«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Efrîn: Widerstand der Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt
Auf der von den Frauendachverbänden Kongra Star und Zenobiya ausgerichteten Konferenz in Hesekê hat die Kommandantin der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), Rohilat Efrîn, die Rolle der Frau im syrischen Umbruch betont. Der Frauenkampf sei längst nicht mehr nur ein Thema der Geschlechterfrage, sondern „zum Widerstand der gesamten Gesellschaft“ geworden, sagte sie am Samstag auf der Zusammenkunft, die unter dem Motto „Die Einheit der Frauen ist Grundlage für Gerechtigkeit und Demokratie in einem föderalen Syrien“ steht.
Mühsam erkämpfte Freiheit
„Unsere Freiheit ist das Ergebnis eines langen Kampfes – eines Kampfes, der Verstand und Widerstandsgeist gleichermaßen erfordert“, sagte Efrîn mit Blick auf die Entwicklung der Frauenbewegung in Nord- und Ostsyrien seit Beginn der Krise im Jahr 2011. Die Revolution sei nicht nur ein politischer Aufstand gewesen, sondern auch ein „soziales und humanitäres Projekt“.
Frauenverteidigung als gesamtgesellschaftlicher Schutz
Efrîn betonte, dass sich die Idee der Selbstverteidigung über ethnische und religiöse Grenzen hinweg ausgebreitet habe: „Die freie Willensbildung der Frauen ist heute zur kollektiven Kraft aller Frauen in Syrien geworden.“ Die Frauenrevolution diene nicht nur dem Schutz der Frauen, sondern der gesamten Gesellschaft.
Mit Blick auf gezielte Angriffe gegen Frauen in Regionen wie Suweida im Süden und Latakia im Westen sagte Efrîn: „Diese Übergriffe zielen darauf ab, den Willen der Frauen – und damit der Gesellschaft – zu brechen. Die Stärkung der Selbstverteidigung ist daher von existenzieller Bedeutung.“
YPJ als militärische und ideologische Kraft
Die YPJ seien „nicht nur eine militärische Organisation“, so Efrîn weiter, „sondern auch eine geistige, politische Kraft“. Verteidigung bedeute „den Schutz von Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit“. Besonders in Gebieten wie Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain), die unter türkisch-dschihadistischer Besatzung stehen, habe sich gezeigt, dass fehlende Selbstverteidigungsstrukturen zu „hohen gesellschaftlichen Kosten“ führen könnten.
Der Widerstand ist keine Option, sondern Notwendigkeit
Zum Abschluss ihrer Rede sagte die YPJ-Kommandantin: „Widerstand ist keine Wahl, sondern Bedingung für unser Überleben. Jeder Angriff auf Frauen ist ein Angriff auf die Gesellschaft insgesamt – und eine Gelegenheit, unsere Entschlossenheit erneut unter Beweis zu stellen.“ Die YPJ sei heute „die gemeinsame Armee aller Frauen Syriens“.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauenkonferenz-in-heseke-fordert-demokratische-verfassung-48036
Musa-Anter-Preis für Journalismus verliehen – Grußwort von Abdullah Öcalan
In Istanbul ist am Samstagabend zum 32. Mal der Journalismuspreis zum Gedenken an Musa Anter und die Gefallenen der freien Presse verliehen worden. Die Veranstaltung fand im Cem-Karaca-Kulturzentrum im Stadtteil Bakırköy statt. Ausgezeichnet wurden Beiträge in sechs Kategorien – darunter Nachrichtenbeiträge, Fotografie, Video, Karikatur und Frauenjournalismus – jeweils in türkischer oder kurdischer Sprache.
Die Preise werden jährlich von der Tageszeitung Yeni Yaşam vergeben. Sie erinnert an den Journalisten, Dichter und Schriftsteller Musa Anter, der am 20. September 1992 in Amed (tr. Diyarbakır) im Auftrag des türkischen Staates ermordet wurde.
Breite Teilnahme aus Zivilgesellschaft und Medien
An der diesjährigen Zeremonie nahmen zahlreiche Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien teil – darunter der Demokratische Kongress der Völker (HDK), die DEM und DBP, der Menschenrechtsverein IHD, die Kanzlei Asrin sowie Aktivistinnen der Frauenbewegung TJA. Auch Angehörige getöteter Medienschaffender waren anwesend. Begleitet wurde die Preisverleihung von einer Ausstellung historischer Pressefotografien. Ein Banner mit der Aufschrift „Ihre Erinnerungen weisen uns den Weg“ erinnerte an Musa Anter, Gurbetelli Ersöz und viele weitere Journalist:innen, die in den vergangenen Jahrzehnten getötet wurden.
Reden über Pressefreiheit und Friedensjournalismus
Mehrere Redner:innen würdigten den Einsatz der freien Presse und riefen zu einer stärkeren Orientierung am Friedensjournalismus auf. Der Journalist Ahmet Güneş betonte die Rolle unabhängiger Medien in Konfliktregionen und forderte eine klare Abgrenzung von „sensationsgetriebener Kriegsberichterstattung“. Die Presse müsse zu einem „Sprachrohr für den Frieden“ werden, so Güneş.
Meral Danış Beştaş
Auch der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tuncer Bakırhan, und die HDK-Sprecherin Meral Danış Beştaş sprachen bei der Veranstaltung. Beide erinnerten an das Vermächtnis Musa Anters und riefen dazu auf, dessen Engagement für Meinungsfreiheit und Minderheitenrechte fortzusetzen.
Die Friedensmütter erklärten in einer Rede, dass sie sich weiterhin für eine politische Lösung der kurdischen Frage einsetzen wollen. „Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten, bis Demokratie und Frieden in dieses Land zurückkehren“, sagte Sprecherin Rewşan Döner.
Botschaft von Abdullah Öcalan
Ein weiterer Höhepunkt war ein Grußwort des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan, der die Rolle der unabhängigen Medien im demokratischen Wandel betonte. In dem auf den 15. September datierten Schreiben bezeichnet Öcalan die Arbeit der freien Presse als „eine historische Verantwortung“ im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels.
„Wenn das Wort sich mit der Wahrheit verbindet, entfaltet es Wirkung – es wird schöpferisch und richtungsweisend“, schreibt Öcalan. In diesem Sinne sei es Aufgabe verantwortungsvoller Medienschaffender, einen „aktiven und beitragenden Part“ im Aufbau einer demokratischen Gesellschaft einzunehmen.
Angehörige von Nazım Daştan und Cihan Bilgin
Erinnerung an Musa Anter
In dem Brief erinnert sich Öcalan auch an eine Begegnung mit Musa Anter. „Ich sah Musa Anter zum ersten Mal in den 1970er Jahren in einem Verein in Istanbul. Es war das erste und zugleich letzte Mal, dass ich ihm persönlich begegnet bin“, so Öcalan. Er beschreibt das damalige politische Klima als von starker Repression gegenüber kurdischer Identität geprägt. „Der Name ‚Kurde‘ allein war schon Grund, alles zu verlieren. Der gesamte gesellschaftliche Raum war von Leugnung durchdrungen“, schreibt Öcalan. „In dieser Atmosphäre entschied ich mich bewusst, das Wort ‚Kurde‘ zu benutzen – und ich tat es.“
Über Anter sagt er: „Apê Musa war nach dem Zweiten Weltkrieg vielleicht der einzige aufrichtige Patriot. Er handelte wie eine Partei – ganz allein, über ein halbes Jahrhundert hinweg.“ Anter habe zwar keine Partei gegründet, aber über Literatur versucht, die kurdische Identität zu thematisieren. „Was Yaşar Kemal für die türkische Literatur war, war er für die kurdische.“
Öcalan verweist in seiner Botschaft auch auf den aktuellen Prozess und spricht von einer laufenden Phase zum Aufbau einer „friedlichen und demokratischen Gesellschaft“. Deren Erfolg hänge von ernsthafter Anstrengung ab. „Meine Hoffnung und mein Glaube an den Erfolg sind groß“, erklärt er. Zum Abschluss würdigt Öcalan die Arbeit der freien Presse und erinnert an alle getöteten kurdischen Journalist:innen: „Ich verneige mich vor den Gefallenen der freien Presse mit Respekt und wünsche allen, die dem Weg Musa Anters folgen, viel Erfolg bei der Verwirklichung ihrer Ideale.“
Der Künstler Haluk Tolga
Preisträger:innen 2025
In der Kategorie türkischsprachige Nachricht wurde Adem Özgür (Bir+Bir Express) für seinen Beitrag „Reise ins fremde Land – Welatê Xerîbîye“ ausgezeichnet. Da sich Özgür im Exil befindet, wurde der Preis stellvertretend von Kollegen entgegengenommen.
Der Sonderpreis der Jury ging an Cengiz Karagöz (HalkTV.com.tr) für eine Reportage über mutmaßliche Übergriffe in einer Polizeiwache in Mersin.
In der Kategorie Videojournalismus wurden Tunca Öğreten und Murat Baykara (Voys Media) für ihr Interview zur Lage in einem Istanbuler Polizeirevier ausgezeichnet.
Die Auszeichnung für das beste Pressefoto erhielt Zana Deniz für eine Aufnahme zum Thema Migration. Die Ehrung nahm Journalist Aziz Oruç stellvertretend entgegen.
Im Bereich Karikatur gewann Nuri Doğan mit der Arbeit „Keine Trauer“. Ein weiterer Preis ging an den inhaftierten Zeichner Mahmut Ulusan, dessen Beitrag aus dem Gefängnis eingereicht wurde.
Der Sonderpreis in der Kategorie Frauenjournalismus ging an Elfazi Toral (Jin News) für ihre Reportage „Der Kampf um Frieden – Masche für Masche“. Sie würdigte insbesondere die Rolle der Friedensmütter als „Symbol des Widerstands und der Hoffnung“.
Ehrenpreis für ermordete Medienschaffende
Ein Ehrenpreis wurde posthum den beiden im Dezember 2024 in Nordsyrien bei einem gezielten türkischen Luftangriff getöteten Journalist:innen Cihan Bilgin und Nazım Daştan verliehen. Ihre Familien nahmen die Auszeichnung entgegen. Die Laudatio hielt der Journalist Ender Öndeş, der betonte, dass „ihr Engagement für die Wahrheit Teil einer langen Tradition sei“.
Zum Abschluss der Veranstaltung traten der Künstler Haluk Tolga und die Musikgruppe Koma Vejîn auf.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/33-jahre-ohne-musa-anter-48031
Friedensmütter fordern Umsetzung des „Rechts auf Hoffnung“
Der Rat der kurdischen Friedensmütter hat die Entscheidung des Ministerkomitees des Europarats zur Situation von Abdullah Öcalan und anderen lebenslänglich Inhaftierten scharf kritisiert. Bei einer Pressekonferenz in der Regionalstelle der Partei der Demokratischen Regionen in Izmir (DBP) forderten die Frauen, die Europäische Menschenrechtskonvention konsequent anzuwenden und das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ unverzüglich umzusetzen.
Das Ministerkomitee des Europarats hatte auf seiner Sitzung vom 15. bis 17. September die Haftbedingungen von Öcalan und weiteren Gefangenen thematisiert, die in der Türkei ohne Aussicht auf Entlassung lebenslänglich inhaftiert sind. Ankara wurde dabei eine Frist bis Juni 2026 eingeräumt, um gesetzliche Änderungen vorzunehmen – unter anderem zur Einführung realistischer Perspektiven auf eine Haftentlassung.
„Zögern ist inakzeptabel“
Peyruze Kurt, Sprecherin des Rates der Friedensmütter in Izmir, bezeichnete die Fristverlängerung als „inakzeptabel“: „Seit Jahrzehnten fließt das Blut unserer Kinder. Frieden ist nur möglich, wenn der Wille dazu ernsthaft umgesetzt wird – nicht durch weitere Verzögerung. Das Hoffnungsrecht muss jetzt angewandt werden.“
Kurt verwies auf den stockenden Prozess für eine Lösung der kurdischen Frage und warf sowohl der türkischen Regierung als auch internationalen Institutionen Untätigkeit vor: „Die PKK hat sich einseitig entwaffnet, Öcalan hat sich für eine politische Lösung eingesetzt – und dennoch schweigt man oder vertagt Entscheidungen.“
Öcalans Rolle im Friedensprozess betont
Die Friedensmütter forderten, Abdullah Öcalan als politischen Akteur und Repräsentanten breiter Teile der kurdischen Bevölkerung anzuerkennen. Seine fortgesetzte Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali sei menschenrechtlich nicht haltbar, so Kurt. Ohne seine Beteiligung sei ein stabiler Frieden nicht möglich.
„Öcalans Stimme wird gebraucht, wenn von Frieden, Verfassung und Zukunft die Rede ist. Wir fordern seine physische Freiheit, menschenwürdige Haftbedingungen und die Freilassung aller politischen Gefangenen.“
Aufruf an die internationale Gemeinschaft
In ihrer Erklärung richteten die Friedensmütter auch deutliche Worte an den Europarat: „Es reicht nicht, Fristen zu setzen. Es braucht klare politische Signale an die Türkei – für Rechtsstaatlichkeit, für Gleichberechtigung, für Frieden. Der Europarat muss seinem Mandat gerecht werden.“
Auch an die Türkei ging ein Appell: Die Regierung solle nicht weiter auf Repression setzen, sondern mit den Vertreter:innen der kurdischen Gesellschaft in einen echten Dialog treten. „Wir haben als Mütter unseren Teil getan“, sagte Peyruze Kurt zum Abschluss. „Jetzt ist die Zeit für mutige, gerechte und klare Entscheidungen. Für ein Ende des Blutvergießens und für einen gerechten Frieden.“
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kcdk-e-europarat-muss-verfahren-gegen-turkei-einleiten-48024 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-fordert-umsetzung-des-egmr-urteils-recht-auf-hoffnung-gesetzlich-verankern-48014 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/weitere-frist-fur-turkei-bezuglich-recht-auf-hoffnung-48002
Rashid Khalidi: Öcalans Appell ist eine historische Chance für Frieden
Der palästinensisch-amerikanische Historiker und Nahostexperte Prof. Rashid Khalidi hat den Friedensappell des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zur Lösung der Kurdistan-Frage in der Türkei begrüßt. In einer Botschaft an die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) sprach Khalidi von einer „Chance, die nicht verpasst werden darf“.
Öcalan hatte am 27. Februar aus seiner politischen Geiselhaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali heraus einen „Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft“ formuliert und die von ihm begründete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Beendigung des bewaffneten Kampfes zugunsten einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage aufgerufen. Die PKK verkündete daraufhin im Mai ihre Selbstauflösung. Vergangenen Juli legte die Organisation in einem symbolischen Schritt auch ihre Waffen nieder.
In seiner Erklärung schreibt Khalidi: „Ich unterstütze voll und ganz einen Friedensprozess, der in einer demokratischen Republik und der Anerkennung der Rechte des kurdischen Volkes mündet. Dieser Prozess könnte die jahrzehntelangen Konflikte im Land beenden – er ist eine historische Chance, die nicht ungenutzt bleiben darf. Ich hoffe aufrichtig, dass alle Seiten mit gutem Willen handeln und diese Möglichkeit wahrnehmen.“
Zur Person: Rashid Khalidi
Rashid Khalidi wurde 1948 in New York City als Sohn einer palästinensischen Familie aus Jerusalem geboren. Er zählt zu den renommiertesten Historikern auf dem Gebiet der Nahost- und Palästinaforschung. Nach seinem Bachelorabschluss an der Yale University promovierte er an der University of Oxford in Neuerer Geschichte.
Khalidi lehrte an mehreren Universitäten im Nahen Osten und den USA, darunter an der Libanesischen Universität und der Amerikanischen Universität in Beirut sowie an der University of Chicago. Ab 2003 war er Inhaber des Edward-Said-Lehrstuhls für Moderne Arabische Studien an der Columbia University in New York.
Als langjähriger Herausgeber des Journal of Palestine Studies und ehemaliger Präsident der Middle East Studies Association hat Khalidi das akademische und öffentliche Verständnis der Geschichte Palästinas maßgeblich mitgeprägt. Zu seinen bekanntesten Werken gehört „The Hundred Years’ War on Palestine“, ein Buch über Kolonialismus und Widerstand im 20. und 21. Jahrhundert.
Im Jahr 2024 wurde Khalidi emeritiert. Einen ursprünglich für Herbst 2025 geplanten Lehrauftrag an der Columbia University sagte er ab – aus Protest gegen politische Einflussnahme auf die Wissenschaft und Einschränkungen israelkritischer Positionen an seiner Universität durch die US-Regierung von Donald Trump.
Khalidi gilt als eine international angesehene Stimme für eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts sowie für Menschenrechte, akademische Freiheit und die Anerkennung unterdrückter nationaler Identitäten.
Foto Rashid Khalidi © UN
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Frauenkonferenz in Hesekê fordert demokratische Verfassung
Unter dem Motto „Die Einheit der Frauen ist Grundlage für Gerechtigkeit und Demokratie in einem föderalen Syrien“ findet in der nordostsyrischen Stadt Hesekê eine landesweite Frauenkonferenz statt. An dem Treffen nehmen rund 700 Delegierte teil – darunter Politikerinnen, Juristinnen, Intellektuelle sowie Vertreterinnen arabischer Stämme aus Nord- und Ostsyrien, Aleppo, Damaskus und der alawitisch geprägten Westküste. Frauen aus dem drusischen Suweida beteiligen sich per Videoschaltung.
Veranstalterinnen der Konferenz sind die kurdischen und arabischen Frauendachverbände Kongra Star und Zenobiya. In ihren Eröffnungsreden betonten die Organisatorinnen, dass die Versammlung sich als politische Plattform für ein demokratisches, dezentral organisiertes Syrien verstehe.
Die Zukunft Syriens beginnt mit der Stimme der Frauen
Rîhan Loqo, Sprecherin von Kongra Star, sagte zur Eröffnung: „Wir sind die Kraft der vereinten Frauen – wir tragen die Hoffnung auf ein neues Syrien und den Willen zur Veränderung.“ Sie erinnerte an alle im Befreiungskampf gefallenen Frauen und bezeichnete die Konferenz als strategischen Schritt zur Schaffung eines Syriens, das auf Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung beruhe.
Rîhan Loqo
Loqo kritisierte die jahrzehntelange politische und soziale Ausgrenzung von Frauen unter der Baath-Herrschaft, verwies aber zugleich auf deren anhaltenden Widerstand. Auch nach dem Zusammenbruch des alten Systems und der Etablierung einer islamistischen Regierung seien Frauen weiterhin von Gewalt und struktureller Diskriminierung betroffen.
Die Aktivistin forderte eine neue Verfassung, in der Frauenrechte verankert sind, und rief zur Stärkung demokratischer Institutionen im Sinne der Gleichstellung auf. Die Philosophie von „Jin, Jiyan, Azadî“ – Frau, Leben, Freiheit – sei keine Parole, sondern gelebte Realität, so Loqo.
Forderungskatalog vorgestellt
In einer gemeinsamen Erklärung formulierten Kongra Star und Zenobiya zentrale politische Forderungen, darunter:
▪ Aufbau eines demokratischen, pluralistischen und dezentralen Syriens mit gleichberechtigter Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen und Geschlechter
▪ Mindestens 50 Prozent Frauenvertretung in allen staatlichen und lokalen Institutionen
▪ Eine neue Verfassung, die die Trennung von Religion und Staat gewährleistet
▪ Aufhebung diskriminierender Gesetze und rechtlicher Schutz vor Gewalt
▪ Garantierte Frauenbeteiligung an Justizreformen und Wahrheitskommissionen
▪ Schutz der Errungenschaften der Revolution in Nord- und Ostsyrien
▪ Ablehnung jeglicher Besatzung und ausländischer Intervention, insbesondere durch die Türkei
▪ Stärkung einer inklusiven nationalen Identität auf Basis kultureller und religiöser Vielfalt
Ohne Frauen kein Frieden
Die PYD-Politikerin Foza Yûsif, die auch Ko-Vorsitzende des Verhandlungsgremiums Nord- und Ostsyriens mit Damaskus ist, kritisierte in ihrer Ansprache die aktuelle syrische Übergangsregierung. Deren Verfassungsentwurf berücksichtige Frauenrechte nicht ausreichend und schließe große Teile der Gesellschaft aus.
„Ein Frieden, der auf Gewalt beruht, ist kein Frieden. Er beginnt mit dem Dialog und der Anerkennung aller Stimmen – insbesondere der der Frauen“, sagte Yûsif. Sie sprach sich für eine Verfassungsneugestaltung im Sinne einer „Verfassung der Frauen“ aus.
Foza Yûsif
Im weiteren Verlauf verwies Yûsif auf die Rolle der YPJ-Kämpferinnen, die im Widerstand gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) eine „heroische Verteidigung des Lebens“ geleistet hätten, und mahnte, dass politische Beteiligung kein Privileg, sondern ein Grundrecht sei.
„Gesellschaftlicher Vertrag wächst aus der Stimme der Frauen“
Yûsif wies zudem auf Repressionen gegen Aktivistinnen, Journalistinnen und Politikerinnen hin, die sowohl von „offiziellen“ Regierungstruppen als auch von Damaskus-nahen Islamistengruppen ausgingen. Gleichzeitig forderte sie die syrische Opposition auf, sich klar gegen ausländische Interventionen und Besatzung zu positionieren.
„Heute schreiben wir am gesellschaftlichen Vertrag der Zukunft – und dieser beginnt mit den Frauen. Ohne ihre Freiheit bleibt jede Verfassung leer. Die Erfahrungen aus Nord- und Ostsyrien zeigen: Ein demokratisches Syrien ist möglich – durch Selbstverwaltung, Gleichberechtigung und ein kollektives Nein zu Gewalt.“
Im Lauf der Konferenz sollen auch Vertreterinnen der drusischen, alawitischen, ezidischen, armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu Wort kommen. Auch Beiträge des Syrischen Frauenrats sind vorgesehen.
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https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/dialog-ja-unterordnung-nein-foza-yusif-uber-verhandlungen-mit-damaskus-47674 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/syrien-forum-endet-mit-appell-fur-nationalen-dialog-und-neue-verfassung-47967 https://deutsch.anf-news.com/frauen/verfassungsentwurf-fur-syrien-treibt-frauen-auf-die-strasse-45602
FilmAmed zeigt vom 26. bis 30. September 29 Dokumentarfilme
Das kurdische Dokumentarfilmfestival FilmAmed feiert in diesem Jahr seine neunte Ausgabe – nach einjähriger Pause kehrt das Festival mit einem vielfältigen Programm und klarem politischen Fokus zurück. Vom 26. bis 30. September werden in Amed (tr. Diyarbakır) insgesamt 29 Dokumentarfilme gezeigt, darunter auch Premieren.
Organisiert wird das Festival von der Akademie des Kinos des Nahen Ostens in Kooperation mit der Bezirksverwaltung von Payas (Kayapınar). Im Zentrum steht die filmische Auseinandersetzung mit Erinnerung, Geschichte und gesellschaftlichen Konflikten. Das diesjährige Motto lautet: „Wurzeln … Wahre Legenden am Feuer“ – ein Hinweis auf kollektives Gedächtnis und mündliche Erzähltraditionen.
Das offizielle Programm umfasst 24 Filme in der Hauptauswahl und fünf Beiträge in der Sondersektion. Zu den Höhepunkten zählt die Premiere des Dokumentarfilms „Bîra Sûrê“ (Das Gedächtnis von Sûr) von dem Journalisten und Regisseur Azad Altay, der am 28. September um 20:00 Uhr gezeigt wird. Der Film entstand mit Unterstützung der Nachrichtenagentur Mezopotamya, dem Journalistenverein DFG und der Produktionsfirma Pel und dokumentiert die Zerstörung und Transformation der historischen Altstadt Sûr, die während einer türkischen Militärbelagerung in den Jahren 2015 und 2016 größtenteils zerstört wurde.
Vielfältiges Rahmenprogramm
Das Festival wird am 26. September im ÇandAmed-Kongresszentrum mit einem Konzert von Mehmet Atlı und der Vorführung des Eröffnungsfilms „Jinwar“ von Nadya Derwiş eröffnet. Neben Filmvorführungen finden über die fünf Festivaltage hinweg Masterclasses, Workshops und Podiumsdiskussionen statt. Themen sind unter anderem Geschlechterrollen im Dokumentarfilm, Ethik der Repräsentation und die Rolle von Film in Erinnerungskultur und gesellschaftlicher Aufarbeitung.
Zu den geladenen Filmemacher:innen zählen unter anderem Ayşe Polat, Şirin Bahar Demirel, Mati Diop, Burcu Güler, Bingöl Elmas und viele weitere. Gezeigt werden Arbeiten aus Kurdistan, der Türkei, Iran, Libanon, Europa und Nordafrika.
Die Screenings finden in verschiedenen Spielstätten statt, darunter die ÇandAmed-Kinosäle, das Stadttheater Amed, der Bezgin-Bekir-Saal und das Jugendzentrum im Bezirk Rezan (Bağlar). Den Abschluss bildet am 30. September der Dokumentarfilm „Li Ber Siya Spîndarê“ von Kenan Diler, gefolgt von der feierlichen Preisverleihung um 19:30 Uhr.
https://deutsch.anf-news.com/kultur/filmamed-dokumentarfilmfestival-kehrt-zuruck-46666 https://deutsch.anf-news.com/kultur/bira-sure-zeigt-verlust-von-erinnerung-und-identitat-in-sur-47718 https://deutsch.anf-news.com/kultur/kollektive-kunst-als-praxis-von-widerstand-und-hoffnung-46559
DBP und DEM gedenken Apê Musa
Zum 33. Jahrestag der Ermordung des kurdischen Intellektuellen, Journalisten und Autors Musa Anter – genannt Apê Musa – haben die Parteien DEM und DBP dessen Vermächtnis gewürdigt und betont, seinen Kampfgeist weiterzutragen.
In einer Erklärung betonte die DBP, dass Musa Anter nicht nur ein angesehener Intellektueller und Journalist gewesen sei, sondern auch als einer der Wegbereiter der freien kurdischen Presse gelte. „Mit seiner starken Feder und seinen wahrhaftigen Worten wurde er zur Stimme des kurdischen Volkes“, heißt es in der Mitteilung. Darüber hinaus habe er mit der Gründung kultureller und sprachlicher Institutionen zur Bewahrung der kurdischen Identität beigetragen, in zahlreichen Publikationen über die Lage der Kurd:innen geschrieben und sich auch politisch engagiert.
Anter war am 20. September 1992 in Amed (tr. Diyarbakır) von Attentätern des Geheimdienstes der türkischen Militärpolizei JITEM erschossen worden. Die DBP bezeichnete ihn als eine Figur, die in den 1990er Jahren, „inmitten von Vernichtungs-, Verleugnungs- und Assimilationspolitiken, unbeirrt die Wahrheit ausgesprochen“ habe. „Sie wollten seine Stimme zum Schweigen bringen, doch sein Vermächtnis lebt in der freien kurdischen Presse fort“, erklärte die Partei.
Die DBP bekräftigte ihre Entschlossenheit, „die Wahrheit weiterhin in allen Bereichen hörbar zu machen“ und gedenke Anter wie auch allen anderen, „die auf dem Weg der Wahrheit ihr Leben verloren haben“, mit „Respekt, Liebe und Dankbarkeit“.
DEM-Partei: „Apê Musa ist ein Leuchtfeuer“
Auch die DEM-Partei erinnerte mit einer Botschaft an Musa Anter und würdigte ihn als „Weisen der freien Presse und Stimme der Wahrheit“. In der Erklärung heißt es: „Apê Musa ist ein Leuchtfeuer, das mit seiner Feder den Weg von Geschwisterlichkeit, Frieden und Freiheit der Völker erhellt hat. Wenn heute Tausende Medienschaffende unter dem Motto ‚Die Wahrheit wird nicht im Dunkeln bleiben‘ arbeiten, so ist das das Vermächtnis von Apê Musa und seiner Weggefährt:innen.“
Die Partei kündigte an, den „Kampfgeist Apê Musas zu stärken“ und „entschlossen den Weg der Wahrheitssuchenden im Sinne von Freiheit und Demokratie weiterzugehen“.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/33-jahre-ohne-musa-anter-48031 https://deutsch.anf-news.com/kultur/sopranistin-pervin-chakar-singt-qimil-von-musa-anter-21807 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/anter-anter-am-todestag-seines-vaters-gestorben-43647
Samstagsmütter erinnern an Ibrahim und Edip Çelik
Die Initiative der Samstagsmütter hat bei ihrer 1069. Mahnwache auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul Gerechtigkeit für Ibrahim und Edip Çelik gefordert. Der 50 Jahre alte Kurde und sein 19-jähriger Sohn wurden 1994 mutmaßlich von der radikalislamistischen Hizbullah ermordet. Ihre Hinterbliebenen suchen seither ihre Leichen.
Unter dem Vorwand, ihnen eine Adresse zu zeigen, wurde Ibrahim Çelik am Abend des 10. Juli 1994 von vier maskierten und bewaffneten Männern, die später als Hizbullah-Attentäter identifiziert wurden, aus seinem Haus geholt. Sein Sohn Edip wurde misstrauisch und folgte ihnen. Das war das letzte Mal, dass die beiden lebend gesehen wurden. Seither versucht die Familie, Licht ins Dunkel zu bringen.
Keine wirksame Beschwerdeinstanz für Fälle von Verschwindenlassen
Mit der formell nicht bewiesenen Tatsache, dass Ibrahim und Edip Çelik unmittelbar nach ihrer Mitnahme von der Hizbullah ermordet und irgendwo in Êlih verscharrt wurden, haben sich die Hinterbliebenen abgefunden – ebenso mit der Straflosigkeit für die Täter, die von der Staatsanwaltschaft trotz etlicher Strafanzeigen nicht verfolgt wurden. Sie verlangen die Preisgabe von Informationen, wo der neunfache Vater Ibrahim Çelik und sein Sohn Edip begraben worden sind, um ihnen ein würdevolles Begräbnis und sich selbst einen Ort der Trauer zu ermöglichen.
Die Menschenrechtsanwältin Jiyan Tosun, die den Fall auf der Mahnwache der Samstagsmütter vorstellte, hielt eine Rede: „Solange die Wahrheit nicht ans Licht kommt, kann es keine Gerechtigkeit geben.“ Sie kritisierte, dass der türkische Staat bis heute über keine wirksame Beschwerdeinstanz für Fälle von Verschwindenlassen verfüge. Die Einrichtung unabhängiger, mit umfassenden Befugnissen ausgestatteter Wahrheitskommissionen sei daher eine „unaufschiebbare Notwendigkeit“, so Tosun weiter.
Staatlich gefördertes Gegengewicht zur Guerilla
Die extremistisch-sunnitische Hizbullah – nicht zu verwechseln mit der libanesischen Hisbollah – entstand in den 1980er Jahren im Umfeld islamischer Buchläden in Amed (Diyarbakır). Sie strebte die Errichtung eines unabhängigen islamischen Staates nach iranischem Vorbild an. Während der 90er Jahre, als der schmutzige Krieg des türkischen Staates in Kurdistan besonders blutig war, bildete die Hizbullah einen integralen Bestandteil der Konterguerilla. Ihre Todesschwadronen wurden vom Staat systematisch als Gegengewicht zur Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gefördert und gingen mit blankem Terror in Städten, in denen die Massenaktionen der kurdischen Bewegung und Volksaufstände besonders weit entwickelt waren, gegen alle vor, die ins Feindbild passten.
Berüchtigt für besonders brutale Morde
Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen gehen von über 17.000 „Verschwundenen“ durch parastaatliche und staatliche Kräfte während der dunklen Periode der 90er aus. Ein Großteil dieser Morde „unbekannter Täter“ gingen auf das Konto der Hizbullah, die unter dem wachsamen Blick und dem Schutz des Staates agierten, während andere Morde von der Konterguerilla aus Spezialeinheiten der Armee, der faschistischen „Grauen Wölfe“ und des Geheimdienstes der Militärpolizei (JITEM) verübt wurden. Die Opfer dieser Killerkommandos waren oftmals gewöhnliche Dorfbewohnende, aber auch Geschäftsleute, Intellektuelle und Politiker:innen, Journalist:innen, Linke, Liberale und Gewerkschafter:innen, die dem Staat kritisch gegenüberstanden; so etwa der kurdische DEP-Abgeordnete Mehmet Sincar oder die muslimische Feministin Konca Kuriş. Die Leichen wurden in Massengräbern, Höhlen oder in stillgelegten Industrieanlagen verscharrt, auf Müllhalden geworfen, in Kellergewölben einbetoniert, in Brunnenschächten und Säuregruben versenkt oder wie in Argentinien durch den Abwurf aus Militärhubschraubern beseitigt.
Enkelin: Der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter
Erst als die Hizbullah sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre verselbstständigte und immer mehr außer Kontrolle des Staatsapparates geriet, ihre Einheiten türkische Imame, Politiker und Unternehmer zu erpressen begangen, sowie gegen die neue aufstrebende AKP agitierten, setzte die neue politische Macht dem mörderischen Treiben in den ersten Jahren ihrer Regierungszeit vorerst ein Ende. Die Verantwortlichen wurden allerdings nie zur Rechenschaft gezogen, sondern vielmehr im Gefängnis geläutert und AKP-konform wieder freigelassen. So waren bei der Parlamentswahl 2023 vier Abgeordnete der Partei Hüda Par, die der politische Arm der Hizbullah ist, auf der Liste der Erdoğan-Partei AKP ins Parlament eingezogen
Das letzte Wort auf der Mahnwache sprach Berfin Çelik, eine Enkelin von Ibrahim Çelik. Im Namen ihrer Familie erklärte sie: „Wir träumen von einem Land, in dem junge Menschen nicht dem Schmerz nachspüren müssen, sondern das Leben genießen dürfen. Bis mein Großvater, mein Onkel und alle unsere Vermissten gefunden sind, werden wir nicht aufhören, Gerechtigkeit zu fordern.“
Das Gedenken endete mit dem symbolischen Niederlegen von Nelken auf dem durch Sicherheitskräfte abgeriegelten Galatasaray-Platz.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-erinnern-an-kenan-bilgin-47928 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-gerechtigkeit-fur-ayten-Ozturk-47836 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-wahrheit-und-gerechtigkeit-als-grundlage-fur-frieden-47742
Vater von Rojin Kabaiş stellt Antrag bei Justizministerium
Im Fall der vor einem Jahr unter ungeklärten Umständen gestorbenen Studentin Rojin Kabaiş hat ihr Vater Nizamettin Kabaiş beim türkischen Justizministerium eine Ergänzung der Ermittlungsakte beantragt. Er wirft den Behörden schwere Versäumnisse vor und fordert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Rojin Kabaiş war 21 Jahre alt und studierte Kinderpädagogik an der Universität in Wan (tr. Van). Am 27. September vergangenen Jahres verließ sie ihr staatliches Studentinnenwohnheim – danach verliert sich ihre Spur. Erst 18 Tage später wurde ihre Leiche am Ufer des Wan-Sees nahe des Dorfes Molla Kasım gefunden.
Keine Antworten auf Anfragen
Rojin Kabaişs Tod gilt als verdächtig, der genaue Hergang ist bislang nicht geklärt. Die Familie vermutet ein Gewaltverbrechen. „Es gibt weiterhin erhebliche Mängel in der Akte“, sagte Nizamettin Kabaiş gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA). „Im Bericht der Gerichtsmedizin fehlen wichtige Informationen. Teile der Akte wurden nicht übermittelt, auf Anfragen unserer Anwälte erhalten wir keine Antworten“, erklärte der Kurde nach seinem Antrag an das Justizministerium.
Männliche DNA an persönlichen Gegenständen
Der Vater weist darauf hin, dass DNA-Spuren zweier Männer sowie Fingerabdrücke an persönlichen Gegenständen seiner Tochter gesichert worden seien – dennoch gebe es bislang keine Festnahmen. Frühere Annahmen, die Spuren seien durch Kontamination entstanden, hätten sich nicht bestätigt.
Seit dem Tod von Rojin setze er sich unermüdlich für eine Aufklärung ein, berichtete Kabaiş. Nach eigenen Angaben hat er die Staatsanwaltschaft in Wan bereits mehr als ein Dutzend Mal aufgesucht – bislang ohne Ergebnis. Er erhebt auch Vorwürfe gegen das Wohnheim und die Universität. So sei etwa die vorgeschriebene nächtliche Anwesenheitskontrolle unterblieben, zudem sei das Fehlen seiner Tochter verspätet der Polizei gemeldet worden.
„Diese Versäumnisse haben dazu beigetragen, dass Rojin sterben musste“, sagte Nizamettin Kabaiş. „Wir wissen bis heute nicht, was genau mit meiner Tochter passiert ist.“ Er fordert, dass auch gegen Verantwortliche innerhalb der Universität und des Wohnheims ermittelt wird.
Kritik an Medien und Politik
Auch das Medieninteresse und die politische Aufmerksamkeit hält er für unzureichend. „Der Fall wurde weder ausreichend in der Öffentlichkeit behandelt, noch im Parlament thematisiert“, kritisierte Kabaiş. Er ruft Präsident Erdoğan, das Justizministerium und die Staatsanwaltschaft in Wan dazu auf, die Ermittlungsakte zu vervollständigen und die Umstände des Todes aufzuklären. „Wir wollen nur eines: Gerechtigkeit.“
https://deutsch.anf-news.com/frauen/elf-monate-nach-tod-von-studentin-rojin-kabais-familie-klagt-uber-vertuschung-47628 https://deutsch.anf-news.com/frauen/aufklarung-der-todesumstande-von-rojin-kabais-gefordert-44956 https://deutsch.anf-news.com/frauen/tja-zahl-verdachtiger-todesfalle-von-frauen-in-wan-steigt-47818
20. September 1992 – Die Ermordung von Musa Anter
Musa Anter war ein Relikt aus einer anderen Zeit. 1920 im Dorf Zivingê in Nisêbîn (tr. Nusaybin) geboren, erlebte er zu Lebzeiten vieles, was andere nur vom Hörensagen kannten. Die Gründungsjahre der türkischen Republik, den Aufstand des Geistlichen Şêx Seîdê Pîran und den Genozid in Dersim erlebte er als Schüler, den Zweiten Weltkrieg als Student. Er war einer der Protagonisten des kurzen Frühlings der kurdischen Nationalbewegung Ende der 1950er Jahre, im „Prozess der 49“ wurde er wegen kurdischer Propaganda und Separatismus angeklagt. Hintergrund war sein Gedicht Qimil (deut. Rüsselwanze, ein Getreideschädling), das er im August 1959 in kurdischer Sprache in der Zeitschrift Ileri Yurt veröffentlicht hatte. Das Magazin mit Sitz in Amed (Diyarbakır) war seit Jahrzehnten wieder die erste Zeitschrift, die sich mit der kurdischen Frage beschäftigte. Musa Anter war der Herausgeber. In seinen Memoiren schrieb er über „Qimil“:
Musa Anter
„Hinfort wurde jeder meiner täglichen Artikel in Diyarbakır zum Gegenstand eines Prozesses und verbreitete sich dadurch in ganz Kurdistan, auch in Istanbul und Ankara. Ich zog in Betracht, egal, was war, täglich vor Gericht zu stehen. Doch soll es sich wenigstens lohnen, sagte ich mir. Auf Kurdisch schrieb ich das Gedicht Qimil, es war zwar lang, aber ohne literarischen Wert. Ich fügte eine Erläuterung auf Türkisch hinzu. Ganz zum Schluss sagte ich zu dem traurigen Mädchen, der Heldin des Gedichts: „Gräme dich nicht, meine Schwester! Deine Brüder sind inzwischen groß genug geworden, dich zu befreien: sowohl vom Verlust durch den Weizenschädling, als auch von dem Schaden, den dir diejenigen zufügen, die dich rücksichtslos ausnutzen.“ Das Gedicht begann so:
Bi çîya ketim lo apo, çîya melûlbûn rebeno - Ich entflammte für die Berge, Onkel. Die Berge aber waren traurig, Unglückliche.
Innerhalb kurzer Zeit lernten fast alle kurdischen Jugendlichen dieses Gedicht auswendig. Die türkische Presse aber empörte sich. In Istanbul, Ankara, Izmir, sogar in Ödemiş, und zwar in der dort herausgegebenen Ödemiş-Zeitung, schrieb man Artikel über mich. Nur ganz vereinzelt reagierten die Schreiber normal: „Das ist in Ordnung! Was ist schon dabei, wenn ein kurdisches Gedicht geschrieben wird?“ Doch die Mehrheit spie Feuer. Besonders Fatih Rıfkı Atay schlug in der Ulus vor, mir den Kopf abzureißen. Kurdische Studenten an den Universitäten in Istanbul und Ankara dagegen ließen sich zu Begeisterungsausbrüchen hinreißen. Aus diesen beiden Städten und aus allen kurdischen bekam ich Hunderte von Glückwunsch- und Solidaritätstelegrammen. Die Zeitung Ileri Yurt war vollständig zum Sprachrohr dieses Vorfalls geworden. Doch auch in diesem Prozess wurde ich freigesprochen.“ (Meine Memoiren, Musa Anter, aus dem Kurdischen und Türkischen übertragen von Ernst Tremel, 1999)
Die kurdische Sopranistin Pervin Chakar hat das Gedicht Qimil vertont
Von der kurdischen Gesellschaft wurde er Apê Mûsa – Onkel Musa – genannt, oder auf Türkisch auch Çınar, was „Platane“ bedeutet, ein mächtiger Baum mit tiefen Wurzeln und weit reichenden Ästen. Am 20. September 1992 wurde die kurdische Platane im Alter von 74 Jahren von der türkischen Konterguerilla gefällt. Anter, der damals in Istanbul lebte, war zu einem Kultur- und Kunstfestival nach Amed gereist, auf Einladung der dortigen Stadtverwaltung. Gleich nach seiner Ankunft hefteten sich Polizisten in Zivil an seine Fersen. Unter dem Vorwand, einen Konflikt zwischen zwei zerstrittenen Familien beizulegen, lockte man Anter aus seinem Hotel. Mitten auf der Straße wurde er mit fünf Schüssen aus Maschinengewehren niedergestreckt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen fast zwei Jahrzehnte lang verschleppte, kam es letztlich durch Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Susurluk-Ermittlungen und öffentlichen Druck durch Menschenrechtsorganisationen zu einer Anklage gegen die Täter. Weiterhin spielten jedoch sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht auf Zeit, um zu gewährleisten, dass die, die den Mord im Auftrag des türkischen Staates ausgeführt hatten, straffrei ausgehen. Das geschah am 22. September 2022, zwei Tage nach dem 30. Todestag des Intellektuellen. Das zuständige Gericht in Ankara entschied, dass die Verjährungsfrist abgelaufen ist und niemand mehr für das Verbrechen an Musa Anter zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Praxis der Straflosigkeit für staatliche Morde an Kurdinnen und Kurden hat in der Türkei Tradition. Mit einem offenen Bruch mit der Vergangenheit rechnet kaum jemand.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/anter-anter-am-todestag-seines-vaters-gestorben-43647 https://deutsch.anf-news.com/kultur/sopranistin-pervin-chakar-singt-qimil-von-musa-anter-21807 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/gedenken-an-musa-anter-verboten-28407 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mord-an-musa-anter-bleibt-ungesuhnt-34103
QSD-Kämpfer bei IS-Angriff in Deir ez-Zor getötet
Bei einem Angriff mutmaßlicher Söldner der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf eine Patrouille der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) ist ein Kämpfer ums Leben gekommen, zwei weitere wurden verletzt. Der Vorfall ereignete sich nach Angaben der QSD im Westen der Provinz Deir ez-Zor, nahe der Kleinstadt al-Muhaymidah.
Demnach griffen die Angreifer am Freitagabend eine QSD-Einheit während eines routinemäßigen Sicherungseinsatzes an. Laut Mitteilung erfolgte der Überfall mit Maschinengewehren und Motorrädern. Im Anschluss kam es zu einem Gefecht, bei dem die Angreifer unter dem Feuer der Kämpfer flohen.
Die QSD bezeichneten den Angriff als Teil der fortgesetzten Versuche des IS, gezielt Unsicherheit zu stiften und die Stabilität in Nordostsyrien zu untergraben. Der Anschlag sei auch Ausdruck des anhaltenden Sicherheitsvakuums in Teilen Syriens, das nach dem Sturz des Assad-Regimes entstanden sei.
In der Stellungnahme kündigten die QSD an, weiterhin gezielt gegen verbliebene IS-Zellen vorzugehen. Ziel sei es, die organisatorischen und finanziellen Strukturen der Terrorgruppe zu zerschlagen und die Sicherheit in den selbstverwalteten Gebieten aufrechtzuerhalten.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-nehmen-is-bombenbauer-bei-einsatz-in-raqqa-fest-47966 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/asayis-nimmt-61-verdachtige-bei-razzien-in-raqqa-und-deir-ez-zor-fest-47952 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mutmassliche-is-zelle-in-deir-ez-zor-von-asayis-ausgehoben-47940
Prozess gegen kurdische Aktivist:innen in London eröffnet
In London hat der Prozess gegen mehrere kurdische Aktivist:innen wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit einer ersten Anhörung begonnen. Die Hauptverhandlung ist für Januar 2026 angesetzt und soll unter Beteiligung einer Jury am Londoner Hochsicherheitsgericht Old Bailey stattfinden.
Beim Termin am Freitag legten Anklage und Verteidigung gemeinsam mit dem Gericht den Fahrplan für das weitere Verfahren fest. Zwei vorbereitende Anhörungen wurden für den 7. November und 12. Dezember 2025 angesetzt.
Großangelegte Razzien bei Kurd:innen
Die Ermittlungen gehen auf eine großangelegte Polizeirazzia vom 27. November 2024 zurück. Damals hatten hunderte britische Polizist:innen Wohnungen kurdischer Aktivist:innen sowie das kurdische Gemeindezentrum in London durchsucht. Sieben Personen wurden festgenommen, das Gemeindezentrum vorübergehend unter Polizeiblockade gestellt.
Einer der Beschuldigten, Mücahit Sayak, war zunächst in Untersuchungshaft genommen, später aber – nach einem erfolgreichen Einspruch der Verteidigung – unter Auflagen freigelassen worden. Zu den weiteren Angeklagten zählen Ercan Akbal, Türkan Özcan, Ali Poyraz, Agit Karataş und Berfin Kurban.
Strenge Auflagen für die Beschuldigten
Die Aktivist:innen leben seit fast einem Jahr unter strengen Auflagen: Sie tragen elektronische Fußfesseln, stehen unter nächtlichem Hausarrest und müssen sich täglich bei einer Polizeidienststelle melden. Zudem ist ihnen der Kontakt untereinander sowie der Besuch des kurdischen Gemeindezentrums untersagt.
Vorwurf: Mitgliedschaft in verbotener Organisation
Im Mittelpunkt des Verfahrens stehen die Vorwürfe der „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ sowie „Organisation und Teilnahme an Versammlungen im Namen der PKK“. Die Angeklagten weisen die Anschuldigungen zurück.
Solidaritätsbekundungen vor dem Gericht
Während der Anhörung am Old Bailey versammelten sich Unterstützer:innen vor dem Gerichtsgebäude, um ihre Solidarität mit den Angeklagten zu bekunden. Der Vorsitz der Sitzung lag bei Richterin Rebecca Trowler KC.
Am Rande der Verhandlung wurde ein zuvor gegen Ercan Akbal verhängter Haftbefehl wieder aufgehoben. Er hatte einen Termin mit seiner Verteidigung überzogen und war verspätet nach Hause zurückgekehrt, was die Polizei zunächst als Verstoß gegen die Auflagen gewertet hatte.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/antiterroreinsatz-polizeigewalt-bei-razzia-in-london-44410 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/jeremy-corbyn-kritisiert-razzia-im-kurdischen-gemeinschaftszentrum-44432 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/london-festgenommene-kurd-innen-bleiben-in-polizeihaft-44491 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kurdisches-gemeindezentrum-in-london-freigegeben-44520
Cizîr gründet kommunalen Ökologierat
Die von der DEM-Partei verwaltete Stadtverwaltung in Cizîr (tr. Cizre) hat die Gründung eines kommunalen Ökologierats beschlossen. Ziel ist es, gemeinsam mit der Bevölkerung ökologische Projekte zu planen und umzusetzen. Zuvor hatte die Kommune zu einer öffentlichen Versammlung geladen, bei der unter anderem die Umweltzerstörung in der Region und lokale Gegenmaßnahmen thematisiert wurden.
An dem am Freitag im Konferenzsaal des Rathauses abgehaltenen Treffens nahmen neben den Ko-Bürgermeister:innen Güler Tunç Yerbasan und Abdurrahim Durmuş auch Vertreter:innen politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie der Sprecher der Ökologieplattform von Şirnex (Şırnak), Adnan Şenbayram, teil.
Ökologische Zerstörung in Botan-Region
Ko-Bürgermeister Durmuş betonte in seiner Ansprache die Bedeutung ökologischer Prinzipien für eine nachhaltige Stadtentwicklung: „Die Entscheidungen, die wir heute gemeinsam treffen, werden wir zügig in konkrete Projekte überführen“, sagte er.
Diskussionen über Umweltzerstörung und Gegenmaßnahmen | Foto: Pressedienst Stadt Cizîr
Seine Amtskollegin Tunç Yerbasan verwies auf die zunehmende Umweltzerstörung in der Region Botan: „Die ökologischen Schäden nehmen zu. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, ihnen entschlossen entgegenzutreten“, so die Politikerin.
Kritik am Cizre-Staudamm
In der Diskussion äußerten sich mehrere Teilnehmer:innen kritisch zum im Bau befindlichen „Cizre-Staudamm“, der bereits in der Vergangenheit aufgrund seiner ökologischen und sozialen Auswirkungen umstritten war. Viele sprachen sich für eine stärkere lokale Mitsprache und transparente Umweltprüfung öffentlicher Projekte aus.
Gründung eines Ökologierats
Als zentrales Ergebnis des Treffens wurde beschlossen, innerhalb der Stadtverwaltung einen Ökologierat zu etablieren. Dem neuen Gremium sollen Vertreter:innen aller beteiligten Institutionen angehören. Eine vorbereitende Kommission wurde bereits eingesetzt. Zudem kündigte die Stadt eine Baumpflanzkampagne für den November an, die sich über das gesamte Stadtgebiet erstrecken soll. Damit wolle man nicht nur ein ökologisches Zeichen setzen, sondern auch das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung stärken.
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/dorfer-am-gabar-massiv-seit-jahren-ohne-sauberes-wasser-47649 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/ilisu-staudamm-lasst-ernten-verdorren-und-existenzen-zerbrechen-47734 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/wan-Okologie-rat-setzt-auf-basisdemokratischen-umweltschutz-47166 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/naturzerstorung-ist-kein-nebenschauplatz-sondern-krieg-gegen-gesellschaft-46891
Sincan: Bedingte Entlassung von zwölf Gefangenen seit Jahren verweigert
Im Frauengefängnis Sincan bei Ankara werden politische Gefangene trotz Erfüllung aller Voraussetzungen systematisch an der bedingten Entlassung gehindert. Nach Angaben von Anwält:innen hat der Kontrollausschuss der Vollzugsanstalt seit 2021 keine einzige bedingte Entlassung für weibliche Gefangene genehmigt. Besonders betroffen sind Frauen mit lebenslänglichen Freiheitsstrafen – einige sitzen seit über 30 Jahren in Haft.
Die Grundlage der Entscheidungen bilden regelmäßig wiederkehrende Begründungen wie „mangelnde Reue“ oder „fehlende günstige Sozialprognose“. Laut einem aktuellen Bericht der Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) seien die Begründungen oft nicht nachvollziehbar, inhaltlich identisch und basierten auf nicht offengelegten oder gar nicht existierenden Bewertungen.
Keine einzige politische Gefangene seit 2021 entlassen
Die Praxis geht auf eine Gesetzesänderung im Jahr 2020 zurück, durch die die Entscheidung über bedingte Entlassungen der Einschätzung sogenannter „Verwaltungs- und Beobachtungskommissionen“ unterstellt wurde. Rechtsanwalt Sipan Cizreli von der ÖHD erklärte, dass seit Inkrafttreten der Regelung im Januar 2021 keine politische Gefangene in Sincan vorzeitig freigelassen worden sei – selbst dann nicht, wenn alle formalen Voraussetzungen vorlagen.
Von derzeit zwölf betroffenen Frauen wurden fünf zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine von ihnen, Sermin Demirdağ, befindet sich im 34. Haftjahr. Auch andere Betroffene wie Nedime Yaklav, Nuriye und Gülşan Adet oder Hicran Binici warten vergeblich auf eine Entscheidung zugunsten ihrer Freilassung – obwohl viele von ihnen bereits über 30 Jahre verbüßt haben.
Entscheidungen basieren auf Copy-Paste-Formulierungen
Laut Cizreli wirken die Ablehnungen wie „Copy-Paste-Beschlüsse“: „Die Entscheidungen enthalten keine individuellen Bewertungen, sondern standardisierte Formulierungen wie ‚schlechte Führung‘ oder ‚fehlende Distanzierung von ‚der Organisation‘. Diese politisch gefärbten Einschätzungen stehen einer rechtsstaatlichen Einzelfallprüfung entgegen“, so der Jurist.
Kritik richtet sich auch gegen die anhängigen Gerichtsverfahren: Beschwerden gegen die ablehnenden Bescheide werden systematisch durch die Strafvollstreckungsgerichte und später durch die zuständigen Schwurgerichte in Ankara zurückgewiesen. Positive Gerichtsentscheidungen gebe es nicht ein einziges Mal.
Erste Bewertung erst wieder nach einem Jahr
Üblicherweise erfolgt die Überprüfung von Haftentlassungsanträgen mindestens alle drei, sechs oder neun Monate. In Sincan wurde bei zwei Frauen jedoch eine erneute Bewertung erst nach einem Jahr angesetzt – ein für türkische Gefängnisse bislang ungewöhnlicher Vorgang.
Willkür trotz fehlender Disziplinarstrafen
Besonders problematisch sei laut ÖHD, dass die Begründungen oft keine tatsächliche Grundlage haben. So wurde etwa Nedime Yaklav eine mangelnde Anpassung an Gefängnisregeln vorgeworfen – obwohl sie keine aktiven Disziplinarstrafen hatte. Auch das Gremium selbst soll laut Protokoll unter Leitung eines Staatsanwalts getagt haben – obwohl dieser nicht anwesend war.
Liste der betroffenen Frauen
Laut ÖHD sind folgende Gefangene derzeit von Willkür betroffen:
Nedime Yaklav (30 Jahre in Haft) – 6-mal abgelehnt, letzte Entscheidung auf ein Jahr vertagt.
Sermin Demirdağ (34. Haftjahr) – 6-mal abgelehnt.
Nuriye Adet (30 Jahre) – 5-mal abgelehnt, letzte Bewertung erst wieder in einem Jahr.
Gülşan Adet (30 Jahre) – 5-mal abgelehnt.
Hicran Binici (30 Jahre) – 4-mal abgelehnt.
Zeliha Ustabaşı – 3-mal abgelehnt.
Elif Çetinbaş – 2-mal abgelehnt.
Melike Göksu – 2-mal abgelehnt.
Esra Soyaktaş – 2-mal abgelehnt.
Fatma Aslan – 1-mal abgelehnt.
Süheyla Taş – 1-mal abgelehnt.
Emine Abiş – 1-mal abgelehnt.
Anwält:innen fordern rechtliche Klarheit
Die ÖHD-Vereinigung fordert, dass die Regelungen zur bedingten Entlassung rechtsstaatlich überprüft und reformiert werden. „Die derzeitige Praxis widerspricht internationalen Menschenrechtsstandards und fördert willkürliche Entscheidungen“, so der Bericht.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/amed-ngos-prangern-drohungen-und-misshandlungen-in-gefangnissen-an-47454 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/willkur-bei-haftentlassungen-anwaltskammer-ruft-vier-institutionen-an-47310 https://deutsch.anf-news.com/frauen/politische-gefangene-in-klinik-von-militar-mit-tod-bedroht-47195 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/strategie-der-zermurbung-im-gefangnis-von-bolu-47305
Bei „Terroristen” unterm Sofa...
Am Freitag fand der dritte Verhandlungstag im PKK-Prozess gegen den Kieler Nihat Asut und einen weiteren kurdischen Aktivisten aus Lübeck statt. Schwerpunkt der Verhandlung war die Auswertung der Durchsuchungen von Wohnungen, Vereinsräumen und Fahrzeugen im März dieses Jahres.
Keine Verständigung für den Lübecker Angeklagten
Auch an diesem Verhandlungstag konnten die angeklagten Genossen wieder auf solidarische Unterstützung bauen. Über 20 Menschen haben sich im Gerichtssaal des OLG Hamburg eingefunden, um an der Seite von Nihat und dem Lübecker Genossen zu stehen, die stellvertretend für die kurdische Befreiungsbewegung vor Gericht gestellt werden.
Zu Beginn des Prozesstages erklärte die Verteidigung des Angeklagten aus Lübeck, dass der Verständigung unter den gegebenen Bedingungen nicht zugestimmt werden kann. Am vorangegangenen Prozesstag war seitens Staatsanwaltschaft und Gericht eine Bewährungsstrafe gegen eine geständige Einlassung in den Raum gestellt worden. Allerdings, so die Kritik der Verteidigung, sei nicht klar, inwiefern der Angeklagte dafür weitergehende Äußerungen zu politischen Strukturen oder möglichen Spendenaktivitäten machen müsse.
Der Angeklagte könne sich zu den von ihm organisierten politischen Aktivitäten wie Demonstrationen oder Veranstaltungen äußern sowie seine bekennende Position zum Friedensprozess der PKK wiedergegeben, aber keine Angaben darüber hinaus machen. Die Verständigung kann im Laufe des Verfahrens wieder aufgenommen werden. Gericht und Staatsanwaltschaft müssten dafür nur die oben genannten Bedingungen garantieren, was sie an anderer Stelle eigentlich schon signalisierten.
Quittungen, Flens-Notizbücher, Bargeld = Terrorunterstützung?
Im Hauptteil des Verhandlungstages wurden die Durchsuchungen vom 12. März 2025 ausgewertet. Auf Geheiß der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wurden an diesem Tag neun Objekte in Schleswig-Holstein durchsucht, darunter die Wohnungen der Angeklagten in Kiel und Lübeck sowie die Wohnungen weiterer Personen, die Vereinsräume des Kurdischen Gemeindezentrums in Kiel, zwei Kleingärten sowie mehrere PKW. Bei den überfallartigen Einsätzen der Polizei wurden Wohnungstüren eingetreten, Wohnräume verwüstet und die Betroffenen und ihre Familien, darunter auch Kranke und Kinder, eingeschüchtert. Der Angeklagte Nihat sitzt seit diesen Razzien in Untersuchungshaft.
In den folgenden Stunden wurde minutiös vorgetragen, was bei den verschiedenen Durchsuchungen gefunden wurde: USB-Sticks, Tankquittungen, DVDs, Schmuck, Laptops, Smartphones, Ladegeräte, Kameras, Notizblöcke der Firma Flensburger, eine Öcalan-Flagge, Infomaterial von Heyva Sor a Kurdistanê, ein paar Flyer, Einkaufstüten mit Notizzetteln, Plastikdosen mit Quittungen, einfach nur Quittungen sowie verschiedenste Bargeldbestände, angefangen bei Beträgen von 100 Euro.
Solidarität gegen die Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung
Wie schon bei der Auswertung der Autoüberwachungen am vorangegangenen Prozesstag wird deutlich, dass versucht wird, die normalsten und harmlosesten (Gesprächs-)Gegenstände vor dem Hintergrund des §129a/b StGB zu kriminalisieren. So ist es doch nicht geläufig, dass ältere Herrschaften wegen ihrer Ersparnisse vor Gericht gezerrt werden. Und auch ein Haufen Quittungen ist normalerweise ein Fall für Buchhalter:innen und nicht für das Oberlandesgericht. Dieser Verlauf des Prozesses verdeutlicht einmal mehr die Absurdität der Repression deutscher Behörden gegen die kurdische Befreiungsbewegung.
Während das Gericht in der vorangegangen Sitzung Verbrechen wie Vertreibung, Folter und Mord seitens des türkischen Staates gegen politische Gegner:innen und Minderheiten bestätigte, ging es jetzt wieder darum, zwei kurdische Aktivisten aus Norddeutschland wegen vermeintlicher Terrorunterstützung vor Gericht zu stellen. Vorwurf: Sammeln von Spenden und politische Tätigkeiten. Beweise: Quittungen, Smartphones, Kalender und Bargeld. Dass politische Aktivitäten wie das Organisieren von Demonstrationen und Veranstaltungen unter das Versammlungsgesetz und die freie Meinungsäußerung fallen, dass es humanitäre Hilfsorganisationen wie Heyva Sor a Kurdistanê gibt, für die Spenden gesammelt werden, dass man Quittungen und Bargeld in jedem x-beliebigen Haushalt in Deutschland findet, all das wird für die Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung außer Kraft gesetzt.
Solidarität bis in die Mittagspause
Die Familie des Angeklagten aus Lübeck hatte zu unserer großen Freude ihr Auto mit selbstgemachten Köstlichkeiten vollgeladen und lud alle solidarischen Prozessbeobachter:innen sowie die beiden Verteidiger zu einem gemeinsamen Picknick auf dem Parkplatz des Oberlandesgerichts ein. Besser hätten wir die Pause nicht verbringen können.
Und da die Solidarität für die Angeklagten so wertvoll und wichtig ist, rufen wir weiterhin dazu auf, den Prozess solidarisch zu unterstützen. Der nächste Verhandlungstag findet am 6. Oktober ab 9 Uhr im Oberlandesgericht in Hamburg (Sievekingplatz 3) statt.
Weitere Prozesstage: 6.10. | 8.10. | 14.10. | 15.10. | 5.11. | 6.11. | 17.11. | 19.11. | 27.11. | 28.11. | 2.12. | 3.12.
Die Gerichtsverhandlungen beginnen um 9 Uhr – plant genügend Zeit für die aufwändigen Sicherheitskontrollen ein, wenn ihr den Prozess im Gerichtssaal begleiten möchtet!
Aktuelle Infos: freenihat.noblogs.org und Instagram: @freenihat
Solidarität ist unsere Waffe – Wir freuen uns über Spenden!
Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V.
Verwendungszweck: Hevgertin – Solidarität
IBAN: DE08 4306 0967 4003 1186 03
BIC: GENODEM1GLS
Gabar: Trotz offizieller Dementis geht Abholzung weiter
Entgegen den Angaben der staatlichen Provinzverwaltung in der kurdischen Provint Şirnex (tr. Şırnak) setzt sich die großflächige Abholzung im Gabar-Gebirge offenbar unvermindert fort. Neue Bildaufnahmen aus der Region zeigen, dass trotz gegenteiliger Ankündigungen weiterhin zahlreiche Bäume gefällt und abtransportiert werden.
Die Aufnahmen, die der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) vorliegen, dokumentieren das Ausmaß der Rodungen: Dutzende frisch gefällte Bäume sind systematisch aufgereiht, verladen und per Lkw aus dem Gebiet gebracht worden. Auffällig: Die Ladungen wurden mit Planen abgedeckt – ein Detail, das als Versuch gewertet wird, die Transporte zu verbergen.
Seit mehr als fünf Jahren wird im Gabar-Gebirge inzwischen unter dem Vorwand der Erschließung neuer Ölfelder massiv in die Natur eingegriffen. Ganze Waldgebiete wurden bereits zerstört. Lokale Umweltinitiativen und Anwohner:innen sprechen von einem gezielten ökologischen Raubbau.
Die Gouverneursverwaltung in Şirnex hatte zuletzt erklärt, die Abholzungen seien eingestellt worden. Die aktuellen Bilder aus dem Gebiet widersprechen dieser Darstellung jedoch deutlich. Von offizieller Seite gab es bislang keine Stellungnahme zu den neuen Vorwürfen.
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/gabar-gebirge-zahl-der-Olbohrungen-soll-deutlich-steigen-47971 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/dorfer-am-gabar-massiv-seit-jahren-ohne-sauberes-wasser-47649 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/ministerium-weist-verantwortung-fur-rodungen-in-Sirnex-zuruck-47461
KCDK-E: Europarat muss Verfahren gegen Türkei einleiten
Der kurdische Europadachverband KCDK-E hat die jüngste Entscheidung des Europarats zur Umsetzung des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“ in der Türkei scharf kritisiert und das Ministerkomitee aufgefordert, ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen Ankara einzuleiten.
Das Ministerkomitee des Europarats hatte bei seiner Sitzung vom 15. bis 17. September die Situation von Abdullah Öcalan und anderen Gefangenen, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Haftentlassung verurteilt wurden, erneut diskutiert. Ankara wurde dabei bis Juni 2026 Zeit eingeräumt, um gesetzliche Änderungen umzusetzen. Der KCDK-E bezeichnete dieses Vorgehen als „aufschiebend“ und „unzureichend“.
Kritik an passiver Haltung des Ministerkomitees
In einer Stellungnahme erklärte der Verband: „Das Recht auf Hoffnung ist ein unveräußerliches Menschenrecht, das der Wahrung der Menschenwürde dient und nicht aufgeschoben werden darf. Es verpflichtet Staaten dazu, bei lebenslanger Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer späteren Haftentlassung gesetzlich zu gewährleisten.“
Der KCDK-E warf der Türkei vor, völkerrechtliche Verpflichtungen systematisch zu ignorieren. Die bisherige Vorgehensweise des Ministerkomitees, die Türkei lediglich zu ermahnen und Fristen zu setzen, werde der Schwere der Verstöße nicht gerecht. „Die fehlende Entschlossenheit des Komitees legitimiert de facto die anhaltenden Rechtsverletzungen der Türkei und schwächt die Autorität des Europarats insgesamt“, hieß es weiter.
Forderung nach konkreten Schritten
Der Verband rief das Ministerkomitee dazu auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuleiten. Dies würde es dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ermöglichen, offiziell festzustellen, dass Ankara der Umsetzung eines früheren Urteils nicht nachgekommen ist.
In diesem Zusammenhang betonte der KCDK-E erneut die zentrale Rolle Abdullah Öcalans: „Für einen nachhaltigen Friedensprozess im Mittleren Osten müssen die gesundheitlichen, sicherheitspolitischen und persönlichen Freiheitsrechte Öcalans garantiert werden. Nur so kann er seiner Rolle als politischer Verhandlungspartner gerecht werden.“
Aufruf an die Öffentlichkeit
Abschließend richtete der KCDK-E einen Appell an die Zivilgesellschaft und die kurdische Diaspora: „Wir rufen unser Volk dazu auf, sich mit aller Entschlossenheit für die physische Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan einzusetzen – mit allen verfügbaren Mitteln und bis ein Ergebnis erreicht ist.“
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-fordert-umsetzung-des-egmr-urteils-recht-auf-hoffnung-gesetzlich-verankern-48014 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/weitere-frist-fur-turkei-bezuglich-recht-auf-hoffnung-48002 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/britische-gewerkschaften-fordern-europarat-zum-handeln-im-fall-Ocalan-auf-47985
Irak meldet Tötung ranghohen IS-Kommandeurs in Syrien
Bei einem gezielten Luftangriff in Syrien haben irakische Spezialkräfte in Zusammenarbeit mit der internationalen Anti-IS-Koalition einen führenden Kommandeur der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) getötet. Das teilte der irakische Antiterrordienst ICTS am Freitag mit.
Bei dem Getöteten handelt es sich um Omar Abdel Qader Bassam, besser bekannt unter dem Alias Abdul Rahman al-Halabi. Er galt als einer der ranghöchsten operativen Köpfe der Terrorgruppe. Der Luftschlag erfolgte nach Angaben des ICTS am Freitagmorgen „auf syrischem Territorium“ in Abstimmung mit den internationalen Koalitionskräften unter US-Führung. Wo genau, teile die Behörde nicht mit.
Verantwortlich für externe Operationen
Halabi soll laut irakischen Angaben für die „Operations- und Außensicherheit“ der IS-Strukturen verantwortlich gewesen sein. Dazu gehörten die Planung und Koordination von Angriffen in den sogenannten „fernen Provinzen“ außerhalb Syriens und Iraks. Er sei direkt an der Planung des Anschlags auf die iranische Botschaft in Beirut im Jahr 2013 beteiligt gewesen und habe weitere Anschläge in Europa und den USA vorbereitet, die jedoch durch nachrichtendienstliche Maßnahmen vereitelt worden seien.
Omar Abdel Qader Bassam | Foto: Screenshot/ICTS Facebook
Beim doppelten Selbstmordanschlag auf die iranische Botschaft im Libanon waren im November 2013 insgesamt 23 Menschen getötet und rund 160 verletzt worden.
IS verliert weitere Führungspersonen
Der irakische Antiterrordienst sprach von einem „strategischen Schlag“ gegen die Reste der IS-Strukturen. Allein in den vergangenen zwei Monaten seien demnach mehr als sechs hochrangige IS-Kommandeure „eliminiert“ worden.
Obwohl die Terrormiliz 2017 im Irak und 2019 auch in Syrien militärisch besiegt wurde, sind nach wie vor IS-Zellen aktiv – insbesondere in den schwer zugänglichen Wüstenregionen im syrisch-irakischen Grenzgebiet. Nach Einschätzung der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) sind dort derzeit noch bis zu 2.000 IS-Söldner aktiv.
Sicherheitskooperation Irak-Syrien
Irak und Syrien haben zuletzt ihre sicherheitspolitische Zusammenarbeit verstärkt, insbesondere im Grenzgebiet und in der Terrorismusbekämpfung. Die US-geführte Koalition führt weiterhin regelmäßig gezielte Operationen gegen IS-Führungsfiguren in Syrien durch, an denen auch die QSD sowie die Asayîş als führende Sicherheitsbehörde der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens beteiligt sind.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/sicherheitskrafte-toten-is-kommandeur-bei-einsatz-nahe-heseke-47629 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/turkischer-dschihadist-bei-us-luftangriff-in-syrien-getotet-45453 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/us-armee-totet-is-kommandeur-in-nordsyrien-47258 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mutmassliche-is-zelle-in-deir-ez-zor-von-asayis-ausgehoben-47940
Kurdische Stadtteile in Aleppo vertiefen Zusammenarbeit mit Damaskus
In Aleppo haben Vertreter:innen der kurdisch verwalteten Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefiyê sowie des Stadtrats der selbsternannten syrischen Übergangsregierung ihre Gespräche über die Umsetzung des sogenannten 1.-April-Abkommens fortgesetzt. Bei dem am Freitag abgehaltenen dritten Treffen einigten sich beide Seiten auf einen Fahrplan zur Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen und zur Stärkung institutioneller Zusammenarbeit.
Das Treffen fand im Gebäude des Stadtrats von Aleppo statt. Teilgenommen haben unter anderem die Ko-Vorsitzenden der Volksgemeinde Şêxmeqsûd-Eşrefiyê, Emîne Beyram und Mistefa Şahîn, sowie der Vorsitzende des Stadtrats, Muhammad Ali Al-Aziz. Auch juristische und verwaltungstechnische Ausschüsse der Volksgemeinde waren vertreten.
Vertreter:innen der Selbstverwaltung in den kurdischen Stadtteilen | Foto: ANHA
Schwerpunkt auf öffentlicher Daseinsvorsorge und institutioneller Gleichstellung
Diskutiert wurden Umsetzungsmechanismen des Abkommens sowie die aktuelle Versorgungslage in beiden kurdischen Stadtteilen, die über eine weitgehend autonome kommunale Verwaltung verfügen. Beide Seiten betonten die Notwendigkeit eines gemeinsamen Arbeitsplans, der bestehende Defizite im Bereich der kommunalen Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen beheben soll.
Ein zentrales Thema war die gleichberechtigte Einbindung der Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in städtische Entscheidungsprozesse. Besonders im Fokus standen die Artikel 11, 13 und 14 des Abkommens, die unter anderem folgende Punkte vorsehen:
▪ Institutionelle Gleichbehandlung: Alle zivilen Einrichtungen in den Stadtteilen sollen ohne Diskriminierung mit anderen Bezirken Aleppos koordiniert arbeiten.
▪ Gegenseitige Unterstützung: Der interkommunale Austausch soll künftig über die beiden kommunalen Trägerorganisationen in Şêxmeqsûd und Eşrefiyê erfolgen.
▪ Vertretung auf Augenhöhe: Die beiden Stadtteile sollen rechtlich gleichberechtigt im Stadtrat von Aleppo, in der Handelskammer und in weiteren öffentlichen Institutionen vertreten sein.
Mitglieder der HTS-Regierung
Die Verwaltungs- und Versorgungsstrukturen in den beiden Vierteln sollen bis zu einer dauerhaften Einigung gemeinsam mit dem Stadtrat in Form gemischter Komitees weitergeführt werden.
Vorgeschichte und Ausblick
Die erste Koordinierungssitzung im Rahmen des Abkommens hatte am 15. April stattgefunden, das zweite Treffen am 21. April. Dabei waren mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet worden, deren Tätigkeit zuletzt jedoch ins Stocken geraten war. Mit der dritten Sitzung wurden diese nun wieder aktiviert. In den kommenden Wochen wollen beide Seiten erneut zusammenkommen, um eine verbindlichere Struktur und konkrete Mechanismen für die Umsetzung der Vereinbarungen zu entwickeln.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/komitees-fur-umsetzung-des-aleppo-abkommens-gebildet-47854 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/aleppo-zweite-runde-des-gefangenenaustauschs-durchgefuhrt-46538 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/kommunalverwaltung-in-Sexmeqsud-und-esrefiye-nimmt-arbeit-wieder-auf-45994 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/koordinationstreffen-in-aleppo-45950
Türkei und Ägypten halten gemeinsames Marinemanöver ab
Nach Jahren diplomatischer Spannungen rücken die Türkei und Ägypten auch militärisch wieder näher zusammen. Vom 22. bis 26. September veranstalten beide Länder im östlichen Mittelmeer eine gemeinsame Marineübung unter dem Titel „Meer der Freundschaft“.
Wie das türkische Verteidigungsministerium mitteilte, soll die Übung zur Vertiefung der bilateralen Beziehungen und zur Verbesserung der militärischen Zusammenarbeit beitragen. Es ist das erste Manöver dieser Art seit 13 Jahren.
An dem Manöver nehmen auf türkischer Seite mehrere Einheiten der Marine und Luftwaffe teil, darunter Fregatten, Schnell- und U-Boote sowie F-16-Kampfjets. Auch die ägyptische Marine wird mit eigenen Einheiten vertreten sein.
Höhepunkt des Manövers wird der sogenannte „Tag der hochrangigen Beobachter“ am 25. September. Dabei werden unter anderem der türkische Marinekommandeur Ercüment Tatlıoğlu und sein ägyptischer Amtskollege erwartet.