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Aktualisiert: vor 1 Stunde 9 Minuten

Volkskrankenhaus in Qamişlo eröffnet

6. November 2025 - 12:00

Der Gesundheitsausschuss der Demokratischen Selbstverwaltung des Kantons Cizîrê hat das Volkskrankenhaus, früher bekannt als „Nationales Krankenhaus Qamişlo“, nach Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten wiedereröffnet. An der Eröffnungsfeier haben Vertreter:innen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), der Kantonsräte und -institutionen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Ärzt:innen sowie Vertreter:innen verschiedener Gemeinschaften in Qamişlo teilgenommen.

Breit aufgestellte Gesundheitsversorgung

Das Krankenhaus wird seine Leistungen kostenlos anbieten und zwölf Abteilungen beherbergen, darunter Innere Medizin, Notfallmedizin, Verbrennungen, Orthopädie, Nephrologie, HNO, Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Notfallversorgung, Labor und Radiologie. Darüber hinaus verfügt das Krankenhaus über zehn spezifische Fachbereichskliniken.

Neben einem spezialisierten medizinischen Team aus 60 Fachärzt:innen werden 60 Allgemeinmediziner:innen die Patient:innen in dem renovierten Krankenhaus versorgen. Der Gesundheitsausschuss hat außerdem 250 Krankenschwestern und -pfleger sowie Verwaltungsmitarbeitende für den Betrieb eingestellt.

Hohe Aufnahmekapazität und moderne Ausstattung

Das Volkskrankenhaus verfügt über 220 Betten, fünf Krankenwagen und eine Apotheke. Nahezu alle Leistungen werden kostenlos erbracht. Computertomographie- (CT) und MRT-Untersuchungen werden jedoch zu ermäßigten Preisen durchgeführt.

„Dank der Opfer der Gefallenen“

Hesen Şero, Ko-Vorsitzender des Exekutivrats des Kantons Cizîrê, erklärte bei der Eröffnungszeremonie, dass die Autonome Verwaltung unermüdlich daran arbeite, den Menschen zu dienen, die große Opfer für Freiheit und Würde gebracht hätten.

Mohamed Cemil vom Kantonsrat der Familien der Gefallenen erklärte, dass der heute erreichte Stand das Ergebnis der Opfer der Gefallenen sei: „Dank der Opfer der Gefallenen haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir unsere Institutionen, unsere Räte und unsere Organisationen aufbauen konnten.“

Auch Krankenhausdirektor Dr. Ciwan Heme dankte allen, die an der Eröffnung teilgenommen hatten, und sagte, dass sie den Opfern der Gefallenen würdig sein und den Menschen mit großem Engagement dienen würden. Nach den Reden wurde das Krankenhaus von den Familien der Gefallenen offiziell eröffnet.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/aleppo-gesundheitsrat-stellt-ausbauplan-fur-Sexmeqsud-und-esrefiye-vor-48537 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zwischen-mangel-und-engagement-gesundheitsarbeiten-in-nordostsyrien-47341 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/cholera-ausbruch-klinik-in-al-kasra-nimmt-isolierstation-in-betrieb-47295 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/klinikpartnerschaft-zwischen-deutschland-und-syrien-gestartet-46661

 

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Mahnwache in Genf ruft zu Teilnahme an Köln-Demonstration auf

6. November 2025 - 11:00

Gegenüber des Platzes der Nationen in Genf, wo sich das UN-Büro befindet, halten Aktivist:innen seit dem 25. Januar 2021 wöchentlich am Mittwoch eine Kundgebung für die Freiheit des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ab, der seit 1999 von der Türkei in politischer Geiselhaft gehalten wird. Bei der gestrigen Aktion haben sie zur zahlreichen Teilnahme an der für den 8. November geplanten Demonstration in Köln mit dem Motto „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung für die kurdische Frage“ aufgerufen, zu der es auch aus der Schweiz eine gemeinsame Busanreise geben wird.

Die Mahnwache dieser Woche begann mit einer Schweigeminute zum Gedenken an Delal Amed (Hülya Eroğlu), Mitglied des YJA Star-Hauptquartierkommandos, Azê Malazgirt (Aslı Özkaya), Koçero Urfa (Metin Arslan), Kommandant der Apollo-Akademien, und Çekdar Amed (Serhat Çoşkun), die als Märtyrer im Freiheitskampf Kurdistans gefallen sind.


Yekbûn Güneş, Mitglied des Verbands der Frauen aus Kurdistan in der Schweiz (YJK-S), sprach über auf das von Abdullah Öcalan geschaffene demokratische, ökologische und frauenbefreiende Paradigma. Sie befand, dass der kurdische Philosoph dieses Paradigma nun mit dem „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“, den er am 27. Februar verkündet hat, auf eine höhere Ebene gebracht habe.

„Dieses Paradigma wird den Völkern des Nahen Ostens, insbesondere der Türkei und Kurdistans, ein Modell für dauerhaften Frieden und demokratisches Leben bieten. Die Umsetzung dieses Paradigmas ist eine Aufgabe, die uns Rêber Öcalan gegeben hat. Wir versprechen hiermit erneut, dass wir diesen Auftrag erfüllen werden“, sagte Güneş.

Gemeinsame Busanreise nach Köln

Die kurdische Aktivistin rief alle Kurd:innen und ihre Verbündeten dazu auf, am 8. November um 11:00 Uhr an der zentralen Demonstration, die an der Deutzer Werft in Köln startet, im Rahmen der Kampagne „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung für die kurdische Frage“ teilzunehmen. Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland (KON-MED) erwartet laut einer aktuellen Pressemeldung tausende Menschen aus dem deutschen Bundesgebiet und darüber hinaus. Eine europaweite Mobilisierung läuft seit Wochen auf Hochtouren.

Die Demokratische Kurdische Gemeinde in der Schweiz (CDK-S) und der YJK-S kündigten an, dass Busse und Privatfahrzeuge aus fast allen Städten der Schweiz zum großen Marsch in Köln fahren werden. In Genf wird am 7. November um 23:00 Uhr ein Bus vom Demokratischen Kurdischen Gemeindezentrum (Rue du Vieux-Billard 25, 1205) nach Köln fahren.

Die Dauermahnwache in Genf

Jeden Mittwoch veranstalten Aktivist:innen vor dem UN-Gebäude in Genf eine Protestaktion, um die Freilassung des inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zu fordern. Die Aktion wird im Rahmen der „Zeit für Freiheit“-Kampagne (ku. Dem dema azadiyê ye) durchgeführt und richtet sich gegen die Isolation der kurdischen Führungspersönlichkeit auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali, die türkischen Besatzungsangriffe auf Kurdistan, die Massaker in kurdischen Gebieten und das Schweigen der UN.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mahnwache-in-genf-geht-in-die-248-48501 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mahnwache-in-genf-Ocalans-freiheit-ist-voraussetzung-fur-frieden-47807 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/busfahrplan-fur-die-demonstration-in-koln-48680 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/knk-ruft-zur-teilnahme-an-demonstration-in-koln-auf-48617

 

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Ilham Ehmed: Syrien braucht demokratisches und dezentrales System

6. November 2025 - 11:00

Die Gründungskonferenz der Gewerkschaft der Handwerkenden hat in der Stadt Hesekê im Kanton Cizîrê unter dem Motto „Wir werden eine demokratische und freie Gesellschaft aufbauen, indem wir den sozialen Markt organisieren“ stattgefunden.

An der Konferenz nahmen Vertreter:innen ziviler und militärischer Institutionen, politischer Parteien, Frauenorganisationen, religiöse Persönlichkeiten, Wissenschaftler:innen, Schriftsteller:innen, die Ko-Außenbeauftragte der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), Ilham Ehmed, und Mar Morîs Amsîh, orthodoxer syrischer Bischof der Kantone Cizîrê und Firat, teil.

Gewerkschaftsgründung Ergebnis harter Arbeit

In ihrer Eröffnungsrede erklärte Henîfe Mihemed, Ko-Vorsitzende der Gewerkschaft der Handwerkenden Nord- und Ostsyriens, dass die Konferenz das Ergebnis von sechs Jahren organisatorischer Arbeit inmitten anhaltender Angriffe und Bombardierungen sei.

Ilham Ehmed ergriff anschließend das Wort und gratulierte zur Gründungskonferenz mit den Worten: „Syrien und die gesamte Region durchlaufen einen sensiblen Prozess. Syrien spielt eine Schlüsselrolle im Veränderungsprozess im Nahen Osten. Wir stehen noch am Anfang des Wiederaufbaus. Egal, wie viel Aufwand betrieben wird, um die Denkweise der Systeme zu ändern, die herrschenden Strukturen leisten ebenso viel Widerstand, um das zentrale System zu erhalten.“

„Ein Syrien, das auf Dezentralisierung, Demokratie und Pluralismus basiert“

Ehmed erläuterte, dass es Konflikte zwischen den Machtsystemen im Nahen Osten, den Systemen, die sich in die inneren Angelegenheiten der Länder einmischen, und den demokratischen sozialen Kräften gibt.

Die Menschen erwarteten Unterschiede zwischen der Übergangsregierung und dem vorherigen System und ernsthafte Veränderungen in ihrer Politik, sagte die Außenbeauftragte: „Das gesamte syrische Volk wartet. Wir haben für diese Übergangsphase vier Jahre vor uns. Als syrisches Volk sollten wir uns fragen, was unsere Erwartungen als Teil dieses Systems sind.

Unsere Erwartung ist ein Syrien, das auf Dezentralisierung, Demokratie und Pluralismus basiert. Es werden jedoch ernsthafte Anstrengungen unternommen, um das System so zu belassen, wie es ist. Nur die Namen der Machthaber haben sich geändert, aber die Politik bleibt dieselbe.“

Laufender Dialog mit Übergangsregierung

„Es gibt einen Dialog zwischen der Autonomen Verwaltung und den Vertretern der syrischen Übergangsregierung. Manchmal wird er fortgesetzt, manchmal bricht er zusammen“, erklärte Ehmed, „vermittelnde Länder wie die USA und Frankreich sind daran beteiligt. Sie organisieren und leiten Treffen, und wir Syrer:innen führen Gespräche.“ Sie betonte, dass es einen starken Wunsch nach einem pluralistischen und dezentralisierten Syrien gebe.

Die kurdische Politikerin führte weiter aus, dass internationale Parteien nicht an den Gesprächen der Syrer:innen beteiligt sind und fügte hinzu: „Wie Sie bereits gehört haben, gibt es eine Vereinbarung über die Integration der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in das Verteidigungsministerium, aber diese Frage wird noch diskutiert. In den kommenden Tagen wird die Frage der Einbeziehung der Internen Sicherheitskräfte (Asayîş) in das Innenministerium in neuen Gesprächen behandelt werden.“

Schritte in Richtung Dezentralisierung

Ehmed wies auch darauf hin, dass die Integration der QSD und der Asayîş im Rahmen der Dezentralisierung erfolge. Sie bestätigte, dass es in dieser Frage eine Einigung gebe und unterstrich: „Es gibt keine Assimilation oder Leugnung von Errungenschaften.“

„In Bezug auf die Regierungsführung und die Verfassung ist die Verfassungserklärung nicht nur für die Bevölkerung Nord- und Ostsyriens, sondern für alle Menschen im Land von großer Bedeutung. Kommentare zur Verfassungserklärung kommen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft. Es besteht ein großer Druck für Veränderungen in Bezug auf Dezentralisierung, Frauenrechte und die Probleme der Völker und Nationen“, fuhr die Politikerin fort.

Sie betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit von Verhandlungen über die Verfassungserklärung und die kommunalen Verwaltungssysteme und erklärte: „Es muss ein Mechanismus für das Zusammenleben geschaffen werden. Die Regierungsführung muss geteilt werden. Wir müssen Beziehungen zu den Nachbarstaaten unterhalten.

In der Türkei gibt es einen Friedensprozess, und dieser Prozess ist auch für die Sicherheit Syriens wichtig, da die Probleme der Menschen die Länder miteinander verbinden. Die Lösung dieser Probleme, insbesondere der kurdischen Frage, ist ebenfalls sehr wichtig.“

https://deutsch.anf-news.com/frauen/ilham-ehmed-dezentralisierung-sichert-fairness-und-stabilitat-48506 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/wird-sich-in-syrien-der-weg-zur-demokratie-offnen-48503 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/annaherung-zwischen-selbstverwaltung-und-Ubergangsregierung-bei-treffen-in-damaskus-48283

 

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„Die Abschiebung ist ein Angriff auf demokratische Rechte“

6. November 2025 - 9:00

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Cansu Özdemir, kritisiert die drohende Abschiebung des kurdischen Oppositionspolitikers Sabri Özdemir scharf. Der Politiker sieht sich mit mehreren Verfahren in der Türkei konfrontiert, sein Asylantrag in Deutschland wurde jedoch abgelehnt.

Die außenpolitische Sprecherin bezeichnete die drohende Abschiebung als „inakzeptablen Angriff auf demokratische Grundrechte und Ausdruck der fortgesetzten Kriminalisierung kurdischen politischen Engagements in Deutschland“. Sie betonte: „Seit Jahrzehnten werden kurdische Politiker:innen und Aktivist:innen unter Generalverdacht gestellt. Selbst dann, wenn ihr Engagement eindeutig demokratisch und friedlich ist.“

„Die Türkei ist für kurdische Oppositionelle kein sicherer Ort“

Hinsichtlich der politischen Lage in der Türkei stellte sie fest: „Es ist hinreichend belegt, dass kurdische Politiker:innen in der Türkei verfolgt und mit politisch motivierten Verfahren überzogen werden. Zu behaupten, dies seien ‚rechtsstaatliche Prozesse‘, blendet die Realität aus.“ Deutschland sei sich bewusst, dass „die Türkei für kurdische Oppositionelle kein sicherer Ort“ sei, so Özdemir.

Kritisch äußerte sie sich auch zur deutschen Haltung – insbesondere, dass Deutschland „an einer Politik festhalte, die kurdische politische Teilhabe pauschal kriminalisiert“, während parallel über mögliche politische Lösungen und Schritte zur Entmilitarisierung durch die PKK gesprochen werde.

„Statt Friedensbemühungen zu unterstützen, wird Repression verstärkt; mit verheerenden Signalen an alle, die sich für Dialog einsetzen. Eine Politik, die demokratische Beteiligung bestraft, verhindert Frieden. Wer glaubwürdig Konflikte lösen will, muss diejenigen schützen, die für Frieden eintreten“, so Özdemir weiter.

Sabri Özdemir

Der Fall Sabri Özdemir sorgt für erhebliche Empörung. Nach Informationen des Niedersächsischen Flüchtlingsrats war der Politiker bereits von seinem Amt als Ko-Bürgermeister abgesetzt worden, sah sich über 80 Strafverfahren gegenüber – mehrere davon gelten als politisch motiviert – und floh schließlich nach Deutschland. Dort wurde sein Asylantrag dennoch abgelehnt.

Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war die Begründung: Er habe sich über Jahre erfolgreich juristisch zur Wehr gesetzt, weshalb nicht von einer unrechtmäßigen Verurteilung auszugehen sei. Ob die Abschiebung noch verhindert werden kann, hängt aktuell von einem Eilantrag seines Rechtsanwalts ab.

Bild: X-Account von Sabri Özdemir, privat

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/oppositionspolitiker-sabri-Ozdemir-droht-abschiebung-in-die-turkei-48705 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mindestens-49-festnahmen-in-der-turkei-und-nordkurdistan-26370 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/hdp-ko-buergermeisterkandidat-von-Elih-festgenommen-9469

 

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Kommunen als Modell sozialistischer Selbstorganisierung

6. November 2025 - 9:00

Kommunen stellen die kleinste Einheit gesellschaftlicher Organisierung dar – und bilden zugleich das tragende Fundament einer umfassenden sozialen Struktur. Ihre Stärke liegt gerade darin, nicht uniform, nicht zentralistisch, sondern vielfältig und anpassungsfähig zu sein. Aus diesem Grund können Kommunen keine einheitliche, standardisierte Organisationsform darstellen. Sie dürfen nicht von einer einzigen Denkweise dominiert werden, sondern müssen als horizontale Strukturen gestaltet sein, in denen alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zur Sprache kommen und an Entscheidungsprozessen beteiligt sind.

Auf dieser Grundlage verbietet sich ein Organisationsverständnis, das auf disziplinärer Vereinheitlichung beruht. Kommunen, die extern gesteuert oder an eine zentrale Instanz gebunden sind, laufen Gefahr, ihre Fähigkeit zur autonomen Entscheidungsfindung zu verlieren. Statt aus ihren eigenen Bedingungen heraus zu handeln, werden sie zu bloßen ausführenden Organen einer übergeordneten Machtstruktur – zu funktionalen Attrappen, die dem Geist der Selbstverwaltung widersprechen.

Gerade deshalb wurden Kommunen sowohl vom Kapitalismus als auch vom realsozialistischen Modell lange Zeit abgewertet, ignoriert oder als unbedeutend abgetan. Dabei handelt es sich bei der Kommune nicht um eine starre Gruppe Gleichgesinnter, wie es kapitalistische Definitionen nahelegen, sondern um ein offenes, dynamisches System, das sich durch Diversität, Veränderbarkeit und soziale Teilhabe auszeichnet. Die kommunale Organisierung entfaltet sich dabei in vielfältigen Formen: Hauskommunen, Kinderkommunen, Frauen- und Jugendkommunen, Kommunen Älterer, Dorf- und Nachbarschaftskommunen. Sie alle stehen für eine Struktur, die nicht auf Ausgrenzung, sondern auf Beteiligung und Selbstbestimmung fußt.

Was sind Hauskommunen?

Hauskommunen bilden die elementarste und zugleich grundlegendste Einheit kommunaler Organisierung. In ihnen findet die Selbstorganisierung der im Haushalt lebenden Familie statt – in Bezug auf den Alltag, die wirtschaftlichen Grundlagen, die Zukunftsplanung und vor allem im Sinne eines ethisch verantwortungsvollen Zusammenlebens. Sie verkörpern damit die Grundstruktur eines freien, selbstbestimmten Lebens.

Ein zentrales Anliegen der Hauskommune ist die Überwindung patriarchaler Machtverhältnisse, wie sie im kapitalistischen System fortwährend reproduziert werden – etwa in der Vorstellung, der Vater sei das „Oberhaupt der Familie“. Hauskommunen hingegen geben dem Konzept des freien partnerschaftlichen Lebens, wie es Abdullah Öcalan formuliert hat, eine praktische, gelebte Form. Der Prozess der individuellen Befreiung, so Öcalan, beginnt nicht im öffentlichen Raum, sondern innerhalb der Familie. Ein Mensch, der in familiären Strukturen in Abhängigkeit lebt, der untergeordnet ist oder sich unterordnen muss, kann auch im gesellschaftlichen Leben keine echte Freiheit erlangen. Deshalb muss der erste Schritt der Befreiung im innersten Raum des Sozialen erfolgen: im Haus.

Das Grundprinzip der Hauskommune besteht darin, dass alle Mitglieder des Haushalts gleichberechtigt in das Leben einbezogen werden – ohne Einschränkungen oder Rollenfixierungen. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, Verantwortung wird geteilt, und alle Beteiligten sind auf ethischer wie ökonomischer Ebene aktiv am Alltag beteiligt. Wo eine solche gleichberechtigte Teilhabe gelingt, entsteht kein Raum mehr für Machtansprüche, keine autoritären Verhältnisse und keine Reproduktion von Herrschaft. Stattdessen wird die Grundlage eines freien und gemeinsamen Lebens gelegt.

Die Praxis der Hauskommune ist somit die konkrete Umsetzung dessen, was Öcalan als „freies partnerschaftliches Leben“ beschreibt. Ohne gemeinsame Entscheidungsstrukturen, ohne kollektive Planung und gleichberechtigte Teilhabe kann es keine befreite Lebensform geben – und keine wahrhaft freien Individuen innerhalb der Gesellschaft. In einem Haushalt, in dem jemand auch nur für ein Stück Brot auf andere angewiesen ist, ist die Voraussetzung für Gleichheit und Würde nicht gegeben. Eine Hauskommune beseitigt genau diese Formen der Abhängigkeit – und damit auch das Konzept eines „Familienoberhaupts“. An seine Stelle tritt ein gemeinsamer, freier Raum, der auf gegenseitigem Respekt und Verantwortung gründet.

Kinder-, Frauen- und Jugendkommunen

Kommunen sind ein geeignetes Mittel, um auf die spezifischen Lebensrealitäten und Bedürfnisse einzelner gesellschaftlicher Gruppen einzugehen. Jede Gemeinschaft muss in der Lage sein, ihre eigenen Probleme zu artikulieren, Lösungsansätze zu entwickeln und ihre Forderungen zu formulieren. Dies setzt voraus, dass jede Gruppe die Möglichkeit erhält, sich in einer eigenen kommunalen Struktur zu organisieren.

Die Kinderkommune ist Ausdruck dieses Prinzips: Sie schafft einen Raum, in dem Kinder ihre Sichtweisen, Wünsche und Herausforderungen selbst zum Ausdruck bringen können – ein Ansatz, der dem kapitalistischen System diametral entgegensteht. Denn dort wird Kindern meist keine Stimme zugestanden, ihre Meinungen werden marginalisiert oder als unreif abgetan. Die Kinderkommune jedoch erkennt das Kind als aktiven Teil der Gesellschaft an – und legt damit den Grundstein für die Entwicklung freier Individuen.

Der Weg zu einer solchen Befähigung führt über Kommunalisierung. Wenn jede Stimme in einer Kommune zählt und kein Mensch aufgrund seines Alters, Geschlechts oder anderer Merkmale abgewertet wird, entsteht eine Struktur, die sowohl die Kommune als Ganzes stärkt als auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung in eine demokratische Richtung lenkt.

Neben Kinderkommunen gelten auch Frauen-, Jugend-, Alten- oder sogar Gesundheitskommunen als geeignete Modelle, um den spezifischen Anliegen dieser Gruppen gerecht zu werden. Sie alle teilen denselben Anspruch: Räume zu schaffen, in denen Menschen ihre Lebensrealität selbst gestalten, ihre Autonomie entfalten und sich kollektiv organisieren können.

Straßen-, Nachbarschafts- und Bezirkskommunen

Nach den Hauskommunen stellt die Straßenkommune die nächste Ebene der kommunalen Organisierung dar. Sie bildet eine Struktur, in der die unmittelbaren Lebensbedingungen und Probleme einer Straße gemeinschaftlich bearbeitet werden. Ziel ist es, das soziale Leben im öffentlichen Raum zu organisieren, das Sicherheitsgefühl zu stärken und die Straße als sozialen Raum lebenswerter und selbstverwalteter zu gestalten.

Die Struktur einer Straßenkommune ergibt sich idealerweise aus den Hauskommunen: Aus jedem Haushalt wird eine Person als Vertreterin in die Straßenkommune entsandt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur die Delegierten das Rederecht haben – im Gegenteil: Jede:r Bewohner:in hat das Recht auf Mitsprache. Da die Menschen vor Ort ihre Straße am besten kennen, ist die Straßenkommune auch ein zentrales Element lokaler Selbstverwaltung und demokratischer Mitbestimmung.

Die Vertreter:innen der Straßenkommunen entsenden wiederum Delegierte in die Nachbarschafts- bzw. Viertelskommunen. Dort werden die gesammelten Anliegen, Vorschläge und Problemlagen gemeinsam analysiert, in einen Plan überführt und an die nächsthöhere Ebene – die Bezirkskommune – weitergeleitet. Auf Bezirksebene wird schließlich eine Priorisierung der Probleme vorgenommen, um die Angelegenheiten an die zuständigen lokalen Verwaltungen heranzutragen. Alles, was auf kommunaler Ebene nicht gelöst werden kann, wird entsprechend weitergegeben – im ersten Schritt an die Bezirksverwaltung, im zweiten an die Stadt- oder Provinzebene.

Zugleich betont dieses Modell die Möglichkeit eigenständiger Problemlösungen: Nicht alle Fragen müssen von Verwaltung oder staatlichen Stellen beantwortet werden. Wenn etwa im Viertel viele Menschen arbeitslos sind, kann die Lösung auch direkt vor Ort entstehen – zum Beispiel durch die Eröffnung einer Kooperative oder eines kleinen Handwerksbetriebs. Die dort hergestellten Produkte können verkauft und mit den Einnahmen sowohl die Beschäftigten entlohnt als auch lokale Bedürfnisse gedeckt werden – ohne jemals eine Behörde einzuschalten.

Solche Beispiele zeigen: Kommunale Strukturen benötigen keine Abhängigkeit von einer Verwaltungselite. Sie organisieren sich aus eigener Kraft, basierend auf den lokalen Gegebenheiten, Bedürfnissen und Fähigkeiten.

Weil sich Kommunen entlang ihrer eigenen örtlichen Realität und sozialen Vielfalt entwickeln, müssen sie ihre Unabhängigkeit bewahren und dürfen nicht in hierarchische Abhängigkeiten geraten. Dies würde ihren emanzipatorischen Charakter untergraben.

Der größte Effekt dieser Struktur liegt in der tiefgreifenden Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen. Von den Haushalten über die Straße bis in die Bezirke werden alle Anliegen von den Betroffenen selbst eingebracht und gemeinsam strukturiert. Dadurch entsteht eine neue Form von politischem Leben – getragen von der Gesellschaft selbst und nicht delegiert an eine politische Klasse. Das Ziel ist ein neues, gemeinschaftliches Leben, das auf Beteiligung, Gleichheit und Selbstverantwortung basiert.

Öcalan hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung lokaler Problemlösung hervor:

„Gesellschaftliche Probleme haben eine wesentliche Eigenschaft: Dort, wo sie am schwersten wiegen, haben sich meist auch die Lösungen am weitesten entwickelt. Ein Problem ohne Lösung ist undenkbar. Die Bedingungen von Zeit und Ort, unter denen ein Problem entsteht, enthalten zugleich die Voraussetzungen für seine Lösung.“

Diese Denkweise bildet die Grundlage für Öcalans Konzept des freien Individuums in einer freien Gesellschaft. Der Weg dorthin beginnt mit Kommunalisierung und der Verankerung der verhandelnden (deliberativen bzw. dialogischen) Demokratie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Eine sozialistische Regierung ist dafür nicht zwingend erforderlich – auch innerhalb eines Nationalstaates kann ein kommunales Modell entstehen. Entscheidend ist, dass die Bevölkerung befähigt wird, ihr Leben eigenständig zu organisieren.

In diesem Zusammenhang sind lokale Verwaltungen – von den Gemeinden bis zu den Nachbarschaftsvorsteher:innen – zentrale Handlungsebenen. Mit dem richtigen Ansatz können sie die Entwicklung kommunaler Strukturen beschleunigen und ermöglichen.

Selbstverteidigung als Grundpfeiler kommunaler Organisierung

Einer der zentralen Pfeiler jeder Kommune ist das Prinzip der Selbstverteidigung. Dabei geht es nicht in erster Linie um militärische Strukturen, sondern um den Schutz des sozialen Raums, in dem die Kommune existiert – gegen die Angriffe kapitalistischer Interessen, gegen staatliche Übergriffe und gegen die ideologische und kulturelle Vereinnahmung durch den Nationalstaat.

Da Kommunen freiheitliche und inklusive Strukturen darstellen, die sich dem staatlichen Zentralismus entgegenstellen, sind sie permanent der Gefahr äußerer Angriffe ausgesetzt. Deshalb ist eine Form der Selbstverteidigung nicht optional, sondern existenziell notwendig. Diese Verteidigungskraft muss aus der Kommune selbst hervorgehen – sie darf keine externe Instanz sein, sondern muss sich auf die kollektive Organisierung und Verantwortung der Gemeinschaft stützen.

Selbstverteidigung bedeutet in diesem Zusammenhang auch, sich gegen gezielte Zersetzungsstrategien zur Wehr zu setzen – insbesondere gegen jene Formen der Spezialkriegsführung, die soziale Erosion, moralische Verwahrlosung oder soziale Fragmentierung bewirken sollen. Diese Angriffe zielen auf die Grundlagen des kommunalen Lebens: auf Vertrauen, Solidarität, Zugehörigkeit und Verantwortlichkeit. Die Verteidigung dagegen muss ebenso gesellschaftlich sein wie die Kommune selbst.

Selbstverteidigungseinheiten dürfen also nicht als rein bewaffnete Formationen verstanden werden. Vielmehr geht es um einen umfassenden Schutz der kommunalen Struktur – sowohl gegen physische Gewalt als auch gegen ideologische und soziale Zersetzung. In Regionen, in denen die Gesellschaft massiven Angriffen ausgesetzt ist, sind solche Einheiten für den Fortbestand der Kommune und ihrer Werte unverzichtbar.

YDG-H als konkrete Praxis der Selbstverteidigung

Nach der ERNK-Phase setzten sich kommunale Organisationsformen in Gestalt der kurdischen Volksinitiative und Volksräte fort. Ein zentrales Element dieser Phase war der Aufbau eigenständiger Strukturen der Selbstverteidigung. In diesem Kontext entstand die Organisation „Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung“ (tr. Yurtsever Devrimci Gençlik Hareketi, kurz YDG-H).

Im Unterschied zu früheren Jugendstrukturen der kurdischen Bewegung war die YDG-H nicht primär eine militante Organisation, die sich auf bewaffnete Auseinandersetzungen in den Städten beschränkte. Vielmehr etablierte sie sich als Schutzstruktur in den Stadtteilen, mit dem Ziel, die kurdische Bevölkerung – wie auch andere unterdrückte Gemeinschaften – vor systemischen Angriffen und den Methoden der Spezialkriegsführung zu verteidigen.

Die YDG-H war offen für alle Jugendlichen, die sich mit der Ideologie Abdullah Öcalans und der kurdischen Freiheitsbewegung identifizierten – unabhängig von ethnischer Herkunft. In den Stadtvierteln, in denen sie sich organisierte, entwickelte sie sich zu einer lokal verankerten Selbstschutzstruktur. Ihre Mitglieder kannten die örtlichen Gegebenheiten, die gesellschaftlichen Probleme und handelten aus der Mitte der betroffenen Bevölkerung heraus.

Zwischen 2013 und 2016 war die YDG-H in zahlreichen kurdisch geprägten Stadtvierteln der Türkei und Nordkurdistans aktiv. Sie griff nicht nur in akute Konfliktsituationen ein, sondern führte auch präventive Maßnahmen gegen Formen sozialer Zerstörung durch, etwa gegen Drogenhandel, Prostitution oder organisierte Kriminalität – klassische Instrumente der gesellschaftlichen Zersetzung im Rahmen des Spezialkriegs.

Darüber hinaus positionierte sich die YDG-H auch gegenüber innergesellschaftlichen Dynamiken kritisch, die zur Entfremdung vom kollektiven Leben und zur Integration in das bestehende Herrschaftssystem führten. Als eine von Jugendlichen aus den betroffenen Vierteln selbst aufgebaute Struktur konnte die YDG-H in die alltägliche Lebensrealität eingreifen und eigenständige Lösungen anbieten.

Im Zuge des Widerstands für Selbstverwaltung in Nordkurdistan, der sich gegen die Repressionen des Staates richtete, löste sich die YDG-H schließlich in einer neuen organisatorischen Form auf. Gleichwohl markierte sie einen historischen Meilenstein: Sie zeigte beispielhaft auf, wie kommunale Selbstverteidigung von unten, aus der Bevölkerung heraus, organisiert und verwirklicht werden kann.

„Ich würde mit der Dorfkommune beginnen“ – Öcalans visionäres Plädoyer für Kommunen

Abdullah Öcalan beschreibt den Aufbau von Kommunen nicht nur als politische Notwendigkeit, sondern auch als zutiefst persönliche, fast existenzielle Aufgabe. In einer Passage, die seine Vorstellung von einem befreiten Leben in eindrücklichen Bildern zeichnet, sagt er:

„Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich – ganz gleich, wo ich wäre – in meinem Dorf beginnen, an den Hängen des Cûdî- oder Cîlo-Gebirges, am Van-See, in Ağrı, Munzur oder Bingöl, entlang des Euphrat, Tigris oder Zap, in den Ebenen von Urfa, Muş oder Iğdır – wo immer mein Weg mich hinführt.

Ich würde mich verhalten, als käme ich gerade aus der Arche Noah, gerettet von einer furchtbaren Sintflut. Ich würde den Rückzug Abrahams vor den Nemruds, Moses vor den Pharaonen, Jesu vor dem Römischen Reich und Mohammeds vor der Unwissenheit wiederholen. Ich würde mich von der kapitalistischen Moderne abwenden – ganz im Geiste Zarathustras, mit seiner Liebe zur Landwirtschaft und den Tieren (dem ersten Vegetarier).

Inspiriert von diesen historischen Persönlichkeiten und sozialen Realitäten, würde ich mich an die Arbeit machen – die Arbeit, eine ideale Dorfkommune zu gründen. Welch befreiende, freudige und gesunde Aufgabe wäre das!

Ebenso würde ich in Städten Kommunen und Räte aufbauen – in Stadtteilen, in Akademien, Kooperativen, Fabriken. Ich würde Volkskongresse und Versammlungen gründen, dort sprechen, Verantwortung übernehmen – wie erfüllend, wie ehrenhaft wäre das!

Man sieht: Es gibt keine Grenze für Sehnsüchte und Hoffnungen – und es gibt keinen ernstzunehmenden Grund, warum man sie nicht verwirklichen könnte – außer dem Menschen selbst. Es braucht nur ein wenig gesellschaftliches Gewissen, ein wenig Liebe, ein wenig Verstand.“

Mit dieser Vision verbindet Öcalan eine zentrale Botschaft: Dass es möglich ist, überall und jederzeit mit dem Aufbau einer befreiten Gesellschaft zu beginnen – wenn der Wille zur Veränderung, zur Verantwortungsübernahme und zur Kollektivität vorhanden ist.

Fortsetzung folgt in Teil 6 der Artikelreihe

*Der Verfasser des Textes ist der Redaktion bekannt.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/abdullah-Ocalans-verstandnis-von-kommune-48687 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/kommunale-praxis-und-selbstorganisierung-in-der-geschichte-der-kurdischen-bewegung-48669 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/kommunale-selbstverwaltung-als-weg-zum-sozialismus-48652 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-geschichte-der-menschheit-ist-die-geschichte-der-kommunen-48639

 

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