«Der Staat ist eine Institution, die von Banden geführt wird, die aus Mördern, Plünderern und Dieben besteht, umgeben von willfährigen Handlangern, Propagandisten, Speichelleckern, Gaunern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen, Blendern und nützlichen Idioten - eine Institution, die alles verdreckt und verdunkelt, was sie berührt.» (– Prof. Hans-Hermann Hoppe).
ANF NEWS (Firatnews Agency) - kurdische Nachrichtenagentur
Von Berlin bis Sao Paulo: „Freiheit für Abdullah Öcalan“-Aktionen
Zwei Jahre nach dem Start der internationalen Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan – Für eine politische Lösung der kurdischen Frage“ und anlässlich des 27. Jahrestags der erzwungenen Ausreise des PKK-Begründers aus Syrien am 9. Oktober 1998 fanden am Freitag in zahlreichen Städten Proteste, Versammlungen und Aktionen statt. Sie richteten sich gegen die anhaltende Isolationshaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali, auf der Öcalan seit über 26 Jahren in politischer Geiselhaft des türkischen Staates sitzt, und riefen zu einer politischen Lösung der kurdischen Frage auf. Die Bandbreite und inhaltliche Tiefe der Aktionen machten deutlich, dass die Forderung nach Freiheit für Abdullah Öcalan längst über die Grenzen Kurdistans hinaus reicht. Die internationale Kampagne verknüpft die Frage seiner Freilassung mit einem politischen Friedensprojekt für die gesamte Region.
Berlin
Auf dem Berliner Alexanderplatz versammelten sich zahlreiche Menschen zu einer Kundgebung, organisiert vom Frauenrat Dest Dan-Hêvî und NAV-Berlin. In den Redebeiträgen wurde der 9. Oktober als Beginn des internationalen Komplotts gegen Öcalan bezeichnet. Kritisiert wurde insbesondere die Rolle europäischer Staaten, die dem PKK-Gründer während seiner mehrmonatigen Odyssee für Frieden politisches Asyl verweigert hatten. Trotz schwerer Haftbedingungen setze sich Öcalan weiter für Frieden ein, hieß es. Besonders hervorgehoben wurde der symbolische Schritt vom 11. Juli, als 30 PKK-Mitglieder ihre Waffen niederlegten. Die Redner forderten von der Türkei konkrete Schritte in Richtung eines Friedensprozesses und die Freilassung Öcalans als Voraussetzung für weitere Fortschritte.
München
Am Sendlinger Tor demonstrierten dutzende Aktivistinnen und Aktivisten unter dem Motto „Freiheit für Öcalan – Status für Kurdistan“. Die Redner:innen warnten vor dem Fortbestehen des internationalen Komplotts und riefen zur Teilnahme an der für den 8. November geplanten Großdemonstration in Köln auf.
Bellinzona
In der Schweizer Stadt Bellinzona fand eine Versammlung im Rahmen der Öcalan-Kampagne statt. Vertreter:innen sozialistischer Organisationen diskutierten die Aktualität des Konzepts des Demokratischen Konföderalismus. Der Sprecher des kurdischen Rats CDK-S, Ahmet Yaman, erklärte, die weltweit geführte Initiative für die Freilassung Öcalans markiere eine globale Plattform für ein friedliches Zusammenleben. Anna Camposampiero von der Partei der Kommunistischen Wiedergründung (PRC) bezeichnete Öcalans Vorschlag als gesellschaftliches Modell für alle Völker. Der Sprecher der kurdischen Gemeinschaft in Mailand, Serkan Xozatli, verwies auf die Umsetzung dieser Ideen in der Rojava-Revolution.
Antwerpen
In Antwerpen organisierten internationalistische Jugendliche eine Kundgebung auf dem Operaplein. In Reden wurde betont, dass Öcalans Freiheit untrennbar mit einer politischen Lösung in Kurdistan und der Nahostregion verknüpft sei. Aktivist:innen aus Belgien und Tschechien verwiesen auf die Verantwortung Europas und riefen zur Unterstützung der Kampagne auf.
Stockholm
In der schwedischen Hauptstadt Stockholm wurden stadtweit Plakate zur Kampagne angebracht. Bei einer Pressekonferenz sprachen unter anderem der Parlamentsabgeordnete Daniel Riazat und die langjährige Unterstützerin der kurdischen Bewegung Ann Margaret Livy. Beide forderten die Regierung auf, sich stärker für eine politische Lösung der kurdischen Frage einzusetzen.
Sao Paulo
Am deutlichsten zeigte sich die internationale Reichweite der Kampagne in Brasilien: In Sao Paulo versammelten sich dutzende Gruppen vor dem türkischen Handelsbüro. In Reden wurden Öcalans Ideen als Quelle revolutionärer Hoffnung gewürdigt. Besonders feministische und libertäre Organisationen betonten die Bedeutung seiner Konzepte für einen demokratischen Sozialismus und ein friedliches Miteinander der Völker. Die Demonstrierenden äußerten sich solidarisch mit der kurdischen Bewegung und betonten die Rolle der Frauen in der Revolution von Rojava.
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Das Beharren auf Menschsein
Abdullah Öcalans paradigmatischer Wandel stellt einen der großen Umbrüche in der Geschichte des Sozialismus dar, denn dieser Ansatz bricht mit der orthodoxen Auffassung, die dem Sozialismus der Gesellschaft den Anspruch der „Wissenschaftlichkeit“ aufzwingt, und schlägt ein Modell vor, das das kreative Potenzial des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es macht den Kampf des Menschen als soziales Wesen um die Verwirklichung seines Potenzials zur grundlegenden Dynamik des Sozialismus.
Der Übergang vom Slogan „Das Beharren auf Sozialismus ist das Beharren auf Menschsein“ zur Formulierung „Das Beharren auf Menschsein ist das Beharren auf Sozialismus“ ist nicht nur eine Änderung der Wortreihenfolge. Diese Umwandlung drückt eine radikale Neugründung der ontologischen Grundlagen des Sozialismus aus. Während in der ersten Formulierung der Sozialismus als Ideologie und der Mensch als Träger dieser Ideologie positioniert wird, steht in der zweiten der Mensch im Mittelpunkt und der Sozialismus wird als Praxis der Befreiung des Menschen definiert. Dieser Paradigmenwechsel ist aus einer kritischen Bewertung der staatsorientierten sozialistischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts hervorgegangen, bietet aber gleichzeitig eine neue sozialistische Vision als Antwort auf die ökologischen, geschlechtsspezifischen und demokratischen Krisen unserer Zeit.
Abdullah Öcalans Modell übernimmt weder den deterministischen Ansatz der zentral geplanten Wirtschaft sowjetischer Prägung noch akzeptiert es die reformistische Begrenztheit der westlichen Sozialdemokratie. Stattdessen macht es den Kampf des Menschen als soziales Wesen um die Verwirklichung seines Potenzials zur grundlegenden Dynamik des Sozialismus. Bei diesem Ansatz existiert der Sozialismus nicht als ein extern aufgezwungenes System, sondern bildet eine Lebensform, die der Mensch in seiner Praxis der Selbstbefreiung selbst entwickelt.
Die philosophischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels finden sich in den frühen Werken von Karl Marx, insbesondere in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844. Marx beschreibt dort den Kommunismus unter anderem als „positive Aufhebung des Privateigentums […] als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewusst […] gewordene Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen“.¹
Diese Formulierung bedeutet, dass das Leben von den Warenverhältnissen befreit und zum Produkt der eigenen schöpferischen Arbeit des Menschen wird. Der Begriff „positive Aufhebung“ ist hierbei zentral: In der Tradition der Hegelschen Dialektik bezeichnet „Aufhebung“ nicht nur die Beseitigung, sondern zugleich die Bewahrung und Überführung in eine höhere Form. Marx geht es also nicht um die bloße Zerstörung des Privateigentums, sondern um dessen Transformation, um das schöpferische Potenzial des Menschen freizusetzen. Diese Aneignung ist nicht individuell, sondern kollektiv. Trotz der Verwendung des Wortes „Mensch“ in der Einzahl ist damit die Menschheit als Gattungswesen gemeint. Marx definiert den Menschen als sogenanntes „Gattungswesen“ und charakterisiert den Kommunismus als „echten Humanismus“. Dieser Ansatz zeigt die theoretischen Wurzeln der neu akzentuierten Formulierungen bei Öcalan.
Der Irrweg des „wissenschaftlichen Sozialismus“
Dieser in den Frühschriften von Marx vertretene Humanismus wurde jedoch in sozialistischen Experimenten des 20. Jahrhunderts weitgehend ignoriert und durch eine mechanische Gesellschaftsgestaltung unter der Bezeichnung „Wissenschaftlicher Sozialismus“ ersetzt. Der Prozess, der unter anderem mit Friedrich Engels’ Werk „Der Sozialismus als wissenschaftliche Revolution“ begann, hatte den Anspruch, den Sozialismus als positivistische Wissenschaft zu etablieren.
Dieser Ansatz Engels‘ geht davon aus, dass die gesellschaftliche Entwicklung mit „objektiven“ Gesetzen wie denen der Naturwissenschaften erklärt werden kann. Wladimir Lenins Antwort auf die Frage „Was tun?“ überträgt diesen Ansatz auf die Ebene der politischen Organisation: Eine bewusste Vorreiterpartei wird den Massen die Wahrheiten des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ vermitteln und sie auf die Revolution vorbereiten. Dieses Modell reduziert den Menschen auf ein passives Objekt. Der Mensch wird nicht zum Subjekt des Sozialismus, sondern zu seinem Objekt. Die Partei hat das Wissen, die Massen lernen. Die Partei entscheidet, die Massen führen aus. Die Folgen dieses Ansatzes zeigen sich in allen Erfahrungen des Staatssozialismus, von der Sowjetunion über China bis nach Osteuropa.
Die Sowjetunion der Stalin-Ära bietet das extremste Beispiel für diesen Ansatz. Das Projekt der Schaffung eines „neuen sowjetischen Menschen“ war ein Versuch, den Menschen durch „social engineering“² umzugestalten. Dahinter steht die Annahme, dass der Mensch unendlich formbar ist und unter den richtigen Bedingungen mit dem gewünschten politischen Bewusstsein ausgestattet werden kann. Kunst, Literatur und Musik wurden zu Instrumenten des Sozialismusaufbaus. Die Strömung des „Sozialistischen Realismus“ ist genau das Ergebnis dieser Denkweise. Der oder die Künstler:in verliert die unabhängige kreative Identität und wird zum/r Propagandist:in der Partei.
Im China unter Mao Zedong zeigt die „Kulturrevolution“ eine andere Version dieses Ansatzes. Das Projekt der Schaffung eines „neuen Menschen“ wird als vollständige Ablehnung der traditionellen Kultur und deren Ersatz durch eine „Proletarische Kultur“ definiert. Von der Familienstruktur über Kunstwerke bis hin zum Sprachgebrauch und den Praktiken des Alltags wird alles zu einem politischen Instrument, zum Ziel und Ergebnis. Das Auswendiglernen des „Roten Buches“ und die Durchdringung aller Bereiche des Alltagslebens mit Maos Gedanken zielen darauf ab, die Fähigkeit des Menschen zum eigenständigen Denken auszuschalten. In diesem Prozess verlieren Millionen Menschen ihr Leben, und noch weitergehend ist, dass das kreative Potenzial der Menschen zerstört wird.
Die kubanische Revolution fügte diesem Ansatz eine romantische Note hinzu. In Che Guevaras Vorstellung vom „neuen Menschen“ sollten wirtschaftliche Anreize durch moralische ersetzt werden und persönliche Interessen den Zielen der Gemeinschaft weichen. Freiwillige Arbeitseinsätze sollten verdeutlichen, dass die Beteiligung am Aufbau des Sozialismus eine moralische Pflicht ist. Dieser Ansatz wirkte zwar menschlicher als das sowjetische Modell, trug jedoch im Kern das gleiche Problem in sich: Der Mensch wurde als formbares Material für die „ideale Gesellschaft“ gesehen, die der Sozialismus schaffen wollte. Das individuelle Potenzial zählte nur insoweit, wie es dem gemeinsamen Projekt diente.
Diese historischen Erfahrungen zeigen, wie der Sozialismus als ideologisches Projekt zu totalitären Ergebnissen geführt hat. Die Formel „Das Beharren auf Sozialismus ist das Beharren auf Menschsein“ ist das Ergebnis genau dieses Ansatzes. In dieser „Formel“ steht der Sozialismus an erster Stelle, der Mensch folgt hinterher. Der Sozialismus ist eine objektive Realität, der Mensch ist das Wesen, das diese Realität begreifen und umsetzen kann. Das Ergebnis dieses Ansatzes ist die Instrumentalisierung des Menschen, die Einengung seines kreativen Potenzials auf ideologische Schemata. Der Mensch wird nicht zum Subjekt des Sozialismus, sondern zu seinem Objekt. Er ist nicht mehr aktiver Gestalter seines Lebens, sondern passiver Träger eines großen Projekts.
Der Mensch als Subjekt im Sozialismus
Die Formel „Das Beharren auf Menschsein ist das Beharren auf Sozialismus“ kehrt diesen Ansatz grundlegend um. In dieser Formel steht der Mensch an erster Stelle, der Sozialismus entsteht als Ergebnis der schöpferischen Praxis des Menschen. Menschsein ist hier kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Der Mensch befindet sich in einem ständigen Kampf um die Verwirklichung seiner Potenziale und ist im Dasein ständig dabei, „Mensch zu sein“. Die soziale Dimension dieses Prozesses bringt den Sozialismus hervor. Der Sozialismus ist kein von außen aufgezwungenes System, sondern eine Lebensweise, die die Menschen in ihrer Praxis der Selbstbefreiung geschaffen haben.
Dieser Paradigmenwechsel deutet auf eine anthropologische Revolution hin. Der Mensch wird nicht mehr als ein durch eine vorgegebene Natur determiniertes Wesen verstanden, sondern als ein sich selbst schaffendes Wesen. Jean-Paul Sartres berühmte Formel „Die Existenz geht der Essenz voraus“³ bildet die philosophische Grundlage für diesen Ansatz. Sartre exponiert die Auffassung, dass der Mensch keine von Geburt an festgelegte Natur besitzt, sondern sein Wesen erst im Verlauf seines Lebens durch Entscheidungen und Handlungen formt. Dieser schöpferische Prozess vollzieht sich nicht isoliert, sondern in einem sozialen Zusammenhang: Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann sein Potenzial nur gemeinsam mit anderen und in Beziehung zu ihnen verwirklichen.
Murray Bookchins Theorie der sozialen Ökologie stärkt die wissenschaftlichen Grundlagen dieses anthropologischen Ansatzes. Bookchin vertritt die Auffassung, dass der Mensch ein Produkt der natürlichen Evolution ist, aber gleichzeitig über ein kreatives Potenzial verfügt, das über die natürliche Evolution hinausgeht. Dieses Potenzial, das er mit dem Begriff „zweite Natur“ bezeichnet, weist darauf hin, dass der Mensch ein Wesen ist, das Kultur schafft, symbolisch denken und ethische Werte entwickeln kann. Dieses Potenzial beginnt mit der biologischen Evolution, beschränkt sich aber nicht auf sie, sondern befähigt den Menschen auch seine eigene Evolution lenken zu können. Diese Lenkung muss nach Bookchins Ansicht jedoch im Einklang mit der Natur und auf der Grundlage ökologischer Prinzipien erfolgen, denn andernfalls zerstört der Mensch seine eigenen Lebensgrundlagen.
Eine weitere Dimension wird dem neuen Sozialismusansatz durch die feministische Erkenntnistheorie verliehen. Feministinnen wie Dorothy Smith, Donna Haraway und Sandra Harding betonen die soziale Verortung von Wissen. Wissen ist nicht objektiv und universell. Die soziale Position, das Geschlecht, die Klasse und die ethnische Identität des Subjekts, das Wissen produziert, spielen unter anderem eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung von Wissen. Dieser Ansatz hinterfragt eben auch den Universalitätsanspruch des „Wissenschaftlichen Sozialismus“. Welcher und wessen Sozialismus sind gemeint und aus welcher Perspektive „wissenschaftlich“? Denkschulen feministischer Erkenntnistheorie schlagen ein vielstimmiges, pluralistisches Verständnis von Wissen vor, das die Erfahrungen von Frauen, die Perspektiven von Randgruppen und die Sichtweisen der Unterdrückten für die Bereicherung des Wissens unerlässlich einschließt.
Auch die Wissenssysteme indigener Völker vertiefen diesen pluralistischen Ansatz noch weiter. Im Gegensatz zum objektivierenden, fragmentierenden Ansatz des traditionell westlichen Denk- und Wissenschaftsbetriebes bieten indigene Völker ein ganzheitliches, relationales Verständnis von Wissen. Der Mensch ist Teil der Natur und kann nicht von ihr getrennt werden. Wissen ist nicht nur eine geistige Tätigkeit, sondern eine körperliche, emotionale und spirituelle Erfahrung. Dieser Ansatz definiert auch den Sozialismus auf eine andere Weise. Sozialismus ist nicht nur die Veränderung der wirtschaftlichen Beziehungen, sondern die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Mensch und Natur, Mensch und Mensch, Mensch und Gesellschaft.
Durch das Menschsein zum demokratischen Konföderalismus
Dieses mehrdimensionale Verständnis von Wissen bildet die erkenntnistheoretische Grundlage des demokratischen Konföderalismus. Anstelle einer zentralisierten, von oben nach unten gesteuerten Wissensproduktion setzt der demokratische Konföderalismus auf eine dezentrale, von unten nach oben wachsende Wissensentwicklung. Jede Gemeinschaft schöpft ihr Wissen aus den eigenen Erfahrungen. Dieses Wissen wird auf der Ebene der Konföderation zusammengeführt und miteinander verbunden, ohne dass eine Perspektive der anderen aufgezwungen wird. Denn jede Gemeinschaft lebt unter eigenen, spezifischen Bedingungen und entwickelt Lösungen, die genau zu diesen Bedingungen passen.
Die Ideologie der Frauenfreiheit bildet die geschlechtsspezifische Dimension dieses Ansatzes. Ausgehend von der Feststellung, dass Frauen im Laufe der Geschichte die erste ausgebeutete Gruppe waren, wird argumentiert, dass ohne Frauenfreiheit kein echter Sozialismus möglich ist. Dies unterscheidet sich jedoch vom klassischen Ansatz, der die Frauenfrage zu einem Unterthema des Sozialismus macht. Die Freiheit der Frau ist eine Voraussetzung für den Sozialismus, denn das Patriarchat ist die älteste und tiefgreifendste Form der Unterdrückung. Ohne die Überwindung dieser Form der Unterdrückung ist die Überwindung anderer Formen der Unterdrückung nicht möglich. Dieser Ansatz hebt den Sozialismus aus seiner Rolle als rein wirtschaftliches Projekt heraus und macht ihn zu einer Praxis der Befreiung, die alle Bereiche des Lebens umfasst.
Der ökologische Ansatz befasst sich mit der ökologischen Dimension des Sozialismus. Die Zerstörung der Natur durch den Kapitalismus ist nicht nur ein „Nebeneffekt“, sondern das Ergebnis der grundlegenden Logik des Systems. Unbegrenztes Wachstum, Gewinnmaximierung und Konsumkultur schaffen eine Lebensweise, die im Widerspruch zur Natur steht. Aber auch die Erfahrungen mit dem staatsorientierten Sozialismus waren aus ökologischer Sicht nicht erfolgreich. Die Umweltzerstörung in der Sowjetunion, in China und in den osteuropäischen Ländern ist nicht geringer als in den kapitalistischen Ländern, denn auch diese Länder haben das Paradigma der Industriegesellschaft übernommen. Der demokratische Konföderalismus hingegen schlägt eine ökologische Lebensweise vor. Technologien im Einklang mit der Natur, erneuerbare Energien, landwirtschaftliche Produktion und ein begrenzter, bedarfsorientierter Konsum bilden die Grundelemente dieses Ansatzes.
Dieser Ansatz definiert auch Demokratie neu. Die liberale Demokratie beschränkt sich auf das Wahlrecht im politischen Bereich. In den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur gibt es keine Demokratie. Die sozialistischen Länder haben die wirtschaftliche Demokratie (Planwirtschaft) der politischen Demokratie geopfert. Der demokratische Konföderalismus hingegen sieht Demokratie in allen Bereichen des Lebens vor. Wirtschaftliche Entscheidungen, Bildungspolitik, Gesundheitswesen und kulturelle Aktivitäten werden unter direkter Beteiligung der Bevölkerung festgelegt. Diese Demokratie ist nicht nur das Recht, Vertreter:innen zu wählen, sondern auch das Recht, direkte Entscheidungen zu treffen.
Die Konsensdemokratie bildet den Entscheidungsmechanismus dieses Ansatzes. Anstelle der klassischen Demokratie, in der die Mehrheit der Minderheit ihren Willen aufzwingt, wird ein Modell vorgeschlagen, in dem jeder seine Meinung äußern kann und unterschiedliche Ansichten miteinander in Einklang gebracht werden. Dieses Modell mag zeitaufwändig und mühsam erscheinen. Langfristig führt es jedoch zu mehr stabilen und legitimierten Entscheidungen, denn diese werden nicht mit Gewalt durchgesetzt, sondern durch einen gesellschaftlichen Konsens getroffen. Dieser Prozess ist gleichzeitig ein politischer Bildungsprozess der Bevölkerung. Durch Diskussionen und Verhandlungen entwickeln die Menschen ein politisches Bewusstsein.
Das Prinzip des Konföderalismus zeigt den Weg, wie diese Demokratie in großem Maßstab organisiert werden kann. Lokale Gemeinschaften verwalten ihre Angelegenheiten selbst. In Fragen, die über ihre Zuständigkeit hinausgehen, bilden sie jedoch Konföderationen mit anderen Gemeinschaften. Diese Konföderationen sind keine zentralistischen Strukturen, denn die unteren Einheiten übertragen keine Befugnisse an die übergeordneten Einheiten. Vielmehr kommen sie zusammen, um gemeinsame Probleme zu lösen. Die Konföderation sorgt lediglich für die Koordination zwischen den unteren Einheiten.
Dieses Modell bietet eine Alternative zur Nationalstaatsstruktur. Der Nationalstaat hat den Anspruch, ein homogenes Volk zu schaffen. Er versucht, verschiedene ethnische, religiöse und kulturelle Gruppen unter einer einzigen Identität zu verschmelzen. Der demokratische Konföderalismus hingegen akzeptiert und schützt Unterschiede. Jede Gruppe hat das Recht, ihre kulturellen Besonderheiten zu bewahren. Gleichzeitig lebt sie jedoch gleichberechtigt mit anderen Gruppen in einem gemeinsamen Lebensraum.
Psychologische, wirtschaftspolitische und methodologische Dimensionen des neuen Paradigmas
Die psychologische Dimension dieses Paradigmenwechsels ist ebenfalls entscheidend. Wilhelm Reichs Konzept der „Charakterpanzerung“ beschreibt, wie autoritäre Systeme tief in das Unterbewusstsein eingreifen. Unterdrückerische Gesellschaftsstrukturen wirken nicht nur über äußere Institutionen, sondern auch über internalisierte Kontrollmechanismen, als eine Art „innere Polizei“, die Kreativität, Spontaneität und den Impuls zur Rebellion hemmt. Befreiung ist daher nicht allein ein politischer, sondern auch ein psychologischer Prozess. Herbert Marcuse analysiert in seinem Werk „Der eindimensionale Mensch“ unter anderem diesen Zusammenhang auf gesellschaftlicher Ebene: Die Konsumgesellschaft formt Bedürfnisse und Vorstellungen so, dass alternative Lebensformen kaum mehr denkbar erscheinen. In diesem Sinn bedeutet das Beharren auf der eigenen Menschlichkeit, sich gegen solche psychologischen Zwänge zu wehren, indem man die internalisierte Autorität hinterfragt und die Mechanismen löst, die das eigene kreative Potenzial blockieren.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht bietet der demokratische Konföderalismus eine radikale Alternative zur kapitalistischen Wertetheorie. Ausgehend von Karl Marx’ Unterscheidung zwischen „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ stellt dieses Modell den Gebrauchswert in den Mittelpunkt. Die Produktion dient nicht der Gewinnmaximierung, sondern der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Die Kooperativen, kollektive Mitbestimmung und Sozialbanken sind die wirtschaftlichen Instrumente dieses Ansatzes. David Kortens Vorstellung von einer Ökonomie der sog. lebendigen Systeme stärkt die theoretische Grundlage dieses Modells. Die Wirtschaft funktioniert nicht wie eine mechanische Maschine, sondern wie ein lebender Organismus. Die Prinzipien der Nachhaltigkeit, Solidarität und Gegenseitigkeit regeln die wirtschaftlichen Beziehungen. Das Konzept der Commons (Gemeingüter) steht ebenfalls im Mittelpunkt dieses Ansatzes. Wasser, Luft, Boden, Wissen und Kultur dürfen nicht im Besitz einer einzigen Gruppe sein, sondern sie müssen für alle zugänglich sein.
Die methodologischen Konsequenzen dieses Ansatzes sind tiefgreifend. Gegenüber der positivistischen Wissenschaftsauffassung, die zwischen Subjekt und Objekt unterscheidet, werden partizipative Forschungsmethoden vorgeschlagen. Paulo Freires Auffassungen in seinem Werk „Pädagogik der Unterdrückten“ bildet die pädagogische Dimension dieser Methodik. Wissen ist keine Ware, die von Expertinnen und Experten an die Bevölkerung weitergegeben wird, sondern ein lebendiger Prozess, der aus den Erfahrungen der Bevölkerung selbst entsteht. Im pädagogischen Ansatz der sog. dialogischen Pädagogik verschwindet die Unterscheidung zwischen Lehrenden und Lernenden, denn alle werden in ständig wechselnden Rollen gleichzeitig als Lehrende und Lernende begriffen. Dieser Ansatz findet auch in der wissenschaftlichen Forschung Anwendung. Forschende forschen gemeinsam mit der Gesellschaft, teilen die Ergebnisse mit ihr und entwickeln gemeinsam Lösungsvorschläge.
Praxisbeispiele des neuen Paradigmas
Ähnliche Ausprägungen wie die dieses Paradigmenwechsels lassen sich in verschiedenen Befreiungsbewegungen weltweit beobachten. So orientiert sich die Zapatista-Bewegung in Mexiko am ethischen Prinzip obedecer y no mandar („gehorchen und nicht befehlen“), bei dem das Wissen und die Erfahrungen der indigenen Bevölkerung mit Formen moderner politischer Selbstorganisation verknüpft werden. Ein weiteres Beispiel stellt die im indischen Bundesstaat Kerala praktizierte partizipative Demokratie dar, wo lokale Selbstverwaltungen unter direkter Beteiligung der Bevölkerung politische Entscheidungen treffen und umsetzen.
Die unter anderem auf kooperativen Unternehmen basierende katalanische Genossenschaftsbewegung, zum Beispiel die Mondragon-Erfahrung⁴, und praktische Beispiele der Solidarwirtschaft in Italien zeigen, wie ähnliche Prinzipien unter unterschiedlichen sozialen Bedingungen umgesetzt werden können. Die Erfahrungen mit partizipativen kommunalen Budgets in Porto Alegre⁵ sind ein wichtiges Modell für die Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungen. Die praktischen Ergebnisse dieses Ansatzes lassen sich sehr deutlich in der Erfahrung Rojavas erkennen.
Die im Norden Syriens gegründete autonome Verwaltung kann als erste umfassende Umsetzung der Prinzipien der demokratischen Konföderation angesehen werden. Verschiedene ethnische Gruppen wie Kurd:innen, Araber:innen, Suryoye und Turkmen:innen sind mit einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern in der Verwaltung vertreten. Das Fundament der Wirtschaft beruht auf Kooperativen. Der Unterricht findet in der Muttersprache statt, es wird jedoch ein mehrsprachiger Ansatz verfolgt. Frauen haben das Recht auf Selbstverteidigung, und dieses Recht ist nicht nur individuell, sondern als organisiertes Verteidigungssystem konzipiert. Es wird eine neue Epistemologie namens Jineolojî (Wissenschaft aus der Perspektive der Frau) entwickelt. Diese Erfahrung zeigt zwar, dass demokratische Verwaltung auch unter Kriegsbedingungen möglich ist, steht jedoch vor verschiedenen Herausforderungen wie Wirtschaftsembargo, militärische Angriffe, interne Widersprüche und der Widerstand traditioneller Strukturen.
Allerdings bedarf dieser Ansatz auch einer kritischen Betrachtung. Eine zu stark idealistisch geprägte Perspektive kann dazu führen, dass die einschränkenden Wirkungen materieller Rahmenbedingungen vernachlässigt werden. Unter den Bedingungen der globalen kapitalistischen Hegemonie stellt sich die Frage, inwieweit lokale Erfahrungen partizipativer Demokratie bis hin zum demokratischen Konföderalismus langfristig tragfähig sind. Zudem kann die Verwaltung multikultureller Gesellschaften die Umsetzung von Konsensdemokratie in der Praxis erschweren. Langsame Entscheidungsprozesse können in Krisensituationen ein rasches und wirksames Handeln behindern. Auch auf der Ebene der Konföderation können Koordinationsprobleme entstehen, die zu Ungleichgewichten zwischen lokalen Autonomien führen. Um einem rein idealistischen Ansatz vorzubeugen, besteht die Notwendigkeit, sich dieser Risiken bewusst zu sein und sich ihnen selbstkritisch-reflexiv zu stellen und gezielt entgegenzuwirken.
Eine neue sozialistische Vision
Dieser Ansatz eröffnet auch auf globaler Ebene neue Möglichkeiten. Die durch das System der Nationalstaaten geschaffenen Grenzen behindern die Zusammenarbeit der Völker. Der demokratische Konföderalismus hingegen bietet ein Organisationsmodell ohne Grenzen. Globale Probleme wie Umweltprobleme, Migrationskrisen und wirtschaftliche Ungleichheit können nur durch die direkte Zusammenarbeit der Völker gelöst werden. Diese Zusammenarbeit kann nicht den zwischenstaatlichen Beziehungen überlassen werden, denn Staaten stellen ihre eigenen Interessen über die Interessen der Völker.
Der Ansatz „Das Beharren auf Menschsein ist das Beharren auf Sozialismus“ ist in diesem Sinne eine neue sozialistische Vision, die als Antwort auf die globalen Krisen unserer Zeit entwickelt wurde. Diese Vision sieht weder eine Rückkehr zum staatsorientierten Sozialismus des 20. Jahrhunderts vor noch akzeptiert sie die unmenschliche Logik des Kapitalismus. Sie schlägt eine neue Lebensform vor, die das kreative Potenzial des Menschen in den Mittelpunkt stellt und dieses Potenzial im Einklang mit der Natur und der Gesellschaft entwickelt. Diese Lebensform ist kein aufgezwungener, sondern ein selbst geschaffener Sozialismus. Die Menschen bauen diesen Sozialismus in ihrem Kampf um ihre eigene Befreiung auf. Und dieser Aufbauprozess ist ein nie endender Prozess, denn Menschsein ist kein vollendeter Zustand, sondern ein fortwährender Schöpfungsprozess.
¹ Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), Drittes Manuskript. Quelle: marxists.org.
² Gezielte gesellschaftliche Umgestaltung durch staatliche Planung und Steuerung
³ Jean-Paul Sartre, Der Existentialismus ist ein Humanismus (Originaltitel: L’existentialisme est un humanisme, 1945).
⁴ Mondragón im Baskenland ist die größte Genossenschaft der Welt. Sie ist eines der erfolgreichsten Unternehmen in Spanien.
⁵ Seit 1989 existiert das Modell der partizipativen Budgetmitbestimmung schon in Porto Alegre und dient weltweit als funktionierendes Beispiel demokratischer Partizipation.
* Der Text von Nimet Sevim ist der 239. Ausgabe des „Kurdistan Report“ entnommen. Das dreimonatlich erscheinende Magazin kann über ein Abonnement bezogen werden. Informationen finden sich unter https://www.kurdistan-report.de/ und über kr@nadir.org. Ein Abonnement kostet 15,- Euro plus Versandkosten und beinhaltet sechs Ausgaben.
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Mazlum Abdi kündigt Gespräche über Integration der QSD an
er Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) Mazlum Abdi hat angekündigt, dass in Kürze eine militärische Delegation zu Gesprächen mit der syrischen Übergangsregierung nach Damaskus reisen werde. Ziel sei es, über eine mögliche strukturelle Integration der QSD in die staatlichen Sicherheitsstrukturen Syriens zu verhandeln.
„Eine militärische Kommission wird bald nach Damaskus aufbrechen, um die Details der künftigen Einbindung zu besprechen“, sagte Abdi bei einer Militärzeremonie der Anti-Terror-Einheit YAT in Nordostsyrien. Er betonte, dass die YAT auch künftig in allen Regionen Syriens im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) aktiv sein werde – im Rahmen eines übergreifenden Sicherheitskonzepts.
Botschaft zum Jahrestag
Die Ankündigung erfolgte am Rande eines offiziellen Festakts zum zehnten Jahrestag der Gründung der QSD. Die Formation war am 10. Oktober 2015 als multiethnisches Bündnis verschiedener kurdischer, arabischer und assyrischer Kampfverbände gegründet worden, um den IS zurückzudrängen und stabile Sicherheitsstrukturen in Nordostsyrien aufzubauen.
Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) veröffentlichte zu diesem Anlass eine Erklärung, in der sie die Rolle der QSD als „Rückgrat der regionalen Stabilität“ hervorhob und die Integration in eine neue nationale Armee Syriens forderte.
„Die Zeit ist gekommen, dass die QSD ihren Platz in der zukünftigen syrischen Armee einnehmen“, heißt es in der Mitteilung. Die Kräfte hätten sich in einem Jahrzehnt des Krieges als Verteidiger:innen der territorialen Einheit Syriens und als Garant:innen für Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte bewährt.
Strategische Rolle im Kampf gegen den IS
In der Erklärung der Autonomieverwaltung wird daran erinnert, dass die QSD während des Aufstiegs des IS eine entscheidende Rolle bei dessen territorialer Niederlage gespielt haben – in einer Zeit, in der internationale und regionale Armeen nicht erfolgreich gewesen seien. „Mit Tausenden von Gefallenen und enormen Opfern hat diese Kraft nicht nur Nordostsyrien, sondern die ganze Welt vor dem IS geschützt“, so die Erklärung. „Die QSD haben sich als Modell für interethnische Zusammenarbeit in einer der komplexesten Regionen des Nahen Ostens bewährt.“
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Asayîş in Aleppo wirft Übergangsregierung Bruch des Waffenstillstands vor
Die Sicherheitskräfte der kurdischen Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in Aleppo haben der syrischen Übergangsregierung erneut vorgeworfen, bestehende Vereinbarungen zur Deeskalation systematisch zu verletzen. In einer Erklärung warnte die Asayîş vor einer gefährlichen Eskalation in der Region. Demnach seien am Freitagabend mehrere Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand registriert worden. Regierungstruppen haben demnach im Umfeld des Jandul-Kreisverkehrs sowie im Industriegebiet Meamil gezielte Bewegungen vorgenommen, die als Provokationen gewertet würden. „Diese Handlungen stellen eine klare Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in der Region dar“, heißt es in der Stellungnahme. Ziel sei offenbar, eine neue militärische Konfrontation zu provozieren, welche die Zivilbevölkerung gefährde.
Militärposten auf Friedhof
Besondere Besorgnis äußerten die Sicherheitskräfte über den Bau einer neuen Militärstellung innerhalb eines Friedhofsgeländes im Osten des Stadtteils Şêxmeqsûd, konkret im Bereich des armenischen Friedhofs im Viertel Jabanat. „Dies ist nicht nur eine Drohgebärde, sondern auch ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber religiösen und öffentlichen Stätten“, so die Erklärung. Die Maßnahme könne als bewusste symbolische Provokation gewertet werden und stelle einen ernstzunehmenden Rückschlag für lokale Bemühungen um Stabilität dar. Die Sicherheitskräfte kündigten an, ihre Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten und betonten ihre Entschlossenheit, die Sicherheit in den von ihnen kontrollierten Stadtteilen zu gewährleisten.
Forderung: Bestehende Vereinbarungen umsetzen
In der Erklärung wurde außerdem an die internationale Gemeinschaft appelliert, ihre Verantwortung für die Umsetzung bestehender Vereinbarungen wahrzunehmen und auf die syrische Übergangsregierung einzuwirken, um weitere Zwischenfälle zu verhindern. Erst am Dienstag war eine Waffenruhe zwischen der nordostsyrischen Selbstverwaltung und der selbsternannten Führung in Damaskus vereinbart worden – nicht nur für Aleppo, sondern alle Fronten und Kontaktlinien im Norden und Nordosten Syriens. Die Übereinkunft erfolgte nach schweren Angriffen sogenannter Regierungstruppen in Şêxmeqsûd und Eşrefiyê mit mehreren Toten und über 60 Verletzten.
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Hamburg: Unterstützung für Friedensprozess gefordert
In Hamburg hat eine Demonstration unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan – Für Frieden und demokratische Lösung“ stattgefunden. Anlass war der Jahrestag des Beginns des internationalen Komplotts gegen den PKK-Begründer Abdullah Öcalan am 9. Oktober 1998. Zu der Demonstration aufgerufen hatten die kurdische Jugendgruppe Ciwanen Hamburg, der Frauenrat Rojbîn und der Kurdische Volksrat Hamburg. Auftakt war um 17 Uhr vor dem autonomen Zentrum Rote Flora in der Sternschanze. Zu Beginn wurde eine Schweigeminute im Gedenken an die Gefallenen des kurdischen Freiheitskampfes abgehalten.
Freiheit für Öcalan und Unterstützung für Friedensprozess gefordert
In einer anschließend verlesenen Erklärung der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) wurden die europäische Öffentlichkeit und EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, endlich einen positiven Beitrag für ein Ende des bewaffneten Konflikts zu leisten und den Prozess für Frieden und eine demokratische Lösung zu unterstützen:
„Am 9. Oktober 1998 musste Abdullah Öcalan, Gründer und Vorsitzender der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), auf militärischen und politischen Druck der Türkei und der NATO Syrien verlassen. Zwei Möglichkeiten boten sich ihm: Entweder in die Berge Kurdistans zu gehen, wo der bewaffnete Kampf zwischen der PKK und der türkischen Armee geführt wurde, oder in Europa für eine politische Lösung des Konflikts aktiv zu werden. Er entschied sich für den zweiten Weg. Aber dieser sollte zu einem Irrweg werden, in der europäische Staaten ihn zur Persona non grata erklärten und ihm jegliche Tore verschlossen wurden. Seine Odyssee durch drei Kontinente endete am 15. Februar 1999 in seiner Verschleppung aus der griechischen Botschaft in Kenia durch NATO-Geheimdienste in die Türkei, wo er seitdem unter Isolationsbedingungen inhaftiert ist. Für Kurd:innen markiert der 9. Oktober deshalb den Beginn des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan.
27 Jahre Kampf für Frieden - trotz Isolation
Abdullah Öcalan hat unter schwersten Isolationsbedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali in den vergangenen 27 Jahren seine Bemühungen für eine Beendigung des bewaffneten Konflikts und eine politische Lösung der kurdischen Frage ununterbrochen fortgesetzt. Dabei hat er jede noch so kleine Chance ergriffen und sich für Verhandlungen mit dem türkischen Staat stark gemacht. In diesem Zusammenhang hat im Oktober letzten Jahres ein neuer politischer Prozess mit Gesprächen zwischen Öcalan und Ankara begonnen. Meilensteine in diesem Prozess waren Öcalans Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft, die Selbstauflösung der PKK und die erklärte Bereitschaft, die Strategie des bewaffneten Widerstands zu beenden. In einem symbolischen Akt haben dann 30 Guerillakämpfer:innen im Juli ihre Waffen verbrannt. Daraufhin hat im August eine parlamentarische Kommission zum Dialogprozess ihre Arbeit aufgenommen.
„Öcalan ist Hauptverhandlungsführer“
Trotz aller Zeichen des guten Willens auf kurdischer Seite hat die türkische Regierung bisher keine Taten auf ihre Worte folgen lassen. Weder hat die parlamentarische Kommission Abdullah Öcalan als kurdischen Hauptakteur angehört, noch sind bestehende antidemokratische Gesetze geändert und neue Gesetze erlassen worden, um den Prozess voranzubringen. Dabei braucht es rechtliche Grundlagen, um den Weg für einen umfassenden politischen Prozess, der die friedliche Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei zum Ziel hat, zu öffnen. Abdullah Öcalan ist hierbei Hauptverhandlungsführer und muss dementsprechend frei agieren können. Deshalb fordern wir seine Freiheit, die unmittelbar mit der politischen Lösung der kurdischen Frage zusammenhängt. Wir rufen in diesem Zusammenhang die europäische Öffentlichkeit und EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, endlich einen positiven Beitrag für ein Ende des bewaffneten Konflikts zu leisten und den Prozess für Frieden und eine demokratische Lösung zu unterstützen.“
„Für alle nach Freiheit strebenden Menschen“
Der Aktivist Ferhed Mêrdîn sagte in einer auf Kurdisch gehaltenen Rede, dass die kurdische Jugend den Kampf für die Freilassung von Abdullah Öcalan fortsetzen werde. Öcalan sei nicht nur ein Anführer für das kurdische Volk, sondern eine Symbolfigur für alle nach Freiheit strebenden Menschen. Auf der Demonstration wurden mehrfach die Parolen „Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“, „Bijî Serok Apo“ und „Jin Jiyan Azadî“ skandiert. Beendet wurde der Aufmarsch an der Feldstraße.
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Buldan: Öcalan erwartet Besuch der Parlamentskommission
Der PKK-Begründer Abdullah Öcalan drängt auf eine direkte Begegnung mit der im türkischen Parlament eingerichteten Kommission für eine Lösung der kurdischen Frage. Dies erklärte die Parlamentsabgeordnete Pervin Buldan (DEM), die auch Mitglied der Imrali-Delegation ist, am Freitagabend im Fernsehsender Medya Haber.
Öcalan habe beim jüngsten Treffen mit der Imrali-Delegation am 3. Oktober deutlich gemacht, dass er die Arbeit der Kommission aufmerksam verfolge – und sich bereit halte, seine Einschätzungen und Vorschläge in einem persönlichen Austausch darzulegen. „Die Kommission muss so bald wie möglich nach Imrali kommen“, habe er mit Nachdruck gesagt. Es sei ihm ein Anliegen, sowohl die politische Entstehungsgeschichte der PKK als auch deren Auflösung im Lichte seines jüngsten Friedensaufrufs direkt mit den Abgeordneten zu besprechen.
Öcalan will politisch gestalten
Laut Buldan wolle Öcalan der Kommission nicht nur Rede und Antwort stehen, sondern als politischer Akteur an der Ausgestaltung der nächsten Phase des politischen Prozesses teilnehmen. Er habe betont, dass er derjenige sei, der die Auflösung der PKK eingeleitet und mit seinem „Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft“ vom 27. Februar 2025 das Fundament für eine neue demokratische Phase gelegt habe.
„Er versteht sich als jemand, der durch seine Erfahrung, seine Verantwortung und seinen historischen Ort einen Beitrag zur Zukunft leisten will – und das im Rahmen eines demokratischen Dialogs“, so Buldan. Öcalan wolle nicht nur gehört, sondern auch konsultiert werden – etwa zur Frage, wie sich frühere Mitglieder der PKK in demokratische Politik integrieren ließen, wie Entwaffnung rechtlich geregelt werden könne und welche Gesetzesänderungen notwendig seien.
Konkreter Zeitrahmen in Sicht
Die „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ des Parlaments befinde sich derzeit noch in der Anhörungsphase, so Buldan. In den kommenden ein bis zwei Wochen werde diese voraussichtlich abgeschlossen. Danach sei der Besuch einer Delegation auf der Gefängnisinsel geplant, so die kurdische Politikerin. „Geplant ist ein fünfköpfiges Team, bestehend aus Abgeordneten jener Parteien, die im Parlament mit Fraktionen vertreten sind“, sagte Buldan. Ob auch Vertreter:innen kleinerer Parteien ohne Fraktionsstatus teilnehmen werden, sei noch unklar. Die Teilnahme von Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş sei hingegen „nicht Gegenstand“ der Planungen.
„Pedal dreht sich, wenn auch langsam“
Auf die Frage nach dem Stand des politischen Prozesses betonte Buldan, dass dieser keineswegs beendet sei. Auch Öcalan sehe das so. „Er sagte klar: Der Prozess läuft weiter – wenn auch schwerfällig, mit Verzögerungen und Hindernissen.“ „Das Pedal dreht sich, aber es dreht sich zu langsam“, zitierte Buldan sinngemäß. Ein Stillstand dürfe nicht zur Normalität werden, denn politische und gesellschaftliche Dynamiken ließen sich nicht unbegrenzt aufschieben. Sowohl Öcalan als auch die DEM-Partei sehen den Prozess in einer „kritischen Phase“, in der zügige und koordinierte Schritte erforderlich seien, um das Vertrauen in eine politische Lösung nicht weiter zu untergraben.
Warnung vor „prozessfeindlichen Kräften“
Im Gespräch mit der Delegation habe Öcalan erneut betont, dass der Erfolg eines politischen Übergangsprozesses nur durch „gegenseitige Schritte“ aller Beteiligten möglich sei. Wenn dieser Austausch ausbleibe, würden Kräfte gestärkt, die den Prozess bewusst torpedierten. „Er warnt regelmäßig davor, dass Verzögerungen nicht neutral sind – sie begünstigen jene, die den Dialog verhindern wollen“, erklärte Buldan. Die Kommission, die als Plattform zur parlamentarischen Bearbeitung des Themas fungieren soll, müsse deshalb nicht nur zuhören, sondern auch gestalten – gemeinsam mit allen Beteiligten.
Öcalan kritisiert Medien und sieht Verantwortung bei der Regierung
Öcalan habe im Gespräch auch scharfe Kritik an Teilen der türkischen Medien geübt, so Buldan. Viele Sender und Kommentator:innen würden weiterhin eine „polarisierende, feindliche Sprache“ verwenden, die dem Friedensprozess schade. „Das ist keine Sprache des Friedens oder der Verständigung, sondern ein Überbleibsel früherer Konfrontation“, so Buldan. Zugleich forderte sie die Regierung auf, nicht nur zuzusehen, sondern aktiv Vertrauen aufzubauen. Noch immer gebe es politische Lager – etwa aus den Reihen von IYİ-Partei oder Zafer Partisi –, die den Prozess ablehnten. Doch es sei Aufgabe der Regierung, auch diese Gruppen in den nationalen Dialog einzubeziehen.
Nächste Schritte: Gesetzgebung, Integration, Übergang
Nach Darstellung Buldans geht es in der nächsten Phase darum, konkrete gesetzliche Grundlagen für eine politische Integration ehemaliger PKK-Mitglieder zu schaffen – insbesondere für Rückkehr, Entwaffnung, politische Teilnahme und juristische Sicherheit. Öcalan sehe sich als „Hauptakteur“ in diesem Transformationsprozess – seine Mitwirkung sei nicht nur legitim, sondern notwendig, sagte Buldan. Ein zentraler Punkt sei die demokratische Gestaltung des Übergangs: „Öcalan will nicht nur informiert werden, sondern beitragen – auch zur Gestaltung der Gesetze, die diesen Prozess tragen sollen.“
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Fotoaktion „Freiheit für Öcalan” in Celle
Mit einer Fotoaktion haben Aktivist:innen am Freitag in Celle die Freilassung von Abdullah Öcalan gefordert. Die Aktion war ein Beitrag zu einem Aktionstag, den die internationale Kampagne „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung für die kurdische Frage“ anlässlich ihres zweijährigen Bestehens ausrief. Weltweit finden in diesen Tagen Aktionen mit dieser Forderung statt.
Die Beteiligten in Celle betonten in einer kurzen Ansprache die Bedeutung Abdullah Öcalans im Kampf für eine befreite Gesellschaft. Mit der konsequenten Entwicklung des demokratischen Konföderalismus, der auf Basisdemokratie, Geschlechterbefreiung und Ökologie basiert, inspiriere der kurdische Repräsentant Menschen weit über Kurdistan hinaus für den Aufbau gesellschaftlicher Selbstorganisation, hieß es.
Der Theoretiker und Anführer der kurdischen Freiheitsbewegung, Abdullah Öcalan, wurde am 9. Oktober 1998 gezwungen, Syrien zu verlassen. Dies markierte den Beginn eines internationalen Komplotts gegen die kurdische Freiheitsbewegung, das darin gipfelte, dass Öcalan am 15. Februar 1999 in das Hochsicherheitsgefängnis auf der türkischen Insel Imrali verschleppt wurde.
Öcalan war auf dem Weg nach Südafrika, wo Präsident Nelson Mandela ihm politisches Asyl gewähren wollte, als er im Rahmen einer internationalen Geheimdienstoperation aus der griechischen Botschaft im kenianischen Nairobi entführt wurde. Seitdem befindet er sich in politischer Geiselhaft, die meiste Zeit unter den Bedingungen schwerster Isolation.
Die kurdische Gesellschaft fordert die Abschaffung der Isolationshaft und die Freilassung Öcalans unter Bedingungen, die es ihm ermöglichen, eine Rolle bei der Suche nach einer politischen Lösung für die kurdische Frage zu spielen. „Die Freiheit von Öcalan und den tausenden weiteren politischen Gefangenen in der Türkei wäre ein bedeutender Schritt im Friedensprozess, die die Freiheitsbewegung Kurdistans angestoßen hat“, so die Aktivist:innen in Celle.
Foto © Luisa Wolf
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Irakischer Außenminister zu Gesprächen in Ankara
Der irakische Außenminister und Vizepremier Fuad Hussein ist am Freitag zu einem offiziellen Besuch in der Türkei eingetroffen. Ziel der Gespräche in Ankara sind laut Angaben beider Seiten die bilateralen Beziehungen sowie aktuelle Entwicklungen in der Region.
Hussein wird von einer Delegation begleitet, der unter anderem auch der irakische Minister für Wasserressourcen angehört. Nach Angaben des irakischen Außenministeriums soll bei den Treffen mit der türkischen Seite insbesondere das Thema Wasser eine zentrale Rolle spielen.
Die Türkei kontrolliert durch zahlreiche Staudämme den Zufluss wichtiger Flüsse wie Euphrat und Tigris, die in den Irak weiterfließen. Die Regierung in Bagdad wirft Ankara seit Jahren vor, den Wasserfluss einseitig zu reduzieren und dies als politisches Druckmittel einzusetzen.
Geplant ist ein bilaterales Treffen mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan. Dabei soll es auch um sicherheitspolitische Fragen, wirtschaftliche Kooperationen und die Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrororganisationen gehen.
Politische Besuchsdiplomatie in Serie
Der Besuch Husseins folgt nur einen Tag nach einer offiziellen Reise von Nêçîrvan Barzanî, dem Präsidenten der Kurdistan-Region des Irak (KRI). Barzanî war am Donnerstag in Ankara mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen Außenminister Fidan zusammengetroffen. Dabei wurde unter anderem die Aufhebung des seit April 2023 geltenden türkischen Flugverbots für den internationalen Flughafen von Silêmanî (Sulaimaniyya) beschlossen.
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Massaker-Gedenken in Ankara: Nichts ist mehr, wie es war
Zehn Jahre nach dem tödlichsten Terroranschlag in der Geschichte der Türkei haben zahlreiche Menschen in Ankara der mehr als hundert Opfer gedacht. Bei einer Gedenkveranstaltung vor dem Hauptbahnhof – dem Ort des Attentats – forderten Überlebende, Angehörige sowie politische und zivilgesellschaftliche Vertreter:innen erneut Gerechtigkeit und eine vollständige Aufarbeitung des Anschlags.
Die Zeremonie wurde vom Friedensverein 10. Oktober organisiert und von zahlreichen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen unterstützt. Auch Tuncer Bakırhan, Ko-Vorsitzender der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), nahm an der Gedenkveranstaltung teil.
Am 10. Oktober 2015 hatten sich Tausende Menschen zu einer Kundgebung für „Arbeit, Frieden und Demokratie“ versammelt, als zwei Selbstmordattentäter der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sich am Eingang zum Bahnhof in die Luft sprengten. 103 Menschen wurden getötet, über 500 weitere verletzt.
Nichts ist mehr wie früher
In einer gemeinsamen Erklärung, verlesen von Mehtap Sakinci, Ko-Vorsitzende des Friedensvereins, hieß es: „Nichts ist mehr, wie es war. Seit zehn Jahren schmeckt unser Essen anders, die Luft brennt in der Lunge.“ Die Explosion habe nicht nur Leben ausgelöscht, sondern auch eine ganze Generation traumatisiert.
Die Forderung nach Frieden, die damals Tausende Menschen auf die Straße brachte, sei weiterhin aktuell, so Sakinci: „Die Welt befindet sich im Krieg. Der Ruf nach Frieden ist heute dringlicher denn je. Ohne Gerechtigkeit für die Opfer kann es auch keinen echten Frieden geben.“
Mehtap Sakinci
Kritik an Behörden: Keine Verantwortung übernommen
Der DEM-Vorsitzende Tuncer Bakırhan warf den Behörden vor, bis heute keine politische oder juristische Verantwortung übernommen zu haben. „In jedem anderen Land hätte jemand zurücktreten, sich entschuldigen oder Verantwortung übernehmen müssen“, sagte er. „Doch in der Türkei wurde niemand zur Rechenschaft gezogen – nicht die, die weggeschaut haben, nicht die, die versagt haben.“
Er kündigte an, dass seine Partei weiterhin parlamentarische Initiativen zur Aufklärung des Anschlags einbringen werde. Alle bisherigen Anträge auf eine Untersuchungskommission seien jedoch abgelehnt worden. „Es waren nicht nur die Attentäter, die getötet haben“, sagte Bakırhan. „Auch jene, die Beweise ignorieren, Spuren verwischen und keine rechtsstaatliche Aufarbeitung ermöglichen, tragen Verantwortung.“
Zivilgesellschaftliche Erinnerungskultur
Nach der Gedenkveranstaltung zogen die Teilnehmenden in einem stillen Marsch in Richtung des Justizpalastes von Ankara. Viele trugen Bilder der Opfer oder hielten Schilder mit der Aufschrift „Gerechtigkeit“ in die Höhe.
Der 10. Oktober-Friedensverein kündigte an, weiterhin dafür zu kämpfen, dass der Anschlag nicht in Vergessenheit gerät und die Verantwortlichen auf allen Ebenen benannt und zur Rechenschaft gezogen werden.
https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/zehn-jahre-nach-dem-bahnhofsmassaker-von-ankara-eine-offene-wunde-48321 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/lebenslange-haftstrafen-nach-bahnhofsmassaker-von-ankara-42755 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mahnmal-fur-anschlagsopfer-geschandet-45907 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/bahnhofsmassaker-kassationshof-bestatigt-urteile-gegen-hintermanner-33302
QSD bekräftigen Anspruch als nationale Verteidigungskraft
Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben zum zehnten Jahrestag ihrer Gründung ihren Anspruch als nationale und überparteiliche Schutzmacht bekräftigt. In einer von ihrem Medien- und Kommunikationszentrum veröffentlichten Erklärung würdigten die QSD die eigenen Verdienste im Kampf gegen den Terrorismus und versprachen, auch künftig am Gründungsauftrag festzuhalten.
„Unsere Kräfte sind aus dem Willen der Völker und dem Recht auf ein freies und würdevolles Leben hervorgegangen“, heißt es in der Mitteilung der QSD. Gegründet wurde das multiethnische Bündnis im Jahr 2015 als Koalition mehrerer Kampfverbände darunter die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), der Militärrat der Suryoye (MFS) und der Armee der Revolutionäre mit dem Ziel, den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien zurückzudrängen.
In der Erklärung erinnerten die QSD an die Rolle des Bündnisses während der schwersten Jahre des syrischen Bürgerkriegs. Während viele andere Akteure in den Konflikt um Macht und Einfluss verwickelt gewesen seien, hätten sich die QSD dem Schutz der Bevölkerung und der Einheit des Landes verschrieben. Der Kampf gegen den IS sei dabei nicht nur militärisch, sondern auch ein „Kampf um Würde, Moral und gesellschaftliche Werte“ gewesen.
Stabilitätsfaktor in Nordostsyrien
Besonderen Stellenwert messen die QSD dem Aufbau eines zivilen Selbstverwaltungsmodells im Norden und Osten Syriens bei, das auf Demokratie, Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen beruht. Dieses Modell sei keine Abspaltung, sondern ein möglicher Weg in ein „freies, demokratisches und vom Terror befreites Syrien“.
Die QSD sehen sich heute als „Stütze der Stabilität“ in Nordostsyrien und als „verantwortungsvoller Partner“ in der internationalen Anti-IS-Koalition. Ihre Präsenz diene dem Schutz der „Errungenschaften des syrischen Volkes“ und der Verteidigung gegen äußere wie innere Bedrohungen, hieß es weiter.
Erinnerung an Gefallene
In der Erklärung gedachten die QSD ihrer gefallenen Kämpfer:innen, die „mit ihrem Blut Geschichte geschrieben“ hätten. Gleichzeitig erneuerte die Organisation ihr Versprechen, am ursprünglichen Auftrag festzuhalten: „Die QSD werden sich weiterhin für den Schutz der Bevölkerung, die Verteidigung der Würde des Landes und für ein freies, demokratisches und sicheres Syrien für alle einsetzen.“
Foto: Befreiung von Raqqa, 2017
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Zehn Jahre nach dem Bahnhofsmassaker von Ankara: Eine offene Wunde
Am 10. Oktober 2015 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) vor dem Hauptbahnhof von Ankara inmitten einer Friedensdemonstration in die Luft. 103 Menschen starben, über 500 wurden verletzt. Es war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Republik Türkei. Heute, zehn Jahre später, ist das Verbrechen juristisch nur unvollständig aufgearbeitet und die politische Verantwortung bleibt weitgehend ungeklärt. Was blieb, ist ein tiefer Riss – in den Biografien der Überlebenden, in der Zivilgesellschaft, im Rechtsstaat.
Der Anschlag auf eine Friedensdemonstration
Am Morgen des 10. Oktober 2015 versammelten sich Tausende Menschen vor dem Hauptbahnhof von Ankara, um für „Frieden, Arbeit und Demokratie“ zu demonstrieren. Es war ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Gruppen und linken Parteien, das inmitten einer eskalierenden Gewaltspirale zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung zu dem friedlichen Protest aufgerufen hatte.
Kurz vor Beginn der Kundgebung sprengten sich zwei IS-Anhänger inmitten der Menge in die Luft. Innerhalb von Sekunden wurden über hundert Menschen getötet, unzählige weitere teils schwer verletzt – auch dadurch, dass die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen freiwillige Helfer:innen vorging. Es war ein gezielter Anschlag auf Menschen, die sich für Frieden einsetzen wollten. Was folgte, war eine juristische und politische Aufarbeitung voller Widersprüche, Vertuschungen und offener Fragen.
Frühwarnungen, die unbeachtet blieben
Schon Monate vor dem Anschlag lagen türkischen Sicherheitsbehörden konkrete Hinweise vor. Der Inlandsgeheimdienst MIT und die Polizei wussten von der Existenz einer IS-Zelle in Dîlok (tr. Gaziantep), die Anschläge plante. Die Gruppe wurde von Yunus Durmaz alias „Ebu Ali“ geleitet – eine Figur, die bereits im Zusammenhang mit dem IS-Anschlag von Pirsûs (Suruç) im Juli 2015 auftauchte.
Eine Liste mit 21 namentlich bekannten potentiellen Selbstmordattentätern war im Umlauf. Zwei von ihnen – Yunus Emre Alagöz und Ömer Deniz Dündar – sprengten sich schließlich in Ankara in die Luft. Obwohl beide zuvor bereits mit grenzüberschreitendem Dschihadismus in Verbindung gebracht worden waren, konnten sie ungehindert reisen, operieren und den Anschlag vorbereiten.
Um 10:04 Uhr explodierten die Bomben
Sicherheitslücken und ignorierte Warnungen
Ein interner Bericht des Innenministeriums vom Februar 2016 hielt fest, dass die Polizei trotz mehrfacher Warnungen keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen für die Kundgebung im Bahnhofsviertel der Hauptstadt getroffen hatte. Eine Kontrolle vor Ort, die auch die Suche nach Waffen oder Sprengsätzen einschließen könnte, unterblieb, die letzte Sicherheitsbesprechung dauerte gerade einmal 15 Minuten. Sicherheitszonen waren nur provisorisch eingerichtet.
Dennoch verweigerte die Gouverneursbehörde von Ankara eine Untersuchung gegen die Verantwortlichen. Die Begründung: „Kein Dienstvergehen erkennbar.“ Der Bericht wurde in weiten Teilen unter Verschluss gehalten. 13 zentrale Geheimdienstvermerke wurden nie veröffentlicht – sie gelten bis heute als „Staatsgeheimnis“. Für die Angehörigen der Opfer ein weiteres Symbol dafür, dass Verantwortung systematisch verschleiert wurde.
Ein Prozess mit Lücken
Am 7. November 2016 begann vor dem 4. Schwurgerichtshof in Ankara der Prozess gegen 36 mutmaßliche Mitglieder der IS-Zelle. Die Anklageschrift umfasste über 500 Seiten und rekonstruierte minutiös die Planung, Logistik und Ausführung des Anschlags. Doch auffällig war: Kein einziger staatlicher Akteur wurde angeklagt. Die Rolle von Polizei, Geheimdienst oder Ministerien blieb außen vor.
Mehrere Angeklagte wurden später zu hohen Haftstrafen verurteilt – darunter lebenslange Haft wegen mehrfachen Mordes. Doch zentrale Figuren wie der IS-Kommandeur Yunus Durmaz kamen nie vor Gericht. Er sprengte sich bei einer Polizeioperation 2016 selbst in die Luft. 16 Beschuldigte sind bis heute flüchtig – einige von ihnen vermutlich in Syrien. Internationale Haftbefehle wurden mitunter verspätet beantragt oder fehlerhaft ausgestellt.
„Das war kein Versehen – das war eine Entscheidung“
Für die Angehörigen der Opfer war schnell klar: Es handelte sich nicht um ein Behördenversagen, sondern um eine politisch gedeckte Nachlässigkeit. In den Gerichtssälen riefen sie immer wieder: „Das war kein Versehen, das war eine Entscheidung.“
Die Verteidigung betonte in zahlreichen Eingaben, dass der Anschlag als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nach Artikel 77 des türkischen Strafgesetzbuches eingestuft werden müsse. Doch das Gericht lehnte ab – mit der Begründung, der Anschlag habe sich nicht gezielt gegen eine ethnische, religiöse oder politische Gruppe gerichtet, sondern sei „ein Angriff auf die staatliche Ordnung“ gewesen. Für viele Beobachter:innen ist dies eine juristische Ausflucht, die den gezielten Angriff auf friedliche, linke und kurdische Demonstrant:innen verharmlost.
Klagewelle – ohne Gerechtigkeit
Zahlreiche Angehörige reichten Klagen beim Verfassungsgericht und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Im Zentrum der Beschwerden: die Missachtung des Rechts auf Leben und die mangelnde Strafverfolgung staatlicher Verantwortungsträger. Auch hier: Verzögerungen, formale Ablehnungen, politische Zurückhaltung. Nur wenige Einzelfälle wurden vom türkischen Verfassungsgericht als unzureichend untersucht anerkannt – strukturelle Konsequenzen blieben aus.
Parallel liefen Zivilklagen auf Entschädigung. Doch die meisten Verwaltungsgerichte sahen keine staatliche Verantwortung. Wenn überhaupt, wurden symbolische Entschädigungen zugesprochen – ohne ausdrückliche Anerkennung eines „Dienstfehlers“.
Ein Mahnmal der Straflosigkeit
Zehn Jahre nach dem Massaker ist die Bilanz bitter. Der Anschlag ist weder vollständig aufgeklärt noch aufgearbeitet. Die direkte Täterschaft wurde in Teilen bestraft, doch die Verantwortung in staatlichen Stellen wurde nie juristisch untersucht, geschweige denn geahndet. Stattdessen wurden Berichte zensiert, Beweise unterdrückt und Ermittlungen begrenzt.
Der Fall steht exemplarisch für das strukturelle Problem der Straflosigkeit und politischen Einflussnahme auf die Justiz in der Türkei. Die juristische Aufarbeitung des schwersten Anschlags der Republik bleibt unvollständig – ein dunkler Schatten über einer Gesellschaft, die sich nach Frieden sehnte und stattdessen mit Tod, Schweigen und Vertuschung konfrontiert wurde.
„Wir fordern Gerechtigkeit“
Bis heute versammeln sich die Angehörigen der Opfer regelmäßig vor dem Bahnhofsgebäude in Ankara. Mit Fotos ihrer getöteten Kinder, Partner:innen oder Geschwister, mit roten Nelken und mit der immer gleichen Forderung: Gerechtigkeit.
Ihr Ruf ist nicht verstummt – im Gegenteil. In einer Zeit, in der autoritäre Strukturen, nationalistische Rhetorik und die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien zunehmen, bleibt ihr Protest ein Zeichen der Würde. Ein Kampf gegen das Vergessen. Und ein Aufruf an die Gesellschaft – nicht nur in der Türkei.
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KCK weist Barzanî scharf zurecht – „Äußerungen sind inakzeptabel“
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat den Präsidenten der Kurdistan-Region des Irak (KRI), Nêçîrvan Barzanî, wegen Äußerungen zum Friedensprozess in der Türkei scharf kritisiert. Seine Aussagen seien „inakzeptabel“ und stellten eine „Verzerrung der Realität“ dar, teilte das KCK-Außenkomitee am Freitag in Behdînan mit.
Die Stellungnahme erfolgte zwei Tage nach einem von der Mediengruppe Rudaw gesponserten Forum des Instituts für den Nahen und Mittleren Osten (MERI) in Hewlêr (Erbil), bei dem Barzanî unter anderem zur Rolle der PKK und zur Bedeutung politischer Schritte für eine Lösung der kurdischen Frage Stellung bezogen hatte. Dabei forderte er, die PKK müsse konkrete Schritte im Friedensprozess unternehmen, statt auf Gegenmaßnahmen der Türkei zu warten.
„Versuch, einen Widerspruch zwischen Öcalan und der PKK zu konstruieren“
„Diese Erwartungshaltung auf beiden Seiten führt nicht weiter“, sagte Barzanî. Ankara habe „einen ernsthaften Willen“ zur Fortsetzung des Dialogs, auch wenn der Prozess nur langsam vorankomme. Die kurdische Seite müsse die Gelegenheit nutzen und „den Worten Taten folgen lassen“. Gleichzeitig behauptete der PDK-Politiker, dass sich die PKK zwar öffentlich auf die Positionen ihres Begründers Abdullah Öcalan berufe, diese in der Praxis jedoch nicht umsetze. Dies schade dem kurdischen Anliegen.
Die KCK wies diese Darstellung entschieden zurück. Barzanî reproduziere damit Positionen der türkischen Regierung und stelle einen angeblichen Widerspruch zwischen Öcalan und der PKK her, der so nicht existiere. Dies sei eine bewusste Verzerrung der Realität, die nicht zur Lösung des Konflikts beitrage, so die Erklärung, sowie „falsch und gefährlich“. „Zu behaupten, die PKK höre nicht auf Öcalan, ist ein schwerwiegender Fehler“, so die KCK. Barzanî missachte den Kurs der kurdischen Befreiungsbewegung und die daraus entstandenen Entwicklungen.
Forderung: „Falschen und schädlichen Kurs“ korrigieren
Zugleich erinnerte die KCK erinnerte daran, dass die PKK auf ihrem zwölften Kongress im vergangenen Mai beschlossen hatte, ihre Strukturen als bewaffnete Organisation aufzulösen und der bewaffneten Strategie den Rücken zu kehren – als direkte Antwort auf Öcalans „Aufruf zu Frieden und Demokratie“ vom 27. Februar. Eine Gruppe von Kämpfer:innen hatte daraufhin am 11. Juli symbolisch ihre Waffen niedergelegt.
Dass er diese Worte zudem kurz vor einem Türkei-Besuch und am 9. Oktober – dem Jahrestag des internationalen Komplotts gegen Öcalan und der türkischen Besetzung von Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) in Rojava – geäußert habe, sei „kein Zufall“, erklärte die KCK. „Diese Aussagen spiegeln die Geisteshaltung jener wider, die den Friedensprozess verhindern wollen“, hieß es weiter. Barzanî habe das Recht, Beziehungen zur Türkei auszubauen, so die KCK weiter. Doch seine Wortwahl sende ein falsches Signal an demokratische Kräfte in der Region. Man erwarte von ihm, „diesen falschen und schädlichen Kurs“ zu korrigieren.
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MSD fordert Einberufung eines nationalen Kongresses
Der Demokratische Syrienrat (MSD) hat die Einberufung eines nationalen Kongresses vorgeschlagen, um den politischen Übergangsprozess in Syrien neu zu beleben. Das teilte der MSD nach einer Sitzung seines Präsidialrats mit, an der unter anderem die Ko-Vorsitzenden Layla Qaraman und Mahmoud al-Mislat teilnahmen.
Ziel des Kongresses sei es, Vertreter:innen aller gesellschaftlichen Gruppen und politischen Kräfte – sowohl innerhalb Syriens als auch im Exil – zusammenzubringen. Der MSD fordert, dass zukünftige Wahlen unter internationaler Aufsicht, transparent und unter gleichberechtigter Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen stattfinden.
Kritik übte der Rat an den jüngsten sogenannten Volksratswahlen, die von der selbsternannten syrischen Übergangsregierung organisiert worden waren, jedoch die Autonomieregion Nord- und Ostsyriens sowie die drusische Provinz Suweida im Süden ausschlossen. Diese Abstimmungen spiegelten nicht den Willen der gesamten Bevölkerung wider und ließen eine faire Vertretung von Frauen und Minderheiten vermissen, hieß es.
Verzögerungen bei Abkommen und militärische Spannungen
Diskutiert wurde in der Sitzung auch die Lage in Aleppo. Dort war es zuletzt in den kurdischen Stadtteilen Eşrefiyê und Şêxmeqsûd zu militärischen Spannungen und Übergriffen durch Regierungstruppen gekommen. Der MSD bewertete die Vorgänge als Bruch des am 1. April vereinbarten Abkommens zwischen den Volksräten beider Viertel und der Führung in Damaskus.
Zudem kritisierte der Rat Verzögerungen bei der Umsetzung des sogenannten 10.-März-Abkommens zwischen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Übergangsregierung. Als Hauptgrund für die stockende Umsetzung sieht der MSD gezielte Blockaden durch Damaskus. Dadurch würden Chancen für eine politische Annäherung und einen dauerhaften Frieden vertan, so die Einschätzung.
Föderale Strukturen als Stabilitätsgarant
Am Ende der Sitzung unterstrich der MSD erneut die Bedeutung eines dezentralen politischen Systems für die Zukunft Syriens. Eine zentralistische Struktur vertiefe die Spaltung des Landes, während ein föderaler Ansatz Stabilität, Gerechtigkeit und Teilhabe ermöglichen könne. Die Übergangsregierung rief der Demokratische Syrienrat dazu auf, künftige Wahlen inklusiver, transparenter und repräsentativer zu gestalten. Der vorgeschlagene nationale Kongress solle als Plattform dienen, um einen überparteilichen politischen Konsens zu erzielen.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/msd-syrien-darf-nicht-zum-alten-system-zuruckkehren-47948 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/msd-wahlen-der-Ubergangsregierung-sind-politisches-theater-48263 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/strategiekonferenz-des-msd-fur-eine-demokratische-zukunft-syriens-47941
Türkei hebt Flugverbot für Flughafen in Silêmanî auf
Nach mehr als zwei Jahren hat die Türkei das Flugverbot für den internationalen Flughafen der Stadt Silêmanî (Sulaimaniyya) in der Kurdistan-Region des Irak (KRI) aufgehoben. Wie die türkische Zivilluftfahrtbehörde am Donnerstagabend mitteilte, sollen Direktverbindungen aus der Türkei in Kürze wieder aufgenommen werden.
Die Flüge von und nach Silêmanî waren im April 2023 ausgesetzt worden. Ankara hatte das Flugverbot damals mit vorgeblichen „Bedrohungen“ durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begründet. Diese habe den Flughafen „infiltriert“ und damit die Flugsicherheit bedroht, hieß es damals. Seither wurden mehrere Verbotsverfügungen mit derselben Begründung erlassen, zuletzt Anfang der Woche. Die Sperrung des Luftraums betraf nicht nur Direktflüge, sondern auch Flüge über den Airport von Silêmanî.
In der Nacht zum Freitag teilte die Präsidentschaft der autonomen Kurdistan-Region mit, dass die Entscheidung nach einem Treffen zwischen dem KRI-Präsidenten Nêçîrvan Barzanî (PDK) und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan gefallen sei. Ziel sei es, die bilateralen Beziehungen zu vertiefen, hieß es in der Erklärung aus Hewlêr (Erbil).
Silêmanî ist nach Hewlêr die zweitgrößte Stadt im südlichen Kurdistan. Die Türkei unterhält traditionell enge Beziehungen zur kurdischen Regionalregierung, insbesondere zur dominierenden PDK (Demokratische Partei Kurdistans), während das Verhältnis zu Akteuren in Silêmanî – etwa der YNK (Patriotische Union Kurdisans) – als angespannt gilt.
https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/turkei-verlangert-flugverbot-fur-airport-silemani-48260 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/turkei-verlangert-luftraumsperre-fur-fluge-aus-silemani-46960 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/turkischer-ex-geheimdienstler-fordert-totung-von-talabani-43713
Temelli: Demokratische Verhandlungen gestalten Gegenwart und Zukunft
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Sezai Temelli, hat sich für eine Rückkehr zu politischen Verhandlungen zur Lösung der kurdischen Frage ausgesprochen. Gegenüber ANF betonte der Politiker die Bedeutung einer „verhandelnden Demokratie“ und die Rolle des türkischen Parlaments als Schlüsselakteur.
„Abdullah Öcalan hat von Anfang an auf die Bedeutung von Verhandlungen hingewiesen, insbesondere unter Einbeziehung des Parlaments“, sagte Temelli. Ein solcher Prozess setze eine klare politische Gesprächsbasis voraus. Gerade das sei bisher versäumt worden – mit spürbaren Folgen für die gesamte Gesellschaft. „Fast jede Krise, die wir heute erleben, hat mit der ungelösten kurdischen Frage zu tun“, so Temelli. Ein stabiler Verhandlungsrahmen sei bislang nie geschaffen worden.
Öcalan als zentraler Gesprächspartner
Die im Parlament eingerichtete Kommission habe diese Grundlage nicht geschaffen, weil sie den wichtigsten Akteur ignoriert habe: „Ohne Gespräche mit Öcalan ist kein ernsthafter demokratischer Dialog möglich“, so Temelli. Der kurdische Repräsentant und Begründer der PKK befindet sich seit 1999 in politischer Geiselhaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali.
Temelli sieht in einer verhandelnden Demokratie nicht nur einen Weg zur Lösung bestehender Konflikte, sondern auch einen Ansatz, um eine pluralistische, demokratische Gesellschaft langfristig zu gestalten. „Sie schafft neue Formen von Öffentlichkeit – zwischen politischem, zivilem und privatem Raum.“ Dieser Ansatz sei Teil einer radikaldemokratischen Perspektive, die bisher in der Türkei kaum Platz gefunden habe.
„Rechtlicher Rahmen für Lösung nötig“
In der parlamentarischen „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ laufen seit einigen Monaten Anhörungen mit verschiedenen Berufsverbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Opfergruppen zur kurdischen Frage. Aus Sicht Temellis reicht das nicht aus. Er fordert konkrete rechtliche Schritte: „Es braucht klare gesetzliche Grundlagen – etwa für die juristische Absicherung von Entwaffnung, politischer Teilhabe und Rückkehrprogrammen.“ Hunderttausende Menschen seien in den vergangenen Jahrzehnten von Verfolgung und Repression betroffen gewesen.
Zentral sei dabei auch die Situation von Abdullah Öcalan. Seine Haft- und Arbeitsbedingungen müssten dringend verbessert werden, so Temelli. „Viele Menschen wollen mit ihm sprechen, sich einbringen, doch die Tore Imralis bleiben verschlossen. Das blockiert den Dialog.“
Kritik an türkischer Syrien-Politik
Temelli übte scharfe Kritik an der türkischen Außenpolitik. Ankara übersehe bewusst, dass sich in Nord- und Ostsyrien ein Verhandlungsrahmen zwischen der kurdisch geprägten Selbstverwaltung und der Übergangsregierung in Damaskus entwickele. „Dort läuft bereits ein Teil dessen, was wir als demokratische Verhandlung bezeichnen“, sagte er. Die Türkei verweigere sich diesem Prozess und verkenne das demokratische Potenzial der nordostsyrischen Autonomieverwaltung.
Eine politische Lösung für die kurdische Frage sei jedoch nur möglich, wenn auch Entwicklungen in Syrien, im Irak und in Iran einbezogen würden. „Außenpolitik im Nahen Osten funktioniert nicht, wenn man die Realität der kurdischen Bevölkerung in diesen vier Ländern ignoriert“, sagte Temelli.
Umgang mit Demirtaş-Urteil: „Eine politische Kampagne“
Scharfe Kritik äußerte Temelli auch am Umgang der türkischen Regierung mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Selahattin Demirtaş. Die Entscheidung des Justizministeriums, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, sei „Teil einer politischen Kampagne“ gegen die Opposition. „Das ist keine rechtliche, sondern eine politische Frage“, sagte Temelli. „Wer ernsthaft über Verhandlungen spricht, darf den Prozess nicht gleichzeitig durch solche Schritte sabotieren.“
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Ausstellung „Rojava. Frauen zwischen Kriegen“ in Barcelona
Im Palau Robert in Barcelona ist die Ausstellung „Rojava. Frauen zwischen Kriegen“ zu sehen. Die Schau beleuchtet die Rolle von Frauen in der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) – auch bekannt als Rojava –, die für eine der radikalsten demokratischen Bewegungen der Gegenwart steht. Inmitten des Syrien-Krieges entwickelte sich dort ein politisches System, das auf Basisdemokratie, Frauenbefreiung und einem multiethnischen Gesellschaftsmodell fußt.
Eröffnet wurde die Ausstellung am Donnerstagabend von der Journalistin, Fotografin und Kuratorin Victòria Rovira, der Präsidentin des Katalanischen Instituts für Frauen, Sònia Guerra, sowie der Generaldirektorin für Öffentlichkeitsarbeit der katalanischen Regierung, Elisabet Valls.
Die Ausstellung basiert auf einer umfassenden Dokumentationsarbeit, die 2021 begann. Im Mittelpunkt stehen Frauen unterschiedlicher Herkunft – kurdisch, syrisch-orthodox und assyrisch – die als Kämpferinnen, Aktivistinnen oder Zivilistinnen eine zentrale Rolle in der Entwicklung Rojavas gespielt haben. Auch die Situation von Frauen und Kindern, die mit Mitgliedern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verbunden sind, wird thematisiert.
Ziel der Ausstellung ist es, den zentralen Beitrag weiblicher Akteurinnen bei der politischen und gesellschaftlichen Umgestaltung in einem von Gewalt und Instabilität geprägten Umfeld sichtbar zu machen. Die Region hat sich zu einem Zentrum einer feministischen Bewegung entwickelt, in dem Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen, gesellschaftliche Rollen hinterfragen und ihre Gemeinschaften neu aufbauen.
Ausstellung „Rojava. Frauen zwischen Kriegen“
Ort: Palau Robert, Passeig de Gràcia 107, Barcelona
Zeitraum: 9. Oktober bis 30. November
Eintritt: kostenlos
Informationen: www.palaurobert.gencat.cat
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Straßenzugang zu kurdischen Vierteln in Aleppo teilweise wieder geöffnet
In der nordsyrischen Stadt Aleppo haben Einheiten der syrischen Übergangsregierung drei zuvor blockierte Straßen zu den kurdischen Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê wieder für den Fahrzeugverkehr freigegeben. Die Straßensperren, bestehend aus Erdwällen, sind bereits am Donnerstag entfernt worden, wie ein ANHA-Reporter berichtete.
Noch am frühen Donnerstagmorgen war der Zugang zu den beiden nördlich vom Stadtzentrum gelegenen Bezirken auf zwei Fußgängerpassagen beschränkt – am Al-Award-Checkpoint und am Shayhan-Kreisel. Im Laufe des Tages öffneten Damaszener Truppen zusätzlich die Straße beim Eşrefiyê-Park sowie zwei weitere Zufahrten.
Trotz der teilweisen Öffnung bleiben vier zentrale Verbindungswege weiterhin durch die selbsternannte Übergangsregierung blockiert: Layramoun-Kreisel, Jandoul-Kreisel, die Al-Jazeera-Straße und ansteigende Zufahrtsstraße zum Viertel Eşrefiyê.
Die vollständige Abriegelung der Stadtteile hatte am 6. Oktober begonnen. Truppen der syrischen Armee versuchten, mit Panzern sowie gepanzerten Fahrzeugen in die dicht besiedelten Wohngebiete vorzudringen. Zwei Menschen wurden von gepanzerten Fahrzeugen erfasst und tödlich verletzt. Über 60 weitere Personen wurden verletzt, unter anderem durch den Einsatz von scharfer Munition und Tränengas.
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QSD: Kämpfer bei Angriff in Deir ez-Zor getötet
Bei einem Angriff bewaffneter Gruppen, die der selbsternannten syrischen Übergangsregierung zugerechnet werden, ist im Osten Syriens ein Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) getötet worden. Neun weitere QSD-Mitglieder wurden verletzt. Das teilte das Medienzentrum der QSD am späten Donnerstagabend mit.
Demnach ereignete sich der Angriff im ländlichen Gebiet von Deir ez-Zor, in der Nähe des Dorfes Marat, das zur sogenannten „Sieben-Dörfer-Region“ im Osten des Kantons gehört. Die Angreifer hätten eine von den QSD kontrollierte Stellung mit bewaffneten Drohnen attackiert.
Laut dem Bündnis reagierten die eigenen Einheiten unmittelbar auf den Angriff und bombardierten Stellungen der gegnerischen Gruppen auf der gegenüberliegenden Seite des Euphrat-Flusses. Dabei seien nach eigenen Angaben „zahlreiche Angreifer verletzt“ worden.
Die Region rund um Deir ez-Zor ist immer wieder Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den QSD – die von den USA unterstützt werden – und Gruppen, die mit der syrischen Übergangsregierung oder der Türkei in Verbindung stehen. Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) ist in Teilen des Gebiets weiterhin aktiv.
https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-infiltrationsversuch-am-tisrin-damm-abgewehrt-48309 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/salih-muslim-ziel-ist-uns-zur-aufgabe-unseres-systems-zu-zwingen-48285 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/dair-hafir-sieben-angehorige-von-qsd-und-asayis-bei-angriffen-verletzt-48253
Veranstaltung in Hamburg: Wendepunkt in Kurdistan?
In Hamburg hat am Donnerstagabend eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel „Wendepunkt in Kurdistan? Die Auflösung der PKK und neue Wege zum Frieden“ stattgefunden. Eingeladen hatte das Bündnis „Hamburg für Kurdistan“ in die Fabrique im Gängeviertel. Es referierten Nilüfer Koç, außenpolitische Sprecherin im Nationalkongress Kurdistan (KNK), und Ziya Pir, ehemaliger HDP-Abgeordneter und Neffe von Kemal Pir, einem der Mitbegründer der PKK. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Ethnologin, Aktivistin und Autorin Anja Flach, die selbst langjährig zur kurdischen Bewegung geforscht hat.
Hintergründe und mögliche Auswirkungen
Hintergrund der Diskussionsveranstaltung war die Entscheidung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sich im Mai 2025 aufzulösen und den bewaffneten Kampf offiziell zu beenden. Der Beschluss wurde auf dem 12. Parteikongress bekanntgegeben – und löste innerhalb und außerhalb der kurdischen Bewegung intensive Debatten aus.
Nach fast 50 Jahren des bewaffneten Widerstands soll dieser Schritt der PKK dazu beitragen, neue politische Perspektiven für einen gerechten Frieden zu eröffnen. Viele Beobachterinnen und Beobachter hatten eine solche Entscheidung erst im Rahmen eines abgeschlossenen Friedensprozesses erwartet.
Die Veranstaltung beleuchtete die Hintergründe dieser Entscheidung und mögliche Auswirkungen auf Kurdistan, die Region und auch Deutschland. Im Zentrum standen unter anderem folgende Fragen: Welche Rolle spielt der in der Türkei inhaftierte PKK-Begründer Abdullah Öcalan bei diesem politischen Kurswechsel? Wie geht der kurdische Freiheitskampf nach der Auflösung der PKK weiter? Welche Chancen bestehen für einen dauerhaften Frieden – insbesondere in Nord- und Ostsyrien, im Irak und in Iran? Und: Wird die Bundesregierung ihre Haltung zum Betätigungsverbot der PKK in Deutschland, das seit 1993 besteht, überdenken?
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Transformationsprozess einer Freiheitsbewegung
Ziya Pir sagte einleitend, dass die Auflösung der PKK viele Fragen aufgeworfen hat. Insbesondere in der kurdischen Gesellschaft seien die Fragen laut geworden, warum so viele Menschen in dem jahrzehntelangen Kampf gestorben und warum immer noch so viele im Gefängnis sind. „Diese Fragen lösen sich langsam auf“, erklärte der türkische Politiker. Er selbst betrachte diesen Schritt nicht als Auflösung einer Freiheitsbewegung, sondern als Transformationsprozess. In der Türkei sei ein parlamentarischer Ausschuss gegründet worden, der Betroffene und Fachleute anhöre und beratende Funktion habe. Der größte Teil der türkischen Gesellschaft befürworte einen Friedensprozess, „aber auch sie trauen der Regierung nicht“, so Pir: „Die Regierung und der Ausschuss müssen die gesamte Gesellschaft überzeugen.“
Veränderte Bedingungen in der Region
Auf die Frage, was heute anders sei als 1993 und bei diversen weiteren Lösungsversuchen hinsichtlich der kurdischen Frage und einer Demokratisierung der Türkei, erläuterte Nilüfer Koç die veränderten Bedingungen in der Region. Der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli, der die Öffentlichkeit im Oktober vergangenen Jahres mit einer Einladung an Abdullah Öcalan ins türkische Parlament überraschte, habe die Nationalinteressen der Türkei gefährdet gesehen. Einhergehend mit den Entwicklungen im Mittleren Osten hätten die Kurd:innen an Bedeutung gewonnen, es gebe Regimewechsel und neue Kontrollmechanismen unter Führung der USA, Englands und Frankreichs. Bahçeli wolle verhindern, dass – wie 2003 im Irak – auch die Kurd:innen in Syrien Anerkennung finden. „In Rojava soll kein Status entstehen“, sagte die KNK-Diplomatin.
„Wir existieren als Volk von sechzig Millionen“
Nilüfer Koç ging auch auf den vorangegangenen Lösungsprozess in den Jahren 2013 bis 2015 ein und sagte: „2015 war der Beginn eines brutalen Krieges, der bis 2025 andauerte. In drei Teilen Kurdistans, also an drei Fronten wurde gegen den türkischen Expansionismus gekämpft. Auch Bahçeli hat gesehen, dass die Kurden mit Krieg nicht besiegt werden können. Die Kurden haben diese zehn Jahre mit Erfolg abgeschlossen. Der türkische Staat hat es mit der gesamten NATO nicht geschafft, uns mundtot zu machen. Wir existieren. Ein Volk von sechzig Millionen braucht Anerkennung.“
„Auch die Türkei ist an einem Wendepunkt angelangt“
Auch die Türkei sei an einem Wendepunkt angelangt, betonte Nilüfer Koç und beschrieb die Entstehung neuer Handelsrouten in der Region. Darüber hinaus sei Erdoğans „Karte des politischen Islam“ geschwächt und die Wirtschaft liege am Boden. All das setze die Regierung unter Druck.
„Die Zeiten zentralistischer Strukturen sind vorbei“
Ein weiterer Aspekt sei die Auffassung Abdullah Öcalans, dass die PKK mit ihrer in den 1970er Jahren entstandenen Organisationsform ein Hindernis für eine fortschrittliche Entwicklung darstelle, so Nilüfer Koç weiter. Diese Feststellung habe er bereits in den 1990er Jahren getroffen. 2002 sei die PKK aufgelöst worden, 2004 wieder aufgebaut. „Die Kurden sind organisiert und brauchen keinen bewaffneten Kampf mehr“, sagte Nilüfer Koç. Die Zeiten zentralistischer Strukturen seien vorbei, heute gehe es um freie Individuen.
„Der Ball liegt bei der Türkei“
Darüber hinaus berichtete Nilüfer Koç, dass sich Abdullah Öcalan mit allen Teilen der kurdischen Freiheitsbewegung ausgetauscht habe und sein Aufruf im vergangenen Februar ein Ergebnis dessen gewesen sei. Zentrale Punkte seien das Ende eines realsozialistischen Ansatzes und der Strategie des bewaffneten Kampfes. Dafür müsse es rechtliche Garantien geben, der Ball liege jetzt bei türkischen Staat und der Regierung.
„Rojava ist eine rote Linie“
Zur aktuellen Situation betonten die beiden Referent:innen, dass Rojava eine „rote Linie“ sei. Die türkische Regierung habe Angst vor kurdischer Autonomie in Syrien und fordere eine Entwaffnung der Kurd:innen, was einer Auslieferung an Islamisten gleichkomme. Abdullah Öcalan wolle das Problem mit der Türkei lösen und nicht mit anderen Staaten, sagte Nilüfer Koç: „Eine demokratische Transformation der Türkei nützt der gesamte Region und Solidarität mit Rojava ist gerade jetzt wichtiger als je zuvor. Wir vertrauen nicht auf Staaten, sondern auf uns selbst.“
„Ein Aufruf an uns alle“
Zum Abschluss sagte Moderatorin Anja Flach, die Veranstaltung sei „ein Aufruf an uns alle. Nicht nur in Kurdistan, wir brauchen überall auf der Welt Frieden, Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie.“ In diesem Sinne wurde auch zur Teilnahme an einer Demonstration unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan – Für Frieden und demokratische Lösung“ am Freitag um 16 Uhr vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel aufgerufen.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-friedensprozess-braucht-klare-politische-und-juristische-grundlagen-48225 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ozturk-abdullah-Ocalan-fordert-politische-reformen-und-Ubergangsgesetze-48062 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/videobotschaft-von-abdullah-Ocalan-47007 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/pkk-verkundet-auflosung-und-ende-des-bewaffneten-kampfes-46252
„Antikurdischer Rassismus wird sichtbarer und gesellschaftlich normalisiert“
Die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus (IAKR) hat Anfang Oktober im Fraktionssaal der Linkspartei im Bundestag ihren Jahresbericht für 2024 vorgestellt. Darin dokumentiert sie eine zunehmende gesellschaftliche Sichtbarkeit und Normalisierung antikurdischer Haltungen – insbesondere im digitalen Raum. Zugleich kritisiert die Informationsstelle mangelnde staatliche Maßnahmen, die Kriminalisierung kurdischer Menschen und fehlende Schutzmechanismen für Betroffene. Der Vorsitzende Civan Akbulut fordert konkrete politische, mediale und institutionelle Schritte zur Bekämpfung dieser spezifischen Form von Rassismus.
Was war der auffälligste Aspekt des antikurdischen Rassismus im letzten Jahr?
Antikurdischer Rassismus ist keine abstrakte Idee, sondern bittere Realität – für jede kurdische Person, in jeder Lebenssituation. Er bedeutet, beleidigt zu werden, weil man die „falsche“ Sprache spricht. Geschlagen zu werden, weil man die „falsche“ Herkunft hat. Oder sogar ermordet zu werden, einfach nur, weil man kurdisch ist.
Was 2024 besonders auffiel, war die zunehmende gesellschaftliche Sichtbarkeit und Normalisierung antikurdischer Positionen – vor allem im Zusammenhang mit türkischem Rechtsextremismus. Symbole wie der „Wolfsgruß“ oder offen rassistische Inhalte kursieren ungehindert. Zugleich erleben Kurd:innen Rassismus von deutschen wie migrantisch-rechten Akteuren – und sind zusätzlich von Kriminalisierung betroffen.
Sie sprechen von einer zunehmenden digitalen Präsenz. Wie äußert sich das konkret?
Die Mehrheit der uns gemeldeten Vorfälle fand online statt. Besonders soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram oder X dienen als Katalysator für antikurdische Hetze. Die Inhalte reichen von Identitätsleugnung bis hin zu offenen Drohungen. Beunruhigend ist, dass viele dieser Äußerungen nicht mehr anonym erfolgen, sondern unter Klarnamen. Das zeigt, wie sehr sich solche Haltungen normalisiert haben.
Die Vorstellung des Jahresberichts der IAKR am 2. Oktober im Bundestag © ANF/Dîlan Karacadağ
Die Plattformen selbst greifen in der Regel nur selten oder verspätet ein, während Algorithmus-gesteuerte Verbreitung dafür sorgt, dass solche Inhalte sehr schnell ein großes Publikum erreichen. Die Konsequenz: Betroffene werden mit einer Flut von Hass konfrontiert, ohne wirksame Gegenmaßnahmen.
Wie aktiv sind staatliche Institutionen bei der Bekämpfung antikurdischen Rassismus?
Nur sehr eingeschränkt. Es fehlt oft an Wissen, Bewusstsein und Anerkennung, dass es sich hier um eine spezifische Form von Rassismus handelt. Viel zu häufig wird antikurdischer Rassismus als Konflikt zwischen Nicht-Deutschen abgetan; ganz nach dem Motto: „Sollen sich die Migranten doch die Köpfe einschlagen, was interessiert uns das.“ Das ist nicht nur verharmlosend, sondern gefährlich. Es ignoriert die historische Tiefe und die realen Gefahren für kurdisches Leben, auch in Europa.
Problematisch ist zudem, dass staatliche Stellen selbst antikurdische Narrative reproduzieren, etwa durch pauschale Kriminalisierung. Die Vorstellung, Kurd:innen seien per se „gewaltaffin“, ist rassistisch – und wird auch in autoritären Staaten genutzt, um Unterdrückung zu legitimieren. Wir brauchen endlich ein Umdenken auf institutioneller Ebene.
Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor?
In unserem Jahresbericht haben wir mehrere zentrale Empfehlungen formuliert:
Frühe Prävention: Bereits Kinder und Jugendliche reproduzieren antikurdische Stereotype. Kurdische Schüler:innen sind von Hänseleien, Abwertung und Ausgrenzung betroffen. Deshalb braucht es Aufklärung an Schulen, feste Module in Lehrplänen, Fortbildungen für Lehrkräfte und auch Elternarbeit, um Vorurteile abzubauen. Wichtig ist: Antikurdischer Rassismus darf nicht individualisiert, sondern muss als strukturelles Problem behandelt werden.
Kriminalisierung beenden: Kurdische Menschen brauchen Schutz – keine Generalverdächtigungen. Das Straf- und Vereinsrecht wird jedoch regelmäßig gegen legitimes kurdisches Engagement eingesetzt. Gleichzeitig fehlt eine konsequente Verfolgung tatsächlicher Täter:innen, etwa aus dem Umfeld der „Grauen Wölfe“ oder anderer islamistischer und nationalistisch motivierter Strukturen. Antikurdischer Rassismus muss sichtbar erfasst werden, z. B. durch eine eigene Kategorie in der Kriminalstatistik und spezifische Erfassungen in polizeilichen Informationssystemen.
Schutzräume schaffen: Viele Kurd:innen fühlen sich isoliert – ihre Identität wird von außen angezweifelt, von innen oft verschwiegen, aus Angst vor Diskriminierung. Kurdisch organisierte Räume werden immer wieder Ziel von Angriffen. Es braucht echte sichere Orte, insbesondere in politisch angespannten Zeiten oder an kurdischen Feiertagen.
Zudem müssen psychosoziale Angebote gestärkt und mehrsprachig, auch auf Kurdisch, zugänglich sein. Geflüchtete Kurd:innen dürfen nicht in Verfolgerstaaten abgeschoben werden. Das Risiko von Verfolgung, Folter oder Tod ist real.
Inwiefern spielt die mediale Darstellung eine Rolle?
Sie spielt eine enorme Rolle. Mediale Narrative prägen Wahrnehmung – und viele Beiträge über Kurd:innen sind entweder problematisch oder verzerrend. Begriffe wie „Kurdenproblem“, „Kurdengebiet“ oder „Kurdenführer“ sind nicht neutral, sondern abwertend. Die mediale Fokussierung auf Sicherheitsaspekte trägt zur Stigmatisierung bei. Es braucht diskriminierungsfreie Redaktionsstandards, mehr Sichtbarkeit kurdischer Perspektiven in Talkshows, Reportagen oder Expert:innenrunden – und die Einbindung kurdischer Stimmen, wenn über sie berichtet wird.
Kurd:innen machen einen bedeutenden Teil der Bevölkerung aus. Wird das politisch ausreichend abgebildet?
Nein. Mit rund 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen stellen Kurd:innen eine der größten Einwanderungsgruppen in Deutschland – sie sind jedoch politisch unterrepräsentiert.
Kurdische Organisationen und Akteur:innen müssen systematisch an politischen Entscheidungen beteiligt werden, sei es auf kommunaler oder Landesebene. Beiräte und Gremien sollten die Vielfalt migrantischer Communities realitätsnah abbilden. Die politische Partizipation kurdischer Menschen ist unverzichtbar, wenn antikurdischer Rassismus nachhaltig bekämpft werden soll.
Wie steht es um wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema?
Es gibt massive Lücken. Antikurdischer Rassismus ist in der deutschen Wissenschaft unterforscht. Dadurch fehlen Grundlagen für politische Maßnahmen, Bildungsprojekte oder gesellschaftliche Debatten. Wir fordern die Förderung entsprechender Forschungsprojekte – und langfristig die Einrichtung eines Lehrstuhls für Kurdologie. Diese interdisziplinäre Wissenschaft existiert in anderen Ländern längst und befasst sich mit kurdischer Geschichte, Kultur und Sprache. Sie wäre ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung der kurdischen Diaspora.
Viele Täter bleiben straffrei. Ist das ein strukturelles Problem?
Absolut. Die derzeitige Praxis, etwa das weitgehende Ausbleiben von Konsequenzen für Hetze oder Drohungen, signalisiert Duldung. Es entsteht der Eindruck, antikurdischer Rassismus sei staatlich akzeptiert. Vereine oder Einzelpersonen hetzen offen gegen Kurd:innen, feiern Angriffe in Rojava, beten für Krieg, und bleiben unbehelligt. Eine konsequente Strafverfolgung und zum Beispiel das Verbot der „Grauen Wölfe“ wären ein klares Signal. Denn diese Akteure sind nicht nur eine Gefahr für Kurd:innen, sondern auch für andere Minderheiten, Oppositionelle und letztlich für unsere demokratische Gesellschaft.
https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/iakr-bericht-217-falle-von-antikurdischem-rassismus-in-deutschland-48211 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/antikurdischer-rassismus-ein-in-deutschland-verdrangtes-problem-45887 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/antikurdischer-rassismus-bundesregierung-stellt-sich-blind-41840