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Aktualisiert: vor 1 Stunde 15 Minuten

Scheidung als Risiko: Warum Kinder die wahren Verlierer sind

8. September 2025 - 0:02

Seit Jahren wird Scheidung als individuelle Befreiung und als «Recht auf Glück» dargestellt. Was dabei in den Hintergrund rückt: die Folgen für Kinder. Eine nun veröffentlichte Studie des National Bureau of Economic Research (NBER) in den USA, die über drei Jahrzehnte die Lebenswege von mehr als fünf Millionen Kindern geschiedener Eltern nachverfolgt hat, liefert eine ernüchternde Bilanz.

Die Zahlen sind eindeutig: Kinder aus Trennungsfamilien haben ein um 63 Prozent höheres Risiko für eine Teenagerschwangerschaft, geraten deutlich häufiger mit dem Gesetz in Konflikt und landen öfter im Gefängnis. Auch ihre langfristigen Lebensperspektiven sind geschmälert: Sie verdienen im Durchschnitt weniger, haben 40 Prozent geringere Chancen auf ein Hochschulstudium und weisen ein um bis zu 55 Prozent erhöhtes Risiko für einen frühen Tod auf.

Die Ursachen liegen nicht in einem einzelnen Einschnitt, sondern in einer ganzen Kette von Belastungen, die eine Scheidung nach sich zieht. Mit dem Zerbrechen der Familie sinken die Haushaltseinkommen, Kinder müssen häufig ihr Zuhause verlassen und ziehen in ärmere Viertel. Kontakte zu einem Elternteil werden seltener, neue Partner und Patchworkstrukturen stören zusätzlich das fragile Gleichgewicht.

Laut den Forschern erklären materielle Faktoren wie finanzielle Einbußen oder Wohnortwechsel rund 60 Prozent der negativen Effekte. Doch auch die nicht messbaren, psychischen Folgen sind gravierend: Gefühle von Verunsicherung, Isolation und der Verlust eines verlässlichen «Zuhauses» hinterlassen tiefe Spuren. Gerade diese emotionale Dimension – das stille Leiden an einer zerrissenen Familie – würden Biografien langfristig prägen und könnten nicht einfach durch materielle Hilfen ausgeglichen werden.

Besonders betroffen sind demnach die Jüngsten. Je früher Kinder eine Trennung erleben, desto stärker sind die Schäden – eine bittere Ironie, da sie die Entscheidung der Eltern weder beeinflussen noch verhindern können. Sie werden zu Beobachtern und Leidtragenden eines Prozesses, der ihr weiteres Leben in vielerlei Hinsicht bestimmt.

Die Studie weist auch auf die Dynamik nach der Trennung hin: Etwa die Hälfte aller geschiedenen Eltern heiratet innerhalb weniger Jahre erneut. Für Kinder bedeutet dies neue Bezugspersonen, Geschwister und ein erneutes Ringen um Stabilität. Jeder Beziehungswechsel erhöhe die Unsicherheit und zwinge die Kinder zu Anpassungsleistungen, die ihre Belastungsgrenze schnell überschreiten können.

Natürlich gibt es Ausnahmen: In Fällen von Gewalt, Missbrauch oder gravierender Vernachlässigung kann eine Trennung sogar Schutz bedeuten. Doch die überwältigende Mehrheit der Scheidungen fällt der Studie nach nicht in diese Kategorie. Oft geht es um Entfremdung, Unzufriedenheit oder den Wunsch nach einem «Neuanfang». Für die Erwachsenen mag dies ein Ausweg sein – für die Kinder ist es der Beginn eines dauerhaften Verlustes.

Die Botschaft der Studie ist deutlich: Scheidung ist kein privates Ereignis ohne Folgen für andere, sondern eine Entscheidung mit weitreichenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Kinder haben ein Recht auf Stabilität, auf die tägliche Präsenz beider Eltern und auf ein Zuhause, das Sicherheit vermittelt. Werden diese Grundlagen aufgegeben, zahlen sie den Preis – nicht nur in Statistiken, sondern in gebrochenen Lebensläufen und verlorenen Chancen.

Die Herausforderung für Politik und Gesellschaft besteht nun darin, Ehen und Familien stärker zu stützen, nicht aus moralischer Pflicht, sondern im Interesse der nächsten Generation. Scheidung mag für Erwachsene eine Befreiung sein – für Kinder ist sie meist eine lebenslange Bürde.

Kategorien: Externe Ticker

Oberster Gerichtshof Brasiliens: Transfrau darf als «Mann» bezeichnet werden

8. September 2025 - 0:01

Isabella Cêpa, eine brasilianische feministische Aktivistin, geriet in rechtliche Schwierigkeiten, weil sie 2020 in sozialen Medien die Transgender-Politikerin Erika Hilton als «Mann» bezeichnet hatte. Diese Äußerung wurde als Verstoß gegen antirassistische Gesetze interpretiert, die in Brasilien auch auf Transphobie angewendet werden können, insbesondere nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 2019, die Homophobie und Transphobie dem Rassismus gleichstellt. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren ein, und Cêpa drohten bis zu 25 Jahre Haft wegen «rassistischer» oder «transphober» Äußerungen. Das berichtete Reduxx Anfang August.

Cêpa sah sich aufgrund der rechtlichen Verfolgung gezwungen, Brasilien zu verlassen. Im Juni 2025 wurde ihr in einem europäischen Land Asyl gewährt, da sie als politisch Verfolgte anerkannt wurde. Das Verfahren zog sich hin, und am 2. September 2025 entschied der Oberste Gerichtshof Brasiliens – der Supremo Tribunal Federal, kurz STF – unter Richter Gilmar Mendes, dass die rückwirkende Anwendung antirassistischer Gesetze auf geschlechtsidentitätsbezogene Aussagen unzulässig sei und somit Cêpas Äußerungen nicht strafbar seien. Das berichtet Mumsnet.com (siehe auch hier.

Cêpa kommentiert dazu auf X:

«Brasiliens Oberster Gerichtshof hat meinen Fall offiziell abgeschlossen und damit einen bahnbrechenden Präzedenzfall geschaffen. Es geht nicht nur um mich. Es ist das erste Mal in Brasilien, dass eine radikale feministische Stimme formal strafrechtlich verfolgt wurde und scheiterte. Was als Versuch begann, eine Frau zum Schweigen zu bringen, weil sie den Mächtigen die Wahrheit sagte, ist nun zu einem juristischen Wendepunkt geworden. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, den Fall zu den Akten zu legen, sendet eine klare Botschaft: Zwang, Kriminalisierung feministischen Gedankenguts und Strafmaßnahmen gegen Frauen, die ihre Meinungsfreiheit ausüben, sind rechtlich unangemessen und dürfen nicht hingenommen werden.

Dieses Urteil ist ein Meilenstein in der brasilianischen Geschichte. Es bekräftigt, dass Frauen von diesem Tag an nicht mehr bedroht oder zum Schweigen gebracht werden dürfen, nur weil sie es wagen, das Offensichtliche auszusprechen. Was einst als Waffe gegen feministische Stimmen eingesetzt wurde, dient heute als Präzedenzfall zu ihrem Schutz. Ein historischer Tag für die Freiheit der Frauen in Brasilien und ein kraftvolles Statement an die Welt: Feministische Meinungsäußerung ist kein Verbrechen!»

Ganz anders in Australien. Dort wurde kürzlich eine Frauenrechtsaktivistin für schuldig befunden, männliche Sportler im Frauensport «verunglimpft» zu haben. Sie muss nun mit einer Strafe von bis zu 200.000 Australischen Dollar rechnen (also rund 105.000 Schweizer Franken oder 112.000 Euro). Das berichtet Reduxx (siehe auch TN-Artikel).

Demnach wurde Kirralie Smith, Sprecherin der Organisation Binary Australia, von einem Gericht in New South Wales (NSW) verurteilt, zwei Männer, die in Frauenfußballmannschaften spielten, «rechtswidrig diffamiert» zu haben. Smith habe betont, dass Männer im Frauensport unfaire Vorteile hätten und dass gegnerische Spieler dadurch schwere Verletzungen erlitten hätten. Reduxx:

«Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass Smith und Binary Australia ‹beim Leser Angst davor schüren wollten, dass [Blanch], der als Mann/männlich/Typ beschrieben wird, in einer Frauenmannschaft spielt (und dass Männer im Frauensport generell aktiv sind)›.

Den beiden Männern, Justin ‹Riley› Dennis und Nicholas ‹Stephanie› Blanch, wurden Entschädigungen für ihren Rufschaden zugesprochen, die jeweils maximal 100.000 Dollar betragen können. Darüber hinaus forderten Blanch und Dennis, dass Smith und Binary Australia sich öffentlich entschuldigen und ‹eine Politik entwickeln, die unrechtmäßige Diskriminierung und die Verunglimpfung von Transgendern bei allen zukünftigen öffentlichen Handlungen unterbindet›.»

Über das Ausmaß etwaiger Strafmaßnahmen werde das Gericht im weiteren Jahresverlauf entscheiden, voraussichtlich im November.

Laut Reduxx geht es bei den von den gegen Smith und Binary Australia eingereichten Apprehended Violence Orders (AVO) um Kommentare in den sozialen Medien, in denen Smith betonte, dass Blanch und Dennis Männer seien, die in Frauenfußballteams spielten, und dass sie die Spielerinnen in Gefahr gebracht hätten. Einer der in der AVO erwähnten Posts ist von Facebook und von März 2023. Darin berichtet Smith über Verletzungen zweier Spielerinnen, die sie sich bei einem Spiel gegen die Teams mit biologischen Männern zugezogen hätten.

«Ich habe heute viel geweint», schreibt Smith darin. «Gestern Abend wurde ich von Leuten aus Sydney kontaktiert. Es wird behauptet, dass zwei Fußballerinnen am Wochenende ins Krankenhaus eingeliefert wurden, nachdem sie gezwungen worden waren, gegen einen Mann zu spielen, der sich die Weiblichkeit aneignete. Ich versuche, das Video zu bekommen. Football Australia hat mehr als 2000 Beschwerden über die Männer in Mannschaften wie Wingham FC und einigen Erstligateams aus Sydney erhalten.» Und weiter:

«Niemand schließt Transgender aus. Wir wollen einfach nur Angebote und Räume, die auf dem weiblichen Geschlecht basieren. Transgender können je nach Biologie oder in einem gemischten oder Transgender-Team spielen.»

ABC News schrieb dazu, dass «auf der Website Binary Australia mehrere Artikel über Frau Blanch veröffentlicht worden seien. In einem davon habe es gehießen, das Wort ‹Frau› werde ‹bedeutungslos, wenn ein Kerl im Kleid plötzlich eine Frau ist, denn wir alle wissen, dass eine ‹Frau› kein Kostüm, keine falschen Brüste und keine Droge ist, die man einnehmen kann›.»

Frau Smith habe ihre Anhänger außerdem aufgefordert, sich an den nationalen Fußballverband Football Australia sowie an lokale Sportverbände zu wenden, um Frau Blanch aus ihrem Fußballverein auszuschließen. Über die Kampagnenseite von Binary Australia seien fast 2700 E-Mails an Football Australia gesendet worden. Binary Australia sei im Übrigen 2023 vom Global Project Against Hate and Extremism (GPAHE) als extremistische Hassgruppe eingestuft worden. GPAHE wiederum wird aktuell hauptsächlich durch Stiftungen und gemeinnützige Fördergeber wie der Horizons Foundation finanziert. Bei der Horizons Foundation handelt es sich um eine in San Francisco ansässige Förderorganisation, «die vorwiegend LGBT- und linksgerichtete soziale Anliegen unterstützt. Die Horizons Foundation ist die älteste LGBT-Community-Stiftung», wie es auf influencewatch.org heißt.

Dass Smith' Anliegen durchaus seine Berechtigung hat, wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Frühjahr 2024 in Australien ein Fussballteam mit fünf transsexuellen Spielern bei einem Frauenturnier eine gegnerische Mannschaft mit 10:0 besiegte und schließlich das Finale gewann. Dabei erzielte ein biologischer Mann in einem Spiel sechs Tore. Einige Eltern hatte dies so aufgebracht, dass sie ihre Töchter aus Sicherheitsgründen von Spielen zurückzogen. Wissenschaftler verwiesen derweil darauf, dass «es in den meisten Sportarten problematisch sein wird, Transgender-Frauen einzubeziehen und Fairness zu erreichen». Das lege die aktuelle Forschung nahe (siehe TN-Artikel).

Erwähnenswert ist auch ein Ende 2024 erschienener Bericht der UNO, der aufgezeigt, dass das Eindringen von Transgender-Sportlern in die Frauensphäre für extreme Ungerechtigkeit sorgt. Die New York Post schrieb dazu, es hätten «nach den vorliegenden Informationen bis zum 30. März 2024 mehr als 600 Athletinnen in mehr als 400 Wettbewerben mehr als 890 Medaillen in 29 verschiedenen Sportarten verloren». Das gehe aus der Studie mit dem Titel «Violence Against Women and Girls in Sports» hervor. Das seien fast 900 Medaillen, die an biologische Männer verloren wurden, die sich als Frauen identifizieren, so die New York Post (siehe TN-Beitrag «UN-Report: Trans-Athleten im Frauensport sind ein großes Problem»).

Vor diesem Hintergrund hatte Donald Trump am 5. Februar 2025 eine Executive Order unterzeichnet mit dem Titel «Keeping Men Out of Women's Sports». Diese richtet sich ausdrücklich gegen die Teilnahme von Transfrauen – also von Personen, die sich als Frauen identifizieren, bei der Geburt aber das Geschlecht männlich zugewiesen bekamen – im Mädchen- und Frauensport. Sie stellt klar, dass die Auslegung von Title IX (Antidiskriminierungsgesetz der USA) Geschlecht als biologisch und unveränderlich definiert — also anhand des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts («assigned at birth») und nicht der Geschlechtsidentität.

Schulen, Hochschulen und andere Institutionen, die Bundesmittel erhalten und Transfrauen in Frauenteams zulassen, droht der Entzug dieser Fördermittel. Das Innenministerium sowie weitere Bundesbehörden wurden angewiesen, Title IX dementsprechend durchzusetzen. Zusätzlich wurden Maßnahmen angedacht, um Transfrauen sogar die Einreise über Visa zu verweigern – zum Beispiel im Rahmen der Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles.

Sportverbände wie die NCAA (für Colleges und Universitäten) haben daraufhin ihre Regeln angepasst, sprich Frauenwettbewerbe sind seither nur noch für Athletinnen zugelassen, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Mehrere Bundesstaaten widersetzten sich aber teils – insbesondere Kalifornien, dessen Highschool-Ligen weiterhin Transathletinnen zulassen.

Für weltweites Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang 2024 der «Fall» der «Boxerin» Imane Khelif. Sie konnte bei den Olympischen Spielen in Paris im Frauenwettbewerb an den Start gehen und gewann auch die Goldmedaille. Dabei war sie noch 2023 bei den IBA-Boxweltmeisterschaften der Frauen in Neu Delhi nicht zugelassen worden, weil dort die Definition «Mann/männlich/Junge = Individuum mit XY-Chromosomen» angelegt wurde. Und nach den Spielen in Paris tauchten Unterlagen auf, die Khelif unzweifelhaft als männlich einstuften (siehe dazu den TN-Artikel «‹Boxerin› Khelif ist ein Mann: Das bestätigen aufgetauchte medizinische Unterlagen aus den Jahren 2022 und 2023»).

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Bulgarien versinkt im Müll – und die Regierung schaut weg

8. September 2025 - 0:01

Die bulgarische Oppositionspartei Velichie deckt einen gigantischen Müllskandal auf, der mehrere Ebenen von Korruption zu beinhalten scheint: bei der Ablagerung und der Bewachung tausender illegaler Mülldeponien ebenso wie bei deren «zufälliger» Entzündung und anschließender Löschung. Jede Menge Gelegenheiten für Vetternwirtschaft und Bereicherung auf Kosten der Umwelt, mit Duldung der Europäischen Union.

Anlässlich meiner Reise nach Bulgarien vom 18. bis 21. Juni 2025 lernte ich nicht nur das gigantische 220 Millionen Euro Vorzeigeprojekt «Demopoly» der bulgarischen Oppositionspartei Velichie kennen, sondern auch ein ganz anderes Bulgarien. Außerhalb der von Velichie regierten Provinz Vetrino stinkt es im wahrsten Wortsinn zum Himmel.

An über 12.000 Stellen, die Velichie akribisch erfasst und auf einer Karte eingetragen hat, türmen sich nämlich mitten in der Natur, ohne jegliche Schutzmaßnahmen und ohne Hoffnung auf Mülltrennung und Recycling, Berge von teils giftigen Abfällen, auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wasserversorgungseinrichtungen, Flüssen und Seen.

Laut meinem Interviewpartner Radoslav Ivanov von Velichie steckt hinter diesen Müllgebirgen ein System: Bürgermeister, so sagt er, verdienen daran, Menschen gegen eine Trinkgeldzahlung das Ablagern auf illegalen Deponien zu gestatten, was die Müllverursacher billiger kommt als die Nutzung der ordentlichen Müllverwertungsanlagen. Anwohner, die drohen, darüber den Mund aufzumachen, würden damit bedroht, selbst für den ganzen illegalen Müll bestraft zu werden, den sie nicht verursacht haben, oder im schlimmsten Fall einen Abrissbescheid für ihre Wohnhäuser zu erhalten.

In weiterer Folge ließen dieselben Bürgermeister dann die illegalen Mülldeponien von ihnen nahestehenden «Sicherheitsfirmen» bewachen, damit dort niemand ohne entsprechendes Trinkgeld weiteren Müll hinzufügen könne. Dabei flössen wiederum beachtliche Steuergelder auf intransparente Weise in dubiose Firmen.

Und schließlich käme es immer wieder dazu, dass sich solche Mülllager «spontan selbst entzündeten», laut Ivanov handle es sich dabei jedoch um gezielte Brandstiftung mit vorausgehender Benzinüberschüttung der Müllberge. Im Anschluss dürfen dann wiederum andere Unternehmen, die ebenfalls den Bürgermeistern nahestehen, die Brände löschen und die Reste auf Kosten des Steuerzahlers mit Bergen von Erde zuschütten.

Eigentlich gäbe es in Bulgarien eine nationale Agentur, deren Zuständigkeit es sei, illegale Abfallablagerungen zu erfassen und an die Europäische Union zu melden. Nun sei es jedoch so, dass der Leiter dieser Agentur dafür sorge, dass die Deponien nicht erfasst würden und nach Brüssel laufend eine Nullmeldung abgegeben werde. Warum? Weil sonst der Leiter der Agentur, der selbst nur 100 Meter von der von mir besichtigten Mülldeponie lebt, dafür zur Verantwortung gezogen würde, warum er es so weit habe kommen lassen und nie einen Bürgermeister gestraft habe. Laut Ivanov sei dies nur möglich, weil dieser Mann von oberster Stelle aus vor jeglicher Art von Verfolgung geschützt werde, was auf Verstrickung der Regierungsparteien in die Sache hindeute.

Zahlreiche Bürgermeister hätten der nationalen Umweltagentur bereits angeboten, sich auf eigene Kosten um die Beseitigung des illegalen Mülls zu kümmern, wenn ihnen der Staat nur ein geeignetes, brachliegendes Staatsgrundstück zur Verfügung stelle. Doch dieser Vorschlag werde kategorisch zurückgewiesen, die Grundstücke zu diesem Zweck nicht gestellt.

Es liegt auf der Hand, dass 12.000 vollkommen unkontrollierte Mülldeponien ein immenses Risiko für Mensch und Umwelt darstellen. Darüber hinaus steigern sie nicht gerade die Attraktivität des Landes für Reisende oder dessen Ruf. Denn egal, was die Zahlen sagen: Wer nach Bulgarien reist, findet in jeder Gemeinde außerhalb der von Velichie regierten Provinz Vetrino Müllberge, die er selbst sehen und riechen kann. Velichie hat deshalb einen Misstrauensantrag gegen die bulgarische Regierung im Parlament eingebracht, der die entsprechenden Beweise enthält.

Laut Radoslav Ivanov sei es an der Zeit, dass sich Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten fragten, ob nicht auch ein Teil ihrer eigenen Steuergelder in den Müllsümpfen Bulgariens bzw. den Taschen ihrer Verursacher versickere, und welche Rolle dabei die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen spiele. Außerdem müsse man sich die Frage stellen, ob ein Land, das nicht einmal seine Gemeinden sauber halten kann, wirklich schon reif sei, um der Eurozone (siehe hier) beizutreten.

Ob das Misstrauensvotum von Velichie eine Aussicht auf Erfolg hat, wird wesentlich davon mitbestimmt werden, ob es gelingt, einer breiten Öffentlichkeit die Verfilzungen innerhalb der bulgarischen Politik bewusst zu machen – im In- und Ausland.

Weitere Informationen über Velichie, Demopoly und die politische Lage in Bulgarien liefert Gastautor Alexander Ehrlich laufend auf X und auf Telegram.

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Friedensethik und die Schweizer Neutralität: Lehren aus dem KSZE-Prozess

7. September 2025 - 0:04

Die Schweiz war während der Zeit des Kalten Krieges, der von 1949 bis 1991 dauerte, immerwährend neutral. Sie hat so in vielen Konflikten mitgeholfen, einen Versöhnungsprozess aufzugleisen. Damit hat sie dem eigenen Land, aber auch Europa und der Welt friedenspolitisch gedient. Die Schweiz war damals diplomatische Großmacht.

Seit dem Ende des Kalten Krieges setzte in der Schweiz allerdings eine Erosion der Neutralität ein. Schon beim Ersten Golfkrieg 1991 übernahm die Schweiz die Wirtschaftssanktionen der UNO gegen den Irak, obwohl sie damals noch gar nicht Mitglied in diesem Gremium war. Sie kehrte damit gemäß eigener Einschätzung zur sogenannten «differentiellen» Neutralität zurück, das heißt, sie war bereit, Abstriche an der Neutralität vorzunehmen. Die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak hatten bekanntlich verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die Kinder.

Zwischen 1991 und 2001 starben im Irak nach Angaben von UN-Organisationen wie UNICEF oder WHO und vor allem auch gemäß den Berichten des ehemaligen Koordinators des humanitären UN-Hilfsprogramms für den Irak, Hans-Christof von Sponeck, mehr als eine Million Menschen, darunter mehr als 500.000 Kinder unter fünf Jahren. Die Gründe waren fehlende Nahrungsmittel und medizinische Hilfe wie Medikamente etc. Die Schweiz trägt hier eine Mitschuld, da sie die Wirtschaftssanktionen unterstützte. Das hat mit Neutralität nichts mehr zu tun.

Die Erosion der Neutralität setzte sich dann im Laufe der 1990er Jahre fort, bis sie dann mit der Übernahme der EU-Sanktionspakete ab März 2022 gegen Russland im Rahmen des Ukraine-Krieges praktisch pulverisiert wurde. Dieser Todesstoß für die Neutralität war der Grund, dass eine überparteiliche Arbeitsgruppe eine Volksinitiative zur Wahrung der schweizerischen Neutralität lancierte. Sie wurde am 11. April 2024 mit knapp 130.000 gültigen Unterschriften in Bern eingereicht. Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, lehnt diese Initiative ab und bemerkt in seiner Botschaft dazu, er wolle die Neutralität weiterhin «flexibel» handhaben. Nun läuft der parlamentarische Prozess. Aber auch wenn Regierung und Parlament, und sogar alle Parteien die Initiative ablehnten, kommt sie trotzdem nächstes Jahr zur Abstimmung. Das ist gelebte Demokratie in der Schweiz, das Volk hat das letzte Wort!

Der Abstimmungskampf läuft nun schon seit dem 11. April 2024 und hat in der Schweiz eine rege Debatte ausgelöst. Jede Initiative hat eine sogenannte «Vorwirkung». Das heißt, dass die Einreichung einer Initiative dafür sorgt, dass sich die Politiker, die Medien und die Bevölkerung mit dem Thema befassen und eine mehr oder weniger sachliche Diskussion stattfindet. Das ist der Kern der politischen Kultur in der Schweiz.

Im Rahmen der Debatten rund um die Schweizer Neutralität sind insbesondere auch historische Beispiele wichtig, welche die Rolle und die Bedeutung der Schweizer Neutralität deutlich aufzeigen. An diesen Beispielen kann man darlegen, wie wichtig die immerwährende Neutralität für die Schweiz, Europa und die Welt war und weshalb sie nun mithilfe der Initiative klarer in der Verfassung verankert werden muss. In diesem Zusammenhang ist auch die «Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa» (KSZE) von Bedeutung. Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte jährte sich am 1. August 2025 zum fünfzigsten Mal. Dieser Prozess zeigt den hohen Wert der Schweizer Neutralität beispielhaft auf.

Vorgeschichte der KSZE

Die Initiative zur Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz war 1969 von der Sowjetunion und den Staaten des Warschauer Pakts ausgegangen. Die Entspannungspolitik zwischen Ost und West hatte bereits Formen angenommen: Es existierte ein direkter Kommunikationskanal zwischen Moskau und Washington und auch Abrüstungsverhandlungen fanden statt. Ost und West strebten eine Verbesserung der Lage auf dem europäischen Kontinent an und überlegten sich, eine «Sicherheitsarchitektur» für Europa zu gestalten. Die Europäische Gemeinschaft (EG, heute EU), die NATO, die neutralen und bündnisfreien Staaten, aber auch der Ostblock hatten diesbezüglich teils divergierende Ansprüche. Dies hielt die Staaten aber nicht davon ab, mit gegenseitigen Konsultationen zu beginnen. Auch die Schweiz beteiligte sich rege daran.

1970 formulierte eine Arbeitsgruppe des schweizerischen Außendepartements einen Bericht und legte die Stoßrichtung der schweizerischen Interessen dar. So lancierte die Schweizer Diplomatie, anknüpfend an ihre traditionelle Rolle als Schiedsrichterin zwischenstaatlicher Konflikte, den Vorschlag zur Einrichtung eines Systems friedlicher Streitbeilegung. Im Zentrum sollte die «Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen zwischen Ost und West» stehen. Der Bericht forderte auch: «Man sollte das Recht auf Neutralität im Rahmen der Konferenz verankern.» Zudem bot man im Rahmen der «Guten Dienste» Genf als möglichen Austragungsort der Verhandlungen an.

Es folgten zwei Jahre der gegenseitigen Sondierungen und Gespräche quer durch Europa. Am intensivsten tauschte sich die Schweiz mit den anderen Neutralen aus, aber auch den Gedankenaustausch mit den Ländern Osteuropas empfand sie als überraschend fruchtbar. Die Hauptverhandlungen fanden dann ab September 1973, wie von der Schweiz vorgeschlagen, in Genf statt. Teilnehmer waren 35 Staaten: die sieben Staaten des Warschauer Paktes, die 15 NATO-Staaten und 13 neutrale Län-der. Die Neutralen respektive Blockfreien waren die folgenden Länder: Schweiz, Österreich, Schweden, Finnland, Jugoslawien, Zypern, Malta, San Marino, Lichtenstein, Irland, Island, Monaco und der Heilige Stuhl.

Thematisch hatte man vier Bereiche, sogenannte «Körbe» festgelegt. Der erste Korb betraf den Prinzipienkatalog zu grundlegenden Fragen der Souveränität und der zwischenstaatlichen Beziehungen, sicherheitspolitische Erwägungen im engeren Sinn und vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich. Der zweite Korb war der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt gewidmet. Korb drei sollte die «menschlichen Kontakte» zwischen Ost und West, wie es die Schweiz vorgeschlagen hatte, thematisieren. Im vierten Korb ging es schließlich um das Festlegen des weiteren Arbeitsprozesses der KSZE.

Die Rolle der Schweiz

Festzuhalten gilt, dass die neutrale Schweiz mit ihrer stillen Diplomatie hinter den Kulissen kontinuierlich eine bedeutsame Rolle wahrnahm. Zusammen mit den ande-ren Neutralen Österreich, Schweden und Finnland leistete sie wichtige Vermittlungsdienste und stärkte so den ganzen Prozess. Ab 1974 machte sie dies auch im Verbund mit dem blockfreien Jugoslawien sowie den Kleinststaaten Zypern, Malta, San Marino und Liechtenstein als «Gruppe der N+N», der «Neutrals and Non-Aligned».

Eine prinzipielle Kompromissbereitschaft der beiden Supermächte Sowjetunion und USA war nicht vorhanden. So spricht der Schweizer Delegationsleiter Rudolf Bindschedler in seinem Schlussbericht zum KSZE-Prozess von der «Starrheit der Großmächte». Er erwähnt in seinem Bericht auch immer wieder das «Doppelspiel», das heißt das Auseinanderklaffen zwischen den öffentlichen Stellungnahmen der Regierungen, vor allem der Großmächte, und der Haltung der Delegationen in Genf.

Doch wenn die Diskussionen jeweils so weit in eine Sackgasse geraten waren, dass beide Lager keine Zugeständnisse einbringen oder akzeptieren konnten, ohne das Gesicht zu verlieren, wurden Vorschläge über den Kanal der Neutralen eingebracht. In solchen Schlüsselmomenten halfen die Schweizer Diplomaten mit, die Verhandlungen zu deblockieren und schließlich zu einem für alle Staaten annehmbaren Ergebnis zu führen. Temporär konnte also immer wieder eine Kompromissbereitschaft der Supermächte erreicht werden.

Bindschedler geht in seinem Schlussbericht ausführlich auf die Rolle der Neutralen während des ganzen Prozesses ein und schätzt dessen Einfluss als sehr hoch ein: «Das Ausmaß der gemeinsamen Interessen [d.h. der Neutralen und Nichtengagierten, d.V.] hat sich als viel größer erwiesen, als zuerst angenommen werden konnte. Die Zusammenarbeit in dieser Gruppe war eng und vertrauensvoll. Ihr einheitliches Auftreten hat die Blöcke zur Rücksichtnahme gezwungen und die Durchsetzung zahlreicher Postulate erleichtert. […] Für die Neutralen und Nichtengagierten ist ihr gegenseitiges Vertrauensverhältnis wohl eines der wichtigsten Konferenzergebnisse».

Schlussakt in Helsinki

Nach zweijährigen Verhandlungen, die vom 18. September 1973 bis zum 21. Juli 1975 in Genf stattfanden, unterschrieben am 1. August 1975 in Helsinki die Dele-gierten von 35 Staaten die KSZE-Schlussakte. Das Dokument ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt behandelt «Fragen der Sicherheit in Europa», ge-gliedert in eine Erklärung von zehn Leitprinzipien:

  • 1. Souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte
  • 2. Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt
  • 3. Unverletzlichkeit der Grenzen
  • 4. Territoriale Integrität der Staaten
  • 5. Friedliche Regelung von Streitfällen
  • 6. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten
  • 7. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedan-ken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit
  • 8. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker
  • 9. Zusammenarbeit zwischen den Staaten
  • 10. Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben

Die Einschätzungen von Bindschedler zu den zehn Leitprinzipien sind sehr aufschlussreich: «Die Schlussakte enthält zahlreiche positiv zu würdigende Verhal-tensregeln für die Zukunft.» Dazu zählte er vor allem die zehn Leitprinzipien: «Zwar wiederholen die zehn Prinzipien über die gegenseitigen Beziehungen der Staaten zum großen Teil geltendes Völkerrecht, wie es sich vor allem in der Charta der UN findet.» Der Katalog der Prinzipien entwickle aber wichtige Grundsätze weiter und vervollständige sie. Und weiter: «Im I. Prinzip wird ausdrücklich das Recht der Staaten unterstrichen, internationalen Organisationen anzugehören oder nicht, Mitglied einer Allianz zu sein oder nicht, sowie das Recht auf Neutralität.» Damit hatte eine wichtige Forderung der Schweiz Eingang in das Schlussdokument gefunden. Man stelle sich vor, die blockgebundenen Länder hätten von diesem Recht Gebrauch gemacht!

Der zweite Abschnitt der Schlussakte behandelt die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt, Abschnitt drei beschäftigt sich mit Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und Abschnitt vier schließlich behandelt Grundsätze der Zusammenarbeit in humanitären und kulturellen Bereichen. Besonders für diesen Bereich hebt Bindschedler in seinem Schlussbericht die Bedeutung der Neutralen hervor:

«Die Ergebnisse (…) auf dem Gebiete der menschlichen Kontakte, Reisen, Familienzusammenführung und Information sind weitgehend der Tätigkeit der Neutralen zuzuschreiben.» Dabei hätten, so Bindschedler, «politisch-psychologische Erwägungen» eine große Rolle gespielt. Besonders dieses Beispiel zeigt klar die politische und moralische Überlegenheit der neutralen Position. Bindschedler sieht aber durchaus auch die Defizite der Schlussakte. Sie sei kein völkerrechtlicher Vertrag: «Das ist zu bedauern, denn nur auf der Grundlage des Rechts erscheint eine dauerhafte und stabile Regelung möglich. (…) So stellt die Schlussakte nur eine politische Deklaration, eine Absichtserklärung dar. Als solche kann sie psychologische und politische Wirkung erzielen. Ihr Wert kann jedoch erst in der Zukunft beurteilt werden.»

Bindschedler unterstreicht speziell beim 10. Leitprinzip «die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.» Das sind im Grunde zentrale friedensethische Grundsätze der Politik und, so Bindschedler, «positiv zu würdigende Verhaltensregeln für die Zukunft». Auch diese wichtige Vorschrift sei unter der maßgebenden Führung der Neutralen zustande gekommen.

Zusammenfassend bemerkt Bindschedler: «Hingegen kann die Konferenz Ausgangspunkt einer politischen Weiterentwicklung sein und zu einer Verbesserung des Klimas unter den Staaten und zum Abbau der bestehenden Spannungen beitragen.»

Und speziell für die neutralen Länder: «Die Konferenz und die Schlussakte haben die Stellung der Kleinstaaten und der Neutralen verstärkt. Sie sind zu einem Faktor geworden, mit dem zwar nicht militärisch, aber doch politisch gerechnet werden muss. Für die Zukunft stellt sich die Aufgabe, diese Stellung zu halten.» Diese Stellung, so Bindschedler, sollte besonders für die «friedliche Streitbeilegung» genutzt werden. Er beschreibt schließlich die Rolle der neutralen Schweiz als diplomatische Großmacht: «Ganz allgemein hat die Konferenz zu einer Erhöhung des Gewichtes der Schweiz, ihrer Rolle und Bedeutung geführt. Es gelang, in zahlreichen Einzelpunkten schweizerische Vorschläge durchzusetzen. (…) Mit den andern Neutralen hat sich die Schweiz als Vermittler betätigt und wesentlich zur Erzielung allseits befriedigender Lösungen beigetragen.» Diese Arbeiten, so Bindschedler, müssten fortgesetzt werden: «Am schädlichsten wäre Untätigkeit; es gilt auch hier die Regel, dass wir zwar Pessimisten der Erkenntnis, aber Optimisten der Tat sein müssen.»

Für die Schweiz unterzeichnete am 1. August 1975 Bundespräsident Pierre Graber die Schlussakte der KSZE. In seiner Ansprache vor den versammelten Delegierten sprach Graber das spezielle Engagement der neutralen Schweiz für das Gelingen der Konferenz an:

«Die Schweiz, am Schnittpunkt dreier Kulturkreise gelegen, die viel zur weltweiten Ausstrahlung des alten Kontinents beigetragen haben, hat immer das Leben Europas mitempfunden. Sie hat während ihrer ganzen, siebenhundertjährigen Geschichte dessen Höhepunkte und Bedrängnisse geteilt. Wie ich vor zwei Jahren, hier an der gleichen Stelle, erklärte, war die Neutralität meines Landes nie ein Alibi für eine Politik des ‹leeren Stuhles›, für Teilnahmslosigkeit und Rückzug auf sich selbst. Sie hat in ihm im Gegenteil das Bedürfnis zur Solidarität und den Willen wachgerufen, jederzeit und nach Maßgabe seiner Mittel der internatio-nalen Gemeinschaft zu dienen.» Und weiter führt Graber in seiner eindringlichen Rede aus:

«Das gute Einvernehmen ganz Europas ist und bleibt unser stetiger Wunsch. Die Tatsache, dass wir keinen Bündnissen oder Koalitionen beigetreten sind, entsprach somit zutiefst einer Berufung, die im weitesten Sinne europäisch ist. Deshalb freuen wir uns, dass die Option der Neutralität in das Kapitel der Prinzipien Aufnahme gefunden hat, die in den Beziehungen zwischen den Staaten Geltung haben sollen. Die Neutralität wurde damit als ein spezifisches Instrument der euro-päischen Sicherheit und Zusammenarbeit anerkannt.»

Graber spricht dann explizit die Verantwortung Europas an, über den Kontinent hinauszuschauen und auch die Entwicklungsländer zu unterstützen. Er will also die Sicherheitsarchitektur über Europa hinaus bauen, denken wir nur an den Vietnamkrieg, der im selben Jahr wie die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte 1975 endete, und dessen Folgen für Südostasien. Graber hebt dann die psychologische Dimension der menschlichen Beziehungen hervor. Es ginge darum, «einerseits vollständigere sicherere Strukturen in den innereuropäischen Beziehungen zu schaffen und andererseits in jedem unserer Länder und über die Grenzen hinweg die menschlichen Beziehungen zu entwickeln und harmonischer zu gestalten.» Die Dokumente, so Graber, stellten dafür einen ersten Anhaltspunkt dar: «Die Bestimmungen, die wir hier feierlich verabschieden werden, müssen (…) morgen in die Tat umgesetzt werden. (…) Es verlangt von allen Teilnehmerstaaten einen unabläßigen guten Willen, und es wird noch der größten Anstrengungen bedürfen, um dieses Ziel zu erreichen. (…) Diese Texte werden letztlich so viel wert sein wie ihre Anwendung.»

Die Unterzeichnung der Schlussakte von 35 Staats- und Regierungschefs war ein starkes Zeichen der Entspannung, und das vor allem dank der neutralen Schweiz. Die Akte ist ein außergewöhnliches Dokument. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass mitten im Kalten Krieg, die Vertreter aller europäischen Staaten aus West und Ost inklusive Sowjetunion sowie USA und Kanada an einem Tische zusammenkamen, sich auf gemeinsame Werte einigten und sich zur Einhaltung gleicher Regeln verpflichteten. Europa sollte sicherer, menschliche Kontakte zwischen Ost und West sollten ausgebaut werden. Aber die Entspannung kriselte leider bald.

Schluss und Ausblick

In Folgekonferenzen sollte die Umsetzung der KSZE-Schlussakte in den einzelnen Staaten geprüft werden. Die KSZE blieb bis am Ende des Kalten Krieges als Forum des Ost-West-Dialoges bestehen und leistete einen großen, vielleicht sogar ent-scheidenden Anteil an der Überwindung des Kalten Krieges. Einerseits trug die Kontinuität des KSZE-Prozesses zu dieser Entwicklung bei, andererseits missachteten die USA und die Sowjetunion immer mehr die Grundprinzipien der Helsinki-Akte. So verschärften in den USA die Reagan-Jahre in den 1980er Jahren das gegenseitige Misstrauen und schürten mit Unterstellungen und Täuschungsmanövern den Unfrieden. Ronald Reagan ließ sich von Neocons beraten und setzte zusammen mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher eine neoliberale Politik um, welche die Globalisierung befeuerte. Mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 setzte auch die zweite Großmacht einmal mehr auf Konfrontation und Krieg und damit auf die Verschärfung des Ost-West-Konfliktes. Der wichtige Grundsatz der KSZE-Schlussakte, nämlich die «Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben» wurde gebrochen und viel Vertrauen wieder verspielt.

Das Ende des Kalten Krieges wurde 1990 im Rahmen eines KSZE-Sondergipfels in Paris gefeiert. Aber die «Charta von Paris» konnte mit ihrem Titel «Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit», nicht über die neuen Zerwürfnisse hinwegwegtäuschen. Die USA als einzige Weltmacht redeten gar von einem «Ende der Geschichte». Das war, wie wir heute wissen, eine schlichte Lüge. Bereits 1991 inszenierten die USA den Ersten Golfkrieg und seither führen sie permanent Krieg.

Wie bereits erwähnt, setzte damals mit der Übernahme der Wirtschaftssanktionen durch den Bundesrat in der Schweiz der Auflösungsprozess der Neutralität ein.

Obwohl die weltpolitische Lage prekär war, wurde beim KSZE-Gipfeltreffen am 5. und 6. Dezember 1994 in Budapest beschlossen, die KSZE in eine Organisation umzuwandeln. Sie wurde auf den 1. Januar 1995 als Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fortgeführt, ist nun also bis heute eine permanente Konferenz mit dem Hauptsitz in Wien. Mit der Zerstörung Jugoslawiens während der 1990er Jahre begann der Abstieg der ohnehin geschwächten OSZE. Aktuell hat sie keine Bedeutung mehr.

Die Schweiz übernimmt nächstes Jahr das Präsidium der OSZE (wie schon 1996 und 2014). Die OSZE mit ihren heute 57 Teilnehmerstaaten und ständigen Instituti-onen wie dem Ministerrat und der parlamentarischen Versammlung ist eigentlich immer noch die weltweit größte Regionalorganisation für kooperative Sicherheit. Sie umspannt die nördliche Hemisphäre und könnte mithilfe einer Zusammenarbeit zum Beispiel mit den BRICS und anderen Organisationen der Länder des Südens ihr Gewicht wieder stärken. Diese Organisationen könnten als Modelle für die zwischenstaatliche Koexistenz in einer multipolaren Welt dienen. Die Schweiz hätte also nächstes Jahr mit dem Vorsitz der OSZE eine sehr wichtige Aufgabe und die Möglichkeit, die OSZE im Sinne der KSZE-Schlussakte wieder zu stärken. Sie sollte dringend wieder die gegenseitige Achtung der Länder, den Verzicht auf Gewalt, die Lösung von Konflikten ausschließlich mit diplomatischen Mitteln, den Verzicht auf Grenzänderungen und die Zusammenarbeit zum Wohle aller einfordern.

Deshalb ist die ebenfalls voraussichtlich nächstes Jahr zur Abstimmung kommende Initiative, welche die Neutralität klarer in der Schweizer Verfassung verankern will, so wichtig. Nicht nur für die Schweiz, auch für Europa und die Welt. Dies könnte auch die OSZE stärken, eingedenk der Bedeutung, welche die Neutralen für den KSZE-Prozess hatten. Mit Blick auf die Weltlage ist man so wohl, wie es Bindschedler sagte, ein Pessimist der Erkenntnis, aber man kann auch ein Optimist der Tat werden. In diesem Sinne muss die Schweizer Bevölkerung ermutigt werden, die Neutralitätsinitiative zu unterstützen. Da liegt noch ein großes Stück Arbeit vor uns.

René Roca ist promovierter Historiker und Gymnasiallehrer. Er gründete und leitet das Forschungsinstitut direkte Demokratie (www.fidd.ch). Er ist Mitglied im Komitee der Neutralitätsinitiative (www.neutralitaet-ja.ch)

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Die Opfer der Kriminalisierung der Meinungsäußerung in Großbritannien

7. September 2025 - 0:03

Seitdem 2023 in Großbritannien der Online Safety Act (the Act) in Kraft getreten ist, werden dort Meinungsäußerungen zunehmend kriminalisiert. Dabei handelt es sich um ein Pendant des Digital Services Act (DSA) der EU. Dadurch können Regulierungsbehörden «schädliche» Online-Inhalte ins Visier nehmen, selbst wenn diese legal sind. Laut Reclaim The Net ist die Sprache des Gesetzes weit genug gefasst, «um Eingriffe auf der Grundlage des Tons oder der Formulierung zu ermöglichen.»

So berichteten wir kürzlich über den Fall des Komikers Graham Linehan. Er wurde am 2. September nach seiner Ankunft aus Arizona am Londoner Flughafen Heathrow von fünf bewaffneten Beamten festgenommen. Sein Vergehen: Auf X hatte er sich kritisch zu Trans-Frauen, also biologischen Männern, in Frauenbereichen geäußert. In einem der satirischen Tweets schlug er beispielsweise vor, in einem solchen Fall «eine Szene» zu machen, die Polizei zu rufen und dem Mann, wenn alles andere fehlschlägt, «in die Eier» zu schlagen.

Laut The Telegraph nimmt die britische Polizei täglich mehr als 30 Festnahmen wegen «beleidigender» Online-Inhalte vor, was etwa 12.000 Festnahmen pro Jahr entspricht. Darüber hinaus seien im vergangenen Jahr in England und Wales über 13.000 «nicht strafbare Hassvorfälle» registriert worden. Die Zeitung nennt neben Linehan mehrere Beispiele von Personen, die wegen ihrer Meinungsäußerung verhaftet, untersucht oder anderweitig bestraft wurden:

  • Julian Foulkes: Der 71-jährige pensionierte Sonderpolizist wurde wegen eines Social-Media-Beitrags, in dem er vor zunehmendem Antisemitismus warnte, festgenommen, mit Handschellen gefesselt und acht Stunden lang festgehalten. Die Polizei räumte später ein, dass dies ein Fehler war.
  • Isabel Vaughan-Spruce: Eine Abtreibungsgegnerin, gegen die zum dritten Mal polizeilich ermittelt wurde, weil sie in einer «Pufferzone» vor einer Abtreibungsklinik still gebetet hatte. Sie wurde erstmals im November 2022 verhaftet, aber im Februar 2023 freigesprochen. Einige Wochen später wurde sie erneut von Beamten festgenommen, die ihr mitteilten, dass stilles Beten innerhalb einer Pufferzone eine Straftat darstelle. Im Oktober letzten Jahres wurde laut The Telegraph ein neues Gesetz eingeführt, das es unter Strafe stellt, jemanden vorsätzlich oder fahrlässig in seiner Entscheidung für eine Abtreibung zu beeinflussen oder ihn zu belästigen, zu stören oder zu beunruhigen.
  • Ahmad Baker: Ein leitender Krankenpfleger des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS, der behauptet, er sei aufgefordert worden, den Hintergrund seiner Videoanrufe zu entfernen, weil darin eine Obstschale mit einer Wassermelone zu sehen war, was als antisemitisch empfunden werden könnte. Die Wassermelone ist nämlich ein Symbol für den Kampf der Palästinenser, da ihre Farben Rot, Grün, Weiß und Schwarz denen der palästinensischen Flagge entsprechen.
  • Maxie Allen und Rosalind Levine: Ein Ehepaar, das wegen Nachrichten, die sie in einem privaten WhatsApp-Chat für Eltern geteilt hatten und in denen sie eine Schule kritisierten, festgenommen und acht Stunden lang festgehalten wurde. Der Streit mit der Cowley Hill Primary School begann, nachdem Herr Allen sich über das Einstellungsverfahren für einen neuen Schulleiter beschwert hatte. Die Schule wandte sich daraufhin an die Polizei, nachdem sie Einwände gegen die Kritik der Eltern an Mitarbeitern in einer privaten WhatsApp-Gruppe erhoben hatte, und behauptete, das Ehepaar habe «abfällige und aufwieglerische« Kommentare abgegeben. Die Polizei kam später zu dem Schluss, dass keine weiteren Maßnahmen erforderlich seien.
  • Allison Pearson: Eine Kolumnistin, die von der Polizei wegen des Verdachts der Anstiftung zum Rassenhass befragt wurde, weil sie in einem später gelöschten X-Beitrag fälschlicherweise die Flagge einer pakistanischen Partei auf einer Kundgebung als Zeichen der Unterstützung für «Judenhasser» interpretiert hatte. Der Fall wurde eingestellt, aber sie geht nun rechtlich gegen die Polizei vor. Sie erklärte: «In einer Zeit, in der die Polizei nicht mehr zu Einbrüchen und anderen schweren Straftaten ausrückt, war das eine erstaunliche Zeitverschwendung.»
  • Rose Docherty: Eine 75-jährige Frau, die verhaftet und angeklagt wurde, weil sie ein Anti-Abtreibungsplakat hochhielt. Später wurde sie von der Anklage freigesprochen.
  • Caroline Farrow: Eine katholische Journalistin, gegen die die Polizei wegen der Verwendung des «falschen Pronomens» für eine Transgender-«Frau» in X-Posts (damals Twitter) aus dem Jahr 2018 ermittelt hat. Die Anzeige wurde später zurückgezogen.
  • Lucy Connolly: Die Ehefrau eines konservativen Stadtrats wurde wegen eines inzwischen gelöschten X-Posts, den sie nach dem Anschlag von Southport verfasst hatte und der als Aufstachelung zum Rassenhass gewertet wurde, zu 31 Monaten Haft verurteilt.
  • Rob Davies: Ein Ladenbesitzer, der von der Polizei aufgefordert wurde, ein Schild aus seinem Laden zu entfernen, auf dem stand: «Wegen Drecksäcken (scumbags), die klauen, fragen Sie bitte um Hilfe, um Schränke zu öffnen.» Die Polizei war der Ansicht, dass das Schild Anstoß erregen könnte.
  • Helen Jones: Eine Großmutter, die von der Polizei aufgesucht wurde, nachdem sie Labour-Politiker in Facebook-Nachrichten wegen eines WhatsApp-Skandals kritisiert hatte. Der Skandal führte zur Entlassung des ehemaligen Gesundheitsministers Andrew Gwynne. Jones forderte auch den Rücktritt des Stadtrats aus Stockport, David Sedgwick. Sie hatte geschrieben: «Hoffen wir, dass er das Richtige tut und zurücktritt. Ich glaube allerdings, dass sein Ego das nicht zulassen wird.»
  • Robert Moss: Ein Feuerwehrmann, der wegen Online-Beiträgen, in denen er seine Vorgesetzten kritisierte, unter dem Verdacht der böswilligen Kommunikation festgenommen wurde. Er wurde nie angeklagt, und eine gegen ihn verhängte Schweigepflicht wurde von einem Gericht aufgehoben.
  • Rick Prior: Der ehemalige Vorsitzende der Met Police Federation, der Personalvertretung der Londoner Polizei, wurde suspendiert, offiziell entlassen und von der Kandidatur für Wahlen ausgeschlossen, nachdem er in einem Interview mit einer Nachrichtenagentur seine Besorgnis darüber geäußert hatte, dass Polizeibeamte befürchteten, als Rassisten abgestempelt zu werden.
  • Harry Miller: Ein ehemaliger Polizeibeamter, der schon vor der Einführung des Online Safety Act vor dem High Court gegen die Polizei von Humberside gewann. Miller hatte ein scherzhaftes, angeblich «transphobes» Gedicht auf X geteilt. Miller, der sich selbst als «genderkritisch» bezeichnet, erhielt daraufhin Besuch von einem Beamten der Polizei von Humberside an seinem Arbeitsplatz. Der Richter am Obersten Gerichtshof, Julian Knowles, hatte argumentiert, dass das Recht, Meinungen zu vertreten, die von harmlos bis «irritierend, umstritten, exzentrisch, ketzerisch, unwillkommen und provokativ» reichen, eine «grundlegende demokratische Freiheit» sei. Er hatte ergänzt, dass die Auswirkungen eines Polizeibesuchs am Arbeitsplatz «nicht unterschätzt werden» dürften.


Quelle: The Telegraph

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Australien: Aktivistin wegen «Verunglimpfung» männlicher Athleten im Frauensport verurteilt

7. September 2025 - 0:03

Eine australische Frauenrechtsaktivistin wurde wegen «Verunglimpfung» männlicher Athleten, die in Frauensportarten antreten, für schuldig befunden und muss nun mit einer Strafe von bis zu 200.000 australischen Dollar rechnen.

Wie LifeSiteNews berichtet, wurde Kirralie Smith, Sprecherin der Organisation Binary Australia, von einem lokalen Gericht in New South Wales (NSW) verurteilt, weil sie zwei Männer, die in Frauenfußballmannschaften spielen, «rechtswidrig diffamiert» habe.

Smith hatte betont, dass Männer im Frauensport unfaire Vorteile hätten, und darauf hingewiesen, dass gegnerische Spielerinnen deswegen schwere Verletzungen erleiden würden. Binary Australia ist eine Organisation, «die sich für exklusive Frauensportarten ohne geschlechtsverwirrte Männer einsetzt».

Den beiden Transfrauen, Justin «Riley» Dennis und Nicholas «Stephanie» Blanch, die Smith aufgrund dieser Aussagen verklagt hatten, wurde vom Gericht eine Entschädigung für die «Schädigung» ihres Rufs zugesprochen. Diese kann sich laut LifeSiteNews auf bis zu 100.000 Dollar pro Person belaufen.

Darüber hinaus forderten Dennis und Blanch, dass Smith und Binary Australia eine öffentliche Entschuldigung veröffentlichen und «eine Richtlinie entwickeln, die darauf abzielt, unrechtmäßige Diskriminierung und die Verunglimpfung von Transgender-Personen in Bezug auf künftige öffentliche Handlungen zu beseitigen».

Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass Smith und Binary Australia «versucht haben, beim Leser Angst zu schüren, weil Blanch, der als Mann/männlich/Kerl beschrieben wird, in einer Frauenmannschaft spielt (und Männer generell in Frauensportarten spielen)».

Das Gericht wird voraussichtlich im November über das Ausmaß der Strafmaßnahmen entscheiden.

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Im «Jerusalema»-Rhythmus

7. September 2025 - 0:02

Erinnern Sie sich noch an die unsäglichen Tanzvideos, die während der sogenannten «Corona-Pandemie» die sozialen Netzwerke fluteten? Obwohl die Krankenhäuser laut Politik und Mainstream-Medien angeblich unter der Last der Corona-Erkrankten zusammenbrachen, legte das Personal nach den Rhythmen des Songs «Jerusalema» einstudierte Tanzeinlagen hin, deren Choreographien und Aufnahmen reichlich Zeit gekostet haben müssen.

An diesen Videos, die weltweit für Entrüstung sorgten, beteiligten sich zum Beispiel Feuerwehr- oder Polizeieinheiten, aber vor allem die besonders überarbeiteten Fachkräfte aus dem Gesundheitsbereich legten eine flotte Sohle aufs Parkett.

Auch das Universitätsklinikum Schleswig Holstein (UKSH) in Lübeck hat damals bei dieser Propaganda-Kampagne mitgewirkt, wie dieses Video zeigt.


Screenshot: Zum Abspielen des Videos auf das Bild klicken

Das Verbundnetzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, CSmedicus, hat hinsichtlich dieser speziellen Tanzeinlage eine interessante Information veröffentlicht: Der Vorstandsvorsitzende des UKSH ist Jens Scholz, der Bruder des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (hier und hier). Man könnte annehmen, dass die Tanzbegeisterung des UKSH-Personals durch diese familiäre Verstrickung beflügelt wurde.

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Das andere «Wort zum Sonntag» oder: Haltung zeigen, aber echte

6. September 2025 - 19:07

Ein Fußballspiel neulich in Tansania musste abrupt unterbrochen werden. Ein Schwarm wildgewordener Bienen hatte begonnen, sich über die Spieler und Schiedsrichter herzumachen. Es war offenbar der Stadionsprecher, der dann den rettenden Hinweis gab: Alle sollten sich hinlegen und tot stellen, dann würden die Bienen sie nicht stechen. So war es auch.

Sich tot stellen, um verschont zu bleiben? Die Sache über sich ergehen lassen, bis sie sich wieder verflogen hat, statt Stellung zu beziehen und diese auch zu halten? Das kann sinnvoll sein, durchaus. Man muss nicht bei jedem Streitgespräch das Wort ergreifen oder seine Enttäuschung und Zorn über «die da oben» ungefiltert nach außen tragen. Die ersten inneren Wolken dürfen auch erst einmal verrauchen und müssen die Atmosphäre nicht noch weiter trüben.

Etwas anderes ist es, sich's am Boden einzurichten, in der Wortlosigkeit. «Nachgeben aber heißt entweder elastisch sein oder sich verformen lassen, und für beides gibt es eine Grenze», schreibt Hans Freyer. Diese Grenze ist dann erreicht, wenn Selbstwertgefühl und Selbstachtung berührt werden. So manche Treue zu einer Firma oder Institution, auch kirchlicher, geht weit über das Zulässige hinaus. Solche Opfer, wie sie mir immer wieder erzählt werden, verlangt und braucht niemand.

Aber was hält so viele Menschen am Boden, auch wenn der akute Schwarm sich schon schon längst verzogen hat? Vordergründig ist es die Angst. Das Trauma einer bösen Erfahrung sitzt noch tief; man hat es doch grade noch so durchgestanden mit dieser und jener Taktik. Wenn sich die also bewährt hat, warum sollte man sie schon wieder über Bord werfen und sich erneut schutzlos zeigen?

Hintergründig ist es die schwankende Identität. Wer bin ich, um mit einer Einzelstimme im Kirchenvorstand zu protestieren? Wer bin ich denn, dass ich mich unter meinen Bekannten oder an der Ladenkasse gegen das gar so bequeme Kartenzahlen ausspreche? Was hätte ich denn an einer Demo verloren, wo man mich im dümmsten Fall auch noch erkennt? − Ja, «nachgeben aber heißt entweder elastisch sein oder sich verformen lassen, und für beides gibt es eine Grenze».

Positiv ausgedrückt: Es geht um den inneren Halt. Erst aus einer gewissen Festigkeit heraus kann ich tatktisch nachgeben, ohne mich zu verleugnen. Ist sie nicht vorhanden, nagt jedes Entgegenkommen nur noch weiter an meinem kleinen Fundament, über das ich mich definiert habe. Drei klassische Pfeiler davon sind Leistung, Gehorsam und Ideale.

Was hab ich erreicht? In Zwischen-Zeiten, am freien Sonntag, im Urlaub, bei einer Feier oder wenn die Kinder aus dem Haus sind, kommen so die Gedanken: Was war, was war nicht? Was hätte sein können, vielleicht sein sollen? Ich kenne eigentlich keinen Menschen, der hier rundum mit sich zufrieden wäre.

Auch mit dem Gehorsam ist es so eine Sache. Die kollektive C-Übung ist zunächst vorüber; in Sozialkreditform droht sie sich zu verstetigen. Wer macht heute noch zu heiklen Themen freimütig den Mund auf? Die innere Schere liegt irgendwo hinter der Zunge; unsichtbar, aber stets bereit für den nächsten Schnitt. «Wir haben durchaus Meinungsfreiheit, aber nicht unbedingt eine Äußerungsfreiheit», geht die Spottrede. Was macht das mit dem Menschen selber?

Ideale wollen wohlerwogen sein. Vor einiger Zeit fragte eine 16jährige ihren Klassenkameraden: «Wie findest du meine Figur? Gib mir eine ehrliche Antwort.» Die hatte dann gelautet: «Naja, ein Kilo weniger dürfte es schon sein.» Das Mädchen war daraufhin in eine mehrjährige Magersucht gerutscht. Anscheinend hatte sie sich das falsche Ideal ausmalen lassen und darauf ihren Wert gegründet.

Alle drei diese Punkte sind ja an sich nicht schlecht. Aber sie dürfen keine Grenze überschreiten: dass ich mich über sie definiere. Definieren, zu meinem Guten beschreiben, tut mich der, der mich am besten kennt: mein Schöpfer, und der weist weit hinaus über meine bloße «innere Stimme». Er wohnt auch nicht in meinem «Bauchgefühl», nicht einmal im Gewissen. Das sind nur Organe der Re-Sonanz, des Widerhalls.

Widerhallen tut etwas, das man zuvor gehört hat. Heutzutage hören wir viel zu wenig Gutes, und wenn etwas Gutes daherkommt, dann misstrauen wir dem zumeist, als sei da bestimmt etwas faul dran und ein Hintergedanke drin versteckt. Aber der Gott der Bibel hat keine Hintergedanken. Er hat:

«Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung». Jeremia 29,11

Er ist in Jesus Christus «der gute Hirte», der «sein Leben für die Schafe» gelassen hat. Johannes 10,11

Wie die einen erreichen? Dem einen bewährt sich dafür das laute Lesen von einem Psalm, einen zweiten führt ein gutes Lied in die Weite, jemand drittes beginnt probeweise mit einem Gebet, einem aufrichtigen. Das ist so etwas wie Ankerwerfen. Und dann Position halten, beziehen, zum Guten auch ausweichen können, ganz nach dem Sinnspruch: «Es kommt nicht drauf an, wer vor mir ist. Es kommt drauf an, wer hinter mir steht.»

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Wort zum Sonntag vom 31. August 2025: Frischer Geist für eine ganze Gesellschaft

Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.

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