«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Gedenken an „Azadiya Welat“-Mitarbeiter Kadri Bağdu in Adana
Elf Jahre nach der Ermordung des kurdischen Journalisten Kadri Bağdu ist in Adana seiner gedacht worden. Der Mitarbeiter der kurdischen Tageszeitung Azadiya Welat war am 14. Oktober 2014 in der südtürkischen Provinz Adana während der Zeitungsverteilung auf seinem Fahrrad von Söldnern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) erschossen worden. Bis heute sind die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen worden.
Am Küçükoba-Friedhof versammelten sich dutzende Menschen am Dienstag, um an Bağdu zu erinnern – darunter Familienangehörige, Medienschaffende sowie Handelnde aus Politik und Zivilgesellschaft. Der Grabbesuch begann mit einer Schweigeminute für Bağdu und alle anderen Journalist:innen, die bei der Ausübung ihrer Arbeit ums Leben gekommen sind.
Im Anschluss kritisierte Selman Çiçek, Ko-Vorsitzender des Journalistenvereins DGF, dass der Mord an Bağdu bis heute nicht aufgeklärt ist. Die Straflosigkeit solcher Verbrechen schaffe Raum für neue Angriffe, so Çiçek mit Verweis auf den kürzlich in Istanbul verstorbenen Journalisten Hakan Tosun, der brutal überfallen wurde. „Wenn das Dunkel hinter dem Mord an Bağdu damals aufgeklärt worden wäre, müsste Hakan Tosun heute vielleicht nicht tot sein“, sagte Çiçek. „Die Regierung schweigt zu Morden an Journalist:innen, schützt die Täter und versteckt sie hinter polizeilichen Akten. Aber Wahrheit lässt sich nicht auf Dauer verbergen.“
„Die Wahrheit wird ans Licht kommen“
Çiçek betonte, dass die freie Presse nicht nachlassen werde, bis die Verantwortlichen für Bağdus Todvon der Justiz benannt und verurteilt sind. „Die Wahrheit wird früher oder später ans Licht kommen. Wir werden den wahren Tätern nicht von den Fersen weichen.“
Auch Şemse Bağdu, die Ehefrau des ermordeten Journalisten, sprach bei der Gedenkfeier. Sie bedankte sich bei allen, die der Familie in den vergangenen Jahren beigestanden haben: „Wir werden den Kampf unserer Gefallenen bis zum letzten Atemzug weiterführen. Der Kampf von Musa Anter und seinen Weggefährten ist auch unser Kampf.“
„Freie Presse ist unter Beschuss“
Die Aktivistin Suphiye Bayav vom Rat der Friedensmütter sowie der DEM-Lokalpolitiker Seyfettin Aydemir erinnerten daran, dass Journalist:innen der kurdischen Medienlandschaft systematisch ins Visier genommen werden: „Die Wahrheitssuche der freien Presse macht sie zur Zielscheibe des Staates“, sagte Aydemir. Auch Kadri Bağdu sei gezielt ins Visier genommen worden, weil er für ein kritisches Medium arbeitete.
Nach der Verlesung eines Gebets legten die Teilnehmenden Blumen auf Bağdus Grab.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/elf-jahre-nach-mord-an-kadri-bagdu-anwalt-fordert-neuaufnahme-der-ermittlungen-48360
DEM-Vorsitzender Bakırhan fordert Parlament zu Friedensoffensive auf
In einer eindringlichen Rede vor seiner Fraktion im türkischen Parlament hat der Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tuncer Bakırhan, weitreichende politische Reformen, eine neue Phase des Friedensprozesses und eine demokratische Verfassung gefordert. Das neue Parlamentsjahr müsse als „Jahr der Lösung“ in die Geschichte eingehen, so Bakırhan. „Dieses Parlament ist nicht irgendein Parlament. Es trägt nicht nur die Verantwortung für ein weiteres Jahr, sondern für ein Jahrhundert. Es ist so wichtig wie die erste Nationalversammlung.“
Bakırhan begann seine Rede mit dem Gedenken an den 2014 ermordeten kurdischen Journalisten Kadri Bağdu, verwies auf den kürzlich verstorbenen Journalisten Hakan Tosun, der nach einem brutalen Angriff in Istanbul ins Koma gefallen war, und thematisierte den Fall der vor einem Jahr unter verdächtigen Umständen in Wan (tr. Van) tot aufgefundenen Studentin Rojbin Kabaiş. „Diese Fälle zeigen, wie tief die Straflosigkeit in diesem Land verwurzelt ist. Wir werden Gerechtigkeit einfordern – nicht nur für die Angehörigen, sondern für eine ganze Gesellschaft“, sagte Bakırhan.
Das Recht auf Hoffnung
Im Zentrum seiner Rede stand die Bewertung der Arbeit der im Parlament eingerichteten „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“, die sich mit Vorschlägen für eine politische Lösung der kurdischen Frage beschäftigt. „Erstmals seit Langem wird im Parlament nicht nur über Sicherheit, sondern über Lösungen gesprochen“, sagte Bakırhan.
Er lobte die in der Kommission gehörten Beiträge ehemaliger Parlamentspräsidenten, Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftlicher Akteur:innen, die das „Recht auf Hoffnung“ – die Möglichkeit auf eine Haftüberprüfung lebenslänglich Inhaftierter – sowie die Notwendigkeit von Gleichheit und Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben betont hätten.
Gespräche mit Abdullah Öcalan gefordert
Besonders klar sprach sich Bakırhan für die Einbeziehung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan in einen politischen Lösungsprozess aus. Der seit 1999 inhaftierte PKK-Gründer habe in der Vergangenheit mehrfach zur Deeskalation beigetragen: „Wann immer Herr Öcalan sprechen konnte, wurde in diesem Land über Frieden geredet. Wann immer seine Stimme verstummte, herrschte Eskalation“, so Bakırhan. Er forderte, dass die Kommission des Parlaments Öcalan anhören solle – nicht aus ideologischer Nähe, sondern aus politischer Vernunft: „Wenn wir über die Lösung eines 100 Jahre alten Problems sprechen, dürfen wir nicht ängstlich sein. Wer vor Gesprächen zurückschreckt, blockiert die Lösung.“
„Demokratie heißt nicht Tabus, sondern Dialog“
Bakırhan wandte sich gegen Denkverbote und politische Ausgrenzung: „Wir sollten nicht sagen: Mit dem darf man nicht sprechen, dorthin darf man nicht gehen. Wenn das Parlament eine Lösung für ein Jahrhundertproblem sucht, darf es keine Tabus geben. Demokratien leben von Gesprächen, nicht von Verboten.“ Das Volk erwarte, dass das Parlament „Heilung bringt, nicht neue Wunden schafft“.
„Wir fordern keine Privilegien – nur Demokratie“
Der DEM-Vorsitzende nutzte die Gelegenheit, um die häufig gestellte Frage zu beantworten, was die DEM-Partei eigentlich wolle. Seine Antwort: „Unsere Forderungen richten sich nicht an eine Region, nicht an eine Ethnie, sondern an alle Menschen in der Türkei.“ Er nannte unter anderem verfassungsmäßige Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger, das Recht auf Bildung in der Muttersprache, ein Ende der politischen Entmündigung oppositionsgeführter Kommunen durch Zwangsverwalter, Rechtsstaatlichkeit statt Willkür, Presse- und Versammlungsfreiheit, Gesetzesreformen im Straf- und Antiterrorrecht, Amnestien für kranke und politische Gefangene, Rückkehrrecht für politisch verfolgte Exilierte und ein Übergangsgesetz, das Gerechtigkeit und Aufarbeitung ermöglicht. Diese Forderungen seien „nicht radikal, sondern minimal demokratisch – und in vielen anderen Ländern längst Realität“, so Bakırhan.
„Wir sind der dritte Weg“
Bakırhan grenzte sich bewusst von Regierung und der restlichen Opposition ab. Während man ihm in Friedenszeiten Nähe zur Regierung unterstelle, werde er im Wahlkampf als Unterstützer anderer Oppositionsparteien diffamiert: „Wir sind weder das eine noch das andere. Wir stehen auf der Seite der Armen, der Unterdrückten, derer, die ihre Stimme nicht erheben können. Wir sind die Stimme des dritten Weges – zwischen Polarisierung, Opportunismus und altem System.“
Die DEM verfolge eine zweigleisige Strategie: Verhandlungsbereitschaft bei Friedensprozessen, Widerstand gegen Unrecht im öffentlichen Raum. „Beides ist legitim. Beides ist notwendig. Beides ist demokratisch.“
Syrien: Kritik an Übergangsregierung – Lob für QSD
Deutlich äußerte sich Bakırhan auch zur Lage in Syrien. Er kritisierte die sogenannte syrische Übergangsregierung für ihren Alleingang bei der Verkündung einer neuen Verfassung und eines Kabinetts ohne Beteiligung von Kurd:innen, Alawit:innen, Drus:innen oder Christ:innen. „Wenn man mit sich selbst eine Verfassung schreibt, mit sich selbst ein Kabinett bildet und sich von 6.000 ausgewählten Delegierten bestätigen lässt – ist das dann noch Demokratie? Ist das der 10.-März-Konsens, den alle unterschrieben haben?“
Demgegenüber lobte er das konstruktive Verhalten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und die jüngsten Gespräche der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) mit der Regierung in Damaskus: „Jetzt ist Damaskus am Zug. Die QSD haben den politischen Willen zur Lösung bewiesen. Mazlum Abdis jüngste Erklärung ist ein Signal an alle: Wir wollen Frieden. Wir wollen Verhandlungen.“
Türkei soll direkte Gespräche aufnehmen
Bakırhan forderte die türkische Regierung auf, ebenfalls direkte politische Gespräche mit der Autonomieverwaltung in Nordostsyrien aufzunehmen. Die Öffnung des Grenzübergangs in Nisêbîn (tr. Nusaybin), das gegenüber Qamişlo liegt, könne dabei ein starkes Signal sein – auch an die Bevölkerung der Türkei. Zugleich rief er regionale und internationale Akteure dazu auf, konstruktive Rollen in einem möglichen Verhandlungsprozess zwischen Damaskus und Raqqa zu übernehmen.
„Frieden ist möglich – und das Volk ist bereit“
Am Ende seiner Rede sprach Bakırhan der Bevölkerung Mut zu. Entgegen aller Behauptungen sei eine demokratische Lösung möglich – in der Türkei, in Syrien, in Palästina und darüber hinaus: „Man hat uns immer erzählt, es sei unmöglich. Aber wir wissen: Es ist möglich. Frieden ist möglich. Gerechtigkeit ist möglich. Gleichheit ist möglich. Und: Die Menschen sind bereit. Die Straße ist bereit. Die Hoffnung ist bereit.“
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/temelli-parlament-soll-dialog-mit-Ocalan-aufnehmen-48359 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/bakirhan-parlament-muss-friedensgesetze-auf-den-weg-bringen-48148 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/abdi-dialog-mit-damaskus-und-turkei-dauert-an-48352 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/parlamentskommission-hort-frauen-und-jugendverbande-zur-friedensfrage-an-48356 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/das-problem-ist-politisch-die-losung-ebenfalls-48354
EGMR: Untersuchungshaft gegen Aysel Tuğluk war politisch motiviert
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Untersuchungshaft der kurdischen Politikerin Aysel Tuğluk als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gewertet und eine politische Motivation der Inhaftierung festgestellt.
In dem am Dienstag veröffentlichten Urteil (71757/17) sieht das Straßburger Gericht Verletzungen von gleich vier Artikeln der EMRK – darunter Artikel 18, der nur in besonders schwerwiegenden Fällen Anwendung findet. Die Türkei wurde zu einer Entschädigungszahlung von 17.500 Euro verurteilt.
Tuğluk war von 2016 bis 2017 rund 15 Monate in Untersuchungshaft, später wurde sie zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Organisation verurteilt. Die EGMR-Entscheidung betrifft ausschließlich die Phase der Untersuchungshaft.
Unzureichende Beweise, politische Absicht
Die Richter:innen stellten fest, dass die Inhaftierung nicht auf ausreichenden Beweisen beruhte. Die türkischen Behörden hätten weder den Tatverdacht hinreichend belegt noch die Fortdauer der Untersuchungshaft überzeugend begründet. Damit liege ein Verstoß gegen Artikel 5 Absätze 1 und 3 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) vor.
Weiter stellte das Gericht fest, dass Tuğluks Reden und Aktivitäten als Ko-Vorsitzende des Graswurzelbündnisses „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD) unter die Meinungsfreiheit (Artikel 10 EMRK) fallen. Ihre Inhaftierung allein aufgrund politischer Äußerungen verstoße daher gegen die Konvention.
EGMR rügt Verstoß gegen Artikel 18
Besonders schwer wiegt die Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 18 EMRK, wonach Einschränkungen von Grundrechten nicht zu anderen als den vorgesehenen Zwecken erfolgen dürfen. Der Gerichtshof urteilte, Tuğluks Inhaftierung sei nicht allein aus strafrechtlichen Gründen, sondern gezielt zur Unterdrückung politischer Opposition erfolgt. Zwar habe zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung ein Ausnahmezustand in der Türkei geherrscht, doch könne dieser die festgestellten Menschenrechtsverletzungen nicht rechtfertigen, betonten die Richter:innen.
In Haft an Demenz erkrankt
Die Rechtsanwältin Aysel Tuğluk, geboren 1965 in Xarpêt (tr. Elazığ), ist eine prominente kurdische Politikerin, ehemalige HDP-Abgeordnete und bekannte Stimme im Einsatz für Frauenrechte und eine politische Lösung der kurdischen Frage. 2018 wurde sie zu zehn Jahren Haft verurteilt – wegen ihrer Rolle als Ko-Vorsitzende des KCD, den türkische Behörden als mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbunden einstufen. Inzwischen ist die im Gefängnis an Demenz erkrankte Tuğluk aus gesundheitlichen Gründen auf freien Fuß.
Die EGMR-Entscheidung gilt als eine der schwerwiegendsten Urteile gegen die Türkei in den vergangenen Jahren. Artikel 18-Verstöße sind in der Rechtsprechung des Straßburger Gerichts selten und markieren Fälle, in denen die Justiz instrumentalisiert wurde, um politische Gegner:innen zu verfolgen.
„Urteil im Namen der Gerechtigkeit“
Die kurdische Politikerin Meral Danış Beştaş, Abgeordnete der DEM-Partei im türkischen Parlament, sprach von einem „Urteil im Namen der Gerechtigkeit“ – nicht nur für Tuğluk, sondern für „alle, die wegen ihrer Meinung oder Identität verfolgt wurden“. Zugleich erinnere das Urteil an „die verlorenen Jahre, die zerstörte Gesundheit“ Tuğluks „und das Ausmaß der staatlichen Willkür“.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/gericht-weist-klage-gegen-aysel-tugluk-ab-39924 https://deutsch.anf-news.com/frauen/aysel-tugluk-ist-endlich-frei-34653 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/aysel-tugluk-zivilrechtliche-organisationen-verlangen-un-eingreifen-30413
Türkische Drohne stürzt in Qendîl-Region ab
In der Gebirgsregion Qendîl in Südkurdistan ist am Dienstag eine türkische Drohne abgestürzt. Das bestätigte der stellvertretende Bürgermeister der Berggemeinde Binarê Qendîl, Dilşêr Îbrahîm. Das Wrack wurde nach dem Absturz zwischen den Dörfern Zergelê und Pirdeşal entdeckt.
Auf Videoaufnahmen der Nachrichtenagentur Roj News ist deutlich der Schriftzug „Kemal Atatürk“ auf dem Fluggerät zu erkennen. Die Drohne war offenbar zuvor in der Region Kuzîne unterwegs, als sie aus bisher unbekannten Gründen abstürzte. Hinweise auf Verletzte gab es nicht.
Foto: Roj News
Die Qendîl-Berge sind Teil des Zagros-Gebirges, das sich über 1600 Kilometer durch iranisches, irakisches und türkisches Staatsgebiet erstreckt. Da sich in der Region auch das Hauptquartier der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) befindet, wird sie regelmäßig von türkischen Drohnen und Kampfflugzeugen überflogen sowie bombardiert. Im März hatten die Volksverteidigungskräfte (HPG) über Qendîl eine türkische Akıncı-Drohne abgeschossen.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/guerilla-schiesst-turkische-akinci-drohne-ab-45619 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/turkische-kampfjets-bombardieren-binare-qendil-45392 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/hpg-andauernde-angriffe-auf-die-medya-verteidigungsgebiete-47751
Syrien: Blockade auf Tabqa-Salamiyya-Straße hält an
Die Sperrung der wichtigen Verbindungsstraße zwischen Tabqa und Salamiyya in Syrien dauert den neunten Tag in Folge an. Truppen der syrischen Übergangsregierung verwehren weiterhin Zivilpersonen und Fahrzeugen die Durchfahrt über den Kontrollpunkt bei Zakiyah, südlich der Athriya-Region in der Wüste von Hama.
Die vollständige Schließung der Strecke seit dem 5. Oktober hat zur Folge, dass Tausende Reisende, darunter Kranke und Studierende, ihre Fahrt nicht fortsetzen können. Auch zuvor genutzte Ausweichrouten, über die sich der Verkehr bislang – teils gegen Zahlungen – bewegen konnte, wurden mittlerweile blockiert.
Die betroffene Straße verbindet die unter Kontrolle der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) stehenden Gebiete mit den zentralen Landesteilen. Auf ihrer Seite bleibt die Verbindung weiterhin offen. Täglich machen sich dutzende Busse auf den Weg zum Kontrollpunkt – werden dort jedoch regelmäßig abgewiesen und müssen nach stundenlangem Warten umkehren.
Bereits am 27. September hatte die Übergangsregierung die Strecke zwischen Dair Hafir und Aleppo gesperrt und sie mehrfach beschossen. Dabei wurden mehrere Zivilpersonen verletzt. In der Region wurden zudem Erdwälle errichtet mit dem Ziel, die Bewegungsfreiheit nach Nordostsyrien weiter einzuschränken.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/strassensperre-der-syrischen-regierung-behindert-reiseverkehr-im-nordosten-48245 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/Ubergangsregierung-sperrt-wichtige-verbindung-aleppo-raqqa-48133 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mehrere-verletzte-bei-neuen-angriffen-auf-dair-hafir-48085
Şehba: Zwei Mädchen in türkischer Besatzungszone entführt
In der Şehba-Region in Nordsyrien sind nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation zwei minderjährige Mädchen von Mitgliedern einer bewaffneten maskierten Gruppe entführt worden. Der Vorfall ereignete sich in der Ortschaft Neirabiyah nördlich von Aleppo.
Wie die Menschenrechtsorganisation Rêxistina Mafên Mirovan li Efrînê-Sûriye (RMME) mitteilte, fuhren die Täter gegen 11 Uhr vormittags mit einem Fahrzeug in das Dorf und entführten die beiden Mädchen in der Nähe ihres Hauses. Anschließend seien sie in unbekannte Richtung geflohen.
Bei den Entführten handelt es sich laut Angaben der Organisation Helin Hussein Alloush (15) und Rayan Aidan Kadro (13). Ihr Aufenthaltsort sei bislang unbekannt. Angehörige hätten die zuständigen Stellen und Menschenrechtsorganisationen um dringende Hilfe gebeten, um das Schicksal der beiden zu klären.
RMME machte für die Tat die anhaltende Unsicherheit und Rechtslosigkeit in der türkisch-dschihadistischen Besatzungszone von Nordsyrien verantwortlich. In den Regionen komme es demnach regelmäßig zu Entführungen, Gewaltverbrechen und Übergriffen gegen Zivilpersonen, insbesondere gegen Frauen und Minderjährige.
Menschenrechtsgruppen berichten seit Monaten über eine Zunahme solcher Vorfälle, die sie auf das Fehlen funktionierender staatlicher Strukturen und Strafverfolgung in den besetzten Gebieten zurückführen.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/ngo-warnt-vor-gezielten-entfuhrungen-kurdischer-zivilist-innen-in-syrien-48048 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/hunderte-zivilist-innen-aus-efrin-in-gefangnisse-nach-bab-und-azaz-verlegt-47682
NGOs dokumentieren Isolationshaft in Gefängnissen von Adana
Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben in einem gemeinsamen Bericht systematische Missstände in zwei Hochsicherheitsgefängnissen in der südlichen Türkei dokumentiert. Die Haftbedingungen in den Anstalten in Suluca und Kürkçüler in der Provinz Adana würden internationalen Standards zufolge eine Form der Isolationshaft darstellen, kritisieren die Gruppen.
Veröffentlicht wurde der Bericht vom Menschenrechtsverein IHD, dem Verein freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) und der Familienhilfsorganisation AATUHAY-DER. Grundlage seien persönliche Gespräche mit Inhaftierten, Briefe sowie offizielle Beschwerden.
23 Stunden in Zellen, kaum Tageslicht
In beiden Gefängnissen würden Gefangene laut Bericht bis zu 23 Stunden täglich in kleinen, schlecht belüfteten Einzelzellen festgehalten. Der Hofgang sei auf eine Stunde pro Tag beschränkt und werde nur mit wenigen anderen durchgeführt. Die Zellen seien so gebaut, dass Tageslicht und Luftzirkulation stark eingeschränkt seien. Dies gefährde die psychische und physische Gesundheit der Gefangenen, heißt es in dem Bericht. Die Organisationen verweisen auf internationale Standards wie die UN-Mindestregeln für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), denen zufolge solche Bedingungen als Isolationshaft gelten – ein Praxis, die bei längerer Anwendung als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gewertet wird.
Weitere Menschenrechtsverletzungen
Darüber hinaus kritisiert der Bericht unter anderem unzureichende medizinische Versorgung, mangelnde Hygiene, schlechte Verpflegung und eingeschränkten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Inhaftierte müssten teilweise kostenpflichtiges Wasser aus der Gefängniskantine kaufen. Auch die Zensur kurdischsprachiger Publikationen, eingeschränkte Kommunikationsrechte sowie willkürliche Disziplinarstrafen werden aufgeführt.
In einer gemeinsamen Erklärung forderten die beteiligten Organisationen eine sofortige unabhängige Untersuchung der Vorwürfe durch das türkische Justizministerium, Anwaltskammern und internationale Institutionen. Man fordere die bedingungslose Abschaffung der Isolationshaft, Zugang zu medizinischer Versorgung sowie die Achtung der Sprach- und Kommunikationsrechte.
Isolation betrifft die Gesellschaft
Aziz Sarı, Vertreter des ÖHD, sagte bei der Vorstellung des Berichts, die systematische Isolation in türkischen Gefängnissen richte sich nicht nur gegen die Gefangenen selbst, sondern stelle eine Gefahr für gesellschaftliche Versöhnung und demokratische Prozesse dar. „Isolation ist eine direkte Attacke auf die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit“, so Sarı.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/pilot-gefangnis-fur-rechtsbruch-schwere-vorwurfe-gegen-frauengefangnis-sincan-48348 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/kranker-politischer-gefangener-soll-suizid-begangen-haben-48287 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/bericht-systematische-menschenrechtsverletzungen-in-turkischen-gefangnissen-48175
Selbstverwaltung in Cizîrê startet Solaranlagen-Programm für Landwirt:innen
Die Selbstverwaltung im Kanton Cizîrê hat mit der Verteilung von Solaranlagen an Landwirt:innen begonnen. Ziel der Maßnahme ist es, den Agrarsektor zu stärken und den Einsatz erneuerbarer Energien voranzutreiben.
Wie der Wirtschafts- und Landwirtschaftsrat der kantonalen Selbstverwaltung mitteilte, basiert das Vorhaben auf einem entsprechenden Ratsbeschluss. Mit der nun eingetroffenen Lieferung technischer Ausrüstung – darunter Solarpaneele und Zubehör – könne die Umsetzung planmäßig starten.
Landwirt:innen werden dazu aufgerufen, sich bei den zuständigen Stellen zu melden, um die nötigen Formalitäten zu klären und die Anlagen in Empfang zu nehmen. Die Kosten sollen in drei Raten beglichen werden: bei der Übergabe sowie zum Ende der Winter- und Sommersaison.
Die Landwirtschaftskommission betonte, das Projekt solle die Produktion langfristig nachhaltiger gestalten, Betriebskosten senken und die Energieversorgung im ländlichen Raum unabhängiger machen.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/selbstverwaltung-startet-baumwollaufkauf-in-mehreren-regionen-48152 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/null-abfall-kampagne-in-heseke-gestartet-48082 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/neues-elektrizitatswerk-soll-versorgung-in-deir-ez-zor-verbessern-47929
Lemkow-Zetterling: Ohne Freilassung Öcalans kann es keinen gerechten Friedensprozess geben
Während die Debatte um eine demokratische Lösung der kurdischen Frage rund um Abdullah Öcalans Konzept von „Frieden und demokratischer Gesellschaft“ in der Türkei weiter an Fahrt gewinnt, wächst auch die internationale Unterstützung für den Prozess. In einer Zeit zunehmender globaler Aufrüstung – insbesondere im Nahen Osten – betonen Fachleute aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen die Bedeutung der Friedensinitiative der PKK und ihres Gründers Öcalan. Für sie steht fest: Für eine gerechte und glaubwürdige Lösung ist die Freilassung Abdullah Öcalans unabdingbar.
Einer dieser Stimmen gehört dem Soziologen Prof. Dr. Louis Lemkow-Zetterling von der Autonomen Universität Barcelona. Im Gespräch mit ANF äußert sich der zu den aktuellen Friedensbemühungen in der Türkei, zur Rolle Öcalans, zur Zukunft der Demokratie und zur Verantwortung der internationalen Gemeinschaft.
„Ein bedeutender erster Schritt“
„Öcalans Engagement für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ist äußerst wichtig“, sagt Prof. Lemkow-Zetterling. „Nach über vierzig Jahren bewaffneten Konflikts mit Tausenden Toten und Verletzten ist ein solcher Schritt als großer Fortschritt zu bewerten. Das ist ein bedeutender erster Schritt – zweifellos. Es handelt sich zwar noch um eine frühe Phase, aber es ist ein wichtiger Anfang. Man darf optimistisch sein, denn mit der Einrichtung einer Parlamentskommission wurde erstmals eine ernsthafte Verbindung zum politischen Prozess geschaffen.“
„Seine Gefangenschaft ist nicht hinnehmbar“
Dass Abdullah Öcalan diesen Friedensprozess weiterhin unter den Bedingungen eines extremen Isolationsregimes führen müsse, sei für Lemkow-Zetterling inakzeptabel: „Öcalan wird seit 26 Jahren in Isolationshaft gehalten. Das ist mit Menschenrechten nicht vereinbar. Er ist in der Türkei eine äußerst bedeutende Figur – insbesondere für das kurdische Volk, für das er ein Symbol des Widerstands darstellt. Gleichzeitig hat er substanzielle Überlegungen zur Frage angestellt, wie ein friedlicher Weg aussehen könnte und wie eine gewisse Autonomie für die Kurden gestaltet werden könnte. Dass er trotz dieser zentralen Rolle weiterhin inhaftiert ist, ist nicht akzeptabel.“
Zur Bedeutung des 12. PKK-Kongresses: „Ein mutiger Schritt“
Auch die Entscheidungen des 12. Kongresses der PKK seien aus Lemkow-Zetterlings Sicht bemerkenswert: „Diese Beschlüsse stehen im Einklang mit Öcalans Ideen und seiner gewünschten politischen Entwicklung. Dass die PKK sich selbst auflösen will, ist ein sehr bedeutsamer Schritt – vergleichbar mit Entwicklungen in anderen Konflikten, etwa im Baskenland. Ich sehe hier ein klares Einvernehmen zwischen dem Kongress und Öcalans Linie. Natürlich gibt es auch Bedenken – etwa, dass das kurdische Volk dadurch verletzlicher wird. Aber ich glaube das nicht. Im Gegenteil: Der Schritt zur Entwaffnung ist ein starkes Signal. Er unterstreicht den Friedenswillen und die Entschlossenheit, auf eine politische Lösung hinzuarbeiten.“
Türkischer Staat in der Bringschuld
Kritisch äußert sich Lemkow-Zetterling zum Verhalten der türkischen Regierung: „Die Haltung des türkischen Staates ist weiterhin unklar – es gibt Zweifel daran, wie ernst es ihm wirklich mit einem Friedensprozess ist. Die Einrichtung einer Kommission ist zwar ein Anfang, doch aus meiner Sicht braucht es weitergehende Schritte, etwa eine Generalamnestie oder die Freilassung politischer Gefangener, allen voran Öcalan. Solche Maßnahmen haben auch in anderen Konflikten eine zentrale Rolle gespielt. Jede Auseinandersetzung ist einzigartig – aber Amnestien und Freilassungen waren vielfach der Schlüssel zum Fortschritt.“
Internationale Verantwortung: „Der Druck muss von außen kommen“
Für das Gelingen des Prozesses sei die Rolle der internationalen Gemeinschaft entscheidend, betont Lemkow-Zetterling: „Die Zivilgesellschaft auf internationaler Ebene kann und muss Druck ausüben. Wir haben das etwa im Fall von Gaza erlebt, wo internationale Mobilisierung zu einer öffentlichen Kritik an Israels Politik geführt hat.
Es ist wichtig, dass die Situation der Kurden auf internationaler Ebene sichtbarer wird. Jede Form von Engagement kann zur Unterstützung dieses Prozesses beitragen. Natürlich ist das derzeit nicht leicht – das kurdische Anliegen wird medial oft vom Palästina-Konflikt überlagert. Trotzdem ist es essenziell, dranzubleiben und internationale Unterstützung zu mobilisieren. Ich stehe in dieser Frage voll und ganz im Dienst des kurdischen Volkes.“
Zur Rolle internationaler Vermittler:innen
„Die internationale Vermittlung ist in vielen Konflikten ein entscheidender Faktor gewesen“, sagt Lemkow-Zetterling weiter. „Vergleichende Analysen müssen immer vorsichtig sein – jeder Konflikt hat seine eigene Geschichte – aber man kann dennoch viel lernen. Die Beispiele aus Irland oder dem Baskenland zeigen, wie wichtig internationale Vermittler sein können. Auch hier wäre eine unabhängige Beobachtung, verbunden mit einer Amnestie oder Freilassungen, ein sinnvoller Schritt.“
Öcalans Theorien, Marxismus und neue Wege
Abschließend spricht Prof. Lemkow-Zetterling über Öcalans ideologische Ansätze: „Ich denke, es gibt unterschiedliche Spielarten des Marxismus. Der akademisch-analytische Marxismus ist nach wie vor ein nützliches Werkzeug, um gesellschaftliche Dynamiken zu verstehen. Doch es existieren auch stark dogmatische Versionen – etwa im Marxismus-Leninismus –, und diese bedürfen einer kritischen Auseinandersetzung.
Jede Theorie muss sich mit gesellschaftlichem Wandel weiterentwickeln. Manche Antworten, die einst gültig waren, greifen heute nicht mehr. Dass Öcalan den Marxismus in Teilen infrage stellt, ist aus meiner Sicht nachvollziehbar.“
Staat, Zentralismus und Minderheiten
„Öcalan bietet mit seinen Ideen eine Alternative – sowohl zum staatssozialistischen Zentralismus als auch zum Kapitalismus“, so Lemkow-Zetterling. „Dass er zentralistische Staatsmodelle kritisiert, ist verständlich. Sie bringen für Minderheiten oft erhebliche Probleme mit sich. Wir sehen das auch in Spanien: Die Katalanen und Basken stoßen in einem zentralisierten System immer wieder an Grenzen.
Ob man für Unabhängigkeit eintritt oder für ein plurinationales Modell – beides existiert in Spanien. Die Situation ist dort nicht direkt vergleichbar, aber sie bietet Anhaltspunkte. Öcalan entwickelt seine Vorschläge aus der Realität seines eigenen Volkes heraus.“
Demokratie in der Krise – und wie man sie erneuern kann
„Die liberalen Demokratien befinden sich heute in einer tiefen Krise – sichtbar etwa am Erstarken rechter, rassistischer Parteien in Europa“, erklärt Lemkow-Zetterling. „Diese Entwicklungen spiegeln das Scheitern gewisser demokratischer Versprechen wider. Es ist deshalb wichtig, über neue Modelle nachzudenken.
Trotz aller Mängel halte ich das parlamentarische System immer noch für eine der besten Optionen, weil es zumindest ein gewisses Maß an Beteiligung ermöglicht. Als Linker glaube ich aber auch, dass wir neue Strukturen brauchen, um diese Beteiligung zu vertiefen und zu erweitern.“
Zum Schluss merkt er an: „Parteien haben strukturelle Probleme – sie neigen dazu, sich in kleine Führungszirkel zu verwandeln. Viele Entscheidungen werden nicht demokratisch gefällt. Das untergräbt das Vertrauen der Menschen in das System. Trotzdem: Reformierte Parteien und ein reformierter Parlamentarismus bleiben zentrale Werkzeuge für gesellschaftliche Teilhabe – vorausgesetzt, wir wagen große Veränderungen.“
Wer ist Prof. Louis Lemkow-Zetterling?
Prof. Dr. Louis Lemkow-Zetterling ist Soziologe und Umweltwissenschaftler an der Autonomen Universität Barcelona (UAB). Er wurde in Schweden geboren, ist der Sohn der Schauspielerin und Regisseurin Mai Zetterling und des Schauspielers Tutte Lemkow, und erhielt seine Ausbildung im Vereinigten Königreich. Seit 1975 lebt und arbeitet er in Katalonien.
Lemkow-Zetterling forscht an der Schnittstelle von Gesellschaft und Umwelt und hat umfangreich zu Themen wie ökologischen und technologischen Risiken, sozialen Ungleichheiten sowie deren Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden publiziert. Er war Direktor des Instituts für Umweltwissenschaft und -technologie (ICTA) und Vizepräsident der UAB. Zudem war er als Gastwissenschaftler an der Cornell University (USA) tätig.
Neben seiner akademischen Arbeit engagiert sich Lemkow-Zetterling seit Jahrzehnten politisch und zivilgesellschaftlich – insbesondere in den Bereichen Frieden, Menschenrechte und Umweltaktivismus. Seine Forschung und Haltung sind geprägt von einem tiefen Interesse an sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischer Teilhabe. Im Sommer gehörte er einer Delegation des Europäischen Forums für Freiheit und Frieden (EFFP) an, die im Rahmen der Kampagne „Ich will Abdullah Öcalan besuchen“ in der Türkei für eine friedliche, demokratische Lösung der kurdischen Frage und die Freilassung Öcalans warb.
https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/ein-neuer-mensch-muss-entstehen-48339 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/traverso-die-kurdische-frage-steht-an-einem-historischen-wendepunkt-48162 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/das-problem-ist-politisch-die-losung-ebenfalls-48354
Fall Rojin Kabaiş: Strafanzeige gegen Gerichtsmedizin und Proteste in Wan
Nach der Veröffentlichung widersprüchlicher Gutachten des Istanbuler Instituts für Rechtsmedizin im Fall des verdächtigen Todes der kurdischen Studentin Rojin Kabaiş haben Juristinnen der Anwaltskammer Wan (tr. Van) Strafanzeige gegen die dem türkischen Innenministerium unterstehende Behörde sowie einen Staatsanwalt gestellt. Zeitgleich demonstrierten hunderte Studierende und Aktivist:innen in Wan für Aufklärung und Gerechtigkeit.
Vor dem Gebäude der Gerichtsmedizin in Wan versammelten sich Vertreterinnen zahlreicher Frauenorganisationen, Studierende sowie Mitglieder zivilgesellschaftlicher Gruppen. Auf Transparenten war zu lesen: „Rojin Kabaiş ist unser Aufschrei“, „Das war kein Suizid, das war Mord“ und „Rektor, tritt zurück“.
In einer Erklärung kritisierte Fatma Ülgen, Anwältin im Frauenrechtszentrum der Rechtsanwaltskammer Wan, die mangelhafte Ermittlungsführung: „Ein Jahr nach Rojins Tod ist das Verfahren noch immer von Intransparenz geprägt. Die DNA-Spuren zweier Männer wurden erst nach massivem Druck offengelegt, obwohl sie das gesamte Verfahren verändern.“
Anzeige gegen Rechtsmedizin und Staatsanwalt
Die Rechtsanwaltskammer Wan teilte mit, sie habe Anzeige gegen mehrere verantwortliche Mitarbeitende des rechtsmedizinischen Instituts in Istanbul erstattet. Diese hätten zentrale forensische Informationen zunächst nicht im Bericht vermerkt und damit zur Verzögerung der Ermittlungen beigetragen. Zudem sei gegen den zuvor für die Akte Kabaiş zuständigen Staatsanwalt Anzeige erstattet worden. Dieser habe laut Ülgen in einem Interview öffentlich behauptet, die DNA-Spuren seien von Anfang an bekannt gewesen – eine Aussage, die laut Aktenlage nicht der Wahrheit entspricht. „Die Ermittlungen wurden weder sorgfältig geführt, noch wurde die Familie angemessen eingebunden. Dieser Fall ist ein exemplarisches Beispiel für strukturelles Versagen in der Aufklärung von Todesfällen junger Frauen“, sagte Ülgen.
Studierende: „Rojins Stimme sind jetzt wir“
Auch an der Universität Yüzüncü Yıl, an der Rojin Kabaiş Kindheitspädagogik studierte und im September vergangenen Jahres das letzte Mal lebend gesehen wurde, kam es zu Protesten. Nach einer gemeinsamen Erklärung zogen Hunderte Studierende unter Parolen bis vor die örtliche Gerichtsmedizin und veranstalteten einen Sitzstreik. Dort hielt der Studierenden-Sprecher Barış Metin hielt eine emotionale Rede.
„Wir haben uns heute hier versammelt, weil uns etwas tief erschüttert. In uns ist ein Schrei, der keine Worte braucht – selbst unsere Stille hallt nach. Wir sind hier für Rojin. Seit über einem Jahr warten wir auf Antworten. Wir tragen die Fragen weiter, die verdrängt, vertagt oder ignoriert wurden. Mit Rojin starb nicht nur eine junge Frau – erschüttert wurde das Gewissen einer ganzen Gesellschaft. Und diese Erschütterung bleibt. Wir werden nicht vergessen. Wir werden nicht vergessen lassen.“
„Rojin war das Licht in der Zukunft ihrer Familie“
Metin beschrieb Rojin Kabaiş als eine junge Frau voller Träume: „Rojin war eine Studentin. Sie war das Licht in der Zukunft ihrer Familie, ihrer Freund:innen, in ihrer eigenen Zukunft. Dieses Licht ist eines Tages plötzlich erloschen – und mit ihm begann eine Stille, die sich in uns alle gelegt hat. Diese Stille ist kein Schweigen; sie ist ein dunkler Raum, in dem wir nach Wahrheit suchen.“
Er forderte eine Gerechtigkeit, die über Aktenzeichen und Ermittlungsstände hinausgeht: „Auch ein Jahr später sind zentrale Fragen ungeklärt. Doch Gerechtigkeit darf nicht nur auf Papier existieren. Sie muss in den Herzen der Menschen und im kollektiven Gedächtnis verankert sein.
Leben zu schützen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Mit Rojin verloren wir nicht nur eine junge Frau, sondern auch ein Stück Hoffnung. Aber genau deswegen sind wir hier: Um diese Hoffnung wiederzubeleben. Denn wir glauben daran, dass Wahrheit ans Licht kommt – früher oder später. Manchmal ist das Schweigen eines Menschen die lauteste Stimme. Heute sind wir hier, um Rojins Schweigen in Worte zu verwandeln.“
Metin betonte, dass die Verantwortung für den Schutz des Lebensrechts nicht allein beim Staat liege: „In diesem Land ist das Leben jeder Frau, jedes Kindes, jedes Menschen heilig. Es zu schützen, ist nicht nur Aufgabe des Staates – es ist Verantwortung von uns allen. Wenn eine Frau ermordet wird, stirbt auch ein Teil der Gesellschaft. Wenn ein junger Mensch aus dem Leben gerissen wird, verdunkelt sich unsere Zukunft.
„Wir werden nicht vergessen“
Unsere Anwesenheit heute ist kein Ausdruck von Wut – sie ist ein Ruf des Gewissens. Wir sind hier, um uns daran zu erinnern, was Gerechtigkeit bedeutet. Wenn ein Leben verloren geht, wenn Fragen unbeantwortet bleiben, dann müssen wir nach diesen Antworten suchen. Denn Gerechtigkeit bedeutet nicht nur, Schuldige zu bestrafen. Sie bedeutet, das gesellschaftliche Gewissen zu heilen.
Die Erinnerung an Rojin wird uns den Weg leuchten. Das Versprechen, das wir heute geben, gilt nicht nur für diesen Tag – es ist ein Versprechen unserer gemeinsamen Menschlichkeit: Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht aufgeben, wir werden nicht schweigen.
Unsere Tränen sind kein Ausdruck von Ohnmacht, sondern ein Aufruf an die Menschlichkeit. Unser Zorn ist kein Hass, sondern der Wille, Gerechtigkeit zu schaffen. Unsere Stille ist keine Feigheit – sie ist ein Raum der Hoffnung und der Solidarität. Wir sind jetzt Rojins Stimme. Wir werden ihre unvollendeten Sätze zu Ende sprechen. Denn Gerechtigkeit wird ihren Platz finden – früher oder später. Und wir werden da sein, bis es so weit ist. Für Rojin. Für alle Frauen. Für die Menschlichkeit.
Die Stimme der Gerechtigkeit wird aus der Stille geboren, und sie wird in unseren Herzen weiterleben. Denn Gerechtigkeit wird nur dann stark, wenn sie mit der Stimme des Volkes spricht.“
https://deutsch.anf-news.com/frauen/widerspruche-im-fall-rojin-kabais-dem-abgeordnete-fordert-unabhangige-untersuchung-48364 https://deutsch.anf-news.com/frauen/rojin-kabais-dna-funde-erharten-verdacht-auf-sexualisierte-gewalt-48336 https://deutsch.anf-news.com/frauen/fall-rojin-kabais-juristin-fordert-verfahren-wegen-sexualisierter-gewalt-48345
QSD-Delegation schließt Gesprächsrunde mit Übergangsregierung ab
Die jüngste Gesprächsrunde zwischen militärischen und sicherheitspolitischen Vertreter:innen aus der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens und der syrischen Übergangsregierung in Damaskus ist abgeschlossen. Wie aus Kreisen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) am Montag verlautete, fanden die Gespräche in konstruktiver Atmosphäre statt und sollen in naher Zukunft fortgesetzt werden.
Die Treffen waren Teil der laufenden Konsultationen im Rahmen des 10.-März-Abkommens, das auf Koordinierung im Sicherheitsbereich und die Stabilisierung Syriens abzielt.
Fortschritte bei zentralen Themen
Der QSD-Oberkommandierende Mazlum Abdi leitete die Delegation und führte zwei zentrale Gespräche mit Ministern der syrischen Übergangsregierung. Im Verteidigungsministerium wurde die mögliche Einbindung der QSD – einschließlich der Frauenverteidigungseinheiten YPJ – in die syrischen Streitkräfte diskutiert. Die Gespräche seien „substanziell und offen“ verlaufen, hieß es aus Delegationskreisen.
Auch das Treffen mit dem Innenministerium, bei dem es um die Integration lokaler Sicherheitsdienste in nationale Strukturen ging, sei von „gegenseitigem Interesse und konstruktivem Austausch“ geprägt gewesen.
Delegation auf hohem Niveau
An den Gesprächen nahmen unter anderem Sozdar Hacî (YPJ) und Sipan Hemo (YPG) vom Kommandorat der QSD sowie der Sprecher des Bündnisses Abjar Daoud und der QSD-Kommandant Shaker Deir ez-Zor teil. Für die Sicherheitsbehörde der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) sprachen die Asayîş-Kommandant:innen Diler Hisen Temo, Ali Xidir El Hesen, Mustafa Mehmud Deli, Aho Elyo Lahdo sowie Arîn Mistefa, stellvertretende Ko-Vorsitzende des Rates für innere Sicherheit.
Weitere Treffen geplant
Die Beratungen sollen zeitnah fortgeführt werden. Ziel sei es, konkrete Mechanismen zur Koordinierung zwischen den Institutionen beider Seiten zu etablieren und auf dieser Grundlage eine tragfähige sicherheitspolitische Zusammenarbeit zu entwickeln. Offizielle Stellungnahmen aus Damaskus lagen zunächst nicht vor. Inoffiziell hieß es jedoch, der Dialog sei auf beiden Seiten als vertrauensbildend und zielführend bewertet worden.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/nordostsyrische-delegation-zu-sicherheits-und-militarfragen-in-damaskus-48357 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/abdi-dialog-mit-damaskus-und-turkei-dauert-an-48352 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mazlum-abdi-kundigt-gesprache-uber-integration-der-qsd-an-48329
Rojhilat: Mindestens zehn Festnahmen in wenigen Tagen
In mehreren Städten Ostkurdistans sind in den vergangenen Tagen mindestens zehn Kurden, darunter zwei Minderjährige, von Beamten des iranischen Geheimdienstministeriums festgenommen worden. Gleichzeitig wurden in Sine (Sanandadsch) drei zuvor inhaftierte Geschwister gegen Kaution freigelassen. Das berichtet das Kurdistan Human Rights Network (KHRN).
Am 7. Oktober wurde in Bokan der ehemalige politische Gefangene und Aktivist Hossein Gardeshi festgenommen. Die Razzia erfolgte laut KHRN ohne richterlichen Beschluss. Auch sein Bruder Mohsen Gardeshi, ebenfalls Aktivist, wurde in Gewahrsam genommen. Bei beiden Durchsuchungen sollen Familienmitglieder bedroht und persönliche Gegenstände beschlagnahmt worden sein.
Die Brüder waren bereits 2021 im Zuge einer Verhaftungswelle gegen kurdische Aktivist:innen inhaftiert worden.
Weitere Festnahmen in Şino und Bokan, Verschwundener in Mahabad
Ebenfalls am 7. Oktober wurden in Şino (Oshnavieh) vier kurdische Männer festgenommen, darunter die 17-Jährigen Rebwar Mousavi und Zaher Azari. Sie kamen nach stundenlangen Verhören wieder frei. Über das Schicksal von Keyvan Saeidi und Fakhraddin Khaledi ist nichts bekannt.
Aus Bokan wurde die Festnahme von Kamran Soltani gemeldet. In Merîwan (Marivan) wurde Hassan Mehrabi unter einem Vorwand zum Gouverneursamt gelockt und ohne Haftbefehl auf der Straße festgenommen. Am 8. Oktober folgte die Festnahme des Studenten Mobin Talebani, dessen Aufenthaltsort seither unbekannt ist.
Am 11. Oktober wurde zudem in Mahabad der 27-jährige Afshin Ebrahimi vom iranischen Geheimdienst festgenommen. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.
Freilassung auf Kaution in Sine
In Sine wurden unterdessen die Geschwister Derakhshan, Zanyar und Edris Rahimi nach monatelanger Haft entlassen. Sie waren Ende Juni wegen angeblicher Verbindungen zur Komala-Partei unter dem Vorwurf der Spionage für Israel und Gefährdung der nationalen Sicherheit verhaftet worden. Derakhshan Rahimi wurde am 6. Oktober nach 100 Tagen Haft gegen Kaution in Höhe von rund 10.000 US-Dollar freigelassen. Ihre Brüder wurden bereits zuvor entlassen. Während ihrer Haft hatten sie weder Zugang zu Rechtsbeistand noch Besuchsrechte, erklärte das KHRN.
https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/fuad-beritan-machtvakuum-in-iran-kann-den-weg-einer-demokratischen-ordnung-ermoglichen-48255 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/kurdischer-politischer-gefangener-in-iran-hingerichtet-48242 https://deutsch.anf-news.com/frauen/iran-zeynab-jalalian-24-stunden-nach-op-wieder-im-gefangnis-48302
Journalist Hakan Tosun nach Angriff für hirntot erklärt
Der Journalist, Dokumentarfilmer und Umweltaktivist Hakan Tosun, der am Abend des 10. Oktober in Istanbul brutal angegriffen wurde, ist nach Angaben seiner Familie für hirntot erklärt worden. Das bestätigten behandelnde Ärzt:innen im Bezirkskrankenhaus Başakşehir am Montag. Nach Informationen des Senders Ilke TV wurde Tosuns Angehörigen in der Klinik mitgeteilt, dass im Zuge der Behandlung auf der Intensivstation keine Hirnaktivität mehr festgestellt worden sei.
Angriff auf dem Heimweg
Tosun war am vergangenen Freitagabend verschwunden, nachdem er auf dem Heimweg zu seiner Familie im Istanbuler Stadtteil Esenyurt gewesen war. Der 49-Jährige wurde später bewusstlos und mit schweren Kopfverletzungen am Straßenrand gefunden. Da er keine Ausweispapiere bei sich trug, blieb seine Identität zunächst unklar; die Familie wurde erst über 24 Stunden nach dem Auffinden informiert.
"Bizim toprağımız evlat gibidir,nasıl bebekleri büyütüyorsak bu ağaçları,bu doğayı da öyle büyüttük.
Geldiler ve tapulu mallarımıza el koydular!"
Hatay Samandağ'a bağlı Kurtderesi mahallesinde TOKİ yapılacağı bahanesiyle tapulu arazilerine,zeytinliklerine el koyulan halk… pic.twitter.com/itc8KRxxIB
Zwei Verdächtige festgenommen
Im Zusammenhang mit dem Angriff wurden laut der Vereinigung progressiver Jurist:innen (ÇHD) zwei Tatverdächtige festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Der Rechtsanwalt Hakan Bozyurt erklärte, der Vorfall sei von der Polizei in Esenler dokumentiert worden. Er betonte, es gebe Videoaufnahmen des Tatorts, deren Auswertung entscheidend für die Aufklärung sei. Zudem sollten Zeug:innen befragt und alle verfügbaren Beweise gesichert werden. „Wir werden den Fall eng begleiten. Hakan Tosun ist nicht allein – wir werden gemeinsam dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte der Anwalt.
Dokumentarfilmer mit Fokus auf soziale Bewegungen
Hakan Tosun wurde 1975 in Istanbul geboren. Seine journalistische Laufbahn begann er in den frühen 1990er Jahren als technischer Berater bei privaten Radiosendern. Ab 1998 arbeitete er in Izmir für verschiedene Fernsehsender als Schnitttechniker. Seit 2009 widmete er sich verstärkt Dokumentarfilmprojekten zu ökologischen, sozialen und stadtpolitischen Themen.
Zu den bekanntesten Arbeiten Tosuns zählen „Çatılara Doğru“ (Auf die Dächer), „Tekel İşçileri“ (Die Tekel-Arbeiter), „Büyük Anadolu Yürüyüşü“ (Großer Anatolienmarsch), „Dönüşüm (Gentrifizierung)“ und „Validebağ Direnişi“ (Der Widerstand von Validebağ). Tosun ist Mitgründer der Firma „Dokumentarfilmproduktion Natur und Stadtaktivismus“ und dort als Regisseur tätig. Zuletzt arbeitete er in der südlichen Provinz Hatay und dokumentierte dort Proteste der Lokalbevölkerung gegen staatlichen Landraub.
https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/journalist-hakan-tosun-schwer-verletzt-am-strassenrand-gefunden-48341
Widersprüche im Fall Rojin Kabaiş: DEM-Abgeordnete fordert unabhängige Untersuchung
Die DEM-Abgeordnete Sümeyye Boz hat den Fall der unter ungeklärten Umständen verstorbenen Studentin Rojin Kabaiş auf die Tagesordnung des türkischen Parlaments gebracht. Mit einer schriftlichen Anfrage an Justizminister Yılmaz Tunç sowie einem Antrag auf eine parlamentarische Untersuchung macht sie auf Widersprüche in rechtsmedizinischen Gutachten und mutmaßliche institutionelle Versäumnisse aufmerksam.
Kabaiş war Studentin an der Universität Yüzüncü Yıl in Wan (tr. Van). Ihr Tod vor rund einem Jahr – ihre Leiche wurde 18 Tage nach ihrem Verschwinden am Ufer des Wan-Sees entdeckt – wurde zunächst als Suizid eingeordnet; ein Befund, den Familie und Unterstützer:innen seit Langem anzweifeln. Boz kritisiert in ihren Eingaben, dass insbesondere bei Todesfällen von Frauen vorschnell von Selbsttötung ausgegangen werde. Diese Praxis trage zu einer „Politik der Straflosigkeit“ bei, so die Abgeordnete.
Zwei männliche DNA-Spuren – Herkunft zunächst unklar
Kern der Vorwürfe ist ein forensisches Gutachten des Istanbuler Instituts für Rechtsmedizin. In einem Bericht vom 1. November 2024 wurde festgestellt, dass sich an Proben aus Kabaiş’ Körper zwei unterschiedliche männliche DNA-Spuren befanden – allerdings ohne Angaben darüber, aus welchen Körperbereichen die Proben stammten.
Rojin Kabaiş © Nizamettin Kabaiş
Erst rund zehn Monate später, am 10. Oktober, wurde der Bericht ergänzt: Die Spuren stammten demnach aus dem Brust- („sternal“) und dem Vaginalbereich („intra vaginal“).
In ihrer schriftlichen Anfrage verlangt Boz Antworten auf mehrere Fragen:
▪ Warum wurden die Entnahmestellen im ersten Bericht nicht genannt?
▪ Warum wurde diese Information erst zehn Monate später ergänzt?
▪ Wurde der zeitliche Ablauf durch das Ministerium geprüft?
▪ Gab es während der Erstellung der Gutachten Kontrollmechanismen?
▪ Existieren bei der Gerichtsmedizin Richtlinien, um geschlechtsspezifische Vorurteile bei der Untersuchung von Femiziden und Sexualdelikten zu verhindern?
Kritik am Umgang mit Beweismitteln
Boz verweist zudem auf eine Ungereimtheit zwischen den beiden Gutachten: Obwohl das rechtsmedizinische Institut in der zweiten Stellungnahme die Herkunft der DNA-Spuren präzisierte, wurden diese erneut relativiert – mit dem Hinweis, es könne sich um eine Kontamination handeln. Dabei habe das Institut im selben Schreiben erklärt, dass eine Kontaminationsgefahr ausgeschlossen sei. „Indem die Quelle der Spuren verschleiert wird, werden sie de facto entwertet“, heißt es in der Anfrage.
Parlamentarische Untersuchung beantragt
Mit einem zweiten Vorstoß fordert Boz eine parlamentarische Untersuchungskommission. Der Fall Kabaiş sei kein Einzelfall, sondern offenbare strukturelle Defizite. „Wenn das Lebensrecht von Frauen betroffen ist, begegnen wir einem systematischen Schweigen der Institutionen“, heißt es im Antrag.
Der Tod der Studentin sei Ausdruck eines Zusammenspiels von Versäumnissen – von der Universität über Polizei und Staatsanwaltschaft bis zur Rechtsmedizin. Dass Todesfälle von Frauen häufig als Suizid deklariert würden, sei ein Ausdruck patriarchaler Muster in der Justiz.
„Ein System, das Beweise gegen weibliche Opfer auslegt und Hinweise auf sexualisierte Gewalt ignoriert, produziert keine Gerechtigkeit, sondern reproduziert Straflosigkeit“, heißt es weiter. Der Fall Kabaiş zeige, wie das Vertrauen in eine neutrale Justiz erschüttert werde – insbesondere bei Gewalttaten gegen Frauen.
Ruf nach Rechenschaft und Reform
Boz fordert in beiden Anträgen, alle beteiligten Institutionen – insbesondere das Institut für Rechtsmedigin – zur Rechenschaft zu ziehen. Sie verlangt stärkere Kontrollmechanismen, ein Ende der Beweisunterdrückung bei mutmaßlichen Femiziden sowie eine grundlegende Reform der forensischen und justiziellen Verfahren im Umgang mit Gewalt gegen Frauen. Ziel müsse sein, die Unabhängigkeit rechtsmedizinischer Institute zu stärken und Mechanismen zu schaffen, die das Recht auf Leben von Frauen effektiv schützen. Dafür solle eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt werden.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/rojin-kabais-dna-funde-erharten-verdacht-auf-sexualisierte-gewalt-48336 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/anwaltskammer-gerichtsmedizin-blockiert-aufklarung-im-fall-rojin-kabais-48142 https://deutsch.anf-news.com/frauen/gedenkmarsch-in-wan-fordert-gerechtigkeit-fur-rojin-kabais-48140 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/vater-von-rojin-kabais-stellt-antrag-bei-justizministerium-48032 https://deutsch.anf-news.com/frauen/elf-monate-nach-tod-von-studentin-rojin-kabais-familie-klagt-uber-vertuschung-47628
Şêx Murşid Xeznewî bei Verkehrsunfall in Norwegen verletzt
Der kurdische Religionsgelehrte und gesellschaftliche Vermittler Şêx Murşid Xeznewî ist in Norwegen zusammen mit seinem Sohn in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. Wie am Montag aus dem Umfeld der Familie bekannt wurde, befindet sich der Gesundheitszustand von Xeznewî in einem stabilen Zustand. Sein Sohn wurde zur Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert.
Weitere Einzelheiten zum Unfallhergang und- ort lagen zunächst nicht vor. Auch Angaben zur Schwere der Verletzungen des Sohnes wurden bislang nicht veröffentlicht.
Wer ist Şêx Murşid Xeznewî?
Şêx Murşid Xeznewî (Murshid Khaznawi) wurde 1977 in der kurdischen Stadt Qamişlo in Nordsyrien geboren. Er ist Sohn des 2005 vom syrischen Regime getöteten Geistlichen Şêx Meşûq Xeznewî und gehört der bekannten religiös-intellektuellen Familie Xeznewî an. In Fortführung der Arbeit seines Vaters ist Murşid Xeznewî als Theologe, Prediger und zivilgesellschaftlicher Akteur aktiv.
Xeznewî im August 2025 beim KOMAW-Kongress in Herne | Foto: ANF
Er studierte islamische Theologie, Philosophie und Mystik sowohl in Syrien als auch im Ausland und setzt sich seit Jahren für interreligiösen Dialog, Frieden und gesellschaftliche Versöhnung ein – insbesondere im Kontext des syrischen Bürgerkriegs. Sein Engagement richtet sich auf die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien, insbesondere zwischen ethnischen und religiösen Gruppen.
Seit Monaten in Europa
In der Öffentlichkeit ist Xeznewî bekannt für seine vermittelnde Rolle im kurdischen Dialog sowie für sein entschiedenes Eintreten gegen Gewalt, Extremismus und autoritäre Strukturen. Seit einigen Monaten hält er sich in Europa auf und nimmt regelmäßig an Veranstaltungen zur Lage in Syrien teil. Seine Reden und Veröffentlichungen betonen Werte wie Toleranz, Gerechtigkeit und spirituelle Integrität.
KESK-Marsch für Rücknahme der Entlassungen von Staatsbediensteten
Mit einem mehrtägigen Protestmarsch von Amed (tr. Diyarbakır) nach Ankara fordern die Konföderation der Gewerkschaften der öffentlichen Bediensteten (KESK) und die Gewerkschaft der Büroangestellten (BES) die Rücknahme der Entlassungen per Notstandsdekret sowie die vollständige Rehabilitierung der Betroffenen. Der Marsch startete am Montag mit einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude in Amed.
Unter dem Motto „Wir holen uns unsere Arbeit zurück – Wir marschieren gegen Unrecht“ zogen die Teilnehmenden vom Şêx Seîd-Platz bis zum Justizpalast. An der Spitze wurde ein Transparent mit der Aufschrift „Dies ist ein Marsch für Gerechtigkeit“ gezeigt; es waren Parolen wie „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit kommen durch Widerstand“, „Jin, Jiyan, Azadî“, „Schulter an Schulter gegen Faschismus“ und „Es lebe der Widerstand der Werktätigen“ zu hören.
Demonstration für Gerechtigkeit und Demokratie
Die Ko-Vorsitzende der BES-Sektion in Amed, Güneş Özel, erklärte, der Marsch richte sich nicht nur gegen die Entlassungen nach dem vermeintlichen Putschversuch von 2016, sondern sei ein Aufruf an die gesamte Gesellschaft, für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenwürde einzutreten. Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands vor sieben Jahren werde das „Dekret-Regime“ de facto weitergeführt, so Özel.
Zehntausende ins soziale Abseits gedrängt
Die Gewerkschafterin erinnerte daran, dass weit mehr als 125.600 Beamt:innen in der Türkei durch Notstandsdekrete aus dem Staatsdienst entfernt wurden – darunter über 4.200 KESK-Mitglieder. Sie sprach von systematischer Kriminalisierung gewerkschaftlicher Arbeit und betonte, viele der Betroffenen seien ohne jegliche Verbindung zu Gülen-nahen Strukturen aus dem Dienst entlassen worden. „Die Dekrete wurden mit der Logik von ‚Bestrafung durch Hunger‘ eingeführt – ein Angriff auf Menschenwürde und Existenz. Auch Frauen-, Kinder- und Kulturvereine sowie kurdische Sprachinstitute wurden geschlossen“, so Özel.
Todesfälle als Folge der Entlassungen: „Wer trägt die Verantwortung?“
Özel erinnerte an mehrere Menschen, die infolge der Dekret-bedingten Arbeitslosigkeit und Isolation gestorben seien – darunter mehrere Ärzt:innen. Einige seien posthum rehabilitiert worden – ein „Akt bürokratischer Grausamkeit“, wie sie sagte. Ihre Frage an die Verantwortlichen: „Wenn jemand an den Folgen dieser Praxis stirbt – wer ist dann der Täter?“
Forderungen an Justiz und Regierung
Özel forderte die sofortige Rücknahme aller Entlassungen von KESK-Mitgliedern, einschließlich vollständiger Wiedergutmachung ihrer beruflichen und sozialen Rechte. Zudem müsse das Justizministerium den Stimmen aus der Zivilgesellschaft endlich Gehör schenken.
Der Ko-Vorsitzende von KESK, Ahmet Karagöz, unterstrich, dass viele der Entlassungen auf demokratisch legitime Forderungen zurückzuführen seien: Friedensengagement, Kritik an der Bildungspolitik, Einsatz für Gleichberechtigung und die Forderung nach öffentlichen Dienstleistungen in Kurdisch und Sprachen anderer Minderheiten seien kein Verbrechen, sondern Grundrechte. „Wir werden weiter für ein gerechteres Land und eine friedlichere Welt kämpfen“, so Karagöz.
Marsch führt durch mehrere Provinzen
Der Protestmarsch von KESK und BES soll durch mehrere Provinzen führen, darunter Riha (Urfa), Semsûr (Adıyaman), Dîlok (Antep), Adana und Mersin. Am Freitag soll die Demonstration dann den Zielort, die türkische Hauptstadt Ankara, erreichen. Dort ist eine Großkundgebung unter der Teilnahme weiterer Gewerkschaften geplant.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/gedenken-an-gewerkschafter-bei-protest-gegen-khk-entlassungen-45991 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/spate-gerechtigkeit-fur-veli-sacilik-25677 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/islamischer-prediger-fethullah-gulen-in-den-usa-gestorben-43982
Ärzteverband aus Nordostsyrien nimmt am Weltgesundheitsgipfel teil
Der Ärzteverband Nord- und Ostsyriens beteiligt sich in diesem Jahr erstmals am Weltgesundheitsgipfel in Berlin – einer der weltweit bedeutendsten Konferenzen für globale Gesundheitspolitik. Die Teilnahme gilt als wichtiger Schritt zur stärkeren internationalen Sichtbarkeit der Gesundheitsbehörden der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES).
Den Verband vertritt auf dem Gipfel der Mediziner Dr. Diyar Rasho, der sich in Panels und Fachrunden mit Vertreter:innen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), internationaler Gesundheitsministerien, Universitäten und medizinischer Institutionen aus aller Welt austauscht.
Ziel der Teilnahme sei es, den Gesundheitssektor Nordostsyriens in internationale Fachdebatten einzubringen und Partnerschaften für medizinische Kooperation, Aus- und Weiterbildung sowie strategische Gesundheitsplanung in Krisenregionen zu entwickeln, so der Verband. „Die Region braucht strukturellen Wiederaufbau im Gesundheitswesen, Zugang zu medizinischem Wissen und internationale Solidarität – gerade angesichts der politischen Isolation“, heißt es in einer Stellungnahme des Ärzteverbands.
Der am Sonntag gestartete Weltgesundheitsgipfel 2025 steht unter dem Motto „Verantwortung für Gesundheit in einer sich fragmentierenden Welt“. An der dreitägigen Konferenz in Berlin nehmen mehr als 4.000 Fachleute aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft teil. Zu den Schwerpunkten zählen unter anderem die Pandemieprävention, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels sowie digitale Innovationen in der medizinischen Versorgung.
Weitere internationale Kontakte
Parallel zum Gesundheitsgipfel beteiligt sich auch der Kommunalverband Nord- und Ostsyriens an einer internationalen Friedenskonferenz im italienischen Mantua unter dem Titel „Imagine all the people living in peace“. Die Veranstaltung wird von der Stadt Mantua gemeinsam mit der Stiftung Perugia-Assisi für Friedenskultur organisiert. Sie bietet Akteur:innen aus Krisenregionen eine Plattform zum Austausch über Gemeinwesenarbeit, Friedensaufbau und gesellschaftliche Resilienz.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zwischen-mangel-und-engagement-gesundheitsarbeiten-in-nordostsyrien-47341 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/wilk-uber-arbeit-in-rojava-medizin-solidaritat-widerstand-47600 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/gesundheitszentrum-in-qine-nach-renovierung-wiedereroffnet-47772
Elf Jahre nach Mord an Kadri Bağdu: Anwalt fordert Neuaufnahme der Ermittlungen
Am 14. Oktober jährt sich der Mord an Kadri Bağdu, einem langjährigen Zeitungsausträger der per Notstandsdekret verbotenen kurdischen Tageszeitung Azadiya Welat, zum elften Mal. Bağdu war 2014 in der südtürkischen Stadt Adana während seiner Arbeit erschossen worden. Bis heute wurden weder Täter noch Hintergründe der Tat vollständig aufgeklärt. Die Familie und ihr Rechtsbeistand fordern eine Wiederaufnahme der Ermittlungen – mit Blick auf mögliche politische Motive und Hinweise auf eine Täterschaft durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).
Fragwürdige Ermittlungen
Unmittelbar nach der Tat hatte die Staatsanwaltschaft eine Geheimhaltung über die Ermittlungen verhängt – laut Anwalt Tugay Bek eine Maßnahme, die mehr verschleiert als geschützt habe: „Die Geheimhaltung hat nicht zur Aufklärung beigetragen, sondern Ermittlungsansätze blockiert.“ Nach rund 15 Monaten wurde die Akte zwar wieder freigegeben, doch das Verfahren verlief im Sande. 2020 wurde der Fall offiziell als „gewöhnlicher Kriminalfall“ eingestuft – trotz gegenteiliger Hinweise.
Tugay Bek | Foto: MA
Bek verweist darauf, dass der Tatort im Stadtteil Şakirpaşa von zahlreichen Überwachungskameras erfasst wurde. „Es gibt zahlreiche Menschen, die damals an oppositionellen Protesten im Viertel teilgenommen haben und anhand dieser Aufnahmen identifiziert und verurteilt worden sind. Aber bei Bağdus Ermordung sollen die Kameras plötzlich nichts dokumentiert haben?“, kritisiert er.
Konkrete Hinweise auf IS-Täter – ohne Konsequenzen
Besonders schwer wiegt ein Geständnis, das 2016 öffentlich wurde: der türkische IS-Söldner Servet Koç hatte dem Sohn des Opfers, Ismail Bağdu, über soziale Medien geschrieben und den Mord detailliert geschildert. In seiner Nachricht nannte er Namen, beschrieb Abläufe, Tatwaffe und Fluchtfahrzeug – und behauptete, der Anschlag sei unter Mitwissen staatlicher Stellen erfolgt. Koç kam später bei einem Luftangriff in Nordsyrien ums Leben. Die Hinweise aus seiner Nachricht wurden nie strafrechtlich weiterverfolgt.
„In anderen IS-Verfahren wurden Täter auf Basis solcher Spuren identifiziert. Hier aber fehlte offenbar der Wille, der Spur nachzugehen“, sagt Bek. Die Akte sei bewusst oberflächlich behandelt worden. Ein Verfahren vor dem türkischen Verfassungsgericht sei anhängig, aber bislang ohne Ergebnis.
Kadri Bağdu war mit seinem Fahrrad unterwegs, als er erschossen wurde
Gezielter Angriff auf kurdische Medien?
Für Bek steht fest: Der Mord war politisch motiviert. Bağdu habe als sichtbare Figur der freien kurdischen Medien gegolten, sei mehrfach inhaftiert und bedroht worden – habe sich aber nicht einschüchtern lassen und weiter gearbeitet. „Gerade weil er unbeirrt weitermachte, wurde er zur Zielscheibe. Dass der Staat nie echtes Interesse an der Aufklärung gezeigt hat, ist ein weiteres Indiz für die politische Dimension“, so der Anwalt.
Er betont, dass strukturelle Veränderungen notwendig seien, um solche Taten in Zukunft überhaupt aufklären zu können: „Solange es in der Türkei keine echte demokratische Öffnung gibt, bleiben politische Morde wie dieser in der Dunkelheit.“
Gedenkveranstaltung angekündigt
Am Dienstag, dem 14. Oktober, wird Kadri Bağdu um 13 Uhr an seinem Grab auf dem Küçükoba-Friedhof in Adana gedacht. Familie, Freund:innen und Kolleg:innen wollen an sein Engagement erinnern und weiterhin Gerechtigkeit fordern.
https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/3-dezember-1994-bombardierung-von-Ozgur-Ulke-29639 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/der-kampf-um-gerechtigkeit-fur-ferhat-tepe-ist-nicht-vorbei-43208 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/33-jahre-ohne-musa-anter-48031 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/ohne-aufarbeitung-keine-gerechtigkeit-46523 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/keine-untersuchung-von-verschwindenlassen-und-totungen-in-haft-46373
Temelli: Parlament soll Dialog mit Öcalan aufnehmen
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Sezai Temelli, hat eine rasche Aufnahme offizieller Gespräche mit dem inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan gefordert. In einer Pressekonferenz im türkischen Parlament sprach er sich dafür aus, dass die zuständige Kommission eine Delegation nach Imrali entsendet.
„Es braucht eine starke und breit vertretene Delegation – mit Vertreter:innen aller Parlamentsparteien, auch jenen ohne Fraktionsstatus“, sagte Temelli am Montag in Ankara. Ein solcher Besuch dürfe kein einmaliges Ereignis bleiben, sondern müsse Teil eines kontinuierlichen Verhandlungsprozesses sein.
Fall Rojin Kabaiş: Vorwürfe gegen Behörden
Zum Auftakt seiner Erklärung ging Temelli auf den Tod der kurdischen Studentin Rojin Kabaiş in der Provinz Wan (tr. Van) ein. Er warf dem Institut für Rechtsmedizin und den Behörden vor, den Fall vorschnell als Suizid dargestellt und mögliche strafrechtliche Zusammenhänge vertuscht zu haben. „Schon während Rojins Leichnam noch im Krankenhaus lag, sprach der Gouverneur von Selbstmord. Inzwischen wissen wir: So einfach ist es nicht. Was wird hier verschwiegen, was wird gedeckt?“, fragte Temelli. Der Fall müsse vollständig aufgeklärt, mögliche Verantwortliche vor Gericht gestellt werden.
„Ein Haushalt für den Frieden, nicht für Drohnen“
Mit Blick auf den Haushaltsentwurf für das Jahr 2026, der am 17. Oktober ins Parlament eingebracht werden soll, übte Temelli deutliche Kritik. Der bisherige finanzpolitische Kurs sei sozial ungerecht und habe die Polarisierung im Land verschärft. „Jahr für Jahr sehen wir Haushalte, die den sozialen Frieden untergraben“, sagte er.
Er forderte stattdessen eine soziale und friedensorientierte Neuausrichtung: „Ein Friedenshaushalt bedeutet, Geld nicht für Drohnen und Raketen, sondern für junge Menschen, für Bildung und für Frauen bereitzustellen.“ Dass die Hungergrenze mittlerweile bei 30.000 Lira liege, während der Mindestlohn nur 22.000 betrage, zeige die dramatische Schieflage im Land.
Strafvollzug: Hoffnung statt Isolation
Auch den Strafvollzug nahm Temelli in den Blick. Die geltenden Regelungen zur lebenslangen verschärften Haft müssten abgeschafft, das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ gesetzlich verankert werden. Zudem sprach er sich gegen die „willkürliche Praxis“ der Beobachtungs- und Verwaltungskommissionen in Vollzugsanstalten aus, die laut Menschenrechtsorganisationen systematisch vorzeitige Entlassungen bei politischen Gefangenen verhindern, und forderte eine humane Lösung für kranke Gefangene.
Zum Thema Imrali erklärte Temelli abschließend, dass bereits informelle Gespräche unter Parlamentsmitgliedern über eine mögliche Besuchsdelegation liefen. Die Gespräche müssten nun formalisiert und konkrete Schritte eingeleitet werden.
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Verteidigungsteam von Abdullah Öcalan zu Gespräch auf Imrali
Ein Team von Rechtsanwält:innen der Istanbuler Kanzlei Asrin hat sich am Montag auf den Weg zur Gefängnisinsel Imrali gemacht, um ihren Mandanten Abdullah Öcalan zu besuchen. Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) befindet sich seit 1999 in Isolationshaft auf der im Marmarameer gelegenen Insel.
Nach Angaben der Kanzlei gehören zu dem Team die Jurist:innen Mazlum Dinç, Rezan Sarıca, Suzan Akipa und Emran Emekçi. Die Kanzlei Asrin vertritt ausschließlich Abdullah Öcalan und die übrigen Gefangenen auf Imrali in allen rechtlichen Belangen.
Der letzte bestätigte Kontakt zwischen Öcalan und seinem Rechtsbeistand fand am 15. September statt. Es war das erste Anwaltsgespräch nach einer mehrjährigen Kontaktsperre. Zuvor hatte es am 7. August 2019 ein Treffen gegeben. Eine Stellungnahme zum Inhalt des heutigen Besuchs wurde für die kommenden Tage angekündigt.
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