich in Deutschland niederzulassen. Dort lebt der Schriftsteller auch heute und verfolgt während seiner Besuche in Rojava weiterhin aufmerksam den Widerstand und das kulturelle Erwachen des kurdischen Volkes.

Das Vertrauen in die eigene Sprache und sich selbst

Bis heute sind mehr als fünfzehn Bücher von Helîm Yûsiv erschienen. Zu seinen wichtigsten Werken gehören Mêrê Avis, Wehşê di Hundirê min de, 99 Morikên Belavbûyî, Auslandir Beg, Gava ku Masî tî dibe, Tirsa Bê Diran, Memê bê Zîn, Sobarto, Mirî Ranazin, Jinên Qatên Bilind, Firîna bi Baskên Şikestî, Serdema Qazîmazî, Romana Kurdî, Komara Dînan und Neviyê Tozê.

Yûsiv verbindet in seinen Werken kurdisches Leben, Unterbewusstsein, Träume und Realismus und schrieb sein jüngstes Buch als einen Roman, der von persönlichen Erinnerungen geprägt ist. Für die jüngere Generation ist ihm folgende Botschaft eine Herzensangelegenheit: „Ich hoffe, dass diese Generation, die in ihrer eigenen Sprache liest und schreibt, sowohl ihrer Sprache als auch sich selbst vertraut. Wenn wir etwas Kurdisches tun, dient es dem Kurdentum nicht, wenn wir es in einer anderen Sprache tun.“

https://deutsch.anf-news.com/kultur/sorgen-um-kurdische-literatur-verlage-beklagen-sinkendes-interesse-an-buchern-in-muttersprache-48640 https://deutsch.anf-news.com/kultur/akter-ich-schreibe-damit-meine-rebellion-gehor-findet-48596 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/jineoloji-im-fokus-der-internationalen-buchmesse-qamislo-48531 https://deutsch.anf-news.com/kultur/buchmesse-in-rojava-setzt-starkes-zeichen-der-kulturellen-blute-43987

 

Kategorien: Externe Ticker

Neun Tote bei Anti-IS-Operation in der Türkei

29. Dezember 2025 - 15:00

In der Türkei sind bei einem Einsatz gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) drei Polizisten und sechs mutmaßliche IS-Mitglieder getötet worden. Neun weitere Menschen wurden bei der Razzia gegen vermutete Angehörige der Gruppierung in Yalova im Nordwesten des Landes verletzt, wie Innenminister Ali Yerlikaya am Montag mitteilte.

„Drei unserer mutigen Polizisten haben leider ihr Leben verloren. Acht Polizisten und ein Sicherheitsbeamter wurden verletzt“, sagte Yerlikaya. Dem AKP-Politiker zufolge fanden „gleichzeitige Einsätze“ an 108 Adressen in 15 Provinzen des Landes statt, darunter im rund 100 Kilometer südöstlich von Istanbul gelegenen Yalova. Während der Operation hätten „IS-Terroristen“ das Feuer auf die Beamten eröffnet.

Bei den sechs getöteten IS-Mitgliedern handle es sich um türkische Staatsbürger, sagte Yerlikaya. Fünf Frauen und sechs Kinder, die sich bei den Dschihadisten aufgehalten hätten, seien in Sicherheit gebracht worden, so der Minister weiter. 

Vergangene Woche hatte ein Istanbuler Staatsanwalt die Festnahme von 137 mutmaßlichen IS-Mitgliedern angeordnet, 115 von ihnen seien in Gewahrsam genommen worden. Laut türkischen Sicherheitsbehörden soll der sogenannte IS Anschläge während der Feiertage zum Jahreswechsel geplant haben.

Kategorien: Externe Ticker

Neue Umweltschutzkräfte in Nord- und Ostsyrien aufgestellt

29. Dezember 2025 - 15:00

Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat eine neue Spezialeinheit zum Schutz der Umwelt gegründet. Die Umweltschutzkräfte wurden von der Behörde für innere Sicherheit (Asayîş) in enger Abstimmung mit dem regionalen Umweltkomitee ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Natur systematisch zu schützen und Umweltvergehen in der Region einzudämmen.

Die Gründung geht auf die Beschlüsse des jährlichen Treffens des Umweltkomitees Nord- und Ostsyriens vom 15. Dezember zurück. Die offizielle Vorstellung der neuen Struktur fand am Montag im Gebäude der Umweltbehörde im Kanton Raqqa statt. An der Veranstaltung nahmen Vertreter:innen der neuen Einheit, Delegierte der regionalen Umweltversammlungen sowie die Ko-Vorsitzenden der Umweltbehörde teil.

Der Ko-Vorsitzende des Umweltkomitees, Ibrahim el-Esed, betonte in seiner Rede die Bedeutung einer konsequenten ökologischen Überwachung. Die vergangenen Jahre hätten in Syrien insgesamt – und in Nord- und Ostsyrien im Besonderen – deutliche Spuren in der Umwelt hinterlassen, sagte er. Die Region stehe vor einer Vielzahl ökologischer Herausforderungen, die aktives Handeln erforderten.

Jasim al-Dhaif, ein leitender Vertreter der neuen Einheit, erklärte, die Umweltschutzkräfte seien nicht nur für die Durchsetzung von Umweltauflagen zuständig, sondern würden auch präventiv und aufklärend tätig sein. Der Aufbau der Einheit erfolge auf Basis klar definierter ökologischer Kriterien, die vom Umweltkomitee festgelegt wurden.

Die neue Struktur soll künftig in sämtlichen Städten und Kantonen Nord- und Ostsyriens präsent sein. Zu den Aufgaben zählen unter anderem die Bekämpfung von Wilderei, das Verhindern illegaler Abholzung und der Schutz von Boden, Luft und Wasser. Patrouillen und Kontrollen sollen in Zusammenarbeit mit der Umweltbehörde in Schutzgebieten, Wäldern und entlang von Flüssen stattfinden.

Wie al-Dhaif weiter mitteilte, werde die Einheit mit ausreichend Personal ausgestattet und solle ab dem Jahr 2026 durch ein strategisches Entwicklungsprogramm gestärkt und ausgebaut werden. Ein besonderer Fokus liege zudem auf der Vorbereitung auf Naturkatastrophen. Künftig solle die Einheit auch auf Notfälle wie Überschwemmungen oder Waldbrände rund um die Uhr reagieren können.

Mit der Gründung der Umweltschutzkräfte verfolgt die Selbstverwaltung das Ziel, Umweltschutz als festen Bestandteil gesellschaftlicher Sicherheit zu etablieren. Die Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen soll helfen, langfristig eine gesunde und nachhaltige Umwelt im gesamten Gebiet Nord- und Ostsyriens zu gewährleisten.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/umweltrat-in-nordostsyrien-stellt-weichen-fur-okologisches-jahr-2026-49279 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/demokratischer-volkerkongress-in-nordostsyrien-verabschiedet-umweltgesetz-48384 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/chabur-fluss-in-rojava-vollstandig-ausgetrocknet-46633

 

Kategorien: Externe Ticker

Sozdar Hacî: Das 10.-März-Abkommen ist ein Wendepunkt für Syrien

29. Dezember 2025 - 14:00

Die YPJ-Kommandantin Sozdar Hacî hat sich in einem Rückblick auf die Ereignisse des zurückliegenden Jahres zur innenpolitischen Lage Syriens, zur Rolle der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), zu geopolitischen Machtverschiebungen sowie zur Bedeutung des 10.-März-Abkommens im Lichte der Friedensinitiative Abdullah Öcalans geäußert. Die Analyse beleuchtet die Perspektive der Selbstverwaltung und stellt deren sicherheitspolitische, gesellschaftliche und politische Ziele in den Kontext eines weiterhin fragilen syrischen Staatengefüges.

Zusammenbruch des Baath-Regimes und regionale Umbrüche

Sozdar Hacî, die Mitglied des Generalkommandos von QSD und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) ist und zu dem Verhandlungskomitee gehört, das die Gespräche mit Damaskus führt, erklärte mit Blick auf die gegenwärtige Dynamik in Syrien, das mit der syrischen Übergangsregierung am 10. März unterzeichnete Abkommen sei eine Antwort auf die vielschichtigen Forderungen der Völker Syriens und insbesondere auf den Friedensappell Abdullah Öcalans.

„In unserer Region hat sich vieles tiefgreifend und in sehr kurzer Zeit verändert“, so Hacî. „Das über sechzig Jahre unter dem Einfluss Irans, der Türkei, der Hisbollah und weiterer externer Akteure regierte syrische Baath-Regime ist zusammengebrochen. Mit diesem Bruch verschoben sich die politischen Kräfteverhältnisse im Land grundlegend. Aufgrund der geostrategischen Lage Syriens hatte dieser Wandel unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Region.“

 


Die Kommandantin betonte jedoch, dass trotz des institutionellen Zerfalls keine ideologische Erneuerung innerhalb des Baathismus stattgefunden habe: „Weder Russland noch Iran haben ihre Verbindungen zum Regime aufgegeben, und das baathistische Denken bleibt bis heute intakt.“

HTS als Ausdruck externer Machtinteressen

In Bezug auf die Offensive vom 27. November 2024, die zum Fall des Langzeitherrschers Baschar al-Assad führte, erklärte Hacî, dass die Gruppierung „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) mit internationaler Rückendeckung zur dominierenden Kraft aufsteigen konnte. „Auch wenn die Operation zunächst nicht wie ein großangelegter Plan erschien, wurde mit der Zeit deutlich, dass HTS durch koordinierte Absprachen systematisch der Weg zur Kontrolle über weite Teile Syriens geebnet wurde. Das zeigte: Internationale Kräfte sahen das Baath-Regime nicht mehr als funktionalen Partner.“

Der rasche Zusammenbruch eines langjährig gefestigten Staates innerhalb von nur zwölf Tagen könne nicht durch interne Dynamiken erklärt werden, so Hacî, sondern sei Ergebnis externer Einflussnahme. HTS sei bis nach Damaskus vorgedrungen, ohne auf offenen militärischen Widerstand zwischen Aleppo und der Hauptstadt zu stoßen. Die Kommandantin hob zudem hervor, dass die Regionen Efrîn-Şehba und Aleppo während dieser Phase schweren Angriffen Türkei-gestützter Dschihadistenmilizen ausgesetzt waren: „Tel Rifat, Şehba, sowie Aleppos kurdische Stadtviertel Şêxmeqsûd und Eşrefiyê waren besonders betroffen. Gegen diese Angriffe formierte sich ein entschlossener Widerstand.“

Widerstand in Nord- und Ostsyrien

Die QSD und YPJ hätten frühzeitig Maßnahmen zur Verteidigung der Bevölkerung getroffen und strategische Positionen eingenommen, um die Ausweitung der Gewalt einzudämmen. Der Konflikt breitete sich jedoch weiter aus, unter anderem in Richtung Minbic, Qereqozax, des Tişrîn-Staudamms und Dair Hafir. „Der Widerstand schloss auch Gebiete ein, die zuvor vom Baath-Regime kontrolliert wurden und die wir gegen den IS und andere Milizen verteidigten“, betonte Hacî. Die Angriffe seien nicht etwa Ausdruck eines Kampfes gegen das alte Regime, sondern richteten sich gezielt gegen demokratische und selbstverwaltete Strukturen.

Die militärische Unterstützung dieser Gruppen durch eine NATO-Armee mit erheblicher technologischer Überlegenheit sei offensichtlich gewesen. Dennoch hätten sich junge Menschen aus allen Teilen der Region, teils mit begrenzten Mitteln, erfolgreich zur Verteidigung organisiert – etwa bei der monatelangen Sicherung des Tişrîn-Staudamms, der zum Symbol kollektiver Selbstverteidigung wurde.

Erfolgreiche Operationen gegen IS

Hacî betonte, dass der Vormarsch von QSD-Einheiten in strategische Gebiete wie Deir ez-Zor, al-Mayadin und Abu Kamal kurz nach dem Fall Assads eine gezielte Rückkehr der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in die Region verhindert habe. „Zuvor nutzte das alte Regime verbündete Stämme und vor allem den IS selbst, um unsere Strukturen zu attackieren. Doch mit dem Eintritt der QSD in diese Regionen wurde dieser Bedrohung entgegengewirkt.“

Die Übergabe der Gebiete an die syrische Übergangsregierung sei als politisches Signal zu verstehen – zur Bekräftigung einer gemeinsamen nationalen Zugehörigkeit. Trotz wiederholter Versuche des IS, erneut Fuß zu fassen, sei es den QSD in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition gelungen, zahlreiche Angriffe erfolgreich abzuwehren.

Ein Friedensappell mit weitreichender Wirkung

Als bedeutenden ideologischen Bezugspunkt nannte Hacî den im Februar veröffentlichten „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ des in der Türkei inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan: „Dieser Appell war in einer angespannten Phase wie ein Gegengift zum Krieg. Er forderte eine politische Lösung durch Dialog und betonte die Notwendigkeit demokratischer Verhandlungen. Die Auswirkungen dieses Appells waren in ganz Syrien spürbar, besonders in den autonom verwalteten Regionen.“ Das daraus resultierende politische Klima habe die Grundlage für das spätere 10.-März-Abkommen geschaffen.

Das 10.-März-Abkommen als politischer Meilenstein

Abschließend ging Sozdar Hacî auf das zwischen der Selbstverwaltung und der syrischen Übergangsregierung geschlossene 10.-März-Abkommen ein: „Dieses Abkommen war ein direkter Ausdruck des Willens zur Deeskalation. Es sollte einen Genozid verhindern und den Dialog zwischen den Kräften institutionalisieren. Die Vereinbarung enthält zentrale Punkte zur Anerkennung von Vielfalt, zur Verhinderung von Wiederholung historischer Verbrechen und zur Schaffung einer demokratischen, ökologischen und geschlechtergerechten Gesellschaft.“

Insbesondere für das kurdische Volk sei das Abkommen von zentraler Bedeutung: „Es bekräftigt das Recht der Kurd:innen, als gleichberechtigte Bürger:innen in allen Teilen Syriens zu leben und ihre kulturelle Identität frei auszuüben.“ Allerdings zeigte sich Hacî enttäuscht über die ausbleibende Umsetzung der Vereinbarungsinhalte: „Abgesehen von der temporären Einstellung der Kampfhandlungen wurde bislang kein einziger Punkt des Abkommens realisiert, obwohl weiterhin bewaffnete Konflikte in verschiedenen Teilen des Landes anhalten.“

Im nächsten Teil der Analyse folgt ein vertiefender Blick auf die Politik der syrischen Übergangsregierung im Jahr 2025, ihre Rolle im politischen Gefüge des Landes sowie die Position der Kurd:innen und der YPJ in der Zukunft Syriens.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/haci-integration-bedeutet-nicht-identitatsverlust-sondern-demokratische-partnerschaft-49246 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/vorlaufige-einigung-uber-militarische-integration-in-syrien-erzielt-49311 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-kommandant-abdi-kundigt-reise-nach-damaskus-an-49415 https://deutsch.anf-news.com/frauen/ypj-kommandantin-zu-gesprachen-mit-damaskus-integration-heisst-nicht-unterwerfung-48453 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/aldar-xelil-syrien-wird-in-ein-vakuum-gefuhrt-und-der-weg-in-neue-konflikte-ist-vorgezeichnet-49416

 

Kategorien: Externe Ticker

Geplantes Treffen zwischen Selbstverwaltung und Damaskus verschoben

29. Dezember 2025 - 14:00

Ein für diesen Montag angesetztes Treffen zwischen der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens und der syrischen Übergangsregierung zur Umsetzung des 10.-März-Abkommens ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Das teilten die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) mit.

In einer Erklärung des QSD-Pressezentrums hieß es, der Besuch von Generalkommandant Mazlum Abdi und einer Delegation der Autonomieverwaltung in Damaskus sei „aus technischen und logistischen Gründen“ vertagt worden. Ein neuer Termin werde derzeit zwischen beiden Seiten abgestimmt.

Das Treffen sollte ursprünglich der weiteren Umsetzung des 10.-März-Abkommens dienen – eines politischen Verständigungsdokuments, das als Grundlage für eine mögliche Zusammenarbeit im syrischen Übergangsprozess gilt. Die QSD betonten, dass die Verschiebung keinerlei Auswirkungen auf die angestrebten Ziele oder den generellen Fortschritt des Abkommens habe. Die Gespräche zwischen den Parteien zur Terminfindung dauerten an.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-kommandant-abdi-kundigt-reise-nach-damaskus-an-49415 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/syrien-tote-bei-angriffen-auf-proteste-alawitischer-minderheit-49450 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/syriens-wandel-zentralistisches-beharren-und-fragile-vereinbarungen-49432

 

Kategorien: Externe Ticker

Nach Schneesturm in Südkurdistan: 21 Vermisste gerettet

29. Dezember 2025 - 12:00

In der südkurdischen Biradost-Region (Sîdekan) sind insgesamt 21 Personen, die seit zwei Tagen wegen eines heftigen Schneesturms als vermisst galten, lebend geborgen worden. Das teilten örtliche Behörden am Montag mit.

Die Betroffenen – 13 aus Rojhilat (Ostkurdistan) und acht aus dem Süden – waren auf der Lolan-Hochebene nahe der iranischen Grenze eingeschneit. Laut dem Gouverneur Ihsan Çelebi wurden sie nach intensiven Suchmaßnahmen wohlbehalten gerettet. Todesmeldungen, die zwischenzeitlich kursierten, seien falsch, so Çelebi.

„Alle 21 Personen konnten heute dank der Anstrengungen der Behörden und der Bevölkerung lebend gerettet werden“, sagte Çelebi gegenüber der lokalen Presse. Die Gesundheitszustände der Geretteten seien stabil, eine baldige Rückkehr zu ihren Familien sei geplant.

Die Gruppe hatte sich in höher gelegene Weidegebiete begeben, um Vieh zu hüten, als sie von starkem Schneefall überrascht wurde. Die Schneedecke erreichte laut Behörden örtlich bis zu zwei Meter Höhe. Die Region war in den vergangenen Tagen von einer schweren Kälte- und Niederschlagswelle betroffen, die voraussichtlich bis zum Wochenende anhalten wird.

Die Behörden riefen die Bevölkerung erneut zur Vorsicht auf. Insbesondere Aufenthalte in hochgelegenen Bergregionen sollten vermieden werden.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/mehrere-vermisste-nach-heftigen-schneefallen-in-sudkurdistan-49444

 

Kategorien: Externe Ticker

2025 im Schatten des „Jahres der Familie“: Gewalt, Armut, Widerstand

29. Dezember 2025 - 9:00

Die türkische Regierung eröffnete das Jahr 2025 mit der offiziellen Ausrufung eines „Jahres der Familie“. In der politischen Kommunikation wurde dies als Maßnahme zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der institutionellen Rolle der Familie dargestellt. Zugleich jedoch zeigte sich über den Jahresverlauf hinweg, dass dieses Narrativ individuelle Rechte, insbesondere die von Frauen, systematisch ausblendete. Parallel dazu rückten politisch motivierte Maßnahmen gegen LGBTIQ+-Personen verstärkt in den Fokus.

Nach Angaben von NGOs wurden bis November mindestens 569 Frauen getötet. 287 dieser Frauen starben unter ungeklärten oder verdächtigen Umständen. Diese Zahlen markieren nicht nur eine Eskalation geschlechtsspezifischer Gewalt, sondern verdeutlichen auch die eklatante Kluft zwischen dem staatlich propagierten Schutz der Familie und dem fehlenden Schutz von Frauenleben.

Reproduktionspolitik statt Gleichstellung

Im Rahmen des „Jahres der Familie“ setzte die Regierung auf Maßnahmen zur Förderung der Geburtenrate und legte dabei den Fokus auf traditionelle Geschlechterrollen. Programme wie zinsfreie Ehe-Kredite, Geburtsprämien oder familienorientierte Unterstützungsleistungen etablierten ein politisches Leitbild, das Frauen primär über ihre Funktion als Mütter und Fürsorgende definiert. Frauenorganisationen kritisierten diese Politik als ideologisch motiviert: Sie marginalisiere weibliche Erwerbsarbeit, ignoriere individuelle Rechte und reproduziere strukturelle Ungleichheit. Während staatliche Medien die Kampagne als Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilisierung präsentierten, wiesen unabhängige Stimmen auf die Gleichzeitigkeit von Femiziden und repressiven Maßnahmen gegen LGBTIQ+-Communities hin – und damit auf einen fundamentalen Widerspruch zwischen politischem Diskurs und sozialer Realität.

Schutzgesetze ohne Wirkung: Straflosigkeit als strukturelles Problem

Obwohl das Gesetz Nr. 6284 den Schutz von Frauen vor Gewalt gewährleistet, berichten zahlreiche Organisationen davon, dass es in der Praxis nicht effektiv zur Anwendung kommt. Schutz- und Kontaktverbote würden häufig nicht durchgesetzt; Polizei und Justiz nähmen vielfach eine versöhnungsorientierte Haltung gegenüber gewaltausübenden Männern ein. Frauen, die wiederholt Anzeige erstatteten, blieben oftmals ohne Schutz – einige wurden sogar von Tätern getötet, gegen die bereits gerichtliche Maßnahmen verhängt worden waren.

Berichte von Anwaltskammern und des Menschenrechtsvereins IHD dokumentieren zudem, dass Strafverfolgungsbehörden Verfahren um patriarchale Gewalt regelmäßig mit Verweis auf „unzureichende Beweislage“ einstellen. Zugleich würden Frauen durch Polizei und Justiz aktiv entmutigt, Anzeige zu erstatten – unter Berufung auf die „Einheit der Familie“. Der Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention hat diesen rechtsstaatlichen Leerraum weiter verschärft. In der politischen Praxis rücke der Schutz patriarchaler Familienstrukturen zunehmend vor den Schutz von Frauenleben. Frauenorganisationen bewerten diese Entwicklung als Ausdruck eines strukturellen Problems: Gewalt gegen Frauen sei kein Einzelfall, sondern Teil einer politischen Realität, in der männliche Gewalt toleriert oder gar ermöglicht werde.

Gesetzesinitiative gegen LGBTIQ+

Zu den umstrittensten Vorhaben im Rahmen des „Jahres der Familie“ zählte ein von der regierenden AKP erarbeiteter Gesetzesentwurf, der auf eine weitreichende Einschränkung der Rechte von LGBTIQ+-Personen abzielte. Der Entwurf sah vor, den Tatbestand der „Förderung von Verhalten, das der biologischen Geschlechtsidentität widerspricht“ in das türkische Strafgesetzbuch aufzunehmen. Ziel war es, nicht-heteronormative Identitäten und Lebensweisen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und faktisch zu kriminalisieren.

Darüber hinaus sollte auch Artikel 40 des Zivilgesetzbuchs, der den juristischen Prozess der Geschlechtsangleichung regelt, durch zusätzliche Hürden erschwert werden. Der Entwurf deklarierte die bloße öffentliche Existenz von LGBTIQ+-Personen als „unsittliches Verhalten“ und stellte diese unter Strafandrohung.

Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie zahlreiche Frauen- und LGBTIQ+-Verbände kritisierten das Gesetzesvorhaben scharf. Die Vorschläge seien nicht nur ein direkter Angriff auf das Recht auf Selbstbestimmung und Sichtbarkeit, sondern bedrohten auch aktiv das Leben und die Sicherheit von LGBTIQ+-Personen. Amnesty International warnte zudem vor der Gefahr, dass selbst Unterstützer:innen, Organisationen und Medien, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, durch das Gesetz strafrechtlich verfolgt werden könnten.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan verteidigte den Entwurf öffentlich mit dem Verweis auf eine angebliche Bedrohung der Familie durch „globale illegitime Strömungen“ und rahmte das Vorhaben ideologisch. Doch der politische und gesellschaftliche Widerstand blieb nicht aus: Nach massiver Kritik seitens feministischer Gruppen, queerer Aktivist:innen und internationaler Stimmen wurde der Entwurf zurückgezogen, bevor er dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden konnte.

Politische Repression gegen Frauen in Politik und Medien

Auch im politischen Raum wurden Frauen im Jahr 2025 verstärkt zum Ziel staatlicher Repressionen. Im Rahmen von Operationen gegen den Demokratischen Gesellschaftskongress (HDK) wurden insgesamt 52 Personen festgenommen – darunter mindestens zwölf Frauen, vornehmlich Aktivistinnen und Politikerinnen. Zudem richteten sich mehrere Ermittlungsverfahren gegen kommunale Mandatsträgerinnen der oppositionellen CHP: Auch hier wurden Bürgermeisterinnen und weibliche Mitglieder kommunaler Parlamente festgenommen. Beobachter:innen werteten diese Maßnahmen als Ausdruck einer systematischen Einschränkung weiblicher politischer Repräsentation.

Noch prekärer stellte sich die Lage für Journalistinnen dar. Laut dem Januar-Bericht des Verbands der Journalistinnen aus Mesopotamien (MKG) wurden allein im ersten Monat des Jahres vier Journalistinnen inhaftiert; bis August stieg diese Zahl auf fünf an. Daten der Organisation Punto24 zeigen zudem, dass innerhalb eines dreimonatigen Zeitraums insgesamt 103 Medienschaffende strafrechtlich verfolgt wurden – ein erheblicher Teil davon waren Frauen. Weibliche Journalist:innen waren dabei mehrfach benachteiligt: Neben repressiven Maßnahmen aufgrund ihrer journalistischen Arbeit sahen sie sich geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt.

Der Jahresbericht 2025 des Menschenrechtsvereins IHD dokumentierte zudem schwerwiegende Rechtsverletzungen gegenüber inhaftierten Frauen. Demnach litten zahlreiche Gefangene unter Überbelegung, mangelnder Hygiene und unzureichendem Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Kündigung der Istanbul-Konvention habe den ohnehin bestehenden rechtlichen Schutz weiter ausgehöhlt – insbesondere im Kontext der ideologischen Rahmung des „Jahres der Familie“, das die Lebensrealität vieler Frauen zusätzlich verschärfte.

Darüber hinaus verwies der Bericht auf strukturelle Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt: Hohe Arbeitslosigkeit unter Frauen und die wachsende Prekarisierung weiblicher Erwerbsarbeit wurden in direktem Zusammenhang mit staatlicher Familienpolitik betrachtet. Die strategische Rückbindung von Frauen an das familiäre Umfeld durch politische Maßnahmen trage maßgeblich zur Marginalisierung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe bei.

Der Fall Rojin Kabaiş und der Mord an Narin Güran

Zwei Fälle aus dem kurdischen Teil der Türkei rückten im Jahr 2025 exemplarisch ins Licht der Öffentlichkeit und warfen ein Schlaglicht auf die fortdauernde Praxis staatlicher Straflosigkeit sowie die mangelnde Aufarbeitung geschlechtsspezifischer Gewalt. Besonders der Tod der Studentin Rojin Kabaiş wurde zu einem Symbol für behördliches Versagen und institutionelle Schutzlosigkeit.

Die seit Ende September 2024 vermisste Studentin der YYÜ-Universität in Wan (tr. Van) wurde nach 18 Tagen tot am Ufer des Wan-Sees aufgefunden. Trotz eindeutiger Hinweise – darunter DNA-Spuren von zwei unterschiedlichen Männern am Körper der jungen Frau – wurde die Untersuchung monatelang verschleppt. Telefon- und Bewegungsdaten wurden über lange Zeiträume nicht ausgewertet, die Ermittlungen drohten eingestellt zu werden. Auch ein im Parlament eingebrachter Antrag zur Aufklärung des Falls wurde abgelehnt – was in der Öffentlichkeit den Eindruck erhärtete, Täter würden durch staatliche Untätigkeit bewusst geschützt. Erst infolge massiven zivilgesellschaftlichen Drucks wurde das Verfahren wieder aufgenommen – ein Vorgang, der exemplarisch zeigt, wie wenig effektiv das Lebensrecht von Frauen durch staatliche Strukturen geschützt wird.

Ein weiterer Fall, der landesweite Aufmerksamkeit erregte, war der Mord an der achtjährigen Narin Güran in der Provinz Amed (Diyarbakır). Sie wurde im Sommer 2024 in ihrem Wohnumfeld ermordet. Die auffällige Stille im Anschluss an die Tat sowohl im Dorf als auch in den Ermittlungen wurde von Beobachter:innen als Ausdruck patriarchaler Einschüchterung und eines tief verankerten Schweigegebots gewertet. Selbst ein Jahr nach der Tat blieb die zentrale Frage nach dem Motiv unbeantwortet. Die anhaltende Straflosigkeit offenbarte eine institutionelle Schwäche beim Schutz von Kindern und verdeutlichte, wie tief verankert die strukturelle Gleichgültigkeit gegenüber kindlichem Leben in staatlichen Mechanismen ist.

Beide Fälle machten deutlich, wie fragil das Lebensrecht von Frauen und Kindern in einem politischen Kontext ist, in dem Familie und Männlichkeit ideologisch überhöht werden. Die staatliche Rhetorik, die Familie als schützenswerte Institution ins Zentrum stellt, erweist sich in der Realität als substanzlos – insbesondere dann, wenn Gewalt gegen Frauen und Kinder nicht effektiv verfolgt wird. Der Schutz des männlich geprägten Familienideals hat in beiden Fällen das Recht auf Leben in den Hintergrund gedrängt.

Frauen in Kurdistan zwischen Gewalt, Armut und politischer Repression

Im Jahr 2025 verdeutlichten zahlreiche Berichte aus Nordkurdistan, mit welcher Vielzahl an Herausforderungen Frauen in der Region konfrontiert sind. Berichte des IHD, der Anwaltskammern und der Bewegung freier Frauen (TJA) aus Städten wie Amed, Mêrdîn (Mardin), Êlih (Batman), Colemêrg (Hakkari), Sêrt (Siirt) und Wan zeichnen ein alarmierendes Bild: Frauen sehen sich nicht nur in ihrem Recht auf Leben bedroht, sondern auch in ihrer ökonomischen Existenz und politischen Handlungsfähigkeit massiv eingeschränkt.

Der Jahresbericht 2025 der IHD-Zweigstelle in Amed dokumentierte, dass zwischen dem 1. November 2024 und dem 1. November 2025 mindestens 88 Frauen durch Gewalt ums Leben gekommen oder in den Suizid getrieben worden sind. Die meisten Frauen seien von Vätern, Söhnen oder (Ex-)Ehemännern getötet worden – häufig als Reaktion auf Trennungswünsche oder alltägliche Konflikte. Der Bericht hält fest: Manche Frauen wurden im Schlaf ermordet, andere nur deshalb, weil sie etwa kein Wasser brachten. Diese Fälle machen deutlich, dass tödliche Gewalt gegen Frauen tief im patriarchalen Alltag verwurzelt ist.

Auch die Anwaltskammer in Mêrdîn sprach in ihrem Bericht von einem erschütternden Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt: Bereits in den ersten Monaten des Jahres seien 183 Frauen Opfer von Missbrauch, systematischer Gewalt oder Femiziden geworden. Die Vorsitzende des Frauenrechtszentrums, Başak Ayyıldız, betonte, dass in den meisten Fällen die Täter aus dem engsten familiären Umfeld stammten: Ehemänner, Ex-Partner, Väter oder Brüder. Die Familienstruktur, so das Fazit, stelle die zentrale Gefahrenquelle für Frauen in der Region dar.

Frauen wird ökonomische Selbstständigkeit systematisch verwehrt

Aus Colemêrg wurde berichtet, dass Frauen nach dem Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zunehmend schutzlos gegenüber häuslicher Gewalt und öffentlicher Diskriminierung seien. In Sêrt wiederum wiesen Jurist:innen auf strukturelle Hürden beim Zugang zum Recht hin, etwa in Form diskriminierender Verfahrensweisen und einer Justiz, die Betroffene systematisch benachteilige. In Wan machte der Bericht des Frauenvereins Star das Ausmaß sozialer Ungleichheit sichtbar: In einer Befragung gaben 84 Prozent der befragten Frauen an, vor allem mit geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung in ihrem Leben konfrontiert zu sein. Die Anwaltskammer von Wan zählte in einem Zeitraum von 21 Monaten insgesamt 2.299 Frauen und Kinder, die Opfer unterschiedlichster Gewaltverbrechen wurden – ein statistischer Beleg für die Eskalation von Gewalt in der Region.

Alle Berichte kamen zu einem übereinstimmenden Befund: Frauen wird ihre ökonomische Selbstständigkeit systematisch verwehrt, während gleichzeitig Schutzmechanismen gegen Gewalt und Diskriminierung unzureichend bleiben. Trotz dieser repressiven Bedingungen zeigten sich auch Zeichen des Widerstands. In Êlih gingen zum 25. November – dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – Hunderte Frauen auf die Straße. Unter dem Motto „Für ein gewaltfreies, freies Leben in einer demokratischen Gesellschaft“ protestierten sie gegen patriarchale Gewalt und staatliche Unterdrückung. Die TJA wies in ihren Erklärungen auf die systematische Einschränkung der Organisierung von Frauen hin: Frauenhäuser und Beratungsstellen seien von den Zwangsverwaltungen geschlossen worden, politische Teilhabe werde gezielt unterdrückt.

Frauenarmut als strukturelles Ergebnis ideologischer Familienpolitik

Laut dem Arbeitsmarktbericht des Forschungsinstituts des Gewerkschaftsdachverbands DISK lag die Quote registrierter und vollzeitbeschäftigter Frauen im Jahr 2025 bei lediglich 19,7 Prozent. Zum Vergleich: Bei Männern betrug dieser Wert 49,1 Prozent. Besonders betroffen waren junge Frauen: Die „erweiterte Arbeitslosigkeit“, die auch Erwerbslosigkeit trotz Arbeitsbereitschaft umfasst, erreichte in dieser Gruppe einen Wert von 48,9 Prozent. Insgesamt lag die erweiterte Arbeitslosenquote für Frauen bei 39,4 Prozent, was auf eine strukturell prekäre Stellung von Frauen am Arbeitsmarkt hinweist.

Auch die offiziellen Zahlen der türkischen Statistikbehörde TÜIK spiegeln diese Ungleichheiten wider. Demnach betrug die eng gefasste Arbeitslosenquote im Jahr 2025 zwar insgesamt acht Prozent, doch die erweiterte Quote lag bei 29,6 Prozent – mit signifikant höheren Werten bei Frauen. Hinzu kommt: Frauen benötigten im Durchschnitt deutlich mehr Zeit als Männer, um eine neue Beschäftigung zu finden.

Frauenorganisationen analysierten in ihren Berichten, dass die ökonomische Benachteiligung von Frauen nicht allein auf Arbeitsmarktfaktoren zurückzuführen sei. Vielmehr sei sie eng mit der staatlich propagierten, familienzentrierten Ideologie verknüpft. Diese Politik halte Frauen systematisch im häuslichen Bereich und erschwere ihre gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben. Besonders gravierend sei der Mangel an staatlich geförderten Betreuungsangeboten: Fehlende oder unzureichende Kinderbetreuung verunmögliche vielen Frauen den Zugang zu regulären, sicheren Vollzeitstellen. Die Folge sei ein hohes Maß an informeller, niedrig bezahlter und gewerkschaftlich ungeschützter Beschäftigung.

Migrantische Frauen: Unsichtbare Arbeit, ungeschützte Leben

Noch prekärer war die Situation für migrantische und geflüchtete Frauen. Die Berichte des UNHCR Türkei („Migrantinnen und Gender in der Türkei“) sowie des Vereins für Migrationsbeobachtung (Göç-Der) zeigten, dass viele Syrerinnen, Afghaninnen und Frauen aus afrikanischen Herkunftsländern in stark ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen tätig waren. Besonders in Haushalten, Textilwerkstätten und der Landwirtschaft blieb die Ausbeutung migrantischer Frauen ein konstantes strukturelles Problem. Diese Tätigkeiten sind meist informell, ohne Vertrag und ohne Zugang zu sozialen Rechten.

Zudem wiesen Frauenorganisationen darauf hin, dass migrantische Frauen, die Gewalt erfahren, kaum Zugang zu rechtlichem Schutz haben. Sprachbarrieren, unsichere Aufenthaltsstatus und mangelndes Wissen über rechtliche Möglichkeiten führen häufig dazu, dass sie von Schutzmechanismen faktisch ausgeschlossen bleiben. Die Erfahrungen dieser Frauen machen deutlich, wie sich geschlechtsspezifische, rassifizierte und sozioökonomische Ausgrenzung überlagern. Frauenorganisationen betonten, dass die systematische Rechtlosigkeit nicht als Ausnahme, sondern als logische Konsequenz der bestehenden Migrationspolitik verstanden werden müsse – einer Politik, die gezielt auf Prekarisierung und Kontrolle setzt.

Erdbeben als strukturelle Krise

Auch zwei Jahre nach den verheerenden Erdbeben von 2023 sind die Lebensbedingungen für Frauen in den betroffenen Regionen weiterhin prekär. Berichte der Stiftung für Menschenrechte der Türkei (TIHV), des IHD sowie der Frauenorganisation „Mor Çatı“ und der Koalition der Frauen zeigen: Frauen sind in temporären Unterkünften nach wie vor erheblichen Gefahren ausgesetzt – insbesondere im Hinblick auf Sicherheit, Hygiene und medizinische Versorgung.

Der Mangel an geschützten Räumen erhöht das Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt deutlich. Zugleich belegen Feldstudien feministischer Gruppen, dass die unbezahlte Care-Arbeit von Frauen in der Krise erheblich zugenommen hat – bei gleichzeitigem Rückzug staatlicher Unterstützungs- und Schutzstrukturen. Aus feministischer Perspektive ist das Erdbeben daher nicht nur als „Naturkatastrophe“ zu werten, sondern als Ausdruck eines staatlichen Versagens im Bereich sozialer Infrastruktur und Geschlechtergerechtigkeit – eine strukturelle Krise, die bestehende Ungleichheiten verschärft.

Organisierter Widerstand gegen patriarchale Politik

Trotz repressiver Maßnahmen blieb der gesellschaftliche Widerstand von Frauen im Jahr 2025 ungebrochen. Landesweit organisierten sich Frauen gegen die konservative, familienzentrierte und autoritäre Regierungslinie. Der Slogan des „Jahres der Familie“, der Frauen auf die Rolle von Müttern und Gehorsamen reduzieren sollte, stieß auf entschiedene Ablehnung – in Gerichtsgebäuden, auf Straßen, in Universitäten und in digitalen Räumen. Der Protest beschränkte sich dabei nicht auf symbolische Daten wie den 8. März oder den 25. November. Nach nahezu jedem Femizid gingen Frauen auf die Straße, forderten Gerechtigkeit und klagten die staatliche Mitverantwortung an. In Städten wie Istanbul, Ankara, Izmir, Amed, Wan, Mêrdîn und Êlih lautete die zentrale Botschaft: Der Staat schützt Frauen nicht – im Gegenteil, durch institutionelle Straflosigkeit reproduziert er Gewalt gegen sie.

Insbesondere für die kurdische Frauenbewegung war 2025 ein Jahr intensiver Repression, aber zugleich ein Jahr unermüdlichen Widerstands. Die Zerschlagung feministischer Institutionen durch staatlich eingesetzte Zwangsverwalter, das Aus für kommunale Gleichstellungsstellen und die Aushöhlung frauenpolitischer Strukturen zielten auf zentrale Errungenschaften ab. Dennoch setzten die TJA, Anwaltskammern und lokale Frauenorganisationen ihre Arbeit mit dem klaren politischen Anspruch auf ein demokratisches und freies Leben für alle Frauen fort. Die Frauenbewegung beschränkte sich dabei nicht auf den Kampf gegen Gewalt, sondern positionierte sich explizit gegen Militarisierung, Kolonialismus und staatliche Leugnungspolitiken. Der Widerstand wurde damit auch zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit autoritärer Herrschaft – und zu einem demokratiepolitischen Projekt.

Widerstand als Konstante

Das Jahr 2025 ging für Frauen in der Türkei als ein Jahr der Zuspitzung in die Geschichte ein: Rechte wurden weiter beschnitten, Gewalt nahm zu, staatliche Schutzmechanismen versagten. Der ideologische Rahmen des vermeintlichen „Jahres der Familie“ diente als rhetorische Fassade, hinter der das Recht auf Leben, Freiheit und Gleichheit systematisch untergraben wurde. Doch der Widerstand hielt an – getragen von der Erfahrung und Organisationskraft der feministischen Bewegung in der Türkei und der kurdischen Frauenbewegung. Auf der Straße, in Gerichten, in Gefängnissen und im Alltag: Frauen widersetzten sich der staatlichen Repression und verteidigten ihre Rechte mit Entschlossenheit.

Fotos: Demonstration zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November in Istanbul © ANF

https://deutsch.anf-news.com/frauen/istanbul-eure-familie-soll-untergehen-wir-wollen-leben-48996 https://deutsch.anf-news.com/frauen/workshop-in-amed-gewaltpravention-braucht-institutionelle-vernetzung-49075 https://deutsch.anf-news.com/frauen/kcdp-bericht-29-femizide-und-22-verdachtige-todesfalle-im-november-49173 https://deutsch.anf-news.com/frauen/rechtshilfe-zugang-fur-frauen-in-sudostanatolien-stark-eingeschrankt-49225 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/anwaltin-kritisiert-turkische-justiz-2025-brachte-keine-fortschritte-bei-rechtsstaatlichkeit-49402

 

Kategorien: Externe Ticker

Kurz nach Haftentlassung: Femizid in Amed

29. Dezember 2025 - 2:00

Eine 28-jährige Frau ist in der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) mutmaßlich von einem vor kurzem aus der Haft entlassenen Mann getötet worden. Die Tat ereignete sich im Altstadtbezirk Sûr, wie lokale Medien am Sonntag unter Berufung auf Ermittlerkreise berichteten. Bei dem Opfer handelt es sich demnach um Rojda Yakışıklı. Der Verdächtige Okay Gür wurde festgenommen.

Nach Angaben der Ermittler soll Gür die Frau getötet und ihre Leiche anschließend auf einem abgelegenen Feldstück vergraben haben. Angehörige hatten sie als vermisst gemeldet, woraufhin die Polizei die Ermittlungen aufnahmen. Die Leiche wurde später geborgen und zur Obduktion in die Gerichtsmedizin in Amed gebracht. Gür befindet sich laut Behördenangaben noch in Polizeigewahrsam; die Ermittlungen dauern an.

Den Berichten zufolge war der Verdächtige erst am Donnerstag vorzeitig entlassen worden. Noch am selben Tag soll er den Femizid an Yakışıklı, mit der er in einer islamischen Ehe gelebt haben soll, verübt haben. Zuvor saß Gür wegen Drogenhandels rund vier Jahre in Haft. Er soll aufgrund des jüngsten Justizpakets freigekommen sein, das nur einen Tag vor seiner Entlassung vom türkischen Parlament verabschiedet wurde.

Das 11. Justizreformpaket hatte den Weg für die vorzeitige Entlassung von etwa 50.000 Gefangenen geebnet, darunter auch Personen, die wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahl oder Drogendelikten verurteilt wurden. Die Regelung betrifft Straftaten, die bis zum 31. Juli 2023 begangen wurden. Oppositionsparteien hatten bereits bei der Verabschiedung des Gesetzespakets vor Risiken gewarnt.

CHP-Abgeordnete: „System, das Frauen gefährdet“

Die CHP-Abgeordnete Gizem Özcan bezeichnete die Tötung von Rojda Yakışıklı als Bestätigung dieser Warnungen und warf der Regierung vor, mit der Reform „de facto eine Amnestie“ beschlossen zu haben, die auch gewalttätige Täter begünstige. Sie verwies auf eine Rede im Parlament vor rund einer Woche, in der sie darauf hingewiesen habe, dass auch Täter von Gewalttaten gegen Frauen von den Änderungen profitieren könnten.

Özcan sprach von einem „System, das Frauen gefährde“ und forderte ein Ende von Regelungen, die faktisch Straferleichterungen ermöglichten. „Der Fall in Diyarbakır zeigt, dass unsere Warnungen keine Übertreibung waren“, sagte sie. „Das ist das Ergebnis einer Politik, die die Sicherheit von Frauen nicht ausreichend schützt.“ Mehrere Frauenrechtsorganisationen kündigten an, den Fall kritisch zu begleiten.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/turkisches-parlament-verabschiedet-umstrittenes-justizreformpaket-49401 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/anwaltin-kritisiert-turkische-justiz-2025-brachte-keine-fortschritte-bei-rechtsstaatlichkeit-49402 https://deutsch.anf-news.com/frauen/kcdp-bericht-29-femizide-und-22-verdachtige-todesfalle-im-november-49173

 

Kategorien: Externe Ticker

Syrien: Tote bei Angriffen auf Proteste alawitischer Minderheit

29. Dezember 2025 - 2:00

In Syrien ist es bei Angriffen auf Proteste von Angehörigen der alawitischen Minderheit zu mehreren Toten gekommen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Sitz in Großbritannien ereignete sich die Gewalt in den westlichen Küstenregionen Latakia, Tartus, Dschabla und Homs.

Dort seien bei Kundgebungen für einen besseren Schutz und mehr Autonomie der Religionsgemeinschaft acht Demonstrierende von Truppen der islamistischen Übergangsregierung und deren Anhängern getötet und weitere verletzt worden. Anlass der Demonstrationen war ein Bombenanschlag vor zwei Tagen gegen eine alawitische Moschee in der Stadt Homs mit ebenfalls acht Toten.

Aleviler ölümü göze aldı: Üzerlerine ateş açıldı, eylemler devam ediyor

Suriye’nin birçok kentinde Aleviler, HTŞ yönetimine karşı sokaklara çıktı ve özerklik talebini haykırdı.

HTŞ’nin halkın üzerine ateş açmasına rağmen eylemler devam ediyor.pic.twitter.com/ulR3gjGbw8

— Haber Atölyesi (@HaberAtlyeub) December 28, 2025

Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat die Gewalt gegen Demonstrationen scharf kritisiert. In einer Stellungnahme verurteilte der Exekutivrat der Autonomieverwaltung den Einsatz bewaffneter Kräfte gegen friedliche Protestierende und machte Damaskus für die Eskalation verantwortlich.

Die Selbstverwaltung spricht von einer „klaren Verletzung des legitimen Rechts der Syrer:innen auf friedlichen Protest“. Die Gewalt, so heißt es in der Erklärung weiter, sei Ausdruck einer Politik, die „Chaos vertiefe, Hass schüre und sektiererische Spannungen befördere“. Damit leiste die Übergangsregierung jenen Kräften Vorschub, die auf „Unsicherheit und Instabilität in Syrien“ abzielten.

Aufruf zu Dialog und politischer Lösung

Die DAANES warnte, dass das gewaltsame Vorgehen nationale Dialog- und Versöhnungsbemühungen untergrabe und die Chancen auf ein demokratisches und dezentral verfasstes Syrien zerstöre. Sie rief alle syrischen politischen Kräfte und die Bevölkerung dazu auf, sich nicht von Hass oder Provokationen leiten zu lassen. Vielmehr solle auf der Grundlage von Dialog, gegenseitiger Anerkennung und politischer Zusammenarbeit an einer umfassenden Lösung für die Zukunft Syriens gearbeitet werden.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/acht-tote-bei-anschlag-auf-alawitische-moschee-in-homs-49422

 

Kategorien: Externe Ticker

Drei QSD-Kämpfer bei Einsätzen in Nord- und Ostsyrien gefallen

28. Dezember 2025 - 17:00

Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben den Verlust von drei ihrer Kämpfer bekanntgegeben. Dabei handele es sich um Salem Abdul Latif Al-Hamada, Ayman Hassan al-Kalash und Orhan Ebdo Îsa. Wie es in einer am Sonntag vom QSD-Pressezentrum herausgegebenen Mitteilung hieß, kamen die Kämpfer bei verschiedenen Einsätzen und an unterschiedlichen Orten ums Leben. Zu den Details erklärte das Bündnis:

                                

Codename: Muhannad
Vor- und Nachname: Salem Abdul Latif Al-Hamada
Namen der Eltern: Zahra Al-Jamil – Abdul Latif
Geburtsort: Deir ez-Zor
Todesort und -tag: Hesekê / 25. Dezember 2025

 

 

Codename: Yahya
Vor- und Nachname: Ayman Hassan al-Kalash
Namen der Eltern: Suriya – Hassan
Geburtsort: Al-Busayrah
Todesort und -tag: Al-Busayrah / 23. Dezember 2025

 

 

Codename: Orhan Kobanê
Vor- und Nachname: Orhan Ebdo Îsa
Namen der Eltern: Emine – Ebdo
Geburtsort: Kobanê
Todesort und -tag: Tişrîn-Damm / 26. Dezember 2025

 

 

Kategorien: Externe Ticker

Tausende demonstrieren in Hesekê für Freilassung von Abdullah Öcalan

28. Dezember 2025 - 16:00

Tausende Menschen aus verschiedenen Städten und Camps in der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens haben am Sonntag in Hesekê für die Freilassung von Abdullah Öcalan demonstriert. Unter dem Motto „Mit dem Geist des Kommunalismus und der demokratischen Gesellschaft werden wir mit Apo frei leben“ forderten die Teilnehmenden bei einem Protestzug die physische Freiheit des in der Türkei inhaftierten kurdischen Repräsentanten.

Die Demonstration begann im Viertel Til Hecer am Kevok-Kreisel und führte über die Hauptstraße des Mufti-Viertels bis vor das Zentrum für Kunst und Kultur, wo eine Abschlusskundgebung stattfand. Vertreter:innen der Partei der demokratischen Einheit (PYD) und der Frauenbewegung Kongra Star betonten in ihren Redebeiträgen die zentrale Bedeutung Öcalans für die politische Stabilität der Region.

Der PYD-Politiker Sebrî Efrîn sagte, der anhaltende Widerstand der Bevölkerung und Öcalans selbst habe gezeigt, dass Repression keine Lösung sei. Die von Öcalan entwickelte Idee der „demokratischen Nation“ biete nach Ansicht der Veranstalter:innen einen Lösungsansatz für die politischen Krisen des Nahen Ostens.

Welîda Botî, Mitglied der Koordination von Kongra Star, erklärte, die Freilassung Öcalans sei eng mit dem Aufbau einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft verbunden. „Es ist Zeit, die Früchte unseres langjährigen Kampfes für Freiheit und Würde zu ernten“, sagte sie. Frauen hätten in diesem Prozess eine führende Rolle übernommen und würden diese weiter ausbauen.

Die Kundgebung endete mit Sprechchören für die Freilassung Öcalans und der Parole: „Freiheit für Rêber Apo“.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-ohne-organisierte-jugend-keine-freie-gesellschaft-49442 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-gesellschaftliche-konstruktion-von-freiheit-49373 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/burgerversammlungen-forderung-nach-Ocalans-freilassung-dominiert-49425

 

Kategorien: Externe Ticker

Ex-Bürgermeisterin von Mêrdîn wegen Kritik an Zwangsverwalter verklagt

28. Dezember 2025 - 16:00

Der Zwangsverwalter in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Mêrdîn (tr. Mardin), Tuncay Akkoyun, hat eine Klage auf Schadensersatz gegen die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin Devrim Demir (DEM) eingereicht. Hintergrund ist ein kritischer Beitrag der kurdischen Politikerin in sozialen Medien, in dem sie den Verkauf kommunaler Grundstücke durch den Zwangsverwalter als „Plünderung“ bezeichnete.

Demir, die bis zur Einsetzung eines staatlichen Verwalters im November 2024 das Amt der Ko-Bürgermeisterin innehatte, hatte auf X (ehemals Twitter) geschrieben: „Der Zwangsverwalter von Mardin macht mit dem Ausverkauf weiter. Mit fünf Beamten verkauft er kommunales Eigentum. Wir kennen diese Mentalität gut. Ihre einzige Existenzberechtigung ist Plünderung und Diebstahl.“

Akkoyun, der auch als Gouverneur der Provinz fungiert, sieht darin eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. In seiner Anzeige spricht er von einem Versuch, „das ihm anvertraute öffentliche Amt im Ansehen der Gesellschaft zu diskreditieren“. Er fordert von Demir eine Entschädigung in Höhe von 25.000 Türkischen Lira (rund 500 Euro).

Zivilverfahren mit möglichem strafrechtlichem Einschlag

Die Klage wurde von der 10. Zivilkammer des Landgerichts Mardin angenommen. Das Gericht ordnete an, zunächst zu prüfen, ob gegen Demir parallel ein Strafverfahren wegen Beleidigung eines Amtsträgers im Zusammenhang mit der Äußerung eingeleitet wurde. Die Fortführung des Verfahrens hängt vom Ergebnis dieser Vorprüfung ab. Demir bezeichnete das Vorgehen auf X als Versuch, kritische Stimmen einzuschüchtern.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/regime-reisst-stadtverwaltungen-von-merdin-Elih-und-xelfeti-an-sich-44141 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/ko-burgermeisterin-von-merdin-putsch-gegen-den-willen-des-volkes-44142 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/zahl-der-festnahmen-in-Elih-merdin-und-xelfeti-gestiegen-44158 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-kandidatin-devrim-demir-nach-polizeieinsatz-im-krankenhaus-41619

 

Kategorien: Externe Ticker

Protest gegen Solarkraftwerk in Dersim

28. Dezember 2025 - 16:00

In der nordkurdischen Provinz Dersim (tr. Tunceli) wächst der Protest gegen ein Solarkraftwerksprojekt der Firma Özen im Dorf Sefkar (Demirsaban), das zur Kreisstadt Pêrtag (Pertek) gehört. Vertreter:innen von Umweltorganisationen, Parteien und Zivilgesellschaft versammelten sich am Baugelände, um auf den mutmaßlich illegalen Vorgang und Umweltrisiken hinzuweisen.

Die Demonstrierenden trugen Transparente mit Aufschriften wie „Wir verteidigen unsere Lebensräume“ und riefen Parolen wie „Hände weg von Wasser und Natur“. Die gemeinsame Erklärung wurde vom Sprecher der Umweltplattform Hozat-Pertek-Sekasur, Erhan Doğru, verlesen.

Laut Doğru wurde die Solaranlage unmittelbar neben Wohnhäusern und Ställen errichtet, ohne dass die Bevölkerung im Vorfeld einbezogen wurde. Seit etwa anderthalb Monaten werde gebaut, obwohl keine ordnungsgemäßen Genehmigungen vorlagen. Eine technische Untersuchung vom 23. Dezember durch lokale Behörden habe bestätigt, dass die Anlage gegen geltende Bau- und Umweltvorschriften verstoße. Der Standort wurde daraufhin offiziell versiegelt.

„Die Feststellungen zeigen, dass dieses Projekt von Anfang an rechtswidrig war“, sagte Doğru. „Unter dem Deckmantel sauberer und günstiger Energie versuchen Unternehmen, durch unkontrollierte und illegale Bauvorhaben ihre Gewinne zu maximieren – auf Kosten der Natur.“

Die Umweltplattform forderte einen sofortigen Stopp aller Bautätigkeiten, den Rückbau der errichteten Anlagen und Maßnahmen zur ökologischen Wiederherstellung des betroffenen Geländes. „Dieses Vorhaben muss vollständig annulliert und die Firma zur Rechenschaft gezogen werden“, so Doğru. Derartige Projekte seien Teil eines größeren Trends, bei dem ländliche Regionen systematisch für kurzfristige Gewinne ausgebeutet würden.

Zeynel Erdoğan, Vorsitzender des Schaf- und Ziegenzüchterverbands in Dersim, betonte, dass insbesondere die Viehhalter:innen in der Region durch solche Vorhaben betroffen seien. „Die Tierhaltung steht vor dem Aus. Diese Projekte rauben uns unsere Lebensgrundlage“, sagte Erdoğan.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/geplanter-tagebau-in-dersim-nach-anwohnerklage-ruckt-gutachterteam-an-48220 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/geplantes-solarkraftwerk-in-dorf-bei-dersim-gestoppt-46942 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/dersim-mahnwache-gegen-geplanten-tagebau-in-sekasur-46857

 

Kategorien: Externe Ticker

Mehrere Vermisste nach heftigen Schneefällen in Südkurdistan

28. Dezember 2025 - 16:00

Heftige Schneefälle haben in der gebirgigen Biradost-Region nordöstlich von Hewlêr (Erbil) zu mehreren Notlagen geführt. Zwölf Personen gelten als vermisst, sieben Bergsteiger sind in unzugänglichem Gelände eingeschlossen. Rettungskräfte haben eine groß angelegte Such- und Hilfsaktion eingeleitet.

Wie der Zivilschutzchef des Distrikts Soran, Oberstleutnant Karwan Mirawdeli, mitteilte, fehlt seit der Nacht auf Sonntag jede Spur von acht Einheimischen, die mit ihren Tieren ins Gebirge aufgebrochen waren. Biradosts Bezirksgouverneur sprach sogar von insgesamt zwölf vermissten Personen, deren Position lokalisiert worden sei.

„Von sieben kennen wir die Identität, aber bislang fehlt jede Spur“, sagte Mirawdeli. Ob die Vermissten im Schnee festsitzen oder ein anderes Unglück geschehen ist, sei unklar. „Im Moment können wir nur sagen, dass ihr Verbleib unbekannt ist.“

Bergsteiger ignorierten wohl Warnungen

Parallel zu den Vermisstensuchen läuft ein Rettungseinsatz für eine siebenköpfige Bergsteigergruppe, die sich trotz vorheriger Warnungen ins Hochgebirge begeben hatte. Die Gruppe habe in der Region um den Sîdekan-Berg Hilfe angefordert, so Mirawdeli. „Sie hatten drei Fahrzeuge dabei, aber angesichts der Schneemassen können wir wahrscheinlich nur die Personen selbst evakuieren, nicht ihre Fahrzeuge“, erklärte der Zivilschutzchef, der auch persönlich an dem Einsatz teilnimmt. Die Suche wird durch schlechte Sicht und unpassierbare Wege erschwert.

83 Fahrzeuge in einer Nacht geborgen

Allein in der Nacht seien in der Alana-Schlucht 83 eingeschneite Fahrzeuge geborgen worden, berichtete Mirawdeli. Er warnte eindringlich vor weiteren riskanten Ausflügen in höhere Lagen: „Die Sorglosigkeit mancher Bürger gefährdet nicht nur ihr eigenes Leben, sondern erschwert auch die Arbeit unserer Einsatzkräfte, die durchgehend im Einsatz sind.“ Für die kommenden Tage wird in der gesamten Region weiterhin starker Schneefall erwartet. Sollte die Rettung der Bergsteiger am Sonntag scheitern, werde es laut Mirawdeli „aufgrund zunehmender Schneemengen am Montag deutlich schwieriger, sie zu erreichen“.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/drei-tote-bei-unwettern-in-sudkurdistan-49192

 

Kategorien: Externe Ticker

Gedenken in Roboskî: „Ohne Gerechtigkeit kein Frieden“

28. Dezember 2025 - 14:00

Im kurdischen Dorf Roboskî in der Provinz Şirnex (tr. Şırnak) ist der 14. Jahrestag des tödlichen Luftangriffs auf 34 Zivilisten begangen worden. Die Opfer, darunter 19 Minderjährige, waren am 28. Dezember 2011 mit Kampfflugzeugen ermordet worden. Ihre Angehörigen forderten bei der Gedenkveranstaltung Wahrheit, Gerechtigkeit und eine politische Aufarbeitung des Massakers.

An der Zeremonie am Friedhof nahmen neben den betroffenen Familien auch Mitglieder verschiedener Parteien, des Menschenrechtsvereins IHD, dem Gewerkschaftsbund KESK und weiterer NGOs teil. Die Teilnehmenden trugen Bilder der Opfer und Transparente mit Aufschriften wie „Roboskî wird nicht vergessen“ und „Gerechtigkeit für Roboskî“.

„Der Weg zum Frieden führt über Roboskî“

In einem emotionalen Beitrag erinnerte Veli Encü, der rund zwei Dutzend Angehörige bei dem Angriff verlor, an das anhaltende Leid der Familien: „Seit 14 Jahren warten wir auf Gerechtigkeit. Die Mütter haben nie aufgehört zu trauern. Wer Frieden will, muss Roboskî aufarbeiten. Der Weg zum Frieden führt über Roboskî.“

 


Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, betonte, dass es sich bei den Opfern überwiegend um Jugendliche gehandelt habe, die aufgrund von Armut gezwungen gewesen seien, mit Lasttieren Waren über die türkisch-irakische Grenze zu transportieren. „Sie wollten Zigaretten, etwas Tabak überbringen, und wurden bombardiert“, sagte sie. „Wir fragen seit 14 Jahren: Wer hat den Befehl gegeben? Wer lieferte den angeblich falschen Geheimdienstbericht?“ Eine Entschuldigung sei nie erfolgt, ebenso wenig eine Anklage. Roboskî sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so Hatimoğulları weiter.

Kritik an staatlichem Schweigen und doppelten Standards

Die Politikerin kritisierte das Schweigen staatlicher Stellen unmittelbar nach dem Angriff und verwies auf die damalige Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am selben Tag. „Wurde Roboskî dort erwähnt? Warum gab es 24 Stunden lang keine Erklärung?“ Es herrsche weiterhin ein „doppeltes Rechtssystem“ im Land, so Hatimoğulları. „Für einige gibt es Gerechtigkeit, für andere Schweigen, Vertuschung und Leugnung.“ Mit Blick auf den „Friedens- und Demokratisierungsprozess“, den der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan initiiert hat, sagte sie: „Wahrer Frieden kann nur entstehen, wenn sich die Gesellschaft mit ihrer Geschichte und ihren Schmerzen auseinandersetzt. Dazu gehört auch eine echte Entschuldigung für Roboskî.“


„Massaker unter den Augen der Regierung“

Auch Keskin Bayındır, Ko-Vorsitzender der DBP, erklärte: „Das Kapitel Roboskî ist nicht abgeschlossen. Es wird offen bleiben, bis Gerechtigkeit herrscht.“ Die Forderung nach Gerechtigkeit sei nicht nur juristisch, sondern tief menschlich: „Die Mütter vergessen nicht. Und sie vergeben nicht, solange sie nicht gehört werden.“

Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu nannte das Roboskî-Massaker „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, das nicht verjähren dürfe. Erinç Sağkan, Präsident der Türkischen Anwaltskammern (TBB), erklärte: „Vor 14 Jahren haben wir den Familien versprochen, dass sie mit ihrem Schmerz nicht allein bleiben, und wir halten dieses Versprechen. Man sagt, Zeit sei ein gutes Mittel, um blutende Wunden zu schließen. Doch allein reicht Zeit nicht aus. Wenn Gerechtigkeit hergestellt wird, dann mag die Wunde heilen. Doch seit 14 Jahren ist der Schmerz nur größer geworden.“

Auch der EMEP-Vorsitzende Seyit Aslan sprach von einem Massaker, das „unter den Augen der Regierung“ stattgefunden habe: „Die Verantwortlichen sind bekannt, doch keiner wurde angeklagt.“ Die Gewerkschafterin Ayfer Koçak (KESK) hob hervor, dass Armut die jungen Opfer zur gefährlichen Arbeit gezwungen habe – und dass Armut heute nicht nur ökonomisch sei, sondern auch Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie betreffe. Der Grabbesuch wurde mit dem Ablegen von Blumen beendet.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/28-dezember-2011-das-massaker-von-roboski-49440

 

Kategorien: Externe Ticker

Öcalan: Ohne organisierte Jugend keine freie Gesellschaft

28. Dezember 2025 - 13:00

Bei einer Diskussionsveranstaltung über die Rolle der Jugend im Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ist eine Grußbotschaft des inhaftierten kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan verlesen worden. In dem Schreiben ruft Öcalan junge Menschen dazu auf, sich kollektiv zu organisieren und eine aktive Rolle im demokratisch-sozialistischen Wandel zu übernehmen. Das Panel mit dem Titel „Die Rolle der Jugend in der sozialistischen Gesellschaft“ wurde vom Jugendrat des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), der DEM-Partei und dem Rat freier Studierender in Istanbul (ISÖM) organisiert. Die Veranstaltung findet im Istanbuler Stadtteil Fatih statt und stieß auf reges Interesse.

Gruß an „kommunalistischer Genoss:innen“

In seiner Botschaft betont Öcalan die entscheidende Bedeutung der Jugend für gesellschaftlichen Wandel: „Zunächst sende ich meine tief empfundene Verbundenheit an die Gemeinschaft junger kommunalistischer Genoss:innen – insbesondere an jene, die sich dafür einsetzen, Räume zu schaffen, in denen die Jugend den Prozess für Frieden und Demokratisierung diskutieren kann, und an alle, die auf der Grundlage kommunalistischer Genossenschaftlichkeit kämpfen.

Jugend ist die treibende Kraft

Gesellschaftlicher Aufbau ist nur mit der Beteiligung und der führenden Rolle der Jugend möglich. Jugend ist die treibende Kraft für Wandel, Erneuerung und Transformation. Politische und gesellschaftliche Kämpfe, an denen die Jugend weder ideologisch noch praktisch beteiligt ist, haben nur geringe Erfolgschancen. In diesem Sinne gilt: Eine Gesellschaft, die ihre Jugend verliert, ist nicht nur besiegt, sie verliert auch ihr Recht auf Existenz.  Und umgekehrt gilt ebenso: Eine Jugend, die den Bezug zu gesellschaftlichem Leben verliert, verliert auch ihre Zukunft. Wo sozialistische Gesellschaft und sozialistischer Kampf nicht erfolgreich sind, bleiben nur Verfall, Auflösung und Auslöschung. Der Einzelne gewinnt seine Bedeutung erst im Rahmen einer organisierten Gesellschaft, und eine Gesellschaft kann nur durch organisierte Individuen bestehen.

Organisiert euch und organisiert andere

Gesellschaftlicher Aufbau, sozialistische Gesellschaft und Freiheit sind nur durch Organisation möglich. Alles, was sich nicht im richtigen Moment und unter Nutzung vorhandener Möglichkeiten organisiert, wird früher oder später verschwinden. Ich habe bereits früher gesagt: Organisiert euch überall und organisiert alles! Das ist nicht nur ein politisches Erfordernis, sondern eine existentielle Notwendigkeit für Freiheit und gesellschaftliches Leben. Die Sehnsucht nach Freiheit ist ein inneres Bedürfnis des jugendlichen Wesens. Dass die Jugend historisch die Trägerin von Wandel und Erneuerung war, ist eine natürliche Folge dieses inneren Drangs nach Freiheit. Diese Rolle zu übernehmen, ist keine bloße Option, sondern eine Notwendigkeit für ein freies und sinnvolles Leben. Die Garantie für gesellschaftliches Leben und Freiheit liegt wiederum in gesellschaftlicher Organisation. Dass die herrschende Ordnung – der kastische Mörder – im Lauf der Geschichte mit allen Formen von Korruption und Zersetzung gezielt die Jugend angreift, liegt an genau dieser freiheitlichen Dynamik.

Ich glaube an die führende Rolle der Jugend

Damit die Kraft und Energie der Jugend zu einem echten Willen für Wandel und Aufbau wird, braucht es ein gemeinschaftliches Bewusstsein und kollektiven Kampf, wie er auf kommunalistischer Genossenschaft basiert. So wie die Freiheit im Wesen der Jugend liegt, sind auch Freiheit und gesellschaftliches Leben untrennbar mit dem Sozialismus verbunden. In einer Epoche des Niedergangs des Kapitalismus ist es besonders wertvoll, dass die Jugend Wege des Kampfes und des Wiederaufbaus im Geiste des demokratischen Sozialismus diskutiert. Solche Diskussionen bringen nicht nur gedankliche Tiefe, sondern eröffnen auch neue Wege und Methoden für den gemeinsamen Kampf. In einer Zeit, in der die grundlegendsten Werte der Menschheit unter Angriffen der kapitalistischen Moderne stehen, bin ich überzeugt davon, dass die Jugend ihre Rolle als Vorreiterin übernehmen wird. In diesem Sinne sende ich nochmals meine Grüße an alle jungen Genoss:innen, die für den demokratischen Sozialismus kämpfen, und wünsche ihnen viel Erfolg.“

Nach der Verlesung der Botschaft wurde das Panel unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-gesellschaftliche-konstruktion-von-freiheit-49373 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/burgerversammlungen-forderung-nach-Ocalans-freilassung-dominiert-49425 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/Ocalan-ruft-zu-ruckbesinnung-auf-demokratischen-islam-auf-49405

 

Kategorien: Externe Ticker