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Aktualisiert: vor 1 Stunde 17 Minuten

Organisierte Selbstverteidigung von Efrîn bis Deir ez-Zor

24. Juli 2024 - 10:00

Almas Hemîd stammt aus Efrîn-Mabeta. Die 48-jährige Mutter von vier Kindern ist eine der Gründerinnen der Kräfte der Inneren Sicherheit in Efrîn. 2012 hatte sie mit der Revolution ihre erste Ausbildung in Selbstverteidigung erhalten. Nach der türkischen Invasion in Efrîn war sie am Aufbau der Kräfte der Inneren Sicherheit in der Şehba-Region beteiligt. Heute gehört sie zu den Verantwortlichen für die Kräfte der Inneren Sicherheit der Region Deir ez-Zor. Im ANF-Gespräch berichtete Hemîd über ihre Geschichte und die Organisierung von Frauenselbstverteidigung und sozialer Selbstverteidigung.

Eine von 12 Frauen in der ersten Selbstverteidigungsbildung

Hemîd berichtete, dass sie bereits 2011 erlebte, wie die ersten Selbstverteidigungsstrukturen aufgebaut wurden. Sie berichtete über die Vorbereitungen zur Revolution: „Im Jahr 2011, wurden nach den Wahlen in Efrîn Räte aufgebaut. Auch die Selbstverteidigung war Teil dieses Organisierungsprozesses. Ich wusste nicht, was Selbstverteidigung ist. Nach einer kurzen Ausbildung wurde ich Teil der Frauenselbstverteidigungsarbeiten im Bezirk Mabeta. Zu dieser Zeit, 2011, hatte das Baath-Regime noch die Kontrolle. Mit der Rojava-Revolution im Jahr 2012 begannen wir, unsere Selbstverteidigung offen zu organisieren. Im Februar 2012 nahmen wir mit einer Gruppe von zwölf Frauen an einer Ausbildung der Selbstverteidigungseinheit teil. Damals nannten wir die Einheiten noch nicht Asayiş. Es gab allgemeine Selbstverteidigungskräfte, in denen auch Frauen organisiert waren. Aber am 1. April 2012 wurde die Frauenselbstverteidigung gegründet. Damals hießen diese natürlich nicht Kräfte der Inneren Sicherheit. Anfangs hatten wir keine Waffen. Wir haben unsere Selbstverteidigungsstrukturen organisiert, um die Sicherheit unserer Straßen, unseres Volkes und unserer Kinder zu gewährleisten. Wir haben darüber diskutiert, wie wir eine Frauenselbstverteidigung aufbauen könnten, wir hatten gerade begonnen, uns in diesem Sinne zu organisieren. Ab 2014 machten wir dann als Kräfte der Inneren Sicherheit bzw. Asayiş weiter.“

Es war klar, dass es ohne Frauenselbstverteidigung nicht geht“

Hemîd beschrieb den Aufbau von Frauenselbstverteidigung als essenziell: „Zu Beginn der Revolution gab es massive Angriffe auf Frauen. Die Gesellschaft wurde durch die Angriffe gegen die Frau ins Visier genommen. Niemand würde die Frau verteidigen, wenn sie nicht selbst für ihre Verteidigung sorgte. Es gab einen umfassenden Angriff auf die Gesellschaft. Aus diesem Grund war eine starke Frauenorganisierung erforderlich. Durch Bildungen wurde ein Verständnis der Bedeutung von Frau und Selbstverteidigung geschaffen. Es wurde verstanden, dass eine Frau ohne Selbstverteidigung sich selbst, ihre Familie, ihr Land und ihre Gesellschaft nicht schützen kann. Die Frau, die sich ihrer Kraft bewusst wurde, zeigte, dass sie die Gesellschaft führen kann und dass das Paradigma der demokratischen Moderne, das eine Alternative zu dem der Gesellschaft aufgezwungenen System darstellt, zum Leben passt.“

Hindernisse von Familie und Gesellschaft

Damit setzte auch ein Mentalitätswandel ein. Hemîd berichtete über den schwierigen Prozess: „Als ich begann, an den Arbeiten teilzunehmen, stieß ich auf Hindernisse durch die Gesellschaft und meine Familie. Es wurde nicht akzeptiert, dass eine Frau an Selbstverteidigungsarbeiten teilnimmt. Ich wurde mit Fragen konfrontiert wie: ‚Wie kann eine Frau in ihrer Straße, in ihrem Viertel Wache stehen und die Sicherheit von Kontrollpunkten gewährleisten?‘ Es gab auch solche Fragen, wie überhaupt eine Frau neben einem Mann solche Arbeiten machen könne und dass die Selbstverteidigung Männersache sei. Diese Haltung war extrem dominant. Nach dem Selbstverteidigungstraining wurde ich beauftragt, die Sicherheit eines Kontrollpunktes zu gewährleisten. Meine Familie versuchte einen Monat lang, dies zu verhindern. Ich erfüllte meine Pflicht zur Selbstverteidigung, ohne auf die Widersprüche und Krisen zu achten. Als Frau weigerte ich mich, dass mein Wille ignoriert wurde, und ich tat meinen Dienst.“

Führende Aktivistin beim Aufbau der Kräfte der Inneren Sicherheit von Şehba

Nachdem Efrîn von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Söldnerbanden 2018 besetzt worden war, machte sich Hemîd sofort an den Aufbau der Selbstverteidigung im Kanton Şehba. Sie erinnerte: „Unsere Vertreibung von Efrîn nach Şehba war ein großer Schmerz. Nach der Besetzung von Efrîn endeten die Angriffe auf die Frauen nicht. Im Gegenteil, wir wurden noch stärker angegriffen, man wollte uns sogar die Hoffnung nehmen. Aber wir konnten unser System der Inneren Sicherheit, das wir in Efrîn geschaffen und großartig organisiert hatten, in Şehba wieder aufbauen. Ich war an der Gründung der Kräfte der Inneren Sicherheit von Şehba beteiligt. Wir haben wichtige Schritte unternommen, um die Selbstverteidigung der Frauen wiederherzustellen. Nicht einmal eine Woche nach unserer Übersiedlung nach Şehba begannen wir mit der Organisierung der Arbeiten. Natürlich war es nicht einfach, die Kräfte der Inneren Sicherheit zu organisieren. Jede von uns war an einem Ort verstreut, es würde nicht leicht sein, sich zu organisieren und zusammenzukommen. Wir waren uns dessen bewusst, aber wir wussten, dass wir ohne Selbstverteidigung nicht leben konnten. Unsere ersten Kontrollpunkte als Asayiş wurden in Zelten eingerichtet. Bei einem vertriebenen Volk sind es die Frauen, die den größten Schmerz und Schaden erleiden. Durch die Neuorganisation des Selbstverteidigungssystems konnte die Gewalt gegen Frauen während und nach der Vertreibung im Vergleich zu früher massiv verringert werden.“

Selbstverteidigung fängt im Kopf an“

Hemîd weiter: „Die Gewährleistung der Selbstverteidigung unserer Gesellschaft ist unsere Priorität. Eine Person, die sich nicht selbst verteidigen kann, ist nicht in der Lage, ihre Gesellschaft zu schützen. Selbstverteidigung ist auch wichtig, um die Hände zu brechen, die nach den Frauen ausgestreckt werden. Selbstverteidigung ist nichts, das nur durch Waffen erreicht werden kann; nur eine organisierte, gebildete, bewusste Gesellschaft und Frauen, die für die Freiheit kämpfen, können Selbstverteidigung gewährleisten. Kurz gesagt: Selbstverteidigung muss im Kopf stattfinden.“

Im Licht der Revolution“

Abschließend beschreibt Hemîd das Leben vor der Revolution mit den Worten: „Es ist ein totes Leben. Stellen Sie sich vor, eine Frau befindet sich in einem Raum und das Licht in diesem Raum wird ausgeschaltet. Die Frau atmet nur noch für ihre Kinder und führt so ihr Leben. Es gab nichts anderes als ihre Kinder und ihr Zuhause. Wenn es ein Leben gab, dann war es für ihre Kinder. Auch wenn meine Familie eine patriotische Familie, die den kurdischen Freiheitskampf unterstützte, war, es herrschte dennoch eine feudale Familienstruktur. Mit der Verwirklichung der Rojava-Revolution öffneten sich die Türen dieses Raums und ich konnte das Licht erreichen.“

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Leipzig: Störaktion auf SPD-Veranstaltung mit Boris Pistorius

24. Juli 2024 - 10:00

Auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit dem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in Leipzig unterbrachen rund 30 Jugendliche wiederholt die Veranstaltung und machten auf den Völkermord in Gaza, die Besatzung der Türkei in Südkurdistan, sowie die Aufrüstung im eigenen Land aufmerksam.

Nachdem Pistorius die militärische Einheit der Feldjäger in Leipzig besucht hatte, besuchte er den Biergarten des Felsenkellers in Leipzig für eine lokale Wahlveranstaltung inklusive Fragerunde. Rund 200 Besucher:innen nahmen an der Veranstaltung teil. Pistorius erklärte die Wichtigkeit der Aufrüstung im eigenen Land, um sich gegen Russland verteidigen zu können und schwafelte zudem von seiner „Liebe“ zur Demokratie und dass diese durch Aufrüstung und Waffenlieferungen verteidigt werden müsse.

„Sie reden so viel über Frieden, sie reden so viel über Verteidigung. Allerdings liefert Deutschland immer noch Waffen an seinen NATO-Partner Türkei. Das ist keine Friedenspolitik, das ist Kriegspolitik, sie führen Krieg. Die Türkei führt eine völkerrechtswidrige Besatzung im Irak durch und die SPD unterstützt diesen Krieg“, so ein Jugendlicher auf der Wahlkampfveranstaltung der SPD.


Während er nach Fragen zum Völkermord in Gaza kurz sein Bedauern für die Menschen in dem Küstenstreifen beklagte, berief er sich gleich darauf auf das sogenannte „Selbstverteidigungsrecht“ Israels und legitimierte somit den Völkermord in Gaza. Jedoch konnte er keine fünf Minuten reden, ohne dass Jugendliche aufsprangen und erklärten, dass sie nicht einverstanden mit dem Gesagten seien. Sie machten auf die zigtausenden Toten im Gazastreifen aufmerksam, sowie die Waffenlieferung an den Nato-Partner Türkei, der gerade in Südkurdistan einmarschiert. Pistorius Scheinheiligkeit blieb somit nicht unkommentiert. „Sie reden so viel über Frieden, sie reden so viel über Verteidigung. Allerdings liefert Deutschland immer noch Waffen an seinen NATO-Partner Türkei. Das ist keine Friedenspolitik, das ist Kriegspolitik, sie führen Krieg. Die Türkei führt eine völkerrechtswidrige Besatzung im Irak durch und die SPD unterstützt diesen Krieg“, machte ein Jugendlicher deutlich. Die Jugendlichen machten außerdem darauf aufmerksam, dass die Jugend rein gar nichts davon hat, wenn sie an die Front für den deutschen Imperialismus kämpft und betonten auch, wie stark die Bundeswehr von Missbrauchsfällen und sexualisierter Gewalt durchzogen ist. Dabei versuchte der Kriegsminister heuchlerisch Vorwürfe abzuwenden. Die Veranstaltung konnte erfolgreich gestört werden, Pistorius selber sagte „Ich habe schon viel Veranstaltungen erlebt, aber so was, wie sie mir hier bieten, habe ich noch nie erlebt.“

Zum Abschluss der Veranstaltung riefen die Aktivist:innen zum weiteren Protest auf: „Wir rufen alle Jugendlichen dazu auf, sich über kommende Wahlkampfveranstaltungen in den Dörfern und Städten zu informieren und auf die heuchlerische Politik der Ampel-Regierung aufmerksam zu machen. Lasst uns gemeinsam zeigen, dass wir ihre mörderische Politik nicht hinnehmen und dass wir gegen ihre Kriege sind.“

https://anfdeutsch.com/kurdistan/sudkurdistan-truppenverlegungen-und-angriffe-gehen-weiter-42954 https://anfdeutsch.com/kurdistan/erdogan-plant-kein-ende-des-krieges-in-kurdistan-sondern-dessen-eskalation-42928 https://anfdeutsch.com/aktuelles/krieg-ohne-aufmerksamkeit-knk-fordert-interventionen-gegen-ankara-42835

 

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Izmir: 15-Jähriger bei rassistischem Angriff schwer verletzt

24. Juli 2024 - 10:00

Die Welle rassistischer Angriffe in der Türkei reißt nicht ab. Nun wurde ein 15-jähriger Junge von türkischen Rassisten in Izmir schwer verletzt. Er war mit seiner Familie aufgrund der rassistischen Pogrome in Kayseri nach Izmir umgezogen und arbeitete dort als Autowäscher. Bei dem Angriff wurden ihm Zähne ausgeschlagen, er erlitt eine Kopfverletzung und kollabierte. Der Vater berichtete von Drohungen der Angreifer, die Familie solle keine Anzeige erstatten.

Anfang Juli hatte es eine Welle von Pogromen gegen syrische Geflüchtete in der Türkei gegeben. In Kayseri hatte ein Mob Geschäfte und Wohnhäuser angegriffen, nachdem zuvor ein Syrer wegen mutmaßlicher Belästigung eines Kindes festgenommen worden war. Daraufhin kam es auch in den Provinzen Hatay, Bursa, Kilis, Adana, Dîlok (tr. Gazitantep), Izmir und Istanbul zu rassistischen Ausschreitungen. Lynchmobs steckten Häuser von Geflüchteten in Brand und misshandelten Menschen auf offener Straße.

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/der-weg-zu-einer-losung-der-syrienkrise-ist-der-innersyrische-dialog-42849 https://anfdeutsch.com/aktuelles/angriffe-auf-syrische-gefluchtete-in-kayseri-42751 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/xelil-die-turkei-will-die-konflikte-verscharfen-42646

 

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[un]deutsch: Ein Podcast über das Leben und alles dazwischen

24. Juli 2024 - 8:00

Die Journalistinnen Ayesha Khan und Dîlan Karacadag haben mit ihrem neuen Podcast [un]deutsch einen frischen Wind in die Podcast-Welt gebracht. Mit dem Slogan „Der Podcast, nach dem niemand gefragt hat und den es trotzdem gibt“ haben sie ein Format geschaffen, das sich nicht nur durch seinen humorvollen Ansatz, sondern auch durch seine Vielseitigkeit auszeichnet. In [un]deutsch beleuchten Ayesha und Dîlan eine breite Palette an Themen, die ihnen am Herzen liegen. Mit einem zwinkernden Auge und einer Prise Ironie diskutieren sie gesellschaftliche, kulturelle und politische Fragen, die oft unbequem, jedoch nie uninteressant sind. Ihre Themenvielfalt reicht von Feminist:innen, die Deutschrap hören, über die Frage, wie viel Deutschsein in uns steckt, bis hin zu dem oft tabubeladenen Thema der Männer und deren Emotionen. Auch aktuelle Phänomene wie Pick-Me-Girls, das Datingleben junger Menschen, Endogamie sowie Fanatismus und Rassismus im Fußball finden ihren Platz im Podcast.

Raum für ehrliche, ungeschönte Gespräche

„Wir möchten nicht alles so ernst nehmen, wie es oft in der Gesellschaft der Fall ist. Unser Ziel ist es, einen Raum für ehrliche, ungeschönte Gespräche zu schaffen“, erklärt Dîlan. Ayesha ergänzt: „Es geht darum, Themen anzusprechen, die oft ignoriert werden. Vor allem wollen wir zum Nachdenken anregen – und dabei auch mal lachen können.“

Beide Journalistinnen produzieren den Podcast eigenständig und ohne finanzielle Unterstützung. Um die Qualität ihrer Inhalte weiter zu steigern, haben sie eine Kampagne gestartet, die es ihnen ermöglichen soll, noch besser recherchierte und aufbereitete Folgen anzubieten.

„Wir sind dankbar für jede Unterstützung, die uns hilft, unseren Podcast weiterzuentwickeln“, sagt Ayesha. [un]deutsch ist kostenfrei auf www.undeutsch.podigee.io sowie auf Spotify zu hören. Alle zwei Wochen, immer montags, erscheint eine neue Episode. Für die Fans gibt es auch eine Instagram-Seite unter @undeutsch_podcast, die einen Blick hinter die Kulissen der Entstehung der Folgen gewährt.

Eine besondere Ankündigung haben Dîlan und Ayesha ebenfalls gemacht: Nach der 5. Folge, die am 29. Juli 2024 veröffentlicht wird, wird [un]deutsch eine Sommerpause einlegen und erst im September mit neuen Themen zurückkehren.

Für eine kommende Folge von [un]deutsch sprechen Ayesha und Dîlan über Jineolojî © DK

„Wir nutzen die Pause, um frische Ideen zu entwickeln und unsere Gedanken zu sammeln“, so Ayesha. „Seid dabei und hört Sie rein – schließlich gibt es immer etwas zu lachen und nachzudenken“ ergänzt Dîlan. Mit [un]deutsch schaffen Ayesha Khan und Dîlan Karacadag nicht nur einen Ort für kritische Diskussionen, sondern auch eine Plattform für humorvolle und ehrliche Gespräche über Themen, die jeden von uns betreffen.

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Kurdistan-Bündnis protestiert gegen Vertrag von Lausanne

24. Juli 2024 - 8:00

Vor 101 Jahren wurde der Vertrag von Lausanne unterzeichnet. Mit der am 24. Juli 1923 signierten Übereinkunft zwischen türkischen Nationalisten und den Siegermächten des Ersten Weltkrieges wurden die Grenzen in Nahost neu gezogen und der türkische Alleinanspruch auf Kleinasien bestätigt. Damit wurde in Lausanne die weitgehend schon erfolgte Vertreibung der griechisch-christlichen Bevölkerung sowie die Vernichtung der armenischen Nation legalisiert – und die Teilung Kurdistans diplomatisch abgesegnet. Kurdistan wurde viergeteilt und in eine internationale Kolonie verwandelt. Seitdem sind Kurdinnen und Kurden unter der Souveränität der Nationalstaaten Türkei, Irak, Iran und Syrien Völkermord, Assimilierung und Massakern ausgesetzt.

Am Samstag will ein breites Bündnis in Lausanne gegen den Vertrag und seine Auswirkungen protestieren. Zu der Demonstration rufen 36 Parteien, Organisationen und Institutionen auf, darunter YNK, Goran, die Selbstverwaltung in Rojava, KCDK-E, TJK-E, FEDA, KKP, PJAK, PYD, ESU, PİK und das Kurdische Institut in der Schweiz. Wie die Veranstalter:innen am Dienstag auf einer Pressekonferenz im Kurdischen Gemeindezentrum in Lausanne mitteilten, beginnt die Demonstration am 27. Juli um 13 Uhr auf der Place des Pionnieres und führt zum Château d'Ouchy am Ufer des Lac Léman, wo der Vertragsabschluss damals gefeiert wurde.

 


Das Bündnis erklärte, dass der Vertrag von Lausanne der Hauptgrund für die Massaker in Kurdistan sei und der türkische Staat sich heute noch bemühe, alle kurdischen Errungenschaften zunichtezumachen. Die Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Kurdischen Gemeinde in der Schweiz (CDK-S), Cemal Özdemir und Dilan Çetinkaya, riefen im Namen der Veranstalter:innen zur Teilnahme an der Demonstration und der abschließenden Kundgebung auf.

Dilan Çetinkaya sagte: „101 Jahre nach dem Vertrag von Lausanne greift der türkische Staat Südkurdistan an. Wir akzeptieren diesen Besatzungsangriff nicht und rufen alle politischen Strukturen in den vier Teilen Kurdistans auf, dagegen Haltung zu beziehen. Um die Besatzung zu stoppen, laden wir zur Teilnahme an unserer Kundgebung ein. Dafür haben wir uns mit 36 politischen Parteien und Organisationen zusammengeschlossen. Hier in Lausanne, wo wir vor 101 Jahren geteilt und auseinander gerissen wurden, wollen wir uns wieder vereinen. Wir rufen alle Völker aus Kurdistan auf, in Lausanne gegen die türkische Besatzung zu protestieren.“

https://anfdeutsch.com/aktuelles/civaka-azad-100-jahre-vertrag-von-lausanne-oder-die-europaische-kurdenfrage-38194 https://anfdeutsch.com/hintergrund/kurzer-umriss-der-kurdischen-frage-15247 https://anfdeutsch.com/aktuelles/lausanne-kurdistan-aus-dem-klammergriff-der-nationalstaaten-befreien-38348 https://anfdeutsch.com/aktuelles/wir-lehnen-den-vertrag-von-lausanne-ab-38312

 

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Abdi: Ob Dialog oder Widerstand, wir sind bereit

23. Juli 2024 - 20:00

Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), hat sich gegenüber ANHA zu aktuellen Fragen wie dem Verhältnis zum Regime in Damaskus und den Angriffen der Türkei geäußert. In dem Interview sagte Abdi, die Demokratische Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien werde von vielen Seiten angefeindet: „Das syrische Regime lehnt einen Dialog und Lösungswege ab und führt einen unfairen Krieg gegen uns. Es versucht, die Einheit der Bevölkerungsgruppen in Nord- und Ostsyrien durch Konflikte und Zwietracht zu zerstören. Der türkische Staat will das Projekt der Selbstverwaltung und die QSD vernichten. Er hat einige unserer Gebiete besetzt und zielt auf die Besatzung weiterer Gebiete ab.“

Die Lage in der Autonomieregion sei momentan vor allem wegen des Embargos und Interventionen im wirtschaftlichen Bereich gefährdet. Um Dienstleistungen der Selbstverwaltung für die Bevölkerung zu verhindern, werde gezielt versucht, eine Förderung von außen zu unterbinden. Für das kommende Jahr gebe es jedoch Pläne und Projekte, die zu politischen Entwicklungen und wichtigen Fortschritten in der Region führen könnten.

Sowohl das türkische als auch das syrische Regime schreckten davor zurück, die Realität des kurdischen Volkes anzuerkennen, so Abdi weiter: „Sie wollen einen Status für das kurdische Volk verhindern.“ Es gebe Dialoge mit vielen Seiten, aber dieser Punkt sei ein andauerndes Problem. Dennoch sei eine Rückkehr in die Situation vor der Revolution in Rojava vor zwölf Jahren unmöglich.

Beziehungen zwischen Syrien und Türkei

Zu den Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien sagte der QSD-Generalkommandant: „Das syrische Regime und der türkische Staat könnten sich an einigen Punkten einigen, aber beide Seiten haben auch verschiedene Forderungen. Das Regime will, dass die Türkei die oppositionellen Gruppen, die Muslimbruderschaft, die bewaffneten Kräfte in Idlib, Efrîn und Serêkaniyê aufgibt. Es betont, dass der türkische Staat sich aus diesen Gebieten zurückziehen muss. Die Türkei soll die Unterstützung dieser Kräfte einstellen, damit es die Kontrolle über die Gebiete zurückgewinnen kann.“ Möglicherweise stelle die Türkei ähnliche Forderungen, momentan sei ein solcher Prozess zwar nicht unmöglich, aber sehr schwer umzusetzen. „Dafür braucht es mehr Zeit. Das syrische Regime hat in den letzten zwölf Jahren viele Personen gegen sich aufgebracht und die Türkei hat bewaffnete Gruppen und ihre Familien in Idlib zusammengezogen und bringt sie jetzt nach Efrîn. Alle suchen nach einer Lösung, aber der türkische Staat lässt nicht zu, dass diese Gruppen wieder in die Türkei zurückkehren. Dagegen wehrt sich auch die türkische Öffentlichkeit. Auch das syrische Regime will diese Leute nicht. Das Problem ist sehr verfestigt und ich glaube nicht, dass es sich innerhalb kurzer Zeit lösen lässt.“

Damaskus und die Selbstverwaltung

„Wir versuchen seit zwölf Jahren, über einen Dialog mit dem syrischen Regime zu einer Lösung zu kommen. Wir glauben, dass es eine Lösung mit dem syrischen Regime geben wird“, erklärte Abdi. „Es gibt einen Meinungsaustausch zwischen uns, aber keine Einigung. Das syrische Regime ist noch nicht bereit für eine Lösung.“ Damaskus mache eine Rückkehr zum Zustand von 2011 zur Bedingung und stelle dafür eine Amnestie in Aussicht. Bisher habe das Regime zwei Stunden Kurdisch-Unterricht in der Woche anerkannt, die kurdische Frage in Syrien sei jedoch viel umfassender. „Es gibt keinen umfassenden Lösungsansatz. Wir wollten schon früher eine Einigung bei einigen leicht umsetzbaren Themen wie Grenzübergängen, wirtschaftlichen Fragen, Handel und Bildung erzielen, aber das Regime ist auch dafür nicht offen. Das syrische Regime muss seine Haltung hinsichtlich einer Lösung überdenken und die Bemühungen der Selbstverwaltung als Gelegenheit sehen. Das ist der Weg, auf dem Syrien zur Ruhe kommen und seine Probleme lösen kann.“

Bedingung an die Türkei

Die Selbstverwaltung und die QSD seien offen für eine Dialog mit allen Seiten, so Mazlum Abdi weiter: „Unsere Bedingung an die Türkei und die mit ihr verbündeten Kräfte ist eine Diskussion über das Ende der Besatzung. Sie stellen Bedingungen, wir haben ebenfalls Bedingungen. Unsere Bedingung ist ein Ende der Besatzung von Efrîn, Girê Spî und Serêkaniyê. Unter dieser Voraussetzung sind wir zu einem Meinungsaustausch mit diesen Kräften bereit, um die Probleme unter uns zu lösen. Der türkische Staat unterstützt bewaffnete Gruppen und ist eine Besatzungsmacht. Gespräche über ein Ende der Besatzung sind schwierig, weil der türkische Staat sich in einer Angriffsposition befindet und die Kurden angreift. Unsere Region und die Medya-Verteidigungsgebiete werden jeden Tag angegriffen. Grundsätzlich sind wir jedoch zu einem Dialog über eine Lösung bereit.“

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Hakan Abi freigelassen: „Es lebe der Gefängniskampf!“

23. Juli 2024 - 17:00

Der politische Gefangene Hakan Abi ist aus türkischer Haft entlassen worden und in seine Heimatstadt Colemêrg (tr. Hakkari) zurückgekehrt. Der Kurde war 2017 in Edirne festgenommen und wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation und versuchter illegaler Grenzüberschreitung zu sieben Jahren und fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Entlassungstermin wurde fünfmal verschoben, weil Abi sich einer im Gefängnis verlangten „Reueerklärung“ verweigerte. Am Montagabend konnte er die Vollzugsanstalt in Yozgat schließlich verlassen. In Colemêrg wurde er von seinen Angehörigen und Mitgliedern der DEM-Partei erwartet.

Bei seinem Empfang sagte Hakan Abi, dass die Demokratie in der gesamten Türkei durch die repressive Politik der AKP-Regierung vernichtet und die Widerstandstradition in den Gefängnissen dennoch ungebrochen fortgesetzt werde: „Wir kämpfen vor allem für Frieden und Freiheit und deshalb sind wir im Recht. Es lebe der Widerstand in den Kerkern!“

Der Ko-Vorsitzende des DEM-Provinzverbands in Colemêrg, Kadir Şahin, erklärte: „In den Gefängnissen findet ein unerbittlicher Widerstand statt. Ein Grund dafür ist der unzureichende Kampf gegen politische Unterdrückung außerhalb der Gefängnisse.“ Oftmals seien es die Gefangenen, die den politischen Kampf in der Türkei anführten, so der DEM-Politiker. Diesem Widerstand gelte es „draußen" gerecht zu werden.

https://anfdeutsch.com/kurdistan/hulki-gunes-nach-32-jahren-freigelassen-42979 https://anfdeutsch.com/kurdistan/begeisterter-empfang-fur-freigelassenen-gefangenen-in-colemerg-42560 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/die-politischen-gefangenen-sollen-reue-bekunden-42498

 

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HPG gedenken Soro Xizginos

23. Juli 2024 - 16:00

Das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) hat einen Nachruf auf einen gefallenen Guerillakämpfer veröffentlicht: „Wir gedenken respektvoll unseres Weggefährten Soro Xizginos, der sich am 23. Juli 2022 in Gare der Karawane der Gefallenen angeschlossen hat.“
 

Codename: Soro Xizginos
Vor- und Nachname: Azad Yandı
Geburtsort: Amed
Namen von Mutter und Vater: Zeynep – Mehmet
Todestag und -ort: 23. Juli 2022 / Gare

 

Den Angaben der HPG zufolge ist Soro Xizginos in Amed geboren und in einem politischen Umfeld mit den ethischen Werten der kurdischen Gemeinschaft aufgewachsen. Wie viele kurdische Kinder habe er den ersten Konflikt mit der türkischen Staatsdoktrin bei seiner Einschulung erlebt, weil ihm seine Muttersprache verboten wurde. Er habe die staatliche Unterdrückung und gesellschaftliche Ereignisse in Kurdistan hinterfragt und seine Vorbilder seien eine Tante und ein Onkel gewesen, die sich der PKK angeschlossen hatten. „Er träumte davon, Guerillakämpfer zu werden, und kam dem Freiheitskampf Kurdistans Tag für Tag ein Stück näher“, so die HPG. Soro sei acht Jahre in staatliche Schulen gegangen und habe sich intensiv bemüht, seine eigene Identität zu bewahren. Die Revolution in Rojava habe ihn begeistert und er habe sich am Widerstand gegen den IS beteiligen wollen. Diese Entscheidung habe er aus verschiedenen Gründen zunächst nicht in die Tat umsetzen können. Eine Weile sei er in der Jugendbewegung aktiv gewesen, zur Zeit des Widerstands für Selbstverwaltung in Nordkurdistan habe er sich einer Guerillagruppe in den Bergen von Amed angeschlossen.

 


Wie die HPG mitteilen, kam Soro aus Amed für eine Grundausbildung in die Medya-Verteidigungsgebiete und übernahm danach verschiedene Aufgaben. Seine Cousine Rewşen Amed (Ummu Cihat Atlı) kam 2016 im Zagros-Gebirge ums Leben. Ihr Tod war für Soro ein Grund, noch mehr zu kämpfen. Sein grundsätzlicher Maßstab bei allen Aufgaben war das Ziel, dem Kampf der Gefallenen gerecht zu werden und erfolgreich zu sein. Dafür bildete er sich unentwegt weiter und beschäftigte sich intensiv mit den Erfordernissen des modernen Guerillakampfes. Die HPG würdigen Soro Xizginos als beispielhaften Militanten, der mit seiner entschlossenen und vorbehaltlosen Haltung in die Geschichte des kurdischen Freiheitskampfes eingegangen sei. Seiner mit Respekt und Dankbarkeit zu gedenken, sei zugleich das Versprechen, seinen Kampf erfolgreich weiterzuführen, so die HPG.


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Französischer Senator will Besuchserlaubnis für Öcalan

23. Juli 2024 - 14:00

Der französische Senator Pascal Savoldelli hat beim türkischen Justizministerium einen Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis bei Abdullah Öcalan gestellt. Er wolle sich ein persönliches Bild vom Gesundheitszustand des kurdischen Vordenkers und seiner Haftbedingungen im Inselgefängnis Imrali machen, schrieb der Politiker in seinem Ersuchen an das Ministerium, berichtete die Nachrichtenagentur Mezopotamya am Dienstag. In dem Antrag wies Savoldelli demnach auf „schwerwiegende Einschränkungen“ von Öcalans Gefangenenrechten hin, insbesondere im Hinblick auf die seit Jahren andauernde Isolation. Menschenrechtsorganisationen hätten wiederholt von „extrem harten“ Haftzuständen auf Imrali berichtet, die gegen internationale Verträge und Standards für Gefangene verstoßen.

In dem Antrag Savoldellis heißt es: „Abdullah Öcalan war einer der Hauptakteure bei den Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und den Kurden. Während der Friedensgespräche 2013 spielte er die Rolle des Vermittlers und forderte einen Waffenstillstand und ein Ende der Feindseligkeiten. Dennoch haben die Anwälte und die Familie von Abdullah Öcalan seit fünf Jahren keinen persönlichen Kontakt zu ihm – mit Ausnahme eines Telefonats mit einem Angehörigen im März 2021. Dieses Gespräch dauerte nur vier Minuten und wurde mittendrin unterbrochen. Dies gibt Anlass zu großer Besorgnis über Öcalans Grundrechte, insbesondere über sein Recht auf Kommunikation mit seinen Angehörigen und Rechtsvertretern.

Öcalan und seine Katze in Damaskus © Serxwebûn

Im Namen des Völkerrechts, insbesondere des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), bitte ich um Informationen über den Gesundheitszustand und die Haftbedingungen von Abdullah Öcalan. Die Achtung der Menschenrechte, einschließlich des Rechts aller Gefangenen auf Besuche und Kommunikation mit der Außenwelt, ist ein von der internationalen Gemeinschaft anerkanntes Grundprinzip, dem sich auch die Republik Türkei angeschlossen hat. Ich möchte daher von meinem Recht als Parlamentarier Gebrauch machen, Abdullah Öcalan in Anwesenheit seiner Anwälte zu treffen. Diese Initiative fällt in den Rahmen meiner Mission, die Menschenrechte im Einklang mit den Werten und Verpflichtungen des Europarats und der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Türkei unterzeichnet hat, zu überwachen und zu fördern.“

Pascal Savoldelli ist Politiker der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und setzt sich seit Jahren für die Aufhebung der Isolationshaft Abdullah Öcalans auf Imrali ein. Er gehört zu den Unterzeichnenden einer Petition, die das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) zum Handeln für den PKK-Begründer auffordert. Der Anfang Juni veröffentlichte Appell war von mehr als 60 Persönlichkeiten aus der französischen Politik, Gewerkschaften, Verbänden und Universitäten unterzeichnet worden. Sie fordern eine Überprüfung der Haftbedingungen Öcalans auf Imrali und die Einräumung seines Rechts auf Besuche. „Dies würde zur Lösung eines menschenrechtlichen Notfalls beitragen und der Sorge von Millionen von Kurdinnen und Kurden entgegenwirken, während es den Geist der Versöhnung erneuert, der für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei notwendig ist“, hieß es in dem Brief.

Völkerrechtswidrig verschleppt

Abdullah Öcalan führte von der Gründung der PKK 1978 bis zu seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus Kenias Hauptstadt Nairobi auf die türkische Gefängnisinsel Imrali am 15. Februar 1999 den kurdischen Befreiungskampf an. Er gilt nach wie vor als führender Stratege und wichtigster politischer Repräsentant der kurdischen Freiheitsbewegung. Seine in Isolationshaft verfassten Gefängnisschriften, in denen er den Paradigmenwechsel der PKK von einer nationalen Befreiungspartei hin zu einer radikaldemokratischen, multiethnischen und politisch offenen Basisbewegung für den gesamten Nahen und Mittleren Osten anstieß und die politische Philosophie des Demokratischen Konföderalismus begründete, haben seit 1999 weltweit große Beachtung gefunden. Mehrfach initiierte Öcalan einseitige Waffenstillstände der Guerilla und lieferte konstruktive Vorschläge für eine demokratische und politische Lösung der kurdischen Frage. Der letzte Dialog staatlicher Stellen mit ihm wurde 2015 einseitig von der türkischen Regierung beendet. Seitdem befindet sich Öcalan in nahezu vollständiger Isolation. Schon seit 2011 verwehrt die Regierung seinem Verteidigungsteam einen regelmäßigen und geordneten Zugang auf Imrali. Der letzte Anwaltsbesuch fand 2019 statt. Nach einem kurzen und aus unbekannten Gründen unterbrochenen Telefonat mit seinem Bruder Mehmet Öcalan am 25. März 2021 hatte Abdullah Öcalan gar keinen Kontakt mehr zur Außenwelt.

https://anfdeutsch.com/menschenrechte/cpt-widerspricht-eigenen-erklarungen-und-egmr-entscheidungen-42999 https://anfdeutsch.com/aktuelles/weiteres-besuchsverbot-fur-abdullah-Ocalan-und-mitgefangene-42995 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/cpt-isolation-auf-imrali-inakzeptabel-42988 https://anfdeutsch.com/aktuelles/appell-aus-frankreich-fordert-cpt-zum-handeln-auf-42472

 

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Filmvorführung von „Hêza“ in Jena

23. Juli 2024 - 12:00

In Jena ist auf Einladung der feministischen Organisierung „Gemeinsam kämpfen“ der Film „Hêza“ gezeigt worden. Die Veranstaltung fand im Rahmen der von der ezidischen Frauenbefreiungsbewegung TAJÊ zum bevorstehenden Jahrestag des Genozids und Femizids in Şengal initiierten Kampagne „Gegen Femizide – Seid die Stimme der Selbstverteidigung“ statt. Am 3. August 2014 jährt sich der von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verübte Angriff auf die ezidische Gemeinschaft zum zehnten Mal.

Fünfzehn Menschen waren gekommen, um „Hêza“ von Derya Deniz zu schauen. Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der Ezidin Suad Murad Xelef (Hêza), die zusammen mit 25 Mitgliedern ihrer Familie beim IS-Genozid vom 3. August 2014 verschleppt wurde. Ihr gelingt es zu fliehen und zu einer Kommandantin der YJŞ (Fraueneinheiten Şengals) zu werden. Als Kommandantin ist sie an der Befreiung von Raqqa, der Hauptstadt des selbsternannten IS-Kalifats, beteiligt.

Zu Beginn der Veranstaltung sprach eine Aktivistin über die Geschichte, Kultur und Religion der Ezid:innen, sowie über die tödlichen und mörderischen Angriffe durch den IS im Jahr 2014. Im Hinblick auf die TAJÊ-Kampagne wurde die enorme Kraft der Frauen, welche sich gegen den Femizid und Genozid organisierten, Selbstverteidigungsstrukturen aufbauten und gemeinsam den Wiederaufbau der gesellschaftlichen Strukturen Şengals vorantreiben, ins Zentrum gesetzt. Gleichzeitig gehen die Angriffe auf die Region kontinuierlich weiter und die gesellschaftlichen Strukturen des Wiederaufbaus werden aktuell durch tägliche Drohnenangriffe des türkischen Staates bedroht.

„Hêza“ bedeutet Stärke und genau diese wurde während dem Film allen Teilnehmenden deutlich. Der Film wurde in Nord- und Ostsyrien, Şengal und Raqqa gedreht und begleitet die Protagonistin Suad Murad Xelef, die mit großer Klarheit vom Überfall des IS, Hinrichtungen, ihrer eigenen Versklavung und Gefangenschaft, mehrmaligen Vergewaltigungen und schließlich ihrer Flucht aus den Händen der Terroristen, die mit der Hilfe einer kurdischen Familie gelang, erzählt. Als 2016 die Raqqa-Offensive zur Rückeroberung der Stadt begann, waren neben „Hêza“ auch viele andere ezidische Frauen beteiligt, um Rache zu nehmen und die Gefangenen des IS zu befreien, darunter viele Frauen.

Im Anschluss des Films beteiligten sich alle Teilnehmenden an einer Videokampagne, bei welcher die fünf Kernforderungen der Kampagne der TAJÊ vorgetragen wurden. Die ezidische Frauenbewegung fordert eine Anerkennung und Verurteilung des Femizids und Genozids im Şengal – macht gleichzeitig aber auch auf die große Stärke und Kraft der Frauen, welche den Wiederaufbau und die Verteidigung ihrer Region, ihrer Selbst und ihres Lebens jeden Tag vorantreiben, sichtbar. Sie zieht auch die Staaten Türkei und Irak zur Verantwortung, die gerade vehemente Angriffe gegen Şengal und andere Gebiete im Nordirak verübten. „Gemeinsam Kämpfen“ rief daher dazu auf, kreative Ausdrucksweisen zu finden, um sich mit den Kämpfen der Frauen im Şengal sowie der Kampagne von TAJÊ zu verbinden und die Kraft und Stärke der Ezidinnen in die ganze Welt zu tragen. Außerdem wurde dazu eingeladen, sich an den zentralen Demonstrationen, welche von ezidischen Vereinen in den Großstädten Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hannover und Berlin zum 3. August organisiert werden, teilzunehmen.

https://anfdeutsch.com/aktuelles/ezidinnen-aus-Sengal-zu-gesprachen-in-berlin-42620 https://anfdeutsch.com/kultur/sechste-auszeichnung-fur-dokumentation-heza-33233 https://anfdeutsch.com/kultur/heza-gewinnt-biff-preis-als-beste-dokumentation-31589

 

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Veranstaltung: „Befreite Bildung – Bildung zur Freiheit“

23. Juli 2024 - 12:00

Der Verein Städtepartnerschaft Oldenburg-Raqqa e.V. und die Kooperationsstelle Hochschule - Gewerkschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg laden ein zu einem Vortrag und Diskussion mit Dr. Carsten Krinn zum Thema „Befreite Bildung - Bildung zur Freiheit, Hochschulen in Nord- und Ost-Syrien“. Die Veranstaltung findet am Samstag, 17. August, um 16.00 Uhr im Vortragssaal der Uni-Bibliothek, Uhlhornsweg, statt.

In der Einladung schreiben die Veranstalter:innen:

„Seit 2012 wird in Rojava, dem mehrheitlich kurdischen Gebiet im Staate Syrien, und ab 2015 auch in weiteren anschließenden Gebieten in Nord- und Ostsyrien eine demokratische Selbstverwaltung unabhängig vom syrischen Baath-Regime von seinen kurdischen, arabischen und assyrischen Bewohner:innen gemeinsam vorangetrieben. Dieses basisdemokratische und dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtete Modell, das ein besonderes Augenmerk auf die Befreiung der Frauen legt, gilt vielen Menschen als richtungsweisend für die multiethnischen, multireligiösen Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens.

Eine große Rolle spielt dabei ein Bildungssystem, in dem neue Ansätze, frei von Hierarchie, Patriarchat, Gewalt und Nationalismus entwickelt werden - und das in einer Region, die von nationalistischen und religiös-extremistischen Kräften umgeben ist. Das radikal umgebaute Bildungssystem ist mehrsprachig, daher können arabische und erstmals auch kurdische und assyrische Schüler:innen in ihrer Familiensprache unterrichtet werden.

Es entstanden Universitäten in Qamişlo, Kobanê, Efrîn (seit 2018 türkisch besetzt) und Raqqa, die demokratischen Grundsätzen folgen. Und das trotz der täglichen militärischen Angriffe der Türkei, die auf eine Vertreibung der Bevölkerung abzielen, der andauernden Bedrohung durch den Terror des sogenannten Islamischen Staats, und der schwierigen ökonomischen und ökologischen Bedingungen.“

Fragen, die die Veranstalter:innen stellen, sind unter anderem: „Was ist anders und emanzipatorisch an diesem Bildungssystem? Kann dieses vielversprechende Bildungssystem Erfolg haben? Was sind die aktuellen Herausforderungen aus der Perspektive der Akteur:innen und Beobachter:innen?“

Der Referent Dr. Carsten Krinn ist Lehrbeauftragter an der Fakultät für Soziale Arbeit der Hochschule Esslingen und beschäftigt sich mit der Hochschullandschaft in den befreiten Gebieten. Im Herbst 2023 konnte er sich vor Ort ein Bild von den Anstrengungen der Menschen machen.

Die Veranstalter:innen

Der Verein „Städtepartnerschaft Oldenburg-Raqqa e.V.“ setzt sich für Völkerverständigung zwischen den Menschen in Deutschland und den Menschen in Nord- und Ostsyrien ein. Ein Schwerpunkt ist dabei die Partnerschaft mit der Stadt Raqqa. Weitere Informationen: https://ol-raqqa.de

Die Kooperationsstelle Hochschule - Gewerkschaften organisiert und moderiert den Dialog zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt und schafft lebendige Räume für Austausch und Vernetzung zwischen Hochschule, Gewerkschaften und einer interessierten Öffentlichkeit. Weitere Informationen: https://uol.de/kooperationsstelle

Titelbild: Universität Zanîngeha Şerq in Raqqa © ANF

https://anfdeutsch.com/aktuelles/stadtepartnerschaft-oldenburg-raqqa-stellt-sich-vor-40528 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/neue-universitat-fur-raqqa-zaningeha-Serq-29579 https://anfdeutsch.com/frauen/bildung-ist-die-grundlage-der-selbstverteidigung-42791 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/eine-wirkliche-revolution-lasst-sich-nicht-durch-einen-machtwechsel-bewerkstelligen-32826 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/kooperation-zwischen-universitaten-in-rojava-und-washington-24940 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/bildungssystem-von-rojava-ist-beispielhaft-4095 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/zwolf-jahre-revolution-in-rojava-42937

 

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Aldar Xelîl: Alternative Ökonomie durch Kooperativen aufbauen

23. Juli 2024 - 12:00

Als die Menschheit ihr Leben im Gleichgewicht mit der Natur verlor, entwickelte sich das Streben nach Macht und Herrschaft und wurde institutionalisiert. Mit der Entwicklung des Machtstrebens wandelte sich die Ökonomie von einem Mittel zum Leben hin zu einem Werkzeug zur Akkumulation von Macht. An die Stelle der Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse der Menschen ist die Orientierung an Profit und Herrschaft getreten. Das Funktionieren einer Ökonomie wurde nun an der Anhäufung von Profit bemessen. Die staatlichen Institutionen entwickelten sich verzahnt mit den als „Ökonomie“ definierten Aktivitäten und wurden im kapitalistischen Herrschaftssystem zum Instrument, um die Rahmenbedingungen für Raub und Ausbeutung zu sichern. Das kapitalistische System zielt auf die Zerstörung der sozialen Organisierung ab. Durch Entmachtung und Versklavung der Gesellschaft versucht es, seine Macht zu erhalten und Profite zu maximieren. Wenn wir also über Ökonomie sprechen wollen, dann müssen wir erkennen, dass die Macht der Gesellschaft alles genommen hat. Das bedeutet, die Gesellschaft wurde in eine Struktur ohne eigenen Willen und ohne eigene Ökonomie transformiert.

In Nord- und Ostsyrien ist ein revolutionärer Prozess im Gange, es findet ein gewaltiger Widerstand und Kampf gegen die Vernichtung statt. Die Entwicklungen in diesem Prozess können nur als historisch bezeichnet werden. Aber leider können gewünschten Schritte im Bereich der Ökonomie nicht in diesem Prozess mithalten. Die Kriegswirtschaft ist eine zwingende Notwendigkeit, um das Niveau der Verteidigung und des Widerstands steigern. Dafür ist jedoch der Aufbau einer gesellschaftlichen Ökonomie die Grundvoraussetzung. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Ökonomie bedeutet Organisierung und eine organisierte Gesellschaft ist die Voraussetzung für Freiheit und Selbstbestimmung.

Wenn es keine gesellschaftliche Ökonomie gibt, dann bedeutet das, dass jede und jeder Einzelne gezwungen wird, im kapitalistischen System zu arbeiten und Angestellter der Institutionen und Organisationen des Systems der kapitalistischen Moderne zu werden, sprich ein moderner Sklave im Dienste von Staat und Kapital zu werden. Um diese Situation zu überwinden und zu lösen, ist es notwendig, einen Kampf zur Veränderung des Bewusstseins zu entwickeln. Dieser Kampf muss darauf abzielen, ein freies Bewusstsein, das die Sklaverei nicht akzeptiert, zu schaffen. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, das die kollektive Arbeit und nicht die individuelle Sklavenarbeit als erstrebenswert betrachtet.

Der Organisierungs- und Entwicklungsprozess in den Gemeinschaften bedeutet, das soziale, gemeinsame und natürliche Leben wiederzubeleben und zu aktivieren. Gleichzeitig entwickelt sich so die Kraft der Selbstverwaltung und der eigenen Entscheidungsfindung in einer solchen Gemeinschaft. Wenn die Kommunen und Räte dieser Gemeinschaft aktiv sind, so kann diese Gemeinschaft auch eine soziale Ökonomie aufbauen. Dies setzt eine Wechselwirkung in Gang und stärkt wiederum die Kommunen und Räte und damit auch das System der gesellschaftlichen Demokratie.

So wichtig wie die Kommunen und Räte für die soziale Organisierung sind, so wichtig sind auch die Kooperativen als Form der gesellschaftlichen, kollektiven Wirtschaftsorganisation. Im Kooperativsystem gibt es keine Arbeiter und keine Angestellten. In Kooperativen arbeiten die Menschen gemeinsam an einem Ziel und ihnen gehört ihre Arbeitskraft selbst. Ganze Familien arbeiten kollektiv in den Kooperativen und sind alle Eigentümer ihrer Arbeit und alle werden in diesen Prozess eingebunden. In den Kooperativen entsteht eine Kultur der Solidarität und Liebe anstelle einer Kultur der Arbeit, die Kooperativen werden zu Zentren der Moral und der gesellschaftlichen Solidarität. Gleichzeitig entsprechen sie den materiellen Anforderungen der Gesellschaft. Damit sind Kooperativen ein wirksames Mittel gegen die moderne Sklaverei durch das kapitalistische System.

Das System der kapitalistischen Moderne basiert seit jeher auf dem freien Markt, dessen Grundregeln Profit und Monopol sind. Während auf dem freien Markt alle Formen von Raub und Ausbeutung erlaubt sind, ist es in der gesellschaftlichen Ökonomie genau umgekehrt: Anstelle von Profit und Monopol sollen die Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigt werden. Die Kooperative tritt also an die Stelle des freien Marktes. Anstelle des freien Marktes der kapitalistischen Moderne entsteht der gesellschaftliche Markt.

Wenn wir den Entwicklungsstand einer Revolution beurteilen wollen, müssen wir ihre Ökonomie betrachten, und um den Stand der Entwicklung der gesellschaftlichen Ökonomie zu verstehen, müssen wir das Importvolumen in Augenschein nehmen. Ein hohes Niveau des Außenhandels ist ein Zeichen der Schwäche, es zeigt, dass die Gesellschaft nicht produktiv ist, d.h. dass sie eine Konsumgesellschaft ist. Eine Gesellschaft ohne eigene Ökonomie wird nicht in der Lage sein, ihr eigenes demokratisches System zu errichten und frei zu leben.

Die gesellschaftliche Ökonomie stützt sich auf die historische Kultur der Mütter, die dörfliche und landwirtschaftliche Kultur. Mit anderen Worten, die gesellschaftliche Ökonomie entwickelt aus sich heraus auch das soziale Zusammenleben. Die Wirtschaft ist ihrem Wesen nach Kultur, Geschichte und Sozialisierung, aber leider hat die kapitalistische Moderne diese Definition verändert und verzerrt, indem sie Wirtschaft mit Geld und Profit identifiziert und diese neue Definition durchsetzt und legitimiert. Der Kapitalismus hat Privatuniversitäten im Bildungssystem eingeführt und Ausbeutung, Betrug, Diebstahl, Erpressung, Gewalt und Geld als Wirtschaft etabliert.

Wir sprechen von sozialer Revolution, wir sprechen von Freiheit, Demokratie, aber wir entwickeln die gesellschaftliche Ökonomie nicht, das widerspricht der Realität der Revolution. Wenn es den Wunsch gibt, ein demokratisches und freies System zu errichten, dann sollte die Basis der Revolution, die soziale Revolution durch die Rückkehr zum Dorfleben stattfinden, das sollte gestärkt werden und die Landwirtschaft sollte dafür unterstützt werden. Denn wenn sich die Landwirtschaft entwickelt, werden sich die Kultur der Mutter, die gesellschaftliche Kultur und die soziale Harmonie entwickeln. Wenn sich die Landwirtschaft entwickelt, wird die gesellschaftliche Produktion wachsen und die gesellschaftliche Ökonomie und die demokratische Revolution werden sich herausbilden.

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/xelil-die-turkei-will-die-konflikte-verscharfen-42646 https://anfdeutsch.com/frauen/selbstverteidigung-kann-nur-durch-kollektive-Okonomie-erreicht-werden-42918 https://anfdeutsch.com/frauen/rojava-frauen-spielen-fuhrungsrolle-in-der-Okonomie-41251 https://anfdeutsch.com/hintergrund/kck-kommunale-Okonomie-als-ganzheitlicher-ansatz-28683

 

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„CPT widerspricht eigenen Erklärungen und EGMR-Entscheidungen“

23. Juli 2024 - 10:00

Am Montag veröffentlichte ANF die Antworten des Europäischen Komitees zur Verhinderung von Folter (CPT) auf Fragen zur Situation auf Imrali, wo Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş total isoliert sind. Die Anwältin Raziye Öztürk kommentierte nun im ANF-Gespräch die Aussagen des CPT.

Das CPT hat seine Doppelmoral selbst demaskiert“

Öztürk kritisierte das CPT für sein Schweigen angesichts der Situation auf Imrali. Am 3. Juli hatte das CPT Aserbaidschan wegen „Mangel an Zusammenarbeit mit dem CPT seitens der aserbaidschanischen Behörden“ öffentlich gerügt und ein Verfahren eingeleitet. Ein solches Verfahren sei auch in Hinblick auf die Türkei notwendig, sagte Öztürk und erklärte: „Da die türkische Regierung den Empfehlungen [des CPT] nicht nachkommt, könnte das CPT ein Verfahren einleiten. Es unterlässt dies jedoch. Es tut so, als gäbe es hierfür keinen Artikel, aber die Entscheidung zu Aserbaidschan offenbart uns einmal mehr die Doppelmoral des CPT gegenüber der türkischen Regierung. Das CPT demaskiert sich selbst.“

Interview zeigt Erfolg der Proteste

Öztürk kritisierte, dass das CPT stattdessen an seiner alten protürkischen Haltung festhalte, das Interview aber zumindest ein Erfolg der Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan“ sei: „In der Tat behielt das CPT seine alte Haltung bei, so wie wir sie bei persönlichen Treffen kennengelernt hatten. Aber ich denke, dass die Tatsache, dass es der Presse ein Interview gegeben hat, auf die Proteste gegen das CPT und die Sitzstreiks vor dem CPT zurückzuführen ist.“

Die Aussagen des CPT widersprechen EGMR-Entscheidungen

Öztürk unterstrich, dass das zwar wichtig sei, aber das CPT tue so, als gäbe es keine schlechte Behandlung oder Misshandlung auf Imrali. Sie fuhr fort: „Das CPT hat den Standpunkt bezogen, dass es keine Misshandlungen von Seiten der Gefängnisverwaltung oder des Gefängnispersonals gebe und kritisiert nur den Punkt der Anwalts- und Familienbesuche. Dieser Punkt steht jedoch im Widerspruch zu den früheren Empfehlungen und Feststellungen des CPT und dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Denn der Punkt der schlechten Behandlung bzw. Misshandlung darf sich nicht nur auf das Verhalten des Personals gegenüber unseren Mandanten beziehen. Es gibt seit 40 Monaten kein Lebenszeichen mehr von unseren Mandanten. Das Abschneiden von jeder Kommunikation ist bereits ein Verstoß gegen die Menschlichkeit.“

Nicht einmal die Regeln für verschärften Vollzug werden befolgt“

Die Anwältin wies auch auf die Widersprüche in der CPT-Argumentation hin. So habe das CPT früher immer wieder erklärt, die Situation auf Imrali entspreche nicht den Menschenrechtsstandards: „Das CPT hatte zuvor erklärt, dass die Situation dort nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entspreche. Wenn wir uns Imrali anschauen, dann handelt es sich um ein Inselgefängnis, in dem ein System des verschärften Vollzugs angewandt wird. Aber es ist notwendig, hier festzustellen, dass nur dem Namen nach ein System des verschärften Vollzugs angewandt wird. Real haben unsere Mandanten nicht einmal die Rechte, die ihnen nach den Regeln des verschärften Vollzugs zustünden. Im verschärften Vollzug gibt es das Recht auf Familien- und Anwaltsbesuch. Es ist dort keine Rede von einer Einschränkung dieser Rechte. Es gibt zumindest in einem gewissen Sinne eine Verbindung nach draußen. Im Inselgefängnis Imrali gibt es jedoch nichts davon. Somit ist klar, dass es sich hier nicht nur um Misshandlung, sondern um Folter handelt. Das verschärfte Vollzugsregime wurde als Folter definiert. Es wird erklärt, dass dies gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße. Die Situation hier geht aber weit darüber hinaus.“

Die Verbindungen nach draußen sind komplett abgeschnitten“

Die Anwältin sprach auch über die soziale Dimension der Zustände auf Imrali: „Wir müssen dieses Thema als Ganzes betrachten. Wir sprechen davon, dass unsere Mandanten völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind. Damit sind die Angehörigen, die Gesprächspartner und insbesondere das kurdische Volk als Ganzes zu einem Opfer dieser Rechtsbeschneidung geworden. Aufgrund der Position und dem Charakter von Abdullah Öcalan als Repräsentanten des kurdischen Volkes, ist die gesamte kurdische Gesellschaft von dieser Isolation betroffen.“

Das CPT spielt der Türkei den Ball zu“

Die Rechtsvertreterin nahm anschließend Bezug auf die Aussage des CPT, es könne seinen Bericht nicht ohne die Zustimmung der Türkei veröffentlichen: „Wir haben diese Situation schon oft angesprochen. Ja, das mag aufgrund von Verfahrensweisen der Fall sein. Aber die türkische Regierung besteht beharrlich darauf, die Vorschläge und Empfehlungen des CPT nicht umzusetzen. In seinem Bericht von 2019 stellte das CPT fest, dass die Verhinderung von Anwaltsbesuchen nicht rechtmäßig ist und erklärte, dass Besuche in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden müssten. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir jedoch, dass dies nicht geschehen ist. Die Situation verschärft und verschlimmert sich stattdessen. Daher könnte das CPT ein Verfahren gegen die Türkei wegen Nichteinhaltung der Empfehlungen einleiten. Es unterlässt dies jedoch. Es tut so, als gäbe es hier keinen Artikel, aber die Entscheidung zu Aserbaidschan offenbart einmal mehr die Doppelmoral des CPT gegenüber der türkischen Regierung. Das CPT demaskiert sich selbst.“ Abschließend stellte die Anwältin fest, dass die Türkei nicht auf der Inspektionsliste des CPT für 2025 stehe und sagte abschließend: „Leider sehen wir, dass das CPT trotz all der üblen Praktiken versucht, Imrali von seiner Agenda zu nehmen.“

https://anfdeutsch.com/menschenrechte/cpt-isolation-auf-imrali-inakzeptabel-42988 https://anfdeutsch.com/hintergrund/bese-hozat-der-widerstand-zeigt-wirkung-42600 https://anfdeutsch.com/aktuelles/un-turkei-kann-illegale-isolationshaft-nicht-leugnen-42940 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/turkei-verwehrt-recht-auf-hoffnung-fur-abdullah-Ocalan-33805

 

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Minbic: Zwei türkische Aufklärungsdrohnen abgeschossen

23. Juli 2024 - 10:00

Seit Sonntag häufen sich die türkischen Angriffe auf Ortschaften um die selbstverwaltete nordsyrische Region Minbic. Eines der betroffenen Dörfer ist Toxar (Al-Tukhar).

Nachdem Kräfte des Militärrats von Minbic bereits in der Nacht zum Sonntag auf Montag mehrere Infiltrationsversuche gegen Toxar und weitere Dörfer in der Region zurückschlagen konnte, gelang es dem Militärrat am Montag, zwei kleine Aufklärungsdrohnen abzuschießen. Diese Drohnen sammeln Daten und Koordinaten für weitere Angriffe, aber insbesondere auch für türkische Artillerieangriffe. Allein in der Nacht zum Montag gingen mindestens 32 türkische Artilleriegranaten in der Region nieder.

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/minbic-soldnerangriff-zuruckgeschlagen-42989 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/minbic-mehrere-dorfer-unter-beschuss-42908 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/zivilist-bei-artillerieangriff-in-minbic-getotet-42717

 

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Kenan Ayaz: Die Europäer müssen sich ihrer Verantwortung für den Völkermord stellen

23. Juli 2024 - 8:00

Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg ist der Prozess gegen Kenan Ayaz wegen Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fortgesetzt worden. Offensichtlich hat die Vorsitzende Richterin Wende-Spohrs eingesehen, dass es keinen Sinn macht Kenan Ayaz daran zu hindern, seine Erklärung abzugeben. So konnte dieser am Montag einen größeren Teil seiner vorbereiteten Rede halten. Dennoch wurde er mehrmals von der Richterin unterbrochen, der es augenscheinlich ein Bedürfnis war, mitten in der Rede von Kenan Ayaz Terminvorschläge zu machen. Offenbar ist ihr klar geworden, dass die bisher anberaumten Termine nicht reichen werden, um das Verfahren abzuschließen. Wie der zyprische Anwalt Efstathios C. Efstathiou berichtete, drohte sie sogar Antonia von der Behrens, ihr die Kosten des Verfahrens aufzudrücken, sollte der Prozess wegen Terminschwierigkeiten platzen. „So etwas wäre auf Zypern nicht möglich“, kommentierte er sichtlich schockiert. Dabei hatte Wende-Spohrs selbst zwei volle Prozesstage nach wenigen Minuten bzw. einer Stunde beendet, weil sie wohl verhindern wollte, dass eine große Öffentlichkeit die Prozesserklärung hört.

Hilfe des Westens für den „kranken Mann am Bosporus“

Kenan Ayaz thematisierte in seiner Erklärung die Rolle Europas und insbesondere Großbritanniens in Kurdistan. Das Osmanische Reich, so Ayaz, habe gegenüber den Kurd:innen einen föderativen Ansatz verfolgt und auf Integration statt Assimilation gesetzt. So wären die kurdischen Fürstentümer mehr oder weniger autonom mit einer lockeren Beziehung zur Zentralmacht gewesen. Da das Reich jedoch im Westen ständig Gebiete verlor, versuchte es, seine Macht im Osten zu stärken. Der Westen unterstützte den „kranken Mann am Bosporus“, um ihn am Leben zu erhalten. Die selbständig gebliebenen kurdischen Fürstentümer seien in die Zange genommen worden.

„Großbritannien übernahm die Führungsrolle in der Ausbreitung der kapitalistischen Moderne“, führte Ayaz aus. Dies habe zur Homogenisierung der Nationalstaaten durch nationalistische Bewegungen von der zentralen westeuropäischen Hegemonie zur Peripherie geführt. Das Interesse Großbritanniens lag nach der Analyse von Kenan Ayaz darin, den Zusammenbruch des Reiches so lange wie möglich hinauszuzögern. Anstatt durch die Zerstörung des Osmanischen Reiches eine unüberwindbare und unkontrollierbare Situation zu schaffen, sei es für die Briten vorteilhafter gewesen, den Sultan und einen wichtigen Teil der Bürokratie an sich zu binden und so die Region zu kontrollieren.

„Als Großbritannien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Irak wegen der Route nach Indien und wegen des potenziellen Reichtums an Mineralien und Erdöl eroberte, verfolgte es eine grundsätzliche Politik, Kurden, Araber und Assyrer gegen die türkische Verwaltung und, was noch schlimmer war, gegeneinander auszuspielen“, beschrieb Ayaz das Dilemma.

Mit der Unterstützung des deutschen Militärberaters Moltke

Im Folgenden beschrieb Ayaz eine Reihe von Aufständen gegen den Kolonialismus in Kurdistan, die von verschiedenen Mîrs angeführt worden waren, so etwa den Aufstand in Rewandiz (auch Rewanduz) von Mîr Mihemed, Herrscher des Emirats Soran, der zwischen 1814 und 1832 große Teile Kurdistans unter Kontrolle bringen und ein unabhängiges Emirat schaffen konnte. Der Aufstand wurde jedoch mit Hilfe der Briten niedergeschlagen und Mîr Mihemed hingerichtet. Nach der Niederschlagung des Aufstandes sei es zu einem großen Massaker in Kurdistan gekommen. Viele kleine und große Emirate seien liquidiert und zerstört worden.

Auch auf die Rolle von Helmuth von Moltke ging Ayaz ein. Moltke war auf Einladung des osmanischen Kriegsministers Hüsrev Mehmed Pascha von 1836 bis 1839 Instrukteur der osmanischen Truppen und unterstützte diese bei der Unterwerfung kurdischer Fürstentümer, wie z.B. Garzan. Moltke beschrieb laut Ayaz in seinen Memoiren und Briefen, die grausamen Massaker an den unterworfenen Kurd:innen, Zivilist:innen und  Dorfbewohner:innen.

Kenan Ayaz, hier beim Prozessauftakt im November 2023, ist einer von zwölf Kurden, die momentan in Deutschland nach §§129a/b StGB in Untersuchungs- oder Strafhaft sind. Er wurde im März 2023 aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens in der Republik Zypern festgenommen, wo er seit 2013 als anerkannter politischer Flüchtling lebte. In der Türkei war er insgesamt zwölf Jahre im Gefängnis, seit gut einem Jahr befindet er sich im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Ihm wird vorgeworfen, von 2018 bis 2020 als PKK-Mitglied Gebiete in Deutschland verantwortlich geleitet und personelle, finanzielle und organisatorische Angelegenheiten koordiniert zu haben. Die Bundesanwaltschaft stützt sich dabei auf nicht hinterfragbare Geheimdienstinformationen und einseitig interpretierte SMS und Telefonate. © Mehmet Zeki Ekinci


Der Widerstand des Bedirxan Beg in Botan

Ein weiteres Fürstentum, welches laut Kenan Ayaz lange Widerstand gegen seine Unterwerfung leistete, sei das von Bedirxan Beg gewesen, der zwischen 1842 bis 1847 gegen die Zentralmacht gekämpft habe.

Die Bedeutung des Aufstandes von Bedirxan Beg liege darin, dass er sein Fürstentum kontinuierlich entwickelt und sich in Richtung einer modernen Staatsorganisation zubewegt habe, so Ayaz. „Es war eine frühe Nationalbewegung. Wäre sie nicht unterdrückt worden, hätte sie sich zu einem Nationalstaat entwickeln können. Die Ereignisse und die Politik, die sich unter der Führung von Bedirxan Beg entwickelten, sind auch für die heutige Zeit sehr lehrreich, da es sich um eine Bewegung handelt, die dem modernen Charakter am nächsten kommt“, beschrieb Ayaz den Befreiungsversuch Bedirxans. Nach der Niederschlagung jedoch sei Kurdistan nur noch ein geographischer Begriff gewesen.

Ein weiterer Aufstand sei 1878 von den Söhnen Bedirxans entwickelt worden, was dazu führte, dass diese neun Monate lang die Region Botan kontrollierten. Scheich Ubeydullah konnte laut Kenan Ayaz noch einmal eine starke Rebellion entfachen, zahlreiche Begs, Stammesführern und Würdenträger mobilisieren, bevor er durch Verrat gefangen genommen und nach Mekka verbannt wurde. „Die Bewegung von Scheich Ubeydullah war in weiten Teilen sowohl des osmanischen Reichs als auch des iranischen Kurdistans aktiv und nahm militärische Formen an. Die Unterstützung durch eine oder mehrere der damaligen Hegemonialmächte hätte ausgereicht, um ein offizieller Staat zu werden. Diese Unterstützung blieb jedoch aus“, erklärte Ayaz die Situation der Kurd:innen zur Zeit Scheich Ubeydullahs.

Agha, Scheich und Staat

Nach der Niederschlagung der feudalen Aufstände der Mîrs seien in Kurdistan neue elitäre Kategorien entstanden, fuhr Ayaz fort. Die Fürsten und Emire, die im Gedächtnis der Gesellschaft als Lösungsträger galten, seien in einem chaotischen Umfeld durch religiöse Führer ersetzt wurden.„Zum einen wurden die Mîrs durch eine Vielzahl großer und kleiner Aghas ersetzt, zum anderen rückte die Institution des Scheichtums in den Vordergrund. Zuvor war das Scheichat als religiöse Institution ein Status, der zwar spirituell respektiert wurde, aber im Vergleich zu den Mîrs von geringerer Bedeutung war“, führte Ayaz zur Situation nach der Niederschlagung der Rebellionen aus. Eine entscheidende Rolle habe der Nakschibendi-Orden gespielt, der sich in Kurdistan in kurzer Zeit verbreitet habe und die Rolle eines Bollwerks gegen mögliche Unabhängigkeitsbestrebungen einnahm. Die Scheichs füllten laut Ayaz die Autoritätslücke, die durch die Zerschlagung der Fürstentümer entstanden war. Ayaz vermutet, dass die Nakschibendi in Absprache mit den Osmanen versprochen hatten, Kurdistan in mehrere Teile aufzuteilen. „Diese Annahme lässt sich durch die Tatsache stützen, dass heute nahezu alle Nakschibendi-Scheichs von den USA und Großbritannien anerkannt und autorisiert sind“, so Ayaz.

Weiter beschrieb Ayaz die Etablierung des Aghatums, der Großgrundbesitzer. „Der Zusammenbruch der Emirate, die sich auf die ländliche Aristokratie stützten, wurde durch die Großgrundbesitzer ersetzt. Später wurde auch das Scheichat, eine stammesübergreifende Institution, wirksam. Zuvor hatten die Aghas auf dem Land der Emire in kleinem Umfang Landwirtschaft, Handel und Viehzucht betrieben. Mit dem Sturz der Emire schossen die Aghas wie Pilze aus dem Boden. Um diesen Prozess zu beschleunigen, schuf das Osmanische Reich mit dem Gesetz für Grund und Boden von 1858 die notwendigen Voraussetzungen“, erklärte Ayaz die Landnahme der heutigen Großgrundbesitzer durch das „Gesetz über Grund und Boden“, das den gesamten osmanischen Grundbesitz neu ordnete und dessen Erbschafts- und Eigentumsfragen klärte. Mit dieser Neuverteilung des Landbesitzes sei offiziell der autonome Status Kurdistans beendet worden. Die relativ authentischen kurdischen Eliten der Vergangenheit seien durch eine neue Klasse von Kollaborateuren und Verrätern ersetzt worden, die mit dem kapitalistischen System der Zukunft kompatibel waren.

Assimilation oder Versteinerung

„Viele Soziologen sind sich einig, dass die Politik des ‚Teile und Herrsche‘ eine der größten Katastrophen ist, die eine Nation in ihrer Geschichte erleiden kann. Denn die Politik des Teilens und Herrschens zersetzt das Gehirn der Nation und zerbricht ihr Skelett. Man sagt, dass ein Volk, das einen so schweren Schlag erlitten hat, sich nicht so leicht wieder erholen kann“, fasste Ayaz dies Phase zusammen. Um daraufhin auf die Entfremdung der Kurd:innen einzugehen, zitierte er Paulo Freire und Franz Fanon. Die Kurd:innen hätten sich als Folge der Unterdrückung selbst verleugnet. Man könne sich nicht an die die koloniale Situation gewöhnen, sondern müsse sie durchbrechen.

Hamidiye-Regimenter

Im nächten Teil ging Kenan Ayaz auf die negative Rolle der Hamidiye-Regimenter ein. Diese Regimenter (wörtlich „zu Hamid gehörend“) waren gut bewaffnete, irreguläre, hauptsächlich sunnitisch-kurdische Kavallerieformationen, die in den südöstlichen Provinzen des Osmanischen Reiches operierten. Die 1891 von Sultan Abdul Hamid II. gegründeten und nach ihm benannten Truppen wurden von den osmanischen Behörden eingesetzt, um die in den östlichen Provinzen des Reiches lebenden Armenier:innen anzugreifen und auszulöschen.

Kenan Ayaz deutet ihre Rolle folgendermaßen: „Die Hamidiye-Regimenter hatten verheerende Folgen für die kurdische Gesellschaft. Sie brachten die kurdische Oberschicht in Konflikt mit sich selbst, aber auch mit Armeniern, Assyrern und arabischen Stämmen. Damit war das negativste Stadium des kurdischen Kollaborationismus erreicht. Der westliche Kolonialismus, angeführt von Großbritannien, hatte den gefährlichsten Weg zur Vernichtung der griechischen, armenischen und assyrischen Völker der Region geebnet“, fuhr Ayaz fort. Er beschrieb, wie einige kurdische Stämme wie Schachfiguren benutzt wurden. Laut Ayaz wurde die Ideologie der islamischen Einheit benutzt, um aus den kurdischen Stämmen eine Reservearmee zu machen, die ihnen zur Verfügung stand. „Auf diese Weise hofften sie, die Kurden unter Kontrolle zu halten und durch sie die Autorität des Staates zu sichern, nationalistische Bewegungen nichttürkischer Ethnien, einschließlich des kurdischen Kampfes, zu verhindern und Unruhe in den Grenzgebieten zu Russland zu stiften.“ Diese Logik habe später dazu geführt, dass Stämme, von denen einige nicht einmal bekannt waren, bewaffnet und zu Dorfschützern gemacht wurden.

„Die Herrscher haben immer besondere Anstrengungen unternommen, um die Kontrolle über die von ihnen besetzten Gebiete zu erleichtern und die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern, indem sie einen Teil der Bevölkerung, die sich in den besetzten Gebieten niedergelassen hatte, auf ihre Seite zogen. Der erste Kollaborateur war auch der erste Dorfschützer“, so Ayaz.

„Wie bei den Hamidiye-Regimentern wurden die Dorfschützer für diese zersetzende Rolle des Verrats mit Gehältern belohnt. Die Gegensätze zwischen den Stämmen verschärften sich. Während sich die verfeindeten Stämme gegenseitig bekriegten, verloren sie das Bewusstsein, gegen die Besatzer vorzugehen, und gerieten in die Zange“, verglich Ayaz die Hamidiye-Regimenter und die sogenannten Dorfschützer, eine Konterguerilla, die 1985, ein Jahr nach dem Auftakt des bewaffneten Kampfes der PKK gegründet wurden, um kurdische Clans und Stämme im Kampf gegen die PKK zu bewaffnen.

Ayaz beschrieb im Weiteren die Massaker, die die Hamidiye-Regimenter an Armenier:innen begingen: „Die Tatsache, dass zwei Völker, die seit Jahrtausenden friedlich zusammenlebten, in die Falle tappten und sich gegenseitig vernichten sollten, zeigt, wie tief die Sittenlosigkeit der kollaborierenden kurdischen Eliten gesunken war. Es heißt, dass in den ersten Jahren des ersten und umfassendsten Genozids der kapitalistischen Moderne, allein zwischen 1895 und 1896, genau 300.000 Armenier massakriert wurden. Und viele davon gingen auf das Konto der Hamidiye-Regimenter. Mit anderen Worten, diese schreckliche Gräueltat wurde von den kurdischen Eliten begangen, die sich durch ihre Kollaboration selbst in den Abgrund des Verrats stürzten.“

 „Einheit und Fortschritt“

Laut Kenan Ayaz arbeiteten im Osmanischen Reich sowohl die jungtürkische Bewegung, das Komitee für Einheit und Fortschritt, als auch deren Nachfolger, die Partei für Einheit und Fortschritt (İttihat Terakki Partisi), mit westlichen Organisationen und Logen im Westen zusammen und wurden von diesen finanziert. Die Jungtürken putschten 1876 gegen die osmanische Verwaltung. Das Komitee für Einheit und Fortschritt übernahm das Erbe der Jungtürken und regierte das Land nach der Machtübernahme 1908 zehn Jahre lang durch Putsche und Krisen.

Zunächst sei diese Bewegung aber von Menschen aus vielen Völkern, wie Armeniern, Albanern und Griechen getragen worden, um das Unterdrückungsregime des Sultans Abdülhamit zu überwinden. „Diese osmanischen Pascha-Nationalisten riefen am 23. Juli 1908 die Freiheit gegen Abdülhamit aus. Ihr Slogan war ‚Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit für alle‘, doch schon bald hatten sie ihr wahres Gesicht gezeigt und mit der Ermordung der Armenier begonnen. Später rechtfertigten sie den Völkermord an 1,5 Millionen Menschen damit, dass die Armenier während des Krieges mit dem Feind kollaboriert hätten. Und nach den Armeniern waren die Kurden an der Reihe“, so Ayaz.

Nach der Machtübernahme habe die neue Regierung beschlossen, jegliche Opposition gegen sie zu beseitigen, jede abweichende Meinung zu unterdrücken. „Als Feind galt demnach jeder, der nicht dem Komitee für Einheit und Fortschritt angehörte“, betonte Ayaz. Zwangstürkisierung und der Aufbau einer stark zentralisierten Verwaltung habe begonnen und die Geheimorganisation Teşkilat-ı Mahsusa habe grausame Massaker verübt. Diese Mentalität wirke bis heute nach und werde als eine Art Genozidmaschinerie gegen die Völker eingesetzt.

An dieser Stelle betonte Ayaz noch einmal die Verantwortung der europäischen Hegemonialmächte, insbesondere Großbritanniens für die Etablierung einer faschistischen Elite, die nicht nur aus Türken bestand, sondern auch aus machthungrigen Nicht-Nationalen, die auf den Überresten der osmanischen imperialen Tradition standen. „Diese Elite wurde als kleiner Kreis von Herrschern eingesetzt, um als Völkermordmaschine gegen die Kulturen des Nahen Ostens, einschließlich der türkischen, vorzugehen.“ Es sei erforderlich, dass sich die Europäer ihrer Verantwortung stellten und nicht nur die Türken dafür verantwortlich machen.

Mit den Worten: „Das Komitee für Einheit und Fortschritt kann als Völkermordregime und Völkermordorganisation bezeichnet werden. Es kann als ein Regime charakterisiert werden, das den Krieg sowohl nach innen als auch nach außen führt. Die täglichen Ereignisse in der Türkei belegen diese These. Das Resultat eines Regimes, das sich in einem andauernden Zustand der Konfrontation mit der Gesellschaft befindet, ist ein Zustand der Krise und des Chaos, der als gefährlich zu bezeichnen ist“, schloss Kenan Ayaz den Prozesstag.

Weitere Prozesstermine:

Das letzte Wort von Kenan Ayaz könnte noch mehrere Tage andauern. Weitere anberaumte Termine sind am 29. Juli um 13:00 Uhr, am 30. Juli um 9:30 Uhr und am 19. August um 9:30 Uhr. Der Prozess findet im 1. Stock des OLG Hamburg am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288.

Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamens „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.

Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
20355 Hamburg

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
Stichwort: Free Kenan
IBAN: DE06200100200084610203

https://anfdeutsch.com/aktuelles/prozesserklarung-von-kenan-ayaz-ich-bin-kein-terrorist-42939 https://anfdeutsch.com/aktuelles/machtspielchen-der-richterin-im-fall-kenan-ayaz-42864 https://anfdeutsch.com/aktuelles/kollateralschaden-der-deutsch-turkischen-beziehungen-42767

 

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Neues Besuchsverbot für Abdullah Öcalan und Mitgefangene

23. Juli 2024 - 0:00

Gegen den auf der türkischen Gefängnisinsel inhaftierten PKK-Begründer Abdullah Öcalan ist ein weiteres dreimonatiges Kontaktverbot zu seinen Angehörigen erlassen worden. Das teilte die Anwaltskanzlei Asrin am Montag in Istanbul mit. Auch Öcalans Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş dürfen keinen Besuch von Familienmitgliedern empfangen. Die Anordnung erfolgte demnach durch das Vollstreckungsgericht Bursa. Die Behörde ist zuständig für alle Fragen im Zusammenhang mit der Gefängnisinsel Imrali, auf der Öcalan seit 1999 in politischer Geiselhaft sitzt.

Laut Asrin wurde das neuerliche Besuchsverbot mit einer neuen „Disziplinarstrafe“ begründet, die Anfang Juli gegen die Imrali-Gefangenen verhängt worden sei. Die Auskunft über diese Maßnahme erhielt die Kanzlei, die Öcalan seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung in die Türkei vor 25 Jahren juristisch vertritt, jedoch erst durch einen Besuchsantrag. Warum ihre Mandanten zum wiederholten Mal mit einer „disziplinarrechtlichen Maßnahme“ abgestraft wurden, darüber erteilte das Gericht dem Rechtsbüro allerdings keine Auskunft. Asrin hat angekündigt, Rechtsmittel einzulegen.

Die türkische Justiz erteilt in regelmäßigen Abständen Kontaktsperren in Höhe von drei oder sechs Monaten gegen die Imrali-Gefangenen, um ihren Kontakt zur Außenwelt zu unterbinden. Begründet wird das Vorgehen in der Regel mit vermeintlichem „Fehlverhalten“. Erklärungen, für welche Handlungen die Strafen verhängt wurden, sind eher selten. Mehrmals wurde jedoch die 2009 von Öcalan verfasste „Roadmap für Verhandlungen“, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Verteidigungsschrift vorgelegt wurde, für Besuchsverbote auf Imrali herangezogen.

Abdullah Öcalan befindet sich seit dem 15. Februar 1999 in türkischer Gefangenschaft. Seine Verschleppung aus Kenia in die Türkei erfolgte im Zuge einer internationalen Geheimdienstoperation, an der unter anderem der CIA und Mossad beteiligt waren. Der türkische Staat fungiert in internationaler Absprache als Gefängniswächter, um den kurdischen Vordenker von der Öffentlichkeit zu isolieren und seine Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaftsordnung zu unterdrücken. Der letzte Familienbesuch auf der Insel wurde im März 2020 abgesegnet. Ein Jahr später kam – bedingt durch eine internationale Protestwelle gegen die Isolation – ein Telefongespräch zwischen Abdullah Öcalan und seinem Bruder zustande, das nach wenigen Minuten aus unbekannten Gründen unterbrochen wurde.

Anwaltsverbot noch länger in Kraft

Das Anwaltsverbot für die Imrali-Gefangenen gilt sogar noch länger. Der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan hatte am 7. August 2019 stattgefunden. Seine Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş, die ebenfalls von der Istanbuler Kanzlei Asrin juristisch vertreten werden, haben seit ihrer Verlegung auf Imrali im Jahr 2015 noch nie mit ihrer Rechtsvertretung sprechen können.

https://anfdeutsch.com/menschenrechte/cpt-isolation-auf-imrali-inakzeptabel-42988 https://anfdeutsch.com/aktuelles/hozat-der-turkische-staat-will-uber-Ocalan-verhandeln-42927 https://anfdeutsch.com/aktuelles/Ocalans-freilassung-ware-ein-wichtiger-schritt-zum-frieden-42966 https://anfdeutsch.com/aktuelles/weiteres-besuchsverbot-gegen-imrali-gefangene-verhangt-42096

 

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Informationsdossier zum türkischen Annexionskrieg in Südkurdistan

22. Juli 2024 - 20:00

Die Türkei eskaliert derzeit ihre Aggression in der Kurdistan-Region des Irak (KRI). Das in Berlin ansässige kurdische Informationszentrum Civaka Azad e.V. hat ein Dossier herausgegeben, das einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im türkischen Annexionskrieg in der Region gibt. In dem Dokument wirft Civaka Azad auch einen Blick auf die Hintergründe der türkischen Besatzungsoperationen in der KRI, schlüsselt die dortigen Interessen der Regierung in Ankara auf und beschäftigt sich mit den regionalen und überregionalen Reaktionen auf das völkerrechtswidrige Vorgehen der Türkei.

Factsheet: Der türkischer Annexionskrieg in Südkurdistan

• Am 15. Juni 2024 hat das türkische Militär eine neue Offensive in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak (KRI) gestartet. Dies stellt eine weitere Eskalationsstufe im Vergleich zu bisherigen Operationen dar.

• Seit Beginn der neuen Angriffswelle hat die Türkei 381 Bombardierungen durchgeführt. Mehr als 6.800 Hektar Ackerland wurden durch die Angriffe verbrannt (Stand: 15. Juli 2024).

• Neun Dörfer, davon sieben mit christlicher Bevölkerung, wurden seither entvölkert, 184 Familien aus ihren Häusern vertrieben (Stand: 15. Juli 2024).

• Rund um die strategisch wichtige Stadt Amediye sind aktuell zahlreiche Truppen, schweres Gerät, Panzer und Artillerie stationiert.

• Zehn neue türkische Militärbasen wurden in den Regionen Amediye, Zaxo und Soran errichtet. Sie enthalten zusätzlich Checkpoints zur Überprüfung von Zivilisten, Ausweispapieren und Fahrzeugen.

• Unterstützung erfährt die Türkei bei der Offensive von der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK), die sich politisch und wirtschaftlich in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu Ankara befindet.

• Die irakische Zentralregierung hat keine klare Haltung zur völkerrechtswidrigen Invasion und Verletzung der Souveränität des Irak formuliert.

• Der völkerrechtswidrige Einmarsch des NATO-Mitglieds Türkei wird von der europäischen Politik und westlichen Medien weitgehend ignoriert, während die USA der Türkei de facto „grünes Licht“ gegeben haben.

• Der Einsatz von Panzern und der Bau neuer Militärstützpunkte deuten auf eine langfristige Annexionspolitik der Türkei hin, mit über 110 Militärbasen bis zu 35 Kilometer innerhalb des irakischen Territoriums.

• Verschiedene kurdische Akteur:innen in und außerhalb der Region fordern einen Stopp der Militäroffensive. Internationale Organisationen und die Staatengemeinschaft werden aufgefordert, die Kriegshandlungen der Türkei zu verurteilen. Zudem wird eine Rückkehr zu Verhandlungen des türkischen Staates mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan über eine politische Lösung der kurdischen Frage gefordert.

Der türkische Annexionskrieg in Kurdistan – Ein kurzer Überblick

Seit dem einseitigen Abbruch der Friedensgespräche (2013-2015) zwischen dem türkischen Staat und dem seit 25 Jahren in Isolationshaft gehaltenen Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, durch die türkische Regierung unter Erdoğan setzt Ankara auf eine Eskalation des Krieges in den kurdischen Siedlungsgebieten. Dieser Krieg beschränkt sich nicht auf die türkischen Staatsgrenzen. Die Türkei führt immer wieder groß angelegte Militäroffensiven in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak sowie in den selbstverwalteten Gebieten Nord- und Ostsyriens durch. Auch wenn Ankara diese Kriegshandlungen mit der angeblichen Präsenz der PKK begründet und sich auf das „Recht auf Selbstverteidigung“ beruft, zielen die Offensiven auf eine langfristige Annexion weiterer kurdischer Siedlungsgebiete. Der Einsatz hunderter Panzer deutet darauf hin, dass sich der Krieg auf die Städte konzentrieren wird, da in der gebirgigen Topografie, in der sich die Guerilla aufhält, keine Panzer eingesetzt werden können.

Türkische Soldaten und mit ihnen verbündete Dschihadisten kontrollieren seit 2018 auch die kurdische Region Efrîn (Afrin) und seit 2019 die Gebiete zwischen Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain) in Nordsyrien. In den besetzten Gebieten Nordsyriens, aus denen Menschenrechtsorganisationen regelmäßig über systematische Vertreibungen von Kurd:innen und unzählige andere Menschenrechtsverbrechen berichten, hat der türkische Staat inzwischen eigene Verwaltungsstrukturen errichtet.

Auch in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak setzt der türkische Staat auf eine langfristige Annexion der Gebiete. Die Errichtung von 110 Militärstützpunkten, die bis zu 35 Kilometer in irakisches Staatsterritorium hineinreichen, wird von internationalen Beobachter:innen als Teil einer langfristig angelegten Besatzungspolitik des Erdoğan-Regimes in der Region gewertet. Im Rahmen der beiden Operationen „Claw-Lightning“ (2021) und „Claw-Lock“ (2022) kam es immer wieder zu schweren Zusammenstößen mit Guerillakräften der PKK. Der türkischen Armee wird vorgeworfen, bei diesen Kämpfen immer wieder auch international geächtete Waffen wie chemische Kampfstoffe einzusetzen.

Zu den Kriegshandlungen in Kurdistan gehören von türkischer Seite regelmäßige Luftangriffe und tödliche Drohnenbombardements, die auch Zivilisten treffen. Diese Angriffe erstrecken sich auf Nord- und Ostsyrien sowie den Nordirak, wobei auch das Flüchtlingslager Mexmûr und die Region Şengal betroffen sind.

Am 15. Juni begann schließlich die bislang letzte Intervention in der Autonomen Region Kurdistan. Die neue Qualität zeigt sich bereits in ihrem Umfang: Der Angriff wird sowohl von Boden- als auch von Luftstreitkräften geführt, wobei bisher schätzungsweise 1.250 türkische Soldaten, 300 Panzer und verstärkte Luftangriffe zum Einsatz kamen. Seit Beginn hat die Türkei mindestens 381 Bombardierungen durchgeführt, vor allem durch Kampfflugzeuge, aber auch durch Artilleriebeschuss und Drohnen. Die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind erheblich, z.B. in Form von Vertreibung, Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und landwirtschaftlicher Nutzflächen. In diesem Jahr wurden in der Autonomen Region Kurdistan insgesamt neun Zivilisten durch diese Angriffe getötet und mindestens zwei weitere verletzt.

Panzerpräsenz, neue Militärposten und Straßenkontrollen deuten laut internationalen Beobachter:innen darauf hin, dass die türkische Armee mit dieser neuen Offensive eine langfristige Annexion des Gebietes einleiten will. Unterstützt wird die Türkei bei ihrer Offensive von der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK), die sich in einem engen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu Ankara befindet.

Die vom Barzani-Clan geführte PDK blockiert seit geraumer Zeit die Durchführung der ausstehenden Wahlen zum Regionalparlament Kurdistans. Dies geschieht, weil sie befürchtet, nicht mehr genügend Rückhalt in der Bevölkerung zu haben. Zudem wird berichtet, dass neben der türkischen Armee auch islamistische Milizen, die vor allem in Syrien rekrutiert wurden, zur Einschüchterung der Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Welche Interessen verfolgt die Türkei mit dem Kriegseinsatz?

Die erneute Eskalation des Krieges in Kurdistan folgt auf die erste Wahlniederlage Erdoğans bei den Kommunalwahlen am 31. März dieses Jahres. Faktisch befindet sich die türkische Lira aufgrund einer Inflationsrate von über 70 Prozent in einem instabilen Zustand. Das AKP-Regime versucht durch diplomatische Manöver, insbesondere von Außenminister Fidan und Wirtschaftsminister Şimsek, die Unterstützung verschiedener Mächte wie der NATO und der BRICS-Staaten zu gewinnen, um sich politisch zu positionieren und den Kampf gegen die Kurd:innen zu verstärken. Auch Erdoğan selbst versucht, westliche Verbündete in NATO und EU zur Hilfe zu zwingen.

Es ist eine bekannte Strategie der Regierung, mit außenpolitischen Manövern von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Der Krieg in Kurdistan hat sich dabei in der Vergangenheit als probates Mittel erwiesen. Während die eigene Armee im Kriegseinsatz „für das Vaterland“ ihr Leben riskiert, verstummt in der Regel auch die gesellschaftliche Kritik am Regierungsstil der Machthaber. Zudem braucht die AKP dringend Erfolgsmeldungen, um ihr angeschlagenes Image aufzupolieren. Erdoğan will nicht nur als der Staatschef in die Geschichte eingehen, der den militärischen Sieg im immerhin seit 1984 andauernden Kampf gegen die PKK verkünden kann. Er will mit seiner Annexionspolitik in Kurdistan auch derjenige sein, der die neoosmanischen Ambitionen seiner Anhänger:innen Wirklichkeit werden lässt.

Auf diplomatischem Parkett werden die Annexionspläne des türkischen Staates als „Pufferzone“ oder „Sicherheitszone“ dargestellt. Diese soll, so der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler, von der türkischen Grenze aus 30 bis 40 Kilometer tief in irakisches und syrisches Staatsgebiet hineinreichen. Angeblich soll eine solche Zone dazu dienen, „externe Bedrohungen“ abzuwehren und die Region zu stabilisieren. Gegenüber den europäischen Partnern verweist die Türkei darauf, dass in den syrischen Teil auch Flüchtlinge zurückgeführt werden könnten. Für die kurdische Bevölkerung bedeutet dies de facto eine groß angelegte ethnische Säuberung, wie im nordsyrischen Efrîn, wo seit 2018 bereits Hunderttausende vertrieben wurden.

Während es bei früheren türkischen Militäroffensiven in der kurdischen Autonomieregion zumindest verbale Proteste aus Bagdad gegen das Vorgehen Ankaras auf irakischem Territorium gab, scheinen diesmal zumindest Teile der Staatsführung mit dem Vorgehen der türkischen Armee einverstanden zu sein.

In Gesprächen auf höchster diplomatischer Ebene zwischen dem türkischen Außenminister und ehemaligen Geheimdienstchef Hakan Fidan und später dem türkischen Präsidenten Erdoğan wurde der Kampf des türkischen Staates gegen die Arbeiterpartei Kurdistans mit anderen wichtigen Themen wie dem Zugang zu Wasser, dem Ölexport und dem sogenannten Iraq Development Road Project verknüpft. Mehrere Kooperationsabkommen wurden geschlossen, darunter eines zur Behebung der akuten Wasserknappheit im Irak aufgrund türkischer Staudammprojekte. Im Gegenzug sicherte die irakische Regierung die Wiederaufnahme der Ölexporte in die Türkei zu, nachdem die Pipeline vor einem Jahr geschlossen worden war. Im Rahmen von Erdoğans Besuch wurde auch eine Absichtserklärung zwischen der Türkei, dem Irak, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten über die gemeinsame Zusammenarbeit beim 17 Milliarden Dollar schweren irakischen Entwicklungsstraßenprojekt unterzeichnet. Das Projekt sieht den Bau einer 1.200 Kilometer langen Straßen- und Eisenbahnverbindung vor, die den Irak zu einem wichtigen Transitknotenpunkt zwischen Asien und Europa machen und die Türkei mit dem im Bau befindlichen Hafen der irakischen Stadt Basra am Persischen Golf verbinden soll. Die geplante neue Handelsroute würde die geopolitische Bedeutung sowohl der Türkei als auch des Irak enorm aufwerten.

Hinter verschlossenen Türen dürfte Ankara jedoch die Zustimmung Bagdads zum Kampf gegen die PKK zur Bedingung für die Umsetzung des Projekts gemacht haben. Darauf deutet auch hin, dass die irakische Regierung unmittelbar nach dem Treffen Erdoğans mit al-Sudani ein offizielles PKK-Verbot verhängte. Somit gibt es zwar in Teilen der irakischen Regierung durchaus Zustimmung für das militärische Vorgehen des türkischen Staates im Nordirak, doch mehren sich auch die Stimmen, die dem Ganzen kritisch gegenüberstehen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen längerfristigen Besetzung von Teilen des irakischen Territoriums durch den türkischen Staat rufen immer mehr Parteien und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Autonomen Region Kurdistan, im Irak und darüber hinaus dazu auf, gegen die türkischen Annexionspläne Stellung zu beziehen.

Widerstand gegen die Besatzung wächst

Interessant ist, dass die aktuelle türkische Invasion in den türkischen Medien kaum Erwähnung findet. Dies deutet darauf hin, dass sich die türkische Regierung der Risiken des aktuellen Kriegseinsatzes bewusst ist. Bei der militärischen Niederlage gegen Kämpfer:innen der PKK bei der Operation Gare 2021 war auch innerhalb der Türkei die Kritik am militärischen Vorgehen des Staates laut geworden und hatte die Regierungs- und Militärführung des Landes in Bedrängnis gebracht. Eine Wiederholung dessen möchte Erdoğan vor dem Hintergrund seiner eigenen geschwächten Position im Land unbedingt vermeiden.

Der völkerrechtswidrige Einmarsch des NATO-Mitglieds Türkei wird in der europäischen Politik ebenfalls ignoriert und findet in den Medien kein Echo. Aus den USA wurde die Türkei aufgefordert, sich mit der irakischen Regierung und der Autonomen Region Kurdistan abzustimmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Äußerungen des US-Außenministeriums können allerdings auch als „grünes Licht“ interpretiert werden.

Der Nationale Sicherheitsrat des Irak hat zwar offiziell seine Ablehnung der türkischen Invasion verkündet und Außenminister Hussein hat sich für einen „breiteren regionalen Dialog“ ausgesprochen. In anderen Erklärungen unterstützten staatliche Stellen jedoch die Angriffe der Türkei auf die Autonome Region Kurdistan unter Verweis auf die Aktivitäten der PKK. Eine klare Haltung und konkrete Konsequenzen gegenüber der türkischen Besatzung sind nicht erkennbar.

Die First Lady des Irak, Shanaz Ibrahim Ahmed von der anderen großen kurdischen Partei im Irak, der Patriotischen Union Kurdistans (YNK), verurteilte daher in einem eindringlichen Appell an den Westen die anhaltende Invasion. Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, und drängte die kurdische Regionalregierung, der zunehmenden türkischen Besatzung eine klare Absage zu erteilen.

Auch eine Gruppe von Scheichs irakischer Stämme kommentierte die Angriffe mit den Worten: „Der türkische Staat besetzt die Region Kurdistan und unterstützt den IS“. In der Hauptstadt Bagdad protestierten Hunderte gegen die türkische Außenpolitik und das Schweigen der irakischen Zentralregierung, bezeichneten das Vorgehen als „Verletzung der irakischen Souveränität“ und forderten die Regierung auf, „Haltung zu zeigen“.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) verurteilte ebenfalls den militärischen Einmarsch der Türkei in Kurdistan und kritisierte die irakische Regierung für ihr Abkommen mit Ankara. Die KCK ruft die irakischen Intellektuellen und demokratischen Kräfte auf, sich dieser Übereinkunft zu widersetzen. Sie wirft der PDK in Hewlêr vor, den türkischen Streitkräften die Nutzung wichtiger Straßen und kontrollierter Gebiete zu erleichtern und der Türkei de facto widerstandslos die Verwaltung zu überlassen.

Eine Delegation des Kurdistan Nationalkongresses (KNK) hält sich in der Autonomen Region Kurdistan auf, um mit anderen Parteien und Organisationen über eine gemeinsame nationale Linie zu beraten. Dem Kongress gehören zahlreiche kurdische Organisationen an. In einem offenen Brief drückten sie ihre Besorgnis über die ausbleibende Reaktion auf die Militäraktionen und Menschenrechtsverletzungen der Türkei aus und forderten eine Intervention arabischer und westlicher Staaten, um den Annexionsplänen entgegenzuwirken.

Der Ständige Vertreter bei den Vereinten Nationen, Leonardo Rodriguez Perez, kritisierte die Militäraktionen der Türkei in Nordsyrien und im Irak, die zu massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen führten. Er forderte, die Türkei als Besatzungsmacht anzuerkennen, um sie völkerrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Perez betonte, dass die Isolationshaft des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı gegen alle Menschenrechtskonventionen verstoße und Folter darstelle.

Internationale Beobachter:innen gehen davon aus, dass ein militärischer Erfolg Erdoğans trotz des massiven Einsatzes von Truppen und moderner Waffentechnologie unwahrscheinlich ist, da die PKK in der Region als fest verankert gilt, ihre militärischen Fähigkeiten verbessert hat und erfolgreich türkische Drohnen bekämpft.

Politische Lösung der kurdischen Frage statt Eskalation des Krieges

Die Außenpolitik der Türkei ist zunehmend darauf ausgerichtet, von den sich verschärfenden Konflikten in der Region zu profitieren und ist eine Quelle der Instabilität. Das Erdoğan-Bahçeli-Regime will um jeden Preis die Misak-ı Milli-Strategie in Kurdistan umsetzen. Diese Strategie, die mit „Nationaler Pakt" übersetzt werden kann, wurde 1920 im Osmanischen Reich entwickelt und sieht türkisches Staatsgebiet einschließlich Thrakien, Rojava (Nordsyrien) und Südkurdistan (Nordirak) vor. Die Umsetzung dieses Plans wird zur weiteren Annexion kurdischer Gebiete in Syrien und im Irak, zur Verschärfung der regionalen Konfliktsituation sowie zur Vertreibung und Migration von Millionen Menschen führen.

Insbesondere die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in den türkisch besetzten kurdischen Gebieten und die weitreichende Zusammenarbeit mit dschihadistischen Kräften wie dem IS sind alarmierend.

Die PKK hat nach 2014 eine wichtige Rolle bei der Verteidigung von Regionen wie Kerkûk, Hewlêr und Şengal gegen den Islamischen Staat gespielt und Tausenden Eziden geholfen, über einen Korridor nach Syrien in Sicherheit zu gelangen. Ihr Widerstand gegen die Angriffe der Türkei kann als natürliche Pflicht und Recht auf Selbstverteidigung zum Schutz der Autonomen Region Kurdistan und der Souveränität des Irak betrachtet werden.

Der Kurdistan Nationalkongress fordert ein sofortiges Ende der völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei. Die internationale Gemeinschaft stehe in der Verantwortung, Erdoğans Expansionsbestrebungen Einhalt zu gebieten und für eine Deeskalation zu sorgen. Die Kurd:innen und andere Bevölkerungsgruppen in der Region verdienten eine bessere Behandlung, nachdem sie den IS besiegt haben und zu einer Quelle des Friedens und der regionalen Stabilität geworden sind.

Das Informationsdossier von Civaka Azad kann auch als PDF-Datei unentgeltlich heruntergeladen werden: https://civaka-azad.org/wp-content/uploads/2024/07/Tuerkischer-Annexionskrieg-Suedkurdistan_Dossier.pdf

 

https://anfdeutsch.com/kurdistan/erdogan-plant-kein-ende-des-krieges-in-kurdistan-sondern-dessen-eskalation-42928 https://anfdeutsch.com/aktuelles/krieg-ohne-aufmerksamkeit-knk-fordert-interventionen-gegen-ankara-42835 https://anfdeutsch.com/kurdistan/turkische-invasion-ngo-warnt-vor-vertreibungswelle-in-sudkurdistan-42823

 

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Zwei Guerillakämpferinnen bei feindlichem Angriff gefallen

22. Juli 2024 - 18:00

Die Guerillakämpferinnen Ronahî Dilxwîn und Arîn Tolhildan sind bei einem Angriff der türkischen Armee auf die Medya-Verteidigungsgebiete ums Leben gekommen. Das gaben die Volksverteidigungskräfte (HPG) am Montag in einer von ihrer Pressestelle veröffentlichten Erklärung bekannt. Der tödliche Angriff wurde den Angaben zufolge Mitte Juni verübt. Zu den persönlichen Daten der Gefallenen machten die HPG folgende Angaben:

                                    

Codename: Ronahî Dilxwîn

Vor- und Nachname: Vesile Duran

Geburtsort: Wan

Namen von Mutter und Vater: Dilber – Bişar

Todestag und -ort: 16. Juni 2024, Medya-Verteidigungsgebiete

 

 

Codename: Arîn Tolhildan

Vor- und Nachname: Dilan Öklü

Geburtsort: Wan

Namen von Mutter und Vater: Saadet – Hasan

Todestag und -ort: 16. Juni 2024, Medya-Verteidigungsgebiete

 

Ronahî Dilxwîn

Ronahî Dilxwîn wurde in der Provinz Wan (tr. Van) in Nordkurdistan geboren und gehörte einer dem kurdischen Befreiungskampf nahestehenden Familie an. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt vom Widerstand ihres Elternhauses und des familiären Umfelds gegen die in Kurdistan gültige Kriegs- und Unterdrückungspolitik des türkischen Staates. Mit dem Älterwerden fokussierte sie sich darüber hinaus auf die Reflexion und Infragestellung von Widersprüchen in der Sichtweise als Frau im Hinblick auf ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern in heteropatriarchal strukturierten Gesellschaften. Sie wollte gegen die Situation der Frau als unterdrücktes Geschlecht angehen und erkannte für sich, dass der Guerillawiderstand Frauen die Möglichkeit bietet, alle bestehenden Verhältnisse umzuwerfen und den Schritt zu vollziehen, um den es geht: Vom Objekt einer Zurichtung zum Subjekt des Lebens und einer freien Zukunft zu werden.

 


Den Weg in die Berge ging Ronahî Dilxwîn 2014. Sie schloss sich in ihrer Geburtsregion Wan der Guerilla an und wechselte anschließend in die Medya-Verteidigungsgebiete. Nach militärischen Ausbildungsprogrammen vertiefte sie ihre intellektuellen, politischen und ideologischen Fähigkeiten. Anschließend war sie für die Verbände freier Frauen (YJA Star) in verschiedenen Bereichen des Widerstands aktiv, darunter im Auf- und Ausbau von Guerillainfrastruktur wie etwa den unterirdischen Tunnelanlagen, aber auch als „Missionsträgerin“ sowie als Kämpferin der Spezialeinheiten. An den Fronten des „heißen Krieges“ kämpfte sie seit Beginn der türkischen Besatzungsoperation in Metîna, Zap und Avaşîn im April 2021.

 


Arîn Tolhildan

Arîn Tolhildan kam ebenfalls aus Wan. Ihre Eltern gehören dem Stamm der Zêvkî an, der zu den alteingesessenen Familienkonföderationen in der Botan-Region zählt. Dadurch wuchs sie in einem aus Tradition widerständigen Umfeld auf und wurde früh Zeugin der kolonialen Realität in Kurdistan. Kopfschmerzen bereiteten ihr auch die Widersprüche bezüglich der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Nach ihrer Auffassung waren Frauen Opfer von moderner Sklaverei, die jeden Aspekt des sozialen Lebens durchdrang. Sie selbst sehnte sich nach einer ganz anderen, kommunalen Realität fern von Macht, Unterdrückung und Profitgier.

 


Während sie sich intensiv mit diesen Gedanken auseinandersetzte, demonstrierte der Widerstand von Kobanê gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) einen radikalen Wechsel vom Patriarchat zur Gleichberechtigung. Es waren Frauen, die dort an vorderster Front gegen die Schergen des IS kämpften. Diese Tatsache beeindruckte Arîn Tolhildan. Bei ihr bestand von Anfang an ein Bewusstsein dafür, dass der Aufbau einer freien Gesellschaft nur auf der Grundlage von Frauenbefreiung und auch nur dann gelingen kann, wenn dieses Kriterium in der gesellschaftlichen Moral verankert wird. Als sich während des Kampfes um Kobanê dann auch die staatlichen Angriffe der Türkei in Nordkurdistan intensivierten, fasste sie den Entschluss, für ihre Ideale in der Guerilla zu kämpfen.

 


Kurz nach ihrer Ankunft in den Bergen und einer ersten Grundausbildung im militärischen Bereich wechselte Arîn Tolhildan an die Kriegsfront. Es war das Jahr 2015, als der türkische Staat den Dialogprozess mit dem kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan einseitig beendete und den Vernichtungskrieg gegen die von der PKK angeführte Freiheitsbewegung in Kurdistan einleitete. Als sie 2019 dann ihren Bruder Tolhildan (Vedat Öklü) verlor, der als Guerillakämpfer in der Besta-Region ums Leben kam, ging sie auf eigenen Wunsch an die Front, wo sie bis zu ihrem Tod im Einsatz war. Die HPG beschreiben Arîn Tolhildan und Ronahî Dilxwîn als zwei mutige und selbstlose Revolutionärinnen, die bis zum letzten Moment die Militanz der PKK und PAJK repräsentierten. „Sie waren Verfechterinnen eines freien Lebens auf Grundlage der Frauenbefreiung. Als HPG werden wir uns Hevala Arîn und Hevala Ronahî stets verbunden fühlen. Ihren Familien und der kurdischen Bevölkerung sprechen wir angesichts des Verlusts unserer Weggefährtinnen unser Mitgefühl aus.“

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Mutmaßlicher IS-Geheimpolizist in Dresden vor Gericht

22. Juli 2024 - 15:00

Vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden hat am Montag der Prozess gegen einen Iraker begonnen, der als sogenannter Geheimpolizist in verschiedenen Einheiten des Sicherheitsapparats der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gearbeitet haben soll. Der 33-Jährige war im November vergangenen Jahres im sächsischen Freiberg festgenommen worden. Seither sitzt er in Untersuchungshaft.

Zunächst wurde nur die Anklage der Bundesanwaltschaft verlesen. Diese wirft Iyad A.-J. vor, sich im Jahr 2013 im Irak dem IS angeschlossen zu haben. Später habe er sich als Söldner der Terrorgruppe betätigt und auch an den Kämpfen um die nördlich von Tikrit gelegene Erdölraffinerie Baidschi im Jahr 2014 teilgenommen. Die größte Ölraffinerie des Landes war damals monatelang umkämpft. Als Belohnung für seinen Einsatz soll A.-J. vom ehemaligen IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi persönlich eine Pistole der Marke Glock und 2.000 US-Dollar erhalten haben.

Als Geheimpolizist im IS-Sicherheitsapparat soll A.-J. zwischen 2014 und 2017 im Nordirak gearbeitet haben. Dieser Bereich sei für den IS besonders wichtig gewesen, weil er die Funktion eines Nachrichtendienstes wahrgenommen habe, erklärte die Bundesanwaltschaft bei der Anklageerhebung im Mai. Für diese Tätigkeit soll A.-J. einen monatlichen Lohn erhalten haben. Zuletzt sei er in einer Abteilung tätig gewesen, die mit der Rüstungsproduktion befasst war.

Wann genau Iyad A.-J. nach Deutschland kam, ist unklar. Zuletzt lebte er in einer Asylbewerberunterkunft in der zwischen Dresden und Chemnitz gelegenen Bergstadt Freiberg, wo er auch festgenommen wurde. Verhandelt wird gegen wegen des Vorwurfs, Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Ausland gewesen zu sein. Der Senat setzte vorerst sieben weitere Verhandlungstermine bis Mitte September an.

Foto: YPJ-Kämpferinnen bewachen Dschihadisten, die sich im Februar 2019 in der Nähe von Deir ez-Zor während dem finalen Sturm der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) auf das sogenannte IS-Kalifat ergeben haben (c) YPG Press

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Festnahmen nach nächtlicher Hausdurchsuchung in Wan

22. Juli 2024 - 15:00

In der kurdischen Provinz Wan (tr. Van) sind drei Personen mutmaßlich unter Terrorvorwürfen festgenommen worden. Unklar blieb allerdings, ob es sich dabei um die vermeintlichen Verdächtigen handelt. Zu den Festnahmen kam es am frühen Montagmorgen im Zuge einer nächtlichen Razzia in einem Wohnhaus im zentralen Bezirk Rêya Armûşê (Ipekyolu). Eine Einheit der türkischen Polizei brach die Eingangstür der unteren Wohnung eines zweistöckigen Gebäudes mit einem Rammbock auf und verwüstete die Räumlichkeiten, die Eigentümer waren nicht anwesend. Anschließend klingelten die Beamten in der oberen Wohnung und nahmen drei Bewohner in Gewahrsam. Auf welche Wache sie gebracht wurden und womit die Festnahmen konkret begründet werden, ist nicht bekannt.

Fast täglich Operationen und Festnahmen

In den kurdischen Provinzen der Türkei finden nahezu täglich Festnahmeoperationen statt. Insbesondere wer sich politisch, sozial oder zivilgesellschaftlich engagiert, weiß beim Einschlafen nie, ob am Morgen die Wohnungstür von der Polizei eingeschlagen wird. In der Regel sind es Aktive und Handelnde der HDP-Nachfolgerin DEM und ihre Anhängerschaft, die aus dem Weg geräumt werden sollen. Der drittgrößten Kraft im türkischen Parlament wird Verbundenheit mit der PKK vorgeworfen. Die Partei weist die Vorwürfe zurück und kritisiert das Vorgehen gegen ihre Mitglieder und Unterstützende als politisch motiviert.

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