«Mit Brigitte Bardot verschied eine starke und unabhängige Frau, die es nicht nötig hatte, sich dem Zeitgeist unterzuordnen oder sich gar – wie leider viele deutsche Prominente – zur Systemnutte machen zu lassen, und die solches auch in der Not nicht getan hätte. Die einfach zu sich stand und standhaft war. Ein schönes Zitat von ihr als Abschluss: ‹Früher habe ich mit meinem Hintern schockiert, jetzt schockiere ich mit meinen Büchern (Meinungen). Das ist das Gleiche!›» (– Nachruf der Seite https://publikum.net/).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Solaranlage soll Wasserversorgung in Baghuz deutlich verbessern
In Deir ez-Zor hat der Gemeindeverband der östlichen Landkreise ein Projekt zur Installation einer Solaranlage für die zentrale Wasserstation von Baghuz gestartet. Ziel ist es, die tägliche Betriebszeit der Station zu verlängern und die Wasserversorgung für die Bevölkerung spürbar zu verbessern.
Die Umsetzung des Projekts begann am 15. November mit ersten Arbeiten zur Nivellierung des Geländes sowie zur Installation von Fundamenten und Stützpfeilern für die Solarmodule. Die technischen Arbeiten sollen laut dem Gemeindeverband fortgeführt werden, bis alle benötigten Komponenten montiert sind.
Kern des Projekts ist die Installation von 320 Solarpaneelen, ergänzt durch Wechselrichter, elektronische Sensoren und spezielle Pumpgeneratoren. Nach Angaben der Autonomiebehörden handelt es sich um das erste Projekt dieser Art in der Ortschaft. Die Bauarbeiten sollen rund 60 Tage dauern, bevor eine Testphase eingeleitet und die reguläre Wasserversorgung aufgenommen wird.
Die kommunale Verwaltung von Baghuz geht davon aus, dass durch den Einsatz von Solarstrom die tägliche Betriebszeit der Wasserstation von derzeit acht auf etwa 15 Stunden erhöht werden kann. Dies würde eine kontinuierlichere Wasserversorgung für die Bevölkerung ermöglichen und gleichzeitig die Belastung durch hohe Betriebskosten und häufige Ausfälle verringern.
Aktuell versorgt die Wasserstation zwischen 25.000 und 30.000 Einwohner:innen in zwölf Weilern mit Trinkwasser – durchschnittlich zwei Stunden täglich pro Viertel. Durch die verlängerten Betriebszeiten soll sich dieser Wert deutlich verbessern und die alltägliche Wasserknappheit in der Region spürbar entschärft werden.
Die Ortschaft Baghuz (auch Baghouz) im Distrikt al-Bukamal war bis März 2019 die letzte Hochburg der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien. Nach schweren Gefechten wurde sie von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) befreit. Seither ist der Ort Teil der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES).
Fotos: ANHA
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/landwirt-innen-in-nordostsyrien-starten-mit-hoffnung-in-die-wintersaison-49239 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/winteraktion-der-kampagne-solardarity-neue-energie-fur-rojava-49114 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/fall-des-kalifats-qsd-warnen-vor-wiedererstarken-des-is-45691Hacî: Integration bedeutet nicht Identitätsverlust, sondern demokratische Partnerschaft
Inmitten anhaltender Spannungen und ungelöster Machtfragen in Syrien fordert die kurdische Kommandantin Sozdar Hacî einen politischen Neuanfang, der auf demokratischer Partnerschaft und gegenseitigem Respekt basiert. „Integration bedeutet nicht, dass die Identität der Völker ausgelöscht wird“, sagt Hacî, Mitglied des Generalkommandos der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ). „Es geht um einen gleichberechtigten, demokratischen Rahmen für ein gemeinsames Syrien.“
In einem ausführlichen Gespräch mit ANF betonte Hacî die Verantwortung der QSD, die gesamte Bevölkerung Syriens zu schützen – unabhängig von Ethnie oder Religion. Das am 10. März ausgehandelte Abkommen mit Damaskus biete die historische Chance, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu begründen. Gleichzeitig warnte sie davor, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die ausgrenzende Mentalität, die Syrien jahrzehntelang beherrscht hat, erneut zum Tragen kommt.“
Jahrzehnte der Ausgrenzung
Die Geschichte Syriens sei geprägt von systematischer Unterdrückung, sagte Hacî – eine Erfahrung, die insbesondere die kurdische Bevölkerung tief geprägt habe. „Unsere Identität wurde geleugnet, unsere Sprache verboten, und viele von uns waren in ihrem eigenen Land staatenlos. Wir waren Menschen ohne Rechte, ohne offizielle Existenz.“ Diese Entmündigung habe weit über juristische Diskriminierung hinausgereicht. Sie sei Teil einer staatlich gelenkten Strategie gewesen, kulturelle Vielfalt zu unterdrücken. „Das war ein direkter Angriff auf das Konzept von Bürgerwürde und auf das Menschsein selbst.“
Der Zerfall des Baath-Regimes als Wendepunkt
Für Hacî markierte der Zusammenbruch des Baath-Regimes nicht nur das Ende einer repressiven Ära, sondern auch einen Moment tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzung. „Die eigentliche Auflösung des Systems begann 2011 mit dem Aufstand der syrischen Nation“, sagte sie. In Nord- und Ostsyrien habe sich in der Folge ein alternatives Modell etabliert: eine pluralistische Selbstverwaltung, getragen von Kurd:innen, Araber:innen, Assyrer:innen, Armenier:innen und anderen Volksgruppen. Der Aufbau dieser Strukturen sei begleitet gewesen von militärischer Selbstverteidigung. „Die Bevölkerung hat dem Baath-Regime unmissverständlich gezeigt: Ihr System hat hier keinen Platz mehr.“ Die daraus resultierende Autonomie sei nicht durch äußere Mächte oktroyiert worden, sondern „aus der Kraft der Bevölkerung selbst“ entstanden.
Demokratische Selbstverwaltung statt autoritärem Zentralismus
Die Errungenschaften der Selbstverwaltung sieht Hacî im Aufbau basisdemokratischer Institutionen, der Anerkennung kultureller Vielfalt und der Stärkung der Rolle von Frauen. „Wir haben gezeigt, dass eine andere Form des Zusammenlebens – jenseits von ethnischem Chauvinismus und patriarchalen Machtstrukturen – in Syrien möglich ist.“ Gleichzeitig erinnerte sie daran, dass sich auch in anderen Landesteilen Widerstand gegen autoritäre Herrschaft formiert habe. Von Suweida im Süden Syriens bis nach Aleppo und Homs hätten Menschen den Mut aufgebracht, sich gegen Unterdrückung zu stellen. Doch vielerorts seien sie mit massiver Gewalt konfrontiert worden; durch die selbsternannte Übergangsregierung und verbündete bewaffnete Gruppen.
Widerstand gegen neue Formen der Repression
Hacî warnte in diesem Zusammenhang vor einer gefährlichen Entwicklung: Während das Baath-Regime gestürzt wurde, seien neue, nicht minder repressive Akteure aufgetreten – darunter auch dschihadistische Milizen und Gruppierungen, die von der Türkei unterstützt werden. „Unsere Regionen wurden wiederholt angegriffen – von der sogenannten syrischen Übergangsregierung, von türkischen Einheiten und deren Verbündeten.“ Die Bevölkerung habe sich jedoch gewehrt. „Dieser Widerstand war Ausdruck eines klaren Willens: Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe geraten. Eine andere autoritäre Ordnung wird für uns keine Alternative sein.“
QSD als multiethnische Verteidigungskraft
In Reaktion auf den anhaltenden Konflikt haben die QSD eine zentrale Rolle übernommen, betont Hacî. „Nicht nur als militärische Struktur, sondern als Schutzmacht der Zivilbevölkerung.“ Rund 15.000 Kämpfer:innen seien im Widerstand gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und gegen andere Aggressoren gefallen. Gleichzeitig weist sie Vorwürfe zurück, die QSD seien eine rein kurdische Organisation. „Unsere Kräfte bestehen aus rund 70.000 Personen – aus allen Bevölkerungsgruppen dieser Region. Unsere Verteidigungsphilosophie lässt es gar nicht zu, dass wir eine einzelne Identität bevorzugen. Wir stehen für den Schutz aller.“
10.-März-Abkommen als politischer Kompass
Besonderes Augenmerk legt Hacî auf das zwischen Damaskus und der Selbstverwaltung unterzeichnete „10.-März-Abkommen“, das die Grundlage für eine mögliche neue Verfassung Syriens bilden könnte. Auch wenn die Umsetzung vieler Punkte stocke, hielten die QSD am Geist der Vereinbarung fest. „Es gibt keine Klausel, die sich gegen die syrische Regierung richtet, aber es geht um Gleichberechtigung und Beteiligung“, so Hacî. Jede Bevölkerungsgruppe müsse das Recht haben, sich kulturell und politisch zu repräsentieren. „Wir sind Kurd:innen – und wir sind Syrer:innen. Das eine schließt das andere nicht aus.“ Ein zukünftiger syrischer Staat müsse daher säkular, inklusiv und föderal organisiert sein. Religionszugehörigkeit oder ethnische Herkunft dürften keine Bedingung für Staatsbürgerschaft sein. „Syrisch zu sein heißt nicht, arabisch oder sunnitisch sein zu müssen. Es gibt auch christliche, alawitische, drusische und assyrische Syrer:innen.“
Integration nur auf demokratischer Grundlage
Am Ende ihrer Ausführungen warnt Hacî eindringlich vor einem Rückfall in autoritäre Muster. Integration könne nur funktionieren, wenn sie auf Freiwilligkeit und Gleichberechtigung beruhe. „Wenn ein System – egal ob im Namen von Laizismus, Religion oder Sozialismus – nicht demokratisch ist, wird es Unterdrückung hervorbringen. Und es sind immer die einfachen Menschen, die den Preis dafür zahlen.“ Die QSD stünden bereit, ihre Erfahrung und ihre Strukturen in ein neues syrisches Gesamtsystem einzubringen – vorausgesetzt, dieses basiere auf echten demokratischen Prinzipien. „Wir haben in 13 Jahren gelernt, wie man Gemeinschaft nicht nur militärisch, sondern zivilgesellschaftlich verteidigt. Dieses Wissen stellen wir allen zur Verfügung, die ein freies Syrien wollen.“
https://deutsch.anf-news.com/frauen/ypj-kommandantin-zu-gesprachen-mit-damaskus-integration-heisst-nicht-unterwerfung-48453 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/abdi-ziel-der-revolution-war-freiheit-nicht-nur-ein-regimewechsel-49235 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-delegation-schliesst-gesprache-mit-Ubergangsregierung-in-damaskus-ab-48367
EU und Nobelkomitee fordern Freilassung von Narges Mohammadi
Die erneute Festnahme der iranischen Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi hat weltweit scharfe Kritik ausgelöst. Das norwegische Nobelkomitee sowie die Europäische Union forderten am Samstag die umgehende Freilassung der 53-Jährigen.
Mohammadi war am Freitag in der ostiranischen Stadt Maschhad bei einer Trauerfeier für den Rechtsanwalt Chosrow Alikordi festgenommen worden. Der Tod des Juristen, der auch politische Gefangene vertrat, hat große Bestürzung unter Menschenrechtler:innen in Iran ausgelöst. Offizielle Stellen des Regimes sprachen von einem Herzinfarkt – Kolleg:innen und Angehörige vermuten jedoch einen gezielten Mord. Neben Mohammadi wurden auch rund 40 weitere Personen festgenommen.
Das Nobelkomitee zeigte sich „zutiefst besorgt über die brutale Festnahme von Narges Mohammadi und einer Reihe anderer Aktivisten“. In einer Stellungnahme forderte das Komitee die iranischen Behörden auf, umgehend mitzuteilen, wo sich Mohammadi befinde, und ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen sicherzustellen sowie sie ohne Bedingungen freizulassen.
Verbindung zur Preisverleihung an María Corina Machado
„Angesichts der engen Zusammenarbeit zwischen den Regimen in Iran und in Venezuela nimmt das Norwegische Nobelpreiskomitee zudem Notiz davon, dass Frau Mohammadi genau dann festgenommen wurde, als der Friedensnobelpreis der venezolanischen Oppositionsführerin María Corina Machado verliehen wurde", hieß es in der Mitteilung weiter. Machado selbst äußerte sich später ebenfalls zu der Festnahme, die sie als „Eingeständnis von Angst“ bezeichnete. „Die Islamische Republik versteht, was Diktaturen immer verstehen: Eine furchtlose Stimme, einmal vernommen, kann nicht mehr ungehört bleiben“, schrieb sie in einer Mitteilung auf X.
EU fordert Freilassung
Auch die Europäische Union forderte die umgehende Freilassung Mohammadis und weiterer Aktivist:innen. Die Festnahmen seien „zutiefst beunruhigend“, sagte EU-Sprecher Anouar El Anouni in Brüssel. Die iranischen Behörden sollten Mohammadi „auch wegen ihres fragilen Gesundheitszustands freilassen, genauso wie all die anderen Personen, die bei der Ausübung der Meinungsfreiheit unrechtmäßig festgenommen“ worden seien.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/iranische-friedensnobelpreistragerin-narges-mohammadi-festgenommen-49229 https://deutsch.anf-news.com/frauen/iran-friedensnobelpreistragerin-narges-mohammadi-erneut-verurteilt-40626 https://deutsch.anf-news.com/frauen/regime-justiz-gewahrt-narges-mohammadi-klinik-aufenthalt-44063
Hiso fordert Rückzug der Türkei aus Syrien und Dialog mit Autonomieverwaltung
Der Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), Xerîb Hiso, hat die Türkei dazu aufgerufen, sich aus Syrien zurückzuziehen und mit der Autonomieverwaltung in Nord- und Ostsyrien in direkten Dialog zu treten. Zugleich warf er sowohl der türkischen Regierung als auch der Übergangsregierung in Damaskus vor, eine politische Lösung des Syrien-Konflikts systematisch zu blockieren.
In einem Gespräch mit ANF äußerte sich Hiso zur aktuellen Lage in Syrien, zur Umsetzung des sogenannten 10.-März-Abkommens und zur Rolle regionaler wie internationaler Akteure. „Die Türkei spricht von Frieden, setzt aber auf Eskalation. Sie unterstützt radikale Gruppen und greift zivile Gebiete an“, sagte Hiso. „Wenn Ankara wirklich eine Lösung will, muss es den Dialog mit der Selbstverwaltung suchen und seine Truppen aus Syrien abziehen.“
Übergangsregierung ohne Legitimität
Zu Beginn des Gesprächs kritisierte Hiso die syrische Übergangsregierung scharf. Diese habe in den vergangenen zwölf Monaten keinerlei Vertrauen innerhalb der Bevölkerung gewonnen. Stattdessen reproduziere sie autoritäre Strukturen aus der Ära des Baath-Regimes. „Syrien ist kein homogener Staat. Es gibt Araber:innen, Kurd:innen, Christ:innen, Drus:innen, Alawit:innen, Turkmen:innen, Suryoye und viele weitere. Diese Vielfalt wird systematisch ignoriert“, sagte er. „Die Übergangsregierung hat nichts dafür getan, eine inklusive Lösung zu ermöglichen. Stattdessen sind Gruppen wie der IS in neuer Form in ihren Reihen präsent. Die Menschen haben ein weiteres Jahr voller Leid erlebt.“
10.-März-Abkommen als ungenutzte Chance
Ein Hoffnungsschimmer sei das am 10. März unterzeichnete Abkommen zwischen der Autonomieverwaltung und Übergangsregierung gewesen. Das Papier sieht eine schrittweise politische Lösung und die Integration aller gesellschaftlichen Gruppen in einen demokratischen Transformationsprozess vor. Laut Hiso werde das Abkommen von allen internationalen Akteuren als positive Grundlage gesehen – nur Damaskus selbst blockiere die Umsetzung.
„Die Vereinbarung wurde von beiden Seiten unterschrieben. Doch sobald es um konkrete Schritte geht, zieht sich die Regierung zurück“, erklärte der kurdische Politiker. „Das Problem liegt eindeutig in Damaskus.“ Die Autonomieverwaltung sei bereit, alle Aspekte des Abkommens umzusetzen. Das beinhalte nicht nur Sicherheitsfragen, sondern auch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen, so Hiso. Doch die syrische Seite bestehe bislang nur auf militärischer Kontrolle.
Ankara als zentrale Blockademacht
Besonders scharfe Kritik äußerte Hiso an der türkischen Regierung, die seiner Einschätzung nach jeden Fortschritt in Syrien gezielt torpediere. Die Türkei lehne die Autonomieverwaltung grundsätzlich ab, erkenne deren Legitimität nicht an und drohe regelmäßig mit neuen Militäroperationen. „Die Türkei behandelt Nord- und Ostsyrien wie ihr eigenes Territorium. Dabei sagt sie ständig, sie wolle die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) entwaffnen. Aber diese Phase ist längst vorbei“, sagte Hiso. „Die QSD haben eine Verständigung mit Damaskus erreicht, doch diese wird jetzt von der Türkei und auch von der syrischen Regierung selbst blockiert.“
Die jüngsten Drohungen türkischer Regierungsvertreter, darunter der Außenminister Hakan Fidan und der AKP-Sprecher Ömer Çelik, seien nicht nur besorgniserregend, sondern konkret gefährlich. „Diese Aussagen legitimieren Angriffe auf unsere Bevölkerung und stärken extremistische Gruppen. Was wir erleben, sind gezielte Destabilisierungen, etwa in Efrîn oder Serêkaniyê, wo die Rückkehr Geflüchteter verhindert wird“, so Hiso weiter.
Friedensaufruf trifft auf politische Realität
Hiso verwies auf einen Friedensaufruf des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan vom 27. Februar, der in der gesamten Region eine neue politische Phase mit Perspektiven auf Dialog, Demokratie und ein Ende der Gewalt eingeläutet habe. „Öcalans Botschaft hat viele Akteure zum Nachdenken gebracht. Auch die Türkei diskutiert nun über Lösungen. Aber was hilft das, wenn sie in Syrien weiterhin Krieg führt?“, fragte Hiso. „Die aktuelle Türkei-Politik ist eine Gefahr für jeden Friedensprozess.“
Der PYD-Vorsitzende zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass Fortschritte möglich sind, sofern auch Damaskus ernsthafte Bereitschaft zeigt. Voraussetzung sei eine neue syrische Verfassung, die der pluralistischen Struktur des Landes gerecht werde. „Wir befinden uns nicht mehr in einer Phase des Krieges. Es ist Zeit für eine politische Lösung“, sagte er. „Wenn Damaskus bereit ist, wird es Fortschritte geben. Und wenn die Türkei sich ernsthaft einbringen will, muss sie Gespräche mit uns führen, nicht Bomben abwerfen.“
Demokratisches Gesellschaftsmodell als Ziel
Zentral sei für die Autonomieverwaltung weiterhin ein gesellschaftlicher Wandel hin zu Demokratie, Gleichberechtigung und kollektiver Teilhabe. Die QSD mit Kämpfer:innen aus verschiedenen Ethnien, Konfessionen und Geschlechtern seien Ausdruck dieses Modells. „Die QSD bestehen aus Kurd:innen, Araber:innen, Turkmen:innen, Assyrer:innen, Ezid:innen und Christ:innen. Auch eine starke Frauenselbstverteidigung ist Teil dieser Struktur. Das ist es, wovor die Türkei Angst hat – vor diesem neuen Gesellschaftsmodell“, sagte Hiso.
„Wir sind offen für Dialog“
Die türkische Regierung versuche mit psychologischer Kriegsführung, die Bevölkerung zu zermürben, doch die Menschen in Nord- und Ostsyrien hätten sich organisiert und würden ihren Weg fortsetzen. „Unsere Revolution basiert auf kollektiver Stärke, auf demokratischer Selbstorganisation. Wir sind offen für Dialog, für Verhandlungen und für eine friedliche Lösung, aber wir akzeptieren keine Drohungen und keine Besatzung.“ Zum Abschluss erneuerte Hiso seine zentrale Forderung: Die Türkei müsse sich aus Syrien zurückziehen. „Städte wie Serêkaniyê, Girê Spî, Azaz, Cerablus und Efrîn stehen unter türkischer Kontrolle. Das ist eine offene Besatzung. Wenn Ankara wirklich Frieden will, muss es sich zurückziehen und den Weg für Verhandlungen freimachen.“
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/abdi-ziel-der-revolution-war-freiheit-nicht-nur-ein-regimewechsel-49235 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/turkische-truppen-verstarken-prasenz-in-nordsyrien-49167 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/gfbv-warnt-vor-volkermorden-an-minderheiten-in-syrien-49112
QSD verurteilen Angriff auf Koalitionstruppen in Palmyra
Bei dem gestrigen Angriff in der syrischen Wüste sind nach Angaben des Pentagons zwei US-Soldaten und ein amerikanischer Dolmetscher getötet worden. Drei weitere Personen wurden verletzt. Auch der mutmaßliche Angreifer kam ums Leben. Nach Angaben der syrischen Übergangsregierung soll es sich um ein Mitglied der syrischen Sicherheitskräfte gehandelt haben, das „unter dem Einfluss extremistischer Ideologie“ gestanden habe. Die US-Regierung macht die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) für den Angriff verantwortlich. Das zuständige Regionalkommando des US-Militärs sprach von einem Einzeltäter.
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana hatte zuvor gemeldet, dass US-Streitkräfte in Syrien unter Beschuss geraten seien. Mehrere Militärangehörige seien bei dem Angriff nahe der antiken Stadt Palmyra (Tadmur) verletzt worden. Auch zwei Soldaten der Regierungstruppen hätten Verletzungen erlitten. Der Vorfall habe sich demnach während einer gemeinsamen Ortsbegehung ereignet, so Sana unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) verurteilten den Angriff scharf. „Wir sprechen unseren Partnern in der US-Armee und dem amerikanischen Volk unser tiefstes Beileid aus“, erklärte das Generalkommando der QSD am Abend. Das Bündnis sprach von einem „feigen Terroranschlag“ und kündigte an, gemeinsam mit der Internationalen Anti-IS-Koalition weiterhin entschlossen gegen den IS und verwandte Gruppen vorzugehen. Die Verantwortlichen des Anschlags und ihre Unterstützer müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
„Wir werden nicht zulassen, dass sich terroristische Organisationen neu formieren oder erneut die Sicherheit der Region und der Welt bedrohen“, heißt es in der Erklärung weiter. „Die Antwort wird entschieden und direkt erfolgen – gegen die Täter des Anschlags ebenso wie gegen deren Unterstützer.“ Die QSD betonten zudem, dass ihre Einsatzfähigkeit uneingeschränkt gegeben sei. Man sei fest entschlossen, den Kampf gegen Terrororganisationen auf dem gesamten syrischen Staatsgebiet fortzusetzen.
„Unsere Kräfte haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, den IS zu zerschlagen und seine militärische Struktur im Norden und Osten Syriens zu zerstören“, erklärte das Generalkommando. „Wir bekräftigen unsere volle Bereitschaft, den Terrorismus ohne Zögern in ganz Syrien zu bekämpfen und seine Verstecke überall zu beseitigen.“ Abschließend drückten die QSD den Familien der Opfer sowie den Verwundeten ihre Solidarität aus und wünschten eine rasche Genesung.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/angriff-auf-amerikanisch-syrische-patrouille-nahe-palmyra-49241
PAJK gedenkt Berfîn Nûrhaq und Sema Roza
Mit Worten des Respekts und der Dankbarkeit hat die kurdische Frauenpartei PAJK ihrer gefallenen Mitglieder Berfîn Nûrhaq und Sema Roza gedacht. In einer am Samstag veröffentlichten Erklärung bezeichnete die PAJK die beiden Frauen als „leuchtende Beispiele revolutionärer Hingabe“ und erinnerte an ihre Rolle im Kampf für eine freie Gesellschaft und die Selbstbestimmung der Frau. Ihr Tod durch türkische Luftangriffe im Dezember 2021 war am Freitag öffentlich gemacht worden.
Anlässlich ihres vierten Todestags würdigte die PAJK Berfîn Nûrhaq als erfahrene Kommandantin, Ideologin und Wegbereiterin einer von Frauen getragenen Befreiungsbewegung. Sie sei „eine Kämpferin von seltener Tiefe“ gewesen, heißt es in der Stellungnahme. Darin wird auch ihre Rolle im Widerstand gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hervorgehoben, insbesondere während der Verteidigung der ezidischen Gemeinschaft in der Şengal-Region. „Sie stellte sich dem IS entgegen, von den ersten Tagen des Angriffs an. Sie kämpfte nicht nur mit der Waffe, sondern mit einer Haltung, die auf Würde, Schutz und Menschlichkeit gründete. Die Befreiung Şengals war auch ihr Verdienst“, heißt es.
Berfîn Nûrhaq | Foto: HPG
Berfîn Nûrhaq war Mitglied zahlreicher führender Strukturen, darunter der PAJK-Koordination, der Kommandostrukturen der Guerillaorganisationen HPG (Volksverteidigungskräfte) und YJA Star (Verbände freier Frauen), sowie der Apollo-Akademien. Ihre politische und organisatorische Arbeit habe von der ideologischen Schulung bis zur praktischen Mobilisierung gereicht, schreibt die PAJK. Die Erklärung zeichnet das Bild einer Frau, die „jede Schwierigkeit auf sich nahm, jede Aufgabe annahm, wo immer es nötig war“. Besonders hervorgehoben werden ihre Bescheidenheit, Hingabe und ihr solidarisches Wesen. „Sie war eine derjenigen, die das Neue nicht nur forderten, sondern es in Haltung, Sprache und Lebensweise verkörperten.“
Sema Roza | Foto: HPG
Neben Berfîn Nûrhaq wird auch Sema Roza gewürdigt, eine YJA-Star-Kämpferin, die am selben Tag wie ihre Kommandantin ums Leben kam. Sie habe sich früh „in der Linie der Freiheit“ organisiert und durch Entschlossenheit, Einsatzbereitschaft und Sensibilität Anerkennung unter ihren Weggefährt:innen gewonnen. Der Text schließt mit einem Aufruf, das Vermächtnis beider gefallener Frauen fortzuführen: „Ihre Erinnerung ist kein Rückblick, sondern eine Verpflichtung. Der Weg, den sie bereiteten, gehört allen, die Freiheit mit Sinn und Tiefe füllen wollen.“ Die PAJK verstehe das Gedenken nicht nur als Moment der Trauer, sondern als Teil einer fortdauernden politischen Linie: Frauen sollten sich organisieren, kollektiv Verantwortung übernehmen und das Fundament für eine demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft weitertragen.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/nachruf-auf-berfin-nurhaq-und-sema-roza-49217
Angriff auf amerikanisch-syrische Patrouille nahe Palmyra
Bei einem Angriff auf eine gemeinsame Patrouille von US-Streitkräften und Truppen der syrischen Übergangsregierung in der zentralsyrischen Provinz Homs sind am Samstag offenbar mehrere Militärs verletzt worden. Der Vorfall ereignete sich nach Angaben aus Sicherheitskreisen in der Nähe der antiken Stadt Palmyra (Tadmur) während eines Einsatzes der internationalen Anti-IS-Koalition.
Demnach war die Patrouille im Rahmen einer Feldmission zur Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) unterwegs, als sie unter Beschuss geriet. Es kam demnach zu einem Feuergefecht, bei dem der Angreifer getötet wurde. Wie viele Militärs unter amerikanischen und syrischen Truppen insgesamt verletzt wurden, war zunächst unklar. Die Verwundeten seien mit Hubschraubern der Koalition zur Militärbasis al-Tanf ausgeflogen worden, um medizinisch versorgt zu werden, hieß es.
Schnellstraße zwischen Deir ez-Zor und Damaskus vorübergehend gesperrt
Laut lokalen Quellen aus Palmyra kreisten in den Stunden nach dem Vorfall mehrere US-Kampfhubschrauber und Kampfflugzeuge über der Stadt und den umliegenden Gebieten. Zudem sei eine verstärkte Präsenz von Koalitionstruppen sowie Einheiten der syrischen Übergangsregierung in der Region festgestellt worden.
In Palmyra - eastern Syria, US forces of the coalition against ISIS alongside their allies the Tanf-FSA were ambushed.
Sources on the ground claim that soldiers of the convoy were wounded.
Right now, the US forces enforced a blockade of the main roads via the STG - US air… pic.twitter.com/LEI9ceXALF
Als direkte Folge des Angriffs wurde die strategisch wichtige Schnellstraße zwischen Deir ez-Zor und Damaskus vorübergehend gesperrt. Die Route verbindet Ost- mit Zentralsyrien und wird häufig von Militär- und Versorgungskonvois genutzt. Inzwischen sei der Verkehr nach Abschluss erster Sicherungsmaßnahmen wieder freigegeben worden, so die Quellen.
Täter noch nicht identifiziert
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA bestätigte den Vorfall in einer offiziellen Meldung: „Syrische Sicherheitskräfte und amerikanische Truppen wurden während einer gemeinsamen Feldoperation nahe Tadmur beschossen.“ Dabei seien zwei syrische Sicherheitskräfte und mehrere US-Soldaten verletzt worden. Wer hinter dem Angriff steckt und was das genaue Motiv war, ist bislang unklar. Die Ermittlungen dauern laut Sicherheitsquellen an.
Gemeinsame Einsätze von US-Truppen und lokalen Partnern in Syrien konzentrieren sich vor allem auf die Bekämpfung verbliebener IS-Zellen. In abgelegenen Gebieten und Wüstenregionen kommt es trotz der weitgehenden militärischen Zerschlagung der Organisation immer wieder zu Anschlägen und Sabotageakten. Ziel der laufenden Operationen ist es, strategisch wichtige Verkehrsverbindungen zu sichern und die Bewegungsfreiheit von Terroristen zu unterbinden.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/syrien-tritt-us-gefuhrter-anti-is-koalition-bei-48780 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-vereiteln-angriff-mutmasslicher-is-zellen-in-ostsyrien-49238 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/syrien-is-drohnen-starten-von-stellungen-regierungsnaher-truppen-48914
Woche der Menschenrechte in NRW im Zeichen von Erinnerung und Widerstand
Mit einer einwöchigen Veranstaltungsreihe zum Internationalen Tag der Menschenrechte hat der Verein „Stimmen der Solidarität“ die Themen Wahrheit, Erinnerung und Gerechtigkeit ins Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzung gerückt. Zwischen dem 5. und 12. Dezember fanden in Köln und dem Ruhrgebiet zahlreiche Veranstaltungen statt, darunter Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen, literarische Lesungen und Zeitzeugengespräche.
„Wahrheit, Erinnerung und Solidarität“
Die Menschenrechtswoche stand unter dem Titel „Wahrheit, Erinnerung und Solidarität“ und thematisierte insbesondere das Schicksal von Verschwundenen, die Einschränkung von Meinungsfreiheit sowie Identitäts- und Widerstandskämpfe. Zum Auftakt wurde der Dokumentarfilm „Dargeçit“ gezeigt, der sich mit der Verschleppung und dem Verschwindenlassen von sieben Menschen, darunter drei Kinder, im Jahr 1995 in der kurdischen Stadt Kerboran (tr. Dargeçit) befasst. Der Film, der in Köln, Dortmund, Leverkusen und Bochum vor rund 300 Zuschauer:innen gezeigt wurde, dokumentiert die jahrzehntelange Suche der Angehörigen nach Gerechtigkeit.
An den Vorführungen nahmen neben Regisseurin Berke Baş auch mehrere Angehörige der Verschwundenen sowie Vertreter:innen der Initiative der Samstagsmütter teil. Hazni Doğan, einer der betroffenen Angehörigen, der damals ebenfalls verschleppt worden war, erklärte bei der Veranstaltung: „Wir fordern Gerechtigkeit und Wahrheit, damit kein einziges Kind auf dieser Welt mehr zur Waise wird.“ Regisseurin Baş bedankte sich für die Solidarität und die intensive Resonanz: „Dass Familien sagen, dies sei ‚ihr Film‘, bedeutet uns sehr viel.“
In Dortmund stand am 10. Dezember – dem internationalen Tag der Menschenrechte – ein Panel zu Menschenrechtsverletzungen in Iran, Syrien und der Türkei auf dem Programm. Unter dem Titel „Menschenrechte unter Druck“ diskutierten Leyla Imret (DEM, Deutschlandvertretung), Mariam Claren (Hawar Help) und der Nahost-Experte Dr. Kamal Sido (Gesellschaft für bedrohte Völker) über Repression, Kriegsfolgen und Friedensperspektiven. Während Imret die politischen Entwicklungen im Nahen Osten als ein „Schachspiel auf dem Rücken der Zivilbevölkerung“ beschrieb, hob Claren die gesellschaftliche Hoffnung hervor, die durch die Proteste in Iran unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadî“ nach dem Tod von Jina Mahsa Amini entfacht wurde. Sido warnte vor den Risiken für Minderheiten in Syrien in der Post-Assad-Ära.
Lesungen und Buchvorstellungen
Ein weiterer Höhepunkt der Woche war die Begegnung mit dem kurdischen Schriftsteller Yavuz Ekinci, der in Dortmund und Köln aus seinem Roman „Die, deren Träume zerbrochen sind“ (Originaltitel: Rüyası Bölünenler) las. Das Buch war in der Türkei zeitweise verboten; ein Strafverfahren gegen Ekinci wurde kürzlich wegen Verjährung eingestellt. Die Moderation übernahm Çiler Fırtına, die Einführung hielt Georg Krautkrämer.
Im Essener Katakomben-Theater stellte die iranische Autorin und Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri ihr Buch „Im Namen des Stiftes“ vor. Die Veranstaltung, moderiert von Said Boluri, thematisierte Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus, politische Repression und individuelle Widerstandsformen. Gönül Eğlence, Landtagsabgeordnete in NRW, war ebenfalls unter den Gästen.
Die Abschlussreden der Menschenrechtswoche betonten die Rolle von Erinnerung und Gerechtigkeit für das kollektive Gedächtnis. Adil Demirci, Jürgen Weßling und Bianca Schmolze sprachen im Namen von „Stimmen der Solidarität“ und erinnerten daran, wie wichtig grenzüberschreitende Solidarität im Kampf für Menschenrechte sei.
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https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/bundesweite-aktionen-zum-internationalen-tag-der-menschenrechte-49204 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-gerechtigkeit-fur-die-toten-von-kerboran-44127 https://deutsch.anf-news.com/kultur/koln-festival-der-solidaritat-gibt-verfolgten-stimmen-gehor-48772
Landwirt:innen in Nordostsyrien starten mit Hoffnung in die Wintersaison
Mit Beginn der Wintersaison haben Landwirt:innen in der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens die Aussaat strategisch wichtiger Kulturen wie Weizen aufgenommen. Trotz anhaltender Herausforderungen durch Dürreperioden, hohe Betriebskosten und eingeschränkte behördliche Unterstützung zeigt sich vielerorts ein gesteigertes Engagement der Bäuer:innen.
Im Umland von Qamişlo und Amûdê wurden die ersten Felder vorbereitet und mit Weizen bestellt. Nach ersten Regenfällen wurde der Boden mit Scheibenpflügen und Eggen bearbeitet – eine übliche Vorgehensweise in der Region zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember. Rund 300.000 Hektar Regenfeldbauflächen und etwa 200.000 Hektar bewässerte Fläche wurden nach Angaben lokaler Behörden bestellt.
Es gab bessere Zeiten
Der 60-jährige Landwirt Muhsîn Cuma, der seit seiner Kindheit in der Landwirtschaft tätig ist und rund 150 Hektar in der Ortschaft Ranko bewirtschaftet, erinnert sich an bessere Zeiten. „Früher begannen wir mit der Aussaat direkt nach dem ersten Regen. Vergangenes Jahr jedoch herrschte extreme Trockenheit und es gab keine Ernte“, sagte er. Nun reichten die verfügbaren Mengen an Saatgut nicht aus, um den Bedarf der Landwirt:innen zu decken.
„Ich habe nur 60 Prozent meiner benötigten Menge erhalten“, sagte Cuma. Zwar sei der Preis mit rund 500 US-Dollar pro Tonne moderat gewesen, doch viele Bäuer:innen könnten sich Saatgut nach den Verlusten des Vorjahres kaum noch leisten. Auch Diesel für landwirtschaftliche Maschinen sei knapp: „Wir haben in den letzten drei Jahren keinen Liter Subventionstreibstoff erhalten und kaufen den Diesel für umgerechnet rund 5.600 syrische Pfund pro Liter auf dem Schwarzmarkt.“
Angesichts fehlender behördlicher Unterstützung und hoher Betriebskosten warnt Cuma vor einer schleichenden Aufgabe der Landwirtschaft. „Wenn es dieses Jahr wieder zu wenig Regen gibt, werden bis zu 70 Prozent der Bauern aufhören.“ Auch die Preise für Dünger seien kaum tragbar, da eine Tonne rund 900 Dollar koste. Dennoch halte er an der Bewirtschaftung seines Landes fest: „Es ist unsere Lebensgrundlage.“
Ähnliche Sorgen äußert auch Luqman Ismail, ein 50-jähriger Landwirt, der rund 18 Hektar Weizen anbaut. „Im letzten Jahr habe ich Weizen und Kümmel gepflanzt, allerdings ohne Erfolg. Dieses Jahr konzentriere ich mich nur auf Weizen.“ Auch er kritisiert die hohen Dieselpreise und fordert Unterstützung. Die Betriebskosten seien erheblich gestiegen: Für die Pflugarbeiten würden pro Hektar rund 30 US-Dollar fällig, die Bearbeitung seines Landes koste damit rund 540 Dollar. „Wir brauchen Hilfe, insbesondere bei Diesel und Düngemitteln“, so Ismail.
In Reaktion auf die Kritik hat die zuständige Landwirtschafts- und Tierwirtschaftskommission der Demokratischen Selbstverwaltung im Kanton Cizîrê erstmals ein digitales Registrierungssystem eingeführt. Dieses soll die landwirtschaftliche Planung vereinfachen und die Zuteilung von Ressourcen wie Saatgut, Diesel und Düngemitteln effizienter gestalten.
„Das neue elektronische System erfasst alle landwirtschaftlichen Betriebe mit Namen, Fläche, Anbauplanung und Bedarf“, erklärte Kommissionsvorsitzender Sozdar Bero. Bislang seien 16.000 Lizenzen für die Bewässerungslandwirtschaft registriert worden. Von den geplanten 23 Millionen Litern Diesel seien bereits 16 Millionen verteilt worden.
Strategie zur Umstellung auf natürlichen Dünger
Die starke Nachfrage nach Saatgut habe die Behörden überrascht. „Im vergangenen Jahr blieb Saatgut übrig, dieses Jahr aber war der Bedarf durch den Anstieg der Anbauflächen deutlich höher“, so Bero. Eine Ausweitung der Dieselvergabe auf regenabhängige Landwirtschaft sei denkbar, sofern Ressourcen in künftigen Jahren ausreichen. Zur Kritik an den Düngemittelpreisen sagte Bero, man verfolge eine Strategie zur Umstellung auf natürlichen Dünger: „Unser Ziel ist es, die Abhängigkeit von chemischem Dünger zu verringern und langfristig auf organische Alternativen zu setzen.“
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/raqqa-sinkender-euphrat-pegel-bedroht-landwirtschaft-und-wasserversorgung-49051 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/modernes-saatgutzentrum-in-heseke-nimmt-betrieb-auf-47914 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/chabur-fluss-in-rojava-vollstandig-ausgetrocknet-46633
Landwirt:innen in Nordostsyrien starten mit Hoffnung in die Wintersaison
Mit Beginn der Wintersaison haben Landwirt:innen in der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens die Aussaat strategisch wichtiger Kulturen wie Weizen aufgenommen. Trotz anhaltender Herausforderungen durch Dürreperioden, hohe Betriebskosten und eingeschränkte behördliche Unterstützung zeigt sich vielerorts ein gesteigertes Engagement der Bäuer:innen.
Im Umland von Qamişlo und Amûdê wurden die ersten Felder vorbereitet und mit Weizen bestellt. Nach ersten Regenfällen wurde der Boden mit Scheibenpflügen und Eggen bearbeitet – eine übliche Vorgehensweise in der Region zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember. Rund 300.000 Hektar Regenfeldbauflächen und etwa 200.000 Hektar bewässerte Fläche wurden nach Angaben lokaler Behörden bestellt.
Es gab bessere Zeiten
Der 60-jährige Landwirt Muhsîn Cuma, der seit seiner Kindheit in der Landwirtschaft tätig ist und rund 150 Hektar in der Ortschaft Ranko bewirtschaftet, erinnert sich an bessere Zeiten. „Früher begannen wir mit der Aussaat direkt nach dem ersten Regen. Vergangenes Jahr jedoch herrschte extreme Trockenheit und es gab keine Ernte“, sagte er. Nun reichten die verfügbaren Mengen an Saatgut nicht aus, um den Bedarf der Landwirt:innen zu decken.
„Ich habe nur 60 Prozent meiner benötigten Menge erhalten“, sagte Cuma. Zwar sei der Preis mit rund 500 US-Dollar pro Tonne moderat gewesen, doch viele Bäuer:innen könnten sich Saatgut nach den Verlusten des Vorjahres kaum noch leisten. Auch Diesel für landwirtschaftliche Maschinen sei knapp: „Wir haben in den letzten drei Jahren keinen Liter Subventionstreibstoff erhalten und kaufen den Diesel für umgerechnet rund 5.600 syrische Pfund pro Liter auf dem Schwarzmarkt.“
Angesichts fehlender behördlicher Unterstützung und hoher Betriebskosten warnt Cuma vor einer schleichenden Aufgabe der Landwirtschaft. „Wenn es dieses Jahr wieder zu wenig Regen gibt, werden bis zu 70 Prozent der Bauern aufhören.“ Auch die Preise für Dünger seien kaum tragbar, da eine Tonne rund 900 Dollar koste. Dennoch halte er an der Bewirtschaftung seines Landes fest: „Es ist unsere Lebensgrundlage.“
Ähnliche Sorgen äußert auch Luqman Ismail, ein 50-jähriger Landwirt, der rund 18 Hektar Weizen anbaut. „Im letzten Jahr habe ich Weizen und Kümmel gepflanzt, allerdings ohne Erfolg. Dieses Jahr konzentriere ich mich nur auf Weizen.“ Auch er kritisiert die hohen Dieselpreise und fordert Unterstützung. Die Betriebskosten seien erheblich gestiegen: Für die Pflugarbeiten würden pro Hektar rund 30 US-Dollar fällig, die Bearbeitung seines Landes koste damit rund 540 Dollar. „Wir brauchen Hilfe, insbesondere bei Diesel und Düngemitteln“, so Ismail.
In Reaktion auf die Kritik hat die zuständige Landwirtschafts- und Tierwirtschaftskommission der Demokratischen Selbstverwaltung im Kanton Cizîrê erstmals ein digitales Registrierungssystem eingeführt. Dieses soll die landwirtschaftliche Planung vereinfachen und die Zuteilung von Ressourcen wie Saatgut, Diesel und Düngemitteln effizienter gestalten.
„Das neue elektronische System erfasst alle landwirtschaftlichen Betriebe mit Namen, Fläche, Anbauplanung und Bedarf“, erklärte Kommissionsvorsitzender Sozdar Bero. Bislang seien 16.000 Lizenzen für die Bewässerungslandwirtschaft registriert worden. Von den geplanten 23 Millionen Litern Diesel seien bereits 16 Millionen verteilt worden.
Strategie zur Umstellung auf natürlichen Dünger
Die starke Nachfrage nach Saatgut habe die Behörden überrascht. „Im vergangenen Jahr blieb Saatgut übrig, dieses Jahr aber war der Bedarf durch den Anstieg der Anbauflächen deutlich höher“, so Bero. Eine Ausweitung der Dieselvergabe auf regenabhängige Landwirtschaft sei denkbar, sofern Ressourcen in künftigen Jahren ausreichen. Zur Kritik an den Düngemittelpreisen sagte Bero, man verfolge eine Strategie zur Umstellung auf natürlichen Dünger: „Unser Ziel ist es, die Abhängigkeit von chemischem Dünger zu verringern und langfristig auf organische Alternativen zu setzen.“
https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/raqqa-sinkender-euphrat-pegel-bedroht-landwirtschaft-und-wasserversorgung-49051 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/modernes-saatgutzentrum-in-heseke-nimmt-betrieb-auf-47914 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/chabur-fluss-in-rojava-vollstandig-ausgetrocknet-46633
QSD vereiteln Angriff mutmaßlicher IS-Zellen in Ostsyrien
Im Osten Syriens ist es nach Angaben der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) am Samstag zu einem Angriff mutmaßlicher Zellen der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf eine militärische Einheit der QSD gekommen. Der Vorfall ereignete sich in der Nähe des Dorfes al-Takihi bei Busayrah in der Region Deir ez-Zor.
Wie das QSD-Pressezentrum mitteilte, griffen sechs bewaffnete Angreifer ein Militärfahrzeug des Bündnisses an, das sich zu diesem Zeitpunkt im Einsatz befand. Bei dem folgenden Gefecht sei einer der Angreifer getötet und ein weiterer verletzt worden. Die übrigen Personen flohen demnach vom Tatort.
Foto: QSD-Pressezentrum
Nach Angaben der QSD wurden bei der Durchsuchung der Umgebung eine Maschinenpistole, dazugehörige Munition und ein Motorrad sichergestellt, das mutmaßlich von den Angreifern genutzt wurde. Unmittelbar nach dem Angriff haben die QSD eine Sicherheitsoperation eingeleitet, um die geflohenen Angreifer aufzuspüren. Die Suche in der Region sei weiterhin im Gange, heißt es in der Erklärung.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/angriff-auf-qsd-posten-in-ostsyrien-abgewehrt-49190 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/is-emir-in-deir-ez-zor-gefasst-49186 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/is-intensiviert-angriffe-in-deir-ez-zor-49156
Duran Kalkan: „Ein kritischer Prozess, der Aufmerksamkeit erfordert“
In einer Sondersendung beim kurdischen Sender Medya Haber TV hat sich Duran Kalkan, Mitglied der Abdullah-Öcalan-Akademie für Sozialwissenschaften, zu den aktuellen Entwicklungen im Dialogprozess zwischen dem türkischen Staat und Abdullah Öcalan geäußert. Dabei hob er die Rolle des Parlaments und die Bedeutung einer politischen Rahmung des Prozesses hervor.
Beteiligung des Parlaments als bedeutsamer Schritt
Mit Blick auf das Gespräch einer Parlamentsdelegation auf der Gefängnisinsel Imrali erklärte Kalkan: „Letztlich ist eine Delegation nach Imrali gereist und hat mit Abdullah Öcalan gesprochen. Teile dieses Gesprächs wurden an die Öffentlichkeit getragen. Eine Zusammenfassung wurde an die im Parlament eingerichtete Kommission übermittelt und über die Medien publik gemacht. Das waren wichtige Schritte. Dass das Parlament auf diese Weise eingebunden ist – sowohl durch die Einrichtung einer Kommission als auch durch direkten Kontakt mit Öcalan – stellt einen neuen, bedeutsamen Schritt dar. Es ist wichtig, diesen Umstand ernst zu nehmen.“
Ein historischer, nicht temporärer Prozess
Kalkan wies darauf hin, dass auch die Übermittlung der Ergebnisse dieses Gesprächs an die parlamentarische Kommission Gegenstand der öffentlichen Debatte sei. „Natürlich muss es Raum für Diskussion und Meinungsfreiheit geben“, sagte er. „Diese Auseinandersetzungen zeigen auch, wie bedeutend die gegenwärtige Lage ist. Es wird davon gesprochen, dass die Arbeit der Kommission an einem entscheidenden Punkt angekommen sei. Das wurde sowohl vom Parlamentspräsidenten als auch vom Vorsitz der Kommission öffentlich erklärt. Derzeit werden Berichte von den beteiligten Parteien eingeholt. Die Kommission will dem Parlament auf dieser Grundlage einen umfassenden Bericht vorlegen, in dem der rechtliche und politische Rahmen des Prozesses skizziert wird. Das ist von zentraler Bedeutung.“
Laut Kalkan wird die Kommission nicht nur die bisherigen Arbeitsergebnisse zusammenfassen, sondern auch konkrete Vorschläge an das Parlament richten: „Dass das Parlament und die Politik den Prozess aktiv begleiten, ihn ausgestalten und seiner Bedeutung gerecht werden – das ist ein kritischer Punkt. Was wird geschehen? Wie wird der Bericht aussehen? Welche Inhalte werden darin stehen? Wie wird das Parlament diese Empfehlungen bewerten? Das werden wir beobachten. Es ist nicht angebracht, sich im Voraus festzulegen. Es ist besser, Entwicklungen zu analysieren, sobald sie vorliegen, und dann sachlich Stellung zu beziehen.“
Ein Prozess von immenser Tragweite
Kalkan betonte die historische Dimension des laufenden Dialogs: „Es ist ein äußerst sensibler Prozess, der höchste Aufmerksamkeit erfordert. Wir haben es immer wieder betont: Dies ist kein vorübergehender, taktischer Moment. Es ist ein Prozess von lebenswichtiger Bedeutung. Abdullah Öcalan hat dies mehrfach nachdrücklich hervorgehoben. Es geht um die Zukunft der Türkei, um die Zukunft der Kurd:innen – ja, um Fragen, die für die gesamte Region und für die Menschheit von grundlegender Bedeutung sind.“ Mit Blick auf kritische Stimmen in der Öffentlichkeit sagte Kalkan: „Wer das nicht erkennt, redet oberflächlich und verantwortungslos. Es gibt viele, die frei von jeder Last einfach das sagen, was ihnen in den Sinn kommt, ohne sich der Schwere und Komplexität des Themas bewusst zu sein. Solche Stimmen gibt es leider immer.“
Duran Kalkan wies im weiteren Verlauf des Gesprächs auf die globale Dimension des Friedensprozesses hin und zitierte dabei Abdullah Öcalan, der diesen in einen historischen Zusammenhang stellte: „Man darf sich nicht an jenen orientieren, die die Tragweite des Prozesses nicht erfassen oder ihn bewusst verzerren. Vielmehr muss man sich vergegenwärtigen, wie ernst dieser Moment ist, welche Katastrophen Öcalan zu verhindern sucht, aber auch welche neue Zukunft er aufzubauen versucht: eine demokratische Zukunft.“ Öcalan habe betont: „Wir planen für das nächste Jahrhundert, für das nächste Jahrtausend. Wir kämpfen für die Demokratisierung der Türkei, für die Geschwisterlichkeit zwischen türkischer und kurdischer Bevölkerung und aller Völker des Nahen Ostens, für die Formierung einer neuen Welt, die auf demokratischer Einheit basiert.“
Kalkan ordnete diese Aussage in den Kontext globaler Entwicklungen ein: „Wir sprechen vom globalen System, von einer Welt, die sich zunehmend in ein globales Dorf verwandelt. Die kapitalistische Ordnung hat ein hegemoniales Gefüge etabliert und den Nahen Osten seit über einem Jahrhundert in einen Krisenraum verwandelt. Die ganze Welt hat die Konsequenzen dieser Politik zu spüren bekommen: Ausbeutung, Unterdrückung, Kriege, Hunger, ökologische Krisen, soziale Zerrüttung. Heute sehen wir etwa die Zuspitzung des Wasserkonflikts. Doch all diese Konflikte und Kriege wurzeln in strukturellen Problemen und im Zentrum davon steht die ungelöste kurdische Frage.“ Öcalan habe klar formuliert: „Wir versuchen, all diese Probleme zu lösen.“
Es braucht einen angemessenen Umgang
Duran Kalkan erinnerte daran, dass zuletzt auch eine Delegation der DEM-Partei Abdullah Öcalan auf Imrali besucht hat. Die aus dem Gespräch hervorgegangenen Erklärungen bezeichnete er als ausgesprochen bedeutsam: „Öcalan hat in diesem Zusammenhang erneut die globale Bedeutung des laufenden Prozesses betont. Gleichzeitig hat er auch Appelle an die Öffentlichkeit gerichtet, insbesondere an die Gesellschaft im Inneren des Landes. Seine zentrale Botschaft lautete: Alle müssen sich dem Prozess auf angemessene Weise nähern. Die Gesellschaft muss ihn richtig verstehen. Seine Aufrufe zielen auf Einheit. Das sind äußerst wichtige Botschaften.“
Kalkan betonte weiter: „Wäre es Öcalan möglich, unter normalen Bedingungen mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, würde er zweifellos noch deutlich stärkere Impulse setzen. Das Potenzial dazu hat er. Aber selbst unter den bestehenden, äußerst eingeschränkten Bedingungen sind die von ihm vermittelten Botschaften von zentraler Bedeutung.“
Der Prozess ist mit Schwierigkeiten verbunden
Duran Kalkan unterstrich, dass sich mittlerweile alle politischen Akteure, auch die Opposition, auf das Parlament als zentrale Adresse einer möglichen Lösung beziehen. Daraus ergebe sich eine klare Verantwortung: „Wenn das Parlament als Lösungsträger benannt wird, dann muss es diese Haltung auch praktisch einlösen. Es muss den politischen Willen zeigen und entsprechende Stärke entwickeln. Der Prozess verlangt mehr Engagement, insbesondere angesichts der Tatsache, dass es sich letztlich um einen bewaffneten Konflikt handelt, dessen Überwindung auf dem Spiel steht.“
Zugleich machte Kalkan auf die realen Hürden aufmerksam: „Natürlich gibt es Druck und vielfältige Widerstände. Es ist uns völlig klar, dass dieser Prozess mit Schwierigkeiten verbunden ist – für alle Beteiligten. Auch unsere Gesprächspartner:innen stehen unter Druck. Aber genau deshalb darf sich die Politik nicht in Schweigen flüchten oder Schwäche zeigen.“ Er wies darauf hin, dass sich die politische Klasse der Türkei aktuell einer historischen Bewährungsprobe gegenübersehe: „In der Vergangenheit wurde diese Prüfung nicht bestanden. Jetzt stellt sich erneut die Frage: Wird es gelingen, die richtige Entscheidung zu treffen? Oder wird man erneut scheitern? Das ist ein zentrales Thema. Diese Prüfung müsste eigentlich längst bestanden sein, aber das ist nicht geschehen.“
Bewährungsprobe hat der CHP politisch geschadet
Duran Kalkan ging in seinen Ausführungen auch auf die Haltung der Oppositionsparteien ein, insbesondere der Republikanischen Volkspartei (CHP). Er kritisierte, dass manche Parteien, die sich zunächst nicht an der Delegation für den Kommissionsbesuch auf Imrali beteiligt hatten, nachträglich zwar eine gewisse Selbstkritik äußerten, diese aber in Teilen unglaubwürdig geblieben sei: „Manche dieser Stellungnahmen fielen unter die Kategorie: ‚Die Entschuldigung ist schlimmer als das Vergehen‘. Besonders bei der CHP stimmten Wort und Tat nicht überein. Das wird politische Konsequenzen für sie haben.“
Er verwies auf innerparteiliche Diskussionen: „Auch innerhalb unserer Kreise vertreten viele die Ansicht, dass sowohl die Gruppe Neuer Weg als auch die CHP unter politischen Interventionen gelitten haben. Öcalan hat in diesem Zusammenhang gewarnt: ‚Die Logik des Putsches ist jederzeit aktiv, sie arbeitet im Verborgenen.‘ Solche Einflüsse könnten eine Rolle gespielt haben.“ Letztlich habe sich die CHP jedoch in dieser Frage widersprüchlich verhalten: „Es gab einen Bruch zwischen Rhetorik und politischem Handeln. Die Partei hat diese Bewährungsprobe nicht bestanden und dabei Punkte eingebüßt.“
Es braucht mehr politische Konsequenz
Duran Kalkan führte seine Kritik an der Haltung der CHP und einzelner linker Gruppen weiter aus. Dabei nahm er insbesondere Bezug auf die Gruppe Neuer Weg, ein Zusammenschluss innerhalb islamisch-konservativer Parteien: „Gerade die Parteien, die das Neuer-Weg-Bündnis gebildet haben, haben viel über demokratische Lösungsperspektiven gesprochen. Dann hätten sie auch entsprechend handeln müssen. Selbst wenn ihre Vorschläge im Parlament nicht angenommen worden wären – allein die Teilnahme an der Kommission, an der Delegation, wäre ein deutliches Zeichen gewesen. Sie hätten sagen müssen: ‚Wir gehen zuerst.‘“
Zur CHP sagte Kalkan: „Unmittelbar danach sprach die Partei von einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage. Wenn sie es damit ernst meint, dann führt kein Weg an Abdullah Öcalan vorbei. Parteivorsitzender Özgür Özel erklärte in Diyarbakır öffentlich: ‚Was das kurdische Volk sagt, gilt auch für uns.‘ Doch wenn das Volk sagt: ‚Meine politische Repräsentation befindet sich auf Imrali‘ und du akzeptierst das nicht, behauptest stattdessen, du allein würdest über die politische Willensbildung der Kurd:innen entscheiden, wo bleibt dann die Demokratie?“
Er warnte davor, den Prozess zum Machtkampf zwischen Opposition und Regierung verkommen zu lassen: „Ja, es gibt politische Konflikte. Aber wenn man sich der gleichen Methoden bedient wie die Regierung, dann bringt man nichts Neues hervor. Die CHP hätte vorsichtiger, konsequenter handeln müssen. Die Ergebnisse des Gesprächs hätten in vollem Umfang sowohl der Kommission als auch dem Parlament vorgelegt werden müssen.“
Politische Repräsentation erfordert Mut
Kalkan stellte eine provokante Frage: „Warum fürchtet man sich derart vor den Ansichten Abdullah Öcalans? Das ist für mich schwer nachvollziehbar.“ Zugleich äußerte er sich scharf zur unzureichenden Transparenz der Kommissionsarbeit und kritisierte, dass die tatsächlichen Positionen Abdullah Öcalans in den Berichten kaum wiedergegeben worden seien: „Was der Kommission vorgelegt wurde, waren in erster Linie die Einschätzungen der Delegation, nicht die Sichtweisen Öcalans selbst. Seine eigentlichen Positionen wurden nicht reflektiert. Dabei war es doch diese Delegation, die das Gespräch für notwendig erachtet und geführt hat. Dann hätte sie auch seine Ansichten angemessen wiedergeben müssen. Aber davor hatte man offenbar Angst.“
Diese Zurückhaltung bezeichnete Kalkan als symptomatisch: „Ob man es nun Chauvinismus oder hegemoniales Nationendenken nennt – entscheidend ist, dass es eine tief verankerte Angst gibt, Öcalans Perspektiven öffentlich zu machen. Dass die CHP nicht nach Imrali gereist ist und andere Gesprächspartner:innen sucht, oder dass die Delegation ihre eigenen Sichtweisen präsentiert, statt die Öcalans zu übermitteln – all das zeigt, dass man sich selbst als alleinige Lösungsmacht inszenieren will. Aber so funktioniert es nicht.“ Er kritisierte die Widersprüchlichkeit der offiziellen Linie scharf: „Einerseits spricht man von Krieg, von Terror, von einer schweren Lage. Andererseits führt der Staat offizielle Gespräche, aber die Politik scheut davor zurück, sich offen als Gesprächspartner zu zeigen. Warum hat das Parlament Angst? Es darf keine Angst haben.“ Kalkan erinnerte daran, dass auch höchste staatliche Stellen den Prozess klar als staatlich legitimiertes Projekt bezeichnet hätten: „Selbst die MHP sagte: ‚Das ist ein Projekt des Staates.‘ Präsident Erdoğan erklärte, es handle sich um ein staatliches Vorhaben. Warum also zögern die CHP und andere Oppositionskräfte, sich daran zu beteiligen? Warum haben sie Angst davor, Teil eines offiziell anerkannten Prozesses zu sein?“
Bericht der Kommission muss eine echte Lösung beinhalten
Duran Kalkan betonte, dass die politische Zielsetzung des Dialogprozesses klar sein müsse: Er dürfe nicht auf halbem Weg stehenbleiben oder in Symbolpolitik münden. Vor allem der Abschlussbericht der Parlamentskommission müsse konkrete Lösungsansätze enthalten: „Der Bericht der Kommission – und in der Folge auch die Schritte des Parlaments – müssen eine tatsächliche Lösung zum Inhalt haben. Es darf kein Bericht werden, der nur das Problem konserviert oder weiter verlängert.“ Kalkan forderte konkrete gesetzgeberische Maßnahmen: „Was wir brauchen, sind Freiheitsgesetze, Gesetze zur demokratischen Integration, Übergangsregelungen. Solange das Problem nur unter dem Schlagwort ‚Terrorismus‘ betrachtet wird, ohne sich den Ursachen und strukturellen Hintergründen zu widmen, wird keine Lösung zustande kommen. Wenn sich Justiz und Politik nicht an diesen Kern der Sache heranwagen, kann es keinen Fortschritt geben.“
Er kritisierte dabei auch die mediale und gesellschaftliche Debatte: „Was manche Kreise äußern, trägt kaum zur Lösung bei. Teilweise handelt es sich um völlig absurde, destruktive Diskussionen. Wir haben es mit Gegner:innen zu tun, die sich offen feindselig positionieren, mit Leuten, die politische Rendite aus dem Status quo schlagen, und mit einem Mediensystem, das oft genug genau diesen Stimmen eine Plattform bietet.“ Ein Beispiel sei die wiederholte Behauptung gewesen, in Deutschland gäbe es „14.000 PKK-Mitglieder“.
„Die PKK ist in Deutschland seit dem 26. November 1993 verboten. Wer auch nur in Verdacht steht, in diese Strukturen eingebunden zu sein, wird verfolgt, inhaftiert. Viele Menschen, die mit der PKK gar nicht organisatorisch verbunden sind, sitzen seit Jahren im Gefängnis, nur weil sie sich mit der kurdischen Sache solidarisch zeigen. Und nun werden 14.000 kurdische Aktivist:innen, die in Deutschland kulturelle Arbeit leisten, kollektiv als ‚Terroristen‘ diffamiert. Das ist inakzeptabel.“ Kalkan betonte abschließend: „Man will eine Gesellschaft ohne Kurd:innen. Eine Gesellschaft ohne organisierte Kurd:innen. Diese Denkweise muss überwunden werden.“
Die Drohungen der Türkei gegenüber Rojava
Duran Kalkan ging auch auf die aktuelle Situation in Syrien und die aggressive Rhetorik der türkischen Regierung gegenüber der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) ein. Er betonte, dass die Türkei den Dialog verweigere, obwohl von kurdischer Seite Gesprächsbereitschaft signalisiert werde: „Die Türkei ist im Syrien-Konflikt in eine Sackgasse geraten und reagiert darauf mit täglichen Drohungen gegen Rojava. Dabei zeigen uns die Informationen, die wir erhalten, dass die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien grundsätzlich bereit ist, das am 10. März getroffene Abkommen [mit der selbsternannten syrischen Übergangsregierung, Anm. d. Red.] umzusetzen. Auch von internationalen und regionalen Akteuren wird berichtet, dass es keine generelle Verweigerungshaltung aufseiten der Selbstverwaltung gibt – vielmehr sei man offen für Verhandlungen.“
Kalkan stellte fest, dass die Führung in Damaskus unter Ahmed al-Scharaa alias Abu Muhammad al-Dschaulani unter massivem Einfluss internationaler und regionaler Kräfte stehe, während die Türkei versuche, jede Verantwortung auf die kurdisch geprägte Selbstverwaltung abzuwälzen: „Die Türkei macht die Verwaltung in Nord- und Ostsyrien für alles verantwortlich – und das nur, weil Kurd:innen in dieser Struktur eine führende Rolle spielen. Doch wenn die Politik sich so offen gegen die Existenz und Mitbestimmung der Kurd:innen richtet, wie will man dann die kurdische Frage lösen?“ Er warnte vor den Folgen dieser Haltung: „Wenn du einen schwachen, entrechteten und ausgelöschten Kurden willst – wohin führt das dann mit Blick auf das Türkentum? Einerseits sagt man: ‚Ohne Kurden kann es keine Türken geben, ohne Türken keine Kurden.‘ Andererseits will man die Kurd:innen eliminieren. Doch wer die Kurd:innen auslöscht, zerstört auch sich selbst.“
Kalkan wies darauf hin, dass die systematische Leugnung der kurdischen Identität seit einem Jahrhundert eine zentrale Ursache für die Schwäche des türkischen Staates sei: „War es nicht gerade die kurdenfeindliche Politik, die die Türkei über hundert Jahre hinweg geschwächt hat? War es nicht eben jene Mentalität, die auf Verleugnung und Ausschluss der Kurd:innen basiert? Diese Wahrheit ist offensichtlich und sie ist allgemein bekannt.“
CHP hat ihre eigenen Kraftquellen geschwächt
Duran Kalkan nahm die Haltung der CHP erneut kritisch in den Blick. Insbesondere die Weigerung, sich aktiv am Dialog mit Abdullah Öcalan zu beteiligen, sei aus seiner Sicht ein strategischer Fehler gewesen: „Die CHP ist nicht nach Imrali gegangen, hat sich nicht an den Gesprächen beteiligt. Und was hat sie stattdessen getan? Sie hat sich selbst geschadet. Sie hat sich sprichwörtlich die Axt ins eigene Bein geschlagen und ihre eigenen Kraftquellen zum Versiegen gebracht. Hat sie dadurch etwa an Stärke gewonnen? Vielleicht hat sie ein paar Nationalist:innen oder Chauvinist:innen gebunden, aber kann man so zu einer demokratischen Kraft werden? Sicher nicht.“
Kalkan wies darauf hin, dass die Partei damit auch einer grundsätzlichen politischen Erneuerung im Wege stehe: „Noch immer fehlt es an einem Paradigmenwechsel. Noch immer herrscht keine Klarheit. Ja, es gibt innerhalb der AKP und MHP Kräfte, die sich einem Wandel nicht völlig verschließen. Aber gleichzeitig gibt es auch starke Widerstände. Die Politik müsste in dieser Frage viel klarer und mutiger auftreten.“
Er forderte eine Abkehr von der kurdenfeindlichen Staatsideologie: „Das überholte Paradigma muss überwunden werden. Die Mentalität und Politik, die die Existenz der Kurd:innen leugnet, muss sich ändern. Ich habe es früher schon gesagt: Wenn es eine demokratische Denkweise und Politik gäbe, wäre die kurdische Frage leicht lösbar. Es ist im Grunde gar kein schwieriges Problem, aber mit einer autoritären, ausgrenzenden Mentalität kann es nicht gelöst werden. Wer die Kurd:innen schwächt, schwächt zugleich auch die Türk:innen.“
Isolation Öcalans muss vollständig aufgehoben werden
Duran Kalkan betonte in eindringlichen Worten die zentrale Rolle Abdullah Öcalans für den weiteren Verlauf des Friedensprozesses. Ohne einen tatsächlichen Zugang zur Öffentlichkeit könne er seine vermittelnde Rolle nicht im nötigen Maße wahrnehmen: „Es besteht nach wie vor ein erheblicher Mangel an direkter Kommunikation. Die wenigen Treffen mit Delegationen reichen nicht aus. So lässt sich dieser Prozess nicht zum Erfolg führen.“
Kalkan forderte daher konkrete Schritte: „Die Türen von Imrali müssen geöffnet werden. Abdullah Öcalan braucht umfassende Kommunikationsmöglichkeiten. Wenn der Staat selbst nicht handelt, dann sollte er zumindest ihm die Möglichkeit geben, zu handeln. Er selbst hat gesagt: ‚Gebt mir die Chance – ich werde den Prozess zum Erfolg führen.‘ Und er meint das ernst.“ Der Revolutionär machte deutlich, dass die gegenwärtige Isolation nicht mit einem ernsthaften Friedensprozess vereinbar sei: „Wir können noch nicht von einem Zustand sprechen, in dem die Isolation vollständig aufgehoben wäre oder in dem Öcalan unter freien und würdigen Bedingungen leben und arbeiten könnte. Es besteht lediglich ein sehr eingeschränktes Kommunikationsfenster. Das ist unzureichend.“
Kalkan verband seine Forderung mit einer klaren Perspektive: „Wenn der Prozess erfolgreich sein soll, müssen die Bedingungen geschaffen werden, unter denen Abdullah Öcalan sich frei äußern, politisch handeln und leben kann. Denn er ist der zentrale Gesprächspartner. Er übernimmt Verantwortung, er zeigt Entschlossenheit. Deshalb: Wenn man wirklich einen Fortschritt will, dann müssen ihm die nötigen Handlungsspielräume eröffnet werden, ohne Verzögerung.“
„Es gibt kein Zurück mehr. Wer sich nicht beteiligt, verliert“
Duran Kalkan betonte mit Nachdruck, dass der laufende Prozess unumkehrbar sei und strategische Tiefe habe – nicht bloß taktischen oder vorübergehenden Charakter: „Wir haben es mehrfach betont: Unsere Haltung zum Prozess ist keine taktische. Wir sehen ihn nicht als Übergangsmoment. Für uns gibt es kein Zurück. Aber natürlich stellt sich die Frage: Wohin führt dieser Weg? Diese Frage beschäftigt uns. Wir versuchen, ihn zu verstehen, und tun das mit Ernsthaftigkeit.“ Kalkan richtete sich auch an jene politischen Akteur:innen, die bislang gezögert oder sich abwartend verhalten haben: „Wer darauf setzt, sich erst später zu positionieren, wer meint: ‚Ich warte mal ab, wo das Ganze hinführt, und schließe mich dann an‘, der wird keinen Nutzen davon haben. Diese Haltung ist kurzsichtig und verantwortungslos.“
Er warnte insbesondere vor Akteuren, die bewusst auf eine Eskalation setzen: „Wer sich diesem Prozess nicht anschließt, wird verlieren. Denn es gibt keine Alternative. Die Alternative wäre ein erneutes, massives Aufflammen des Krieges mit all seinen katastrophalen Folgen. Genau das wollen jene Kräfte, die vom Status quo profitieren. Sie sagen: ‚Lasst alles beim Alten, damit wir unsere Machtinteressen weiter bedienen können.‘ Man muss sich fragen: In wessen Auftrag handeln sie eigentlich? Sie geben sich als Patrioten, Nationalisten, Verteidiger der Heimat, doch ihre Biografien zeigen oft ein ganz anderes Bild.“
Kalkan bekräftigte die Haltung der kurdischen Befreiungsbewegung: „Unsere Entschlossenheit ist eindeutig. Wir haben die bewaffneten Aktivitäten der PKK eingestellt. Wir haben unsere Maßnahmen getroffen, unsere Erklärungen abgegeben. Unsere Bemühungen zielen jetzt darauf, den Prozess auf politischer und demokratischer Grundlage weiterzuführen.“
Prozess ist komplex und voller Hürden
Im weiteren Verlauf erläuterte Kalkan, dass die PKK nach der Einstellung des bewaffneten Kampfes nun auf eine politische und demokratische Strategie setzt. Dennoch, so betonte er, sei der Weg kein einfacher: „Ja, wir haben eine strategische Neuausrichtung vorgenommen. Eine Rückkehr zur alten Strategie wird es nicht geben. Wir arbeiten daran, neue Wege zu entwickeln, geeignete Methoden zu finden und uns entsprechend weiterzuentwickeln.“ Er wies darauf hin, dass dies ein langfristiger und nicht unkomplizierter Prozess sei: „Unsere Bemühungen sind ernsthaft, aber dieser Prozess ist schwierig, das muss man klar sagen. Es ist ein komplexer, vielschichtiger Weg, der für alle Beteiligten mit Herausforderungen verbunden ist. Auch unsere Gesprächspartner sprechen häufig von Schwierigkeiten und Blockaden. Und ja, wir verstehen das. Aber auch wir haben mit erheblichen Hindernissen zu kämpfen.“
Kalkan warnte zudem vor den Gefahren einer Verschleppung: „Je länger der Prozess hinausgezögert wird, desto größer wird die Gefahr von Provokationen. Deshalb ist es wichtig, nicht unnötig Zeit zu verlieren. Doch so ein Wandel geschieht nicht einfach auf Zuruf. Er muss vorbereitet werden, es braucht konkrete Bedingungen, ein förderliches Umfeld.“ Die politische Linie Abdullah Öcalans sei dabei zentral: „Wir arbeiten daran, die politische Strategie Öcalans richtig zu verstehen, sie weiterzuentwickeln, Wege zu finden, sie in die Praxis umzusetzen. Es geht um ernsthafte Analyse, um ernsthafte Auseinandersetzung. Und wir tun das mit Verantwortungsbewusstsein.“
Kalkan appellierte an eine wechselseitige Perspektive: „Alle sollten sich auch in die Lage der jeweils anderen versetzen können. Es reicht nicht, nur die eigenen Schwierigkeiten zu sehen. Neulich hat sich ein Guerillakommandant geäußert und sofort wurden in manchen Kreisen schrille Stimmen laut, als sei das ein Skandal. Dabei muss man auch die Umstände betrachten, unter denen solche Aussagen entstehen. Es geht um Empathie, ohne dass daraus ein destruktives Klima entsteht. Genau das gilt es zu vermeiden.“
Friedensmütter zeigen eindrucksvolles Engagement
Duran Kalkan würdigte im weiteren Verlauf des Interviews insbesondere die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteur:innen im Friedensprozess, allen voran die kurdischen Friedensmütter: „Die Bemühungen der Friedensmütter sind besonders intensiv. Sie tragen eine enorme moralische Kraft in sich. Auch die Samstagsmütter engagieren sich weiterhin. Und ganz besonders: Die Frauen insgesamt waren es, die den Prozess von Frieden und demokratischer Gesellschaft am stärksten unterstützt haben – sowohl in Kurdistan als auch in der gesamten Türkei.“
Kalkan hob hervor, dass gerade Frauen besonders stark von Krieg betroffen seien und deshalb auch am meisten auf Frieden angewiesen sind: „Je mehr Frauen die politischen Zusammenhänge verstehen, desto aktiver setzen sie sich für Frieden ein. Denn sie wissen: Krieg trifft Frauen besonders hart. Und sie wissen auch: Der Weg zur Frauenbefreiung führt nur über demokratische Politik. Diese Erkenntnis hat in der kurdischen Gesellschaft breite Wurzeln geschlagen.“ Auch die Rolle der Jugendbewegung und internationaler Foren wurde von Kalkan hervorgehoben: „Die Jugend organisiert zunehmend eigene Aktivitäten. Und auf internationaler Ebene gibt es Konferenzen, Debatten, Austausch. All das ist wichtig, aber es muss noch weiter gestärkt und verbreitert werden.“
Gewalt gegen Frauen zentrale Herausforderung des Prozesses
Duran Kalkan sprach im Anschluss über die gesellschaftlichen Dimensionen des Friedensprozesses und verwies dabei auf aktuelle Äußerungen Abdullah Öcalans sowie der DEM-Partei: „Sowohl Abdullah Öcalan als auch die Delegation der DEM-Partei haben in ihren jüngsten Erklärungen betont: Die innergesellschaftlichen Konflikte – insbesondere die Gewalt gegen Frauen – sind zentrale Felder, auf denen der Friedensprozess verteidigt und vorangebracht werden muss.“ Öcalan habe angekündigt, sich in einer zweiten Phase des Prozesses besonders auf diese Themen zu konzentrieren. Laut Kalkan gehe es dabei um den Kampf gegen spezifische Formen der Zerstörung, die mit dem Konzept des Spezialkriegs verbunden seien: „Wir sprechen von gezielten Angriffen auf die Gesellschaft: Prostitution, Drogen, Zwangsrekrutierung, Agententätigkeit, der Versuch, gesellschaftliche Organisation und Einheit zu zersetzen. All das sind zentrale Schlachtfelder in diesem Prozess. Und es gibt bereits Kampagnen und Initiativen, die genau diese Punkte mit großem Einfluss adressieren.“ Er verwies darauf, dass gerade in symbolisch wichtigen Regionen wie Dersim oder Licê solche destruktiven Einflussnahmen besonders intensiv seien: „In Gebieten, die historisch eine wichtige Rolle im Freiheitskampf gespielt haben, ist heute der Versuch erkennbar, patriotische und demokratische Kräfte gezielt zu schwächen oder vom politischen Kurs abzubringen. Das ist kein Zufall, sondern Teil eines bewusst geplanten Vorgehens.“
Jugendorganisationen tragen eine besondere Verantwortung
Kalkan zitierte erneut Öcalan: „Nur mit Bewusstsein und Organisation lässt sich diesen Entwicklungen wirksam entgegentreten. Das ist vollkommen richtig. Wir müssen bewusster werden. Wir müssen organisierter handeln. Und wir müssen gerade die Jugend konsequenter schützen.“ Er unterstrich die zentrale Rolle der Jugend im demokratischen Gesellschaftsprozess und formulierte zugleich deutliche Kritik an deren aktuellem Zustand: „Die kämpferische Haltung der organisierten apoistischen Jugend ist derzeit zu schwach. Weder innerhalb ihrer Strukturen noch in ihrem gesellschaftlichen Umfeld entfaltet sie genügend Wirkung.“
Dabei, so Kalkan, sei die Existenz dieser Jugendbewegung unbestritten: „Es gibt sie und wir glauben an sie. Aber sie muss sich besser strukturieren, sich strategisch planen und effektiver handeln. Es reicht nicht, wenn organisierte Jugendliche nur sich selbst schützen. Sie müssen Verantwortung für die gesamte Jugend übernehmen – auch über die kurdische Gesellschaft hinaus, in der gesamten Türkei.“ Er stellte die Frage: „Wie kann es sein, dass Prostitution und Drogenhandel so offen agieren können? Wie kann es sein, dass die Zukunft einer Gesellschaft systematisch durch Suchtmittel zerstört wird und kaum jemand etwas dagegen sagt?“ Kalkan analysierte dies als Ausdruck einer kollektiven Schwäche.
„Was wir sehen, ist Individualismus, Organisationslosigkeit, mangelnde Bereitschaft zum Kampf. Wir müssen mutiger, aufopferungsbereiter und organisierter sein. Denn Teil einer Gesellschaft zu sein, bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen.“ Er verband diese Verantwortung mit einer strategischen Perspektive: „Der Kampf für Abdullah Öcalans physische Freiheit muss mit dem Kampf gegen alle Formen der Zerstörung verbunden werden, die durch Spezialkrieg, Drogen, Entwurzelung und gesellschaftliche Spaltung betrieben werden – und das nicht nur in Kurdistan, sondern in der Türkei, in Europa. Überall. Und zwar organisiert, bewusst und strategisch geplant.“ Kalkan formulierte einen Appell: „Solche destruktiven Kräfte lassen sich schwächen, es ist nicht unmöglich. Man muss ihnen nur geschlossen und mit gemeinsamer Haltung entgegentreten. Wenn wir uns selbstkritisch hinterfragen und entschlossen handeln, können wir den Verlauf des Prozesses in unserem Sinne beeinflussen.“
„Wir hätten gerne an der Konferenz teilgenommen“
Duran Kalkan nahm Bezug auf die kürzlich in Istanbul abgehaltene „Internationale Konferenz für Frieden und demokratische Gesellschaft“, die von der DEM-Partei organisiert worden war, und würdigte deren Beitrag zum öffentlichen Diskurs: „Es war eine ausgesprochen wichtige Konferenz. Wir haben versucht, Teile der Diskussionen über die Medien zu verfolgen, und beobachten auch ihre Ergebnisse sehr genau. Abdullah Öcalan hat eine umfassende Botschaft übermitteln lassen, und viele bedeutende Persönlichkeiten – sowohl aus dem Inland als auch aus der ganzen Welt – haben sich mit wertvollen Beiträgen eingebracht.“
Kalkan betonte, dass die Konferenz den Friedens- und Demokratisierungsprozess nicht nur verständlicher, sondern auch greifbarer gemacht habe: „Menschen, die diesen Prozess selbst erlebt haben, haben ihre Erfahrungen geteilt und Perspektiven eröffnet. Dadurch wurde der Prozess nicht nur erklärt, sondern auch vertieft und mit Leben gefüllt. Allen, die daran mitgewirkt haben, senden wir unseren Gruß.“ Er bedauerte zugleich, dass seine Institution – die Abdullah-Öcalan-Akademie für Sozialwissenschaften – nicht teilnehmen konnte: „Als Akademie hätten wir sehr gerne teilgenommen. Wir möchten uns aktiv an solchen Veranstaltungen beteiligen und könnten durchaus substanzielle Beiträge leisten – sowohl auf analytischer als auch auf erfahrungsgestützter Ebene.“
Er würdigte zugleich die Vielfalt der Stimmen, die auf der Konferenz zu Wort kamen: „Sowohl unsere patriotisch-demokratischen Kreise als auch unsere sozialistischen Freund:innen haben sich mit wertvollen Gedanken eingebracht. Öcalans Botschaft war nicht nur inhaltlich weitreichend, sondern auch inklusiv – sie zeichnete sich durch einen klaren Rahmen, eine klare Sprache und eine konstruktive Haltung aus. Besonders hervorzuheben ist, dass sie nicht nur Kritik formulierte, sondern auch konkrete Lösungsperspektiven aufzeigte.“
Kalkan hob hervor, dass die Konferenz auch grundlegende gesellschaftliche Fragen thematisiert habe: „Was bedeutet Frieden? Wie gelangt man dorthin? Was ist eine demokratische Gesellschaft? Wie entsteht sie? Welche Verbindung besteht zwischen Demokratie und Sozialismus? All diese Fragen wurden auf dieser Konferenz auf eine kluge und tiefgründige Weise behandelt.“ Er zeigte sich zudem beeindruckt vom internationalen Interesse:„Die Beteiligung aus dem Ausland war bemerkenswert. Es waren Menschen dabei, die aus 11.000 Kilometern Entfernung angereist sind, um hier eine Botschaft zu überbringen. Sie beschrieben Öcalans Ideen als ein Licht in der Finsternis des Kapitalismus und zeigten, wie seine Gedanken dem Sozialismus neue Lebendigkeit verleihen können, indem sie ihn aus der Theorie in den Alltag und das gesellschaftliche Leben überführen.“
Kritik an sozialem Chauvinismus in der Linken
Zum Abschluss seiner Ausführungen wandte sich Duran Kalkan einem Thema zu, das in der kurdischen Bewegung seit Jahrzehnten kritisch diskutiert wird: dem Verhältnis zwischen der türkischen Linken und der kurdischen Befreiungsbewegung. Dabei kritisierte er deutlich nationalistisch geprägte Denkweisen innerhalb linker, sozialistischer Bewegungen in der Türkei. „Es gibt in der Türkei durchaus eine relevante linke Tradition, eine historische Erfahrung. Das lässt sich nicht leugnen. Aber es gibt auch Bewegungen, die sich trotz ihres linken Anspruchs mit einem hegemonial-nationalistischen Komplex tragen. Man kann es sozialen Chauvinismus nennen.“
Kalkan analysierte, warum sich große Teile der türkischen Linken in den vergangenen Jahrzehnten nicht grundlegend erneuern konnten: „Warum konnte sich die sozialistische Bewegung, die Anfang der 1970er Jahre stark aufgeflammt ist, nicht zu einer richtungsweisenden Kraft weiterentwickeln, die heute die Zukunft der Türkei mitgestaltet? Diese Frage muss im Zusammenhang mit sozialen Dogmen, hegemonialer Mentalität und der fehlenden Auseinandersetzung mit der kurdischen Realität beantwortet werden.“
Er warf bestimmten Gruppen vor, eine unreflektierte, dogmatische Kritik an Öcalan und der PKK zu üben – aus Gründen, die mit deren Herkunft und Haltung zu tun hätten: „Heute greifen dieselben Kreise, die einst die nationale Befreiung in Kurdistan ablehnten, die politische Linie Abdullah Öcalans an. Dabei geht es ihnen nicht um Inhalte, sondern darum, dass diese Linie von Kurd:innen getragen wird. Das ist die Logik des sozialen Chauvinismus.“ Er zog einen historischen Vergleich: „So, wie während des Befreiungskampfes zu Beginn der Republik oppositionelle Kräfte gegen die kurdische Bewegung standen, so ist es auch heute: Man kennt uns gut. Doch als die Bewegung wuchs und internationale Anerkennung fand, konnten sie sich nicht mehr offen dagegenstellen. Jetzt, da Öcalans Ideen eine neue Etappe erreicht haben, werden dieselben alten Muster wieder aktiviert.“
Appell an die solidarische Auseinandersetzung
Kalkan kritisierte die Doppelmoral innerhalb mancher linker Gruppen: „Diese Kräfte sagen im Grunde: ‚Kurd:innen dürfen keine neuen Ideen formulieren.‘ Als Öcalan etwa den Begriff Judenräte verwendete, reagierten viele heftig. Warum? Weil sie sich angesprochen fühlten. Es gibt Akteure, die mit Maske auftreten, die enthüllt werden, und um das zu verhindern, greifen sie an.“ Er übte auch theoretische Kritik an einem entleerten Klassenbegriff: „Einige haben den Klassenkampf zu einem abstrakten Prinzip erklärt, das losgelöst von Praxis, Organisation und kollektiver Erfahrung besteht. Was wir heute erleben, ist kein sozialistisches Kollektiv mehr, sondern ein kleinbürgerlicher Individualismus, der sich unter linken Begriffen tarnt. Diese Praxis hat den Geist der Kommune verdrängt.“
Mit Blick auf historische Vorbilder sagte Kalkan: „Marx sagte einst: Die Kommune ist das Gegenmodell zum Imperium. Lenin baute die Oktoberrevolution auf diesem Prinzip auf. Doch was ist daraus geworden? Viele heutige Linke sind keine Sozialist:innen im Sinne eines kollektiven Lebensmodells, sondern kleingeistige Eigentumsverteidiger.“ Er fasste pointiert zusammen: „Sprechen wir über soziale Befreiung, über die Befreiung der Frau, oder nur über individuelle Freiheiten? Diese Linke, wie sie sich heute oft zeigt, hat den Kommunengedanken aufgegeben und lebt im Schatten des Kapitalismus.“
Abschließend richtete Kalkan ein offenes Angebot an jene, die sich ernsthaft mit der kurdischen Bewegung und ihrer politischen Linie auseinandersetzen wollen: „Sollen sie doch Marx und Lenin lesen oder zu uns kommen, wir geben ihnen Unterricht. Man wirft uns vor, wir hätten keine Ahnung. Aber wir wissen sehr genau, was Marx und Lenin gesagt haben – und wir wissen auch, was heute in ihrem Namen praktiziert wird.“ Er schloss mit einem Appell an die solidarische Auseinandersetzung: „Öcalan ist wie ein Licht in der Dunkelheit des Kapitalismus. Und dieses Licht wird nicht durch Schlamm erstickt. Unsere Haltung ist klar: Wir setzen auf kameradschaftliche theoretische Auseinandersetzung, auf gemeinsamen politischen Kampf gegen den Kapitalismus, auf Basis eines gemeinsamen Programms. An alle, die sich als Kommunalist:innen verstehen, geht unser Aufruf: Lasst uns diskutieren. Lasst uns gemeinsam kämpfen.“
https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/kommentar-die-notwendigkeit-den-sozialismus-neu-zu-denken-49228 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-bekraftigt-im-gesprach-mit-kommission-wunsch-nach-friedlichem-zusammenleben-48989 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-veroffentlicht-losungsbericht-fur-parlamentskommission-49226
Samstagsmütter: Gerechtigkeit für Ibrahim Demir und Agit Akipa
Die Istanbuler Initiative der Samstagsmütter hat bei ihrer 1081. Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam Gerechtigkeit für Ibrahim Demir und Agit Akipa gefordert. Die beiden Kurden waren vor 34 Jahren in einem Dorf bei Hezex (tr. Idil) in der nordkurdischen Provinz Şirnex (Şırnak) von der türkischen Militärpolizei festgenommen worden. Einen Tag später fand man in einer Höhle ihre Leichen. Die Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen.
Ibrahim Demir (36) und Agit Akipa (39) lebten mit ihren Familien im Dorf Xenduk, dessen türkischer Name Çukurlu lautet. Akipa war Vorsteher des Dorfes. Es waren die frühen neunziger Jahre, in denen die „Spezialkriegsabteilung“ der türkischen Armee im Rahmen ihrer sogenannten Aufstandsbekämpfung in den kurdischen Provinzen das Dorfschützersystem intensiv ausbaute.
Nach Protest gegen Dorfbelagerung festgenommen
Die Gendarmerie versuchte, die Menschen aus Xenduk in diese paramilitärische Struktur einzubinden. Es hatte bereits mehrfach eindringliche Ansagen gegeben, auch wurde Agit Akipa als Ortsvorsteher offen gedroht. Doch die Familien weigerten sich, dem Dorfschützersystem beizutreten. In den ersten Tagen des Dezembers im Jahr 1991 wurde Xenduk von der Militärpolizei besetzt. Die Dorfschule wurde in einen Stützpunkt verwandelt, mehrere Häuser der Bevölkerung beschlagnahmt. Agit Akipa und Ibrahim Demir machten sich auf den Weg nach Hezex und forderten beim Landratsamt und dem Innenministerium den Abzug der Soldaten aus dem Dorf. Daraufhin wurde der staatliche Druck noch intensiver.
Maside Ocak
Am 12. Dezember 1991 wurde der Laster, in dem sich Akipa und Demir seit ihrem Rückweg aus der Kreisstadt Hezex aufhielten, vor dem Dorfeingang angehalten. Die zwei Männer wurden von Soldaten aus dem Fahrzeug gefischt und an einen unbekannten Ort gebracht. Als Familienangehörige bei der Militärpolizei Fragen zu ihrem Verbleib stellten, erklärte der zuständige Kommandant, Akipa und Demir noch nie gesehen zu haben. Doch ein Soldat gab den Familien heimlich den Hinweis, in den Höhlen eines nahegelegenen Gebirgsmassivs zu suchen. Am 13. Dezember 1991 wurden die Leichname von Ibrahim Demir und Agit Akipa in einer mit Steinen abgedeckten Höhle gefunden. Sie waren gefesselt worden und hatten verbundene Augen. Ihre Körper waren übersät mit Folterspuren.
Die Angehörigen von Ibrahim Demir und Agit Akipa erstatteten umgehend Anzeige. Der Staatsanwalt von Idil stellte daraufhin am 18. Dezember 1991 beim Landrat von Dargeçit (ku. Kerboran) den Antrag, Ermittlungen gegen den damaligen Kommandeur einer Infanteriekompanie der Gendarmerie sowie mehrere Soldaten und Unteroffiziere einzuleiten. Er erhob den Vorwurf des Totschlags gegen die Militärs. Das Landratsamt verweigerte jedoch die notwendige Genehmigung zur strafrechtlichen Verfolgung. Damit blieb eine Anklage aus.
Tahir Elçi nimmt sich Fall an
2011 starteten die Hinterbliebenen einen neuen Versuch, den Fall vor Gericht zu bringen. Ihr Rechtsanwalt war Tahir Elçi, der später Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakır (Amed) wurde – und 2015 selbst von staatlichen Kräften ermordet wurde. Elçi erwirkte, dass die Staatsanwaltschaft Idil neue Untersuchungen einleitete und bei den zuständigen Behörden Akteneinsicht beantragte. Alle Institutionen teilten jedoch mit, dass Akten, Informationen oder Dokumente über die Tötung von Ibrahim Demir und Agit Akipa in ihren Archiven nicht auffindbar seien. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Bedienstete der Bezirksverwaltung Dargeçit wegen „Amtsmissbrauchs“ ein. Auch dieses Verfahren blieb ergebnislos. Der Fall wurde schließlich wegen Verjährung eingestellt.
Initiative fordert weiter Aufklärung
„Wie viel Zeit auch vergeht – wir werden nicht aufhören, Gerechtigkeit für unsere Verschwundenen zu fordern“, sagte die Aktivistin Maside Ocak, die den Fall um das Verschwindenlassen von Ibrahim Demir und Agit Akipa schilderte. Der türkische Staat müsse sich an internationale Rechtsnormen halten, so die Forderung der Initiative. Die Mahnwache endete wie jede Woche mit dem Niederlegen von roten Nelken auf dem Galatasaray-Platz.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-aufklarung-uber-verschwinden-von-huseyin-taskaya-49139 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-fordern-gerechtigkeit-fur-mahmut-dogan-49048 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/samstagsmutter-seit-45-jahren-fragen-wir-wo-ist-hayrettin-eren-48945
Abdi: Ziel der Revolution war Freiheit, nicht nur ein Regimewechsel
Der Oberkommandierende der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazluum Abdi, hat das 10.-März-Abkommen als historischen Schritt auf dem Weg zu einer neuen politischen Ordnung in Syrien bezeichnet. Bei einer Veranstaltung in der Stadt Hesekê anlässlich des zehnten Jahrestags des Demokratischen Syrienrats (MSD) sagte Abdi, das Ziel der syrischen Revolution sei stets die Freiheit gewesen, nicht nur der Sturz des Baath-Regimes. „Der Systemwechsel war lediglich die erste Phase. Die Menschen in Syrien wollten nicht nur den alten Staat beseitigen, sondern eine neue Ordnung basierend auf Freiheit, Vielfalt und Selbstverwaltung aufbauen“, sagte Abdi.
10.-März-Abkommen als Wegweiser
Das Abkommen vom 10. März 2025 war zwischen der nordostsyrischen Autonomieverwaltung und der syrischen Übergangsregierung ausgehandelt worden. Es enthält Prinzipien zu regionaler Selbstverwaltung, zur Einbindung aller ethnischen und religiösen Gruppen und zur Dezentralisierung des Staates. Abdi betonte, dass das Abkommen von internationalen und regionalen Akteuren unterstützt werde. „Wir als QSD und Selbstverwaltung stehen voll hinter dem Abkommen. Wir wissen, dass es die Grundlage für ein stabiles Syrien ist.“
„Wer auf Krieg setzt, wird scheitern“
Mit Blick auf die politischen Spannungen in der Region kritisierte Abdi den anhaltenden Hassdiskurs und warnte vor erneuten Eskalationen. „Es gibt Kräfte, die den Weg zu einer Lösung blockieren wollen. Aber wer auf Krieg setzt und Hass verbreitet, wird scheitern“, sagte der Kommandeur.
Trotz offener Fragen im Umsetzungsprozess halte man am Abkommen fest. Fortschritte in den Gesprächen mit Damaskus gebe es insbesondere auf militärischer Ebene. Ziel sei eine umfassende Einigung, die auch die politischen und administrativen Forderungen der kurdischen und arabischen Bevölkerung in Nordostsyrien berücksichtige.
Selbstverwaltung als legitime Forderung
Abdi forderte, dass Regionen wie Raqqa, Deir ez-Zor oder Hesekê künftig von ihren Bewohner:innen selbst verwaltet werden. Dies sei das Resultat jahrelanger Opfer im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und Ausdruck des politischen Willens der dort lebenden Bevölkerung. „Nach allem, was die Menschen geleistet haben, ist es ihr Recht, ihre Regionen selbst zu gestalten“, sagte er. Dies gelte auch für kurdische Parteien, die seit Jahren für verfassungsmäßige Anerkennung kämpften. „Im Abkommen wurde ausdrücklich festgehalten, dass alle Komponenten Syriens – auch religiöse und ethnische Minderheiten – im neuen Grundgesetz berücksichtigt werden sollen.“
Neue Rolle für den Demokratischen Syrienrat
Der Demokratische Syrienrat, das politische Dach der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, soll nach Abdis Worten künftig eine aktivere Rolle beim Wiederaufbau Syriens spielen. In den vergangenen zehn Jahren habe das Gremium maßgeblich zur Stabilisierung der Region beigetragen, so der Generalkommandant. „Die neuen Herausforderungen erfordern neue Strukturen. Wir brauchen starke Referenzrahmen für die verschiedenen Komponenten Syriens. Die Selbstverwaltung kann dabei ein Modell für andere Regionen sein“, sagte Abdi.
Appell an Nachbarstaaten
Abdi sprach sich zudem für einen Dialog mit den Nachbarländern aus. Anders als in der Vergangenheit gebe es heute mehr Bereitschaft zu Gesprächen. Die Präsenz der QSD dürfe kein Vorwand mehr für militärische Interventionen sein, so Abdi mit Blick auf die Türkei. „Die benachbarten Staaten sind Teil der Lösung. Der Abbau von Spannungen liegt im gemeinsamen Interesse. Wir sind bereit, den Friedensprozess gemeinsam zu gestalten.“
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/turkische-truppen-verstarken-prasenz-in-nordsyrien-49167 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/msd-vorsitzender-dialog-mit-damaskus-wird-fortgefuhrt-48964 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mazlum-abdi-die-integration-der-qsd-wurde-syrien-stabilitat-bringen-48958
Jugendrat in Mexmûr schließt dritten Kongress ab
Mit der Wahl neuer Ko-Sprecher:innen und der Verabschiedung einer Abschlusserklärung ist im kurdischen Flüchtlingslager Mexmûr am Freitagabend der dritte Kongress des dortigen Jugendrates zu Ende gegangen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto, den Einsatz für Frieden und eine demokratische Gesellschaft zu stärken.
Im Verlauf des Kongresses stellten die Jugendbewegung sowie die Bewegung junger Frauen ihre Tätigkeitsberichte der vergangenen zwei Jahre vor. Anschließend diskutierten die Delegierten über politische und organisatorische Fragen sowie über künftige Arbeitsfelder. Auch Satzungsänderungen und Entwürfe für neue Beschlüsse wurden beraten.
Bei der Wahl der neuen Führung wurden Sîpan Yaman und Dilvîn Kaya zu Ko-Sprecher:innen des Jugendrates bestimmt. Beide erklärten nach der Wahl, ihre Aufgaben für die kommende zweijährige Amtszeit übernehmen zu wollen.
Abschlusserklärung mit politischen Schwerpunktsetzungen
In der verabschiedeten Abschlusserklärung wurde der Kongress mehreren gefallenen Mitgliedern der kurdischen Bewegung gewidmet. Zudem bekräftigten die Teilnehmenden ihre politische Ausrichtung und erklärten, ihre künftigen Aktivitäten an den von Abdullah Öcalan formulierten Konzepten von „Frieden und demokratischer Gesellschaft“ orientieren zu wollen.
Weiter hieß es, die Jugend solle eine aktive Rolle in gesellschaftlichen und politischen Prozessen übernehmen. Der Aufbau lokaler Strukturen solle gestärkt und die organisatorische Präsenz in den einzelnen Gemeinden ausgebaut werden. Zugleich wurde eingeräumt, dass es in der bisherigen Arbeit Defizite gegeben habe, die künftig aufgearbeitet werden müssten.
In der Erklärung wurde zudem angekündigt, den Einsatz gegen als repressiv bezeichnete politische Strukturen fortzuführen. Die Jugendbewegung verstehe sich dabei als dynamischer Bestandteil gesellschaftlicher Mobilisierung. Beendet wurde der Kongress mit den Parolen „Bijî Serok Apo“ und „Jin, Jiyan, Azadî“.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/jugendrat-im-fluchtlingslager-mexmur-halt-dritte-konferenz-ab-49219
Gericht stoppt Bebauung von Newala Qesaba
Ein türkisches Verwaltungsgericht hat die von der Zwangsverwaltung der kurdischen Stadt Sêrt (tr. Siirt) beschlossene Öffnung des Areals Newala Qesaba (dt. Metzgerschlucht) für städtebauliche Maßnahmen vorläufig gestoppt. Der Ort gilt als Standort mehrerer Massengräber aus dem frühen und späten 20. Jahrhundert. Die von der Regierung in Ankara eingesetzte Zwangsverwaltung hatte im April beschlossen, das Gelände in einen Bebauungsplan aufzunehmen. Dagegen legte die Kammer rechtlich Widerspruch ein – mit Erfolg. Das zuständige Verwaltungsgericht in Sêrt entschied, dass die Umsetzung des Plans bis auf Weiteres auszusetzen sei.
Sêrt in seismisch besonders aktiven Zone
Zur Begründung hieß es, der Bebauungsplan verstoße gegen die türkische Raumordnungsverordnung und enthalte keine aktuellen geologischen Gutachten, wie sie für Erdbebengebiete gesetzlich vorgeschrieben sind. Sêrt liegt in einer seismisch besonders aktiven Zone. Zudem seien Mindeststandards für Grün- und Freiflächen sowie für die pro Kopf verfügbare Fläche nicht eingehalten worden. Die geplante Errichtung kommerzieller Gebäude unter einer Hochspannungsleitung verletze außerdem grundlegende Prinzipien der Stadtplanung, so das Gericht. Die Maßnahme sei rechtswidrig und könne im Fall ihrer Umsetzung irreversible Schäden verursachen, heißt es in dem einstimmig gefassten Beschluss.
Stadtplaner: Jede neue Baugenehmigung ist jetzt illegal
Der Sekretär der Stadtplanerkammer Amed (Diyarbakır), Mahmut Özkeskin, bezeichnete den ursprünglichen Beschluss als „technisch nicht vertretbar“. Newala Qeseba dürfe nicht dem Zweck der Profiterzielung geopfert werden. „Von diesem Moment an ist jede auf diesem Plan beruhende Baugenehmigung rechtswidrig“, sagte er. Gerade in einem Erdbebengebiet wie Sêrt sei es fahrlässig, Bauprojekte ohne geologische Analysen voranzutreiben. Die Kammer sei entschlossen, gegen jedes rechtswidrige Vorhaben mit allen verfügbaren Mitteln vorzugehen.
Die „Metzgerschlucht“ Newala Qesaba
Mahsum Çiya Korkmaz, Koordinator der Ingenieur- und Architektenkammer TMMOB in Amed, erinnerte daran, dass Newala Qesaba als historische Gedenkstätte gilt, da dort in verschiedenen Phasen des vergangenen Jahrhunderts armenische, assyrische und kurdische Opfer von Völkermorden, Pogromen und extralegalen Hinrichtungen begraben liegen. 1989 waren auf dem Gelände in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum von Sêrt erstmals bei einer Grabung menschliche Überreste gefunden worden. Die Arbeiten wurden jedoch noch am selben Tag auf Anordnung der Provinzverwaltung gestoppt; seither fanden keine Untersuchungen mehr statt – weder forensische noch archäologische. „Die Identität und Todesursache der damals aufgefundenen Leichen sind bis heute ungeklärt“, so Korkmaz. Eine Bebauung ohne vorherige wissenschaftliche Untersuchungen sei sowohl mit nationalem als auch internationalem Recht unvereinbar.
Forderung nach Schutz des Geländes
Korkmaz forderte, das Gebiet als Gedenkort, archäologisches Schutzgebiet oder Friedhof auszuweisen. „Ein genehmigter Bebauungsplan allein schafft kein uneingeschränktes Baurecht – erst recht nicht, wenn menschliche Überreste gefunden wurden“, sagte er. Es müsse Rücksicht auf historische, kulturelle und soziale Aspekte genommen werden. Die aktuelle Rechtslage reiche nicht aus, um dem moralischen Anspruch der Gesellschaft gerecht zu werden.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/tmmob-strategie-der-geschichtsausloschung-in-newala-qesaba-47716 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/bauarbeiten-auf-massengrabstatte-newala-qesaba-genehmigt-47708 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/klage-gegen-bauplane-auf-massengrabstatte-newala-qesaba-eingereicht-47204 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/koloniale-kontinuitaten-luxusvillen-auf-newala-qesaba-31676
Kino gegen das Vergessen: „Sîtav“ erzählt Kindheit im Ausnahmezustand
Im Rahmen des 3.Internationalen Filmfestivals Amed wird heute Abend der Kurzfilm „Sîtav“ (dt.: Spiegelung) vorgestellt. Das Werk der Nachwuchsregisseurin Dilan Toftik erzählt die Geschichte zweier Schwestern, die 2015 während der Ausgangssperren im Stadtteil Sûr der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır) mit Verlust, Flucht und Erinnerungen konfrontiert werden.
Der Film basiert auf realen Erlebnissen aus einer Phase, in der ganze Stadtviertel von der türkischen Armee belagert wurden und große Teile der Zivilbevölkerung zur Flucht gezwungen waren. Im Zentrum der Geschichte stehen die jungen Schwestern Bêrîvan und Hêlîn, deren Alltag durch eine scheinbar banale Begebenheit – das Verschwinden einer Katze – plötzlich ins Wanken gerät. Doch gerade darin spiegelt sich die Fragilität von Kindheit unter Bedingungen von Krieg und Ausnahmezustand.
„Sîtav“ als Film über kollektives Gedächtnis
„Der Film erzählt nicht nur die Geschichte von zwei Kindern, sondern auch die Geschichte eines Stadtteils, eines Volkes, einer ganzen Zeit“, sagte Regisseurin Dilan Toftik. „‚Sîtav‘ bedeutet ‚Spiegelung‘ – es geht darum, was uns das Erlebte über uns selbst erzählt.“
Gedreht wurde der Film unter schwierigen Bedingungen, mit Unterstützung lokaler Kulturinstitutionen in Amed. Die Regisseurin betonte, dass das Projekt ein Ergebnis kollektiver Arbeit sei: „Wir hatten viele Hürden – auch finanzieller Art –, aber durch gemeinsame Anstrengung konnten wir sie überwinden.“
Kindheit im Ausnahmezustand, Erinnerung als Widerstand
Toftik, die mit „Sîtav“ ihr Regiedebüt gibt, versteht den Film als künstlerische Auseinandersetzung mit der Erinnerung an eine traumatische Vergangenheit und als Spiegel aktueller Realitäten. „In Kurdistan werden Kinder zu früh erwachsen“, sagte sie. „Sie wachsen im Schatten des Krieges auf und tragen ihn in ihrer Erinnerung weiter.“
Ein zentrales Motiv des Films ist die Kamera, die ein Kind im Film mit sich trägt – sie wird zum Symbol für das Gedächtnis, das alles festhält, was sich dem kindlichen Verstehen entzieht. „Wenn das Kind am Ende nach Hause zurückkehrt, findet es nur noch Trümmer. Inmitten dieser Zerstörung sucht es nach dem, was von seiner Erinnerung übriggeblieben ist“, so Toftik.
Film und Frieden: Eine gesellschaftliche Aufgabe
Neben der individuellen Ebene hebt die Regisseurin auch den gesellschaftlichen Auftrag von Kunst und Film hervor. „Jetzt, wo wieder über Frieden gesprochen wird, muss auch das Kino seine Rolle einnehmen“, sagte sie. „Geschichten müssen erzählt, geteilt und verstanden werden. Nur so können wir echte Verständigung erreichen.“ „Sîtav“ sei ein Teil dieses Prozesses, so Toftik: „Die Geschichten über den Krieg zeigen uns, wie nötig Frieden ist. Und das Kino kann helfen, diesen Frieden mitzugestalten; als Raum für Erinnerung, Empathie und Aufarbeitung.“
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/was-aus-sur-geworden-ist-29660 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/verfassungsgericht-tod-von-rozerin-Cukur-war-rechtmassig-46866 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/sur-gefangnisarchitektur-zur-aufstandsbekampfung-27157 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/lebenslange-haftstrafe-fuer-Ueberlebenden-von-sur-17565 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/die-lebensweise-in-sur-sollte-zerstort-werden-30249
Gespräch zwischen Özel und Imrali-Delegation angekündigt
Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei der Türkei, Özgür Özel (CHP), wird am Dienstag in Ankara eine Delegation der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) empfangen. Das Treffen soll in der Parteizentrale der CHP um 12 Uhr stattfinden, wie Özel in einem Fernsehinterview bestätigte. An dem Gespräch werden die Abgeordneten Pervin Buldan und Mithat Sancar sowie der Rechtsanwalt Faik Özgür Erol von der Istanbuler Kanzlei Asrin teilnehmen. Die drei gehören zur Imrali-Delegation der DEM-Partei, die im Dialog mit dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan ist.
Özel äußerte sich am Freitagabend in der Sendung „Konuşma Zamanı“ des Senders Ilke TV ausführlich zu den innen- und außenpolitischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Prozess für Frieden und eine demokratische Gesellschaft. Dabei betonte er die Bedeutung des kurdischen-türkischen Dialogs und kritisierte zugleich widersprüchliche Äußerungen auf staatlicher Ebene zur Lage in Syrien.
Kritik an Syrien-Politik Ankaras
Özel bezeichnete die Diskrepanz zwischen harten militärischen Drohungen aus Ankara gegenüber den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und gleichzeitigen Forderungen nach Integration des Bündnisses in staatliche Strukturen als inkonsequent. „Wenn man sagt, sie sollen sich auflösen oder sich eingliedern – das ist ein legitimer Standpunkt. Aber man kann nicht gleichzeitig so reden und die Realität vor Ort ignorieren“, sagte er.
Die Situation in Syrien sei komplex und lasse sich nicht mit alten sicherheitspolitischen Mustern erklären. In dem Land lebten heute verschiedene religiöse und ethnische Gruppen wie Kurd:innen, Araber:innen, Drus:innen, Alawit:innen und Sunnit:innen. Diese Realität müsse anerkannt werden, um politische Lösungen zu ermöglichen.
Demokratische Verfassung als Schlüssel
Der CHP-Chef betonte, eine Lösung in Syrien müsse über eine neue, demokratische Verfassung unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen und unter internationaler Beobachtung erfolgen. „Wenn eine neue Armee gebildet werden soll, dann muss auch klar definiert sein, wie bestehende bewaffnete Gruppen gerecht in diese integriert werden“, so Özel. Ein Staat könne nicht auf Grundlage von Ungleichheit und gegenseitiger Delegitimierung entstehen. Es brauche ein gerechtes Fundament, auf dem alle Gruppen gemeinsam existieren und sich verteidigen könnten.
Appell für Frieden in beiden Ländern
Özel betonte, dass ein gleichzeitiger Friedensprozess in Syrien und der Türkei einander stärken könne. „Wenn beide Länder Frieden schließen, kann die Türkei im 21. Jahrhundert wirtschaftlich und demokratisch große Fortschritte machen“, sagte er. Er wünsche sich für alle, sowohl für die Kurd:innen in der Türkei als auch in Syrien, vor allem eines: „dass sie gesund bleiben und nicht sterben müssen“.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/bahceli-offen-fur-dem-vorschlag-zu-friedensgesetz-49224 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-veroffentlicht-losungsbericht-fur-parlamentskommission-49226 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-delegation-spricht-mit-deva-uber-gesetzliche-grundlage-fur-friedensprozess-49220
Sinan Hezer: Unsere Geschichte ist nicht zu Ende
Der kurdische Künstler Sinan Hezer bewegt sich zwischen Malerei, politischem Ausdruck und poetischer Symbolik. Geboren in Nordkurdistan, studierte er Innenarchitektur, Malerei und bildende Kunst. Heute lebt und arbeitet er im Exil und seine Werke sind durchzogen von Figuren des Widerstands: Frauen, Tiere, Körper, Spuren der Vertreibung. Doch sie sind mehr als Ästhetik. Für Hezer ist Kunst ein kollektives Gedächtnis, ein Raum der Gegenwehr, ein Ort des Überlebens. Im Gespräch mit ANF reflektiert er, was es heißt, künstlerisch zu arbeiten zwischen einer unterdrückten Geschichte und einer zersplitterten Gegenwart. Er spricht über die Bedeutung von Sprache, die Notwendigkeit kollektiver Praktiken, die Verantwortung gegenüber den Dargestellten und über eine Hoffnung, die keine Naivität ist, sondern ein bewusster Akt des Widerstands.
Du verstehst Kunst nicht nur als individuelles Ausdrucksmittel, sondern auch als eine Form des Widerstands. Wie definierst du Widerstand in deinem künstlerischen Schaffen?
Widerstand bedeutet für mich nicht nur Widerspruch oder Kritik. Es ist vielmehr das beharrliche Sichtbarmachen des Unsichtbaren – ein aktives Insistieren darauf, zum Schweigen gebrachte, unterdrückte und verdrängte Geschichten wieder in Umlauf zu bringen und ein kollektives Gedächtnis lebendig zu halten, das ausgelöscht werden soll. In meiner Kunst ist Widerstand ein Akt der Beharrlichkeit, eine Form des Weiterexistierens, eine Haltung des Daseins. Wenn ich den Pinsel über die Oberfläche ziehe, sage ich im Grunde: „Ich bin hier, wir sind hier, unsere Geschichte ist nicht zu Ende.“ Es ist ein Fortsetzen, ein Weitererzählen. So stärken sich die universellen Geschichtsnarrative aller unterdrückten Völker.
„Kîlîta Wendayî – AMARA“ | Foto: SH
In deinen Werken nehmen Symbole einen zentralen Platz ein. Welche Rolle spielt diese symbolische Sprache, um unterdrückte Kämpfe sichtbar zu machen?
Symbole sind für mich eine Art „geheime Sprache“. Sie sprechen für das, was nicht offen gesagt werden kann, was riskant wäre auszusprechen, oder was sich mit Worten nur unzureichend vermitteln lässt. Ein Vogel, ein verwundeter Körper, ein Tier, eine Leerstelle, eine kämpfende Frau auf einem schmalen Pfad – all diese Elemente verweisen auf Lebensgeschichten, auf reale Existenzen. Manche dieser Symbole greifen bewusst auf kurdische Bildtraditionen zurück – etwa Motive aus Teppichen, erzählerische Gesten oder traditionelle Körpersprachen. Es geht mir dabei nicht um Nostalgie, sondern um das Sichtbarmachen lebendiger Wurzeln. Ich glaube, Symbole tragen die Parole jener Leben in sich, die unterdrückt werden; sie fordern den Betrachtenden auf: „Sieh, was du nicht sehen solltest, erinnere dich an das, was vergessen wurde.“ So verstehe ich ihre Funktion. Jede Person, der:die künstlerisch tätig ist, sucht letztlich nach einem Code, einer Deutung, einer Herangehensweise. Ich bin nur einer von vielen auf dieser Suche.
In einem deiner Texte schreibst du: „Die Kunst muss ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen.“ Wo verortest du heute deine eigene Kunst – sowohl im Kontext Kurdistans als auch in der Diaspora?
Ich positioniere meine Kunst zwischen zwei Welten: zwischen der verwundeten Erinnerung und der widerständigen Standhaftigkeit Kurdistans auf der einen Seite und der fragmentierten, aber kraftvollen Identität der Diaspora auf der anderen. Ein Teil von mir steht in den Dörfern, Städten, zerstörten Häusern und Bergen – mein Blick ruht auf einem verlassenen Schuh auf einem Gebirgspfad. Der andere Teil befindet sich mitten im Exil, in der Migration, im Fremdsein. Meine Kunst bildet eine Brücke zwischen diesen beiden Wirklichkeiten; ein Übergang, eine Trasse. Deshalb sehe ich ihren gesellschaftlichen Ort immer „dazwischen“, an einem Ort nahe der kollektiven Erinnerung. Meiner Überzeugung nach liegt die eigentliche Aufgabe darin, Erinnerung zu schaffen oder bereits bestehende Erinnerungen zu stützen.
In deiner Kunst ist nicht nur die visuelle Sprache wichtig, sondern auch das Wort, die Sprache selbst. Welche Rolle spielt Sprache in deinem künstlerischen Ansatz?
Sprache ist für mich nicht nur ein Mittel des Ausdrucks, sondern ein Element von Identität. Ein einziges kurdisches Wort kann manchmal mehr Gefühl transportieren als ein ganzes Bild. Worte ergänzen, was dem Bild fehlt, und das Bild füllt jene Leere, die die Sprache hinterlässt. Mehrsprachigkeit ist eine natürliche Konsequenz von Exil, Migration und Zersplitterung. Sprache ist zugleich Schutzraum und Widerstandsinstrument. Ohne Sprache kann keine Kunstform vollständig zur Geltung kommen. Diese Vielsprachigkeit ist in Wahrheit ein vielgestaltiges Vokabular.
Sinan Hezer | Foto: privat
Ist Kunst für dich auch eine Arbeit an der Erinnerung – im Sinne eines Wieder-Erinnerns oder Sichtbarmachens unterdrückter Geschichten?
Ja, absolut. Wenn ich male, arbeite ich nicht nur mit Linien und Farben, sondern mit Erinnerung. Ich versuche, verlorene, verbotene, unsichtbar gemachte Geschichten in Form von Spuren zu bewahren. Kunst ist manchmal ein Grabstein, manchmal ein Erinnerungsbuch, manchmal ein Klagelied, manchmal eine Fahne des Widerstands. Wie ich bereits sagte: Eine Frau, ein männlicher Guerillakämpfer – sie alle tragen Erinnerungen in sich, die nicht vergessen werden dürfen.
Welche Bedeutung hat die kurdische Diaspora für dich – als Publikum, Resonanzraum oder auch als Weggefährtin?
Die Diaspora ist für mich weniger ein Publikum als vielmehr eine Weggefährtin. Denn sie trägt eine gemeinsame Fremdheit, einen geteilten Schmerz, ein kollektives Gefühl des Exils in sich. Gleichzeitig ist sie ein Resonanzraum: Was ich produziere, sind nicht nur ästhetische Objekte, sondern auch Rufe, Einladungen zur Begegnung. Durch die Diaspora bleibt die Stimme nicht allein, sie vervielfältigt sich. Man könnte sagen: Es ist eine geteilte Einsamkeit. In der Diaspora sind viele Geschichten und viele Wunden unterschiedlicher Völker aufgehoben. Als kurdische Nation haben wir bereits viel erreicht. Entscheidend ist nun, eine Form zu finden, die systemisch wirkt: eine gesellschaftliche Struktur, die von ethischen, politischen und intellektuellen Inhalten und Aufgaben getragen wird.
In deinen Texten wie auch in deiner künstlerischen Praxis betonst du einen kollektiven Ansatz. Was bedeutet kollektive Kunst für dich – geht es dabei um mehr als das gemeinsame Produzieren?
Ja, für mich bedeutet kollektive Kunst weit mehr als nur gemeinsames Arbeiten. Es geht um gemeinsames Denken, gemeinsames Erinnern, gemeinsames Empfinden und gegenseitige Stärkung. Kollektivität ist eine geteilte Verantwortung. Gerade für Künstler:innen, die im Exil oder unter repressiven Bedingungen arbeiten, bildet das Kollektiv ein Netzwerk der Solidarität gegen die Vereinzelung. In diesem Netzwerk geht es nicht nur um Produktion, sondern auch um Austausch, Diskussion, geteiltes Erinnern. Alle politischen Systeme, ob demokratischer Sozialismus oder kapitalistische Moderne, funktionieren letztlich über kollektive Formen. Insofern ist Kollektivität die Grundstruktur, aus der sich jede Form sozialen Handelns speist.
„Girê Miraza – AMARA“ | Foto: SH
Wie lässt sich eine kollektive künstlerische Praxis im Exil auch ohne institutionelle Unterstützung oder sichere Räume lebendig halten?
Das ist durchaus möglich. Denn kollektives Arbeiten beginnt nicht mit einem Ort, sondern mit dem gemeinsamen Willen. Im Exil können alle Türen verschlossen sein, aber Menschen können sich gegenseitig Türen öffnen. Politische Kunst braucht Räume, die mehr Resonanz erzeugen als klassische Galerien, etwa Gemeinschaftszentren, Straßen, migrantische Viertel. Kunst will nicht in neutralen Räumen verhallen, sondern sich ins Gedächtnis, in den Alltag, in das Leben einschreiben. In Wohnungen, kleinen Ateliers, auf digitalen Plattformen oder in temporären Räumen – überall kann kollektive Produktion stattfinden. Wenn es an institutioneller Unterstützung fehlt, dann ist die gegenseitige Solidarität zwischen Künstler:innen die größte Ressource. Formate wie Begegnungen, gemeinsame Archive, kollektive Lesungen oder Ausstellungen lassen sich auch unter den Bedingungen des Exils realisieren. Was heute fehlt, ist oft der Wille, füreinander zu arbeiten. Viele Stile definieren sich über das Ich, nicht über das Wir. Das ist letztlich, bewusst oder unbewusst, eine ideologische Entscheidung.
Was könnte die kurdische Kunstszene im Exil konkret tun, um widerständige Kunst zu stärken und kollektives Denken zu fördern?
Ganz konkret ließen sich gemeinsame Ausstellungen oder Wanderausstellungen organisieren. Es könnten Archive zur Erinnerungskultur aufgebaut, Ressourcen und Wissen unter Künstler:innen geteilt werden. Sich gegenseitig Sichtbarkeit zu verschaffen, etwa durch Texte, Interviews oder Solidaritätsprojekte, wäre ebenso entscheidend. Auch auf digitalen Plattformen können kollektive Räume für kreatives Arbeiten entstehen.
Ich bin überzeugt: Exil ist kein Mangel, sondern ein Möglichkeitsraum für kollektives Schaffen. Jede:r Künstler:in sollte zwar auch subjektive Arbeiten verfolgen – das ist wichtig –, aber stabile gesellschaftliche Systeme sind stets durch gemeinschaftliches Handeln entstanden. Man denke an Göbekli Tepe oder die Renaissance: Alles verdankt sich Menschen, die zusammengekommen sind, gemeinsam gearbeitet und gemeinsame Werte geschaffen haben.
In deinen Werken tauchen immer wieder Frauen, Kämpfende, Widerständige, Tiere auf – also häufig marginalisierte Figuren. Welche Verantwortung trägst du in ihrer Darstellung?
Diese Figuren sind für mich nicht bloß ästhetische Elemente. Es geht vielmehr darum, ihnen Subjektstatus zu verleihen oder bestehenden Subjekten Kraft und Würde zuzusprechen. Ihre Schmerzen, Kämpfe oder ihre Wut als bloßes „Dekor“ zu verwenden, wäre ein schwerer Verrat. Gerade in unserer Gesellschaft wird von Kunst häufig erwartet, zu repräsentieren, ohne ihr zugleich Raum und Unterstützung zu geben. Das führt dazu, dass viele Künstler:innen unter der Last der Repräsentation vereinsamen. Meine größte Verantwortung besteht daher darin, sie als Träger:innen ihrer eigenen Geschichte darzustellen – mit Würde, mit Schwere. Manchmal lasse ich bewusst etwas offen, manchmal verberge ich Gesichter, weil ich glaube, dass selbst in der Repräsentation ein Recht auf Intimität besteht. Es ist eine schwierige Realität, mit der ich mich dabei auseinandersetze.
„Jineolojî – AMARA“ | Foto: SH
Es besteht die Gefahr, dass Kunst konsumiert wird, ohne ihre politische Tiefe zu erfassen – dass sie rein ästhetisch gelesen wird. Wie gehst du mit diesem Spannungsverhältnis um?
Das ist eine sehr reale Gefahr. Um dem zu begegnen, verfolge ich zwei Strategien: Zum einen bringe ich das Ästhetische und das Politische in eine bewusste Spannung. Eine visuell ansprechende Figur kann plötzlich durch ein verstörendes Detail unterbrochen werden. Zum anderen mache ich Sprache, etwa in Form von Texten, Titeln oder Zitaten, zum Bestandteil der Arbeit. Ein einzelner Satz kann die Stille des Bildes durchbrechen und die Betrachter:innen dazu zwingen, nicht nur das „Schöne“, sondern auch die Geschichte dahinter wahrzunehmen. Dieses Spannungsverhältnis ist letztlich die Energiequelle meiner künstlerischen Praxis. Es entsteht oft aus einer inneren Reibung; zwischen Exil und Herkunft, zwischen der Sehnsucht nach Schönheit und der Pflicht, Schmerz zu benennen. Ohne diese Reibung würde meiner Kunst etwas Wesentliches fehlen.
Welche Rolle spielt Hoffnung in deinem künstlerischen Denken? Was unterscheidet sie von Naivität oder bloßem Optimismus?
Für mich ist Hoffnung weder kindlicher Optimismus noch der bequeme Gedanke, dass „alles gut wird“. Hoffnung ist die Fähigkeit, selbst im Mangel das kleinste Licht festzuhalten. Sie ist die andere Seite des Widerstands. Die aufrechte Haltung einer verletzten Figur, das Zittern einer Linie im leeren Raum, eine verborgene Wärme im Schatten eines Gesichts: all das sind Zeichen der Hoffnung. Hoffnung ist keine Naivität, sondern eine Überlebensstrategie. Eine bewusste Entscheidung.
Wenn du einen Aufruf an die kurdische Gemeinschaft in aller Welt richten könntest – im Hinblick auf Kunst, Widerstand und Solidarität –, wie würde er lauten?
Mein Aufruf lautet: Machen wir uns gegenseitig sichtbar. Halten wir die Erinnerung wach. Verstehen wir Kunst nicht nur als Verzierung, sondern als Mittel der Solidarität, als Haus der Erinnerung, als Ort des Widerstands. Ganz gleich in welchem Land, in welcher Sprache, unter welchen Bedingungen – lasst uns einander Stimme geben, einander das Wort geben, einander stützen. Denn nur wenn wir gemeinsam produzieren, gemeinsam erinnern, gemeinsam widerstehen, können wir verhindern, dass unsere Geschichte gebrochen oder ausgelöscht wird.
https://deutsch.anf-news.com/kultur/kollektive-kunst-als-praxis-von-widerstand-und-hoffnung-46559
Iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi festgenommen
Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi ist in Iran festgenommen worden. Das geht aus einer Mitteilung hervor, die auf dem X-Konto der Menschenrechtlerin veröffentlicht wurde. Neben Mohammadi seien auch weitere Personen von iranischen Regimekräften in Gewahrsam genommen worden, darunter auch die Aktivistin Sepideh Gholian. Menschenrechtsgruppen erklären, dass sie an einen unbekannten Ort gebracht worden seien.
Die Aktivist:innen hatten sich bei einer Trauerzeremonie in der ostiranischen Stadt Maschhad für den vor wenigen Tagen tot aufgefundenen Rechtsanwalt Khosrow Alikordi versammelt, als sie von Polizisten gewaltsam abgeführt wurden. Der Tod des Juristen, der auch politische Gefangene vertrat, hat große Bestürzung unter Menschenrechtler:innen in Iran ausgelöst. Offizielle Stellen des Regimes sprachen von einem Herzinfarkt – Kolleg:innen und Angehörige vermuten jedoch einen gezielten Mord.
Mohammadi war 2023 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Sie erhielt ihn für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen und gegen die Todesstrafe in Iran sowie für ihren Einsatz für Menschenrechte und Freiheit. Sie verbüßte zuletzt eine langjährige Haftstrafe im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Wegen gesundheitlicher Probleme hatte sie vor gut einem Jahr Hafturlaub bekommen.
https://deutsch.anf-news.com/frauen/iran-friedensnobelpreistragerin-narges-mohammadi-erneut-verurteilt-40626 https://deutsch.anf-news.com/frauen/regime-justiz-gewahrt-narges-mohammadi-klinik-aufenthalt-44063 https://deutsch.anf-news.com/frauen/folter-aufgedeckt-neuer-prozess-gegen-mohammadi-in-iran-42242