«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Aufklärungskampagne in Hesekê gegen Kinderehen
In der nordostsyrischen Stadt Hesekê haben Frauenorganisationen eine Aufklärungsaktion gegen Kinderehen durchgeführt. Ziel der Initiative war es, auf die Folgen früher Eheschließungen aufmerksam zu machen und patriarchale Normen kritisch zu hinterfragen.
Organisiert wurde die Aktion von der Frauenunion Nord- und Ostsyriens und der Armenischen Vereinigung junger Frauen. In mehreren Teilen der Stadt – darunter der Platz der Freiheit, der Merşo-Kreisel und die Umgebung der syrisch-orthodoxen Kirche im Viertel Til Hecer – wurden Flyer mit der Aufschrift „Nein zu Kinderehen“ an Passant:innen und Gewerbetreibende verteilt.
„Viele Frauen stehen weiter unter patriarchalem Einfluss“
Lusnak Kavoriyan, Ko-Vorsitzende der Armenischen Demokratischen Jugendbewegung, betonte, dass viele junge Frauen weiterhin unter traditionellen und patriarchalen Denkweisen litten. Frühverheiratung beraube Mädchen nicht nur ihrer Kindheit, sondern mache sie besonders anfällig für Gewalt.
„Unsere Aufgabe als Frauen ist es, Mädchen vor Kinderehen zu schützen und ihre Stimme in der Gesellschaft zu stärken“, sagte Kavoriyan. Die Aktion sei ein Schritt, um das Bewusstsein für die Rechte junger Frauen zu fördern.
Weitere Aktionen geplant
Die Organisatorinnen kündigten an, ähnliche Veranstaltungen auch in anderen Städten des Kantons Cizîr, darunter Qamişlo und Dirbêsiyê, durchzuführen. Zudem seien Kampagnen in den Kantonen Raqqa und Deir ez-Zor in Vorbereitung. Die Aktivistinnen fordern neben gesellschaftlicher Sensibilisierung auch rechtliche und politische Maßnahmen, um Frühverheiratungen wirksam zu verhindern.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mala-jin-qamislo-ein-ort-fur-frauen-39664 https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauendorf-jinwar-plant-neue-projekte-37727 https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauenbewegungen-in-syrien-einigen-sich-auf-gemeinsame-agenda-48042
Fair-Play-Auszeichnung für FC Kurde Lausanne
Der waadtländische Fußballverband (ACVF) hat den FC Kurde Lausanne mit dem Fair-Play-Preis der Saison 2024/25 ausgezeichnet. Gewürdigt wurden das sportlich faire Auftreten des Vereins, sein kollektiver Geist sowie sein Engagement für gesellschaftliche Teilhabe im Amateurfußball.
Die Association cantonale vaudoise de football (ACVF) ist für die Organisation des Amateurfußballs im Kanton Waadt zuständig und agiert unter dem Dach des Schweizerischen Fussballverbands (SFV). Die Auszeichnung wurde vom Schiedsrichter-Verantwortlichen des ACVF, Hicham Matni, an den Vereinspräsidenten Fuat Altun und dessen Stellvertreter Hayrettin Öztekin überreicht.
„Ein Vorbild für Fairness und Verantwortung“
Matni lobte den FC Kurde Lausanne als ein Beispiel für sportliche Integrität und soziales Verantwortungsbewusstsein. Der 2021 gegründete Verein hat sich in kurzer Zeit nicht nur durch seine sportliche Entwicklung, sondern auch durch seine Arbeit mit Jugendlichen einen Namen gemacht. Neben der ersten Mannschaft betreibt der Klub auch ein Kinderteam und plant den Aufbau einer eigenen Fußballakademie.
Kritik an struktureller Benachteiligung migrantischer Vereine
Der Vorstand des FC Kurde Lausanne wies bei der Preisverleihung auf bestehende Herausforderungen hin. „Diese Auszeichnung zeigt, dass unsere Haltung auf dem Platz Anerkennung findet. Gleichzeitig erleben viele migrantisch geprägte Vereine noch immer Formen von Diskriminierung. Institutionelle Unterstützung sollte gerecht und inklusiv gestaltet werden“, hieß es.
Symbolkraft für die kurdische Diaspora
Der Preis hat auch eine symbolische Bedeutung über den Fußball hinaus: In der kurdischen Community in Europa wird er als Zeichen kollektiven Engagements und wachsender gesellschaftlicher Sichtbarkeit gewertet. Der FC Kurde Lausanne sieht sich selbst als Plattform für Integration, Zusammenarbeit und den interkulturellen Austausch – auf wie neben dem Platz.
„Null Abfall“-Kampagne in Hesekê gestartet
In der Stadt Hesekê im nordostsyrischen Kanton Cizîr ist am Dienstag eine dreitägige Umweltkampagne unter dem Titel „Null Abfall“ angelaufen. Ziel der Initiative ist es, das ökologische Bewusstsein in der Bevölkerung zu stärken, den Umweltschutz zu fördern und eine nachhaltige Lebensweise in der Region zu verankern.
Organisiert wird die Kampagne gemeinsam vom Ökologiekomitee, der Volksgemeinde von Hesekê, dem Kurdischen Roten Halbmond sowie der italienischen Hilfsorganisation „Un Ponte per…“ (UPP). Der Auftakt fand am Sînalko-Kreisel statt und führte bis zum Zentrum der Inneren Sicherheitskräfte im Stadtteil Kelas.
Aufklärung, Müllbehälter und gemeinsames Handeln
Im Rahmen der Kampagne wurden Müllbehälter an Anwohnende verteilt, um die Abfallentsorgung zu verbessern und das Bewusstsein für Sauberkeit im öffentlichen Raum zu fördern. Zudem fanden Informationsveranstaltungen statt, in denen ökologische Grundprinzipien und der Zusammenhang zwischen Umweltschutz und öffentlicher Gesundheit vermittelt wurden.
Die Organisator:innen betonten, dass auch kommunale Einrichtungen stärker in die Verantwortung genommen werden sollen – etwa bei der Müllbeseitigung, Sensibilisierung oder bei der Entwicklung ökologischer Infrastruktur. Ziel sei es, Umweltbewusstsein nicht nur individuell, sondern auch institutionell zu verankern.
Internationale Unterstützung aus Italien
Die Kampagne wird finanziell unterstützt durch die autonome Provinz Bozen in Italien. Konkret beteiligt ist das Büro für Außenbeziehungen, Freiwilligenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit. Die Unterstützung ist Teil eines breiter angelegten Projekts zur Förderung nachhaltiger Entwicklung in Nord- und Ostsyrien.
Modellprojekt für andere Städte
Die Initiator:innen verstehen die Kampagne als Pilotprojekt. Langfristig solle ein nachhaltiges ökologisches System entstehen, das sich auch auf andere Städte der Region übertragen lässt. Im Zentrum stehe dabei die aktive Beteiligung lokaler Gemeinschaften. „Wir wollen ein Umweltbewusstsein schaffen, das in den Alltag integriert ist – und das von den Menschen selbst getragen wird“, erklärte das Ökologiekomitee.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qamislo-ringt-mit-mullkrise-stadtverwaltung-kundigt-massnahmen-an-47280 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/neue-kommunalfahrzeuge-fur-heseke-47267 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/volksrat-starkt-wasserversorgung-in-al-mansurah-47623 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qamislo-startet-grossprojekt-zur-trinkwasserversorgung-46873
Guerillakämpfer sechs Jahre nach Tod in Heimatstadt beigesetzt
Sechs Jahre nach seinem Tod ist der Leichnam des Guerillakämpfers Ali Kemal Arslan (Nom de Guerre Roşer Tolhildan) in Semsûr (tr. Adıyaman) beigesetzt worden. Arslan war im September 2019 bei Gefechten mit türkischen Militärs in der nordkurdischen Tolhildan-Region ums Leben gekommen. Seine sterblichen Überreste wurden auf Betreiben der Behörden in einem anonymen Grab auf einem „Friedhof für Namenlose“ im benachbarten Meletî (Malatya) verscharrt worden. Nun wurden sie exhumiert und in seine Heimatstadt überführt.
Am Eingang des Friedhofs in Semsûr empfingen zahlreiche Menschen – darunter Familienangehörige und Vertreter:innen verschiedener Parteien und Organisationen – den Sarg. Dazu aufgerufen hatte der Verein MEBYA-DER, der sich um Menschen kümmert, die Angehörige im kurdischen Befreiungskampf verloren haben. Begleitet von Parolen wie „Die Gefallenen sind unsterblich“ wurde der Sarg in einer gemeinsamen Prozession zum Grab getragen.
Ali Kemal Arslan © Volksverteidigungskräfte (HPG)
„Ein Vermächtnis für die Zukunft der Völker“
Am Grab würdigte Erhan Akyılmaz, Ko-Vorsitzender von MEBYA-DER in Riha (Urfa), Arslan als jemanden, der „den Abschied vom Leben in einen würdevollen letzten Weg verwandelt“ habe. Sein Tod sei kein Ende, sondern ein Vermächtnis für eine freie Zukunft, sagte er.
Adalet Çay, eine Vertreterin des Rates der Friedensmütter, appellierte in ihrer Rede an den türkischen Staat. „Wir reichen die Hand zum Frieden. Dieser Krieg, dieses Blutvergießen muss endlich ein Ende haben“, sagte sie unter dem Applaus der Anwesenden.
Auch Vertreter:innen der DEM-Partei waren vor Ort. Der Ko-Vorsitzende des Provinzverbands von Semsûr, Mehmet Bayır, betonte, Arslan habe „für die Freiheit Kurdistans gekämpft“. Die DEM werde ihren Einsatz fortsetzen, „bis dieses Land frei ist“, sagte er.
Der DEM-Abgeordnete Ferit Şenyaşar erinnerte in seiner Ansprache an die politische Verantwortung für einen dauerhaften Frieden. „Die kurdische Bevölkerung trägt eine schwere Last. Und trotz all unserer Schmerzen sind wir bereit für einen würdevollen Frieden“, so Şenyaşar.
Kondolenzbesuche möglich
Die Trauerfeier endete mit einer stillen Andacht. Die Familie Arslan nimmt Beileidsbekundungen im Trauerhaus neben dem Staatskrankenhaus von Adıyaman entgegen.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/militar-will-graber-von-gefallenen-in-lice-entfernen-47685 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/ein-eigener-krieg-kann-eine-person-funfmal-getotet-werden-32227 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/opferangehorige-fordern-instandsetzung-zerstorter-friedhofe-47473 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/grabstatten-kurdischer-gefallener-am-herekol-dem-erdboden-gleichgemacht-47831
Demonstration zur Unterstützung für Demokratische Kräfte Syriens in Raqqa
In der nordsyrischen Stadt Raqqa haben am Dienstag zahlreiche Menschen an einer Demonstration zur Unterstützung der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) teilgenommen. Die Teilnehmenden bezeichneten die QSD als „wahre nationale Kraft“ und betonten ihre Rolle bei der Verteidigung der Region und der Einheit der Bevölkerung.
Die Kundgebung begann auf dem Platz der Freien Frau und führte bis zum Al-Naim-Kreisel. Zu den Teilnehmenden zählten Vertreter:innen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), lokaler Stämme, zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien.
In einer Rede verurteilte Scheich Zuhair al-Abdullah vom arabischen Stamm der Bani Asid al-Zubaidi den tödlichen Angriff am Samstag in Dair Hafir, bei dem acht Zivilist:innen getötet worden waren. Er machte Truppen der selbsternannten syrischen Übergangsregierung für die Tat verantwortlich.
Al-Abdullah unterstrich, dass die QSD aus dem gemeinsamen Widerstand der Völker Syriens hervorgegangen seien. In ihren Reihen kämpften Kurd:innen, Araber:innen, Suryoye und Turkmen:innen. „Gemeinsam haben sie hohe Opfer im Kampf gegen den IS und bei der Verteidigung der Region gebracht“, betonte der Scheich.
Kritik an Übergangspräsident
Auch Frauen aus Raqqa äußerten sich während der Kundgebung. In einer Ansprache erklärte Zahra Shalash vom örtlichen Frauenrat, dass die Unterstützung der Bevölkerung für die QSD ungebrochen sei. Die jüngsten Äußerungen des sogenannten Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa, der die Türkei um militärische Unterstützung gebeten hat, sollten die QSD eine Integration in die Regierungsarmee verweigern, bezeichnete sie als „Verrat“. Zugleich verurteilte sie Menschenrechtsverletzungen durch das türkische Militär.
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https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zahl-der-toten-nach-angriff-auf-dair-hafir-auf-acht-gestiegen-48069 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-damaskus-verschleiert-verantwortung-fur-angriff-auf-umm-tina-48047 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-Uber-150-is-angriffe-in-zehn-monaten-gefahr-wachst-trotz-territorialverlust-48063
NGOs: Gräueltaten an Alawit:innen erfordern Rechenschaftspflicht auf höchster Ebene
Mehrere Menschenrechtsorganisationen fordern von Syriens selbsternannter Übergangsregierung umfassende Aufklärung über Gräueltaten an alawitischen Zivilist:innen in den Küstenregionen des Landes. Ein am Dienstag veröffentlichter gemeinsamer Bericht von Human Rights Watch, Syrians for Truth and Justice und Syrian Archive dokumentiert systematische Tötungen, Misshandlungen und die Zerstörung von Eigentum von Alawit:innen und wirft der Regierung mangelnde Transparenz bei der Aufarbeitung der Vorfälle vor.
„Bist du Alawi? Identitätsbasierte Tötungen während des Übergangs in Syrien“
Der 51-seitige Bericht mit dem Titel „Bist du Alawi? Identitätsbasierte Tötungen während des Übergangs in Syrien“ schildert die Übergriffe durch Regierungstruppen, regierungsnahe Milizen und freiwillige Bewaffnete im vergangenen März. Die Gewalt richtete sich demnach gezielt gegen Mitglieder der alawitischen Minderheit, die pauschal als loyal gegenüber dem gestürzten Regime von Baschar al-Assad verunglimpft werden.
Die dokumentierten Verbrechen – darunter Massenhinrichtungen, Plünderungen, Brandstiftungen und willkürliche Festnahmen – ereigneten sich innerhalb weniger Tage in über zwei Dutzend Städten und Dörfern. Grundlage des Berichts sind mehr als 100 Interviews mit Opfern, Zeug:innen, Beteiligten der Übergriffe und Journalist:innen sowie ausgewertetes Bildmaterial und Satellitenaufnahmen.
Damaskus erkennt Gewalt an, lässt aber Führungsverantwortung offen
Die Übergangsregierung hatte im Juli erste Untersuchungsergebnisse vorgelegt und dabei den Tod von mindestens 1.426 Menschen eingeräumt. 298 Verdächtige seien an die Staatsanwaltschaft übergeben worden. Die Angriffe wurden jedoch vor allem als Akte persönlicher Rache dargestellt – eine Darstellung, die laut den beteiligten NGOs den systematischen Charakter der Übergriffe verkenne.
Die Organisationen kritisieren insbesondere, dass der Bericht der Regierung keine Hinweise auf Ermittlungen gegen hochrangige Kommandeure oder politische Verantwortungsträger enthält, obwohl das Verteidigungsministerium nachweislich eine zentrale Rolle bei der Koordination der eingesetzten Truppen gespielt hatte.
„Wenn die für den Einsatz und die Führung der missbräuchlichen Streitkräfte verantwortlichen Kommandeure und Beamten nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt das Tor für weitere Repressalien und Gräueltaten in Syrien offen“, sagte Hiba Zayadin, Syrien-Expertin bei Human Rights Watch.
„Menschen wurden allein wegen ihrer Identität getötet“
Zahlreiche Zeug:innenberichte stützen laut den Organisationen die Einschätzung, dass Menschen gezielt aufgrund ihrer alawitischen Zugehörigkeit getötet wurden. In mehreren Fällen hätten bewaffnete Männer vor der Erschießung der Opfer gezielt nach deren Identität gefragt. In Videos, die den NGOs vorliegen, seien außerdem anti-alawitische Parolen zu hören.
Ein Mitglied einer regierungsnahen Fraktion der von der Türkei gesteuerten Dschihadistenallianz „Syrische Nationalarmee“ (SNA) gab gegenüber den Ermittler:innen an, dass bei Durchsuchungen „Menschen allein deshalb getötet wurden, weil sie Alawiten waren“.
Frühere Übergriffe und Muster der Straflosigkeit
Die NGOs weisen zudem darauf hin, dass identitätsbasierte Übergriffe bereits Wochen vor den Ereignissen im März begonnen hätten – etwa in den Provinzen Homs und Hama. Auch in den Monaten danach sei es, etwa im Juli in der drusischen Provinz Suweida, erneut zu Massentötungen und Plünderungen an Minderheiten durch Sicherheitskräfte gekommen.
Die Organisationen begrüßen zwar, dass das Untersuchungskomitee erstmals öffentlich Gräueltaten einräumt und Reformvorschläge unterbreitet hat. Doch die Glaubwürdigkeit dieser Bemühungen hänge entscheidend davon ab, ob auch die institutionelle Verantwortung aufgearbeitet werde – und nicht nur Einzeltäter zur Rechenschaft gezogen würden.
Forderungen an Regierung und internationale Partner
Die Menschenrechtsgruppen fordern die vollständige Veröffentlichung des Untersuchungsberichts, den Schutz von Zeug:innen und ordnungsgemäße Gerichtsverfahren für Verdächtige. Außerdem sollten internationale Mechanismen zur Rechenschaftspflicht – etwa unter UN-Mandat – einbezogen werden. „Hier geht es nicht um eine einzelne Woche im März“, sagte Jelnar Ahmad, Programmmanager bei Syrian Archive. „Es ist ein Indikator für ein umfassenderes Muster, das strukturell und transparent angegangen werden muss.“
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/gfbv-angriffe-auf-alawit-innen-in-syrien-gehen-weiter-45592 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/proteste-in-nord-und-ostsyrien-gegen-massaker-an-alawit-innen-45556 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/human-rights-watch-alawiten-45550
Urteil gegen abgesetzten Ko-Bürgermeister von Colemêrg aufgehoben
Das Berufungsgericht in der nordkurdischen Provinz Wan (tr. Van) hat das Urteil gegen den abgesetzten Ko-Bürgermeister von Colemêrg (Hakkari), Mehmet Sıddık Akış, aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die 2. Strafkammer rügte mehrere gravierende Mängel im Verfahren – darunter fehlerhafte Übersetzungen, unklare Tatvorwürfe und Verstöße gegen das Recht auf Verteidigung.
Akış war am 3. Juni 2024 festgenommen und wenig später seines Amtes enthoben worden. Das Innenministerium setzte einen Zwangsverwalter ein. Zwei Tage später verurteilte ein Gericht in Colemêrg den Politiker wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Organisation – gemeint war die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – zu 19 Jahren und sechs Monaten Haft. Auch elf Mitangeklagte wurden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Verteidigung legte Berufung ein.
Gericht rügt Verfahrensfehler und mangelhafte Begründung
Das Berufungsgericht stellte fest, dass zentrale Beweismittel – darunter kurdischsprachige Gesprächsmitschnitte – rechtswidrig entstanden und nicht ordnungsgemäß übersetzt worden seien. Es sei unklar, ob diese Übersetzungen durch vereidigte Sachverständige erfolgt seien und ob sie den Anforderungen des Strafprozessrechts genügten. Eine solche Prüfung sei zwingend, da die Gesprächsinhalte für das Verfahren von entscheidender Bedeutung seien, so das Gericht.
Darüber hinaus bemängelten die Richter, dass aus dem schriftlichen Urteil nicht hervorgehe, welche konkreten Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Politische Aktivitäten wie Presseerklärungen, die Teilnahme an Newroz-Feiern oder Beileidsbesuche könnten nicht pauschal als Beleg für eine „Terrorunterstützung“ gewertet werden. Die Verbindung des Angeklagten zur PKK sei nicht ausreichend belegt worden.
Verteidigungsrechte eingeschränkt
Besonders schwer wog aus Sicht des Gerichts, dass Akış keine Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Verteidigung erhalten habe. Die Anklageschrift und ihre Anhänge seien nicht vollständig verlesen worden, bevor das Urteil gefällt wurde. In einem zusammengelegten Verfahren habe das Gericht sogar mit der Begründung, es bestehe „kein rechtliches Interesse an einer Anhörung“, auf eine Befragung des Angeklagten verzichtet. Damit sei sein Recht auf Verteidigung verletzt worden.
Untersuchungshaft bleibt dennoch bestehen
Trotz dieser Mängel bestätigte das Berufungsgericht die Untersuchungshaft gegen Akış. Zur Begründung verwiesen die Richter auf den „dringenden Tatverdacht“, das Strafmaß, eine „Fluchtgefahr“ sowie die Einschätzung, dass mildere Maßnahmen wie etwa Meldeauflagen nicht ausreichten. Die Haft entspreche den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, hieß es.
Verteidigung spricht von politischem Druck
Der Anwalt des Politikers, Azad Özer, kritisierte das ursprüngliche Verfahren scharf. „Das Berufungsgericht bestätigt, dass die Telefone unseres Mandanten über einen langen Zeitraum rechtswidrig abgehört wurden. Trotzdem hat das Gericht damals keinerlei Prüfung vorgenommen“, sagte er. Die Entscheidung, Akış zu verurteilen, sei unter politischem Druck gefallen. „Das ist jetzt klarer denn je.“ Man rechne mit einem Freispruch und werde gegen die fortdauernde Haftbeschwerde einlegen.
Die Neuverhandlung des Falls wird voraussichtlich in den kommenden Wochen vor dem Strafgericht in Colemêrg stattfinden.
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Neues Kulturzentrum in Ankara will mehrsprachige Kunst und Teilhabe fördern
In der türkischen Hauptstadt Ankara entsteht ein neues Kulturzentrum, das sich der Förderung mehrsprachiger, gemeinschaftlicher Kunst und kultureller Teilhabe verschrieben hat. Das Anatolia Kulturzentrum (ku. Navenda Çanda Anatoliya, kurz AKM) versteht sich als Fortsetzung der kulturellen Linie des 1991 in Istanbul gegründeten Kulturzentrums Mesopotamien (NÇM).
Das Zentrum will insbesondere Künstler:innen aus kurdischen und Communities in Anatolien Raum zur künstlerischen Entfaltung in ihren jeweiligen Sprachen und Ausdrucksformen bieten. Der offizielle Betrieb soll innerhalb eines Monats beginnen; die laufenden Kursanmeldungen enden am 20. Oktober. Geplant sind Angebote in den Bereichen Musik – unter anderem Gitarre, Langhalslaute, Kemençe, Klavier und Gesang, Theater, Bildende Kunst, Film, Kinder-Workshops, Tanz, Rhythmus und Folklore. Auch Kurse zu traditioneller kurdischer Musik und Sprache sind vorgesehen.
„Ein Raum für kollektive Kultur, nicht für kommerzielle Kunst“
Adar Yıldırım, Musikpädagoge und Mitgründer des AKM, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur MA, das Zentrum verfolge das Ziel, Kunst und Kultur als kollektive Praxis zu stärken – jenseits von Kommerz und Mainstream. „Wir wollen eine Kulturkommune schaffen. Unser Ziel ist es, nicht nur zu repräsentieren, sondern aktiv Teilhabe zu ermöglichen“, sagte Yıldırım. Dabei knüpfe man an das Motto des NÇM an: „Frei leben, revolutionäre Kunst schaffen.“
Adar Yıldırım © MA
Ein zentrales Anliegen sei die Sichtbarkeit und der Schutz der Muttersprache – insbesondere Kurdisch. „Gegen die Politik von Verbot und Assimilation wollen wir mit Musik, Theater, Literatur und Film Räume schaffen, in denen Sprache lebt und wirkt“, so Yıldırım. Das Zentrum verstehe sich daher auch als kulturelle Antwort auf politische Marginalisierung.
Frauen, Vielfalt und kulturelle Selbstverwaltung im Fokus
Ein besonderer Schwerpunkt soll auf feministischer Kulturarbeit liegen. Angebote und Strukturen würden mit einer „frauenspezifischen, emanzipatorischen Perspektive“ entwickelt. Ziel sei nicht nur die Thematisierung von Geschlechtergerechtigkeit, sondern deren aktive Umsetzung im Alltag der Einrichtung.
Das Logo des Kulturzentrums © AKM
Das Zentrum werde mehrsprachig, multikulturell und inklusiv ausgerichtet sein, so Yıldırım weiter. Es verstehe Kultur als kollektiven Prozess, der von unten wächst: „Nicht der Staat schafft Kultur, sondern die Menschen. Deshalb ist unsere Arbeit eine Form kulturellen Widerstands gegen Dominanz, gegen Ausgrenzung, für ein freies Zusammenleben.“
Aufruf zur Beteiligung
Yıldırım rief abschließend dazu auf, das Zentrum gemeinsam mit Leben zu füllen: „Dieses Haus gehört allen, die ihre Sprache und Kultur bewahren wollen. Lasst uns gemeinsam produzieren, gemeinsam stärker werden – für ein freies, vielsprachiges und solidarisches Leben.“
https://deutsch.anf-news.com/kultur/nCm-ankerpunkt-kurdischer-kultur-mitten-in-istanbul-21076 https://deutsch.anf-news.com/kultur/nCm-jubilaumskonzert-wegen-sicherheitsbedenken-verboten-28835 https://deutsch.anf-news.com/kultur/kollektive-kunst-als-praxis-von-widerstand-und-hoffnung-46559
DEM-Partei verlegt Friedenskampagne nach Amed
Die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) hat ihre anlässlich des Antikriegstags am 1. September gestartete Friedenskampagne unter dem Motto „Wir fordern Frieden, weil …“ nach Amed (tr. Diyarbakır) verlegt. Ziel der Initiative ist es, eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage breiter in den öffentlichen Fokus zu rücken.
Bei einer Veranstaltung vor einem Einkaufszentrum im Stadtteil Payas (Kayapınar) versammelten sich am Dienstag zahlreiche Vertreter:innen politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Unterstützer:innen und riefen zur Teilnahme an der Kampagne auf. Die Unterschriftensammlung solle die Forderung nach einem politischen Dialog und einer Abkehr von der antikurdischen Kriegspolitik unterstreichen.
Kritik an Kriegspolitik und sozialer Krise
In seiner Erklärung kritisierte der DEM-Politiker Abbas Şahin die Auswirkungen der anhaltenden Kriegspolitik auf die Gesellschaft: „Krieg bedeutet Armut, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen. Wir sind diesem Dunkel nicht ausgeliefert – wir fordern Frieden.“
Der „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ von Abdullah Öcalan werde von der Bevölkerung mitgetragen und münde nun in diese Kampagne, so Şahin weiter. Die Partei wolle rund um den Appell des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Repräsentanten den gesellschaftlichen Dialog über Demokratie, Gleichheit und Freiheit stärken.
Bezug auf Öcalans Rolle
Yeter Erel Tuma, Ko-Vorsitzende des Ortsverbands der Gefangenenhilfsorganisation TUAY-DER verwies in ihrer Rede ebenfalls auf den Friedensaufruf Öcalans. Dieser sei als „Wegweiser für eine Lösung“ zu verstehen. Zugleich forderte sie die Anerkennung von Öcalans Recht auf Hoffnung, das als Grundvoraussetzung für einen demokratischen Gesellschaftsprozess verstanden werde.
Breite thematische Begründung für Friedensforderung
In mehreren Redebeiträgen wurde betont, dass eine Lösung der kurdischen Frage nicht nur für politische Stabilität, sondern auch für soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und wirtschaftliche Perspektiven notwendig sei. Die Kampagne richte sich zudem gegen frauenfeindliche Gewalt, zunehmende Armut und die Einschränkung demokratischer Rechte.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-berat-uber-friedensprozess-und-gesetzesplane-48072 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ozturk-abdullah-Ocalan-fordert-politische-reformen-und-Ubergangsgesetze-48062 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/parlamentskommission-berat-mit-denkfabriken-uber-losung-der-kurdischen-frage-48066
Trotz Protesten: Bergbauunternehmen in Şemrex setzt Arbeiten fort
Trotz anhaltender Proteste der lokalen Bevölkerung setzt das Bergbauunternehmen Eti Bakır, eine Tochter der regierungsnahen Cengiz Holding, seine umstrittenen Aktivitäten in Şemrex (tr. Mazıdağı) in der kurdischen Provinz Mêrdîn (Mardin) fort. Nach Angaben der ortsansässigen Bevölkerung haben die Arbeiten bereits massive ökologische Schäden verursacht – darunter die vollständige Austrocknung mehrerer natürlicher Wasserquellen.
In mehreren Dörfern rund um die Abbauflächen – darunter Gola Gulê, Teznê, Kufrak, Deşan, Şemika und Girêsor – berichteten Anwohnende gegenüber der Nachrichtenagentur MA von der Zerstörung von Weideflächen, dem Verlust ihrer Gärten und dem Sterben jahrzehntealter Bäume. Besonders dramatisch ist die Lage in der Ortschaft Gola Gulê: Der dortige gleichnamige Dorfteich, einst benannt nach den Rosen, die ihn umgaben, ist völlig ausgetrocknet.
Proteste ohne Wirkung: „Wir wehren uns, aber sie machen weiter“
Obwohl die lokale Bevölkerung bereits mehrfach juristisch gegen die Arbeiten vorgegangen ist, unter anderem mit Anträgen auf Aussetzung, setzt das Unternehmen seine Bau- und Abgrabungsarbeiten unverändert fort. „Wir erwirken einen Baustopp, aber sie machen einfach weiter“, sagt Mehmet Aktaş, ein Bewohner von Gola Gulê. Er verweist auf den Gola Xezalê-Teich, einst eine der wichtigsten Wasserquellen der Region: „Früher war es verboten, darin zu baden. Heute ist nicht einmal mehr ein Tropfen Wasser übrig.“
Mehmet Aktaş steht auf der Fläche des ehemaligen Gola Xezalê | Foto: MA
Die Umwandlung von einstigen Weideflächen in angeblich „unbewirtschaftetes Brachland“ durch behördliche Verfügung kritisieren viele als gezielte Enteignung. So wurde laut Aktaş auch das Dorfgebiet, das bis 2022 offiziell als Gemeinschaftsweide galt, inzwischen per Bescheid als „unerschlossenes Land“ umgewidmet und dem Unternehmen zugewiesen.
Bäume verdorren, Quellen versiegen
Neben dem Wasserverlust leiden die Bewohner:innen unter den Folgen der Sprengungen, Abraumhalden und Infrastrukturmaßnahmen wie dem Bau eines firmeneigenen Eisenbahnanschlusses. Dabei sei auch der Verlauf von Oberflächen- und Grundwasser verändert worden, was das Austrocknen der Böden und das Sterben von Nutzpflanzen begünstige.
„Unsere Bäume sterben, unsere Rebstöcke tragen keine Früchte mehr“, sagt Abdullah Işık, der wie viele andere von Landwirtschaft lebt. „Früher ernteten wir von 500 Bäumen mehrere Säcke Mandeln – jetzt nicht einmal eine Handvoll.“
Işık wirft dem Unternehmen vor, versucht zu haben, die Dorfbewohner:innen mit Geld zum Schweigen zu bringen. Doch das eigentliche Ziel sei klar: „Sie wollen, dass wir gehen. Aber wir leben hier seit Generationen. Wir wollen bleiben – und dass sie unser Land verlassen.“
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-merdin-dorf-fordert-ruckgabe-von-weideflachen-48051 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-gegen-umweltzerstorung-durch-cengiz-holding-in-Semrex-47925 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638
Polizeieinsatz bei kurdischem Kulturzentrum in Frankreich
In der südfranzösischen Stadt Draguignan hat die Polizei das dort ansässige Demokratische Kurdische Gesellschaftszentrum durchsucht. Nach Angaben aus Vereinskreisen wurden bei dem Einsatz sechs Personen in Polizeigewahrsam genommen.
Zu den Festgenommenen gehören laut Angaben des Vereins der Ko-Vorsitzende Osman Sönmez sowie weitere Mitglieder der lokalen kurdischen Community. Das Gesellschaftszentrum reagierte mit scharfer Kritik auf den Einsatz. In einer Erklärung bezeichnete der Verein das Vorgehen der Polizei als „unverständlich und inakzeptabel“ und forderte ein Ende der Kriminalisierung kurdischer Institutionen in Frankreich.
Nach Bekanntwerden des Polizeieinsatzes versammelten sich mehrere Menschen vor dem Vereinsgebäude, um ihre Solidarität mit dem Zentrum auszudrücken. Der Verein hatte zuvor die kurdische Bevölkerung in Draguignan aufgerufen, sich „ihrem lokalen Zentrum gegenüber solidarisch zu zeigen“.
Federico Racca: Öcalan ist der Mandela unserer Zeit
Der argentinische Künstler und Schriftsteller Federico Racca verbindet Kunst mit politischem Engagement. In seiner aktuellen Kampagne „A Place for Öcalan“, eine digitale Kunstaktion auf Instagram, setzt er sich für die Freilassung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan ein. Im Interview spricht Racca über seine Beweggründe, die Rolle der Kunst im Widerstand und seine persönliche Verbindung zum kurdischen Freiheitskampf.
Herr Racca, würden Sie sich kurz vorstellen?
Ich bin Argentinier, 54 Jahre alt, verheiratet, habe eine kleine Tochter und lebe in einer kleinen Stadt namens Río Ceballos in den Bergen der Provinz Córdoba. Ich bin Schriftsteller und Künstler. Mein Studium habe ich in Rechtswissenschaften abgeschlossen, meinen Master in lacanianischer Psychoanalyse.
Diese kurze Biografie steht stellvertretend für einen Lebensweg, in dem sich meine Tätigkeiten oft überschneiden – meist in einem politisch-künstlerischen Kontext.
Wie sind Sie als argentinischer Künstler zur kurdischen Freiheitsbewegung gekommen?
Vor mehr als zehn Jahren habe ich zum ersten Mal von der Geschichte Abdullah Öcalans gehört. Von dort aus begann ich, das kurdische Volk und seinen Freiheitskampf näher kennenzulernen. Im Laufe der Jahre habe ich viel über Öcalan gelesen und mich intensiv in meiner Kunst und meinen Texten mit ihm auseinandergesetzt.
Wie ist die Idee zur Kampagne „A Place for Öcalan“ entstanden? Und warum gerade dieser Name?
Ich sprach eines Tages mit meiner Frau über Öcalan, über die kurdische Bewegung und über die Insel Imrali, auf der er inhaftiert ist. Sie sagte etwas, das ich bis heute auf einem kleinen Stück Holz in meinem Arbeitszimmer notiert habe: „Weil sie den Kurden kein Land geben, gaben sie ihrem Anführer einen der schönsten Orte überhaupt.“ Sie meinte Imrali – diese Insel mitten im Meer.
Für uns, die wir in Regionen ohne Meereszugang leben, ist das Meer ein Symbol der Sehnsucht. Als ich über einen Namen für die Aktion nachdachte, wurde mir klar: Für mich lebt Abdullah Öcalan in meinem Inneren. Wenn ich an ihn denke, überkommt mich stets eine tiefe Beklommenheit, weil ich ihn mir immer einsam vorstelle. Deshalb möchte ich ihm immer – wirklich immer – einen Platz an meiner Seite geben. Auch jetzt, während ich dieses Interview am Flughafen von Santiago de Chile gebe, wünsche ich mir, dass Öcalan diese schöne Aussicht mit mir teilen könnte.
Was ist das Ziel der Kampagne?
Wir wollen Öcalan sichtbarer machen – seine Einsamkeit, die Bedingungen seiner Inhaftierung und was das mit uns macht. Ich hoffe, dass es etwas bewirkt. Die Kampagne organisiere ich gemeinsam mit dem argentinischen Psychoanalytiker Francisco Larrambebere, mit Unterstützung der kurdischen Frauenbewegung in Lateinamerika und einigen Freundinnen und Freunden. Wir sind nur wenige, aber es funktioniert. Und es vertieft sich. Das ist Kunst: Wenn eine Aktion Tiefe gewinnt, berührt sie. Das macht uns glücklich.
Ich lade alle ein mitzumachen. Nehmt ein stilles Video auf, stellt einen leeren Stuhl neben euch – dieser Platz ist für Abdullah Öcalan. Da passiert etwas. Diese Erfahrung berührt. Und ich bin sicher, auch Öcalan wird das spüren, wird fühlen, dass wir bei ihm sind.
In den Videos zeigen sich auch Menschen, die wir aus anderen Freiheitsbewegungen kennen. Was bedeutet das für Sie?
Es ist mir eine große Ehre, dass mein Beitrag neben denen von Menschen steht, die wir bewundern – Menschen, die sich für eine bessere Zukunft der Menschheit einsetzen, in verschiedensten Kämpfen rund um die Welt.
Wie beurteilen Sie Öcalans Situation nach über 26 Jahren Haft unter strikter Isolation?
Abdullah Öcalan ist kein gewöhnlicher Gefangener – er wurde entführt. Aus juristischer Sicht ist das ein gewaltiger Unterschied. Für mich als Jurist ist klar: Er ist eine Geisel. Er ist der Mandela unserer Zeit. Wenn ich an ihn denke, kann ich meine Tränen kaum zurückhalten.
Aus südamerikanischer Sicht, aus Argentinien, ist Öcalan ein „éxtimo“ – ein Begriff des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan, der aus „exterieur“ (äußerlich) und „intime“ (innerlich) zusammengesetzt ist. Es bedeutet: Das Innerste einer Person oder Gesellschaft erscheint als etwas außerhalb von ihr – weit entfernt, aber zutiefst verbunden.
Öcalan ist für uns genau das. Der Kämpfer, der Anführer des kurdischen Volkes, der Träger einer einzigartigen Kultur – er ist weit weg, und doch definiert er uns mit. Er hat uns etwas zu lehren.
Wie bewerten Sie Öcalans konsequente Haltung für Frieden – besonders in einer Zeit, in der Kriege und Aufrüstung weltweit zunehmen?
Seine Beharrlichkeit auf Frieden ist Ausdruck seiner fundamentalen Kapitalismuskritik. Krieg, Waffen – all das steht im Zentrum des Systems. Ich habe kürzlich ein fast tausendseitiges Werk veröffentlicht: La Flor del Diente de León. Es basiert auf dem „Manifest der demokratischen Zivilisation“ von Öcalan und enthält mehrere Kapitel, die sich mit seinen Ideen auseinandersetzen. In Kürze werde ich im argentinischen Nationalmuseum der Schönen Künste eine 24-stündige Lesung dieses Buches halten – in einem Saal, in dem Werke von Francisco de Goya hängen, die den Widerstand des spanischen Volkes gegen die napoleonischen Invasionen thematisieren.
Diese Performance wird ein physischer Akt des Widerstands sein – gegen die aktuelle politische Situation in Argentinien und als Ausdruck des kurdischen Widerstands. Zwei Kämpfe, die aufeinandertreffen.
Welches Signal möchten Sie in Bezug auf internationale Solidarität mit dem kurdischen Volk senden?
Lasst die Stühle nicht leer.
https://deutsch.anf-news.com/weltweit/instagram-kampagne-a-place-for-Ocalan-gestartet-47916
DEM-Partei berät über Friedensprozess und Gesetzespläne
Die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) hat am Sitz der Parteizentrale in Ankara am Dienstag ihren Vorstand einberufen, um über aktuelle politische Entwicklungen zu beraten. Unter der Leitung der Ko-Vorsitzenden Tuncer Bakırhan und Tülay Hatimoğulları standen dabei mehrere Themen auf der Tagesordnung – von der Fortführung des Friedensprozesses bis hin zu erwarteten Gesetzesinitiativen im Parlament.
Ein zentrales Thema war der Stand des von Abdullah Öcalan angestoßenen „Prozesses für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“. Die Parteispitze diskutierte sowohl die bisherigen Schritte als auch bestehende Hindernisse und mögliche eigene Beiträge zum weiteren Verlauf. Auch die laufende Kampagne „Wir fordern Frieden, weil …“, die anlässlich des Antikriegstags am 1. September gestartet wurde, wurde ausgewertet. Die bis Ende des Monats geplanten Aktivitäten sollen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Öcalan-Besuch im Gespräch
Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung war ein möglicher Besuch der Parteiführung bei dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Die DEM-Vorsitzenden und Mitglieder der Imrali-Delegation wollen über einen konkreten Besuchstermin entscheiden.
Blick auf die bevorstehende Parlamentssitzung
Mit Blick auf die für den 1. Oktober geplante Wiedereröffnung des türkischen Parlaments wurde zudem über Gesetzesvorhaben diskutiert, die nach Abschluss der Anhörungen in der „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ eingebracht werden könnten. Die DEM-Partei fordert, dass bei weiteren Schritten auch mit Abdullah Öcalan gesprochen werden müsse.
Zudem standen Maßnahmen gegen den Ökozid in Kurdistan auf der Agenda der Sitzung.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/parlamentskommission-berat-mit-denkfabriken-uber-losung-der-kurdischen-frage-48066 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ozturk-abdullah-Ocalan-fordert-politische-reformen-und-Ubergangsgesetze-48062 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/bestas-halt-gesprache-zwischen-Ocalan-und-parlamentskommission-fur-moglich-48050
Angriff auf Asayîş-Posten in Şêxmeqsûd
Im kurdischen Stadtteil Şêxmeqsûd in der nordsyrischen Stadt Aleppo ist ein Kontrollpunkt der Behörde für Innere Sicherheit (Asayîş) angegriffen worden. Wie die Asayîş mitteilte, wurden drei der Täter verletzt, als die Sicherheitskräfte auf den Angriff reagierten. Darüber hinaus sei eine Drohne der Angreifer abgeschossen worden, zudem wurden mehrere Fahrzeuge beschlagnahmt.
Die Attacke ereignete sich am Montagabend am Kontrollpunkt in der Nähe der Şîhan-Kreuzung und wurde offenbar von Angehörigen der syrischen Übergangsregierung verübt. Nach Asayîş-Angaben seien die Angreifer als unter dem Kommando von Damaskus stehende Truppen identifiziert worden.
In einer Stellungnahme des Generalkommandos der Inneren Sicherheitskräfte hieß es, man habe „mit Nachdruck auf den Angriff reagiert“ und werde auch weiterhin Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und jede Bedrohung für den zivilen Alltag in der Region konsequent abzuwehren.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zahl-der-toten-nach-angriff-auf-dair-hafir-auf-acht-gestiegen-48069 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/kurdische-stadtteile-in-aleppo-vertiefen-zusammenarbeit-mit-damaskus-48022 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/sieben-zivilist-innen-bei-angriff-auf-dair-hafir-getotet-48041
Frauen aus Miks stemmen harte Almwirtschaft allein
In der nordkurdischen Provinz Wan (tr. Van) stemmen Frauen unter widrigsten Bedingungen die saisonale Almwirtschaft. In der Region Miks (Bahçesaray), die wegen ihrer Abgeschiedenheit von Bewohner:innen scherzhaft als „neunter Planet“ bezeichnet wird, verbringen viele Frauen bis zu vier Monate jährlich auf den Hochweiden – meist auf dem Rücken von Maultieren, mangels befahrbarer Straßen.
Die Arbeit der Bêrîvan – das tägliche Melken der Schafe, die Verarbeitung von Milch zu Käse und das Zurückbringen der Produkte ins Dorf – bleibt oft unsichtbar, obwohl sie für das wirtschaftliche Überleben vieler Familien unerlässlich ist. Frauen aus dem Dorf Arinc etwa legen jeden Tag rund zwei Stunden auf Maultieren oder zu Fuß zurück, um ihre Tiere zu versorgen.
Kein Einkommen – nur Überleben
„Wir arbeiten, weil wir überleben müssen. Es gibt hier keine andere Arbeit“, sagt Kıymet Çağırcı, die seit 20 Jahren diese Tätigkeit ausübt. „Unsere Kinder bleiben allein zu Hause, und wenn wir zurückkommen, geht es weiter mit der Hausarbeit.“ Die Saison beginnt im Mai und endet Ende September. In dieser Zeit erwirtschaften die Frauen den Großteil der Nahrungsmittel für den Winter.
Der Zustand der Wege erschwert die Arbeit zusätzlich. Nach jedem Winter sind die unbefestigten Pfade durch Schnee und Regen beschädigt – und werden nicht repariert. Die Frauen können sich keine Fahrzeuge leisten, da Treibstoff zu teuer ist. Viele sind gezwungen, Milch und Käse auf dem Rückweg zu Fuß zu transportieren, während die Maultiere die Last tragen.
Sturzgefahr, Isolation und fehlende Anerkennung
Die körperliche Belastung ist hoch. Immer wieder kommt es zu Unfällen, wie Çağırcı berichtet: „Viele Frauen stürzen jeden Sommer vom Tier. Es ist kein gerader Weg – es geht bergauf und bergab. Wenn wir zurückgehen, müssen wir neben dem Maultier herlaufen, weil es die Milch trägt.“
Trotz ihrer Arbeit sehen sich viele der Frauen nicht anerkannt. Sie fordern keine Unterstützung, sondern Sichtbarkeit. „Niemand sieht, was wir leisten“, sagt eine weitere Bêrîvan. Doch die Realität bleibt: Für viele Familien in den wirtschaftlich vernachlässigten Bergregionen Nordkurdistans ist diese Art der informellen Arbeit die einzige Lebensgrundlage.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/geothermieprojekt-in-Cewlig-bedroht-traditionelle-lebensweisen-47650 https://deutsch.anf-news.com/frauen/hirtinnen-in-kato-marinos-klagen-uber-militarprasenz-auf-weideflachen-47621 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/tomatenernte-unter-extrembedingungen-saisonarbeit-in-amed-47561
Zahl der Toten nach Angriff auf Dair Hafir auf acht gestiegen
Nach einem Angriff auf die Ortschaft Umm Tina in der nordsyrischen Gemeinde Dair Hafir ist die Zahl der Todesopfer auf acht gestiegen. Bei dem Angriff am Wochenende waren zunächst sieben Zivilpersonen ums Leben gekommen, darunter Frauen und Kinder. Weitere Menschen wurden verletzt.
Wie die Gesundheitsbehörde der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens am Montag mitteilte, ist nun auch ein zwei Monate alter Säugling gestorben. Das Baby fand sich unter den Verletzten, die zunächst mit vier angegeben wurden. Inzwischen wurde die Zahl korrigiert.
Der Angriff auf Umm Tina hatte sich am Samstagabend ereignet. Nach Angaben der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) startete die Attacke mit Drohnenschlägen und ging anschließend in Artilleriebeschuss über, getroffen wurden Wohnhäuser. Das Bündnis beschuldigte Islamistengruppen unter Kontrolle der syrischen Übergangsregierung, die mit der Türkei verbündet seien.
Damaskus wiederum warf den QSD vor, das Dorf selbst unter Beschuss genommen zu haben. In einer Erklärung sprachen die Demokratischen Kräfte Syriens anschließend von einem „doppelten Verbrechen“ – dem Angriff selbst und der anschließenden Leugnung.
Dair Hafir (auch Deir Hafer) liegt östlich von Aleppo und südlich des seit Ende 2024 besetzten Minbic (Manbidsch). Die Region gilt als sensible Kontaktlinie zwischen den von Damaskus kontrollierten Gebieten und der Autonomieverwaltung, deren Verteidigungskräfte die QSD sind. In den letzten Wochen kam es dort wiederholt zu Provokationen und Waffenruhe-Verstößen durch Islamisten.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-damaskus-verschleiert-verantwortung-fur-angriff-auf-umm-tina-48047 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/selbstverwaltung-verurteilt-angriff-auf-umm-tina-48043 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/sieben-zivilist-innen-bei-angriff-auf-dair-hafir-getotet-48041
„Heval Birako“: Spielfilm aus Rojava zu Ehren von Nazım Daştan
Die Filmkommune Rojava hat die Produktion des Spielfilms „Heval Birako“ abgeschlossen und das Werk dem getöteten Journalisten Nazım Daştan gewidmet. Die Geschichte basiert auf einer Erzählung Daştans und wurde von Önder Çakar für das Drehbuch adaptiert. Regie führte Numan Yiğit.
Die Dreharbeiten begannen am 7. August 2024 und wurden am 7. Oktober desselben Jahres abgeschlossen. Zuvor war bereits eine Testaufnahme durchgeführt worden. Der Film mit einer Laufzeit von 1 Stunde und 53 Minuten wird am 13. November beim Rojava International Film Festival in Qamişlo erstmals öffentlich gezeigt. Das Festival dauert eine Woche.
Inhalt des Films: Brüder im Schatten des Krieges
„Heval Birako“ erzählt die Geschichte zweier kurdischer Brüder, die während der Herrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) voneinander getrennt werden. Die Extremisten versuchen, die beiden gegen ihre eigene Herkunft und Kultur zu instrumentalisieren. Doch letztlich überwinden sie durch ihre familiäre Verbundenheit die ideologische Trennung und finden wieder zueinander.
Yiğit: Hommage an Nazım Daştan und Cihan Bilgin
Regisseur Numan Yiğit erklärte, der Film sei eine Hommage an Nazım Daştan und Cihan Bilgin – beide Journalist:innen wurden am 19. Dezember 2024 bei einem gezielten Drohnenangriff des türkischen Staates in Nordsyrien getötet. Yiğit sagte: „Nazım Daştan und Cihan Bilgin wurden brutal ermordet. Nazıms Beitrag zu dieser Geschichte war entscheidend. Wir wollen sein Andenken mit diesem Film bewahren.“
https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/was-immer-sie-auch-tun-wir-werden-nicht-ausgeloscht-werden-44718
Protest gegen verweigerte Haftentlassungen in Sincan
Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben vor dem Frauengefängnis in Sincan bei Ankara gegen die systematische Verweigerung von bedingten Haftentlassungen protestiert. Die Organisator:innen und Unterstützer:innen kritisierten dabei insbesondere die Rolle sogenannter Verwaltungs- und Beobachtungskommissionen in Vollzugsanstalten, die aus ihrer Sicht ideologisch und willkürlich agierten.
Zu der Protestaktion riefen unter anderem die Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD), die Gefangenensolidaritätsorganisation TUHAD-FED, der Menschenrechtsverein IHD, der Verband progressiver Jurist:innen (ÇHD) sowie die Gesundheitsgewerkschaft SES auf. Unterstützt wurden sie von Mitgliedern der DEM-Partei sowie der kurdischen Frauenbewegung TJA. Auf einem Transparent war zu lesen: „Schluss mit der Willkür der Beobachtungskommission – politische Gefangene freilassen“.
Kritik an systematischen Rechtsverstößen
Die Erklärung vor dem Gefängnis verlas ÖHD-Anwältin Sidal Bayrak. Sie warf der Gefängnisverwaltung vor, gezielt die bedingte Entlassung von zwölf politischen Gefangenen zu verhindern – trotz Erfüllung aller rechtlichen Voraussetzungen. Seit Januar 2021 sei keine einzige politische Gefangene in Sincan zum regulären Entlassungszeitpunkt freigekommen, erklärte Bayrak. In insgesamt 24 dokumentierten Fällen sei das Recht auf vorzeitige Entlassung „offenbar rechtswidrig“ verweigert worden.
Laut Bayrak stellten die 2021 eingeführten Verwaltungs- und Beobachtungskommissionen ein zentrales Problem dar. Sie agierten faktisch wie Ersatzgerichte, indem sie Gefangene auf Grundlage ihrer politischen Überzeugung oder ihrer „mangelnden Reue“ bewerteten. Die Kommissionen nutzten „vage, ideologisch gefärbte Kriterien“ wie „fehlende soziale Anpassung“ oder „nichtvorhandener Distanzierung“ von ihrer politischen Ideologie, um Entlassungen zu blockieren. Auch schwerkranke oder seit über 30 Jahren Inhaftierte seien davon betroffen.
Forderung nach struktureller Reform
Bayrak forderte eine grundlegende Reform der Beobachtungskommissionen. Deren Struktur und Entscheidungsprozesse müssten demokratisch, transparent und überprüfbar gestaltet werden. Die Mitglieder der Kommissionen dürften nicht politisch beeinflusst sein und müssten nach Kriterien der Unabhängigkeit und Neutralität bestimmt werden, so die Juristin.
Darüber hinaus müssten alle politischen Gefangenen nach rechtsstaatlichen Maßstäben gleichbehandelt werden – ohne ideologische Bewertungen oder Zwang zu Reueerklärungen. Die gegenwärtige Praxis verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot und trage zur politischen Instrumentalisierung des Strafvollzugs bei.
Auch speziell gegen weibliche politische Gefangene richteten sich laut Bayrak „diskriminierende und geschlechtsspezifische Druckmechanismen“, die offengelegt und beendet werden müssten. Die teilnehmenden Organisationen riefen die Öffentlichkeit dazu auf, gegenüber repressiven Praktiken in türkischen Gefängnissen wachsam zu bleiben und sich für Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und eine friedliche, demokratische Lösung gesellschaftlicher Konflikte einzusetzen.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/sincan-bedingte-entlassung-von-zwolf-gefangenen-seit-jahren-verweigert-48026 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/amed-ngos-prangern-drohungen-und-misshandlungen-in-gefangnissen-an-47454 https://deutsch.anf-news.com/frauen/politische-gefangene-in-klinik-von-militar-mit-tod-bedroht-47195
Parlamentskommission berät mit Denkfabriken über Lösung der kurdischen Frage
Die im türkischen Parlament eingerichtete „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ wird sich in dieser Woche mit mehreren Denkfabriken austauschen. Ziel der Gespräche ist es, mögliche Lösungsansätze im Zusammenhang mit der kurdischen Frage zu erörtern.
Die Kommission, die im Zuge der Bemühungen um eine politische Lösung des jahrzehntelangen Konflikts eingerichtet wurde, kommt am Mittwoch (24. September) zu ihrer zwölften Sitzung zusammen. In der Vorwoche hatten bereits Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Organisationen stattgefunden.
Die Sitzung beginnt um 11.00 Uhr. Im ersten Teil sollen Vertreter:innen folgender Einrichtungen angehört werden:
▪ Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung (SETA)
▪ Dicle-Zentrum für Gesellschaftsstudien (DİTAM)
▪ Rawest-Forschungsinstitut
▪ Zentrum für Kurdische Studien (KSC)
▪ Stiftung für Kultur, Bildung und Forschung Ökopolitik (EKEAV)
Im zweiten Teil der Sitzung sind folgende Institutionen eingeladen:
▪ Ankara-Institut
▪ Zentrum für soziopolitische Feldforschung (SAHAM)
▪ Stiftung für wirtschaftspolitische Forschung der Türkei (TEPAV)
▪ Zentrum für Nahoststudien (ORSAM)
Die Kommission will mit ihrer Arbeit Perspektiven aus der Zivilgesellschaft und wissenschaftlichen Institutionen einbinden, um politische Handlungsmöglichkeiten zur Lösung der kurdischen Frage auszuloten.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/bestas-halt-gesprache-zwischen-Ocalan-und-parlamentskommission-fur-moglich-48050 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/debatte-um-dorfschutzer-system-in-parlamentskommission-48010 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kurtulmus-will-kommission-zugig-zu-endgultigem-ergebnis-bringen-47907
Anklage gegen Kopf einer Erpressungsbande nach Drohung gegen Journalistin
Nach der Veröffentlichung eines kritischen Berichts ist gegen einen mutmaßlichen Anführer eines Erpressungsnetzwerks in der nordkurdischen Provinz Wan (tr. Van) Anklage erhoben worden. Özcan Pulat soll die Journalistin Öznur Değer bedroht haben, nachdem sie am 29. Oktober 2024 einen Artikel mit dem Titel „Erpressungsnetzwerk in Wan: Wer ist Özcan Pulat?“ veröffentlicht hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft Pulat Bedrohung einer Frau vor.
In dem bei der Frauennachrichtenagentur Jin News erschienenen Bericht wird Pulat beschuldigt, Frauen mit Drogen abhängig gemacht und sie anschließend für Erpressungen eingesetzt zu haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft verschickte Pulat nach Erscheinen des Artikels Nachrichten an Değer, die laut Anklage unter anderem als sinngemäße Drohung „Sie werden schon sehen“ zu verstehen seien.
Die Ermittlungen ergaben zudem, dass Pulat ohne Zustimmung Zugriff auf die private Mobilnummer der Journalistin erlangt habe – ein Verstoß gegen den Schutz personenbezogener Daten, heißt es in der Anklageschrift weiter.
Die Ermittlungen wurden nach einer Anzeige von Değer, die Chefredakteurin von Jin News ist, eingeleitet. Da sie einem Schlichtungsverfahren nicht zustimmte, reichte die Staatsanwaltschaft Anklage beim 9. Strafgericht in Wan ein. Das Gericht hat die Anklage inzwischen zugelassen. Der Prozessbeginn wird in den kommenden Tagen erwartet.
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