«Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit. Die Freiheit für viele, nicht nur für die wenigen. Freiheit des Gewissens und der Meinung. Auch Freiheit von Not und von Furcht.» (– Willy Brandt, 14. Juni 1987).
Transition News
«BBC» «manipulierte» Sendung über Trump-Rede vom 6. Januar 2021
Die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC hat die Rede von Präsident Donald Trump vom 6. Januar 2021 «manipuliert», um den Eindruck zu erwecken, er habe seine Anhänger zu Ausschreitungen im Kapitol aufgerufen. Wie ZeroHedge mit Bezug auf The Telegraph berichtet, wurde die Manipulation in einem internen Memo aufgedeckt.
Das manipulierte Filmmaterial betraf Trumps Rede im «President's Park South» vor dem Weißen Haus, die von BBC-«Panorama» in einer Sondersendung mit dem Titel «Trump: A Second Chance» aus dem Jahr 2024 ausgestrahlt wurde. In der Sendung wurden Trumps Äußerungen so geschnitten, dass es so aussah, als hätte er gesagt, er würde mit seinen Anhängern zum Kapitol gehen, um «zu kämpfen, wie verrückt zu kämpfen» («fight, fight like hell»).
In Wirklichkeit sagte Trump, er würde zum Kapitol gehen, um die Abgeordneten, die sich gegen die Bestätigung von Joe Biden als Präsident aussprachen, «anzufeuern» («cheer on» – siehe Vergleich der beiden Videos unten). Die Aussage «fight like hell» kam fast eine Stunde später, lange nachdem er versprochen hatte, zum Kapitol zu gehen. Sie stammt aus einem Abschnitt, in dem Trump darüber sprach, wie «korrupt» die US-Wahlen seien. Schlimmer noch, der Präsident hatte seine Anhänger ausdrücklich aufgefordert, «friedlich und patriotisch ihre Stimme zu erheben».
BREAKING: The BBC was just exposed for DOCTORING President Trump's Jan 6 speech to make it seem he ENDORSED rioting, per whistleblower
“We're gonna walk to the Capitol”
DOCTORED: “And FIGHT LIKE HELL!”
ORIGINAL: “And cheer on congressmen and women!” pic.twitter.com/z88mmVhikG…
— Eric Daugherty (@EricLDaugh) November 3, 2025
Quelle: X/@EricLDaugh
Die Diskrepanz wurde dem Telegraph zufolge erstmals von einem BBC-Standardkomitee in einem 19-seitigen Dossier festgestellt. Demnach kam das Dokument zu dem Schluss, dass «Panorama» Trump Dinge «sagen» ließ, die er nie gesagt hatte. Der Ausschuss kritisierte laut der Zeitung auch die Führungskräfte der BBC und ihren Vorsitzenden dafür, dass sie scharfe Beschwerden über Voreingenommenheit ignoriert hätten, unter anderem in ihrer arabischsprachigen Berichterstattung über den Krieg zwischen Israel und Gaza.
Die BBC selbst berichtet, dass die konservative Politikerin Kemi Badenoch in einem Gespräch mit GB News die Änderungen in «Trump: A Second Chance» als «absolut schockierend» bezeichnete. Sie fügte hinzu:
«Das sind Fake News, bei denen verschiedene Dinge miteinander kombiniert werden, um etwas anders darzustellen, als es tatsächlich war. Und ich finde, dass Köpfe rollen sollten. Wer auch immer das getan hat, sollte entlassen werden. Das sollte [der Generaldirektor der BBC] Tim Davie tun: herausfinden, wer die Falschinformationen verbreitet hat, und diese Person entlassen.
Die Öffentlichkeit muss unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertrauen können ... Sie sollten uns keine Dinge erzählen, die nicht wahr sind. Dies ist ein Unternehmen, das sich an die höchsten Standards halten muss, und das bedeutet, dass Menschen, die etwas Falsches tun, bestraft und entlassen werden sollten.»
Auch der ehemalige Premierminister Boris Johnson erklärte laut der BBC, das Unternehmen müsse reagieren. Er fragte auf X: «Wird jemand bei der BBC die Verantwortung übernehmen – und zurücktreten?» Ein Sprecher des Senders teilte mit:
«Wir äußern uns zwar nicht zu durchgesickerten Dokumenten, aber wenn die BBC Rückmeldungen erhält, nimmt sie diese ernst und prüft sie sorgfältig.»
Caroline Dinenage, Vorsitzende des Sonderausschusses, der die britische Fernsehindustrie überprüft, sagte, die Abgeordneten «müssen die Gewissheit haben, dass die Führungsspitze der BBC diese Probleme mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt». Der Ausschuss wolle auch sicherstellen, dass die Rundfunkanstalt «entschiedene Schritte unternimmt, um den Ruf der Corporation für Integrität und öffentliches Vertrauen aufrechtzuerhalten». Sie ergänzte:
«Die Corporation muss Maßstäbe für eine genaue und faire Berichterstattung setzen, insbesondere in einer Medienlandschaft, in der es allzu leicht ist, Nachrichten zu finden, die nicht ganz unvoreingenommen präsentiert werden.»
ZeroHedge weist darauf hin, dass das vernichtende Dossier inmitten einer Reihe von demütigenden Niederlagen für traditionelle Medien wegen ihrer Berichterstattung über Trump auftauchte. So habe zum Beispiel Paramount Global (heute Paramount Skydance Corporation), die Muttergesellschaft von CBS News, im Juli einen Vergleich in Höhe von 16 Millionen Dollar mit Trump abgeschlossen, nachdem die Sendung «60 Minutes» ein Interview mit der damaligen Vizepräsidentin Kamala Harris aus dem Jahr 2024 so bearbeitet hatte, dass sie eloquenter wirkte, als sie tatsächlich war.
In ähnlicher Weise habe sich die Muttergesellschaft von ABC News, Disney, im Dezember 2024 bereit erklärt, Trump 15 Millionen Dollar zu zahlen, nachdem der umstrittene Moderator George Stephanopoulos ihn fälschlicherweise beschuldigt hatte, die Anti-Trump-Persönlichkeit E. Jean Carroll vergewaltigt zu haben. Diese Einigung habe eine Zahlung von 1 Million Dollar zur Deckung der Anwaltskosten von Trump beinhaltet.
Auch Social-Media-Unternehmen seien gezwungen worden, den Präsidenten für die Sperrung seines Kontos nach der Wahl 2020 zu entschädigen. Googles YouTube habe Trump 24,5 Millionen Dollar gezahlt, nachdem das Unternehmen beschlossen hatte, seinen Kanal nach dem 6. Januar 2021 zu schließen. Und Mark Zuckerbergs Meta habe Trump 25 Millionen Dollar gezahlt, während X (damals noch Twitter) 10 Millionen Dollar für dieselbe Zensurmaßnahme hingeblättert habe.
Orbán: Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine würde Krieg für die Union bedeuten
Die EU werde direkt in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hineingezogen, wenn sie Kiew die Mitgliedschaft in der Union gewähre, warnte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.
Wie RT berichtet, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag in einem Interview mit Euronews' «Enlargement Summit», dass «Orbán der Ukraine etwas bieten muss, das ganz Europa vor Russland schützt, und selbst jetzt, während dieses Krieges, haben wir keine Unterstützung von ihm erhalten». Der ukrainische Staatschef behauptete außerdem, dass Ungarn Russland «sehr konkrete Unterstützung» leiste, indem es den möglichen Beitritt Kiews zur Union blockiere.
Orbán konterte einige Stunden später in einem Beitrag auf X und betonte, dass Ungarn «die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union nicht unterstützen werde, da dies den Krieg nach Europa bringen und Geld aus Ungarn in die Ukraine abfließen lassen würde».
Er wies darauf hin, dass für die Aufnahme eines weiteren Landes in die Union eine einstimmige Entscheidung aller 27 EU-Staaten erforderlich ist. Das bedeute, dass «jeder Mitgliedstaat das souveräne Recht hat, die Aufnahme eines neuen Mitglieds zu unterstützen oder abzulehnen».
Orbán sprach sich für eine strategische Partnerschaft der Union mit der Ukraine aus, ohne dass das Land EU-Mitglied wird.
Der ungarische Präsident wies zudem die Behauptung zurück, dass Ungarn der Ukraine etwas schuldig sei: «Die Ukraine verteidigt Ungarn vor niemandem und nichts. Wir haben um so etwas nicht gebeten und werden es auch niemals tun». Er betonte, dass die Sicherheit Budapests durch das eigene Militär und die NATO gewährleistet sei, der «die Ukraine (glücklicherweise) nicht angehört».
Orbán machte auch geltend, dass Ungarn bislang insgesamt 200 Millionen Euro für humanitäre Hilfe für die Ukrainer ausgegeben hat, und kommentierte: «Es ist bedauerlich, wenn dies für Präsident Selenskyj nichts bedeutet.»
Im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Staaten hat Ungarn eine neutrale Haltung zum Ukraine-Konflikt eingenommen, sich geweigert, Kiew militärisch zu unterstützen, und eine diplomatische Lösung der Krise gefordert, wie RT feststellt.
Das russische Portal weist darauf hin, dass Kiew wenige Monate nach der «Eskalation des Ukraine-Konflikts im Jahr 2022» der Status eines EU-Beitrittskandidaten gewährt wurde. Seitdem habe Selenskyj die Union wiederholt aufgefordert, die Beitrittsgespräche zu beschleunigen.
Budapest habe im vergangenen Sommer erklärt, dass es ein Veto gegen den Antrag der Ukraine auf EU-Beitritt einlegen werde. Das Land habe im Juni ein Referendum zu diesem Thema abgehalten, bei dem sich 95 Prozent der Wähler gegen eine mögliche Mitgliedschaft Kiews ausgesprochen hätten.
tkp: E-Autos: Absturz der Verkaufsziffern nach Auslaufen von Subventionen
taz: Mit 84 Jahren gestorben: Dick Cheney, unbehelligter Kriegsverbrecher
Tages-Anzeiger: Linker Bürgermeister für New York: Radikaler oder Romantiker? Mit Zohran Mamdani bricht ein neues Zeitalter an
Zwei Wochen in Moskau – Ein Bericht (Teil 2)
Wir – meine Partnerin und Kollegin Éva Péli und ich – erlebten ein weiteres Mal eine interessante und vielfältige Stadt und freuten uns, wieder in Moskau sein zu können, trotz der deutschen Kriegshetzerei und -treiberei gegen Russland, die ich beschämend finde. Erneut sind wir freundlich und zuvorkommend unterstützt und behandelt worden, als wir unsere Reise organisierten, ob bei der russischen Botschaft oder vom russischen Außenministerium, das unsere Presse-Visa ausstellte.
Wir haben auch unseren russischen Kollegen wieder getroffen, mit dem wir einst in Berlin bei Sputniknews zusammengearbeitet haben. Er wurde von der Berliner Ausländerbehörde als vermeintliche «Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Deutschland» ausgewiesen, weil er angeblich russische Propaganda verbreiten würde. Das tat und tut er bis heute nicht, kann ich nur bezeugen.
Er hat eher einen kritischen Blick auf die russische Politik. Das, was er erlebte, ist nicht nur beschämend, sondern ebenso wider alle rechtsstaatlichen Regeln. Aber davon lassen wir unsere Freundschaft nicht beeinträchtigen, und so kommen wir eben nach Moskau, um ihn zu sehen – so lange das noch geht.
Der hochmoderne Stadtbezirk Moskau-City im Herbstnebel
Wie lange das noch möglich ist, ist unklar, angesichts der politischen Entwicklungen in Deutschland, wo Kanzler Friedrich Merz (CDU) Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin verfälscht und davon spricht, Deutschland müssen sich «wieder» gegen Russland verteidigen. Das wird auch in Moskau wahrgenommen und beobachtet sowie mit Kopfschütteln bedacht, wie wir in den ersten Tagen erfuhren.
Dazu gehört auch, dass wahrscheinlich erst eine andere Politik und eine Rückkehr zu einem vernünftigen Verhältnis mit Russland möglich ist, wenn die AfD mitregieren darf. Vielleicht wird diese Partei auch gebraucht, um eine Kurskorrektur begründen zu können. Denn die derzeit Regierenden scheinen dazu auch deshalb nicht in der Lage, weil sie ihr «Gesicht nicht verlieren» wollen.
Dieses gebräuchliche Argument für das Festhalten an einer gescheiterten Politik, egal welcher Schaden mit dieser angerichtet wird, zeigt aus meiner Sicht, wie asozial und gefährlich Politik ist, um es deutlich zu sagen. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem vernünftigen Verhältnis zwischen beiden Ländern gibt es aber noch bei russischen Beobachtern, wie wir erfuhren.
Eigentlich ganz normalAber zurück zum Leben in Moskau, wie wir es erlebten und sahen. Unser Hotel lag recht zentral, was die Wege kürzer machte, aber wir kamen vor allem mit der Metro immer relativ schnell dahin, wo wir hin wollen oder müssen. So zum Beispiel zu unseren Interviewterminen mit interessanten Gesprächspartnern vor allem aus dem politikwissenschaftlichen Bereich.
Genaueres kann ich dazu noch nicht preisgeben, wie ich Eva versprochen habe, die die Interviews für andere Medien führte. Die Gespräche zeigten unter anderem, dass Russland nicht auf den Westen angewiesen ist und längst nach Osten und Süden schaut, wo es neue Partner sucht und gefunden hat. Dabei wird auch ein Selbstbewusstsein deutlich, das nicht blind ist für die eigenen Probleme, aber nicht vor dem Westen in die Knie geht und nicht darum bettelt, wieder vernünftig behandelt zu werden.
Wir sahen und erlebten Menschen in Moskau, die gewissermaßen ganz normal leben, wie die in anderen Städten Europas beispielsweise auch. Auf den Rolltreppen der Metro und in den Zügen, die unter Moskau unterwegs sind, schauen die meisten auf ihre Smartphones.
Am frühen Abend auf dem Platz vor dem Tschaikowski-Konzertsaal
In den Straßen im Zentrum vor den Bürogebäuden von Firmen, Banken und Institutionen stehen die geschäftigen Menschen in ihren Raucherpausen wie anderswo auf der Welt auch – und sehen nicht anders aus als jene in Paris, London, Berlin oder wo auch immer. Sie eilen durch die Straßen, entweder unterwegs zum Termin oder erst ins Büro – immer wieder ebenso vorbei an Menschen, die zu den sogenannten Verlierern gehören.
Neben zum Teil deutlich zur Schau gestelltem Reichtum ist ebenso Armut in Moskau zu sehen, wenn auch nicht so deutlich wie beispielsweise in Berlin. Aber es gibt sie, die beiden Bettler mit ihrer wenigen Habe auf einer Bank, die Frau in einer Straße mit Geschäften und Restaurants, die um Hilfe bittet, oder die schwangere Bettlerin in einer Unterführung.
Oder die alte Frau, die von ihrer kleinen Rente von maximal umgerechnet 200 Euro nicht leben kann. Viele arbeiten deshalb noch lange im Alter, wenn sie können, während die Frau das sichtlich nicht mehr kann und die Vorbeigehenden um Geld bittet.
Die Unterschiede zwischen Arm und Reich in der russischen Hauptstadt sind erkennbar und nehmen wahrscheinlich zu. Sie zeigen sich ebenfalls dadurch, dass im Dienstleistungsbereich vor allem Menschen tätig sind, die offensichtlich als Migranten nach Russland kamen. Aber auch insofern ist Moskau «normal», denn auch das ist in westeuropäischen Haupt- und Großstädten nicht anders.
Straßenmusiker am Abend vor der Metrostation Nowokusnezkaja
Aber es gibt hier genauso Menschen wie den Transvestiten in der Metro-Station, der geschminkt auf die nächste Bahn wartet, den jungen Mann, der aus der Metro kommend schnell noch seinen kunstvoll gepflegten Schnurrbart zwirbelt oder die jungen Straßenmusiker, die meist abends vor den Metro-Stationen spielen. Es ist ein normales Leben in einer normalen Stadt, die bloß etwas größer ist – und die Hauptstadt des größten Landes der Erde ist.
Ein Honig-ParadiesEs kommt mir absurd vor, dass manche echte und eingebildete Russland-Experten dem Land vorwerfen, Großmacht sein zu wollen. Was erwarten wir den von einem Land, das so groß und so reich an Ressourcen und Potenzial ist wie Russland?
Wir waren wie schon im Mai nicht die einzigen Deutschen, die nach Moskau gekommen waren, wenn es auch dieses Mal wahrscheinlich nicht so viele waren. Wir hörten, dass zur selben Zeit wie wir der Songpoet Tino Eisbrenner in der russischen Hauptstadt war, ebenso der Historiker Alexander Rahr oder der Journalist Patrik Baab.
Wenn ich mich entscheiden muss, aus den Erlebnissen das schönste oder beste auszuwählen, fällt mir das schwer. Aber meine Wahl trifft auf den Besuch auf dem Honigmarkt im Park Kolomenskaja, auf dem wir am Sonntag (26. Oktober) waren. Wir hatten ihn zufällig am Freitag zuvor entdeckt, als wir im herbstfarbenen Park mit seinen weißen Kirchen und alten Holzgebäuden waren. An dem Tag hatten wir keine Zeit mehr, ihn uns in Ruhe anzuschauen, was wir dann am Sonntagabend darauf nachholten.
Im Honigmarkt
Ich empfehle ja sowieso allen und jedem die Reise nach Russland und nach Moskau. Wegen des Friedens und überhaupt. Und nun umso dringender – wegen des Honigmarktes.
In den neugebauten, aber historisch gestalteten Hallen und Pavillons gibt es Honig aus verschiedenen Regionen Russlands, vor allem aus Baschkirien und dem Altai-Gebiet. Wir bekamen an mehreren Ständen Kostproben von Lindenhonig, Kastanienhonig. Wildhonig, Tannenhonig, Baumwollhonig oder Taigahonig.
Es war für mich als Honigfan wie im Paradies: all die verschiedenen Sorten und ihr Aroma. Da schmeckt Honig noch nach den jeweiligen Pflanzen, bei denen die Bienen waren. Es war eine unglaubliche Vielfalt und ein unglaublicher Geschmack!
Aber ich habe jetzt noch einen Grund, wieder nach Moskau zu kommen und nicht allzu lange damit zu warten. Zu den Gründen wiederzukommen gehört neben unseren Freunden auch das, was wir alles noch nicht gesehen und erlebt haben in dieser großen Stadt.
Pünktliche Metro und preiswerte RestaurantsSie zeigte sich sehr herbstlich, auch mit kühlem Regen, nur in wenigen Momenten brach kurz die Sonne durch die Wolkendecke. Aber das minderte nicht das gute Gefühl, dort sein zu können. Gewöhnungsbedürftig war nur, herbstgemäß angezogen zu sein und dann in der Metro zu schwitzen.
Das traditionsreiche und nun 90-jährige Moskauer Transportmittel brachte uns immer schnell und pünktlich dahin, wo wir hinwollten – mit Taktzeiten von ein bis zwei Minuten. Und die alten Waggons aus Sowjetzeiten fahren immer noch so pünktlich wie die hochmodernen, gebaut in den letzten Jahren, mit ihren USB-Anschlüssen an den Sitzen und interaktiven Metro-Fahrplänen zum Nachschauen und orientieren.
Wer erleben will, wie attraktiver und fahrgastgerechter öffentlicher Nahverkehr sein kann, sollte mal nach Moskau kommen – wenn er noch nicht dort war. Der Preis für eine Fahrt, egal wie viele Stationen und wie viele Umstiege, liegt bei umgerechnet weniger als einem Euro.
Trotz der täglich Millionen Moskauer, die die Metro benutzen, sind auch immer die mehrspurigen Straßen voll. Ob PKW oder LKW, alle fahren sie auf den breiten Prospekten und großen Magistralen, ein schier nicht enden wollender Verkehr – der natürlich auch zur wenig sauberen Luft beiträgt. Immerhin gibt es neben den Straßenbahnen in Moskau auch zunehmend Elektrobusse.
Die Preise für Lebensmittel sind niedriger als in Deutschland, vielleicht um ein Drittel oder Viertel – der durchschnittliche Monatslohn in Russland liegt derzeit bei etwas über 900 Euro, in Deutschland bei um die 2500 Euro netto. Natürlich sieht das in Moskau noch einmal etwas anders aus als im Rest des großen Landes.
Das mit den Preisen gilt auch für Restaurants, wenn es nicht gerade ein angesagtes und sichtbar teures ist. Da sind für Speisen und Getränke auch schnell mal hohe westeuropäische Preise zu zahlen. Aber es gibt genügend preiswerte und gute Alternativen, ob das Grabli nahe der Metro-Station Nowokusnezkaja, das Warenitschnaja nahe der Station Tretjakowskaja mit seinen optischen Erinnerungen an den Sport der Sowjetunion oder das Kortschma ebenfalls nahe der Station Nowokusnezkaja mit seiner ukrainischen Küche. Zu empfehlen sind auch die zahlreichen Stolowajas.
Das Restaurant Kortschma nahe der Metro-Station Nowokusnezkaja
Das letztgenannte Restaurant wirbt wohl inzwischen nicht mehr mit der ukrainischen Küche, sondern mit der slawischen. Aber sonst ist neben der Speisekarte die gesamte Inneneinrichtung bis zur Bekleidung der Kellnerinnen und Kellner eine Reminiszenz an das Nachbarland, in dem der Westen Krieg gegen Russland führen lässt.
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Teil 3 folgt am Donnerstag.
Berichte vom Mai 2025:
Ausgestreckte Hände – Bericht aus Moskau Teil 1
Zwischen Arie und Anklage – Anna Netrebko trotzt der Cancel-Clique
Der Auftritt von Anna Netrebko in Verdis La forza del destino am Opernhaus Zürich am 27. Oktober (fünf weitere Vorstellungen geplant) war weit mehr als ein musikalisches Ereignis. Es war ein politischer Moment – ein Lehrstück über Mut, Freiheit und die dünne Schicht bürgerlicher Zivilisation, die allzu rasch in Empörungsrhetorik und Empörungsbewirtschaftung umschlägt.
Schon im Vorfeld hatte sich ein orchestriertes Kesseltreiben gegen die russische Sopranistin entfaltet. Teile der Medien, politische Stimmen und diplomatische Vertreter forderten lautstark, Netrebko dürfe in der Schweiz nicht auftreten. Besonders aktiv war die ukrainische Botschafterin Iryna Venediktova, die offen auf ein Auftrittsverbot drängte. Unterstützt wurde sie von bekannten Namen aus Politik und Gesellschaft – darunter Berns Sicherheitsdirektor Alec von Graffenried und die ehemalige FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, die eine Petition gegen die Künstlerin unterzeichneten.
Was als moralischer Appell getarnt war, entpuppte sich als kulturpolitische Hexenjagd. Eine Opernsängerin sollte für die Verbrechen eines Regimes büßen, von dem sie sich längst distanziert hatte. Dass Netrebko nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bereits öffentlich den Krieg verurteilt hatte, interessierte kaum jemanden. Der mediale Reflex war stärker als die Fakten.
Am Ende standen keine Demonstrationen von Tausenden, sondern ein kleines Grüppchen Aktivisten vor dem Opernhaus. Drinnen jedoch tobte das Publikum – vor Begeisterung. Doch die Szene, die sich hinter den Kulissen abspielte, war bezeichnend für den Zustand westlicher Debattenkultur: Eine Sängerin, begleitet von Bodyguards, geschützt wie ein Staatsgast, nur weil sie wagt, Kunst zu machen.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist nicht allein den Aktivisten zuzuschreiben, sondern einem Medienklima, das sich der moralischen Aufrüstung verschrieben hat (nicht so auf der Plattform J, wo der profilierte Kulturjournalist Peter Wäch schreibt). Öffentlich-rechtliche Sender und große Zeitungen hatten die Stimmung wochenlang angeheizt – mit Fragen nach politischer Haltung statt musikalischer Qualität.
Dem neuen Zürcher Opernhausdirektor Matthias Schulz gebührt in dieser Situation besonderes Lob. Er widerstand dem Druck, den Auftritt abzusagen, und setzte ein Zeichen für künstlerische Freiheit. Es war, so der Tenor vieler Beobachter, eine Haltung, die man sich auch von Teilen der Schweizer Politik wünschen würde – dort, wo ein woker Windhauch oft genügt, um Prinzipien zu verwerfen.
Schulz' Entscheidung wurde belohnt: Das Publikum feierte Netrebko mit stehenden Ovationen, minutenlangem Applaus und Bravorufen. Kein einziges Buh war zu hören – dafür ein kollektiver Befreiungsmoment. Es war, als ob die Zuschauer der Schweiz beweisen wollten, dass Kunst noch immer über Kampagnen steht.
Die Inszenierung von Valentina Carrasco verlagerte Verdis Werk in die Schweiz des Jahres 2025 – in ein Land im Ausnahmezustand, zwischen zerstörten Versicherungszentralen und UNO-Ruinen. Auf der Bühne herrschte Krieg – fiktiv, pathetisch, überzeichnet. Doch der eigentliche Krieg spielte sich im gesellschaftlichen Raum ab: zwischen Freiheit und Moralismus, zwischen Kunst und Gesinnung.
Carrascos Versuch, Verdis Forza als Allegorie auf das heutige Europa zu lesen, wirkte streckenweise unbeholfen. Drohnen, Trümmer, Uniformen – all das war Theater, kein Realismus. Doch über diesen szenischen Schwächen thronte eine musikalische Größe, die jede politische Aufladung überstrahlte: Anna Netrebko als Donna Leonora.
Netrebko, 54, ist eine Künstlerin, die sich nicht versteckt. Ihr dunkler, samtener Sopran, die emotionale Tiefe und technische Präzision ihrer Darbietung ließen keinen Zweifel: Hier stand eine der größten Sängerinnen unserer Zeit auf der Bühne. Nach «Son giunta!» im zweiten Akt explodierte der Saal – ein Moment, der zeigte, dass Kunst noch immer stärker ist als jede Kampagne.
Ihr Auftritt wurde zu einem Symbol. Er zeigte, dass das Publikum zwischen Politik und Poesie unterscheiden kann. Dass Vergebung und Freiheit noch Werte sind, die zählen. Und dass das westliche Bedürfnis, Menschen auf Linie zu bringen, dort an seine Grenzen stößt, wo wahre Kunst beginnt.
Der Abend offenbarte ein Paradox: Während auf der Bühne Bomben fielen, spielte sich vor dem Opernhaus das viel größere Drama ab – das Ringen um Meinungsfreiheit. Eine Sängerin musste gegen ein Klima der Einschüchterung ansingen, gegen das Schweigen jener, die von sich behaupten, tolerant zu sein.
Der Fall Netrebko steht exemplarisch für eine Zeit, in der Moralpolitik und Cancel Culture an die Stelle von Argument und Kunstverständnis treten. Die Schweiz, lange stolz auf Liberalität und Neutralität, zeigte in diesem Fall, wie schnell auch sie in den Strudel der ideologischen Empörung geraten kann.
Die eigentliche Botschaft des Abends kam nicht aus dem Orchestergraben, sondern von der Bühne selbst: Freiheit beginnt da, wo Kunst sich nicht rechtfertigen muss. La forza del destino – die Macht des Schicksals – bekam in Zürich eine neue Bedeutung. Das Schicksal, so schien es, hat entschieden: gegen Cancel Culture, für Kultur.
Anna Netrebko hat an diesem Abend nicht nur Verdi gesungen. Sie hat – ganz ohne Worte – eine politische Rede gehalten. Eine Arie für die Freiheit, lauter als jede Petition.
Wolf im Schafspelz: EU höhlt mit Medienfreiheitsgesetz in verfassungswidriger Weise Quellenschutz aus
Was in autoritären Regimen mit dem Maschinengewehr geschieht, erledigt Brüssel mit dem Gesetzestext. Wer diesen Satz für überzogen hält, sollte sich den neuen Artikel 4 des EU-Medienfreiheitsgesetzes genau ansehen.
Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Meilenstein des Presseschutzes: Kein Zwang zur Offenlegung von Quellen, keine Überwachung von Journalisten, kein Einsatz von Spähsoftware gegen Redaktionen – so lauten die wohlklingenden Versprechen. Doch wer genau liest, erkennt: Der eigentliche Schutz endet dort, wo es politisch heikel wird. Und dann wird aus dem angeblichen Schutzschild ein trojanisches Pferd.
Die Ausnahme wird zur RegelDer zentrale Schutzparagraph des EU-Medienfreiheitsgesetzes ist auf dem Papier eindeutig – und in der Praxis wirkungslos. Denn er enthält eine weitreichende Ausnahmeregel: Wenn es im «überwiegenden öffentlichen Interesse» liegt, dürfen Journalisten sehr wohl überwacht, ihre Quellen ausgespäht, ihre Wohnungen durchsucht und ihre Kommunikationsmittel infiltriert werden.
Der Einsatz «intrusiver Überwachungssoftware» – gemeint ist Pegasus und alles, was ähnlich funktioniert – ist ausdrücklich erlaubt, sofern ein «überwiegender Grund» vorliegt und irgendein Gericht im Nachgang zustimmt. Was genau dieses «überwiegende Interesse» ist, bleibt bewusst unklar. Es wird nicht definiert, nicht begrenzt, nicht überprüft.
Die Tür steht offen – und alles hängt an der Auslegung durch die politische oder juristische Instanz, die gerade an der Macht ist. Und wo Auslegungsspielraum besteht, wird er auch genutzt. Das ist keine Spekulation, sondern politische Realität. Von Frankreichs Anti-Terror-Gesetzen bis zu Deutschlands Gummiparagrafen wie §129b – überall sehen wir, wie einstige Ausnahmen zum Alltag wurden.
Kein autoritärer Staat nötigMan braucht keinen autoritären Staat, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es reicht ein demokratischer Staat mit einem Machtapparat, der den Journalismus nicht mehr als Kontrollinstanz, sondern als Störfaktor betrachtet. Und ein Gesetz, das diesen Apparat ermächtigt, sobald er es für nötig hält.
Wer ein solches Gesetz konstruiert, tut das nicht zufällig. Niemand wacht morgens auf und denkt sich einen Text wie diesen aus. Dahinter steckt politisches Kalkül, Erfahrung aus der Vergangenheit – und vielleicht sogar Vorbereitung auf die Zukunft. Wer sich heute rechtlich absichert, plant für den Ernstfall. Und der Ernstfall ist aus Sicht der Macht: Wenn Journalisten Dinge herausfinden, die sie besser nicht wüssten.
Das Gefährliche ist die demokratische Fassade. Es gibt einen Gesetzestext, ein Verfahren, eine richterliche Kontrolle – zumindest auf dem Papier. Doch wenn die Kriterien unklar sind, die richterliche Prüfung auch nachträglich erfolgen darf und die Beweislast praktisch beim Journalisten liegt, dann ist das kein Schutz, sondern ein Alibi.
Systemische Macht statt VerschwörungEs braucht keine Verschwörung, keine Schattenregierung, keinen Geheimplan. Es reicht ein System, in dem politische, sicherheitspolitische und administrative Interessen still ineinandergreifen. Niemand muss böse Absichten haben – es genügt der Wunsch, jederzeit handlungsfähig zu bleiben. Und wenn dabei ein Grundpfeiler der Demokratie – die Pressefreiheit – geschwächt wird, dann ist das eben der Preis.
Die juristische Sprache macht den Angriff unsichtbar. Er kommt nicht in Uniform, sondern im Aktenkoffer. So ein Gesetzestext entsteht nicht aus Versehen. Da sitzen Juristen, Beamte, Politiker, Referenten. Die formulieren bewusst, prüfen bewusst, und sie lassen bewusst diese Gummiparagraphen drin. Das wird diskutiert, angepasst, gegengelesen – und trotzdem verabschiedet.
Und das bedeutet: Mehrere Personen in Machtpositionen sind damit einverstanden, ein Werkzeug in die Welt zu setzen, mit dem man Journalisten im Zweifel verhaften, überwachen, ruinieren kann – und das ganz legal.
Ein Angriff auf das demokratische FundamentDer Journalismus ist nicht einfach «Meinungsäußerung», sondern eine der tragenden Säulen der Gewaltenteilung. Wenn man ihn unter Kontrolle bringt, bricht das Kontrollsystem zusammen. Dann wird nicht mehr kontrolliert – sondern nur noch verwaltet.
Die Beispiele sind keine Einzelfälle. Ob Ken Jebsen, Alina Lipp, Torsten Röper oder Michael Ballweg – man kann über einzelne inhaltlich streiten. Aber entscheidend ist: Die Maßnahmen sind nicht verhältnismäßig. Sie sind repressiv, einschüchternd, existenzvernichtend.
Und sie folgen einem Muster: Wer zu laut, zu unbequem, zu unabhängig berichtet, bekommt Besuch. Vom Staat. Von der Justiz. Vom Bankensystem. Oder direkt vom Verfassungsschutz.
- Ken Jebsen – öffentlich diskreditiert, finanziell blockiert, medial verbannt.
- Michael Ballweg – über ein Jahr in Untersuchungshaft, ohne Urteil, wegen angeblicher Spendenunregelmäßigkeiten, mittlerweile von Amnesty International als problematischer Fall dokumentiert.
- Alina Lipp – aus Deutschland verjagt, Konten gesperrt, weil sie aus prorussischer Perspektive über den Ukrainekrieg berichtete.
- Thomas Röper – mit Reisesperren und Zahlungsblockaden belegt, weil er in Russland lebt und arbeitet.
Und dann kommt das perfideste Element: Die breite Öffentlichkeit schweigt. Weil sie denkt: «Naja, der war ja auch etwas extrem» – oder: «Irgendwas wird schon dran sein.» Aber die Botschaft ist klar: «Wenn du dich zu weit rauslehnst, bist du der Nächste.»
Angriff auf die freiheitlich-demokratische GrundordnungWas hier zur Debatte steht, ist mehr als ein politischer Fehlgriff. Es ist ein direkter Angriff auf das Fundament, auf dem Demokratien wie Deutschland ruhen: die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO). Diese Ordnung – kodifiziert und geschützt im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – bildet das Herzstück der deutschen Staatsidentität.
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 1 Absatz 1 die Unantastbarkeit der Menschenwürde – und verpflichtet alle staatliche Gewalt zu ihrem Schutz. In Artikel 5 Absatz 1 wird die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung ausdrücklich garantiert – ohne Zensur. Diese Rechte gelten nicht als freundliche Zugeständnisse, sondern als unveräußerliche Abwehrrechte gegen den Staat.
Auch das Bundesverfassungsschutzgesetz ist eindeutig. In § 4 Absatz 2 heißt es:
«Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind insbesondere solche, die darauf abzielen, die im Grundgesetz konkretisierten Grundprinzipien zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.»
Diese Grundprinzipien sind laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem: die Menschenwürde (Art. 1 GG), die Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 1 GG), die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte – und eben auch: die Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse.
Ein Gesetz, das diesen Bereich unterminiert – indem es Pressefreiheit relativiert, Quellenschutz unter Vorbehalt stellt und die staatliche Überwachung journalistischer Arbeit legalisiert –, bewegt sich daher nicht mehr im verfassungsmäßigen Rahmen, sondern verletzt ihn strukturell.
Die große Ironie ist: Würde ein Bürgerverein oder eine Partei ein solches Gesetz vorschlagen, das Journalisten überwachen und bestrafen darf, wäre der Verfassungsschutz sofort zur Stelle. Doch wenn die gleiche Maßnahme von Regierungsebene kommt, wird sie als Fortschritt verkauft. Dabei erfüllt genau dieses Vorgehen – laut Definition des BVerfSchG – alle Kriterien einer verfassungsfeindlichen Bestrebung.
Kein Einzelfall – eine politische LinieDer EU-Medienfreiheitsakt ist kein isoliertes Problem. Er reiht sich ein in eine Kette von Gesetzen, Verordnungen und politischen Maßnahmen, die seit Jahren in dieselbe Richtung zielen: Mehr Kontrolle, mehr Überwachung, weniger Freiheit. Bereits vor Jahren wurde in mehreren Bundesländern das sogenannte «Polizeiaufgabengesetz» massiv verschärft.
In Bayern beispielsweise wurde 2018 der Begriff der «drohenden Gefahr» eingeführt (Bayerisches Polizeiaufgabengesetz). Dies ermöglicht eine präventive Ingewahrsamnahme ohne richterlichen Beschluss, ursprünglich bis zu 30 Tage, mittlerweile potenziell unbegrenzt verlängerbar – ein direkter Bruch mit dem Grundprinzip der Unschuldsvermutung.
Dann kam der Digital Services Act (DSA). Offiziell ein Gesetz zur besseren Regulierung großer Plattformen, enthält er in Wahrheit Möglichkeiten zur massiven Einschränkung der Meinungsfreiheit. Plattformen können verpflichtet werden, Inhalte zu löschen – nicht nur auf richterliche Anordnung, sondern auch auf Zuruf staatlicher Stellen. Was gelöscht wird, entscheiden keine Gerichte – sondern oft Algorithmen oder politische Stellen im Schnellverfahren.
Auch die kommenden Data Governance Acts und KI-Verordnungen der EU gehen in diese Richtung. Sie sollen Daten zentral erfassen, zugänglich machen und technisch regulieren. Mit jeder neuen Verordnung entsteht ein Netzwerk aus Zugriffsrechten, Pflichten zur Offenlegung und der Möglichkeit zur Echtzeitüberwachung.
Gleiches gilt für die geplante digitale Identität und das EU-ID-Wallet. Wer künftig seinen Führerschein, seinen Personalausweis, seinen Impfpass und seine Bankverbindung digital in einem zentralen System verwalten muss, ist komplett angreifbar. Ein falsches Wort, eine unliebsame Veröffentlichung – und das digitale Konto wird gesperrt, der Reisepass deaktiviert, der Zugriff auf Behördenleistungen unterbrochen.
All das ließe sich mit einem Knopfdruck technisch umsetzen – und die rechtlichen Rahmen dafür werden gerade geschaffen. Und auch die Vorratsdatenspeicherung ist Teil dieser Entwicklung. Trotz des Urteils des EuGH vom 20. September 2022, das die pauschale Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten als nicht mit EU-Recht vereinbar erklärt hat, bleiben bestimmte Ausnahmen erlaubt – und damit Raum für nationale Gesetze unter dem Deckmantel der «Gefahrabwehr».
Wer glaubt, die schrittweise Beschneidung von Rechten sei nur Zufall oder Reaktion auf äußere Umstände, der hat das Gesamtbild nicht erkannt. Es geht nicht mehr um Einzelfälle – es geht um eine politische Richtung. Und die zeigt ganz klar: Weniger Kontrolle der Macht. Mehr Kontrolle über den Bürger.
Geschichte wiederholt sich – nur digitalWas wir heute erleben, ist nicht ohne Vorbild. Die Geschichte kennt zahlreiche Beispiele, in denen Freiheitsrechte nicht über Nacht abgeschafft, sondern Stück für Stück ausgehöhlt wurden – immer mit «Notwendigkeit» und «öffentlichem Interesse» als Begründung. Die späte Weimarer Republik war von Notverordnungen geprägt. Auf Basis von Artikel 48 der Weimarer Verfassung konnte der Reichspräsident Grundrechte außer Kraft setzen.
Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde die berüchtigte Reichstagsbrandverordnung erlassen. Sie setzte die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Brief- und Fernmeldegeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und die Eigentumsgarantie außer Kraft.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde in den USA der USA PATRIOT Act verabschiedet (Public Law 107-56, 2001). Er erweiterte die Befugnisse von FBI, CIA und NSA massiv – inklusive Zugriff auf Finanz- und Kommunikationsdaten ohne richterliche Genehmigung, verdeckte Ermittlungen und dauerhafte Überwachung.
Whistleblower Edward Snowden deckte später auf, dass die NSA systematisch Metadaten, Telefonverbindungen und E-Mails weltweit abgriff – auch bei unverdächtigen Bürgern (The Guardian, NSA Files, 2013).
Die DDR erklärte sich in ihrer Verfassung als «freiheitlich-sozialistischer Staat» – doch die Realität sah anders aus: Zensurgesetze, keine unabhängigen Medien, die Stasi mit mehr als 90.000 hauptamtlichen und 180.000 inoffiziellen Mitarbeitern. Ziel: totale Kontrolle über Kommunikation, Gedanken, Loyalitäten.
Was früher mit Uniform und Schreibmaschine umgesetzt wurde, läuft heute über Software, Plattformrichtlinien, KI und Zugriffsgesetze. Die Wirkung bleibt dieselbe: Kontrolle. Nur der Stil ist smarter. Legal. Digital. Kontrolliert. Was sich hier abzeichnet, ist ein systemischer Umbau – ein leiser, aber präzise gesteuerter Machtwandel, der tief in die DNA europäischer Demokratien eingreift.
Jedes Gesetz für sich mag noch diskutierbar erscheinen. Doch im Zusammenspiel formt sich ein autoritäres Werkzeugset, das in seiner Wirkung alles sprengt, was sich einmal freiheitlich-demokratische Grundordnung nannte. Ein Gesetz erlaubt, Menschen ohne Urteil wegzusperren. Ein anderes verpflichtet Plattformen, missliebige Inhalte zu löschen. Ein drittes speichert jeden digitalen Schritt auf Vorrat. Ein viertes digitalisiert unsere gesamte Identität – und macht sie damit zentral steuerbar. Und nun ein Medienfreiheitsgesetz, das in Wahrheit den Quellenschutz zur Disposition stellt.
Was hier gebaut wird, ist kein Schutzraum für Demokratie – sondern ein digitales Unterdrückungssystem mit Rechtsrahmen. Um es mit den Worten des niederländischen Historiker Kees van der Pijl, der als emeritierter Politikwissenschaftler unter anderem die Globalisierung und ihre Herrschaftsmechanismen analysierte, zu sagen (siehe hier und hier):
«Was sich vor unseren Augen abspielt, ist der schrittweise Austausch des westlichen Liberalismus gegen eine autoritäre Staats- und Gesellschaftsstruktur.»
Der autoritäre Staat der Zukunft braucht keine Stiefel mehr. Er kommt in Anzug und Krawatte, mit einem Laptop unterm Arm – und mit einem angeblichen Schutzgesetz in der Hand. Die Kontrolle wird nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Daten, Gesetze und Algorithmen ausgeübt. Widerstand wird nicht mehr niedergeknüppelt, sondern ausgeloggt, gelöscht, entmonetarisiert.
Wer unbequem ist, verschwindet aus dem digitalen Raum – und damit aus dem gesellschaftlichen Diskurs. Die größte Gefahr ist nicht, dass dieses System kommt. Die größte Gefahr ist, dass es schon da ist – und die meisten es nicht bemerken. Deshalb braucht es jetzt Öffentlichkeit, Widerspruch, Aufklärung. Denn wer in einem System lebt, das jederzeit abschalten kann, was du bist, weißt oder sagst, lebt nicht mehr in Freiheit. Sondern in einer kontrollierten Simulation davon.
Und genau davor sollten wir uns schützen.
QuellenRechtliche Grundlagen
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)
- Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG)
- Freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO)
- Digital Services Act (EU) 2022/2065
- Data Governance Act (EU) 2022/868
- EU-Verordnung über digitale Identität COM(2021) 281
- KI-Verordnung (Entwurf 2021/0106)
- Digitale Identität und das EU-ID-Wallet (Vorschlag COM(2021) 281)
- EuGH-Urteil vom 20. September 2022 zur Vorratsdatenspeicherung (C-793/19 und C-794/19)
- BVerfGE 2, 1 (KPD-Verbotsverfahren)
- BVerfGE 28, 36 (Radikalenerlass-Urteil)
- Reichstagsbrandverordnung (1933)
- USA PATRIOT Act (Public Law 107-56, 2001)
- The Guardian: NSA Files (Snowden Dossier, 2013)
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Michael Hollister analysiert seit vielen Jahren die globalen Machtstrukturen hinter Politik und Wirtschaft. Sein Schwerpunkt liegt auf geopolitischen Strategien, einflussreichen Netzwerken und den historischen Wurzeln heutiger Konflikte. Seine Analysen veröffentlicht er zweisprachig – auf Deutsch und Englisch – unter www.michael-hollister.com.
Wolf im Schafspelz: EU höhlt mit Medienfreiheitsgesetz in verfassungswidriger Weise Quellenschutz aus
Was in autoritären Regimen mit dem Maschinengewehr geschieht, erledigt Brüssel mit dem Gesetzestext. Wer diesen Satz für überzogen hält, sollte sich den neuen Artikel 4 des EU-Medienfreiheitsgesetzes genau ansehen.
Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Meilenstein des Presseschutzes: Kein Zwang zur Offenlegung von Quellen, keine Überwachung von Journalisten, kein Einsatz von Spähsoftware gegen Redaktionen – so lauten die wohlklingenden Versprechen. Doch wer genau liest, erkennt: Der eigentliche Schutz endet dort, wo es politisch heikel wird. Und dann wird aus dem angeblichen Schutzschild ein trojanisches Pferd.
Die Ausnahme wird zur RegelDer zentrale Schutzparagraph des EU-Medienfreiheitsgesetzes ist auf dem Papier eindeutig – und in der Praxis wirkungslos. Denn er enthält eine weitreichende Ausnahmeregel: Wenn es im «überwiegenden öffentlichen Interesse» liegt, dürfen Journalisten sehr wohl überwacht, ihre Quellen ausgespäht, ihre Wohnungen durchsucht und ihre Kommunikationsmittel infiltriert werden.
Der Einsatz «intrusiver Überwachungssoftware» – gemeint ist Pegasus und alles, was ähnlich funktioniert – ist ausdrücklich erlaubt, sofern ein «überwiegender Grund» vorliegt und irgendein Gericht im Nachgang zustimmt. Was genau dieses «überwiegende Interesse» ist, bleibt bewusst unklar. Es wird nicht definiert, nicht begrenzt, nicht überprüft.
Die Tür steht offen – und alles hängt an der Auslegung durch die politische oder juristische Instanz, die gerade an der Macht ist. Und wo Auslegungsspielraum besteht, wird er auch genutzt. Das ist keine Spekulation, sondern politische Realität. Von Frankreichs Anti-Terror-Gesetzen bis zu Deutschlands Gummiparagrafen wie §129b – überall sehen wir, wie einstige Ausnahmen zum Alltag wurden.
Kein autoritärer Staat nötigMan braucht keinen autoritären Staat, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es reicht ein demokratischer Staat mit einem Machtapparat, der den Journalismus nicht mehr als Kontrollinstanz, sondern als Störfaktor betrachtet. Und ein Gesetz, das diesen Apparat ermächtigt, sobald er es für nötig hält.
Wer ein solches Gesetz konstruiert, tut das nicht zufällig. Niemand wacht morgens auf und denkt sich einen Text wie diesen aus. Dahinter steckt politisches Kalkül, Erfahrung aus der Vergangenheit – und vielleicht sogar Vorbereitung auf die Zukunft. Wer sich heute rechtlich absichert, plant für den Ernstfall. Und der Ernstfall ist aus Sicht der Macht: Wenn Journalisten Dinge herausfinden, die sie besser nicht wüssten.
Das Gefährliche ist die demokratische Fassade. Es gibt einen Gesetzestext, ein Verfahren, eine richterliche Kontrolle – zumindest auf dem Papier. Doch wenn die Kriterien unklar sind, die richterliche Prüfung auch nachträglich erfolgen darf und die Beweislast praktisch beim Journalisten liegt, dann ist das kein Schutz, sondern ein Alibi.
Systemische Macht statt VerschwörungEs braucht keine Verschwörung, keine Schattenregierung, keinen Geheimplan. Es reicht ein System, in dem politische, sicherheitspolitische und administrative Interessen still ineinandergreifen. Niemand muss böse Absichten haben – es genügt der Wunsch, jederzeit handlungsfähig zu bleiben. Und wenn dabei ein Grundpfeiler der Demokratie – die Pressefreiheit – geschwächt wird, dann ist das eben der Preis.
Die juristische Sprache macht den Angriff unsichtbar. Er kommt nicht in Uniform, sondern im Aktenkoffer. So ein Gesetzestext entsteht nicht aus Versehen. Da sitzen Juristen, Beamte, Politiker, Referenten. Die formulieren bewusst, prüfen bewusst, und sie lassen bewusst diese Gummiparagraphen drin. Das wird diskutiert, angepasst, gegengelesen – und trotzdem verabschiedet.
Und das bedeutet: Mehrere Personen in Machtpositionen sind damit einverstanden, ein Werkzeug in die Welt zu setzen, mit dem man Journalisten im Zweifel verhaften, überwachen, ruinieren kann – und das ganz legal.
Ein Angriff auf das demokratische FundamentDer Journalismus ist nicht einfach «Meinungsäußerung», sondern eine der tragenden Säulen der Gewaltenteilung. Wenn man ihn unter Kontrolle bringt, bricht das Kontrollsystem zusammen. Dann wird nicht mehr kontrolliert – sondern nur noch verwaltet.
Die Beispiele sind keine Einzelfälle. Ob Ken Jebsen, Alina Lipp, Torsten Röper oder Michael Ballweg – man kann über einzelne inhaltlich streiten. Aber entscheidend ist: Die Maßnahmen sind nicht verhältnismäßig. Sie sind repressiv, einschüchternd, existenzvernichtend.
Und sie folgen einem Muster: Wer zu laut, zu unbequem, zu unabhängig berichtet, bekommt Besuch. Vom Staat. Von der Justiz. Vom Bankensystem. Oder direkt vom Verfassungsschutz.
- Ken Jebsen – öffentlich diskreditiert, finanziell blockiert, medial verbannt.
- Michael Ballweg – über ein Jahr in Untersuchungshaft, ohne Urteil, wegen angeblicher Spendenunregelmäßigkeiten, mittlerweile von Amnesty International als problematischer Fall dokumentiert.
- Alina Lipp – aus Deutschland verjagt, Konten gesperrt, weil sie aus prorussischer Perspektive über den Ukrainekrieg berichtete.
- Torsten Röper – mit Reisesperren und Zahlungsblockaden belegt, weil er in Russland lebt und arbeitet.
Und dann kommt das perfideste Element: Die breite Öffentlichkeit schweigt. Weil sie denkt: «Naja, der war ja auch etwas extrem» – oder: «Irgendwas wird schon dran sein.» Aber die Botschaft ist klar: «Wenn du dich zu weit rauslehnst, bist du der Nächste.»
Angriff auf die freiheitlich-demokratische GrundordnungWas hier zur Debatte steht, ist mehr als ein politischer Fehlgriff. Es ist ein direkter Angriff auf das Fundament, auf dem Demokratien wie Deutschland ruhen: die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO). Diese Ordnung – kodifiziert und geschützt im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – bildet das Herzstück der deutschen Staatsidentität.
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 1 Absatz 1 die Unantastbarkeit der Menschenwürde – und verpflichtet alle staatliche Gewalt zu ihrem Schutz. In Artikel 5 Absatz 1 wird die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung ausdrücklich garantiert – ohne Zensur. Diese Rechte gelten nicht als freundliche Zugeständnisse, sondern als unveräußerliche Abwehrrechte gegen den Staat.
Auch das Bundesverfassungsschutzgesetz ist eindeutig. In § 4 Absatz 2 heißt es:
«Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind insbesondere solche, die darauf abzielen, die im Grundgesetz konkretisierten Grundprinzipien zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.»
Diese Grundprinzipien sind laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem: die Menschenwürde (Art. 1 GG), die Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 1 GG), die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte – und eben auch: die Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse.
Ein Gesetz, das diesen Bereich unterminiert – indem es Pressefreiheit relativiert, Quellenschutz unter Vorbehalt stellt und die staatliche Überwachung journalistischer Arbeit legalisiert –, bewegt sich daher nicht mehr im verfassungsmäßigen Rahmen, sondern verletzt ihn strukturell.
Die große Ironie ist: Würde ein Bürgerverein oder eine Partei ein solches Gesetz vorschlagen, das Journalisten überwachen und bestrafen darf, wäre der Verfassungsschutz sofort zur Stelle. Doch wenn die gleiche Maßnahme von Regierungsebene kommt, wird sie als Fortschritt verkauft. Dabei erfüllt genau dieses Vorgehen – laut Definition des BVerfSchG – alle Kriterien einer verfassungsfeindlichen Bestrebung.
Kein Einzelfall – eine politische LinieDer EU-Medienfreiheitsakt ist kein isoliertes Problem. Er reiht sich ein in eine Kette von Gesetzen, Verordnungen und politischen Maßnahmen, die seit Jahren in dieselbe Richtung zielen: Mehr Kontrolle, mehr Überwachung, weniger Freiheit. Bereits vor Jahren wurde in mehreren Bundesländern das sogenannte «Polizeiaufgabengesetz» massiv verschärft.
In Bayern beispielsweise wurde 2018 der Begriff der «drohenden Gefahr» eingeführt (Bayerisches Polizeiaufgabengesetz). Dies ermöglicht eine präventive Ingewahrsamnahme ohne richterlichen Beschluss, ursprünglich bis zu 30 Tage, mittlerweile potenziell unbegrenzt verlängerbar – ein direkter Bruch mit dem Grundprinzip der Unschuldsvermutung.
Dann kam der Digital Services Act (DSA). Offiziell ein Gesetz zur besseren Regulierung großer Plattformen, enthält er in Wahrheit Möglichkeiten zur massiven Einschränkung der Meinungsfreiheit. Plattformen können verpflichtet werden, Inhalte zu löschen – nicht nur auf richterliche Anordnung, sondern auch auf Zuruf staatlicher Stellen. Was gelöscht wird, entscheiden keine Gerichte – sondern oft Algorithmen oder politische Stellen im Schnellverfahren.
Auch die kommenden Data Governance Acts und KI-Verordnungen der EU gehen in diese Richtung. Sie sollen Daten zentral erfassen, zugänglich machen und technisch regulieren. Mit jeder neuen Verordnung entsteht ein Netzwerk aus Zugriffsrechten, Pflichten zur Offenlegung und der Möglichkeit zur Echtzeitüberwachung.
Gleiches gilt für die geplante digitale Identität und das EU-ID-Wallet. Wer künftig seinen Führerschein, seinen Personalausweis, seinen Impfpass und seine Bankverbindung digital in einem zentralen System verwalten muss, ist komplett angreifbar. Ein falsches Wort, eine unliebsame Veröffentlichung – und das digitale Konto wird gesperrt, der Reisepass deaktiviert, der Zugriff auf Behördenleistungen unterbrochen.
All das ließe sich mit einem Knopfdruck technisch umsetzen – und die rechtlichen Rahmen dafür werden gerade geschaffen. Und auch die Vorratsdatenspeicherung ist Teil dieser Entwicklung. Trotz des Urteils des EuGH vom 20. September 2022, das die pauschale Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten als nicht mit EU-Recht vereinbar erklärt hat, bleiben bestimmte Ausnahmen erlaubt – und damit Raum für nationale Gesetze unter dem Deckmantel der «Gefahrabwehr».
Wer glaubt, die schrittweise Beschneidung von Rechten sei nur Zufall oder Reaktion auf äußere Umstände, der hat das Gesamtbild nicht erkannt. Es geht nicht mehr um Einzelfälle – es geht um eine politische Richtung. Und die zeigt ganz klar: Weniger Kontrolle der Macht. Mehr Kontrolle über den Bürger.
Geschichte wiederholt sich – nur digitalWas wir heute erleben, ist nicht ohne Vorbild. Die Geschichte kennt zahlreiche Beispiele, in denen Freiheitsrechte nicht über Nacht abgeschafft, sondern Stück für Stück ausgehöhlt wurden – immer mit «Notwendigkeit» und «öffentlichem Interesse» als Begründung. Die späte Weimarer Republik war von Notverordnungen geprägt. Auf Basis von Artikel 48 der Weimarer Verfassung konnte der Reichspräsident Grundrechte außer Kraft setzen.
Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde die berüchtigte Reichstagsbrandverordnung erlassen. Sie setzte die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Brief- und Fernmeldegeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und die Eigentumsgarantie außer Kraft.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde in den USA der USA PATRIOT Act verabschiedet (Public Law 107-56, 2001). Er erweiterte die Befugnisse von FBI, CIA und NSA massiv – inklusive Zugriff auf Finanz- und Kommunikationsdaten ohne richterliche Genehmigung, verdeckte Ermittlungen und dauerhafte Überwachung.
Whistleblower Edward Snowden deckte später auf, dass die NSA systematisch Metadaten, Telefonverbindungen und E-Mails weltweit abgriff – auch bei unverdächtigen Bürgern (The Guardian, NSA Files, 2013).
Die DDR erklärte sich in ihrer Verfassung als «freiheitlich-sozialistischer Staat» – doch die Realität sah anders aus: Zensurgesetze, keine unabhängigen Medien, die Stasi mit mehr als 90.000 hauptamtlichen und 180.000 inoffiziellen Mitarbeitern. Ziel: totale Kontrolle über Kommunikation, Gedanken, Loyalitäten.
Was früher mit Uniform und Schreibmaschine umgesetzt wurde, läuft heute über Software, Plattformrichtlinien, KI und Zugriffsgesetze. Die Wirkung bleibt dieselbe: Kontrolle. Nur der Stil ist smarter. Legal. Digital. Kontrolliert. Was sich hier abzeichnet, ist ein systemischer Umbau – ein leiser, aber präzise gesteuerter Machtwandel, der tief in die DNA europäischer Demokratien eingreift.
Jedes Gesetz für sich mag noch diskutierbar erscheinen. Doch im Zusammenspiel formt sich ein autoritäres Werkzeugset, das in seiner Wirkung alles sprengt, was sich einmal freiheitlich-demokratische Grundordnung nannte. Ein Gesetz erlaubt, Menschen ohne Urteil wegzusperren. Ein anderes verpflichtet Plattformen, missliebige Inhalte zu löschen. Ein drittes speichert jeden digitalen Schritt auf Vorrat. Ein viertes digitalisiert unsere gesamte Identität – und macht sie damit zentral steuerbar. Und nun ein Medienfreiheitsgesetz, das in Wahrheit den Quellenschutz zur Disposition stellt.
Was hier gebaut wird, ist kein Schutzraum für Demokratie – sondern ein digitales Unterdrückungssystem mit Rechtsrahmen. Um es mit den Worten des niederländischen Historiker Kees van der Pijl, der als emeritierter Politikwissenschaftler unter anderem die Globalisierung und ihre Herrschaftsmechanismen analysierte, zu sagen (siehe hier und hier):
«Was sich vor unseren Augen abspielt, ist der schrittweise Austausch des westlichen Liberalismus gegen eine autoritäre Staats- und Gesellschaftsstruktur.»
Der autoritäre Staat der Zukunft braucht keine Stiefel mehr. Er kommt in Anzug und Krawatte, mit einem Laptop unterm Arm – und mit einem angeblichen Schutzgesetz in der Hand. Die Kontrolle wird nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Daten, Gesetze und Algorithmen ausgeübt. Widerstand wird nicht mehr niedergeknüppelt, sondern ausgeloggt, gelöscht, entmonetarisiert.
Wer unbequem ist, verschwindet aus dem digitalen Raum – und damit aus dem gesellschaftlichen Diskurs. Die größte Gefahr ist nicht, dass dieses System kommt. Die größte Gefahr ist, dass es schon da ist – und die meisten es nicht bemerken. Deshalb braucht es jetzt Öffentlichkeit, Widerspruch, Aufklärung. Denn wer in einem System lebt, das jederzeit abschalten kann, was du bist, weißt oder sagst, lebt nicht mehr in Freiheit. Sondern in einer kontrollierten Simulation davon.
Und genau davor sollten wir uns schützen.
QuellenRechtliche Grundlagen
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)
- Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG)
- Freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO)
- Digital Services Act (EU) 2022/2065
- Data Governance Act (EU) 2022/868
- EU-Verordnung über digitale Identität COM(2021) 281
- KI-Verordnung (Entwurf 2021/0106)
- Digitale Identität und das EU-ID-Wallet (Vorschlag COM(2021) 281)
- EuGH-Urteil vom 20. September 2022 zur Vorratsdatenspeicherung (C-793/19 und C-794/19)
- BVerfGE 2, 1 (KPD-Verbotsverfahren)
- BVerfGE 28, 36 (Radikalenerlass-Urteil)
- Reichstagsbrandverordnung (1933)
- USA PATRIOT Act (Public Law 107-56, 2001)
- The Guardian: NSA Files (Snowden Dossier, 2013)
***
Michael Hollister analysiert seit vielen Jahren die globalen Machtstrukturen hinter Politik und Wirtschaft. Sein Schwerpunkt liegt auf geopolitischen Strategien, einflussreichen Netzwerken und den historischen Wurzeln heutiger Konflikte. Seine Analysen veröffentlicht er zweisprachig – auf Deutsch und Englisch – unter www.michael-hollister.com.