«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Sicherheitskräfte in Şêxmeqsûd melden Angriff auf Kontrollpunkt
Die Asayîş in Aleppo hat einen bewaffneten Angriff auf einen ihrer Kontrollpunkte im kurdisch geprägten Stadtteil Şêxmeqsûd gemeldet. Der Vorfall ereignete sich nach Angaben der Behörde in der Nacht zum Montag und wird als gezielter Attentatsversuch gewertet. Ob Menschen verletzt wurden, ist nicht bekannt.
Die Asayîş verurteilte die Attacke scharf. Sie macht bewaffnete Gruppen verantwortlich, die mit der sogenannten syrischen Übergangsregierung in Verbindung stehen. „Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe und Provokationen gegen die Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefiyê“, heißt es in einer Mitteilung. „Solche Angriffe gefährden nicht nur die öffentliche Sicherheit, sondern untergraben gezielt den fragilen Frieden in der Region.“
Der Angriff sei darauf ausgelegt gewesen, gezielt Instabilität zu schaffen und die Region „zurück in eine Phase bewaffneter Auseinandersetzungen zu treiben“. Die Attacke sei Teil einer größeren Strategie zur Sabotage von Schutzmaßnahmen für Zivilist:innen sowie von bestehenden Waffenruhen. „Dieser Vorfall zeigt erneut, dass die Angreifer keinerlei Absicht haben, bestehende Abkommen oder den lokalen Waffenstillstand einzuhalten“, erklärte die Sicherheitsbehörde weiter. Vielmehr setzten sie auf Eskalation und Unsicherheit.
Die Asayîş kündigte an, ihren Auftrag zum Schutz der Bevölkerung und zur Wahrung der Stabilität in den betroffenen Stadtteilen fortzusetzen. Zugleich rief sie alle Akteure in der Region auf, ihrer Verantwortung für die Aufrechterhaltung des inneren Friedens gerecht zu werden und eine neue Eskalation zu verhindern.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/aleppo-zwei-asayis-mitglieder-schwer-verletzt-48414 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/aleppo-esrefiye-fordert-aufhebung-der-blockade-48440 https://deutsch.anf-news.com/frauen/ypj-kommandantin-zu-gesprachen-mit-damaskus-integration-heisst-nicht-unterwerfung-48453
Wasserforum in Amed fordert rechtliche Anerkennung von Flüssen
Mit Forderungen nach einem gerechten Zugang zu Wasser, der Einrichtung gemeinsamer Kommissionen und der Anerkennung von Flüssen als „lebendige Wesen“ ist das Zweite Wasserforum Mesopotamiens (MWF) am Sonntagabend in Amed (tr. Diyarbakır) zu Ende gegangen. Drei Tage lang diskutierten Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik über Lösungen für die zunehmende ökologische Krise in der Region.
Die Veranstaltung fand im Kongress- und Kulturzentrum ÇandAmed statt und wurde von zahlreichen Akteur:innen aus der Türkei, dem Irak, Nord- und Ostsyrien sowie internationalen Umweltinitiativen begleitet. Ziel war es, überregionale Strategien für den Schutz von Wasserressourcen, die Sicherung des Menschenrechts auf Wasser und eine ökologisch-demokratische Wasserpolitik zu entwickeln.
Im Verlauf des Forums wurde deutlich: Wasserknappheit ist weniger ein physisches als ein politisch verursachtes Problem. Als zentrales Thema wurde daher nicht nur der Zugang zu Wasser, sondern auch die gerechte Verwaltung von Wasserquellen, die Verknüpfung mit Klimagerechtigkeit sowie die Rolle von Diplomatie und lokaler Selbstverwaltung betont.
Workshops: Wasser, Frieden und die Rolle der Gesellschaft
Am zweiten Tag des Forums fanden mehrere thematische Workshops statt. Unter dem Titel „Wasser, Frieden und Freiheit“ diskutierten Teilnehmende die kulturelle und historische Bedeutung der Flüsse Tigris und Euphrat, die als Grundlage für sozialen Ausgleich und Frieden zwischen den Völkern dienen könnten. Auch die Rolle der Frauen in wasserpolitischen Fragen wurde beleuchtet.
In der Arbeitsgruppe „Wassermanagement und Befreiung der Einzugsgebiete“ wurden Ursachen der Wasserkrise in den Ländern Mesopotamiens sowie mögliche ökologische und demokratische Auswege thematisiert. Eine dritte Runde widmete sich dem Konzept der „Wasserdiplomatie der Völker“ und forderte inklusive und lokal verankerte Ansätze als Alternative zu staatlich dominierten Verteilungsabkommen.
Zentrale Punkte waren dabei: Wasser als Menschenrecht, Erinnerungskultur, Sicherheit, Gesundheit, Klimawandel, internationale Verantwortung, sowie die Rolle lokaler Akteur:innen in der Wasserpolitik. Auch historische Entwicklungen – etwa die Rolle Mesopotamiens als Wiege der ersten Bewässerungssysteme – wurden mit der heutigen ökologischen Krise in Verbindung gesetzt.
Verschärfte Krise im Irak und in Rojava
Teilnehmer:innen aus dem Irak berichteten, dass das Land rund 80 Prozent seiner Wasserressourcen eingebüßt habe. Millionen Menschen seien dadurch zur Flucht gezwungen worden. Delegationen aus Nord- und Ostsyrien (Rojava) bezeichneten die anhaltenden Wasserblockaden durch die Türkei – insbesondere bei der Allouk-Wasserstation im besetzten Serêkaniyê (Ras al-Ain) – als direkte Verletzung des Rechts auf Leben. Sie forderten die Einrichtung demokratischer Überwachungsmechanismen zur Sicherstellung der Wasserversorgung in der Region.
Vertreter:innen aus der Türkei wiederum warnten vor den Auswirkungen von Staudämmen, Bergbauprojekten und großflächiger industrieller Tierhaltung auf die natürlichen Wasserkreisläufe. Auch spirituelle Perspektiven fanden Gehör: Die Bedeutung des Wassers in alevitischen, ezidischen, zoroastrischen und nestorianischen Glaubensrichtungen wurde hervorgehoben.
Forderungen und Handlungsempfehlungen
Am letzten Tag des Forums wurden die wichtigsten Empfehlungen vorgestellt, die in den kommenden Tagen in eine offizielle Abschlusserklärung einfließen sollen. Dazu gehören unter anderem:
▪ Entwicklung neuer politischer Strategien gegen Bergbauaktivitäten in Wassereinzugsgebieten;
▪ Ausarbeitung internationaler Abkommen zum Schutz des Rechts auf Wasser – mit direkter Beteiligung der betroffenen Bevölkerung;
▪ Einrichtung gemeinsamer, internationaler Forschungskommissionen zur Wasserproblematik;
▪ Aufbau digitaler Plattformen für Vernetzung und schnellen Informationsaustausch;
▪ Entwicklung gemeinsamer politischer Maßnahmen gegen den Einfluss industrieller Tierhaltung auf Wasserressourcen;
▪ Bildung einer zivilgesellschaftlichen Delegation zur Beobachtung der Situation an der Allouk-Wasserstation in Nordsyrien;
▪ Sammeln und Abgleichen wasserbezogener Daten auf überstaatlicher Ebene – als Grundlage gemeinsamer Strategien.
Eine zentrale Forderung, die auf breite Zustimmung stieß, war die rechtliche Anerkennung von Flüssen als lebendige Entitäten mit eigenen Rechten. Dies sei nicht nur ein juristisches Konzept, sondern auch Ausdruck eines neuen ökologischen Bewusstseins, hieß es.
Abschluss und Ausblick
Das Forum endete mit dem Versprechen, die begonnenen Diskussionen in konkrete politische Initiativen zu überführen. Die offizielle Abschlusserklärung soll innerhalb von zehn Tagen veröffentlicht werden.
Nach dem Forum besuchten Teilnehmer:innen aus verschiedenen Regionen symbolträchtige Orte in Amed, darunter das Cemilpaşa-Herrenhaus, das Dengbêj-Haus, Fiskaya, die Zehnbogenbrücke sowie den Kırklar-Berg. Das Forum stand unter dem Motto: „Wasser ist Leben, Wasser ist Frieden.“
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/zweites-wasserforum-mesopotamien-in-amed-gestartet-48422 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/beyza-Ustun-wasser-wird-zur-geopolitischen-waffe-48432 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/irak-erlebt-schwerste-wasserkrise-seit-80-jahren-46446
Friedensmütter: Schlüssel zum Frieden ist die Freiheit Abdullah Öcalans
Der Rat der Friedensmütter hat zum Abschluss seiner dritten Konferenz in Amed (tr. Diyarbakır) seine Entschlossenheit bekräftigt, sich weiterhin für die gesellschaftliche Verankerung des Friedens und den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft einzusetzen. In ihrer Abschlusserklärung hob die Initiative die Bedeutung direkter Gespräche mit dem inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan hervor und forderte dessen Freilassung.
Die zweitägige Konferenz, die unter dem Motto „Mütter sind Vorreiterinnen einer demokratischen Gesellschaft und eines nachhaltigen Friedens“ stand, wurde im ÇandAmed Kongress- und Kulturzentrum abgehalten. Es war das erste Treffen dieser Art seit zwölf Jahren. Neben Mitgliedern der Friedensmütter nahmen Delegationen der kurdischen Frauenbewegung TJA, der Parteien DEM und DBP, Abgeordnete und Lokalpolitiker:innen teil.
„Frieden braucht politische Anerkennung“
Das Abschlusspapier wurde von Songül Tamriş im Namen des Rats der Friedensmütter verlesen. Die Aktivistin betonte, dass die Konferenz ein Ausdruck des kollektiven Willens zur Wiederaufnahme eines gesellschaftlichen Friedensprozesses sei. Die Erklärung sei zugleich den Opfern des Krieges, Abdullah Öcalan und allen kämpfenden Frauen gewidmet. „In dem schmutzigen Krieg im Nahen Osten geht es nicht nur um staatliche Interessen, sondern auch um einen Angriff auf das Gedächtnis, die Identität und das Lebensrecht ganzer Bevölkerungen“, sagte sie.
Die Auswirkungen träfen insbesondere Frauen. Ihr Körper, ihre Sprache, ihre Arbeit und ihre Existenz seien zentrale Angriffsziele. „Deshalb richtet sich der Widerstand der Frauen nicht nur gegen den Krieg selbst, sondern gegen das ihn stützende patriarchale System und die Gewalt des Nationalstaats“, so Tamriş. Der Beitrag der Frauen sei „die Stimme, das Gewissen und das kollektive Gedächtnis des Friedens“.
Kritik an Assimilationspolitik und Isolation
Die Friedensmütter kritisierten in ihrer Erklärung die seit über einem Jahrhundert gegen die kurdische Bevölkerung gerichtete Politik der „Leugnung, Vernichtung und Assimilation“. Tamriş verwies auf Öcalans Aufruf vom 27. Februar zu Frieden und demokratischer Gesellschaft. Dieser Appell beinhalte eine mehrschichtige gesellschaftliche Neustrukturierung.
„Damit dieser Prozess Wirklichkeit werden kann, muss Öcalan in der Lage sein, unter freien Bedingungen zu wirken. Das ist nicht nur eine juristische Verpflichtung, sondern eine Voraussetzung für jede ernst gemeinte politische Friedensinitiative“, erklärte Tamriş. Hinter dieser Forderung stünden die Friedensmütter „so klar und unmissverständlich wie die weiße Farbe ihrer Kopftücher“, erklärte sie.
PKK-Waffenstillstand und Forderung nach Dialog
Die Friedensmütter erinnerten in ihrer Erklärung auch an die Rolle der PKK im laufenden Prozess. Die Organisation habe mit dem einseitigen Niederlegen der Waffen ein deutliches Zeichen gesetzt. Doch solange die Stimme der Guerilla nicht am Verhandlungstisch gehört werde, sei eine „echte Lösung nicht möglich“.
Tamriş betonte, dass es nicht nur um Verhandlungen gehe, sondern auch um notwendige gesetzliche und verfassungsrechtliche Änderungen. Diese müssten nicht nur den Friedenswillen widerspiegeln, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Staatsgeschichte ermöglichen.
Ablehnung des Begriffs „Terror“
Besonders scharf fiel die Kritik an der häufigen Verwendung des Begriffs „Terror“ durch staatliche Akteure aus. Diese sei nicht nur ein rhetorisches Problem, sondern stelle eine strukturelle Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen dar, so Tamriş: „Es sind unsere Töchter, Söhne, Geschwister und Familien, die so diffamiert werden. Diese Sprache verhindert Frieden und ist Ausdruck eines staatlichen Verleugnungsreflexes.“
Die Friedensmütter riefen dazu auf, eine Sprache des Friedens zu entwickeln, die sensibel und respektvoll ist – im Umgang mit Geschichte, Gesellschaft und politischen Realitäten.
Forderung nach politischen Reformen
Neben der Freilassung Öcalans forderte die Erklärung auch die unverzügliche Entlassung aller politischen Gefangenen sowie ein Ende „menschenrechtswidriger Praktiken“ gegenüber kranken Inhaftierten. Die Friedensmütter kritisierten in diesem Zusammenhang die Rolle des Instituts für Rechtsmedizin sowie der Beobachtungs- und Verwaltungskommissionen in Vollzugsanstalten.
Tamriş rief die im Parlament eingerichtete „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ dazu auf, als vorrangige Aufgabe den Dialog mit Öcalan zu ermöglichen. „Die Gespräche mit ihm haben historische Bedeutung“, erklärte sie. „Unsere Hoffnung ist es, auf Imrali sprechen zu können – für den Frieden und den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.“
Die Erklärung endete mit einem Appell an die Gesellschaft, sich weiterhin für eine demokratische, friedensorientierte Organisation von unten einzusetzen. „Wir glauben: Der Wille zum Frieden liegt beim Volk und bei den Frauen. Wenn wir diesen Weg gehen, kann am Ende die gesamte Menschheit profitieren“, so Tamriş. Die Versammlung schloss mit den Rufen „Jin, Jiyan, Azadî“ („Frau, Leben, Freiheit“) und „Ohne unseren Vorsitzenden kein Leben“.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/Ocalan-frauen-sollen-mit-mut-und-bewusstsein-fur-frieden-kampfen-48436 https://deutsch.anf-news.com/frauen/kurdische-mutter-wir-beharren-auf-frieden-46608 https://deutsch.anf-news.com/frauen/friedensmutter-fordern-umsetzung-des-rechts-auf-hoffnung-48038
Konferenz in Wien diskutiert Aufbau einer demokratischen Gesellschaft
Unter dem Motto „Mit freier Führung eine demokratische Gesellschaft aufbauen“ hat am Wochenende in Wien eine breit angelegte Konferenz stattgefunden. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Föderation der demokratischen kurdischen Gesellschaft in Österreich (FEY-KOM). Aus verschiedenen Städten des Landes kamen zahlreiche Teilnehmende in traditioneller Kleidung zusammen.
Zur Konferenzleitung gehörten unter anderem Dilek Karahan (Civaka Azad), Murat Ceylan (KCDK-E), Nimet Sevim (Journalist, Aktivist) und Cevdet Halim (DEM-KURD). Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute für die Gefallenen der kurdischen Bewegung.
Ceylan: Öcalan-Aufruf markiert neue gesellschaftliche Etappe
In der Eröffnungsrede erklärte Murat Ceylan, die kurdische Freiheitsbewegung stehe nach über 50 Jahren des Widerstands an der Schwelle zu einer neuen Phase. Der Appell für Frieden und eine demokratische Gesellschaft des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan vom 27. Februar markiere laut Ceylan eine strategische Wende:
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„Diese Phase ist nicht nur ein politischer Richtungswechsel, sondern der Beginn eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses. Es geht um die konkrete Umsetzung des Modells einer demokratischen Gesellschaft auf ethisch-politischer Grundlage.“ Ziel sei es deshalb, die Prinzipien der Demokratischen Moderne nicht nur als Theorie zu diskutieren, sondern im Alltag strukturell umzusetzen.
Demokratische Gesellschaft als gelebtes System
Im Zentrum der Konferenz standen Diskussionen über die Umsetzung des Modells einer demokratischen Gesellschaft in Österreich. In vorbereiteten Texten und offenen Foren wurde betont, dass es sich dabei nicht nur um ein theoretisches Modell handle, sondern um eine Lebensweise, die auf Wahrheit, Freiheit und kollektiver Verantwortung basiere.
Mehrere Redner:innen hoben hervor, dass es nicht um organisatorische Anpassungen gehe, sondern um eine tiefgreifende ethische, geistige und politische Neugestaltung der Gesellschaft.
Partizipation, Basisdemokratie und gesellschaftlicher Wandel
Der kurdische Journalist und Aktivist Nimet Sevim betonte in seiner Rede, dass demokratische Gesellschaft nicht auf formalen Strukturen basiere, sondern auf ethischen Prinzipien, Gewissen und dem Bewusstsein für gemeinsame Verantwortung. „Individuelle Freiheit gewinnt erst Bedeutung durch die Verbindung mit der Gesellschaft. Komitees und Räte müssen Orte direkter Mitbestimmung sein – partizipativ, pluralistisch und ökologisch.“
Er sprach sich gegen zentralistische Modelle aus und plädierte für von unten nach oben organisierte, gemeinschaftlich getragene Strukturen, insbesondere in den Bereichen Frauen, Jugend, Kultur, Ökonomie und Ökologie.
Themenvielfalt und Perspektiven
In weiteren Beiträgen wurden Perspektiven zur Organisation in den Bereichen Muttersprache, Jugend, Frauen, Medien, Kultur, Bildung, Diplomatie und Glaubensgemeinschaften vorgestellt. Ziel sei es, den Aufbauprozess breit und langfristig zu verankern.
Abschlusserklärung: Zeit für einen radikalen Neuanfang
In der Abschlusserklärung betonten die Veranstalter:innen die Notwendigkeit eines klaren Bruchs mit alten Gewohnheiten: „Weder reflexartige Reaktionen noch eingefahrene Muster reichen aus. Wir müssen unsere Organisationen, Denkweisen und Praktiken im Lichte des demokratischen Gesellschaftsparadigmas grundlegend erneuern.“
Die Konferenz sei Ausdruck eines kollektiven Willens, mit Solidarität, Kritik und gemeinsamer Verantwortung den Aufbauprozess einer freien Gesellschaft weiterzuführen. Vorgeschlagen wurde die Einrichtung themenspezifischer Fachkomitees, die ihre Arbeit über Workshops und Foren dauerhaft fortsetzen sollen.
Zum Abschluss wurden Fragen aus dem Publikum beantwortet. Die Veranstaltung endete mit den Parolen „Bijî Serok Apo“ und „Jin, Jiyan, Azadî“ beendet.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-recht-auf-hoffnung-muss-gesetzlich-verankert-werden-48421 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-ein-neuer-gesellschaftsvertrag-ist-notig-46340 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/soydan-akay-gesellschaftliches-sein-ist-sozialistisch-47054
Großes Interesse am kurdischen Kultur- und Geschichtsfestival in Rom
Organisiert wurde das Festival vom Kurdistan Informationsbüro, der Kulturabteilung der Stadt Rom, der Solidaritätsplattform Rete Kurdistan, der italienischen „Freiheit für Abdullah Öcalan“-Kampagne sowie der Kulturvereinigung Ararat. Zentrales Anliegen war es, die kurdische Kultur in all ihren Facetten zu zeigen – eingebettet in den Kontext von Widerstand, Demokratisierung und dem Ringen um Freiheit.
Eröffnung mit Literatur über den Kobanê-Widerstand
Den Auftakt bildete die Buchvorstellung von „Regen der Wolken“ der Autorin Deniz Bilgin. Das Werk, das Geschichten von Kämpfer:innen aus dem Kobanê-Widerstand erzählt, wurde von Nayera El Gamal ins Italienische übersetzt. Begleitet wurde die Präsentation durch Beiträge von Saadiya Kouti von der Verwaltung der Kommunen in Nord- und Ostsyrien und der Lehrerin Francesca Patrizi.
Zum Abschluss des ersten Abends wurde ein Dokumentarfilm über Dr. Alina „Lêgerîn“ Sanchez gezeigt – eine Ärztin und Internationalistin, die in Rojava aktiv war und 2018 bei einem Unfall ums Leben kam.
Tanz, Poesie und kurdische Küche am zweiten Tag
Am zweiten Festivaltag standen kurdische Volkstänze, eine poetisch-musikalische Lesung sowie eine kulinarische Entdeckungsreise im Mittelpunkt. Höhepunkt war die Vorstellung des Lyrikbands „Herbst mit Gedichten von Guerillakämpfer:innen. Musiker Ernesto Ranieri begleitete die Lesung mit Live-Musik.
Am Abend wurde der Dokumentarfilm „Naharina“ des katalanischen Regisseurs Ferran Domènech gezeigt. Der Film thematisiert das Alltagsleben in Rojava und die Umsetzung des Konzepts des demokratischen Konföderalismus.
Politisches Panel zur Lage in der Türkei und Öcalans Haft
Der dritte Festivaltag begann mit einem Saxofonkonzert von Nicola Alessini. Anschließend diskutierten namhafte Gäste über die politische Situation in der Türkei sowie die internationale Kampagne für die Freilassung von Abdullah Öcalan.
Auf dem Podium saßen unter anderem, Massimiliano Smeriglio, Kulturbeauftragter der Stadt Rom, der Öcalan-Anwalt Arturo Salerni, der frühere Senator Giovanni Russo Spena, der bekannter Comiczeichner Zerocalcare, die Il-Manifesto-Journalistin Chiara Cruciati, Piero Bernocchi, Sprecher der Gewerkschaft COBAS, und Michela Arricaler, Rechtsanwältin und Ko-Vorsitzende des Zentrums für Forschung und Entwicklung für Demokratie (CRED).
Die Redner:innen betonten die Bedeutung eines politischen Dialogs in der Türkei und riefen zur sofortigen Freilassung Öcalans auf. Sein Beitrag zum Friedensprozess sei nicht nur für Kurdistan, sondern auch für andere Gesellschaften in der Region und darüber hinaus von Bedeutung.
Abschluss mit Musik und kurdischer Küche
Zum Ausklang des Festivals wurden Spezialitäten aus der kurdischen Küche serviert. Den musikalischen Schlusspunkt setzte die Gruppe Karkum Project mit einem Live-Konzert.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/traverso-die-kurdische-frage-steht-an-einem-historischen-wendepunkt-48162 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/grimaldi-europarat-soll-in-Ocalan-fall-eingreifen-47930 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/ein-freier-Ocalan-wurde-den-weg-zum-frieden-offnen-47593
YPJ-Kommandantin zu Gesprächen mit Damaskus: „Integration heißt nicht Unterwerfung“
Vor dem Hintergrund der jüngsten Ankündigung des Oberkommandierenden Mazlum Abdi, eine Integration der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in die syrische Armee sei grundsätzlich vereinbart, melden sich nun auch die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) zu Wort. In einem ausführlichen Interview mit dem Journalisten Diyar Ciwan von Nûmedya äußert sich die YPJ-Kommandantin Rohilat Efrîn zur Rolle der Frauenverteidigungseinheiten in einem möglichen neuen Syrien – und zieht dabei klare rote Linien. Die säkular-feministische Struktur der YPJ sei nicht verhandelbar, ein echter Wandel in Damaskus Voraussetzung für jeden politischen Schulterschluss.
Die Frauen, die die YPJ gegründet haben und seit rund zwölf Jahren gegen das reaktionäre patriarchale Regime des IS kämpfen, nehmen nun am Verhandlungstisch in Damaskus Platz. Was bedeutet das für Sie?
Die YPJ haben sich in den vergangenen zwölf Jahren ihre Stärke und Identität erarbeitet. Heute kann man mit Sicherheit sagen, dass wir mit unserem säkularen, demokratischen und freiheitlichen Profil auf der internationalen Bühne Anerkennung gefunden haben. Seit unserer Gründung ist es erklärtes Ziel der YPJ, die Rechte der Frauen – und im weiteren Sinne der gesamten Menschheit – zu verteidigen. Dieser Grundsatz prägt unseren Kampf bis heute.
Nach zwölf Jahren Krieg ist diese Identität der YPJ inzwischen auch über unsere Strukturen hinaus in vielen Teilen der Gesellschaft anerkannt. Die YPJ sind nicht nur eine militärische Verteidigungseinheit, sondern vor allem eine ideologisch-philosophische Kraft, die Frauen organisiert und mobilisiert. Aus dieser Rolle ergibt sich für uns auch eine Verantwortung beim Aufbau eines neuen Lebensmodells. Trotz der militärischen Komponente waren die YPJ immer auch eine Quelle der Inspiration für Frauen weltweit. Das liegt vor allem daran, dass wir das Recht auf Selbstverteidigung zu unserem zentralen Prinzip erklärt haben. Unser Kampf der letzten zwölf Jahre war immer ein Kampf für ein neues Leben – ein Leben in Freiheit und Gleichheit. Und ja, wir haben dafür einen hohen Preis gezahlt und zahlen ihn weiterhin.
All diese Entwicklungen machen den strategischen Auftrag der YPJ deutlich: Heute kämpfen tausende Frauen unterschiedlicher Herkunft und Nationalität in unseren Reihen. Wenn wir heute vom Sieg über den IS sprechen, dann war das nur möglich durch die kollektive Kraft und das gemeinsame Denken der Frauen. Dieser historische Sieg hat enge Grenzen gesprengt und die selbstbestimmte Frau mit einer eigenen Identität sichtbar gemacht.
Heute hat niemand mehr das Recht, über das Leben einer Frau zu bestimmen oder für sie Entscheidungen zu treffen. Die YPJ haben mit dem Blut und Einsatz tausender gefallener Kämpferinnen die Grundlage für die freie Identität der Frau geschaffen – das zu betonen, ist für mich eine moralische Pflicht.
YPJ-Kämpferinnen hissen an Newroz 2019 ihre Fahne in der letzten IS-Hochburg Baghuz © Nazım Daştan
Unsere Identität ist Ergebnis des Kampfes
Auch wenn unsere militärische Stärke weltweit bekannt ist, muss man wissen: Die eigentliche Kraft der YPJ speist sich aus den Ideen der Freiheit. Es ist unsere geistige Stärke, die es uns erlaubt, zur Waffe zu greifen – und das nur im Dienste eines höheren Ziels. Wenn ein bewaffneter Kampf nicht der Befreiung der Frau und der Gesellschaft dient, dann hat er für uns keinen Sinn. Ohne den freien Willen und die Entscheidungsmacht der Frauen wäre der Kampf gegen den IS nicht erfolgreich gewesen. Die Beispiele von Kobanê, Efrîn, Serêkaniyê, Aleppo und zuletzt der Tişrîn-Talsperre zeigen eindrücklich, wie wirkungsvoll die Kraft der Frauen sein kann. Mit diesem Selbstbewusstsein haben die Frauen unter der Führung der YPJ eine über Jahrhunderte aufgezwungene, gewaltvolle und patriarchale Denkweise erschüttert. Und wenn wir heute in Damaskus mit am Tisch sitzen, dann verdanken wir das genau diesem Kampf.
Es muss klar sein: Ohne Frauen am Verhandlungstisch wird es keine Lösung geben. Unsere Teilnahme bedeutet nicht nur die Präsenz der YPJ – gemeint ist, dass der kollektive Wille der Frauen dort vertreten sein muss. Man darf nicht vergessen: In den letzten 13 Jahren waren es die Frauen, die die Errungenschaften der Bevölkerung in Rojava und Nordostsyrien verteidigt haben. Deshalb sind sie heute in allen Verteidigungs- und Gesellschaftsstrukturen führend aktiv. Seit Beginn des Dialogprozesses sind Frauen in allen Komitees als zentrale Kraft vertreten.
Natürlich dürfen wir bei all diesen Bemühungen unsere grundlegenden Prinzipien nicht aus dem Blick verlieren. Die Identität der YPJ beruht auf einer säkularen und demokratischen Linie – das gilt sowohl für unsere militärischen Strukturen als auch für unsere organisatorische Arbeit. Solange das Wohl der Bevölkerung im Mittelpunkt steht, ist jede und jeder willkommen in unserem demokratischen System. Unsere roten Linien sind klar: Freiheit, Gleichheit und Demokratie. Mit diesen Prinzipien sitzen wir am Verhandlungstisch.
Die YPJ sind eine Frauenverteidigungseinheit mit säkularer Struktur. Wie kann sich eine solche Kraft mit einem Regime arrangieren, das – wie unter Ahmed al-Scharaa – auf religiösen Referenzen basiert?
Es muss allen klar sein, dass die YPJ in der gesamten Region und darüber hinaus als eigenständige Frauenverteidigungskraft anerkannt sind. Für uns gibt es keinerlei Voraussetzung, um in die syrische Armee aufgenommen zu werden – unsere oberste Richtschnur ist und bleibt der Schutz der Frauenrechte, überall und unter allen Umständen. Ob innerhalb der syrischen Armee oder unabhängig davon: Die YPJ werden weiterhin an ihren grundlegenden Zielen festhalten – mit Entschlossenheit und Beharrlichkeit.
Auch wenn wir derzeit als autonome Kraft in Nord- und Ostsyrien agieren, werden die YPJ künftig eine bedeutende Rolle im System spielen und dabei zum Schutz des öffentlichen Interesses beitragen. Gleichzeitig stellen wir klar: Wir werden keine Denkweise akzeptieren, die uns zur Aufgabe oder Unterordnung zwingen will. Die YPJ werden mit ihrer Stärke ein zentraler Faktor beim Schutz der syrischen Nation und aller Gebiete des Landes sein – gerade im Angesicht von Bedrohungen und Angriffen. Aber ich wiederhole: Das bedeutet keinesfalls, dass wir unsere Autonomie aufgeben oder uns unterwerfen werden.
In diesem Zusammenhang stellt sich erneut die Frage der Integration. Integration bedeutet letztlich auch Verschmelzung. Ist es nicht schwierig für eine säkulare Frauenkraft wie die YPJ, möglicherweise Seite an Seite mit radikalen Islamisten oder dschihadistischen Söldnern in anderen Teilen Syriens zu agieren?
Ein Punkt, den unsere Bevölkerung klar verstehen muss, ist: Die YPJ sind kein Teil der sogenannten Integrationspläne. Natürlich ist die Beteiligung an gemeinsamen militärischen Anstrengungen ein gesondertes Thema – aber unsere strukturelle Autonomie werden wir unter allen Umständen bewahren.
Spezialkräfte der YPJ im Januar 2025 im Widerstand um die Tişrîn-Talsperre © ANF
Unsere Haltung richtet sich nicht allein gegenüber der syrischen Regierung oder Armee, sondern gilt auch innerhalb der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), unter deren Dach wir als eigenständige Kraft bis heute bestehen. In gemeinsamen Verteidigungsfragen agieren wir koordiniert, doch innerhalb des Bündnisses behalten wir unsere eigene Identität und Entscheidungsgewalt.
Frauen müssen mit am Tisch sitzen
Niemand sollte erwarten, dass die YPJ sich anderen Kräften angleichen. Im Gegenteil: Dank unserer Autonomie und Expertise haben wir überall das Recht und die Pflicht, Frauenrechte zu verteidigen. Wir verstehen uns als Schutzmacht für die Frauen und die Bevölkerung Syriens – und gleichzeitig als autonome Kraft, die die Errungenschaften der Rojava-Revolution verteidigt. Daraus ergibt sich: Wo auch immer es erforderlich ist, werden die YPJ für die Frauen Syriens und ihre Gemeinschaften eintreten. Das ist für uns nicht verhandelbar.
Sollte die Regierung in Damaskus wirklich zu einem Wandel bereit sein, muss sie als erstes das Recht auf Freiheit für Frauen und alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen anerkennen.
Und nochmals: Wenn die neue syrische Armee an der alten Geisteshaltung festhält, ist eine Zusammenarbeit mit uns ausgeschlossen. Nicht etwa, weil wir von ihnen abgelehnt würden – sondern weil wir selbst uns entschieden gegen eine Beteiligung an solchen Strukturen stellen. Sollte der Wille der Frauen nicht anerkannt, sondern wie eine bloße Beute behandelt werden, werden die YPJ sich unter keinen Umständen an ihrer Seite positionieren. Und niemand wird das Recht haben, uns zu einer solchen Beteiligung zu zwingen.
In Nord- und Ostsyrien existiert ein säkulares Gesellschaftsmodell unter weiblicher Führung. Die Regierung in Damaskus hingegen orientiert sich weiterhin an Scharia-basierten Strukturen. Bedeutet eine Integration der YPJ in die syrische Armee nicht zwangsläufig Zugeständnisse bei der Frauenrevolution? Oder sehen Sie darin vielmehr eine neue Etappe Ihrer Bewegung?
Es gibt die Hoffnung, dass sich die bestehende Denkweise verändern lässt. Gleichzeitig zeigt die derzeitige Haltung der Übergangsregierung in Damaskus, dass sie weder der Gesellschaft dient noch irgendeine Garantie für den Schutz von Frauenrechten bietet. Sollte sich diese Regierung jedoch kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und sich ernsthaft nach den Normen von Wandel und Transformation neu ausrichten, dann könnten die Rechte der Frauen und der Völker Syriens geschützt werden. Nur unter diesen Bedingungen wäre eine Zusammenarbeit beim Aufbau eines demokratischen Systems für uns denkbar.
Keine Unterordnung unter religiöse Strukturen
Als YPJ und als Frauenbewegung glauben wir daran, ein gleichberechtigtes und demokratisches System schaffen zu können. Auf dieser Grundlage kann das Konzept der Integration eine neue Bedeutung bekommen. Für uns heißt Integration keineswegs, dass wir so werden wie sie – im Gegenteil: Unser Verständnis von Integration bedeutet, dass sie sich verändern. Unser Ziel ist es, sie in Richtung einer freien und demokratischen Haltung weiterzuentwickeln. Das ist in unseren Augen wahre Integration.
Rohilat Efrîn (r.) auf der vierten Konferenz der YPJ im Juli 2024 © ANF
Wir stellen fest, dass die derzeitige Führung zunehmend erkennt, dass die Gesellschaft Syriens sie in ihrer bisherigen Form nicht mehr akzeptiert – und dass Veränderung notwendig ist. Das ist ein positives Zeichen. Sollte sich jedoch an der bisherigen Geisteshaltung nichts ändern, ist ein gemeinsamer Weg mit ihnen ausgeschlossen.
Es ist absehbar, dass die Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa der Autonomie der YPJ nicht ohne Weiteres zustimmen wird. Welche Haltung würden Sie in einem solchen Fall einnehmen? Wäre das gleichbedeutend mit dem Ende der YPJ?
Betrachtet man die globale Entwicklung, so ist klar erkennbar, dass vielerorts der Wille zum Wandel besteht. Auch bei uns in Syrien liegt es auf der Hand, dass Demokratie und ein dezentraler Staatsaufbau nur mit der Kraft der Frauen möglich sein werden. Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei den YPJ.
Ich betone noch einmal deutlich: Die YPJ sind kein Bestandteil eines klassischen Integrationsprozesses. Sie sind eine autonome Kraft mit eigenem Kommando. Innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Mechanismus werden sie jedoch aktiv an der Wahrung öffentlicher Interessen mitwirken.
Alle Werte, die in den letzten zwölf Jahren entstanden sind, sind das Ergebnis eines langen Kampfes. Niemand hat uns Frauen diese Rechte geschenkt – und deshalb hat auch niemand das Recht, sie uns wieder zu nehmen. Es gibt keine Macht, die die Rechte der Frauen leichtfertig einschränken kann. In dieser Hinsicht sind wir zuversichtlich und haben volles Vertrauen in unsere eigene Stärke.
Integration nur unter demokratischen Bedingungen
Es muss unmissverständlich klar sein: Integration bedeutet für uns nicht, Zugeständnisse zu machen. Wir verstehen Integration als Ausdruck von Solidarität, Partnerschaft und demokratischer Einheit. Wir hoffen, dass auch die Gegenseite diese Haltung teilt. Sollte es jedoch zwischen uns und der Regierung in Damaskus keine Übereinkunft geben, wird es auch keine Lösung geben.
Die Phase nach dem Zusammenbruch des alten Regimes steckt noch in den Anfängen. Was jetzt zählt, ist, dass alle Seiten eine freie Sichtweise entwickeln und die Identität der Frau respektieren. Wenn der Wille der Frauen nicht auch verfassungsrechtlich anerkannt wird, zeigt das nur, dass es keinen ernsthaften Willen zum Wandel gibt.
Die derzeitige Regierung in Damaskus ist nicht nur weit davon entfernt, Frauenrechte anzuerkennen – sie ist auch in einem zentralistischen Machtverständnis verhaftet. Die Anerkennung des Willens der YPJ wäre weit mehr als eine Zustimmung zur Regierung: Es wäre eine Anerkennung der YPJ als legitime Kraft auf der internationalen Bühne. Und wenn die Regierung wirklich an einer Lösung interessiert ist, muss sie die freie Entscheidungsmacht der Frauen anerkennen – das ist für uns eine Grundvoraussetzung.
Die YPJ sind heute die zentrale Garantin für den Schutz der Frauenrechte in Syrien. Ihre Auflösung steht nicht zur Debatte. Je nach Entwicklung mag es organisatorische Anpassungen geben – aber in jeder denkbaren Konstellation werden die YPJ als Schutzkraft der Frauen weiter bestehen.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/abdi-grundsatzeinigung-mit-damaskus-uber-militarintegration-48418 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/hemo-qsd-integration-nur-mit-anerkennung-aller-gruppen-48433 https://deutsch.anf-news.com/frauen/efrin-die-selbstverteidigung-der-gesellschaft-ist-ein-dauerhafter-auftrag-47142 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-delegation-schliesst-gesprache-mit-Ubergangsregierung-in-damaskus-ab-48367
Taxifahrer in Wan protestieren für Aufklärung des Todes von Rojin Kabaiş
In der nordkurdischen Großstadt Wan (tr. Van) haben zahlreiche Taxifahrer:innen für die Aufklärung des Todes der Studentin Rojin Kabaiş protestiert. Trotz eines Verbots der Universitätsleitung schlossen sich einige Fahrer dem laufenden Protest von Studierenden auf dem Campus der Universität Yüzüncü Yıl an.
Rund 150 Mitglieder der Gruppe von Taxifahrer:innen aus Wan wollten am Sonntag zum Universitätsgelände fahren, um dort ihre Solidarität mit den Studierenden zu zeigen, die seit einigen Tagen einen Sitzstreik auf dem Campus durchführen. Auf Anweisung von Rektor Prof. Dr. Hamdullah Şevli, früherer AKP-Abgeordneter, wurde ihnen jedoch der Zugang verwehrt. Ein Teil der Fahrer:innen ließ sich davon nicht abhalten und erreichte den Campus dennoch.
„Ein Jahr Schweigen – ein Jahr ohne Gerechtigkeit“
Die übrigen Fahrer:innen versammelten sich im Ipek-Park im Stadtzentrum und hielten dort eine öffentliche Erklärung ab. Sprecher Alim Dursun warf den Behörden Untätigkeit und Verschleierung vor. Die Familie Kabaiş warte seit einem Jahr auf Antworten, sagte er.
„Jetzt wissen wir, dass ein forensisches Gutachten DNA-Spuren von zwei verschiedenen Männern an Rojins Körper zeigt – und dass dieser Bericht ein Jahr lang unter Verschluss gehalten wurde. Rojins Vater hat mit dem Foto seiner Tochter an jeder Tür geklopft. Das ist ein gesellschaftliches Versagen, das uns alle betrifft.“
Dursun sprach von einem möglichen Vertuschungsversuch und forderte eine lückenlose Aufklärung. Wer Beweismittel unterschlage oder das Verfahren behindere, mache sich mitschuldig, so der Tenor. Als Zeichen des Protests klebten viele Taxifahrer:innen Bilder von Rojin Kabaiş an ihre Fahrzeugscheiben und nahmen ihre Arbeit im Stadtverkehr wieder auf – als rollende Mahnwache gegen das Schweigen im Fall Kabaiş.
Verdächtige Todesumstände
Rojin Kabaiş, 21-jährige Studentin im Fach Kindheitsentwicklung, war vor einem Jahr unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Ihre Leiche war 18 Tage nach ihrem Verschwinden aus einem Wohnheim am Ufer des Wan-Sees aufgefunden worden. Die Ermittlungsbehörden stellten frühzeitig die These eines Suizids in den Raum – eine Deutung, die von der Familie von Beginn an in Zweifel gezogen wurde. Ein aktualisiertes forensisches Gutachten enthält konkrete Hinweise auf mögliche sexualisierte Gewalt – zwei männliche DNA-Spuren wurden an sensiblen Körperstellen festgestellt.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/fall-rojin-kabais-strafanzeige-gegen-gerichtsmedizin-und-proteste-in-wan-48368 https://deutsch.anf-news.com/frauen/widerspruche-im-fall-rojin-kabais-dem-abgeordnete-fordert-unabhangige-untersuchung-48364 https://deutsch.anf-news.com/frauen/rojin-kabais-dna-funde-erharten-verdacht-auf-sexualisierte-gewalt-48336 https://deutsch.anf-news.com/frauen/amed-studierende-fordern-aufklarung-zum-tod-von-rojin-kabais-48378 https://deutsch.anf-news.com/frauen/weiterhin-offene-fragen-im-todesfall-von-rojin-kabais-48404
DEM-Partei: Umsetzung der EGMR-Urteile wäre wichtiger Schritt für Demokratisierung
Die Ko-Vorsitzenden der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tülay Hatimoğulları und Tuncer Bakırhan, haben den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne besucht. Im Anschluss an das Treffen mit dem früheren Ko-Vorsitzenden der HDP forderten sie die umgehende Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und die Freilassung aller in der sogenannten „Kobanê-Verfahren“ Inhaftierten.
Neben Demirtaş trafen die Parteivorsitzenden auch den früheren Oberbürgermeister von Amed (tr. Diyarbakır), Adnan Selçuk Mızraklı. Nach dem Gefängnisbesuch gaben sie eine gemeinsame Erklärung vor der Haftanstalt ab.
„EGMR-Urteile müssen endlich umgesetzt werden“
Hatimoğulları erklärte, sowohl Demirtaş als auch Mızraklı zeigten sich weiterhin hoffnungsvoll im Hinblick auf einen möglichen Friedensprozess. Sie erinnerte daran, dass die Festnahmen führender HDP-Politiker:innen im November 2016 ein „dunkles Kapitel“ in der türkischen Politik eingeleitet hätten. Trotz der Urteile des EGMR, die eine Freilassung forderten, seien Demirtaş und weitere Betroffene weiterhin in Haft.
„Es gibt keine rechtliche Grundlage für diese Inhaftierungen. Die Nichtumsetzung der EGMR-Urteile bedeutet, dass die Türkei internationales Recht missachtet“, sagte Hatimoğulları. „In einer Zeit, in der über Frieden und Demokratisierung gesprochen wird, wäre die Umsetzung dieser Entscheidungen einer der wichtigsten Schritte.“ Sie forderte die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ und aller anderen Kobanê-Gefangenen: „Sie können den Friedensprozess nicht hinter Gefängnismauern unterstützen – ihre Stimmen werden draußen gebraucht.“
„Ein Friedensprozess braucht Vertrauen“
Auch Ko-Vorsitzender Tuncer Bakırhan bekräftigte die Forderung nach Freilassung der betroffenen Politiker:innen. Es sei widersprüchlich, über einen neuen politischen Prozess zu sprechen, während Menschen, deren Unschuld längst bestätigt sei, weiter inhaftiert blieben. „Wenn wir wirklich einen neuen Prozess des Friedens und der Demokratisierung beginnen wollen, dann dürfen diejenigen, die diesen Prozess mitgestalten könnten, nicht länger in Zellen sitzen“, sagte Bakırhan. „Ihre Plätze sind nicht die Gefängnisse, sondern die Gesellschaft.“ Er nannte die anhaltende Inhaftierung der Angeklagten im Kobanê-Verfahren „inakzeptabel“ und forderte Vertrauen bildende Schritte seitens der Regierung.
Besuch in Kandıra geplant
Nach der Erklärung vor dem Gefängnis in Edirne kündigten Hatimoğulları und Bakırhan an, anschließend die frühere HDP-Vorsitzende Figen Yüksekdağ im Gefängnis Kandıra zu besuchen.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/turkei-legt-gegen-egmr-urteil-zu-demirtas-berufung-ein-48286 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/dem-partei-fordert-freilassung-aller-kobane-gefangenen-48214 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/hatimogullari-gesprache-mit-Ocalan-waren-politisch-wichtiger-schritt-48282 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/urteilsbegrundung-im-kobane-prozess-lost-berufungsverfahren-aus-46833 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-delegation-besucht-figen-yuksekdag-44975
Belgien: Ministerin will Diyanet-Einfluss prüfen lassen
Die N-VA-Politikerin und flämische Regionalministerin für Justiz, Arbeit und das Bildungswesen, Zuhal Demir, hat eine offizielle Untersuchung zur Einreise türkischer Imame nach Belgien gefordert. Hintergrund ist der Vorwurf, dass die Türkei über diplomatische Sonderregelungen gezielt religiöse Vertreter entsendet, die dem Umfeld von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nahestehen. Demir richtet ihre Forderung an Außenminister Maxime Prévot (Les Engagés), wie sie am Sonntag bekanntgab.
„Diyanet-Imame umgehen Arbeitsgenehmigungen“
Nach Angaben der kurdischstämmigen Ministerin nutzt Ankara sogenannte grüne Dienstpässe, um Imame ohne Schengen-Visum und ohne belgische Arbeitserlaubnis in das Land zu entsenden. Diese Pässe erlauben einen visafreien Aufenthalt bis zu 90 Tagen und ermöglichen religiösen Funktionären den Aufenthalt in Belgien ohne gesonderte Genehmigung – obwohl das Gesetz seit 2019 eigentlich strengere Vorgaben vorsieht.
„Diese Regelungen wurden nach 2019 bewusst verschärft, um die Einflussnahme ausländischer Staaten auf lokale Religionsgemeinschaften einzudämmen“, sagte Demir. Die türkische Religionsbehörde Diyanet umgehe diese Bestimmungen systematisch. Laut der Ministerin erfolgte die Entsendung direkt über Strukturen, die dem türkischen Präsidialamt unterstellt seien.
Großes Diyanet-Netzwerk in Belgien
Zuhal Demir verweist darauf, dass es in Belgien über 60 Diyanet-Moscheen gibt – allein 43 davon in der Region Flandern. Ein Großteil davon werde von religiösem Personal betreut, das von der Türkei geschickt werde. 2024 seien laut Ministerium 17 von 18 Anträgen auf Arbeitserlaubnis für Imame abgelehnt worden – unter anderem mit Verweis auf die fehlende Unabhängigkeit der Antragsteller.
Vergleiche mit Deutschland und Frankreich
Demir sieht Belgien nicht als Einzelfall. Auch andere EU-Staaten hätten mit ähnlichen Herausforderungen im Umgang mit Diyanet-Strukturen zu kämpfen. So hatte es in Deutschland 2017 Ermittlungen gegen 19 Imame des in Köln angesiedelten Dachverbands der türkischen Moscheegemeinden (Ditib) gegeben, die unter Verdacht standen, im Auftrag von Diyanet Anhänger:innen der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen ausgespäht zu haben.
Frankreich lässt seit Januar 2024 keine entsandten Imame mehr zu. Das Gesetz ist Teil mehrerer Maßnahmen, die Präsident Emmanuel Macron im Februar 2020 auf den Weg gebracht hatte, um „islamistischen Separatismus“ zu bekämpfen. Damit soll unter anderem auch verhinderten werden, dass französische Moscheen aus dem Ausland finanziert werden.
Appell an Außenminister Maxime Prévot
Vor diesem Hintergrund fordert Demir nun eine formelle Untersuchung durch das belgische Außenministerium. Der zuständige Minister Maxime Prévot müsse klären lassen, ob und in welchem Ausmaß Ankara diplomatische Schlupflöcher zur gezielten Einflussnahme auf muslimische Gemeinden in Belgien nutzt. „Wir dürfen nicht zulassen, dass ausländische Mächte Einfluss auf unsere Gesellschaft ausüben“, so Demir.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/drohmail-flamische-regionalministerin-demir-erhalt-polizeischutz-22833 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/stadt-essen-lehnt-ditib-als-jugendhilfetrager-ab-34923 https://deutsch.anf-news.com/weltweit/frankreich-erdogantreuer-dschihadistenverein-aufgelost-22441 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/dava-erdogans-stellvertreter-in-deutschland-40942 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/graue-wolfe-greifen-kurden-in-lyon-an-vier-verletzte-37433
Venedig-Kommission: Rechtsgutachten nur auf offiziellen Antrag
Im Zuge der wieder aufgeflammten Debatte über eine mögliche demokratische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei wird auch über verfassungs- und gesetzgeberische Reformen diskutiert. Dabei richtet sich der Blick zunehmend auf die Venedig-Kommission des Europarats – ein beratendes Expertengremium, das Staaten bei der Ausarbeitung verfassungskonformer und menschenrechtsbasierter Regelungen unterstützt.
Die Kommission stellte nun klar: Eine Stellungnahme zu Reformüberlegungen in der Türkei sei nur möglich, wenn eine formelle Anfrage durch eine dazu befugte Instanz erfolgt. Darauf wies Tatiana Baeva-Frachon vom Medienbüro des Europarats gegenüber ANF hin.
„Die Venedig-Kommission erarbeitet länderspezifische Gutachten ausschließlich auf offizielle Anfrage – sei es durch ein Mitgliedsland, ein Organ des Europarats wie das Ministerkomitee oder die Parlamentarische Versammlung, durch den Generalsekretär, die Europäische Union oder eine autorisierte internationale Organisation“, erklärte Baeva-Frachon.
Reformdebatten nach Europaratsbeschluss
Hintergrund der Diskussion ist ein Beschluss des Ministerkomitees des Europarats vom September, in dem die Türkei aufgefordert wurde, Reformen im Bereich des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“ zu prüfen – also die menschenrechtskonforme Ausgestaltung von lebenslangen Freiheitsstrafen ohne Aussicht auf Entlassung. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Bedeutung parlamentarischer Initiativen wie der „Kommission für nationale Einheit, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ im türkischen Parlament verwiesen.
Die Venedig-Kommission könnte in diesem Kontext beratend tätig werden, allerdings nur dann, wenn von türkischer Seite – der Regierung, dem Justizministerium oder dem Parlamentspräsidium – ein formeller Antrag gestellt wird. Fachleute betonen, dass ein solcher Schritt die Glaubwürdigkeit und völkerrechtliche Verankerung möglicher Reformprozesse stärken würde.
Was ist die Venedig-Kommission?
Die Venedig-Kommission, offiziell „Europäische Kommission für Demokratie durch Recht“, wurde 1990 gegründet und ist dem Europarat angegliedert. Sie berät Mitgliedsstaaten bei der Ausarbeitung oder Reform von Verfassungen, Wahlgesetzen, Justizsystemen und anderen demokratie- und rechtsstaatlich relevanten Bereichen. Ziel ist die Einhaltung europäischer Standards – insbesondere im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Die Arbeitsgrundlage der Kommission ist das Dokument CDL(2002)027-e, in dem festgelegt ist, unter welchen Voraussetzungen Mitgliedstaaten ein Gutachten anfordern können.
„Recht auf Hoffnung“ als Prüfstein
Menschenrechtsorganisationen und internationale Gremien fordern seit Jahren, dass die Türkei die EMRK-konforme Ausgestaltung von Haftbedingungen sicherstellt – insbesondere in Fällen lebenslanger Haft ohne realistische Möglichkeit auf Freilassung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte die Türkei in mehreren Urteilen wegen Verletzung des „Rechts auf Hoffnung“ gerügt.
Ein möglicher Beitrag der Venedig-Kommission wird daher als besonders bedeutsam eingeschätzt – nicht nur für die Menschenrechtssituation in der Türkei, sondern auch für die Vertrauensbildung im Rahmen eines möglichen politischen Öffnungsprozesses.
Foto © Europarat
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-recht-auf-hoffnung-muss-gesetzlich-verankert-werden-48421 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/weitere-frist-fur-turkei-bezuglich-recht-auf-hoffnung-48002 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/das-problem-ist-politisch-die-losung-ebenfalls-48354
Nahit Eren übernimmt Vereinsführung bei Amedspor
Der Fußballverein Amedspor hat einen neuen Vorsitzenden: Der frühere Präsident der Rechtsanwaltskammer in Amed (tr. Diyarbakır), Nahit Eren, wurde auf der 9. ordentlichen Generalversammlung des Klubs einstimmig zum neuen Vereinschef gewählt. Die Veranstaltung fand am Sonnabend im ÇandAmed-Kongresszentrum statt und wurde neben den 305 Delegierten auch von Politiker:innen, Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie zahlreichen Fans besucht.
Die Versammlung, die im Gedenken an die unter verdächtigen Umständen gestorbene Studentin Rojin Kabaiş abgehalten wurde, begann mit einer Schweigeminute. In seiner Eröffnungsrede betonte Metin Kılavuz, der die Sitzungsleitung übernahm, die historische Bedeutung der Stadt Amed und die besondere emotionale Bindung der Bevölkerung an den Verein: „Amedspor ist nicht nur ein Verein dieser Stadt – er ist ein Symbol für die ganze Region.“
Bisheriger Präsident: „Wir haben das Banner mit Würde getragen“
Der bisherige Vereinspräsident Burç Baysal erklärte, der Gang zur Neuwahl sei auch durch rechtliche Umstände innerhalb der Vereinsführung notwendig geworden. Man habe stets im Einklang mit den Werten und der Identität des Volkes gehandelt. „Ich bin überzeugt, dass unsere Nachfolger diesen Weg entschlossen fortsetzen werden“, so Baysal.
Eren: „Amedspor ist eine große Familie“
Nach der Wahl bedankte sich Nahit Eren für das Vertrauen der Delegierten. Amedspor sei weit mehr als ein Sportverein: „Wir sind eine große Familie mit tiefem Geschichtsbewusstsein und einem starken Zugehörigkeitsgefühl“, sagte er in seiner Antrittsrede. „Unser Verein hat allen Widrigkeiten mit Zusammenhalt und Solidarität getrotzt.
Nahit Eren har viel vor mit dem Zweitligisten Amedspor, der in der TFF 1. Lig spielt
Eren betonte, dass er gemeinsam mit seinem Team auf transparente und lösungsorientierte Weise arbeiten wolle: „Niemand sollte daran zweifeln, dass wir konstruktive Kritik immer ernst nehmen – gleichzeitig werden wir uns gegen Diffamierung, Respektlosigkeit und eine Kultur des Hasses entschieden wehren.“
„Gegen Repression und Diskriminierung werden wir uns zur Wehr setzen“
In seiner Rede erinnerte Eren auch an die Diskriminierung, die Amedspor in der Vergangenheit immer wieder erfahren hat. Besonders in Auswärtsspielen und durch willkürliche Verbandsstrafen ist der Verein mit Ungleichbehandlung konfrontiert worden. „Wir betrachten diskriminierende Maßnahmen, sexistische Parolen und Strafen nicht nur als Makel, sondern als Angriff auf unsere Werte“, so Eren. Amedspor werde sich weder seine Sprache noch seine kulturellen Symbole verbieten lassen: „Wir werden uns gegen jede Form von Repression zur Wehr setzen – schweigen werden wir nicht.“
Sechs-Punkte-Programm für die Zukunft
Eren stellte in seiner Rede ein Sechs-Punkte-Programm für die kommende Amtszeit vor. Im Fokus stehen:
▪ Die Identität des Vereins und die Rolle der Fans
▪ Sportliche Vision und nachhaltige Entwicklung
▪ Institutionalisierung und Kooperation mit Kommunen
▪ Stärkung der Jugendarbeit und des Nachwuchses
▪ Ausbau des Frauenfußballs und anderer Sportarten
▪ Dialog mit der lokalen Bevölkerung und der Gesellschaft in der Türkei
Zum Abschluss sagte Eren: „Mit der Kraft aus der Geschichte und Kultur unserer Stadt werden wir gemeinsam Erfolg haben. Auch jene, die heute nicht unter uns sein konnten, sollen wissen: Wir werden gewinnen. Unser Weg ist klar.“ Nach den Schlussworten endete die Versammlung mit Glückwünschen und Beifall.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/strafe-fur-amedspor-anwaltskammern-sehen-angriff-auf-kurdische-sprache-48144 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/geldstrafe-gegen-amedspor-wegen-kurdischem-slogan-48129 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/nach-angriffen-auf-amedspor-amed-halt-zusammen-36555 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/organisierter-lynchangriff-auf-fussballverein-amedspor-36550 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/rassismus-ein-altbekanntes-phanomen-im-turkischen-fussball-48394
Akademisches Seminar in Argentinien zu Öcalans „Soziologie der Freiheit“
In der argentinischen Universitätsstadt Tandil hat eine akademische Veranstaltung zur Philosophie des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zahlreiche Interessierte angezogen. Im Mittelpunkt stand das Werk „Soziologie der Freiheit“, Band III der fünfbändigen Verteidigungsschrift „Manifest der demokratischen Zivilisation“.
Organisiert wurde das Seminar von der Politikwissenschaftlerin Prof. Luciana Bidauri an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Nationalen Universität des Zentrums der Provinz Buenos Aires (UNCPBA). Die Veranstaltung vereinte Studierende, Lehrende, Wissenschaftler:innen sowie politische Aktivist:innen aus der Region.
Nach der Eröffnungsrede des Dekans befasste sich die Tagung in mehreren Beiträgen mit der Geschichte des kurdischen Volkes, der Entwicklung der kurdischen Befreiungsbewegung sowie mit Öcalans Leben und seinem Paradigma einer demokratischen Gesellschaft. Besondere Aufmerksamkeit galt seinem vom 27. Februar zur Schaffung einer demokratischen Gesellschaft und eines nachhaltigen Friedens.
In der anschließenden Diskussion wurden auch die sozialen Kämpfe indigener und linker Bewegungen in Abya Yala aus der Perspektive von Öcalans Gesellschaftsparadigma reflektiert. Mehrere Teilnehmende äußerten ihre Unterstützung für die internationale Kampagne zur Freilassung Abdullah Öcalans. Seine Ideen seien, so der Tenor, „eine Quelle der Hoffnung und des politischen Bewusstseins“.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/akademie-fur-sozialwissenschaften-in-eindhoven-eroffnet-47109 https://deutsch.anf-news.com/kultur/erste-graphic-novel-uber-abdullah-Ocalan-41300 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-einzige-chance-fur-Ocalans-freilassung-ware-eine-revolution-22745 https://deutsch.anf-news.com/kultur/Oecalans-soziologie-der-freiheit-erschienen-18643
Yusufoğlu: Hauptakteur in Friedensprozess ist Öcalan, nicht die DEM-Partei
Der von Abdullah Öcalan am 27. Februar angestoßene politische Prozess hin zu einer möglichen demokratischen Lösung der kurdischen Frage hält trotz zahlreicher Bremsversuche durch den türkischen Staat und die AKP-Regierung an. Die Bemühungen des inhaftierten PKK-Begründers und der kurdischen Befreiungsbewegung hätten maßgeblich dazu beigetragen, die Dialogbereitschaft aufrechtzuerhalten, betont Ünal Yusufoğlu, Mitglied des Parteirats der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), im Gespräch mit ANF.
Insbesondere die DEM-Partei habe sich in dieser Phase als politische Akteurin positioniert – und sei deshalb verstärkt zur Zielscheibe von Angriffen aus Regierungskreisen sowie von Teilen der Opposition geworden. Ziel sei es, die Partei zu diskreditieren, zu isolieren und ihr Verhältnis zu anderen linken oder sozialistischen Kräften – etwa der CHP – zu belasten.
„Normalisierung in der Türkei ist ohne Öcalan nicht denkbar“
Yusufoğlu verweist auf die symbolische Bedeutung des Handschlags zwischen MHP-Chef Devlet Bahçeli und Abgeordneten der DEM-Partei, der in zeitlicher Nähe zu Öcalans Erklärung vom 27. Februar stattfand. In einer politischen Atmosphäre, die bis dahin von Repression, Sicherheitsdiskursen und der völligen Leugnung kurdischer Identität geprägt war, sei dieser Schritt bemerkenswert gewesen.
„In einer Zeit, in der die kurdische Frage als erledigt galt und demokratische Politik unterdrückt wurde, markierte dieser Kontakt einen bedeutsamen Bruch“, so Yusufoğlu. Die Erklärung Öcalans und die damit verbundene Kurskorrektur hätten gezeigt, dass eine politische Normalisierung in der Türkei möglich sei – und dass deren geistiger Architekt in Öcalan selbst zu sehen sei.
„Der 27. Februar war ein Wendepunkt – mit Rückhalt in der Bevölkerung“
Auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit zunächst dem politischen Signal Bahçelis galt, sieht Yusufoğlu die Grundlage des neuen Prozesses eindeutig in Öcalans Initiative. Die vierjährige Totalisolation des kurdischen Repräsentanten auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali sei in Teilen durchbrochen worden, was eine neue Phase des politischen Dialogs eingeläutet habe.
„Die Erklärung vom 27. Februar muss als Zäsur verstanden werden“, sagt Yusufoğlu. Sie sei eine bewusste Antwort auf die militärische Eskalation der letzten Jahre – insbesondere auf den sogenannten „Zersetzungsplan“ („Çöktürme Planı“, sinngemäß „In die Knie zwingen“), der noch während des früheren Dialogprozesses mit Öcalan 2014 von Ankara als militärisches und politisches Vernichtungskonzept gegen die kurdische Gesellschaft hervorgebracht wurde und auf eine vollständige Zerschlagung ihrer Strukturen abzielte.
Entgegen mancher Erwartungen sei die Erklärung jedoch nicht auf Ablehnung gestoßen. Weder innerhalb der PKK noch in der breiteren kurdischen Bevölkerung habe es nennenswerten Widerspruch gegeben – im Gegenteil: Die Bewegung habe sich klar hinter Öcalan gestellt. Dies zeige, wie eng die kurdische Gesellschaft mit seiner politischen Linie verbunden sei.
PKK ist konkrete Schritte gegangen
Yusufoğlu erläutert weiter, dass die kurdische Bewegung nach der Erklärung vom 27. Februar konkrete Schritte eingeleitet habe. So hatte die PKK auf Grundlage dieses Aufrufs im Mai ihren 12. Kongress abgehalten und dabei einen strategischen Wandel sowie die Beendigung des bewaffneten Kampfes beschlossen. Auch die symbolische Aktion einer Guerillaeinheit im Juli, bei der Waffen niedergelegt wurden, sei als klares Friedenssignal zu verstehen.
„Das alles zeigt: Die kurdische Seite ist vorbereitet, strukturiert und entschlossen“, so Yusufoğlu. Die Rolle Abdullah Öcalans als Vordenker und integrativer Akteur bleibe zentral für jeden ernstzunehmenden Friedensprozess.
DEM-Partei: Plattform, nicht Hauptakteur
Seit Beginn des neuen politischen Moments habe sich die DEM-Partei intensiv eingebracht, erklärt Yusufoğlu. In Kurdistan und der Türkei seien zahlreiche Versammlungen, Konferenzen und Diskussionsrunden organisiert worden, um den politischen Kurs zu vermitteln und die Bevölkerung einzubeziehen.
„Wir haben unsere Basis, die Opposition, aber auch Vertreter:innen der Regierung in Gespräche einbezogen“, sagt Yusufoğlu. Ziel sei es gewesen, den Friedensimpuls aus der Zivilgesellschaft heraus zu tragen und auf ein breites Fundament zu stellen.
Gleichzeitig betont er, dass die DEM-Partei zwar eine wichtige politische Rolle spiele – aber nicht die zentrale Verhandlungspartnerin in der kurdischen Frage sei: „Die eigentliche Adresse für eine Lösung ist Abdullah Öcalan – und mit ihm die PKK.“
„Frieden braucht die Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte“
Die DEM-Partei verstehe sich als Brücke zwischen der kurdischen Bewegung und der demokratischen Opposition in der Türkei. Ihre Aufgabe sei es, alle demokratischen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in einen breit getragenen Prozess einzubinden – darunter Frauenorganisationen, Jugendverbände, Gewerkschaften, lokale Initiativen, akademische Kreise und die kritische Presse.
„Viele dieser Gruppen haben sich in der Vergangenheit aus Angst oder Repression aus der Debatte über die kurdische Frage zurückgezogen. Unsere Aufgabe ist es, neue Räume für Dialog und Mut zu schaffen“, so Yusufoğlu. Die Partei stehe im regelmäßigen Austausch mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – und leite deren Rückmeldungen über Vermittlungsstrukturen auch an Öcalan weiter. „Er sieht die Lösung der kurdischen Frage stets im Kontext eines umfassenden Demokratisierungsprozesses. Nur wenn alle Teile der Gesellschaft einbezogen werden, könne ein stabiler Frieden entstehen.“
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-recht-auf-hoffnung-muss-gesetzlich-verankert-werden-48421 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/temelli-parlament-soll-dialog-mit-Ocalan-aufnehmen-48359 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/das-problem-ist-politisch-die-losung-ebenfalls-48354
Frankfurt: Solidaritätsabend für Zeitung „Yeni Özgür Politika“
In Frankfurt am Main hat am Samstagabend eine Solidaritätsveranstaltung zugunsten der kurdisch- und türkischsprachigen Exilzeitung Yeni Özgür Politika stattgefunden. Zahlreiche Unterstützende versammelten sich im Saalbau Griesheim, um ihre Verbundenheit mit dem Projekt freier kurdischer Medienarbeit zu zeigen. Die frühere Oberbürgermeisterin von Amed (tr. Diyarbakır) und langjährige Politikerin Gültan Kışanak war als Hauptrednerin vor Ort. Musikalisch begleitet wurde der Abend von den Künstler:innen Erdoğan Emir, Berfîn Mamedova und Hozan Comerd.
Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Kein Stift bleibt liegen“. Zum Auftakt gedachten die Teilnehmenden mit einer Schweigeminute der im Kampf um Presse- und Meinungsfreiheit verstorbenen Medienschaffenden, stellvertretend genannt wurde Gurbetelli Ersöz – eine Symbolfigur des freien kurdischen Journalismus und der Frauenbewegung.
„Medien als Frontlinie“
In einem Grußwort der Redaktion wurde betont, Medien seien in aktuellen Konflikten nicht nur Beobachtende, sondern selbst Teil der Auseinandersetzung. „Medien sind zentrale Instrumente im psychologischen Krieg – aber auch im Widerstand“, hieß es. Türkische Leitmedien würden sich weiterhin gegen Frieden, Demokratie und die kurdische Bevölkerung stellen.
Die kurdische Medienlandschaft sei heute breit aufgestellt – mit Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Radiosendern und Fernsehanstalten, die ihren Ursprung in der Freiheitsbewegung haben. Möglich sei das durch Journalist:innen und Medienschaffende, die trotz Drohungen, Verhaftungen und Exil weiterarbeiten.
Unabhängig von Konzernen und Staat
Yeni Özgür Politika verstehe sich als Plattform des kurdischen Journalismus im Exil und wolle auch weiterhin die Stimme einer Bewegung bleiben, die sich keiner staatlichen oder wirtschaftlichen Einflussnahme unterwerfe. „Diese Zeitung lebt allein durch ihre Leserinnen und Leser“, so die Redaktion. Der Aufruf lautete: „Abonnieren Sie, kritisieren Sie, begleiten Sie uns – Yeni Özgür Politika ist Ihre Zeitung.“
Zwar wolle man die digitalen Angebote weiter ausbauen, auf das gedruckte Format wolle man jedoch nicht verzichten. Die Tageszeitung sei „eine schützende Schule gegen das Vergessen der digitalen Welt“. In einer Zeit der Entfremdung glaube man an „den Wert des Berührens und Fühlens“.
Kışanak: „Ein langer Weg, aber voller Hoffnung“
Gültan Kışanak begann ihre Ansprache mit einem Gruß an das Publikum. Es sei ihr erster öffentlicher Auftritt in Europa nach vielen Jahren. „Wir kommen von weit her – der gemeinsame Weg ist lang. Wir haben Opfer gebracht, Verluste erlebt. Aber wenn wir zu unserer Geschichte, unserer Arbeit und unseren Gefallenen stehen, sind wir dem Ziel nahe“, sagte sie. Trotz aller Unsicherheiten sei sie voller Hoffnung.
Yeni Özgür Politika sei für sie „nicht nur eine Zeitung, sondern eine Schule, eine Tradition“. Diese Linie, einst mit dem Projekt Özgür Politika begründet, werde heute in Form von Zeitungen, Magazinen, TV-Sendern und Agenturen fortgeführt. „Unsere Aufgabe ist es, diesen Weg weiterzugehen“, so Kışanak.
Sie warnte zugleich vor den Gefahren digitaler Medien. „Digitale Formate können Wahrheit verzerren – deshalb ist die unabhängige Presse unersetzlich. Verfolgt ihre Berichte, lest ihre Texte.“
„Der Wandel gehört uns allen“
Mit Blick auf den Aufruf des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalans vom 27. Februar für Frieden und eine demokratische Gesellschaft sagte Kışanak: „Wenn der Staat eine Seite dieses Prozesses ist, sind wir die andere. Wir müssen uns ebenso verändern wie wir es vom System fordern.“ Besonders Frauen, Jugendliche und die Zivilgesellschaft seien gefragt. „Die junge Generation soll Verantwortung übernehmen. Kritisiert uns, zeigt neue Wege – ihr seid die Zukunft.“
Zum Abschluss überbrachte sie Grüße von Öcalan: „Tragt die Freiheit in eurem Herzen, nehmt sie mit in euer Land. Wo auch immer ihr seid – euer Herz ist Kurdistan.“
„Ein Widerstandsraum der kurdischen Öffentlichkeit“
Der Schriftsteller Zeki Bayhan, Mitgefangener Abdullah Öcalans auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali, ließ eine Botschaft verlesen. Yeni Özgür Politika sei seit Jahrzehnten „ein zentraler Ort des Widerstands in der kurdischen Freiheitsbewegung“. Die Zeitung habe es geschafft, eine Brücke von der Diaspora zu den Bergen Kurdistans zu schlagen und sei zur Stimme der kurdischen Identität geworden. Er übermittelte Grüße aus den Gefängnissen und äußerte die Hoffnung, dass Yeni Özgür Politika eines Tages „frei durch ein freies Kurdistan gereicht“ werde.
Abgerundet wurde der Abend durch musikalische Beiträge. Die Besucher:innen verabschiedeten die Künstler:innen mit langanhaltendem Applaus.
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Jugenddemonstration in Amed fordert Freilassung von Abdullah Öcalan
In Amed (tr. Diyarbakır) haben am Samstag hunderte Jugendliche an einer Demonstration teilgenommen, bei der die Freilassung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan gefordert wurde. Die Aktion stand unter dem Motto „Mit der Leitfigur der Freiheit zum freien Leben“ und wurde von der Plattform der demokratisch-patriotischen Jugend organisiert.
Die Teilnehmenden zogen vom Stadtteil Rêzan (Bağlar) bis zur historischen Festungsanlage Ben û Sen im Altstadtbezirk Sûr. Dabei trugen sie Transparente mit Aufschriften wie „Nur wer für Freiheit brennt, geht mit uns“ oder „Die Träume der Gefallenen werden wahr“. Immer wieder riefen sie Parolen wie „Bijî Serok Apo“, „Freiheit für Öcalan“ und „Grüße nach Imrali“.
An der Spitze der Demo liefen die Friedensmütter
Zusammenstöße mit der Polizei
Während des Marsches wurden Lieder für den PKK-Begründer gesungen, bengalische Feuer gezündet und ein großes Transparent mit dem Konterfei Öcalans gezeigt. Vor dem Stadttor stoppte die türkische Polizei die Demonstration, woraufhin es zu Zusammenstößen kam. Die Trupps setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Die Jugendlichen leisteten Widerstand und hielten eine Abschlussrede.
Aufruf zu politischem Dialog
In einer von Medya Aslan verlesenen Erklärung hieß es, Abdullah Öcalan habe mit seinem Aufruf zu „Friedens und eine demokratische Gesellschaft“ einen Weg zur Lösung der kurdischen Frage aufgezeigt. „Seit bald 27 Jahren befindet sich Öcalan im Isolationssystem von Imrali und hat dennoch Millionen Menschen Hoffnung auf Freiheit gegeben“, so Aslan. Die derzeitige Haltung des türkischen Staates zum Dialog schaffe Misstrauen in der Bevölkerung.
Sie kritisierte, dass die im Parlament eingesetzte Kommission, die konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten soll, bislang keine direkte Kommunikation mit Öcalan gesucht hat – obwohl er Initiator des Prozesses sei. Auch das Verbot, im Parlament Kurdisch zu sprechen, etwa im Fall der Friedensmütter, stehe einer demokratischen Lösung entgegen.
Freiheit als „Voraussetzung für Frieden“
„Solange Abdullah Öcalan nicht frei ist, kann es im Nahen Osten keinen dauerhaften Frieden geben“, sagte Aslan weiter. Die Stimme aus Imrali zeige einen Weg zu Dialog und Koexistenz. „Wenn seine Stimme verstummt, bleibt nur die Sprache der Gewalt“, so der Appell. Die Regierung wurde aufgefordert, den Zugang zu Öcalan wiederherzustellen und ihm die Möglichkeit zur politischen Teilhabe zu geben.
Aslan verurteilte zudem mehrere Festnahmen von Aktivist:innen in Wan (Van) und Istanbul, die sich an der Demonstration in Amed beteiligen wollten. Die Jugend lasse sich jedoch nicht einschüchtern: „Wir stehen für freie Identitäten und demokratisches Leben.“
Zum Abschluss der Erklärung sagte Aslan, der Wunsch vieler sei es, Öcalan eines Tages persönlich auf den Festungsmauern von Amed zu sehen – eine Vision, die bisher unerfüllt geblieben sei. „Vielleicht ist er nicht körperlich hier, aber seine Gedanken sind bei uns“, so die Aktivistin. Man werde weiterkämpfen – „bis zur physischen Freiheit von Öcalan“.
Nach der Erklärung setzten viele der Teilnehmenden ihre Mahnwache in der Umgebung fort.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/Ocalan-frauen-sollen-mit-mut-und-bewusstsein-fur-frieden-kampfen-48436 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-recht-auf-hoffnung-muss-gesetzlich-verankert-werden-48421 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-vorsitzender-bakirhan-fordert-parlament-zu-friedensoffensive-auf-48376
9. Buchmesse Amed eröffnet
In der nordkurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır) hat am Samstag die 9. Buchmesse begonnen. Die vom Messeveranstalter TÜYAP in Kooperation mit dem Türkischen Verlegerverband und der Handelskammer von Diyarbakır organisierte Messe findet im internationalen Messe- und Kongresszentrum Mezopotamya statt und läuft bis zum 26. Oktober.
Insgesamt 200 Verlage präsentieren ihre Bücher – darunter 31 mit Programmen in kurdischer Sprache. Auf dem Programm stehen zudem 68 Veranstaltungen wie Lesungen, Podien und Seminare. Die Veranstalter:innen rechnen mit mindestens 200.000 Besucher:innen aus Amed und benachbarten Provinzen wie Wan (Van), Êlih (Batman) und Mêrdîn (Mardin).
Sonderausstellung in Gedenken an Albert-Louis Gabriel
Zur Eröffnung kamen zahlreiche Gäste aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft. Im Rahmen der Messe wurde auch eine Sonderausstellung unter dem Titel „Gabriel – Eine Würdigung“ eröffnet. Sie erinnert mit historischen Fotografien und Zeichnungen an den französischen Archäologen Albert-Louis Gabriel, der sich in den 1930er Jahren für den Erhalt der historischen Stadtmauern von Amed eingesetzt hatte.
Plädoyers für Vielfalt und Mehrsprachigkeit
TÜYAP-Geschäftsführer Ilhan Ersözlü betonte in seiner Ansprache die Bedeutung von Amed als Veranstaltungsort: „Wir freuen uns, mit Ihrer Unterstützung diese Messe langfristig weiterentwickeln zu können.“ Der Vorsitzende des Verlegerverbands, Kenan Kocatürk, würdigte die kulturelle Vielfalt der Stadt: „Diyarbakır ist ein Ort, an dem Sprachen, Kulturen und Glaubensgemeinschaften seit Jahrtausenden zusammenleben. Diese Vielfalt ist keine Last, sondern eine Chance – für die Region und das ganze Land.“
Auch Mehmet Kaya, Präsident der Handels- und Industriekammer von Diyarbakır, sprach von einer „bedeutenden Kulturveranstaltung für ganz Mesopotamien“. Im Vorjahr habe die Messe über 215.000 Besucher:innen gezählt. Man wolle die Veranstaltung weiter als produktiven Ort kultureller Begegnung im regionalen Maßstab etablieren.
Sprachenpolitik im Fokus
Ameds Ko-Bürgermeister Doğan Hatun (DEM) kritisierte in seiner Rede den fehlenden rechtlichen Status der kurdischen Sprache im Bildungssystem. „Diyarbakır war Heimat von 33 Zivilisationen – jede hat ihre Spuren hinterlassen, auch in der Sprache. Heute aber wird unsere Sprache eingeschränkt. Warum?“ fragte Hatun. Er erinnerte an eine Äußerung von Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş, der bei einem Besuch am Vortag gesagt hatte, „Muttersprache ist wie Muttermilch“. Hatun entgegnete: „Wenn dem so ist, warum dürfen unsere Kinder dann nicht in ihrer Muttersprache lernen?“
Der Bürgermeister betonte, dass Bücher, Verlage und Kulturveranstaltungen allein nicht ausreichten, wenn das Recht auf muttersprachliche Bildung nicht garantiert werde. Frieden und Verständigung, so seine Hoffnung, würden auch zu noch offeneren und größeren Veranstaltungen führen.
Literatur als Raum der Kindheitserinnerung
Die DEM-Parlamentsabgeordnete Sevilay Çelenk erinnerte an die Bedeutung von Büchern in ihrer Kindheit in Amed: „In den engen Gassen der Stadt waren Bücher oft die einzige Quelle für Fantasie. Es gab keine Spielplätze, aber ein Buch wanderte durch viele Hände.“ Bücher seien für sie ebenso wertvoll gewesen wie die mündliche Überlieferung: „Die schriftliche Kultur hat in unserer Stadt immer eine große Rolle gespielt.“
Die 9. Buchmesse in Amed ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
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Bakırhan fordert europäische Unterstützung für Kurd:innen
Der Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tuncer Bakırhan, hat beim Kongress der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE/PES) in Amsterdam mehr Unterstützung für die kurdische Demokratiebewegung gefordert. Bei einem anschließenden Treffen der Parteivorsitzenden am Rande des Kongresses betonte Bakırhan, die Anliegen der Kurd:innen müssten auf europäischen Plattformen stärker berücksichtigt werden.
„Rund 50 Millionen Kurd:innen kämpfen für Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung“, sagte Bakırhan vor dem Führungsgremium des Dachverbands der sozialdemokratischen Parteien Europas. Besonders die Kurd:innen in Rojava, die sich im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hervorgetan haben, verlangten gleichberechtigte Rechte. Ihre Bestrebungen nach Freiheit und Selbstbestimmung müssten auch im europäischen Diskurs Gehör finden.
Bakırhan hob hervor, dass Kurd:innen eine der säkularsten Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten seien und dass ihre Freiheitsbewegung maßgeblich von Frauen und Jugendlichen getragen werde. „Diese Bewegung verdient internationale Solidarität – ebenso wie die Ukraine oder Palästina“, sagte er. Auch mit Blick auf die Türkei wünsche sich die DEM-Partei eine aktivere Rolle europäischer Parteien bei der Suche nach einer politischen Lösung der kurdischen Frage.
Die DEM-Partei – drittstärkste Kraft im türkischen Parlament – sei fest entschlossen, ihren Einsatz für Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Wandel fortzusetzen. „Wir kommen aus einer Tradition des Widerstands und glauben daran, dass Frauen und die Natur eines Tages im solidarischen Kampf gegen Kapitalismus und modernen Autoritarismus befreit sein werden“, so Bakırhan.
Neben dem Parteivorsitzenden nahm auch eine Delegation der DEM am Kongress in Amsterdam teil, darunter die stellvertretende Parteivorsitzende Ebru Günay (zuständig für Außenbeziehungen), der Europa-Vertreter Eyyüp Doru sowie der Straßburg-Repräsentant Fayik Yağızay. Das Treffen der SPE fand vor dem Hintergrund sinkender Wahlergebnisse in der gesamten EU statt.
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Kommunenhaus für Tischrin feierlich eröffnet
In der nordsyrischen Gemeinde Tischrin ist am Samstag ein Kommunenhaus eröffnet worden. Die Einrichtung soll als Treffpunkt für regelmäßige Versammlungen zwischen der lokalen Bevölkerung und Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher und administrativer Strukturen dienen. Das Haus trägt den Namen des gefallenen Kämpfers Khalaf Al-Mahmoud.
Zur Eröffnung kamen zahlreiche Anwohnende, Mitglieder des Stadtrats von Hazima sowie Vertreter:innen umliegender Dörfer und Gemeinden. Das symbolische Band zur Einweihung wurde von Roua Al-Khalil, der Ehefrau des Namensgebers, zusammen mit dem gemeinsamen Sohn durchtrennt.
Erste Einrichtung ihrer Art
Das Kommunenhaus ist das erste seiner Art und vereint die Mitglieder und Ausschüsse der vier Kommunen von Tischrin unter einem Dach. Es wurde im Rahmen des Kommunengesetzes der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) eingerichtet, um basisdemokratische Strukturen zu fördern und wöchentliche Bürgerversammlungen – insbesondere samstags – zur Diskussion kommunaler Angelegenheiten zu ermöglichen.
Ziel des Hauses ist es, die direkte Kommunikation zwischen Verwaltung und Bevölkerung zu stärken, Verwaltungsarbeit zu koordinieren und gemeinsam Lösungen für lokale Probleme zu entwickeln. Das Haus dient zudem der institutionellen Verankerung demokratischer Prinzipien auf Gemeindeebene.
Weitere Kommunenhäuser geplant
Tischrin – nicht zu verwechseln mit der Tişrîn-Talsperre am Euphrat – liegt rund 30 Kilometer nördlich der Großstadt Raqqa. Auch in anderen Orten im Umland der Region ist die Errichtung solcher Kommunenhäuser geplant. Damit will die Selbstverwaltung die gesellschaftliche Partizipation vertiefen und lokale Organisierung weiter ausbauen.
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Aleppo: Eşrefiyê fordert Aufhebung der Blockade
In Aleppo haben sich am Samstag dutzende Bewohner:innen von Eşrefiyê versammelt, um gegen die anhaltende Blockade ihres Stadtteils und des benachbarten Bezirks Şêxmeqsûd durch Truppen der syrischen Übergangsregierung zu protestieren. In einer im Viertel Bani Zeid öffentlich verlesenen Erklärung forderten sie ein sofortiges Ende der Belagerung sowie ein Ende der Repressionen gegen die Zivilbevölkerung.
Die Erklärung wurde von Omar al-Bashi, einem Mitglied der Kommune von Bani Zeid, vorgetragen. Darin hieß es, dass die Blockade inzwischen seit 24 Tagen andauere und massive Auswirkungen auf die Versorgungslage und die Sicherheit der Bewohner:innen habe.
Verletzung eines Abkommens
Besonders brisant: Die Blockade erfolgt trotz eines bereits am 1. April zwischen den lokalen Räten von Şêxmeqsûd und Eşrefiye sowie der Übergangsregierung geschlossenen Abkommens. Die Verfasser:innen der Erklärung warfen der Regierung vor, die Vereinbarung gebrochen und ihre Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in beiden Stadtteilen vernachlässigt zu haben.
Die Übergangsregierung sei zudem nicht in der Lage, die Sicherheit in Aleppo und für die verschiedenen Volksgruppen des Landes zu gewährleisten. Stattdessen habe sie bewaffnete, teils unorganisierte Gruppen gewähren lassen, die durch Checkpoints, Straßensperren und gezielte Übergriffe die Lage in den betroffenen Vierteln verschärften – mit Unterstützung der türkischen Regierung, wie es in der Erklärung weiter heißt.
Systematische Repression statt Einzelfälle
Laut der Kommune handle es sich bei den Angriffen auf Zivilist:innen, den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und dem Mangel an Treibstoff, Medikamenten und Lebensmitteln um eine bewusste Strategie. Ziel sei es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu schwächen. Die Blockade richte sich gegen ein Gesellschaftsmodell, das in Zeiten des Assad-Regimes zum Symbol für zivilen Zusammenhalt und gemeinsames Leben geworden sei.
Trotz der Ausrufung eines Waffenstillstands blieben viele Sperranlagen und Erdbarrieren rund um die betroffenen Stadtteile bestehen. Die Bevölkerung fordert, dass diese umgehend entfernt und der freie Zugang wiederhergestellt wird.
Kritik an Menschenrechtsverletzungen
Die Erklärung verurteilt ausdrücklich Entführungen, Übergriffe und andere Menschenrechtsverletzungen im Umfeld der Blockade. Diese seien nicht das Ergebnis einzelner Fehlverhalten, sondern Teil einer systematischen Politik, die das tägliche Leben gefährde und den ohnehin fragilen politischen Friedensprozess in Syrien untergrabe.
Die Bewohner:innen sprachen sich zugleich für die lokalen Sicherheitskräfte Asayîş und die Selbstverwaltung in Şêxmeqsûd und Eşrefiye aus. In Richtung der Übergangsregierung forderten sie konkrete Schritte: Die sofortige Aufhebung der Blockade, die Öffnung humanitärer Korridore für Treibstoff, Medikamente und Grundversorgung sowie die Beendigung der Repressionen. Verantwortliche für die Menschenrechtsverletzungen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. „Unsere Stadtteile sind Teil Aleppos – auch sie haben ein Recht auf Frieden“, so das abschließende Statement.
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Samstagsmütter fordern Gerechtigkeit für Fehmi Tosun
Die Initiative der Samstagsmütter hat bei ihrer 1073. Mahnwache auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul erneut Gerechtigkeit für die Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens in staatlichem Gewahrsam und ein Ende der Straflosigkeit gefordert. Im Mittelpunkt stand diesmal der Fall von Fehmi Tosun, einem Kurden aus Licê, der vor genau 30 Jahren festgenommen wurde und danach nie wieder auftauchte.
Die Erklärung der Initiative verlas die Aktivistin Özlem Zıngıl. „Der Staat ist verpflichtet, Fälle von Verschwindenlassen unverzüglich, unabhängig und effektiv zu untersuchen“, sagte sie. Doch in der Türkei werde dieses Prinzip systematisch verletzt. Statt Aufklärung würden die Akten über Jahre hinweg unbearbeitet gelassen und schließlich unter Verweis auf Verjährung geschlossen. „Die Justiz unternimmt keine Schritte zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen. Die Täter bleiben ungestraft, die Verschwundenen bleiben verschwunden“, so Zıngıl.
Der Fall Fehmi Tosun
Fehmi Tosun war 35 Jahre alt, als er am 19. Oktober 1995 das letzte Mal in Istanbul lebend gesehen wurde. Es wird vermutet, dass er von staatlichen Todesschwadronen der türkischen Gendarmerie – zuständig für „Nachrichtenbeschaffung und Terrorabwehr”, kurz: JITEM – gefoltert und ermordet wurde. Zu Beginn der Neunziger, als der schmutzige Krieg der türkischen Armee gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf dem Höhepunkt war, saß Tosun rund drei Jahre im Gefängnis. Die Polizei behauptete, der fünffache Vater sei PKK-Milizionär. Nach seiner Freilassung zog die Familie nach Istanbul. Doch der Verfolgung durch den Staat konnte sie nicht entkommen.
Am Morgen des 19. Oktober 1995 hatte Fehmi Tosun gemeinsam mit seinem Freund Hüseyin Aydemir, der zum Frühstück eingeladen war, sein Haus im Istanbuler Bezirk Avcılar verlassen. Am selben Abend, so berichtete seine Ehefrau Hanım Tosun, wurde er in einem weißen Renault-Toros mit Beamten in Zivil nach Hause zurückgebracht. „Als er uns sah, rief er: ‚Sie werden mich umbringen und verschwinden lassen!‘“, sagte sie. Tosun versuchte, zu ihrem Mann zu laufen – doch er wurde gewaltsam in das Fahrzeug zurückgezerrt und verschwand.
Hanım Tosun meldete den Vorfall umgehend bei der Polizei und den damals noch existierenden Staatssicherheitsgerichten, nannte sogar das Kennzeichen des Wagens. Doch die Behörden lehnten jegliches Einschreiten ab. Trotz zahlreicher Beschwerden – auch durch den Menschenrechtsverein IHD, der sich dem Fall sofort annahm – wurde die Festnahme bestritten. Die Justiz zeigte kein Interesse daran, das Schicksal von Fehmi Tosun und Hüseyin Aydemir aufzuklären.
Internationale Verurteilung – keine nationale Konsequenz
Nachdem alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft waren, wandte sich die Familie Tosun 2003 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die türkische Regierung räumte dort erstmals ein, dass es zu einem schweren Verstoß gegen das Recht auf Leben gekommen sei. Dennoch blieb auch danach jede ernsthafte Untersuchung aus. Das Verfahren wurde in der Türkei unter Verweis auf Verjährung eingestellt. Auch ein Einspruch gegen diese Entscheidung blieb erfolglos.
„Die Ermittlungen wurden bewusst ins Leere geführt“, erklärte Özlem Zıngıl. Weder die Täter noch konkrete Beweise seien identifiziert worden. Das Verschwinden sei nie ernsthaft untersucht worden, trotz völkerrechtlicher Verpflichtungen.
Hanım Tosun, die Ehefrau des Vermissten, erinnerte in ihrer kurzen Rede an drei Jahrzehnte unermüdlichen Engagements: „Ich habe diesen Kampf begonnen, damit niemand sonst auf diese Weise verschwindet. Wir haben nicht verloren – sie haben verloren“, sagte sie. „Und sie sollen wissen: Der Weg zur Gerechtigkeit führt über den Galatasaray-Platz.“
Die Mahnwache endete wie jede Woche mit dem Niederlegen roter Nelken am Kundgebungsort.
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