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Aktualisiert: vor 38 Minuten 32 Sekunden

TJA: Wir werden die Natur weiterhin verteidigen

11. September 2025 - 12:00

In der Provinz Şirnex (tr. Şırnak) Ht am Dienstag und Mittwoch eine zweitägige Protestaktion gegen die zunehmende ökologische Zerstörung in der Region stattgefunden. Nach einem Marsch durch die Innenstadt sind die Demonstrierenden in die ländliche Region Besta gezogen und haben dort ein Protestcamp errichtet. Auch die Bewegung freier Frauen (TJA) hat sich an der Aktion beteiligt und eine Erklärung veröffentlicht, in der sie versprach, ihren ökologischen Kampf gegen die Zerstörung fortzusetzen. Das Camp ist gestern Abend beendet worden.

Naturzerstörung als Teil von Spezialkrieg

In ihrer Veröffentlichung vom Mittwoch setzte die TJA die Angriffe auf die Natur Kurdistans in den Kontext spezieller Kriegsführung: „Die ökologische Plünderung, die ein Aspekt der speziellen Kriegspolitik zur Zerstörung der Natur Kurdistans und seines historischen Gedächtnisses ist, zeigt sich jeden Tag in unterschiedlichen Formen. Die Berge Besta, Cudi und Gabar, die sowohl historische als auch natürliche Schätze Kurdistans sind, werden seit Jahren durch diese Politik geplündert.“

Im Namen der Industrie und des Fortschritts würde die Umwelt der Region de facto aus Sicherheitsgründen zerstört, was jegliches Leben ernsthaft bedrohe. Aus diesem Grund werde die Frauenbewegung ihren Kampf für die Natur weiterführen. Auch die umfassende Beteiligung der Bevölkerung an dem Protest sei „ein Beweis für ihre Entschlossenheit, sich für ein demokratisches und soziales Leben gegen die Zerstörung einzusetzen“.

„Die ökologische Zerstörung in Kurdistan bedroht die Welt“

Die TJA bezeichnete die Mahnwache abschließend als einen „Aufruf zum Leben“ und bezog sich hierin auf die globale Klimakrise und die geteilte Verantwortung der Weltbevölkerung. Im Schluss der Erklärung hieß es: „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft: Diese ökologische Zerstörung in Kurdistan ist nicht nur ein lokales Problem, sondern eine Bedrohung für die gemeinsame Zukunft der ganzen Welt. Die Verteidigung der Natur ist ein integraler Bestandteil des globalen Kampfes gegen die Klimakrise. Dieser Aufruf zum Leben, der in Besta erhebt, muss beachtet werden, und unsere Solidarität muss gestärkt werden.“

Protestcamp in Besta

In der bergigen Besta-Region in der nordkurdischen Provinz Şirnex hat am Dienstag und Mittwoch eine Mahnwache gegen die systematischen Eingriffe in die Natur stattgefunden. Unter dem Motto „Kein Platz für Ökozid – wir marschieren gegen die Ausbeutung der Natur“ hatten sich im Tal zahlreiche Menschen am Dienstagabend nach einer Demonstration zu einem Protestcamp versammelt. Besta gilt als sensibler Natur- und Kulturraum, steht aber gleichzeitig im Fokus von Abholzungen, Bergbauprojekten und militärischen Maßnahmen. Für die Protestierenden ist der Ort ein Sinnbild für die Umweltzerstörung, die sie dem türkischen Staat vorwerfen.

Organisiert wurde die Aktion von der Plattform Demokratischer Institutionen. Im Zentrum der Mahnwache steht eine sogenannte „Freiheitsbühne“, auf der Vertreter:innen politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Anwohner:innen ihre Kritik am Staat und Forderungen formulieren konnten. In den Redebeiträgen wurde deutlich, dass es nicht nur um Umweltpolitik geht – sondern auch um politische Selbstbestimmung, kulturelle Identität und das Recht auf ein Leben im Einklang mit der Natur.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/klagelied-fur-besta-47890 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/mahnwache-gegen-Okozid-wir-bleiben-bis-der-kahlschlag-endet-47882 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-Sirnex-frieden-beginnt-in-cudi-gabar-und-besta-47878

 

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Internationaler Aufruf vor dem Prozess gegen Ayşe Gökkan

11. September 2025 - 10:00

Der Prozess gegen die inhaftierte Politikerin und Frauenrechtlerin Ayşe Gökkan beginnt am Donnerstag um 10:00 Uhr vor dem 9. Schwurgericht in Amed (tr. Diyarbakır). Im Vorfeld des Prozesses sind sowohl aus der Türkei als auch aus der internationalen Gemeinschaft Unterstützungsbekundungen abgegeben worden.

Ayşe Gökkan ist ehemalige Sprecherin der Bewegung freier Frauen (TJA), war Bürgermeisterin der Stadt Nisêbîn (Nusaybin) und ist Journalistin, Frauen- und Menschenrechtlerin. Sie wurde rund 80 Mal festgenommen und ist bereits seit 2021 in Haft.

Die Gerichtsverfahren gegen Gökkan werden nun neu aufgerollt. 2021 war sie Gökkan von einem türkischen Gericht wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation und wissentlicher und vorsätzlicher Unterstützung einer illegalen Organisation“ zu 26 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Das damalige Verfahren und insbesondere die Beweisführung mittels geheimer Zeugen, wird landläufig als unfair und keinen rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechend kritisiert.

Breite Unterstützung

TJA Frauenrechtsaktivistinnen rufen zur zahlreichen Teilnahme an der Verhandlung auf. Gleichzeitig fordern die in der Schweiz ansässige Paul Grüninger Stiftung, das Europäische Bürgerforum und verschiedene Menschenrechtsaktivist:innen die „vollständige Freisprechung und sofortige Freilassung“ von Ayşe Gökkan.

In einer schriftlichen Erklärung schreibt die Stiftung, dass das Urteil das Ziel verfolge, „Gökkans legale, friedliche und lange Zeit erfolgreiche politische Arbeit zu behindern. Ayse Gökkan hat sich unter anderem mit Wort und Tat im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen engagiert.“ Sie betont die Unschuld der politischen Gefangenen.

Auch internationale Menschenrechtsaktivist:innen appellieren an das Justizministerium und das 9. Strafgericht von Diyarbakır und fordern den Freispruch und die Freilassung von Ayşe Gökkan.

Die Unterzeichnenden des Appells sind:

Dr. Thomas Schmidinger – Nahost-Experte, Universität Wien/Universität Kurdistan Hewlêr

Julie Ward – ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments (2014–2020), Mitglied des FEMM-Ausschusses

Maryam Namazie – Frauenrechtsaktivistin

Montserrat Cervera Rodon – Associació Ca la Dona (Barcelona)

Tina Leisch – Film- und Theaterregisseurin, Wien

Dr. Berivan Aslan – Mitglied des Wiener Stadtrats

Ayşe Gökkan

Ayse Gökkan war unter anderem ab 2009 mehrere Jahre als Mitglied der mittlerweile verbotenen Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP) Bürgermeisterin von Nisêbîn, was an der türkisch-syrischen Staatsgrenze liegt. Ihr Lokalpolitik hat zivilgesellschaftlich große Erfolge vorzuweisen.

So senkte sich die Zahl der Feminizide im letzten Jahr ihrer Amtszeit auf Null, wozu das von Gökkan gegründete Frauenhaus in der Stadt seinen Beitrag leistete. Auch protestierte sie vehement mit einem Sitz- und Hungerstreik gegen den Bau der Grenzmauer nach Qamişlo, die einerseits den Verkehr kurdischer Familien unterbindet und andererseits Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien sie Flucht verunmöglichen sollte.

Sie bestand außerdem darauf, Amtsgeschäfte auch in Kurmancî abzuwickeln, der Familiensprache von 80 Prozent der Bürger:innen der Stadt. Insbesondere aber die Recherche und Publikation der von türkischen Sicherheitskräften aus Polizei und Militär ausgeübte sexistische Gewalt, ließ sie noch stärker ins Visier staatlicher Verfolgung geraten.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/ayse-gokkan-ich-bin-angeklagt-weil-ich-kurdin-bin-39116 https://deutsch.anf-news.com/frauen/hungerstreik-gegen-mauerbau-prozess-gegen-ayse-gokkan-wird-neu-aufgerollt-39101 https://deutsch.anf-news.com/frauen/ayse-gokkan-im-gefangnis-misshandelt-37409

 

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Pena.ger e.V. – Von Geflüchteten für Geflüchtete

11. September 2025 - 8:00

Die Gründung von Pena.ger e.V. erfolgte im Dezember 2023 vor dem Hintergrund massiver haushaltspolitischer Kürzungen im Bereich der Migrations- und Geflüchtetenberatung. Zugleich war sie eine direkte Reaktion auf den Tod von Hogir Alay, einem jungen kurdischen Geflüchteten, dessen Schicksal auf erschütternde Weise die strukturellen Defizite im Umgang mit Schutzsuchenden sichtbar machte.

Der Name Pena.ger leitet sich aus den kurdischen Begriffen „Pena“ (Schutz, Hilfe) und „Ger“ (Suche, Suchender) ab und steht sinnbildlich für das zentrale Anliegen des Vereins: eine verlässliche, unterstützende Anlaufstelle für Schutzsuchende zu schaffen, die Orientierung im komplexen deutschen Asyl- und Unterstützungssystem bietet.

Hogir Alay

Hogir Alay wurde im November 2023 erhängt in einem Waldstück nahe seiner Unterkunft in Kusel (Rheinland-Pfalz) aufgefunden. Offiziell wurde sein Tod als Suizid eingestuft, doch die Umstände bleiben bis heute ungeklärt. Bekannt ist, dass er sich wiederholt in akuter psychischer Not befand und vergeblich versuchte, Hilfe zu erhalten.

Isolation, Perspektivlosigkeit und fehlende soziale Anbindung prägten seine Lebensrealität in der Geflüchtetenunterkunft. Bedingungen, unter denen viele Menschen in Sammelunterkünften in Deutschland leben müssen.

Initiative Hogir Alay

Entstehungsgeschichte

Die Geschichte von Hogir Alay steht für ein systemisches Versagen. Für Pena.ger e.V. war sein Tod ein schmerzhafter, aber entschlossener Ausgangspunkt: Das bestehende Unterstützungsangebot musste nicht nur gesichert, sondern strukturell gestärkt und langfristig weiterentwickelt werden.

Der Tod von Hogir Alay steht sinnbildlich für ein System, das schutzsuchende Menschen immer wieder im Stich lässt. Sein tragisches Schicksal war ein Weckruf: Niemand darf mit seiner Not allein bleiben. Die Gründung von Pena.ger e.V. war eine unmittelbare Reaktion auf diese strukturellen Missstände mit dem Ziel, betroffene Menschen frühzeitig zu erreichen, ihnen konkrete Unterstützung anzubieten und neue Perspektiven zu schaffen, wo zuvor Hoffnungslosigkeit herrschte.

Erfolgreiches Ehrenamt

Seit der Gründung von Pena.ger – vor 21 Monaten – konnte bereits ein beachtlicher Beitrag in den Bereichen Beratung, Sichtbarkeit und Empowerment geleistet werden. Während viele Berater:innen anderweitig vollzeitbeschäftigt sind, gelang ihnen in dieser Zeit dennoch auf ehrenamtlicher Basis die mehrsprachige Beratung von über 3.000 Ratsuchenden per E-Mail, über X sowie über Instagram.

Darüber hinaus hat sich Pena.ger an zahlreichen Veranstaltungen beteiligt – sei es durch Fachvorträge, Diskussionsbeiträge oder Informationsstände. Die thematische Bandbreite reichte von Flucht und Migration bis hin zu antikurdischem Rassismus in Deutschland.

Antikurdischer Rassismus

Rassismus ist kein individuelles Vorurteil oder bloßes Fehlverhalten, sondern ein strukturierendes Ordnungssystem, das gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse legitimiert. Er funktioniert über die Konstruktion von ,Migrationsanderen‘, denen bestimmte Merkmale zugeschrieben werden, – wie etwa Herkunft, Sprache, Religion oder Kultur – und deren gesellschaftliche Stellung dadurch systematisch abgewertet oder ausgeschlossen wird.

Rassismus strukturiert somit nicht nur das Denken, sondern auch Institutionen, Gesetze, Medien und soziale Praxen (vgl. Mecheril et al. 2010). Rassismus tritt nicht einheitlich auf, sondern in verschiedenen Formen, sodass auch von Rassismen gesprochen wird, etwa antimuslimischer Rassismus, antischwarzer Rassismus, antiasiatischer Rassismus oder antikurdischer Rassismus. Diese Formen unterscheiden sich historisch und inhaltlich, folgen jedoch einer gemeinsamen Logik: Sie teilen Menschen in vermeintlich homogene Gruppen ein, werten sie ab und rechtfertigen so Ungleichheit, Ausgrenzung und Gewalt.

Antikurdischer Rassismus ist eine spezifische Form des Rassismus, die Kurd:innen kollektiv entrechtet, abwertet und kriminalisiert; historisch wie gegenwärtig. Er ist nicht bloß ein Vorurteil, sondern Teil eines gewaltvollen politischen Projekts: der Leugnung kurdischer Existenz im Kontext der modernen Nationalstaatsbildung im Mittleren Osten (Jasim 2024 in belltower.news).

Verleugnung und Herabsetzung

Der zentrale Mechanismus des antikurdischen Rassismus ist die Dialektik von Verleugnung und Herabsetzung. Einerseits wird kurdische Existenz verleugnet: Geschichte, Sprache und Kultur werden unterdrückt oder ausgelöscht. Dies zeigt sich etwa in der Kriminalisierung der kurdischen Sprache, in Deportationen und in militärischen Vernichtungskampagnen in den Hauptsiedlungsgebieten in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien.

Andererseits wird kurdische Identität herabgesetzt: Kurd:innen werden als „Staatsfeinde“, „Separatisten“ oder „Terroristen“ stigmatisiert und als Bedrohung für die nationale Einheit und das gesellschaftliche Zusammenleben dargestellt (vgl. ebd.).

Die Auseinandersetzung mit antikurdischem Rassismus, insbesondere im Kontext der Geflüchtetenarbeit, nimmt einen hohen Stellenwert in der Arbeit von Pena.ger ein. Auch Hogir Alay war doppelten rassistischen Verhältnissen ausgesetzt: dem Rassismus der deutschen Dominanzgesellschaft und jenem, den er als geflüchteter Kurde erfahren hat. Dieser äußerte sich nicht nur im Alltag, sondern auch innerhalb der Geflüchtetenunterkunft durch das dortige Personal und durch Übersetzer:innen, wie sein Vater berichtete.

Sowohl konkret und praktisch als auch politisch und gesellschaftlich

Ein besonderer Meilenstein war der Aufbau eines bundesweiten Sprachmittler:innen-Pools. Dieser Pool ermöglicht es, Ratsuchende, die keinen Zugang zu Sprachmittlung haben, zuverlässig zu begleiten und zu unterstützen. Eine detaillierte Darstellung dieses Projektes erfolgt im weiteren Verlauf des Artikels. Auf unter anderem ministerialer Ebene hat Pena.ger wiederholt auf die prekären Bedingungen in Unterkünften für Geflüchtete hingewiesen und so Missstände sichtbar gemacht.

Damit zeigt sich: Pena.ger leistet nicht nur direkte Unterstützung für Ratsuchende, sondern setzt sich gleichzeitig auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene dafür ein, die Rahmenbedingungen für Geflüchtete und Migrant:innen nachhaltig zu verbessern. Die Gründung als gemeinnütziger Verein soll diese Arbeit künftig auf eine noch stabilere und langfristigere Basis stellen.

Das Selbstverständnis von Pena.ger

Pena.ger e.V. ist eine unabhängige Struktur zur mehrsprachigen, niedrigschwelligen Erst- und Verweisberatung für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung: Queere und LGBTQIA+-Geflüchtete, geflüchteten Frauen, Geflüchtete mit Behinderung oder psychosozialem Unterstützungsbedarf, Neuzugewanderten sowie bereits länger in Deutschland lebenden Migrant:innen. Weitere Adressant:innen von Pena.ger e.V. sind Multiplikator:innen, darunter auch haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Geflüchtetenarbeit.

Im Zentrum steht die zeit- und ortsunabhängige Bereitstellung von Orientierungshilfen, die gezielte Weitervermittlung an lokale Fachstellen sowie die Beantwortung von Fragen zum laufenden Asylverfahren. Das Angebot richtet sich an Ratsuchende mit Unterstützungsbedarf in behördlichen, sozialen und alltagspraktischen Fragen. Besonderes Augenmerk liegt auf einer begleitenden Beratungspraxis auf Augenhöhe, die Handlungsfähigkeit stärkt und den Zugang zu bestehenden Hilfestrukturen erleichtert.

Hierbei legt Pena.ger besonderen Wert auf

▪ Niedrigschwelliger Zugang: Die digitale Beratung ist einfach nutzbar: ohne Termin und unabhängig vom Aufenthaltsort.

▪ Mehrsprachige Beratung.

▪ Kontaktformular: Ratsuchende können direkt und unkompliziert via Kontaktformular mit der Beratungsstelle in Kontakt treten, via Instagram oder per E-Mail – ohne Umwege.

▪ Schnelle Rückmeldung: Die Berater:innen bemühen sich, zeitnah und bedarfsgerecht zu antworten – in der Sprache, die die ratsuchende Person versteht.

Digitale Zugänge und Öffentlichkeitsarbeit

Die niedrigschwellige Erreichbarkeit von Pena.ger e.V. orientiert sich an den Lebensrealitäten der Ratsuchenden. Viele von ihnen bewegen sich alltäglich auf digitalen Plattformen, sodann die Kontaktaufnahme vorrangig über soziale Medien wie Instagram erfolgt. Dort informiert Pena.ger e.V. regelmäßig über asylrechtliche Fragestellungen, bestehende Unterstützungsangebote sowie aktuelle politische Entwicklungen.

Darüber hinaus engagiert sich der Verein in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, strukturelle Herausforderungen im Asyl- und Migrationssystem sichtbar zu machen und politische Diskurse um die Perspektiven geflüchteter Menschen zu erweitern.

Ferner nutzt Pena.ger e.V. digitale Plattformen zur Information, Sensibilisierung und Aufklärung zu gesellschaftlich relevanten Themen: unter anderen Asyl und Migration, Demokratie- und Menschenrechtsförderung, Fluchtursachen und globale Zusammenhänge, Frauenrechte sowie Rechte queerer und LGBTQIA+ Geflüchteter und Gleichstellung im Kontext von Flucht und Migration, Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierungsprävention.

Sprachmittlung im Ehrenamtsnetzwerk

Im Rahmen der bundesweiten Vernetzungsarbeit hat Pena.ger e.V. ein ehrenamtliches Netzwerk an Sprachmittler:innen aufgebaut (s.o.). Diese begleiten ratsuchende Personen unter anderem bei Behördenterminen. Die Koordination erfolgt bedarfsorientiert und umfasst neben einer sorgfältigen Erhebung des Unterstützungsbedarfs im Vorfeld und einer individuellen Auswahl und Terminabstimmung auch die Schulung der Sprachmittler:innen zu Themen wie Datenschutz, Rollenverständnis und diskriminierungssensibler Kommunikation.

Dieses Angebot trägt dazu bei, Sprachbarrieren abzubauen und den Zugang zu institutioneller Unterstützung zu erleichtern.

Von Geflüchteten für Geflüchtete – das Motto des Vereins

Ein zentrales Anliegen von Pena.ger e.V. ist die aktive Einbindung geflüchteter Menschen nicht nur als Adressant:innen, sondern als Mitgestaltende. Partizipation wird dabei nicht als wohlwollendes Zusatzangebot verstanden, sondern als strukturelle Haltung: Geflüchtete sollen als Expert:innen in eigener Sache sichtbar, hörbar und wirksam werden.

Ziel ist es, durch qualifizierende Tätigkeiten im Rahmen der Vereinsarbeit konkrete Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen; auch mit Blick auf langfristige Perspektiven im Aufenthaltskontext. Schutz, Orientierung und rechtliche Information sollen dabei immer auch mit Empowerment, Selbstvertretung und Bleibeperspektiven verbunden sein.

Spenden, fördern, ermöglichen

Vor dem Hintergrund drastischer Kürzungen im Bereich der Migrationsberatung setzt sich Pena.ger e.V. dafür ein, akute Versorgungslücken zu schließen. Unterstützung, in Form von Spenden oder Fördermitgliedschaften, hilft dem Verein dabei, Ratsuchenden in besonders belastenden Situationen konkrete Hilfe zugänglich zu machen, wie zum Beispiel durch die Finanzierung anwaltlicher Erstberatung oder sprachlicher Begleitung in behördlichen Verfahren.

Pena.ger e.V. ist auf vielfältige Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements angewiesen. Ob als ehrenamtliche:r Sprachmittler:in, Berater:in oder durch finanzielle Unterstützung – jede Mithilfe stärkt die Arbeit mit geflüchteten Menschen. Sprachmittlung ermöglicht faire Verfahren und Zugänge, wo sprachliche Barrieren den Alltag erschweren. In der Beratung werden Menschen mit Erfahrung in sozialen, rechtlichen oder pädagogischen Bereichen gesucht, die Ratsuchende zum Beispiel bei Anträgen oder im Kontakt mit Behörden begleiten. Darüber hinaus freut sich Pena.ger e.V. über alle, die die Themen des Vereins in die Öffentlichkeit tragen oder Netzwerke mit ihm aufbaut.

Quellen

1) Mecheril, P./Castro Varela, M. do Mar/Dirim, İ./Kalpaka, A./Melter, C. (2010): Migrationspädagogik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

2) Belltower News im Gespräch mit Dr.in Dastan Jasim (2024): So funktioniert antikurdischer Rassismus. https://www.belltower.news/interview-so-funktioniert-antikurdischer-rassismus-156173/ (Letzter Zugriff: 09.09.2025).

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/tv-tipp-vorstellung-der-initiative-pena-ger-bei-Cira-fokus-40929 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/online-beratungsstelle-pena-ger-ruft-zur-unterstutzung-auf-45570 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/pena-ger-beim-dersim-festival-sprachmittler-innen-gesucht-46360 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/suizid-als-folge-eines-strukturellen-versagens-46374

 

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Klagelied für Besta

10. September 2025 - 19:00

Das Fällen von Bäumen für den Bergbau und die Ölförderung setzt seit fast neun Jahren das gesamte Leben in der Region Botan einer systematischen ökologischen Zerstörung aus. Nun haben sich Tausende versammelt, um „Stopp“ zu sagen. Nach einer großen Bündnisdemonstration in Şirnex (tr. Şirnak) hat sich eine Menschenmenge nach Besta begeben, wo massenhaft Bäume gefällt und aufgestapelt worden waren. Sie haben kurzerhand Zelte aufgebaut und ein Protestcamp errichtet, in dem sie gemeinsam kochen, tanzen und vor allem auf die Zerstörung aufmerksam machen.

Als einige Mütter die Holzstapel sahen, begannen sie gemeinsam Klagelieder zu singen, wobei sie für jeden Baum ein eigenes Klagelied anstimmten. Ayşe Akar sang ein traditionelles Stran (dt. Lied), um auf die anhaltende Zerstörung von Menschen und Bäumen in Botan aufmerksam zu machen und ein Ende des Massakers zu fordern. Sie sagte, dass sie als Mütter Widerstand leisten und zum stillen Schrei der in Cudi, Gabar und Besta gefällten Bäume werden würden.


Die Mutter Akar ist Teilnehmerin des Protests. Dies seien ihr Land, ihre Bäume und ihre Gärten gewesen, aber nichts sei mehr übrig, stellte sie ernüchtert fest und versprach, so lange wie nötig zu bleiben.

Als sie gesehen habe, wie die Bäume gefällt und beiseite geworfen wurden, sei sie am Boden zerstört gewesen. Obwohl sie ihre Tränen hinuntergeschluckt habe, habe sie das Gefühl gehabt, dass die Bäume ein Teil von ihnen waren. Und sollten die Bäume verschwinden, verschwänden auch sie. Die Geschehnisse stünden in Feindschaft zu Menschen und Natur, dieser wolle sie sich vehement widersetzen.

Ayşe Akar schloss mit den Worten, dass weder die Kurd:innen noch die Wälder zerstört werden könnten, dass sie aus ihren Häusern gekommen seien, um die Plünderung zu stoppen, und dass sie, nachdem sie diese Szene gesehen haben, alles tun würden, um die Bäume zu schützen, um jegliches weiteres Leiden zu verhindern.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protestcamp-in-besta-diese-erde-gehort-uns-47883 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/mahnwache-gegen-Okozid-wir-bleiben-bis-der-kahlschlag-endet-47882 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-Sirnex-frieden-beginnt-in-cudi-gabar-und-besta-47878

 

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Köln: „Langer Marsch“ für ein freies Leben gestartet

10. September 2025 - 18:00

Der jährliche „Lange Marsch“ kurdischer und internationalistischer Jugendlicher findet dieses Jahr unter dem Motto „Freiheit und Demokratie“ statt. Rund 150 aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien, haben sich aus diesem Grund am Dienstag im nordrhein-westfälischen Köln versammelt.

Gemeinsame Erklärung und Musik zum Auftakt

Nach ihrer Ankunft und Anmeldung im Demokratischen Kurdischen Kulturzentrum in Köln, begaben sich die Aktivist:innen zur Verlesung ihrer Erklärung zum Veranstaltungsort, dem Kölner Eurosaal. Im Anschluss an die Deklaration solgte ein kulturelles Programm: der TEV-ÇAND-Künstler Rêber Serhat betrat die Bühne, und die Veranstaltung wurde mit Liedern, begleitet von Gesängen und Parolen, fortgesetzt.

Erster Tourabschnitt am Mittwoch

Am frühen Mittwochmorgen versammelten sich die jungen Menschen dann auf dem Wiener Platz in Mülheim und begannen ihren Marsch mit einer Erklärung, in der sie die Freilassung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan forderten. Sie verwiesen darin insbesondere auf Abdullah Öcalans jüngste Botschaft, die die Menschen an die Bedeutung von Frieden, Freiheit und einer demokratischen Gesellschaft erinnert habe.

„Das konkreteste Beispiel dafür ist der jüngste Prozess, der mit Mut und Entschlossenheit von Rêber Öcalan [Abdullah Öcalan, Anm. d. Red.] initiiert wurde und eine paradigmatische Erneuerung signalisiert. Dieser Prozess bedeutet die Befreiung von den Dogmen der Vergangenheit, den Fesseln des realen Sozialismus und seinen Zwängen; er signalisiert eine neue Konzeption von Frieden, Freiheit und Demokratie“, hieß es in der Erklärung, die mit folgenden Worten schloss:

„Wir sind hier, um gemeinsam zu demonstrieren, die Revolution aufzubauen und einen konkreten Internationalismus zu leben. Mit den Worten von Rêber Öcalan: ‚Marschiert für Demokratie und Freiheit‘.“

Marsch über Düsseldorf nach Dortmund

Der Marsch wird drei Tage dauern und von Köln nach Düsseldorf und Dortmund führen. Die Teilnehmenden werden jeden Tag verschiedene Diskussionen und kulturelle Veranstaltungen abhalten. Abschließend wird eine Presseerklärung in fünf Sprachen veröffentlicht.

Am letzten Tag werden die Teilnehmenden das Kurdische Kulturfestival in Dortmund besuchen und gemeinsam die Videobotschaft ansehen, die Öcalan am 9. Juli nach 27 Jahren an die Öffentlichkeit gerichtet hat.

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https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/aufruf-der-jugend-zum-langen-marsch-fur-ein-freies-leben-47800 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/langer-marsch-der-kurdischen-jugend-fur-Ocalans-freiheit-47185 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/langer-marsch-zieht-durch-hamm-43622

 

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Lebenslange Haft für Attentäter von Solingen

10. September 2025 - 18:00

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den wegen des Messeranschlags von Solingen angeklagten Issa al H. am Mittwoch zu lebenslanger Haft verurteilt. Aufgrund der besonderen Schwere der Schuld ordnete es außerdem eine anschließende Sicherheitsverwahrung an.

Der 27-jährige Verurteilte hatte bei einem Messerangriff auf dem Stadtfest im nordrhein-westfälischen Solingen am 23. August 2024 drei Menschen getötet und mehrere weitere teils schwer verletzt. Bei den Toten handelt es sich um eine 56-jährige Frau sowie zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren. Unter anderem wegen Mordes verhängte das OLG die Höchststrafe gegen Al H..

Bereits zu Beginn des Prozesses gestand der Angeklagte die Tat und gilt laut Gutachten für voll schuldfähig. Während sein Verteidiger die Beweggründe des Täters für unzureichend aufgeklärt hielt – Issa al H. gab gegen Ende des Prozesses an, die Diskrepanz tanzender Menschen in Deutschland und sterbender Kinder in Gaza nicht ertragen zu haben – zeigt sich die Bundesanwaltschaft von einem islamistischen Motiv überzeugt.

Islamistischer Terror

Rund 24 Stunden nach dem Anschlag hatte der selbsternannte Islamische Staat (IS) die Tat für sich reklamiert. Über ihr Propaganda-Organ „Amak“ hatte sie bekannt gegeben, der Angriff sei „als Rache für Muslime in Palästina und überall“ von einem ihrer „Soldaten“ verübt worden.

Die Anklage lautete auf dreifachen Mord, zehnfachen versuchten Mord, Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ und weitere Straftaten. Der mutmaßliche IS-Anschlag in Solingen hatte den flüchtlingsfeindlichen Diskurs in Deutschland verschärft. Statt gegen Islamismus vorzugehen, überschlugen sich Opposition und Bundesregierung in immer neuen flüchtlingsfeindlichen Vorschlägen. Unter den Tisch fiel dabei, dass viele der Menschen, die nach Deutschland fliehen, selbst vor islamistischen Regimen wie dem im Iran und in der Türkei oder Terrorbanden wie dem IS oder den dschihadistischen Söldnern der Türkei in Nord- und Ostsyrien geflohen sind.

„Der IS bleibt eine Gefahr“

Khaled Davrisch, Repräsentant der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland kommentierte das heutige Urteil und die anhaltende Gefahr durch den IS:

„Es ist gut, dass der Terror des IS in Deutschland juristisch so konsequent verfolgt wird. Denn der IS bleibt eine Gefahr.

Erst letzte Woche versuchten IS-Anhänger aus dem al Hol-Camp in Nord- und Ostsyrien auszubrechen. Dank der bewährten Zusammenarbeit in der internationalen Anti-IS-Koalition konnten die Kräfte der Selbstverwaltung den Ausbruch verhindern.

Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien engagiert sich weiterhin dafür, Anschläge des IS zu vereiteln, egal ob in Syrien, in Europa oder in Deutschland.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/anschlag-in-solingen-haftbefehl-gegen-verdachtigen-erlassen-43377 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/is-bekennt-sich-zu-anschlag-in-solingen-43367 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/terror-in-solingen-bekampfung-der-ursachen-notwendig-43384 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/lager-in-deutschland-rassismus-Ubergriffe-und-drogen-43391

 

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Städtepartnerschaft lädt zu Filmgespräch und Stadtspaziergang ein

10. September 2025 - 16:00

Der Verein „Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik“ engagiert sich bereits seit 2017 mit Förderprojekten in den Bereichen Ökologie, Gesundheit, Bildung und humanitärer Hilfe in der nordostsyrischen Stadt Dêrik (ar. Al Malikiya). Für den Monat September hat er neben einer Filmmatinee von „Trotz Alledem – Tevî her tiştî“ mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseur Robert Krieg am 14. auch eine themenspezifische Stadtführung in Berlin-Kreuzberg am 28. geplant.

Filmmatinee

In Kooperation mit docfilm42 lädt die Städtepartnerschaft zur Filmmatinee von Robert Kriegs Dokumentarfilm „Trotz Alledem – Hevî her tiştî“ am Sonntag, den 14. September 2025 um 11:30 Uhr im fsk­Kino (Oranienplatz, Segitzdamm 2, 10969 Berlin) ein.

An die Filmvorführung wird sich ein Gespräch mit dem Regisseur Robert Krieg anschließen. Der Film gibt einen eindrucksvollen Einblick in das Leben selbstbestimmter Frauen in der autonom verwalteten Region im Norden und Osten Syriens. Inmitten von Krieg, Zerstörung und politischer Unsicherheit kämpfen sie unbeirrt für ihre Unabhängigkeit und eine basisdemokratische Gesellschaft.

„Der Film erzählt in ruhigen, aber kraftvollen Bildern von gelebter Solidarität, Widerstandskraft und dem Aufbau einer friedlichen Zukunft – jenseits patriarchaler Strukturen und trotz widrigster Umstände“, heißt es in der Beschreibung.

Stadtspaziergang „Kurdisches Leben in Friedrichshain-­Kreuzberg“

Unter Einbeziehung des Themas Wasser wird das Vereinsmitglied, die Anthropologin und Wasserexpertin Şermin Güven, einen Stadtspaziergang zu Orten kurdischen Lebens in Kreuzberg anbieten. Mit kleinen Geschichten und Annekdoten aus Dêrik will sie den Teilnehmenden die Bedeutung des Wassers in Dêrik näher bringen. Die rund anderthalbstündige Führung am 28. September ist Teil von „FLUID CONNECTIONS“, einem gemeinsamen Projekt der Kreuzberger Städtepartnerschaften rund um das Thema Wasser.

https://deutsch.anf-news.com/kultur/tevi-her-tisti-trotz-alledem-46486 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/delegation-aus-berlin-in-daanes-unterstutzung-fur-partnerstadt-derik-46493 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/stadtepartnerschaftsverein-sicheres-trinkwasser-fur-5-000-menschen-44275

 

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Prozessauftakt gegen kurdische Aktivisten in Hamburg

10. September 2025 - 14:00

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg hat der Prozess gegen zwei kurdische Aktivisten begonnen. Nihat Asut und Agit U. wird von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg nach §129a/b StGB vorgeworfen, sich ab 2020 bzw. 2021 bis zu Durchsuchungen und der Festnahme Asuts am 12. März dieses Jahres als PKK-Mitglieder betätigt zu haben. Seit seiner Festnahme befindet sich Nihat Asut in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.

Der Prozessauftakt wurde von zahlreichen Interessierten beobachtet. Als Nihat Asut in den Gerichtssaal geführt wurde, standen die meisten Zuschauer:innen auf und begrüßten den Angeklagten mit Applaus. Aufgrund von Einlasskontrollen füllte sich der Zuschauerraum erst eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn und war dann bis auf den letzten Platz voll besetzt.

Die Verhandlung begann mit der Feststellung der Personalien der Angeklagten durch den Vorsitzenden Richter des Staatsschutzsenats, Norbert Sakuth. Die beiden Angeklagten im Alter von 63 und 64 Jahren sind Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit und äußerten sich zu ihren Personalien in ihrer Muttersprache Kurmancî.

Im Anschluss wurde von Generalstaatsanwalt Schakau die Anklageschrift verlesen und die Verhandlung auf nächsten Mittwoch, den 17. September um 9 Uhr, vertagt. Die Angeklagten wollten zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben machen. Weitere Termine sind voraussichtlich am 19. September, 6., 8., 14. und 15. Oktober, 5., 6., 17., 19., 27. und 28. November sowie 2. und 3. Dezember 2025, Änderungen sind möglich.

Protestkundgebung vor Gerichtsgebäude

Im Vorfeld der Prozesseröffnung veranstaltete der AK Freiheit für Nihat ab 8 Uhr vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung in Solidarität mit den Angeklagten. In mehreren Redebeiträgen, unter anderem vom Kurdistan-Solidaritätskomitee Kiel und von Defend Kurdistan Bremen, wurde die Kriminalisierungspolitik gegen Kurd:innen in Deutschland kritisiert und Freiheit für alle inhaftierten kurdischen Aktivist:innen gefordert. Zudem wurden Grußworte von Die Linke Kiel, Rote Hilfe Kiel und der Marxistischen Linken vorgetragen.

 


Azadî: Keine Kursänderung in der deutschen Politik

Auch der Rechtshilfefonds Azadî e.V. war bei der Kundgebung mit einem Redebeitrag vertreten. In der verlesenen Erklärung wurde betont, dass den Angeklagten keine individuellen Straftaten zur Last gelegt werden und es offenbar keine Kursänderung in der deutschen Politik gibt. So hieß es in dem Beitrag:

„Liebe Freundinnen und Freunde, hier vor dem OLG Hamburg findet heute der Prozessauftakt gegen den kurdischen Aktivisten Nihat Asut und einen weiteren Genossen statt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wirft Nihat vor, seit September 2021 als Mitglied der PKK in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern tätig gewesen zu sein und sich dadurch nach § 129b des Strafgesetzbuchs strafbar gemacht zu haben. Im Zuge der Festnahme von Nihat durchsuchte das LKA Schleswig-Holstein insgesamt neun Immobilien in Kiel und Lübeck, darunter die Wohnungen und Kleingärten von fünf weiteren Betroffenen sowie das kurdische Gesellschaftszentrum in Kiel.

Trotz des aktuellen Friedensprozesses in der Türkei geht die Repression der deutschen Justiz gegen die kurdische Befreiungsbewegung unvermindert weiter. Die Prozesse nach § 129b gegen kurdische politische Aktivist:innen laufen vor den deutschen Gerichten alle nach demselben Muster. Den Angeklagten werden in der Regel keine individuellen Straftaten zur Last gelegt. Vorgeworfen wird ihnen politisches Engagement, welches auch für viele von euch zum Alltagsleben gehört, etwa Teilnahme an Demonstrationen und die Mobilisierung dafür. Nur, weil die mit dem § 129b konfrontierten Personen das angeblich im Auftrag der Arbeiterpartei Kurdistans PKK vornehmen, werden sie zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Auch nach dem Aufruf für Frieden und Demokratie von Abdullah Öcalan und der Auflösung und angekündigten Entwaffnung der PKK im Mai gibt es keine Kursänderung in der deutschen Politik.

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Parallel geführte Prozesse gegen Kurden

Am Montag begann in Berlin ein Prozess gegen einen kurdischen Aktivisten, heute Morgen – während wir hier stehen – beginnt ein solches Gerichtsverfahren gegen einen Aktivisten in Stuttgart.

Der bekannte kurdische Politiker Yüksel Koç wurde am 20. Mai in seiner Bremer Wohnung festgenommen. Vorgeworfen wird ihm seine langjährige politische Tätigkeit als Ko-Vorsitzender des „Kongresses der demokratischen Gemeinschaften Kurdistans in Europa“ – KCDK-E. Wie bei den anderen Angeklagten in den § 129b-Prozessen werden auch ihm keine individuellen Straftaten vorgeworfen, sondern seine allgemeinen politischen Tätigkeiten, die von der Bundesanwaltschaft als „Propagandaarbeit für die PKK“ dargestellt werden. Auch wenn Yüksel mittlerweile aus der U-Haft entlassen wurde, geht das Verfahren gegen ihn weiter und wird voraussichtlich ebenfalls in Hamburg stattfinden.

Abschiebung von Mehmet Çakas vorerst verhindert

In einem anderen Fall hat zuletzt eine Ausländerbehörde versucht, einen nach § 129b verurteilten Genossen direkt aus dem deutschen Gefängnis in die Türkei abzuschieben. Mehmet Çakas wurde im April 2024 vom OLG Celle zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Regulär hätte er im Oktober dieses Jahres seine Haft abgesessen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte im Juni einen Eilantrag gegen seine Abschiebung in einem oberflächlichen Verfahren abgelehnt. Aktuell ist seine Abschiebung vom Tisch, da am 24. November ein neues Asylanhörungsverfahren angesetzt ist.

Wir hoffen als AZADÎ natürlich, dass die Auslieferung von Mehmet Çakas verhindert werden kann. Wir gehen aber davon aus, dass es bei anderen noch einsitzenden Gefangenen zu ähnlichen Versuchen durch die Ausländerbehörden kommen wird. Die Abschiebungen gilt es auf jeden Fall zu verhindern, da den Betroffenen in der Türkei Haft, unfaire Verfahren, Folter und mit den Menschenrechten unvereinbare lebenslange Haftstrafen drohen – allein schon aufgrund ihrer Verurteilungen als PKK-Mitglieder in Deutschland.

„Wir brauchen ein Primat der Politik“

Wir fordern angesichts der hoffnungsvollen Entwicklungen in der Türkei, die zur Beendigung eines jahrzehntelangen Konflikts führen können, ein Umdenken auch in Deutschland. Wir brauchen ein Primat der Politik gegenüber der seit Jahrzehnten eingespielten Repressions-Bürokratie und erwarten vor allem vom deutschen Bundestag, die positiven Schritte der kurdischen Bewegung aufzunehmen und entsprechende Initiativen zu ergreifen. Dazu gehören im Bereich der Innenpolitik die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums, die PKK nach § 129b StGB verfolgen zu lassen, und die Einstellung aller laufenden Verfahren.

Ebenso fordern wir die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste. Rechtlich wären diese Schritte jederzeit möglich und sofort wirksam, allein der politische Wille ist entscheidend.“

Prozess gegen Welat Çetinkaya in Stuttgart heute gestartet

Vor dem OLG Stuttgart begann heute die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen Welat Çetinkaya. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 51-jährigen Kurden vor, von September 2020 bis Mai 2021 den Raum „Stuttgart-Zentrum“ für die PKK geleitet und sich dadurch wegen Mitgliedschaft in der „terroristischen“ Vereinigung im Ausland nach §§ 129a, 129b Strafgesetzbuch strafbar gemacht zu haben.

Die Verhandlung konnte erst mit einer Stunde Verspätung beginnen, da sich Welat Çetinkaya zunächst weigerte, vor Gericht zu erscheinen. Auf diese Weise protestierte er gegen die Willkür der Behörden. Hintergrund war ein Antrag auf Zusammenlegung mit den ebenfalls in der JVA Stuttgart-Stammheim inhaftierten und der Mitgliedschaft in der PKK beschuldigten Mehmet Ali Yilmaz und Ramazan Yildirim. Entgegen anders lautender Bekundungen war dieser Antrag nicht von der Gefängnisverwaltung an den Senat des Oberlandesgerichts weitergeleitet worden. Der Angeklagte stellte ihn schließlich nach verspätetem Beginn in der heutigen Verhandlung. Darüber hinaus wurden seine Personalien aufgenommen und die Anklageschrift verlesen.

Die Verhandlung wird am 30. September um 9.00 Uhr am OLG Stuttgart fortgesetzt (Olgastraße 2, Sitzungssaal 18).

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/prozesse-wegen-pkk-mitgliedschaft-in-berlin-hamburg-und-stuttgart-47830 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/nachstes-pkk-verfahren-in-hamburg-aufruf-zur-solidarischen-prozessbegleitung-47735 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/berlin-prozess-gegen-kurdischen-aktivisten-mehmet-karaca-gestartet-47864

 

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Europäische Linke: Öcalans Isolation muss beendet werden

10. September 2025 - 14:00

Die Partei der Europäischen Linken (EL) hat sich bezüglich der anstehenden EU-Sitzungen zum „Recht auf Hoffnung“ in der Türkei schriftlich an Dr. Ian Borg, den Vorsitzenden des Ministerkomitees des Europarats, gewendet. Hierin fordert sie das Komitee zu konsequenten und verantwortungsvollen Handlungen auf. Im September läuft die Frist, die das Ministerkomitee der Türkei zur Umsetzung des „Rechts auf Hoffnung“ gesetzt hat, ab und es findet eine Überprüfung statt.

Wiederholte Verurteilung der Türkei

In ihrem Brief fordert die EL, welche 26 sozialistische, kommunistische, rot-grüne und andere demokratische linke Parteien auf Europaebene vertritt, den Präsidenten des Ministerkomitees des Europarats auf, entschieden gegen die Inhaftierung Abdullah Öcalans vorzugehen. Dr. Walter Baier, EL-Vorsitzender, weist nachdrücklich darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei wiederholt wegen der Verletzung von Öcalans Rechten verurteilt habe.

Zu den Verstößen gehöre das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie die Verletzung des „Rechts auf Hoffnung“, heißt es in dem Brief. Die EL erklärt, die bevorstehende Sitzung am 15. September biete eine entscheidende Gelegenheit, die Beschlüsse umzusetzen, Öcalans Isolation zu beenden und Mechanismen für die Untersuchung und mögliche Freilassung zu schaffen.

Abdullah Öcalan als Vermittler des Friedens

In dem Brief heißt es abschließend: „Herr Öcalan ist zudem ein wichtiger Vermittler für Frieden und demokratische Selbstverwaltung in der Region. Seine Freiheit und Teilhabe sind nicht nur für die Gerechtigkeit, sondern auch für dauerhaften Frieden, Demokratie und Stabilität von entscheidender Bedeutung. Wir fordern das Ministerkomitee mit gebührendem Respekt auf, jetzt zu handeln und sicherzustellen, dass die Türkei die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit achtet.“

Hintergrund

Hintergrund ist die Entscheidung des EGMR, der festgestellt hatte, dass lebenslange Haftstrafen ohne reale Aussicht auf Freilassung – wie sie unter anderem gegenüber dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan verhängt wurden – gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Das Ministerkomitee des Europarats hatte der Türkei eine Frist bis September 2025 gesetzt, um entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung dieser Entscheidung vorzulegen.

Geplanter Protest

Vom 15. September bis 1. Oktober planen kurdische Organisationen in Straßburg ein umfassendes Aktionsprogramm für das „Recht auf Hoffnung“ anlässlich der bevorstehenden Überprüfung der Türkei durch das Ministerkomitee des Europarats.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-verweigerung-des-rechts-auf-hoffnung-gefahrdet-den-gesamten-prozess-47754 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kurdische-organisationen-mobilisieren-fur-recht-auf-hoffnung-in-strassburg-47526 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/gewerkschaften-aus-spanien-fordern-recht-auf-hoffnung-fur-Ocalan-47884 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/eutcc-recht-auf-hoffnung-fur-Ocalan-und-andere-gefangene-garantieren-47876

 

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„Du Çiya“, ein Lied für Kaytan und Altun

10. September 2025 - 12:00

Ein Lied mit Musikvideo, die Ali Haydar Kaytan und Rıza Altun gewidmet sind, ist neu auf dem YouTube-Kanal von Art Media veröffentlicht worden. Das Lied mit dem Titel „Du Çiya“ (dt. Zwei Berge) wird von Bengî Agirî und Zelal Asli gesungen, den Text hat Ahmed Goyî verfasst.

Für das Arrangement und die Komposition sind Murat Yapıştıran und Bengî Agirî verantwortlich und auch Nûrê Dilovanî ist im Video zu sehen und begleitet die Sängerinnen mit ihrer Geige.

Ali Haydar Kaytan und Rıza Altun

Ali Haydar Kaytan und Rıza Altun waren Pioniere der kurdischen Revolution und Gründungsmitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). In der Abschlusserklärung des 12. Kongresses der PKK wurde offiziell bekannt gegeben, dass die beiden Revolutionäre 2018 beziehungsweise 2019 gefallen sind.

Die Bekanntgabe ihres Todes hat ein tiefgreifendes Echo in der kurdischen Gemeinschaft ausgelöst, eine ganze Woche lang trauerten Kurd:innen in Kurdistan und auf der ganzen Welt um Kaytan und Altun und hielten Gedenkfeiern und Gedenkveranstaltungen zu ihren Ehren ab. Beide gelten als prägende Persönlichkeiten der Gründungsphase der kurdischen Bewegung.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/gedenken-an-kaytan-und-altun-in-kurdistan-turkei-und-europa-46321 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/ein-unermudlicher-kampfer-fur-die-wahrheit-ali-haydar-kaytan-46253 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/die-berge-waren-sein-kompass-nachruf-auf-riza-altun-46254 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kondolenzbotschaft-von-Ocalan-fur-altun-und-kaytan-46277

 

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Farqînî: Frieden braucht praktische Schritte

10. September 2025 - 11:00

Im Rahmen des Friedens- und Demokratisierungsprozesses hat die parlamentarische „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ in der Türkei am 20. August die Samstagsmütter und Friedensmütter angehört. Der Vorsitzende der Kommission, Numan Kurtulmuş, der die Friedensmütter eingeladen hatte, hat kurdischsprachige Mütter unter Berufung auf die Geschäftsordnung des Parlaments jedoch daran gehindert, zu sprechen. Dieser Vorfall in der Kommission hat Reaktionen von Vertreter:innen politischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgelöst.

Auch der kurdische Linguist Zana Farqînî kritisiert, dass der türkische Staat weiterhin vom Ziel einer „Türkei ohne Terror“ spreche, während die kurdische Seite von einer „demokratischen Gesellschaft“ spricht. Im Gespräch mit ANF unterstreicht er die Bedeutung von Gerechtigkeit und kollektiven Rechten, und vor allem von konkreten Schritten für den Erfolg des aktuellen Prozesses.


„Mit dem Aufruf des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan begann ein neuer Prozess. Die Entscheidung der PKK, die Waffen niederzulegen, und die Bildung einer Kommission im Parlament weckten bei den Menschen Hoffnung auf Frieden und Gleichberechtigung“, leitete der kurdische Linguist Zana Farqînî das Gespräch mit ANF ein. Bislang seien jedoch konkrete Schritte bezüglich der kurdischen Forderungen ausgeblieben, fuhr er fort, was auch an der staatlichen Herangehensweise an den Prozess liege: Dieser stelle ihn noch immer unter das Motto einer „Türkei ohne Terrorismus“. Anders als die kurdische Seite, die sich eine demokratische Gesellschaft wünsche.

Frieden, so Farqînî weiter, basiere auf Rechten, Gesetz und Gerechtigkeit. Hierzu gehörten die Forderungen nach Anerkennung der kurdischen Sprache, Kultur und Identität sowie eines entsprechenden Status. Derzeit wisse das kurdische Volk jedoch nicht, ob diese künftig gewährt werden.

Der Linguist unterstrich, dass nun zwar „Politik und Verhandlungen Krieg und Konflikt abgelöst“ hätten und die parlamentarische Kommission beide Seiten anhöre. Praktische Schritte in Richtung eines schnellen Friedens und der Gleichberechtigung der Völker fehlten bislang allerdings.

Geschwisterlichkeit

Das Wort „Geschwisterlichkeit“ im Namen der Parlamentskommission zur Lösung der kurdischen Frage müsse genauer betrachtet werden, argumentierte Farqînî: „Welche Art von Geschwisterlichkeit? Ist es die sogenannte Geschwisterlichkeit, von der seit der Gründung der Republik die Rede ist? Diese Geschwisterlichkeit hatte weder Namen noch Rechte.“

Ein derlei geartetes Verständnis sei bisher Grund für Krieg und Konflikte gewesen. Vielmehr müsse es tatsächlich darum gehen, ein Verhältnis zu schaffen, dass „die Existenz, Identität und Recht der Kurd:innen anerkennt“ und auf Gerechtigkeit basiert, meint der Sprachwissenschaftler.

Es herrscht Misstrauen gegenüber dem Staat

Dass den Friedensmüttern während der Kommissionsanhörung kürzlich verboten wurde, in ihrer Muttersprache zu sprechen, untergrabe nach Meinung des Linguisten des Vertrauen in den Prozess. „Die Wurzel dieses Problems liegt in der Assimilationspolitik, die der kurdischen Sprache auferlegt wurde. Kurdisch wurde in allen Bereichen verboten und angegriffen. Aus diesem Grund herrscht Misstrauen gegenüber dem Staat; die Menschen können dem Staat aufgrund ihrer Erfahrungen in früheren Prozessen nicht vertrauen.“

Die Politik der Verleugnung muss aufgegeben werden

Zana Farqînî erklärte, dass der türkische Staat seine seit seiner Gründung verfolgte Politik der Homogenisierung unverzüglich aufgeben und stattdessen entsprechend der soziologischen Struktur des Landes handeln muss. Die Türkei könne sich auf diesem Weg moderne Länder zum Vorbild nehmen, die Kriege beendet haben.

„Sie muss ihre alten Klischees aufgeben. Homogenisierende Politik stört den Frieden und verhindert dessen Etablierung. Krieg und Konflikte sind aufgrund dieser Verleugnung entstanden. Das Problem muss nun aus dem Konfliktrahmen herausgenommen und durch Verhandlungen gelöst werden. Jetzt gibt es eine solche Grundlage. Von nun an sollten Schritte für alle Völker unternommen und eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen werden. Das kurdische Volk ist bereit, alles im Namen des Friedens zu tun“, schloss Sprachwissenschaftler Zana Farqînî seine Ausführungen.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/friedensmutter-kritisieren-sprachverbot-in-parlamentskommission-47620 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/demonstration-in-istanbul-fur-bildung-auf-kurdisch-47856 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/gulec-mit-dem-schweigen-der-waffen-ist-die-kurdische-frage-nicht-gelost-47777 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/losungsprozess-mithat-sancar-fordert-friedensrecht-in-drei-dimensionen-47837

 

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Saeed: Die PKK hat ihre historische Rolle gespielt

10. September 2025 - 9:00

Im Interview mit ANF erklärt Dr. Seevan Saeed die historische Rolle der PKK und betont, dass Frieden nur auf der Grundlage des Paradigmas des Demokratischen Konföderalismus erreicht werden könne. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat jahrzehntelang Widerstand gegen die Politik der Verleugnung geleistet und vor wenigen Monaten ihre Selbstauflösung sowie das Ende des bewaffneten Kampfes bekannt gegeben.

Sie hat tatsächlich die Leugnung der Existenz des kurdischen Volkes durchbrochen und ein halbes Jahrhundert lang den sozialen und politischen Wandel vorangetrieben. Ihr Kampf hat zusammen mit Abdullah Öcalans Paradigma des Demokratischen Konföderalismus den Grundstein für das System der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) gelegt.

In diesem halben Jahrhundert verwandelte sich die kurdische Freiheitsbewegung nicht nur in einen parteibasierten Kampf, sondern auch in eine soziale und politische Kraft, die Werte wie Frauenbefreiung, Gleichberechtigung und gemeinschaftliches Leben in die Praxis umsetzte.

Der Wissenschaftler und Forscher Dr. Seevan Saeed befasst sich mit den historischen und ideologischen Dimensionen dieses Prozesses. Er sprach mit ANF über die Entstehung der PKK als eine Bewegung, die seit einem halben Jahrhundert besteht, ihre Rolle im sozialen Wandel, die sozialen und politischen Auswirkungen ihres Paradigmenwechsels, ihre Auswirkungen auf die vier Teile Kurdistans und Abdullah Öcalans „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“.

Wie würden Sie die 50-jährige Geschichte der PKK beschreiben? Was bedeutete ihre Entstehung für die Kurd:innen?

Die kurdische Freiheitsbewegung unter der Führung der PKK hat den politischen Kurs der kurdischen Gesellschaft im letzten halben Jahrhundert geprägt. Die PKK entstand in den 1970er Jahren und war nicht nur eine bewaffnete Organisation, sondern auch ein historischer Bruch mit Jahrzehnten des erzwungenen Schweigens und der Verleugnung.

Für die Kurd:innen, denen lange Zeit soziale und politische Rechte, politische Anerkennung und kollektive Würde vorenthalten worden waren, stellte die PKK einen radikalen Bruch dar: Sie vertrat die Idee, dass die kurdische Existenz nicht nur verteidigt, sondern auch in ein neues soziales und politisches Projekt verwandelt werden könne. Daher muss die Entstehung der PKK sowohl als Rebellion gegen assimilationistische Nationalstaaten als auch als transformative Kraft gesehen werden, die die kurdische Identität, Politik und sozialen Bestrebungen neu geprägt hat.

Was unterscheidet die PKK von klassischen Organisationen und Parteien?

Die PKK ist nicht nur eine politische Bewegung, sondern auch eine soziale Bewegung. In vielerlei Hinsicht unterscheidet sie sich von anderen politischen Parteien im Nahen Osten. Sie hatte nie das Ziel, das System zu ersetzen und darüber zu herrschen. Ihr wesentliches Ziel war es, die Mentalität zu verändern: ein Volk aus der Sklaverei in ein freies Leben zu führen.

Deshalb ist die 50-jährige Geschichte dieser Bewegung keine Auflösung, sondern eine Transformation. Die aktuelle Debatte, die als „Waffenabgabe“ oder „Auflösung“ formuliert wird, ist meiner Meinung nach fehlgeleitet. Was hier auf dem Spiel steht, ist eine Veränderung der Methode.

Könnten Sie diesen Punkt näher erläutern? Wie beurteilen Sie die Auflösung und das Ende des bewaffneten Kampfes?

Der bewaffnete Kampf war innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung immer nur ein kleiner Teil. Der Kampf in den Bergen diente im Wesentlichen der Selbstverteidigung. Das eigentliche Gewicht der Bewegung lag immer auf der sozialen Transformation. So wurde beispielsweise die in den letzten fünfzig Jahren erreichte Transformation in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter im Nahen Osten in tausend Jahren nicht erreicht.

Frauen wurden zu Mitführerinnen und rückten in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Ebenso haben verschiedene Glaubensrichtungen und Identitäten wie die Ezid:innen, die Zazas und die Schiit:innen innerhalb der Gesellschaft Anerkennung und Wert gewonnen. Dieser Kampf hat daher nicht nur als politischer Wandel, sondern auch durch einen tiefgreifenden sozialen Wandel Fortschritte gemacht.

Die PKK wurde aufgelöst, aber der Kampf für den sozialen Wandel geht weiter. Wie sehen Sie die Debatten um die „Auflösung“?

Wenn es um Auflösung geht, über welche oder wessen Auflösung sprechen wir dann? Über die fünf- oder sechstausend Guerillakämpfer:innen in den Bergen oder über die Hunderten von politischen, diplomatischen und akademischen Institutionen, die weltweit tätig sind? Hinter dieser Bewegung stehen mindestens zwanzig Millionen Menschen. Aus diesem Grund ergibt es keinen Sinn, von einer „Auflösung“ einer solchen Struktur zu sprechen.

Es ist auch nicht richtig, die Waffe lediglich als ein Instrument aus Eisen zu betrachten; sie wurde auch als moralische, menschliche, kulturelle und erzieherische Form des Widerstands verstanden. Daher wird der Kampf weitergehen, aber die Methoden werden sich ändern. Mit anderen Worten: Wir sprechen nicht von Auflösung, sondern von Transformation.

Die kurdische Freiheitsbewegung kämpfte gegen eine Politik der Verleugnung. Wie hat dieser Kampf zu einem sozialen Wandel geführt? Wie beurteilen Sie seine Auswirkungen auf das tägliche Leben und die soziale Organisation?

Viele Jahre lang wurde die kurdische Frage in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien ausschließlich als „Sicherheitsproblem“ betrachtet. Kurdische kulturelle Ausdrucksformen wurden kriminalisiert, und Forderungen nach Autonomie wurden mit Repressionen beantwortet. Die PKK lehnte diesen Ansatz ab und definierte die kurdische Existenz als eine Frage der kollektiven Rechte und der politischen Handlungsfähigkeit neu.

Der Kampf beschränkte sich nicht nur auf das Schlachtfeld; durch Mobilisierung, Alphabetisierungskampagnen, kulturelle Wiederbelebung und Basisorganisationen kam es zu tiefgreifenden Veränderungen im täglichen Leben. Die politische Beteiligung nahm zu, und Frauen und Jugendliche wurden zu zentralen Akteur:innen. Nachbarschaftsversammlungen, Kulturzentren und Frauenorganisationen wurden Teil einer neuen politischen Kultur. Das bedeutete nicht nur, sich gegen die Verleugnung zu wehren, sondern auch eine alternative Lebensweise aufzubauen.

Es ist bekannt, dass insbesondere die Weitsicht und Intuition des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan für diesen Wandel entscheidend waren. Wie wurden die Grundlagen für den Übergang zum Demokratischen Konföderalismus gelegt?

Abdullah Öcalans Führungsrolle ist sowohl symbolisch als auch praktisch. In der Anfangsphase gab der marxistisch-leninistische Rahmen die erste revolutionäre Ausrichtung der Bewegung vor. Seine Inhaftierung im Jahr 1999 löste jedoch einen tiefgreifenden ideologischen Wandel aus. In seinen Schriften aus Imrali lehnte Öcalan das Modell des Nationalstaates ab und entwickelte stattdessen das Paradigma des Demokratischen Konföderalismus, ein dezentrales System, das auf Ökologie, Geschlechtergleichheit und lokaler Selbstverwaltung basiert.

Dies war nicht nur ein theoretischer Vorschlag, sondern eine Transformation, die die kurdische Politik neu definierte. Innerhalb dieses Paradigmas strebte die kurdische politische Organisation nicht mehr nach einem „Nationalstaat, der nur den Kurd:innen gehört“, sondern nach einer demokratischen Gesellschaft, die Grenzen überschreitet. Frauen und Jugendliche prägten als Vorreiter:innen das politische Leben.

Ist Abdullah Öcalans heutiger Aufruf für eine demokratische Gesellschaft also auch in dieser paradigmatischen Transformation verwurzelt?

Als die PKK entstand, war sie nicht nur eine bewaffnete Widerstandsorganisation, sondern auch eine radikale Ablehnung der historischen Verleugnung des kurdischen Volkes. Dies bedeutete nicht nur einen Bruch mit dem Staat, sondern auch mit den sozialen Strukturen, die diesen Staat stützten, und mit der homogenisierenden Mentalität des Nationalstaates.

Im Laufe der Zeit versuchte die Bewegung, über klassische Modelle der nationalen Befreiung hinauszugehen und einen neuen Weg zu finden. Dies wurde durch Abdullah Öcalans Paradigma des Demokratischen Konföderalismus möglich. Wie ich in meiner Forschung betone, legte der ursprüngliche Widerstandsgeist der PKK den politischen und sozialen Grundstein für dieses Paradigma.

Heute bietet dieses Modell nicht nur den Kurd:innen, sondern auch marginalisierten Völkern wie den Ezid:innen, Alawit:innen, Drus:innen und Assyrer:innen eine alternative Lebensweise. Hier nimmt das, was wir als demokratische Gesellschaft bezeichnen, Gestalt an: ein auf moralischen Werten aufgebautes Gemeinschaftsleben, in dem Völker, Identitäten und Glaubensrichtungen gleichberechtigt zusammenleben.

Sie sagen, dass zwischen dem Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft und diesem Paradigma Harmonie besteht. Könnten Sie das näher erläutern?

Ja, wir können definitiv von Harmonie sprechen. Tatsächlich ist das Paradigma des Demokratischen Konföderalismus der praktische und systematische Ausdruck von Abdullah Öcalans Aufruf für eine demokratische Gesellschaft. Dieser Aufruf ist ein Organisationsmodell, das die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt und auf der Idee einer moralischen und politischen Gemeinschaft basiert. An dieser Stelle schlägt Öcalan eine politische Struktur vor, die nicht staatszentriert, sondern gesellschaftszentriert ist.

Wie ich auch in meiner Forschung untersucht habe, zielt dieses Paradigma darauf ab, die durch die kapitalistische Moderne geschaffene Entfremdung zu überwinden. In einer Gesellschaft, in der der eine hungert und der andere satt ist, kann es keine Gerechtigkeit geben. Deshalb basiert dieses System auf einem moralischen Gesellschaftsvertrag. Und dies ist nicht nur ein ideologischer Diskurs, sondern wird von den Menschen in Rojava (Westkurdistan), in Bakur (Nordkurdistan) und anderswo umgesetzt und gelebt.

Kurz gesagt, der Demokratische Konföderalismus trägt den Geist des Aufrufs zu einer demokratischen Gesellschaft in sich. Beide stellen sich eine Zukunft vor, die auf Selbstbestimmung, Selbstverwaltung und dem Willen zu einem gleichberechtigten Leben in der Gesellschaft basiert.


Der zweite Teil des Interviews folgt in Kürze.

Wer ist Dr. Seevan Saeed?

Dr. Seevan Saeed ist Wissenschaftler und Forscher. Er absolvierte sein Bachelor- und Masterstudium in Soziologie und Sozialpolitik im Vereinigten Königreich und promovierte an der Universität Exeter in Nahostpolitik. In seiner Doktorarbeit untersuchte er umfassend den Kampf der PKK, die Entstehung der KCK und die Rolle des Paradigmas von Abdullah Öcalan. Später veröffentlichte er sein Buch „Kurdish Politics in Turkey: From the PKK to the KCK“, in dem er die Entwicklung der kurdischen Bewegung in der Türkei analysierte.

In diesem Buch zeigte Dr. Saeed wissenschaftlich auf, wie sich die PKK von einem traditionellen bewaffneten politischen Kampf zu einer inklusiveren, multidimensionalen sozialen Bewegung gewandelt hat.

Derzeit ist Dr. Saeed als außerordentlicher Professor an der Shaanxi Normal University in China tätig, wo er Nahoststudien unterrichtet, und setzt seine wissenschaftliche Forschung als Forschungsstipendiat an der Universität Exeter fort.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/sozdar-avesta-der-schlussel-zu-frieden-und-demokratie-liegt-auf-imrali-47835 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/altan-wir-organisieren-mit-der-gesellschaft-den-politischen-wandel-47545 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/dogu-eine-neue-inklusiv-gedachte-turkei-identitat-ist-notig-47534

 

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Gewerkschaften aus Spanien fordern „Recht auf Hoffnung“ für Öcalan

10. September 2025 - 8:00

Im Vorfeld der nächsten Sitzung des Ministerkomitees des Europarats fordern 13 Gewerkschaften und Organisationen aus verschiedenen Regionen Spaniens die sofortige Umsetzung des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“ für den seit Jahrzehnten inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan.

In einem offenen Brief an den Vorsitzenden des Ministerkomitees, Ian Borg, verweisen die Unterzeichner:innen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom März 2014, das lebenslange Freiheitsstrafen ohne Aussicht auf Haftprüfung oder Entlassung als Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention wertet – also als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Kritik an Ankara – Aufruf zum Handeln

Kritisch äußern sich die Gewerkschaften zur Haltung der Türkei, die in ihrem jüngsten Aktionsplan erklärt hatte, Gefangene mit verschärfter lebenslanger Haft – darunter auch Abdullah Öcalan – von einer späteren Haftüberprüfung ausschließen zu wollen. Diese Haltung widerspreche nicht nur dem Urteil des EGMR, sondern untergrabe auch die Grundprinzipien des Europarats, heißt es in dem Schreiben.

Mit Blick auf die bevorstehende Sitzung des Ministerkomitees vom 15. bis 17. September  fordern die Unterzeichnenden den Europarat dazu auf, „die Türkei nachdrücklich an ihre Verpflichtungen zu erinnern“ und auf die Umsetzung der menschenrechtlichen Standards zu drängen.

„Recht auf Hoffnung“ auch politisch relevant

Das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ ist dabei nicht nur ein menschenrechtliches Anliegen. Die Organisationen betonen auch die politische Bedeutung: Eine Umsetzung dieser Entscheidung könnte einen Beitrag zur Demokratisierung der Türkei und zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage leisten.

Sie verweisen in dem Zusammenhang auf Abdullah Öcalans Erklärung vom 27. Februar, in der dieser die Möglichkeit einer Auflösung der PKK und eines umfassenden Entwaffnungsprozesses in Aussicht gestellt hatte – unter der Bedingung, dass ernsthafte Schritte für eine politische Lösung eingeleitet würden.

Unterzeichnende Organisationen:

OSTA–Aragón

LAB–Baskenland

Intersindical Solidària–Valencia

ELA–Baskenland

CUT–Aragón

IAC–Katalonien

CSI–Asturien

CIG–Galicien

ESK–Baskenland

CGT–Burgos

Colombia Humana

RAM–Madrid

Confederación Intersindical

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/eutcc-recht-auf-hoffnung-fur-Ocalan-und-andere-gefangene-garantieren-47876 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/die-verweigerung-des-rechts-auf-hoffnung-gefahrdet-den-gesamten-prozess-47754 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/tulay-hatimogullari-recht-auf-hoffnung-muss-dringend-auf-die-politische-agenda-47852 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/knk-fordert-entscheidung-im-europarat-zum-recht-auf-hoffnung-47862

 

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Protestcamp in Besta: „Diese Erde gehört uns“

10. September 2025 - 8:00

In der bergigen Besta-Region in der nordkurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak) dauert die Mahnwache gegen die systematischen Eingriffe in die Natur weiter an. Unter dem Motto „Kein Platz für Ökozid – wir marschieren gegen die Ausbeutung der Natur“ haben sich im Tal zahlreiche Menschen am Dienstagabend nach einer Demonstration zu einem Protestcamp versammelt. Besta gilt als sensibler Natur- und Kulturraum, steht aber gleichzeitig im Fokus von Abholzungen, Bergbauprojekten und militärischen Maßnahmen. Für die Protestierenden ist der Ort ein Sinnbild für die Umweltzerstörung, die sie dem türkischen Staat vorwerfen.

Organisiert wird die Veranstaltung von der Plattform Demokratischer Institutionen. Im Zentrum der Mahnwache steht eine sogenannte „Freiheitsbühne“, auf der Vertreter:innen politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Anwohner:innen ihre Kritik am Staat und Forderungen formulieren. In den Redebeiträgen wurde deutlich, dass es nicht nur um Umweltpolitik geht – sondern auch um politische Selbstbestimmung, kulturelle Identität und das Recht auf ein Leben im Einklang mit der Natur.

Frieden beginnt mit dem Schutz der Natur

Die Aktivistin Çimen Fidan von der kurdischen Frauenbewegung TJA verwies in ihrer Rede auf die symbolische Bedeutung der Region Besta für die kurdische Gesellschaft. „Wir wären heute lieber wegen eines Festivals hier. Doch unsere Natur wird unter dem Deckmantel von Sicherheit zerstört, und deshalb sind wir gekommen“, sagte Fidan. „Schätze werden dort gesucht, wo sie verloren wurden – so ist es auch mit unserer Umwelt.“

Auch Orhan Çelebi, Mitglied des Zentralvorstands der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), kritisierte die seiner Meinung nach sicherheitszentrierte Politik des Staates. „Unsere Natur soll vollständig zerstört werden. Man spricht von Frieden, doch gleichzeitig wird die Natur der Kurd:innen vernichtet“, sagte er. „Frieden beginnt mit dem Schutz der Natur. Wer Wälder rodet, zeigt, dass er keinen Frieden will.“

Unterstützung erhielt der Protest auch vom Rat der Friedensmütter. Die aus Cizîr (Cizre) angereiste Şirin Demir erklärte: „Wer auch immer unsere Bäume fällt – wir verurteilen sie. Die Natur ist unsere Lebensgrundlage. Ohne sie gibt es uns nicht.“ In ihrer Ansprache richtete sie zudem symbolisch Grüße nach Imrali – ein Hinweis auf die Insel, auf der der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan festgehalten wird. „Wir wollen Frieden“, sagte sie.

Der Ko-Vorsitzende der Partei des Sozialistischen Wiederaufbaus (SYKP), Mertcan Titiz, warf der Regierung vor, die Natur systematisch wirtschaftlichen Interessen zu opfern. „Unter dem Deckmantel der Sicherheit wird Wald zerstört. Chemische Angriffe haben die Natur geschädigt. Und während das ganze Land unter Umweltzerstörung leidet, unterstützt die Regierung kapitalistische Kreise“, sagte er. Eine dauerhafte Lösung könne es nur geben, wenn sie demokratisch und ökologisch sei.

Didem Göçer, Ko-Sprecherin der Grünen Linkspartei (YSP), sprach sich für mehr gemeinsamen Widerstand gegen Umweltzerstörung aus. Bei ihrem ersten Besuch in Şirnex sagte sie: „Wir freuen uns, hier zu sein. Überall im Land wird versucht, mithilfe des Bergbaugesetzes Profit auf Kosten der Umwelt zu machen. Wenn wir uns zusammenschließen, können wir das verhindern.“

Enkidu und Dorfschützer: Historische Parallelen zur heutigen Situation

Auch Egît Özdemir von der Ökologieplattform von Mêrdîn (Mardin) betonte, dass Umweltzerstörung landesweit vorangetrieben werde – ohne Rücksicht auf Gesetz oder Rechtsstaatlichkeit. „Man spricht von Friedensprozessen, aber zugleich wird weiter abgeholzt und ausgebeutet. Diese Praxis muss sofort beendet werden“, forderte er.

Eine besonders emotionale Rede hielt Hesibe Mengirkaon von den Friedensmüttern in Mêrdîn. Sie erinnerte an den Mythos um Enkidu aus dem Gilgamesch-Epos – eine Figur, die für ihren Verrat an der Natur steht. „Die Staaten, die Kurdistan ausbeuten, nehmen uns unsere Atemluft – unsere Natur. Diese Zerstörung geschieht mit Hilfe kurdischer Kollaborateure“, sagte sie. „Der Verrat hat viele Gesichter. Doch wer mitverantwortlich ist, wird sich nicht von der Geschichte reinwaschen können.“ Ihre Worte richteten sich vor allem an die sogenannten Dorfschützer.

Im Anschluss an die Reden diskutierten weitere Teilnehmer:innen, wie die Proteste weitergeführt und ausgeweitet werden könnten. Die Mahnwache wird von kurdischer Musik und traditionellen Tänzen begleitet und soll laut den Veranstaltenden heute im Laufe des Vormittags enden. Einige der Beteiligten haben bereits angekündigt, das Camp vorerst fortsetzen zu wollen. Die Plattform Demokratischer Institutionen teilte unterdessen mit, auch in anderen Regionen ähnliche Aktionen gegen ökologische Zerstörung vorbereiten zu wollen.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/mahnwache-gegen-Okozid-wir-bleiben-bis-der-kahlschlag-endet-47882 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-Sirnex-frieden-beginnt-in-cudi-gabar-und-besta-47878 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/massenprotest-in-besta-angekundigt-wir-stehen-auf-der-seite-der-natur-47841 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638

 

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Mahnwache gegen Ökozid: „Wir bleiben, bis der Kahlschlag endet“

9. September 2025 - 20:00

In der Besta-Region hat am Dienstagabend eine Mahnwache gegen die fortschreitende Naturzerstörung in der kurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak) begonnen. Unter dem Motto „Kein Durchkommen für den Ökozid – wir marschieren gegen die Plünderung der Natur“ hatte die Plattform der demokratischen Initiativen zu der Aktion aufgerufen.

Nach einer zuvor in der Provinzhauptstadt durchgeführten Demonstration setzte sich ein kilometerlanger Fahrzeugkonvoi in Bewegung – Ziel war das Gebiet Kûn Hirçokê, zwischen den Dörfern Çemê Têwî und Bişêya Reş, wo seit Monaten großflächige Rodungen stattfinden. Dort angekommen, errichteten die Teilnehmenden Zelte, organisierten gemeinschaftlich Verpflegung und begannen ihre Mahnwache mit Musik, Redebeiträgen und Tanz.

Breite Unterstützung aus der Region

Die Aktion wird von zahlreichen politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen, die sich in der Plattform vereinen. Unter den Teilnehmenden befinden sich auch die Ko-Vorsitzenden der Partei DBP, Keskin Bayındır und Çiğdem Kılıçgün Uçar, die DEM-Vorsitzende, Tülay Hatimoğulları, mehrere Abgeordnete sowie Vertreter:innen der SYKP, ESP, Grüne Linkspartei, der Koalition für Klimagerechtigkeits und vieler lokaler Umweltinitiativen. Auch aus anderen kurdischen Provinzen wie Mêrdîn (Mardin), Amed (Diyarbakır), Riha (Urfa), Sêrt (Siirt) und Êlih (Batman) reisten Aktivist:innen an, um sich an der Mahnwache zu beteiligen.

Ökozid thematisieren, Gemeinschaft leben

Geplant sind über die Nacht hinweg Gesprächsrunden, Foren und Informationsveranstaltungen über die politischen, sozialen und ökologischen Folgen der systematischen Naturzerstörung in Kurdistan. Der Protest soll am Mittwoch um 11:00 Uhr Ortszeit enden – doch viele Beteiligte machten deutlich: Es war womöglich nur der Auftakt weiterer Aktionen. „Wir sind hier, um nicht nur Bäume zu schützen – sondern unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere Zukunft. Wir bleiben, bis der Kahlschlag endet“, so eine Teilnehmerin.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-Sirnex-frieden-beginnt-in-cudi-gabar-und-besta-47878 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/massenprotest-in-besta-angekundigt-wir-stehen-auf-der-seite-der-natur-47841 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638

 

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Kürkçü: Das Regime will die CHP nicht verbieten, sondern spalten

9. September 2025 - 19:00

Der HDP-Ehrenvorsitzende Ertuğrul Kürkçü sieht in der aktuellen politischen Auseinandersetzung in der Türkei eine gezielte Strategie des Regimes, die sich – nachdem der kurdische Teil der Opposition nicht ausgeschaltet werden konnte – nun verstärkt gegen die CHP richtet. Ziel sei es, die Diskussion um eine politische Lösung der kurdischen Frage aus dem Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verdrängen und stattdessen neue politische Konfliktlinien zu etablieren, sagte der 68er-Sozialist im Gespräch mit ANF.

Besonders problematisch sei, so Kürkçü, dass innerhalb der CHP ein Flügel existiere, der mit der AKP und konterguerillaartigen Strukturen zusammenarbeite. Er nennt Gürsel Tekin als zentrale Figur, flankiert vom ehemaligen Bürgermeister von Hatay sowie weiteren Gruppierungen. Auch Kemal Kılıçdaroğlu, obwohl nicht mehr Parteivorsitzender, sei weiterhin im Hintergrund aktiv. „Auch wenn er öffentlich den Anschein erweckt, solidarisch mit dem aktuellen Parteivorsitzenden Özgür Özel zu handeln, zeigt die Entwicklung das Gegenteil“, meint Kürkçü. Vieles deute darauf hin, dass hier gegensätzliche politische Interessen im Spiel seien.

Das Regime wiederum versuche gezielt, entlang dieser innerparteilichen Bruchlinien zu operieren – ein Vorgehen, das bereits am Beispiel der Bürgermeisterin von Aydın – die kürzlich von der CHP zur AKP wechselte – deutlich wurde. Es sei denkbar, dass auch in Zukunft strategisch platzierte Akteure innerhalb der CHP aktiviert würden, um Konflikte zu verschärfen und die Parteieinheit zu schwächen. „Es gibt Minen, die wie auf Abruf darauf warten, gezündet zu werden“, so Kürkçü.

Strategisches Ziel: Spaltung der Opposition

Nach Einschätzung Kürkçüs verfolgt die Regierung nicht das unmittelbare Ziel, die CHP zu verbieten, sondern eine langfristige Strategie der Zersetzung. „Ein direkter Krieg gegen die CHP wäre für den Machtblock sehr kostspielig“, betont er. Stattdessen solle durch gezielte Spaltungsversuche die Zusammenarbeit zwischen CHP und anderen oppositionellen Kräften unterbunden werden. Damit könnte das Regime jede Oppositionskraft isoliert angreifen und so das Risiko einer übergreifenden demokratischen Front minimieren.

Mit der Ernennung von Akın Gürlek zum Oberstaatsanwalt von Istanbul sei deutlich geworden, dass die Justizoffensive gegen die CHP ihren institutionellen Mittelpunkt in der Bosporus-Metropole habe. „Dort konzentriert sich die Auseinandersetzung inzwischen – obwohl auch andere Städte betroffen sind.“ Ziel sei es laut Kürkçü, die Partei durch juristische Angriffe, gezielte Provokationen und politische Einschüchterung in interne Auseinandersetzungen zu verwickeln.

„Zeitbomben“ innerhalb der Partei

Kürkçü warnt auch vor weiteren „Zeitbomben“ innerhalb der CHP – Strukturen oder Personen, die in kritischen Momenten bewusst für Destabilisierung sorgen könnten. Ziel sei es, die CHP dauerhaft in eine defensive Position zu drängen, sie in rechtliche Konflikte zu verwickeln und ihr durch ein Klima der Unsicherheit – gekennzeichnet von Repression, Gewalt und Polizeieinsätzen – ihre politische Attraktivität zu nehmen.

Die CHP wahrt den Friedenskompass

„Die Strategie des Regimes ist klar: Die CHP soll nicht mehr als glaubwürdige Alternative zur Regierung erscheinen.“ Und doch, so Kürkçü, halte die CHP trotz Angriffen an einem friedenspolitischen Kurs fest. „Sie hat sich klug verhalten. Sie lehnt die Perspektive einer demokratischen Gesellschaft und einer politischen Lösung der kurdischen Frage nicht ab, sondern nimmt aktiv daran teil – etwa durch die Beteiligung an der Parlamentskommission.“ Die CHP habe sich somit in einem äußerst sensiblen Themenfeld klar positioniert und sei bisherigen Versuchen, sie aus dieser Verantwortung herauszuziehen, nicht gefolgt.

Özgür Özel hat klar gesagt: Die Konfrontation mit der Regierung wird nicht dazu führen, dass wir die Lösungsperspektive verwerfen.“ Diese Haltung sei ein Beleg für strategische Weitsicht – insbesondere mit Blick auf die Verbindung zwischen der CHP, der kurdischen demokratischen Opposition und anderen demokratischen Kräften im Land. „Das zeigt, dass die Hauptopposition strategisch handelt und die Verbindung zur kurdischen Opposition wahren will“, betont Kürkçü.

Mobilisierung als Antwort auf Repression

Die Reaktion der CHP auf die staatliche Repression sei effektiv und umfassend: „Sie hat es geschafft, breite Teile der Gesellschaft zu mobilisieren“, betont Kürkçü. Seit dem 19. März, dem Tag der Festnahme des mittlerweile abgesetzten Istanbuler Oberbürgermeisters und CHP-Präsidentschaftskandidaten Ekrem Imamoğlu – hat die Partei in vielen Städten und Bezirken – auch in Hochburgen der AKP – Massenmobilisierungen organisiert. Diese hätten nicht nur zur Aufrechterhaltung der politischen Moral beigetragen, sondern auch zur Sichtbarmachung und Stärkung der politischen Gefangenen, ergänzt Kürkçü.

Gleichzeitig sei es gelungen, die juristischen Verfahren mit dem politischen Protest auf der Straße zu verbinden und dabei insbesondere Frauen, junge Menschen und ländliche Regionen zu aktivieren. Die erfolgreiche Durchführung von Kundgebungen in Städten wie Yozgat, Çorum, Trabzon oder Rize zeige, dass die CHP auch in traditionell konservativen Regionen als zentrale politische Kraft wahrgenommen werde.

Kürkçü unterstreicht: „Die Partei hat ihre Positionen nicht aufgegeben, sondern konsequent vertreten. Und sie hat deutlich gemacht, kein leichtes Ziel zu sein – anders, als es Erdoğan und Bahçeli in der Vergangenheit mit der IYI-Partei versucht haben. Die CHP ist im Moment eine von strategischer Klugheit geprägte Kraft und hat deshalb sowohl Initiative als auch Durchsetzungsvermögen bewahrt.“

Eine zentrale Rolle im Kampf um Demokratie

Kürkçü sieht in dieser Auseinandersetzung keinen gewöhnlichen parteipolitischen Konflikt, sondern einen existenziellen Kampf um die demokratische Zukunft des Landes. Die CHP sei in dieser Situation nicht nur eine Oppositionspartei, sondern trage eine zentrale Verantwortung für die Verteidigung demokratischer Standards. Alle anderen demokratischen Kräfte und zivilgesellschaftlichen Akteure sollten deshalb dort, wo die CHP im Recht sei, Unterstützung leisten – nicht aus Parteiräson, sondern aus demokratischer Verpflichtung.

Kritik an der Geheimhaltung der Kommission

Ein weiteres Beispiel für die autoritäre Strategie des Regimes sei der Versuch gewesen, die erste Sitzung des Parlamentsausschusses zur kurdischen Frage unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Zwar sei dies am Widerstand der Gesellschaft weitgehend gescheitert, doch bleibe es ein bezeichnendes Signal.

„Die Einrichtung des Ausschusses war nicht im Interesse des herrschenden Bündnisses – sie wurde von der DEM-Partei, der CHP und anderen gefordert. Die Regierung wollte die Sache als reine Sicherheitsfrage behandeln, ohne gesellschaftliche Beteiligung. Doch die Kommission hat das Thema in die Öffentlichkeit getragen. Das ist ein wichtiger Schritt. Wenn man vor der Gesellschaft spricht, muss man sich auf demokratische, gleichheitsorientierte und freiheitliche Rahmenbedingungen einlassen. Für das kurdische Volk ist das ein Gewinn, denn es öffnet den Dialog mit anderen gesellschaftlichen Kräften.“

Zwar kann die Kommission keine Gesetze erlassen, aber sie verkürzt die Distanz zwischen Staat und Gesellschaft, so Kürkçü weiter. „Was hier diskutiert wird, ist ohnehin kein Geheimnis“, stellt er klar: Das eigentliche Thema sei kein militärisches oder geheimdienstliches, sondern ein gesellschaftliches. 40 Jahre Krieg hätten zahlreiche Opfer gefordert – darunter viele junge Kurd:innen, Städte seien zerstört und Millionen Menschen vertrieben worden. Heute trügen ihre Kinder – gut ausgebildet, als Anwält:innen, Akademiker:innen oder Aktivist:innen – die Forderungen ihrer Eltern weiter.

Zwei denkbare Szenarien für die Zukunft

Für die nahe Zukunft beschreibt Kürkçü zwei mögliche Entwicklungen:

1. Ein Kurswechsel durch Druck von innen und außen: „Es ist denkbar, dass wirtschaftliche Kreise und internationale Partner des Regimes zur Einsicht kommen, dass ein autoritäres Vorgehen auf Dauer nicht tragfähig ist. Dies könnte zu einem Umdenken führen – möglicherweise sogar in Form eines Szenarios ohne Erdoğan an der Spitze.“

2. Fortsetzung des autoritären Kurses: „Sollte sich das Regime unter Erdoğan und Bahçeli für eine Fortsetzung der repressiven Linie entscheiden, ist dies jedoch keine Strategie mit Zukunft. Denn ein breiter gesellschaftlicher Konsens – auch innerhalb der AKP – existiert nicht mehr. Seit 2023 verlieren alle gesellschaftlichen Gruppen, und ein Regime mit so vielen Verlierern kann keine dauerhafte Zustimmung erzeugen.“

Demokratischer Widerstand, keine Parteitaktik

Abschließend betont Kürkçü, dass der politische Kampf der CHP nicht als gewöhnlicher Streit zwischen Regierung und Opposition missverstanden werden dürfe. Es gehe um weit mehr: um die Verteidigung demokratischer Grundwerte, um eine mögliche Perspektive auf Frieden und Gerechtigkeit – und um die Zukunft der Gesellschaft der Türkei als Ganzes. „In diesem Sinne ist der Kampf der CHP ein bedeutsamer Akt des demokratischen Widerstands von historischer Bedeutung.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/chp-chef-Ozel-zur-Ocalan-frage-entscheidung-liegt-bei-der-kommission-47877 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-solidarisiert-sich-mit-chp-in-istanbul-47868 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/gursel-tekin-betritt-chp-zentrale-unter-polizeieskorte-47865 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/polizeigewalt-gegen-chp-anhanger-innen-in-istanbul-47861 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/kurkcu-ohne-einbindung-kurdischer-perspektiven-bleibt-wandel-formell-46728

 

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Erweiterte Imrali-Delegation für Besuch bei Öcalan geplant

9. September 2025 - 19:00

Die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) bereitet sich auf einen weiteren Besuch bei dem auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan vor. Wie die DEM-Sprecherin Ayşegül Doğan am Dienstag mitteilte, soll die Delegation in der kommenden Woche mit einer breiter aufgestellten Gruppe die Insel aufsuchen.

Demnach werden die Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei, Tuncer Bakırhan und Tülay Hatimoğulları, Teil der Delegation sein. Darüber hinaus sollen auch Vertreter:innen der Bündnisparteien und Organisationen, die innerhalb der DEM-Strukturen aktiv sind, eingebunden werden.

Laut Informationen aus Parteikreisen ist vorgesehen, dass unter anderem die Partei der Demokratischen Regionen (DBP), die Sozialistische Partei der Unterdrückten (ESP), die  Sozialistische Partei für den Neuaufbau (SYKP), die Vereinigte Revolutionäre Partei (BDP), die Grüne Linkspartei (YSP) sowie die Plattform für sozialistische Solidarität (SODAP) Delegierte benennen. Die konkreten Namen der Teilnehmenden seien jedoch noch nicht final bestimmt.

Genaue Zusammensetzung noch offen

Mit dem Schritt will die DEM-Partei nach eigenen Angaben die gesellschaftliche und politische Breite der kurdisch-demokratischen Bewegung auch in der Kommunikation mit Abdullah Öcalan sichtbar machen. Ziel sei es zudem, den politischen Dialog über eine demokratische Lösung der kurdischen Frage zu beleben. Ein genaues Datum für den Besuch steht bislang nicht fest.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-fordert-dialog-mit-Ocalan-und-kritisiert-autoritaren-kurs-der-regierung-47873 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/rojava-ist-meine-rote-linie-pervin-buldan-uber-das-letzte-gesprach-mit-abdullah-Ocalan-47794 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/eutcc-recht-auf-hoffnung-fur-Ocalan-und-andere-gefangene-garantieren-47876

 

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Razzien in drei Provinzen – Gewerkschafter unter Festgenommenen

9. September 2025 - 17:00

Im Zuge einer von der Staatsanwaltschaft Hatay geführten Ermittlung sind am Dienstag in den Provinzen Adana, Istanbul und Hatay insgesamt sechs Personen bei Hausdurchsuchungen festgenommen worden. Unter ihnen befinden sich mehrere Gewerkschaftsaktivist:innen. Was ihnen konkret vorgeworfen wird, ist unklar. Anwält:innen erwarten im Laufe des Tages weitere Details.

Betroffen ist insbesondere die Bau- und Straßenarbeitergewerkschaft Yapı Yol-Iş, deren Vorsitzender Mustafa Adnan Akyol, der für Organisation zuständige Sekretär Barış Kaya sowie Vorstandsmitglied Cabir Yeşildal unter den Festgenommen sind. Auch Gewerkschaftsunterstützer Ibrahim Dursun, Rojhat Demirdöken von der Vereinigung revolutionärer Studierender (DÖB) und Selen Reyhan vom Arbeiterinnen-Kollektiv EKA wurden festgenommen.

Gewerkschaft: Repression als Reaktion auf Protest

Die Gewerkschaft Yapı Yol-Iş sieht in den Festnahmen einen direkten Zusammenhang mit ihrer kritischen Arbeit in den vom Erdbeben 2023 betroffenen Regionen. In einer Mitteilung hieß es: „Unsere Arbeit gegen gesetzeswidrige, unsichere und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf den Baustellen hat offenbar die Verantwortlichen bei der staatlichen Wohnungsbaubehörde TOKI und große Bauunternehmen gestört. Die Festnahmen sind ein Ausdruck dieser Unzufriedenheit.“

Die Gewerkschaft kündigte an, ihre Aktivitäten trotz der Repression fortzusetzen: „Wir werden den Kampf für Arbeiterrechte mutig und entschlossen weiterführen. Die willkürlich festgenommenen Kolleg:innen müssen sofort freigelassen werden. Die Einheit der Arbeiterklasse wird das Kapital besiegen!“

Zivilgesellschaft fordert Freilassung

Auch DÖB sowie das Frauenkollektiv EKA kritisierten die Maßnahmen scharf und forderten die sofortige Freilassung aller Betroffenen. Ihnen zufolge handelt es sich bei den Festnahmen um den Versuch, gesellschaftskritische Bewegungen zu schwächen und gewerkschaftliche Organisierung zu kriminalisieren.

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/erdbebengebiet-foltervorwurfe-gegen-turkische-polizei-und-armee-36960 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/die-vernachlassigung-ist-schlimmer-als-das-erdbeben-40998 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/hatay-leben-im-katastrophengebiet-36605

 

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Protest in Şirnex: Frieden beginnt in Cûdî, Gabar und Besta

9. September 2025 - 17:00

Unter dem Motto „Kein Platz für Ökozid“ haben am Dienstag in der kurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (tr. Şırnak) viele Menschen gegen die fortgesetzte Zerstörung der Natur protestiert. Anlass war die anhaltende Rodung, Ausbeutung und Militarisierung der Region durch staatlich begleitete Projekte wie Bergbau, Staudämme und Ölbohrungen.

Die Demonstration begann auf dem Cumhuriyet-Platz und führte durch die Innenstadt zum Ömer-Kabak-Platz. Dort versammelte sich die Menge zu einer Kundgebung, die im Anschluss in eine Nachtwache in der Besta-Region überging – einem der stark betroffenen Wälder. Zu den Teilnehmenden zählten unter anderem Vertreter:innen der Parteien DEM, DBP, SYKP und ESP sowie zahlreiche Umweltinitiativen aus Şirnex, Amed, Êlih, Riha, Mêrdîn und Sêrt.

„Frieden beginnt mit der Natur“

In mehreren Reden wurde die Umweltzerstörung als bewusste Strategie kritisiert, um die kurdische Gesellschaft zu schwächen und Gebiete zu entvölkern. Derya Akyol von der Ökologiebewegung Mesopotamiens verlas eine Erklärung der Plattform demokratischer Initiativen, die den Protest organisierte: „Diese Angriffe sind keine gewöhnlichen Umweltprobleme. Sie zielen auf die kollektive Erinnerung, die Kultur und die Lebensweise der kurdischen Bevölkerung.“

 


Flüsse, Berge und Wälder seien nicht nur geografische Elemente, sondern lebendige Symbole der Identität und Geschichte. Akyol rief dazu auf, Projekte wie Minen, Staudämme und Ölförderung zu stoppen, die das ökologische Gleichgewicht irreversibel zerstören. Sie zitierte Abdullah Öcalan mit den Worten: „Ohne Frieden mit der Natur ist kein Frieden mit dem Menschen möglich.“

Bayındır: „Die Natur wird angegriffen wie ein Feind“

Keskin Bayındır, Ko-Vorsitzender der DBP, sprach von einer feindseligen Politik gegenüber der Natur in Kurdistan: „Was wir hier erleben, ist ein Angriff auf unsere Wälder, unsere Flüsse, unsere Lebensweise. In Şemzînan brennt der Wald – und es fliegt kein einziger Löschhubschrauber. Aber für militärische Einsätze sind Hunderte in der Luft.“

Bayındır warf der Regierung vor, unter dem Vorwand von „Entwicklung“ systematisch auf Ausbeutung und Kontrolle zu setzen. Die „Verteidigung der Natur“ sei zugleich die Verteidigung der Gemeinschaft. „Unsere Botschaft aus Şirnex ist klar: Wenn die Zerstörung weitergeht, kommen wir morgen zu Zehntausenden zurück.“

Hatimoğulları: Jeder brennende Baum trifft das Herz der Gesellschaft

Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, bezeichnete den Protest als Teil eines landesweiten ökologischen Erwachens. Wie in Akkuyu, im Ida-Gebirge oder in Akbelen, so sei auch in Besta die Verteidigung der Natur eine Frage von Würde und Überleben.

„Die Regierung kauft keine Löschflugzeuge, sondern Luxusjets für ihre Kinder. Dabei ist jeder brennende Baum die Lunge dieser Gesellschaft“, sagte Hatimoğulları. Sie warf der Regierung vor, die kurdischen Provinzen gezielt zu entvölkern: „Die Wälder werden von bewaffneten Einheiten abgeholzt, Dörfer aus Sicherheitsgründen geräumt, ganze Landstriche militarisiert.“ Die Politikerin forderte ein Ende der „naturfeindlichen Regierungspolitik“ und rief zu konsequentem Widerstand auf – in Kurdistan wie im gesamten Land.

Friedensappell und globale Verantwortung

Hatimoğulları erinnerte an den Friedensappell Abdullah Öcalans vom 27. Februar, der zum Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechtergerechten Gesellschaft aufrufe. Angesichts der globalen Krisen – von Syrien über Iran bis Gaza – sei es dringender denn je, neue Wege zu gehen: „Wenn wir unsere Natur nicht verteidigen, riskieren wir eine Zukunft, in der nichts mehr wächst. So wie in Hiroshima, wo bis heute keine Blume blüht.“

Die Veranstaltung endete mit Öcalans Worten „Die Verteidigung der Natur ist die Verteidigung des Lebens“ und „Eine ökologische Gesellschaft ist die Grundlage einer freien Gesellschaft.“

Im Anschluss machten sich die Teilnehmenden auf den Weg zur Waldregion Besta, wo eine symbolische Nachtwache stattfinden soll – als Zeichen für den Beginn einer breiten, nachhaltigen ökologischen Mobilisierung in Nordkurdistan.

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https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/widerstand-in-botan-Okologieplattform-mobilisiert-zu-protest-gegen-Okozid-47872 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/massenprotest-in-besta-angekundigt-wir-stehen-auf-der-seite-der-natur-47841 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/der-naturraubbau-muss-gestoppt-werden-47844 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/newroz-uysal-aslan-Okologische-zerstorung-in-besta-ist-teil-kolonialer-politik-47527 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638

 

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CHP-Chef Özel zur Öcalan-Frage: Entscheidung liegt bei der Kommission

9. September 2025 - 15:00

Der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), Özgür Özel, hat sich vorsichtig zur Diskussion um eine mögliche Einbeziehung von Abdullah Öcalan in die Arbeit der im türkischen Parlament eingerichteten „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ geäußert. In einem Interview mit der Zeitung Cumhuriyet erklärte Özel, man habe dazu bisher keine konkreten Vorschläge erhalten. Sollte die Frage jedoch aufkommen, werde sie in der Kommission beraten.

„Die Kommission setzt sich zusammen, spricht darüber und trifft eine Entscheidung. Wenn ein Thema die Zuständigkeit der Mitglieder übersteigt, wird es an uns herangetragen“, so Özel. „Aber bis jetzt ist so ein Vorschlag nicht bei uns angekommen.“

Zugleich betonte der Parteichef, dass es aufseiten der CHP aktuell keine Agenda gebe, die einen Besuch auf der Gefängnisinsel Imrali oder Gespräche mit Öcalan vorsehe. Ob, wann und mit welchem Ziel so ein Schritt diskutiert werde, hänge vom weiteren Verlauf der Kommissionsarbeit ab.

„Wir werden den Tisch nicht verlassen"

Özel warf politischen Gegnern aus dem Regierungslager vor, die CHP bewusst in die Ecke drängen zu wollen. Sie versuchten, die Verantwortung für ein mögliches Scheitern der Kommission der größten Oppositionspartei zuzuschieben: „Manche hoffen, dass wir die Kommission verlassen – aber wir überlassen ihnen nicht das Feld. Wenn es um echte Demokratisierung und die Lösung der kurdischen Frage geht, sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen.“

Gleichzeitig machte Özel klar, dass für die CHP bestimmte Prinzipien nicht verhandelbar seien: „Wir sprechen am Tisch nicht über eine neue Verfassung. Und wir tun nichts, was wir den Angehörigen gefallener Soldaten nicht erklären könnten.“

Kritik an Stillstand und unrealistischen Erwartungen

In der aktuellen Arbeit der Kommission sieht Özel ein zunehmendes Zögern – vor allem auf Seiten der Regierungsparteien AKP und MHP. Zu Beginn seien Erwartungen geweckt worden, etwa ein sofortiger Appell zur vollständigen Entwaffnung der kurdischen Guerilla oder ein regionaler Friedensimpuls, der sich auf Syrien, den Irak oder Iran auswirken würde. Das sei von Anfang an unrealistisch gewesen: „Alle wussten, dass diese Ankündigungen überzogen sind – aber wer es damals offen sagte, wurde sofort angegriffen.“

Angesichts der politischen Realität, etwa der Entwicklungen in Syrien und der Haltung der USA zu den Demokratischen Kräften Syriens (QSD), sei inzwischen klar: Die Kommission werde bewusst ausgebremst.

Menschenrechte im Fokus: Schwerkranke und Zwangsverwaltung

Die CHP wolle innerhalb der Kommission nun konkrete Themen einbringen – etwa die Situation schwerkranker Gefangener und die Politik der Zwangsverwaltung in ehemals DEM-geführten Rathäusern. Man wolle damit positive Impulse setzen und nicht durch Rückzug reagieren: „Statt die Kommission zu verlassen, fordern wir konkrete Schritte zur Demokratisierung. Beginnen wir mit den schwerkranken Inhaftierten – danach muss über die Praxis der Zwangsverwalter gesprochen werden. So wird sich zeigen, wer es ernst meint.“

Streit um den Parteitag: „Wir sind vorbereitet“

Am Rande des Interviews äußerte sich Özel auch zur juristischen Auseinandersetzung um den CHP-Parteitag in Istanbul, der gerichtlich angefochten wurde. Der Parteichef erklärte, man habe sich auf alle Szenarien vorbereitet. „Unsere Delegierten haben innerhalb von eineinhalb Tagen rund tausend Unterschriften für einen außerordentlichen Parteitag gesammelt. Das war ein klarer, rechtlich abgesicherter Schritt – niemand kann diesen Parteitag stoppen.“

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