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Aktualisiert: vor 1 Stunde 13 Minuten

Mithat Sancar: „Frieden braucht Wurzeln“

18. Dezember 2025 - 15:00

Mithat Sancar, Mitglied der Imrali-Delegation der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), hat sich in der Sitzung des Parlamentsausschusses bei der Diskussion um die Haushalte der Präsidentschaft und des Ministeriums für Arbeit und Soziales mit einer zentralen Perspektive eingebracht. Frieden sei nicht nur ein Abkommen, sondern eine ethische und politische Entscheidung. In diesem Sinne hat er dargelegt, dass Frieden drei grundlegende Dimensionen habe:

„Es müssen gesetzliche Regelungen eingeführt werden, um die Dauerhaftigkeit des Nichtkonflikts zu gewährleisten. Es muss ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, um die Probleme zu lösen, die Konflikte hervorrufen, allen voran die kurdische Frage, und der Frieden muss auf der Grundlage der Demokratisierung sozial institutionalisiert werden.“

Dialog und demokratische Politik als Schlüssel

Mit dem Zitat „wenn Reden auch nur ein einziges Leben retten kann, dann ist Reden die größte Verantwortung“ bezog sich Sancar eingangs auf den kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und betonte, dass Dialog und demokratische Politik im Mittelpunkt des Prozesses bleiben müssten.

Um seine Ansichten zu verdeutlichen, nutzte der Abgeordnete das Bild eines Baumes: „Frieden muss Wurzeln haben, das bedeutet die Anerkennung von Rechten. Er muss Äste haben, das bedeutet die Gewährleistung von Gleichheit. Er muss Blätter haben, das bedeutet die demokratische Transformation von Staat und Gesellschaft. Andernfalls wird dieser Baum beim ersten Sturm umfallen. Wenn der Frieden nicht von Dauer ist, können wir überhaupt nicht von einem Friedenszustand sprechen. Deshalb brauchen wir ein Friedensgesetz. Jetzt ist es an der Zeit, das Friedensgesetz zu schaffen.“

Ein kritischer Scheideweg

Sancar unterstrich weiter, dass Hassreden und polarisierende Politik dem Frieden schadeten, und forderte das Parlament auf, sich zu „Gesprächen, Verhandlungen und einem gemeinsamen Willen“ zu verpflichten. Er fügte hinzu, dass sich die Türkei und die gesamte Region an einem kritischen Scheideweg befänden, und sagte: „Der Kompass des Friedens muss Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sein.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-delegation-und-davutoglu-sprechen-uber-rechtliche-grundlage-fur-friedensprozess-49280 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/hatimogullari-fordert-rasche-gesetzliche-schritte-im-friedensprozess-49264 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/duran-kalkan-ein-kritischer-prozess-der-aufmerksamkeit-erfordert-49237 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-veroffentlicht-losungsbericht-fur-parlamentskommission-49226

 

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„Einheit zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt“ gefordert

18. Dezember 2025 - 15:00

Angesichts mehrerer Vorwürfe sexualisierter Übergriffe gegen minderjährige Praktikantinnen im türkischen Nationalparlament (TBMM) haben die Frauen der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) klare Forderungen aufgestellt. Die Sprecherin der DEM-Frauen, Halide Türkoğlu, hat im Rahmen einer Pressekonferenz versichert, nicht zuzulassen, dass die Vorfälle vertuscht würden, und die Einrichtung einer Stelle zur Prävention und Überwachung solcher Fälle gefordert.

Vorwürfe haben sich erhärtet

Halide Türkoğlu stellte eingangs klar, dass die Vorwürfe, wonach insbesondere Minderjährige, die im Restaurant und in der Küche des Parlaments ein Praktikum absolvieren, sexuell belästigt und missbraucht worden seien, sich erhärtet haben. Die Aussagen der Kinder, Kameraaufnahmen, Nachrichten und Verhaftungen hätten die Fälle konkretisiert. Gleichzeitig unterstrich die Politikerin, dass es sich keinesfalls um Einzelfälle handele, sondern um eine bekannte und tolerierte Realität.

Ausbeutung von Kinderarbeit

In der Presseerklärung kritisierten die DEM-Frauen auch die Ausbeutung von Kinderarbeit unter dem Deckmantel von Berufsbildung und Praktika. Kinder, die als „Praktikant:innen“ beschäftigt werden, würden tatsächlich als billige und ungeschützte Arbeitskräfte genutzt werden. An ausreichenden Kontroll- und Schutzmechanismen mangele es. Im staatlichen Berufsbildungsprogramm „MESEM“ und vergleichbaren Maßnahmen sehen die Frauen ein strukturelles Risiko für Kinder.

Umfassende Untersuchung gefordert

Die DEM-Frauen erklärten, dass die Ermittlungen zu den aktuellen Vergehen im Parlament nicht nur die Täter umfassen sollten, sondern auch sowohl diejenigen, die davon wussten, aber nichts gemeldet haben, als auch diejenigen, die ihrer Kontrollpflicht nicht nachgekommen sind, als auch alle Verwaltungsebenen, die die Vorfälle vertuscht haben.

Es wurde daran erinnert, dass der Austritt aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen und die Nichtunterzeichnung der ILO 190 (Vertrag zum allgemeinen Recht auf eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Belästigung) politische Entscheidungen waren, und betont, dass diese Entscheidungen schwerwiegende Folgen für Frauen und Kinder hatten.

Die Gruppe stellte fest, dass die Verantwortung der Parlamentsleitung so lange bestehen bleibe, bis Schutz- und Präventionsmechanismen eingeführt würden.

Forderungskatalog

Die konkreten acht Forderungen der DEM-Frauen sind im Folgenden vollständig aufgeführt.

  1. „Es muss unverzüglich ein spezieller Untersuchungs- und Überwachungsmechanismus eingerichtet werden, der Kinder erreicht, sich auf ihre Aussagen stützt, ihre psychosozialen Bedürfnisse berücksichtigt, mit ihren Familien zusammenarbeitet und unabhängig von der Parlamentshierarchie und politischem Druck ist.

  2. Es muss ein Justizverfahren gewährleistet werden, das nicht auf den Schutz des Täters, sondern auf den Schutz des Opfers ausgerichtet ist, das nicht auf Straffreiheit, sondern auf Rechenschaftspflicht basiert und das nicht Vertuschung, sondern Aufdeckung der Wahrheit zum Ziel hat. Daher muss die Zuständigkeit des einzurichtenden unabhängigen und speziellen Untersuchungsmechanismus so definiert werden, dass sie nicht nur individuelle Handlungen, sondern auch institutionelle Verantwortung und damit verbundene Straftaten umfasst; das Verfahren muss gegenüber der Öffentlichkeit transparent durchgeführt werden.

  3. Innerhalb der Großen Nationalversammlung der Türkei muss ein präventiver und schützender „Text zur Bekämpfung und Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt“ umgesetzt werden, der Frauen und Kinder einbezieht, alle Arten von Gewalt umfasst und auf klaren Definitionen basiert. Zu diesem Zweck sollte eine „Einheit zur Prävention und Überwachung geschlechtsspezifischer Gewalt der TBMM“ eingerichtet werden, die sich aus Expert:innen für Geschlechtergleichstellung und Kinderrechte, Vertreter:innen aller Parteien, die in dieser Gruppe vertreten sind, und weiblichen Abgeordneten mit Erfahrung in diesem Bereich zusammensetzt, um die Umsetzung des Politikdokuments zu überwachen und zu kontrollieren.

  4. Die Istanbul-Konvention sollte wieder in Kraft gesetzt und die Verpflichtungen der Konvention in allen Lebensbereichen wirksam umgesetzt werden.

  5. Die Türkei sollte der Konvention Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Gewalt und Belästigung beitreten und gleichzeitig die Empfehlungen der Konvention in nationales Recht umsetzen.

  6. Es müssen unverzüglich strenge und verbindliche gesetzliche Regelungen erlassen werden, die Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz ausdrücklich verbieten und abschreckende Sanktionen vorsehen.

  7. Das Parlament ist verpflichtet, umfassende öffentliche Maßnahmen zur Prävention von Gewalt, Belästigung und Missbrauch von Frauen, Kindern und LGBTI+-Personen in allen Lebensbereichen zu ergreifen. In diesem Zusammenhang müssen dringend Aktionspläne umgesetzt werden.

  8. Einheiten zur Prävention und Überwachung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie politische Dokumente müssen unter der Federführung des Parlaments als dauerhafte Mechanismen in allen öffentlichen Einrichtungen umgesetzt werden.“

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/wut-in-cizir-aufhebung-von-missbrauchsurteil-lost-proteste-aus-48430 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/todliche-kinderarbeit-unter-dem-deckmantel-der-berufsbildung-49298 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/bildungsgewerkschaft-protestiert-gegen-ausbeutung-von-kindern-in-berufszentren-49131 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/kinderrechte-starken-neues-zivilgesellschaftliches-netzwerk-in-wan-gegrundet-48944

 

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Stimmen des Widerstands: Soziale Aufstände in Asien

18. Dezember 2025 - 13:00

Was bedeutet „Asien“ eigentlich – und warum ist dieser Begriff selbst ein Produkt kolonialer Geschichte? In der heutigen Sendung des deutschsprachigen Formats Çira Report spricht die Soziologin Dr. Agnes Khoo über koloniale Prägungen, kapitalistische Entwicklungsmodelle und aktuelle soziale Aufstände in Süd-, Südost- und Ostasien.

Im Fokus des Gesprächs mit Moderatorin Ayfer Özdogan sollen Protestbewegungen in Geografien wie Hongkong, Indonesien, Nepal, Bangladesch, Malaysia oder Südkorea stehen. Wofür kämpfen die Menschen heute, und warum nehmen Widerstand und Repression gleichzeitig zu? Diesen Fragen sollen heute Abend in dem ezidischen Sender nachgegangen werden.

Einen besonderen Schwerpunkt wollen Khoo und Özdogan hierbei auf die Rolle der Frauen legen – von ihrem Anteil in antikolonialen Befreiungskämpfen bis zu heutigen Auseinandersetzungen mit Autoritarismus, Neoliberalismus und sozialer Ungleichheit.

Dr. Agnes Khoo

Aufgewachsen in Singapur hat Agnes Khoo familiäre Verbindungen nach Malaysia und besitzt die niederländische Staatsbürger:innenschaft. Sie lehrte an verschiedenen Universitäten in Europa, Asien und Afrika. In ihren Vorträgen wird der Widerstand lebendig, wenn sie von den Frauen berichtet, die sie seit vielen Jahren begleitet: Dr. Agnes Khoo ist Soziologin an der Shenzhen Technology University in China. Für ihr Buch Life as the River Flows aus dem Jahr 2004 interviewte sie mehrere Widerstandskämpferinnen aus Thailand, Singapur und Malaysia, die gegen den japanischen Faschismus und den rund 200 Jahre andauernden britischen Kolonialismus kämpften.

Das Format Çira Report beginnt am 18. Dezember um 20 Uhr und kann live über den Stream https://linktr.ee/ciratv?utm_s alternativ: https://myflixtv.com/ - https://ku.karwan.tv/cira-tv.h verfolgt werden, nachträglich auch über den YouTube-Kanal von Çira TV, über die Eingabe Çira Report. Zur Playlist der Sendung geht es hier entlang:

https://www.youtube.com/playlist?list=PL6P1E13_gg5ke8eLPi41dRQFuIGvNBtMo

Als Podcast gibt es uns hier:

https://youtube.com/playlist?list=PL6P1E13_gg5ke8eLPi41dRQFuIGvNBtMo&si=1OmvA4hRdAbDEDL0

Und hier: 

https://open.spotify.com/show/5qmRN9Qm5UrS1XRGwKYIdK?si=qMx6FXURSeO_gUdU4NUHug

Wer selbst Interesse an einer Teilnahme an der Sendung hat und eigene Projekte vorstellen will, kann unter der E-Mail-Adresse cirarep@riseup.net Kontakt mit der Redaktion aufnehmen.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/vortrag-in-celle-frauen-aus-asien-im-kampf-gegen-kolonialismus-46469 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Cira-report-der-fall-mumia-abu-jamal-49117 https://deutsch.anf-news.com/frauen/sondersendung-spaniens-feministische-revolution-bei-Cira-report-48955

 

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Amed: Erklärung zur Kundgebung „Hoffnung und Freiheit“

18. Dezember 2025 - 13:00

Die Plattform Demokratischer Initiativen in Nordkurdistan plant für den 4. Januar 2026 eine zentrale Großkundgebung unter der Überschrift „Hoffnung und Freiheit“ in Amed (tr. Diyarbakir). Auf einer Pressekonferenz haben mehrere Bündnispartner:innen nun die zugehörige Erklärung „Jetzt ist es an der Zeit, für Hoffnung und Freiheit aufzustehen“ veröffentlicht. In ihr werden die zentralen Forderungen und Appelle der Kundgebung dargelegt, zu denen insbesondere die physische Freiheit Abdullah Öcalans zählt.

An der Pressekonferenz haben die Ko-Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Çiğdem Kılıçgün Uçar und Keskin Bayındır, die Ko-Sprecher:innen des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), Meral Danış Beştaş und Ali Kenanoğlu, der Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tuncer Bakırhan, sowie Vertreter:innen zahlreicher politischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen teilgenommen.


Im Namen der Plattform wurde die kurdische Fassung der Erklärung von Fatma Ablay von der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad – TJA) verlesen, während die türkische Fassung von Reşo Birhat Kurtulan, einem Mitglied der DEM-Jugendversammlung, vorgetragen wurde. Sie bettet den Dialogprozess in Kurdistan und der Türkei zunächst in globale und regionale Zusammenhänge im Rahmen des Dritten Weltkriegs ein und unterstreicht, dass für die Realisierung einer demokratischen Lösung und Frieden weiterhin große Schwierigkeiten bestehen.

Die aktuelle Situation wird in der Erklärung als „kritischer Scheideweg“ bezeichnet. Ausgehend von einem Jahrhundert der Leugnung und Repression gegenüber der kurdischen Bevölkerung sei es nun möglich geworden, „ein Volk zu verteidigen und den Widerstand eines Volkes in Demokratie und Freiheiten umzuwandeln“. Gleichzeitig seien die antikurdischen Maßnahmen und Rechtsbrüche des türkischen Staates im Verlauf der Zeit zur grundlegenden Politik im Land geworden.

Bemühungen um eine Lösung

Demgegenüber habe Adbullah Öcalan bereits seit 1993 beständig an einem Weg der politischen Lösung der kurdischen Frage gearbeitet, was in der Gesellschaft immer wieder auf positive Resonanz gestoßen sei. In der Erklärung heißt es dazu: „Die kurdische Frage, die die politische, wirtschaftliche und soziale Dynamik prägt, wurde durch die Isolation von Abdullah Öcalan von allen möglichen rechtlichen und politischen Lösungswegen abgeschnitten.

Mit zunehmender Verschärfung dieser Isolation entwickelte sie sich zu einer Methode, einem Regime, das sich über das ganze Land ausbreitete und darauf abzielte, alle Dynamiken des sozialen Kampfes zu neutralisieren. Von 1993 bis heute hat Abdullah Öcalan den Kampf für den Frieden und die Suche nach einem Gegenüber am Leben erhalten und sich in jeder Phase bemüht, alle seine Bedingungen und Möglichkeiten in Chancen für eine Lösung zu verwandeln.“

Der Pionier des Kampfes und des Denkens

Weiter wird insbesondere die von Öcalan vorgeschlagene Alternative gesellschaftlicher Organisierung, die auf Frauenbefreiung, Ökologie und Basisdemokratie beruhe, hervorgehoben. In diesem Rahmen wird er als „Pionier eines Kampfes und eines Gedankenguts, das auferlegte Grenzen überschreitet“ bezeichnet. Seine Analysen der kapitalistischen und der demokratischen Moderne und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen betrachtet die Plattform als starke Impulse für Frieden, Demokratie und Freiheit, „diese Schritte stellen auch einige der stärksten Bemühungen dar, gemeinsam mit der Gesellschaft die Geschichte neu zu schreiben“.

Jeder Moment ist von historischer Bedeutung

Mit Verweis auf Öcalans Friedensappell vom 27. Februar wird in der Erklärung betont, sich aktuell in einer „neuen Phase der Hoffnung auf Frieden und Lösung“ zu befinden. „Jede Minute und jeder Tag dieses Prozesses, der das Potenzial hat, jahrelange Kriege und Konflikte zu beenden, den langjährigen Kampf für Demokratie, Freiheit und Gleichheit zugunsten der Völker zu verwirklichen und entsprechende rechtliche Regelungen zu ermöglichen, hat historischen Wert.

Die Entscheidung zur Auflösung, die Verbrennung von Waffen und der Abzug der Streitkräfte, die auf den Aufruf von Abdullah Öcalan folgten, sind zu den wichtigsten Schritten auf dem Weg zum Aufbau der angestrebten demokratischen Gesellschaft und des Friedens geworden. Parallel zu diesen Entwicklungen stellen die Bildung eines parlamentarischen Gremiums und einer angegliederten Kommission, ein Thema, das Öcalan in jeder Phase immer wieder betont hat, sowie die Abhaltung eines Treffens auf Imrali eine historische Schwelle dar.

Dieses Treffen, das einen wichtigen Schritt in Richtung eines demokratischen, gerechten und auf Freiheit basierenden Landes darstellt, ist auch ein wertvoller Ausgangspunkt für die Verwirklichung weiterer Schritte, die noch kommen werden.“

Die Bedingungen für Freiheit müssen gewährleistet sein

Für die Plattform stehen nun im Rahmen einer „Neubetrachtung einer historischen Koexistenz“ insbesondere auch konkrete rechtliche und legislative Schritte im Vordergrund. Für diesen Prozess sei Öcalan, wie beispielsweise viele durch die globale Kampagne „Freiheit für Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ sichtbar gemachte Stimmen zeigten, einer der Hauptakteure und seine Eingaben und Vorschläge von hoher Bedeutung.

Vor allem sein Gesellschaftsentwurf und seine konkreten Richtungsweisungen stünden hierbei im Zentrum. „Ein Leben, in dem Politik Frieden heißt, Gesellschaft Demokratie heißt und Zukunft Freiheit heißt, ist etwas, das diese Region und ihre Völker seit langem verdienen“, heißt es in der Erklärung. Die physische Freiheit des kurdischen Philosophen sei eine grundlegende Bedingung für den erfolgreichen Verlauf des aktuellen Prozesses. In diesem Zusammenhang wird das „Recht auf Hoffnung“ für Abdullah Öcalan als „Recht auf Hoffnung und Freiheit eines Volkes“ bezeichnet. Dieses gelte es folgend erlassener Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und der Bewertungen internationaler Institutionen unverzüglich umzusetzen.

„Um unsere Forderung nach Freiheit für Abdullah Öcalan mit größtem Nachdruck zu vertreten und zu verwirklichen, laden wir alle Völker ein, sich am Sonntag, dem 4. Januar, auf dem Istasyon-Platz zu versammeln und Verantwortung zu übernehmen“, lauten die letzten Worte der Erklärung.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologie-demokratie-und-frauenbefreiung-sind-untrennbar-miteinander-verbunden-49257 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/grosses-treffen-fur-frieden-und-demokratie-in-wan-49263 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-schweigen-der-waffen-ist-nur-anfang-ziel-ist-positive-friedensordnung-49261

 

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Rojhilat: Kurdischer politischer Gefangener tritt in Hungerstreik

18. Dezember 2025 - 12:00

Der kurdische politische Gefangene Nayeb Askari hat aus Protest gegen die Verweigerung von Familienbesuchen und Hafturlaub einen Hungerstreik begonnen, indem er sich die Lippen zugenäht hat. Zu diesem Zweck hat Askari sich am vergangenen Samstag den Mund zugenäht und die Gefängnisbehörden offiziell über seinen Hungerstreik informiert, berichtet die Menschenrechtsorganisation Kurdistan Human Rights Network (KHRN).

Askari verbüßt seit fünf Jahren eine 15-jährige Haftstrafe im Zentralgefängnis von Ûrmiye (Urmia). In einem Brief an die Gefängnisbeamten erklärte er, dass ihm seit einem Jahr aus nicht näher bezeichneten Gründen Familienbesuche verweigert würden und dass wiederholte Anträge auf vorübergehenden Urlaub ohne Antwort geblieben seien.

Hintergrund

Der aus Ûrmiye stammende Kurde lebte für mehrere Jahre in der Kurdistan-Region des Irak (KRI). In seiner Abwesenheit sei er 2018 unter anderem wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) zum Tode verurteilt worden. Nach seiner Rückkehr legte er gegen dieses Urteil erfolgreich Widerspruch ein und wurde stattdessen wegen „bewaffneten Aufstands angeklagt.

Seine Festnahme erfolgt im März 2021 durch die Geheimdienstorganisation der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC). In der anschließenden Untersuchungshaft wurde er schwerer physischer und psychischer Folter ausgesetzt, um ein Geständnis zu erzwingen. Sowohl der Kontakt mit einem Rechtsbeistand wie auch zu seiner Familie wurde ihm verwehrt.

Zweites Todesurteil

Askari wurde auch in diesem Verfahren, nach einem unfairen Gerichtsprozess, zum Tode verurteilt. Doch auch seine diesbezügliche Berufung war erfolgreich. Mitte Oktober 2024 wurde Askari wegen derselben Anklage zu 15 Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt.

Der politische Gefangene hat bereits zuvor längere Hungerstreiks in Haft durchgeführt. Im Jahr 2021 verweigerte er 32 Tage lang die Nahrungsaufnahme, weil ihm die Verlegung zur medizinischen Versorgung in einem externen Krankenhaus verweigert wurde. 2023 protestierte er mit diesem Mittel gegen das zweite gegen ihn verhängte Todesurteil.

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/massnahmen-gegen-menschenrechtsverletzungen-des-irans-gefordert-49296 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/iran-gefangene-protestieren-in-der-99-woche-in-folge-gegen-todesstrafe-49283 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/anhaltende-repressionswelle-in-rojhilat-49213 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/tod-durch-fehlende-medizinische-versorgung-in-haft-49194

 

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Öcalans Freiheit für würdigen Frieden und Gleichberechtigung

18. Dezember 2025 - 10:00

Jeden Mittwoch veranstalten Aktivisten vor dem Gebäude der Vereinten Nationen (UN) eine Protestaktion, um die Freilassung des kurdischen Volksführers Abdullah Öcalan zu fordern. Noch immer ließen konkrete Schritte seitens des türkischen Staates auf sich warten, lautet die klare Kritik. Außerdem müssten auch die Angriffe auf Nord- und Ostsyrien und die in Syrien lebenden Minderheiten umgehend beendet werden.

Die Demonstration dieser Woche, die wie gewohnt auf dem Platz der Nationen, wo sich das UN-Büro befindet, stattfand, wurde mit einer Schweigeminute zum Gedenken an Berfin Nurhaq (Hanım Xanê Demir), Sema Roza (İnci Sümbül), Demhat Mamxurî (Ferman Turgut) und Hüseyin Azad (Elyasa Çiftçi), die im kurdischen Freiheitskampf gefallen sind, eröffnet.


In einer Presseerklärung im Namen der Mahnwache wurde festgestellt, dass die Entwicklungen im Friedens- und Demokratisierungsprozess, der im Oktober 2024 begann, den Weg für den Frieden geebnet haben. Die kurdische Freiheitsbewegung habe alle notwendigen Schritte zu diesem Zweck unternommen, indem sie einen Waffenstillstand erklärte, ihre Selbstauflösung verkündete und eine Zeremonie zur Verbrennung von Waffen abhielt, hieß es weiter.

Der Staat und das Parlament hätten hingegen davon abgesehen, konkrete und rechtliche Schritte zu unternehmen, und die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen spiegelten keinen fairen und liberalen Ansatz wider, kritisierte die Mahnwache.

Rechte und würdiger Frieden

In der Erklärung wurde betont, dass das Ziel des Kampfes nicht Amnestie sei, sondern die Wiederherstellung der entzogenen Rechte und ein würdiger Frieden. Es wurde festgestellt, dass das kurdische Volk kein Verbrechen begangen habe, sondern für die Verteidigung seiner Rechte kämpfe.

Angriffe auf Rojava und syrische Minderheiten

Auch die Angriffe auf Nord- und Ostsyrien wurden scharf kritisiert. Rojava, wie die Region auch genannt wird, sei eine „rote Linie“ für das kurdische Volk und seinen Repräsentanten Abdullah Öcalan. In der Erklärung hieß es, dass die Massaker, die von dschihadistischen Söldnern wie „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) an der alawitischen und der drusischen Gemeinschaft verübt wurden, nicht vergessen werden könnten und es inakzeptabel sei, diesen Strukturen die Kapitulation aufzuzwingen.

Die Aktivist:innen riefen das kurdische Volk und die in der Diaspora lebenden Kurd:innen dazu auf, den Kampf für Frieden in allen Bereichen zu intensivieren und sowohl den demokratischen wie auch den bürokratischen Druck zu erhöhen. Sie forderten außerdem internationale Institutionen und Organisationen auf, Druck auf den türkischen Staat auszuüben, um das „Recht auf Hoffnung“ für Öcalan unverzüglich umzusetzen.

Die Mahnwache in Genf

Seit dem 25. Januar 2021 findet vor dem UN-Hauptquartier in Genf eine Mahnwache der Demokratischen Kurdischen Gemeinschaft in der Schweiz statt. Die Aktion wird im Rahmen der Kampagne „Dem dema azadiye” [Zeit für Freiheit] durchgeführt und richtet sich gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali, die türkischen Besatzungsangriffe auf Kurdistan, die Massaker in kurdischen Gebieten und das Schweigen der UN. Die Demonstrierenden fordern die internationalen Institutionen insbesondere auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und die physische Freiheit Öcalans zu sichern.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/tag-der-menschenrechte-mahnwache-fordert-Ocalans-freilassung-49203 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/un-menschenrechtslage-in-syrien-bleibt-kritisch-49141 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mahnwache-in-genf-fordert-freiheit-fur-Ocalan-48915

 

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Kommissionsbericht kommt nach Neujahr ins Parlament

18. Dezember 2025 - 9:00

Die Arbeit der im Rahmen des Friedens- und Demokratisierungsprozesses im türkischen Parlament eingerichteten Kommission wird fortgesetzt. Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş hat sich am Mittwoch mit den Koordinator:innen der Kommissionsparteien getroffen. Die von den politischen Parteien erstellten Berichte und der von der Kommission erarbeitete Gesamtbericht sind hierbei diskutiert worden. Die Parteien, die ihre Berichte noch nicht vorgelegt haben, können diese bis Freitag bei der Kommission einreichen.

An dem fast einstündigen Treffen haben die stellvertretende Vorsitzende der DEM-Fraktion, Gülistan Kılıç Koçyiğit, der stellvertretende Vorsitzende der MHP, Feti Yıldız, der Vorsitzende der AKP-Fraktion, Abdulhamit Gül, der stellvertretende Vorsitzende der CHP-Fraktion, Murat Emir, und der Vorsitzende der Yeni Yol-Fraktion, Bülent Kaya, teilgenommen.

Parlamentsvorlage des gemeinsamen Berichts nach Neujahr

Auf Nachfragen der Presse erklärte MHP-Mitglied Feti Yıldız nach der Sitzung, dass Methoden zur Erstellung eines gemeinsamen Berichts diskutiert worden seien, und sagte: „Wir werden uns am Montag erneut treffen. Wir werden den gemeinsamen Bericht in den kommenden Wochen erstellen. Nach Neujahr werden wir ihn dem Parlament als Rahmendokument und nicht als Gesetzentwurf vorlegen.“

Yıldız erklärte, dass jeder Partei mit einer Fraktion ein:e Vertreter:in für den Bericht zugewiesen werde, und merkte an, dass die Arbeit mit den derzeitigen Koordinator:innen fortgesetzt werde. Auf die Frage nach der Arbeitsdauer der Kommission antwortete er: „Wenn sie bis zum 31. Dezember nicht abgeschlossen ist, kann die Frist verlängert werden.“

Entwurfsteam wird gebildet

Während des Treffens wurde auch beschlossen, ein „Entwurfsteam“ zu bilden, um den Bericht der Kommission vorzubereiten. Es wurde erklärt, dass jede Partei ein Mitglied für dieses Team benennen werde, das den Berichtsentwurf prüfen und bis Montag fertigstellen solle. Ziel ist es, den Bericht mit den gemeinsamen Unterschriften aller Parteien zu erstellen.

Berichten zufolge wird die DEM-Partei den Istanbuler Abgeordneten und Juristen Cengiz Çiçek in das Redaktionsteam entsenden. Unbestätigten Gerüchten zufolge heißt es außerdem, dass die CHP am Freitag zusätzlich zu dem bereits vorgelegten Text einen umfassenderen Bericht vorlegen könnte. Die AKP hingegen wird ihren etwa 70-seitigen Bericht voraussichtlich am Freitag bei der Kommission einreichen, wobei es aufgrund des Genehmigungsverfahrens zu Verzögerungen kommen könnte.

Die Amtszeit der Kommission

Der Bericht soll zwar vor Jahresbeginn fertiggestellt werden, doch wurde darauf hingewiesen, dass die Amtszeit der Kommission, die am 31. Dezember endet, um einen Monat verlängert werden könnte, falls sich der Prozess in die Länge zieht. Wenn der Bericht von der Kommission angenommen wird, werden die politischen Parteien voraussichtlich einen Antrag auf Eröffnung einer allgemeinen Debatte bei der Generalversammlung des Parlaments stellen.

Unterdessen werden sich Kurtulmuş und die Parteikoordinator:innen Berichten zufolge am Montag um 16:00 Uhr Ortszeit erneut treffen, sofern es keine weiteren Entwicklungen gibt.

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Tödliche Kinderarbeit unter dem Deckmantel der Berufsbildung

18. Dezember 2025 - 0:00

Beritan Güneş, Abgeordnete der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) warnt vor dem alarmierenden Ausmaß von Kinderarbeit in der Türkei. Allein in diesem Jahr haben 85 Kinder an „unregulierten“ Arbeitsplätzen ihr Leben verloren. Weil die Chancengleichheit praktisch zusammengebrochen sei, litten Kinder unter dem ständigen Risiko von Tod und dauerhaften Verletzungen.

Die Politikerin kritisierte klar, dass Kinder innerhalb des aktuellen Systems zermürbt und ausgebeutet würden. Das Programm des Berufsbildungszentrums (MESEM) stünde zu den Rechten der Kinder im Widerspruch und gleichzeitig in direktem Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise. Güneş sagte, MESEM positioniere Kinder als billige Arbeitskräfte, während der Staat seiner Verantwortung in diesem Prozess nicht nachkomme.

MESEM widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention

„Wir sehen, dass die Rechte der Kinder auf Leben, Bildung, Gesundheit und Sicherheit verletzt werden“, sagte die Abgeordnete ohne Umschweife. „Dieses Programm ebnet den Weg dafür, dass Kinder, die eine Berufsausbildung erhalten, als billige Arbeitskräfte beschäftigt werden. Unter den Bedingungen des freien Marktes wird das Leben von Kindern praktisch zum Verkauf angeboten. Natürlich ist der Staat nicht losgelöst von dem, was geschieht. Durch MESEM spielen die Wirtschaftskrise und die tiefe Armut in der Türkei eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung von Kindern in Arbeitskräfte.“

Budget für Gemeinwohl, statt für Krieg

Beritan Güneş stellte den überteuerten Lebenshaltungskosten der Zivilbevölkerung die Militärausgaben des Staates kritisch gegenüber. Gemäß einer NATO-Entscheidung stelle die Türkei fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigungsausgaben bereit. Dies könnte das Kriegsbudget in den kommenden Jahren auf bis zu 70 Milliarden Dollar ansteigen lassen.

„Die Türkei gehört zu den Ländern, die in Bereichen wie Lebensmittel, Wohnen, Ernährung und Gesundheitsversorgung die teuersten Dienstleistungen anbieten. Wir kaufen teure und minderwertige Lebensmittel, leben in teuren und baufälligen Häusern und sind mit einer Situation konfrontiert, in der die Chancengleichheit aufgrund der ungebremsten Privatisierung des Bildungssystems beseitigt wurde.

Wir glauben jedoch, dass sich das Wohlergehen der in der Türkei lebenden Bürger:innen verbessern und die Voraussetzungen für ein würdiges Leben schaffen würden, wenn das für den Krieg vorgesehene Budget stattdessen für die Bereitstellung all dieser Dienstleistungen verwendet würde. Wenn das für den Krieg reservierte Budget nicht zum Wohle der Bürger:innen eingesetzt wird, ist es unvermeidlich, dass sich die Wirtschaftskrise, die wir derzeit erleben, weiter verschärft.“

Fast 393.000 Kinder bei MESEM registriert

Auch zwischen der Wirtschaftskrise und dem MESEM-Programm bestünde für Güneş ein direkter Zusammenhang: „In der Hoffnung auf sofortiges Geld für den Haushalt halten es Familien für sinnvoll, dass ihre Kinder früh ins Berufsleben einsteigen, anstatt ihre Ausbildung fortzusetzen und einen Abschluss zu erwerben. Betrachten wir dies als die Angebotsseite billiger Arbeitskräfte. Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Nachfrage nach Kindern, die von Kapitalbesitzern als billige ‚Arbeitskräfte‘ angesehen werden.

Unter solchen Bedingungen vervielfacht sich die Zahl der Kinder, die zu Arbeitskräften werden, da diejenigen unter 18 Jahren eine ‚viel geringere finanzielle Belastung‘ für Kapitalbesitzer darstellen. Nach den neuesten Daten liegt die Zahl der bei MESEM registrierten Kinder bei 392.887. Das Recht der Kinder auf Bildung wird ihnen von den Machthabern effektiv genommen.“

Legalisierung von Kinderarbeit

Die DEM-Abgeordnete sieht in diesem Vorgehen eine Legalisierung von Kinderarbeit. Außerdem nehme der Staat in diesem sogenannten System der Berufsbildung einen erheblichen Teil des Arbeitgeberanteils der Sozialabgaben. Da hierdurch Minderjährige zu sehr billigen Arbeitskräften umgewandelt würden, bevorzugten Unternehmen diese – ganz der Logik des freien Marktes folgend.

Auf der MESEM-Website werden Schüler:innn der neunten, zehnten und elften Klasse Löhne in Höhe von 30 Prozent des Mindestlohns versprochen, während Schüler:innen der zwölften Klasse 50 Prozent des Lohns angeboten werden. Die Website ähnelt einer Stellenanzeige eines privaten Unternehmens. Der Staat agiert wie ein privates Unternehmen und stellt Kinder ein.

85 Kinder haben ihr Leben verloren

Beritan Güneş sagte, dass es innerhalb von MESEM keinen wirksamen Aufsichtsmechanismus gebe, und warf dem Bildungsminister vor, die Probleme zu ignorieren. Güneş sagte: „Wenn der ranghöchste für Schulen zuständige Beamte so tut, als gäbe es keine Probleme, normalisiert dies unweigerlich sowohl das MESEM-System als auch die Umwandlung von Kindern in Arbeitskräfte. Wir erleben die Schaffung eines schrecklichen Systems unter dem Vorwand, ‚Kindern berufliche Fähigkeiten zu vermitteln‘.“

Die Folgen dieses Staatshandelns seien tödlich, zeigte Güneş: „Da die Staatsführung dieses Thema mit solcher Verantwortungslosigkeit angeht, ist es unvermeidlich, dass auch die Arbeitgeber es im Streben nach Profit normalisieren. Sie handeln ungehindert, weil sie wissen, dass es keinen Mechanismus gibt, um Sanktionen zu verhängen. Wir wissen, dass in diesem Jahr 85 bei MESEM registrierte Kinder gestorben sind. Wir können diese Todesfälle nicht als ‚Unfälle‘ abtun; diese Kinder werden getötet.“

Alternativen

Während der Haushaltsverhandlungen hätte die DEM-Partei der Abgeordneten zufolge eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die darauf abzielen, Todesfälle und das Risiko dauerhafter Verletzungen zu verhindern. Dazu gehörten laut Güneş die Erhöhung der Häufigkeit von Arbeitsplatzinspektionen, die Verbesserung der Qualifikationen der zur Koordination eingesetzten Lehrkräfte und die Sicherstellung, dass die Ausbildenden eine pädagogische Ausbildung erhalten. Sie fügte hinzu, dass alle politischen Parteien dieses Thema ernsthaft und verantwortungsbewusst angehen müssen.

Beritan Güneş erinnerte daran, dass die DEM-Partei offen Vorbehalte gegen den Haushalt geäußert hatte und erklärte, dass dieser das Ergebnis der Verarmung der Völker der Türkei sei. Sie bekräftigte ihre Überzeugung, dass die für den Krieg bereitgestellten Mittel stattdessen zur Gewährleistung und zum Schutz der grundlegenden Menschenrechte der Bürger:innen verwendet werden könnten.

Gemeinsamer Kampf gegen multiple Krisen

Die Türkei stehe, so die Politikerin, vor mehreren sich überschneidenden Krisen, darunter auch das MESEM-Problem, was einen gemeinsamen Kampf der sozialen Kräfte erfordere. „Innerhalb dieser vielfältigen Krisen kann man auf den sozialen Verfall hinweisen, der durch Krieg verursacht wird, darunter Gewalt gegen Frauen, Kinder und lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, intersexuelle und andere geschlechterdiverse Menschen, die Zerstörung des Lebens von Arbeitnehmenden, ökologische Verwüstung, Korruption und weit verbreitete Verarmung. Als Reaktion darauf muss die soziale Opposition zu einer gemeinsamen Kraft werden, die in der Lage ist, sich gegen die neoliberale Politik der Machthaber zu wehren.

Ohne uns in engstirnige und kurzfristige Kalküle zu verstricken, müssen wir uns auf Grundsätze einigen, mit denen wir die Gesellschaft verteidigen können. Um dies zu erreichen, sollten Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Berufsverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und unabhängige Einzelpersonen einen Beitrag leisten, indem sie Lösungen erarbeiten und dabei helfen, eine gemeinsame Linie für den Kampf zu entwickeln.

Als DEM-Partei haben wir uns immer für den kollektiven Kampf eingesetzt. Als soziale Kräfte können wir uns trotz unserer Unterschiede auf gemeinsame Grundsätze einigen. Die Möglichkeiten und Voraussetzungen dafür sind bereits vorhanden.“

Kinder werden in die Ungleichheit gedrängt

Im aktuellen Bildungssystem seien Kinder, so die Kritik der DEM-Abgeordneten zusammenfassend, einerseits zwischen der ungebremsten Privatisierung von Schulen und andererseits dem Ausschluss aus dem Bildungssystem und ihrer Verwandlung in Arbeitskräfte gefangen. Auf ihre zahlreichen Vorschläge, darunter auch die mögliche Einrichtung eines „Ministeriums für Kinder“, habe ihre Partei keine Antwort erhalten. Sie sieht neben dem Bildungsministerium auch das Ministerium für Arbeit und Soziales in der dringenden Verantwortung im MESEM-Fall tätig zu werden und ein koordiniertes Vorgehen zu entwickeln.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/bildungsgewerkschaft-protestiert-gegen-ausbeutung-von-kindern-in-berufszentren-49131 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-fordert-haushalt-fur-das-volk-49251 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/kinderrechte-starken-neues-zivilgesellschaftliches-netzwerk-in-wan-gegrundet-48944 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/turkei-764-kinderarbeitsmorde-in-zwolf-jahren-46097

 

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Arkaş: „Frieden entsteht durch gegenseitiges Verständnis“

17. Dezember 2025 - 22:00

Die Plattform Demokratischer Initiativen in Nordkurdistan hat in Dîlok (tr. Gaziantep) eine öffentliche Versammlung für Bürger:innen abgehalten. Hierbei ist der aktuelle Dialogprozess und insbesondere die Rolle des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zum Thema gemacht worden.

Neben Çetin Arkaş, ehemaliger politischer Gefangener und Mitglied von Öcalans „Imrali-Sekretariat“ im Dialogprozess 2013-2015, haben auch Ayla Akat Ata von der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, kurz TJA) und Raziye Öztürk von der Anwaltskanzlei Asrin an der Versammlung teilgenommen. Die Atmosphäre der Zusammenkunft ist durch anhaltende Parolenrufe der Teilnehmenden geprägt gewesen.

Gleichberechtigung entscheidend im Prozess

Raziye Öztürk ist Mitglied des Verteidigungsteams des Begründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Anwältin begann ihre Ausführungen mit der Übermittlung der Grüße von Öcalan und sagte: „Abdullah Öcalan ist eine Persönlichkeit, deren Rolle ein kollektives Spiegelbild unter dem kurdischen Volk findet. Daher müssen die Parteien bei der Durchführung dieses Prozesses gleichberechtigt sein.“

Die ungleichen Bedingungen, unter denen Öcalan sich derzeit einbringen kann, erschwerten einen Erfolg, meint die Verteidigerin: „Aus diesem Grund legen wir auch großen Wert auf die physische Freiheit von Herrn Öcalan und seine Fähigkeit, unter freien Bedingungen zu arbeiten. So wie die staatliche Seite sich mit allen beraten und Treffen abhalten kann, muss auch Herr Öcalan in der Lage sein, sich mit anderen Gegenparteien zu treffen und auf sie zuzugehen.“

„Wir sind die Hoffnung“

Die TJA-Vertreterin Ayla Akat Ata betonte in ihrem Beitrag derweil neben der Initiativkraft der Ideen Öcalans auch seine aus Erfahrungen resultierende Bedeutung für den Prozess. Seit 1993 sei er Teil der aktiven Bemühungen um Frieden. Seinerzeit rief die PKK zum ersten Mal offiziell einen einseitigen Waffenstillstand aus und es gab Verhandlungen mit dem damaligen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal.

„Er hat diese Gespräche mit dem Staat geführt, sie bewertet und kennt ihre Ergebnisse. Von der Erklärung vom 27. Februar bis heute ist der von ihm vorgebrachte Wille das gesammelte Wissen aus diesem gesamten Prozess. Rêber Apo [Abullah Öcalan] handelt auf der Grundlage dieses Wissens. Demzufolge müssen auch wir eine Organisation aufbauen, die diesem Wissen entspricht“, erklärte Akat Ata. Mit Bezug zu den öffentlichen Versammlungen, die nach Öcalans Friedensaufruf stattfanden, sagte die Aktivistin: „Wenn wir von einer demokratischen Lösung, dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und Frieden sprechen, dann müssen wir seinen Worten Gehör verschaffen.“

Sie schloss ihre Rede mit den Worten: „Wir werden uns selbst vertrauen. Die Hoffnung liegt bei uns, wir sind die Hoffnung. Die Hoffnung sind genau die Menschen, die heute diese Halle gefüllt haben.“

Eine Frage der Würde

Während der Jahre 2013 bis 2015, in denen ein Dialog zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung geführt wurde, war Çetin Arkaş Teil des „Imrali-Sekretariats“ von PKK-Begründer Abdullah Öcalan im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali. In seiner Ansprache auf der aktuellen Versammlung betonte er, dass die physische Freiheit von Abdullah Öcalan, den er als Hauptgesprächspartner des Prozesses bezeichnete, gewährleistet und seine Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen.

„Abdullah Öcalan ist jemand, der unter schwierigsten Bedingungen seine Überzeugungen vertritt. Er hat ein sehr starkes Geschichtsbewusstsein und ist ein intelligenter Mensch, der genau weiß, was er tut. Ich sage dies mit großer Überzeugung: Abdullah Öcalan ist jemand, der nicht täuscht und nicht getäuscht werden kann. Das haben wir im Laufe der Geschichte schon oft gesehen und erlebt. Wenn sich ein Verständnis entwickelt, das die Existenz des kurdischen Volkes als eine Frage der Würde betrachtet, sind wir bereit, sie zu akzeptieren. Wir werden die Vergangenheit nicht vergessen, um an unserem Groll festzuhalten, sondern damit sie sich nie wiederholt.“

„Wir werden Frieden schaffen, indem wir einander verstehen“

Angesichts der weitergeführten Praxis der Zwangsverwaltung, politischer Inhaftierungen und der Isolation Öcalans forderte Arkaş Veränderungen. Während des vergangenen Jahrhunderts seien die kurdisch-türkischen Beziehungen von Verletzungen und Problemen, kulturellem Leid und wirtschaftlichen Niederlagen geprägt gewesen. Frieden hingegen verlangte gegenseitiges Kennenlernen. Er sei der Weg, um weitere Verluste zu verhindern.

„Wir werden Frieden schaffen, indem wir einander verstehen; dieser Prozess kann nicht durch einseitige Auflagen in eine gesunde Richtung gehen. Wir möchten dies noch einmal betonen. Beide Seiten müssen sich der Wahrheit stellen“, konstatierte Arkaş.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/frieden-beginnt-mit-vertrauen-49288 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-delegation-und-davutoglu-sprechen-uber-rechtliche-grundlage-fur-friedensprozess-49280 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/grosses-treffen-fur-frieden-und-demokratie-in-wan-49263

 

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Oluç: Zentralisierung behindert demokratische Regierungsführung

17. Dezember 2025 - 18:00

Die Abgeordneten der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) kritisieren in den aktuellen Sitzungen des türkischen Parlaments wiederholt die Haushaltsführung und das derzeitige Regierungssystem in scharfen Tönen. Ein Hauptpunkt sei, so DEM-Sprecherin Ayşegül Doğan, dass der Haushalt den Bedürfnissen von Frauen, Jugendlichen, Kindern und Arbeitnehmenden nicht gerecht werde.

Die Politikerin betonte, dass etwa 20 Millionen Menschen in der Türkei am Rande des Hungers lebten, während sich die täglichen Ausgaben der Präsidentschaft, der Direktion für religiöse Angelegenheiten und der zentralen Behörde für staatliche Kommunikation und Medienregulierung auf 426 Millionen Lira beliefen.

Letztere sei außerdem für die Verbreitung von Propaganda und Desinformation verantwortlich. Im Friedensprozess, so Doğan, sollte allerdings eine neue und inklusive Sprache geschaffen werden, anstatt Wahrnehmungsmanagement zu betreiben.

Zentralisierung und Demokratie als unvereinbar

Der DEM-Abgeordnete Saruhan Oluç widmete sich in seiner Rede vor der Generalversammlung dem Regierungssystem. Er erklärte, dass das präsidiale Regierungssystem „übermäßig zentralisiert“ sei und dass demokratische Regierungsführung mit dieser Struktur nicht möglich sei.

Dementsprechend betonte Oluç die Notwendigkeit, die übermäßige Zentralisierung auszugleichen, und stellte dieser eine demokratische Alternative gegenüber: „Die Aufteilung bestimmter zentraler Befugnisse im politischen und rechtlichen Bereich, die Übertragung bestimmter zentraler Befugnisse an lokale Behörden, die Stärkung der lokalen Demokratie und die Stärkung des Konzepts und der Mechanismen der lokalen und dezentralen Regierungsführung gehören zu den ersten Schritten, die unternommen werden müssen.“

Demokratie basiert auf Volkswillen

Oluç merkte an, dass die Stärkung der lokalen Demokratie ein grundlegendes Element demokratischer Regime sei, und erklärte, dass die Praxis der Treuhänder keine rechtliche und demokratische Legitimität habe. Der Abgeordnete betonte, dass die Türkei einen neuen liberalen und demokratischen Gesellschaftsvertrag und eine neue Verfassung brauche, die alle Völker umfassen, und forderte eine umfassende Reform des derzeitigen Systems.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-fordert-haushalt-fur-das-volk-49251 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/temelli-haushalt-dient-eliten-nicht-der-bevolkerung-49223 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/demokratischer-kommunalismus-im-schatten-der-zwangsverwaltung-49127 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/lokale-demokratie-ist-der-schlussel-zum-demokratischen-wandel-48645

 

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Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen des Irans gefordert

17. Dezember 2025 - 18:00

Insgesamt 85 Menschenrechtsorganisationen, Anwält:innen, Aktivist:innen, Medienschaffende, religiöse Persönlichkeiten, die Internationale Vereinigung der Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräfte, die Kampagne zum Schutz politischer und ziviler Gefangener, die Union revolutionärer Frauen und das Globale Netzwerk für die Freiheit kurdischer und iranischer politischer Gefangener haben eine gemeinsame Erklärung als Reaktion auf die zunehmenden Verstöße und den Druck auf Aktivist:innen im Iran und Ostkurdistan abgegeben.

Ruf nach Gerechtigkeit

„Der Iran begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter von Gefangenen, Massenhinrichtungen, Vertuschungen und Restriktionen“, hieß es in der Erklärung vom Mittwoch.

Für Millionen von Menschen habe dies negative Auswirkungen. Das Land sei seiner Gerechtigkeit beraubt, befanden die Unterzeichnenden. Demgegenüber forderten sie: „Die internationale Gemeinschaft muss sich gegenüber dem Iran in schärferer Sprache äußern; dies ist eine moralische Verantwortung, und die Vereinten Nationen müssen ihre ganze Macht einsetzen, um Rechenschaftspflicht und die Unterstützung von Institutionen sicherzustellen. Gleichzeitig müssen sie Fälle von Menschenrechtsverletzungen an den Internationalen Strafgerichtshof weiterleiten.“

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/iran-gefangene-protestieren-in-der-99-woche-in-folge-gegen-todesstrafe-49283 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/anhaltende-repressionswelle-in-rojhilat-49213 https://deutsch.anf-news.com/frauen/rojhilat-bericht-dokumentiert-repression-und-gewalt-gegen-kurdische-frauen-49130 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/un-iran-verscharft-repression-nach-israel-krieg-rekordzahl-an-hinrichtungen-48618

 

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Ülgen: Zunehmende Privatisierung des Gesundheitswesens

17. Dezember 2025 - 16:00

Das Zusammenwirken von Wirtschaftskrise und Kommerzialisierung führt im türkischen Gesundheitssystem zu gravierenden Mängeln für die Bevölkerung. Dr. Veysi Ülgen, Vorsitzender der Ärztekammer von Amed (tr. Diyarbakır), äußert gegenüber ANF Kritiken und Perspektiven auf die aktuelle Situation. Insbesondere bemängelt er, dass das Gesundheitsministerium sowohl für Dialog als auch für Vorschläge nicht offen sei: „Das Ministerium beharrt auf einer Politik der Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Wären unsere Warnungen und Vorschläge ernst genommen worden, hätten viele Probleme gelöst werden können.“

Aufgrund der Wirtschaftskrise und der steigenden Lebenshaltungskosten rücke das Recht auf Gesundheitsversorgung für die Menschen immer weiter in die Ferne. In zahlreichen Abteilungen staatlicher Krankenhäuser sei es nahezu unmöglich, einen Termin zu bekommen. Auch für dringend notwendige Operationen müssten monatelange Wartezeiten in Kauf genommen werden. Steigende Medikamentenpreise erschwerten den Armen zusätzlich den Zugang zu medizinischer Versorgung.


Dr. Veysi Ülgen bezieht hierzu eine klare Position: „Gesundheitsversorgung ist ein soziales Recht und ein grundlegendes Menschenrecht. Jede und Jeder muss gleichberechtigt und kostenlos Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können. Der Staat ist verpflichtet, allen Menschen eine kostenlose und gleichberechtigte Gesundheitsversorgung zu bieten. Nur durch die Einplanung eines angemessenen Budgets für die Gesundheitsversorgung, können die Menschen diese auch erhalten.“

Verfassungsreferendum ermöglichte Privatisierung

Das Verfassungsreferendum am 12. September 2010 wird gemeinhin als entscheidender Moment genannt, der die rechtlichen Hürden für das sogenannte „Gesundheitstransformationsprogramm“ der AKP-Regierung beseitigte. Ülgen sieht hierin den Beginn des Privatisierungsprozesses im Gesundheitswesen, mit dem die Gesundheitsversorgung zu einer käuflichen Ware geworden sei. „Die Konsequenz daraus, dass mit der Gesundheitsversorgung Handel getrieben wird, ist, dass Gesundheit käuflich wird. Das sehen wir heute. Die Gesundheitsversorgung hängt nun davon ab, wie viel Geld man hat. Und selbst wenn man Geld hat, ist noch nicht gesagt, dass man Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommt“, erklärte er.

Weitere Verschärfung der Situation

Der Mediziner stellte fest, dass sich die schlechte Lage im Gesundheitswesen zunehmend verschärfe: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem selbst private Krankenhäuser keine ausreichenden Leistungen mehr erbringen können. In öffentlichen Krankenhäusern gibt es bereits viel zu viele Patient:innen. Man ist gezwungen, eine:n Patient:in in maximal fünf Minuten zu untersuchen und es gibt zudem starke Engpässe bei den verfügbaren Terminen. In einigen Fachbereichen gibt es gar keine Ärzt:innen und im Gesundheitswesen herrscht insgesamt Ungleichheit.“

Diese Ungleichheit spiegelte sich auch in den Zahlen der offiziellen Statistikbehörde TÜIK wider und eine muttersprachliche Gesundheitsversorgung bliebe mangelhaft. „Solange diese Politik, die das Gesundheitswesen aus profitorientierter Sicht betrachtet, fortgesetzt wird, wird es in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu Mängeln und starken Einschränkungen kommen“, konstatierte der Gesundheitsexperte.

„Allgemeinmediziner:innen werden zu profitorientierten Händler:innen“

Auch die Allgemeinmedizin, klagte Ülgen, sei zu einem privatisierten Untersuchungssystem umgewandelt worden. Dies ebne seiner Meinung nach den Weg für unsachgemäße Praktiken. Er stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das derzeitige System Hausärzt:innen zu Unternehmer:innen mache, und sagte: „Ärzt:innen sind keine Händler:innen oder Unternehmer:innen. Handel ist nicht unser Geschäft. Wir sind Ärzt:innen.“

Mangelhafte Infrastruktur in Krankenhäusern

Dr. Ülgen verwies, beispielhaft für Krankenhäuser in nahezu allen nordkurdischen Städten, auf Mängel an öffentlichen Krankenhäusern in Amed: „Die vorhandenen, nicht privaten Krankenhäuser und ihre Infrastruktur reichen bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Diese öffentlichen Krankenhäuser haben große Mängel, was die Bereitstellung von Dienstleistungen angeht. Insbesondere der bauliche Zustand der bestehenden Gebäude ist sehr schlecht.“

Die diesbezüglichen Beschwerden von medizinischen Kolleg:innen seien zahlreich und umfassend: „Die Bettenkapazität der Krankenhäuser ist sehr niedrig. Es gibt zwar Planungen für ein städtisches Krankenhaus in Amed, aber wir sind der Meinung, dass die Gesundheitsversorgung in großen Metropolen nicht auf ein einziges Krankenhaus beschränkt sein sollte; das ist keine Lösung. Und wenn das geplante städtische Krankenhaus an kommerziellen Interessen ausgerichtet werden sollte, wird das nicht zur Lösung der Probleme in der Gesundheitsversorgung beitragen.“

Gesundheitsminister verschließt sich Gesprächen und Vorschlägen

Die vom Gesundheitsministerium vorgelegte Politik könne die Probleme im Gesundheitssektor nicht lösen, so die deutliche Kritik des Vorsitzenden der Ärztekammer Amed. Auch mangelte es von dieser Seite aus an Dialogbereitschaft: „Die früheren Gesundheitsminister waren zumindest teilweise für einen Dialog offen. Der aktuelle Gesundheitsminister ist jedoch weder für einen Dialog noch für Vorschläge offen. Wären unsere Warnungen und Vorschläge ernst genommen worden, hätten viele Probleme im Gesundheitswesen gelöst werden können.

Das Ministerium beharrt auf einer Privatisierung des Gesundheitswesens und einer Gesundheitspolitik, die zunehmend kommerziell ausgerichtet ist. Das öffentliche Gesundheitswesen wird nicht ausreichend finanziert. Die Menschen haben keinen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, ohne dafür aus eigener Tasche bezahlen zu müssen. Und selbst wenn sie die finanziellen Mittel dafür haben, wird es von Tag zu Tag schwieriger, Gesundheitsdienstleistungen zu bekommen.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/turkischer-Arztebund-fordert-demokratische-reformen-fur-frieden-und-gesundheit-48869 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/Elih-Arztekammer-warnt-vor-wachsender-ungleichheit-im-gesundheitswesen-48642 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/ulus-frieden-essenziell-fur-offentliche-gesundheit-49201

 

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KRI: Inaktives Parlament gefährdet Frauen- und Kinderrechte

17. Dezember 2025 - 16:00

Das Parlament der Kurdistan-Region des Irak (KRI) tagt auch 423 Tage nach den Wahlen noch immer nicht. Aufgrund fehlender Beschlussfähigkeit und politischer Streitigkeiten maßgeblich zwischen den beiden stärksten Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und der Patriotischen Union Kurdistans (YNK), herrscht eine legislative Lähmung vor. Der Zustand hat zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung und einer Bedrohung der Rechte von Frauen und Kindern im ganzen Land geführt.

Obwohl die gesetzlichen Regelungen zu Dauer und Abständen von Parlamentssitzung von Land zu Land variieren, legen die meisten parlamentarischen Systeme sechs Monate zwischen den Sitzungen als maximalen Abstand fest. Das bedeutet, dass das Parlament mindestens zweimal im Jahr zusammentreten sollte, um Beratungen durchzuführen und die legislative Arbeit zu organisieren. In der KRI hat das Parlament diese Frist jedoch bei weitem überschritten.

Erster Sitzungsversuch des neuen Parlaments

Die sechsten Wahlen des KRI-Parlaments fanden am 20. November 2024 statt. Nach rund eineinhalb Monaten trat das neu gewählte Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammen. Auf die offizielle Vereidigungszeremonie folgte die Eröffnung der Sitzung durch den Sitzungspräsidenten und – gemäß der Geschäftsordnung des Parlaments – die Nominierungen für drei Ämter: Parlamentspräsidentschaft, Vizepräsidentschaft und Sekretär:in.

PDK, YNK und die Bewegung Nifşê Nû (Neue Generation) schlugen mehrere Kandidat:innen für diese Ämter vor. Bevor jedoch die rechtlichen Verfahren zur Präsidentschafts-Wahl eingeleitet werden konnten, unterbrach der Sitzungspräsident die Sitzung aufgrund der fehlenden Beschlussfähigkeit im Plenum. Auch nach einer Unterbrechung fehlte das Quorum weiterhin, die Sitzung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Seitdem hat keine formelle Parlamentssitzung stattgefunden.

Unerfüllte Funktionen des Parlaments

In diesem Zusammenhang erklärte die Journalistin Shno Hirani gegenüber der Frauennachrichtenagentur JINHA, dass Wahlen in jedem demokratischen Land ein sensibler und wichtiger Prozess sind. In der KRI finden alle vier Jahre Wahlen statt, bei denen die Bürger:innen diejenige Vertretung wählen können, die ihre Rechte verteidigen soll. Nach den Wahlen verhinderten jedoch politische Streitigkeiten zwischen Abgeordneten und Parteien, dass die Bedürfnisse der Bürger:innen berücksichtigt werden.

Hirani erläuterte, dass das Parlament eine Institution für Zusammenarbeit, Gesetzgebung und die Überwachung der Parteien sein sollte, um sicherzustellen, dass die Forderungen der Öffentlichkeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfüllt werden. „Die Realität in der Region Kurdistan zeigt, dass die meisten Bereiche der Gesellschaft mit einer ‚Nutzermentalität‘ verwaltet werden, was zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage führt, die Regierungsführung schwächt und den politischen Prozess zurückwirft“, stellte die Journalistin fest.


Schwache Parteivisionen führen zu Konflikten

Sie fügte hinzu, dass externe Interventionen eine wichtige Rolle bei der Destabilisierung der Politik spielten. Dadurch und durch politische Streitigkeiten „bleibt das Parlament untätig und wird seiner rechtlichen und legitimen Rolle bei der Verwaltung der Angelegenheiten der Region beraubt“.

Die Wahlergebnisse, die oft die beiden wichtigsten politischen Kräfte begünstigen, während Oppositionsparteien nur begrenzten Handlungsspielraum im Parlament haben, haben Hirani zufolge gravierende Folgen: „Die Wähler:innen werden politisch von schwachen Parteivisionen geleitet, was später zu Konflikten zwischen den Regierungsparteien bei der Ausübung ihrer Macht führt und eine Lähmung der Entscheidungsfindung zur Folge hat.“

Sie betonte, dass diese Rivalität es schwer macht, ein unabhängiges Parlament zu bilden, das in der Lage ist, den Bürger:innen zu dienen und die Regierungsführung effektiv zu gestalten. „Das Fehlen eines Parlaments in der Region führt, wie auch anderswo, zu deutlichen sozialen Verwerfungen“, wobei sie das Personenstandsgesetz im Irak als Beispiel anführte, wo das Fehlen eines effektiven Parlaments in der Region Kurdistan und das Versäumnis, das Gesetz zu ändern, das Leben von Frauen und Kindern ernsthaft gefährdet.

Notwendige Gesetzesänderungen bleiben aus

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen erforderten, so die Journalistin, eine kontinuierliche Aktualisierung der Rechtsvorschriften, aber das Fehlen eines Parlaments behindere diesen Prozess: „Das Personenstandsgesetz ist ein klares Beispiel für die Auswirkungen dieses Fehlens, das zu einem gesellschaftlichen Rückschritt führt, obwohl das Gesetz selbst legislative Unterstützung und eine Neuordnung innerhalb des Parlaments benötigt.“ Trotz zivilgesellschaftlicher Bemühungen für die Verteidigung von Frauen- und Kinderrechten, stelle „das Fehlen eines Parlaments ein großes Hindernis für die Durchsetzung dieser Rechte und die Verabschiedung notwendiger Gesetzesänderungen“ dar.

Das irakische Personenstandsgesetz wurde Anfang dieses Jahres reformiert. Die Neufassung wird insbesondere kritisiert, da sie Kinderehen ermöglicht und legitimiert, Frauen insbesondere bezüglich Scheidung und Erbe deutlich benachteiligt, Sorgerechtsfragen ohne Einzelfallbetrachtung zugunsten des Vaters festlegt und durch die Wahlmöglichkeit religiösem statt zivilen Rechts die Rechtssicherheit unterminiert.

Abschließend betonte Shno Hirani, dass die Bürger:innen in der Hoffnung auf den Aufbau eines neuen politischen Systems wählten, aber die Abwesenheit des Parlaments und die Lähmung der Legislative das Vertrauen sowohl in die Wahlen als auch in die Behörden untergraben. Sie forderte Einzelpersonen und zivilgesellschaftliche Organisationen auf, echten Druck auszuüben, um das Parlament wieder zu aktivieren. Nur so könnten die Wähler:innen so schnell wie möglich ihre verfassungsmäßigen Rechte innerhalb der Legislative zurückerlangen.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauen-in-helebce-protestieren-gegen-patriarchale-gewalt-49170 https://deutsch.anf-news.com/frauen/neue-frauenplattform-legt-abschlusspapier-von-workshop-vor-46958 https://deutsch.anf-news.com/frauen/ehe-mit-15-tajE-missbilligt-gesetzesanderung-45351

 

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Welat Esen nach 31 Jahren Haft zurück in Heimatstadt

17. Dezember 2025 - 14:00

Der kurdische Dichter Welat Esen ist nach 31 Jahren politischer Haft in der Türkei Ende November freigelassen worden. Nun ist er in seine Heimatstadt Dêrika Çiyayê Mazî in Mêrdîn (tr. Mardin) zurückgekehrt. Am Flughafen hat den Mann ein herzlicher Empfang durch eine Menschenansammlung erwartet.

Umringt von seinen Angehörigen, Mitgliedern des Gefangenensolidaritätsvereins TUHAYDER und Mêrdîner:innen ist Welat Esen in der nordkurdischen Provinz angekommen. Nach begrüßendem Applaus richtete der Dichter in einer kurzen Ansprache hoffnungsvolle Worte an die Anwesenden: „Ich glaube, dass Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und unsere anderen Freund:innen bald ihre Freiheit wiedererlangen werden. Die Tage der Freiheit sind nahe.“

„Jede:r Entlassene gibt uns Kraft“

Fettah Tekin, Vorsitzender von TUHAYDER, meldete sich im Namen des Vereins zu Wort und betonte, dass jeder aus dem Gefängnis entlassene Häftling ihnen Kraft gebe und dass sie darauf warteten, dass auch die anderen Häftlinge ihre Freiheit wiedererlangen würden.

Nach dieser Begrüßung reiste Esen weiter in seinen Heimatort Dêrika Çiyayê Mazî (Derik). Am Ortseingang wurde Esen von einer großen Menschenmenge mit Applaus und Jubel begrüßt und begab sich anschließend zum Haus seiner Familie.

31 Jahre politische Haft

Welat Esen wurde am 6. Dezember 1994 mit Anfang 20 in Izmir festgenommen, aus politischen Gründen verhaftet und vom Staatssicherheitsgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Während seiner Haftzeit wurde Esen im Gefängnis von Izmir Buca, in Konya, in Sincan, im Hochsicherheitsgefängnis vom Typ F in Kırıkkale und zuletzt im Gefängnis von Antalya festgehalten, aus dem er schließlich entlassen wurde.

Während seiner Zeit im Gefängnis betätigte er sich als Schriftsteller und Lyriker. Zu seinen veröffentlichten Werken gehört unter anderem das kurdischsprachige Buch Topa Xwedê (erschienen 2022 beim Aryen-Verlag) und Ev rû ev xerîbî. Er gilt als Teil einer Generation kurdischer Intellektueller, die die Haftzeit für ihr literarisches Schaffen nutzten.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/ramazan-demir-nach-30-jahren-haft-in-amed-empfangen-48466 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/nach-jahrzehnten-in-haft-kurdischer-gefangener-ahmet-temiz-hofft-auf-politischen-wandel-48243 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/ali-haydar-elyakut-nach-32-jahren-haft-entlassen-48104

 

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30 Jahre nach Brandanschlag: Kampagne will aufklären

17. Dezember 2025 - 13:00

Die Initiative „Hafenstraße 96“ aus Lübeck hat die Kampagne #zeitzureden gestartet, mit der sie Menschen in ganz Norddeutschland erreichen möchte. Selbsternanntes Ziel ist es, zur Aufklärung des Brandanschlags in der Lübecker Hafenstraße 52 vom 18. Januar 1996 beizutragen – dem bis heute tödlichsten Brandanschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

„Mit der Kampagne #zeitzureden sollen Menschen erreicht werden, die über Wissen zum Brandanschlag oder zu den Tätern verfügen – Wissen, das bei den damaligen Ermittlungen entweder nicht bekannt war oder nicht berücksichtigt wurde“, sagt die Initiative.

Der tödliche Brandanschlag

In der Lübecker Hafenstraße 52 brannte in den frühen Morgenstunden des 18. Januar 1996 eine Unterkunft für Geflüchtete. In den Flammen verloren zehn Menschen ihr Leben, darunter sieben Kinder und Jugendliche. 39 weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Trotz zweier Prozesse gegen einen Tatverdächtigen bleibt die Tat juristisch bis heute ungeklärt. Der Tatbestand der Brandlegung mit Todesfolge verjährt – im Gegensatz zu Mord – nach deutscher Rechtslage nach 30 Jahren.

Die Initiative fasst die staatlichen Bemühungen um Aufklärung wie folgt zusammen: „Ermittlungsverfahren gegen vier Neonazis aus Grevesmühlen wurden eingestellt, obwohl zahlreiche Hinweise auf ihre Tatbeteiligung vorlagen. Ein weiterer Versuch, im Jahr 2000 eine Anklage zu erheben, blieb ebenfalls erfolglos. Stattdessen geriet ein Überlebender des Brandes ins Visier der Ermittlungen – ein rassistisch geprägter Ermittlungsansatz, der vor Gericht in zwei Instanzen zu einem Freispruch führte. Die mutmaßlich Verantwortlichen sind bis heute auf freiem Fuß. Einer von ihnen hat die Brandlegung mehrfach gestanden.“

„Das darf nicht das Ende der Geschichte sein“

Auch 30 Jahre nach der Tat will die Gedenkinitiative das nicht akzeptieren. In einer breit angelegten Kampagne sucht sie daher öffentlich nach Zeug:innen, die bisher nicht bekannte Hinweise geben können. Konkret ruft sie dazu auf, Hinweise, Erinnerungen oder Beobachtungen per E-Mail an zeitzureden@hafenstrasse96.org zu senden.

„Die Hoffnung ist, dass durch neue Hinweise erneut Ermittlungen aufgenommen und der Mord an zehn Menschen doch noch aufgeklärt werden kann“ so eine Sprecherin der Initiative. Um auf die Kampagne aufmerksam zu machen, wurden am Dienstag an unterschiedlichen Orten in Norddeutschland großflächige Transparente und Plakatwände angebracht. Diese stellen unter anderem folgende Fragen:

  • Weißt du etwas zur Brandnacht vom 18. Januar 1996 in Lübeck?

  • Erinnerst du dich an Ereignisse dieser Nacht?

  • Hast du etwas gesehen oder gehört, aber niemand hat dir zugehört?

  • Kennst du Menschen, die damals beteiligt waren oder über die Tat gesprochen haben?

  • Warst du Teil von Polizei, Justiz, Stadtverwaltung oder Politik und hast erlebt, dass Aussagen nicht ernst genommen, Spuren nicht verfolgt oder Beweise ignoriert wurden?

  • Möchtest du nicht länger schweigen?

„Es ist Zeit zu reden“

„Die Täter tragen Verantwortung – für den Tod von zehn Menschen, für das anhaltende Leid der Überlebenden und der Angehörigen. Bis heute gibt es keine Antworten und keine Gerechtigkeit. 30 Jahre nach der Tat verjährt der Tatbestand der Brandlegung mit Todesfolge. Mord jedoch verjährt nicht“, sagt die Sprecherin anschließend. Für sie steht fest: „Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen. Es ist Zeit zu reden.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/grevesmuhlen-rassistischer-mob-belagert-kreistag-36061 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/immer-mehr-angriffe-auf-schutzsuchende-34831 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/mutmasslicher-brandanschlag-auf-unterkunft-fur-gefluchtete-34529 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/leipzig-brandanschlag-auf-unterkunft-fur-gefluchtete-33753

 

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Arkaş: „Frieden entsteht durch gegenseitiges Verständnis“

17. Dezember 2025 - 13:00

Die Plattform Demokratischer Initiativen in Nordkurdistan hat in Dîlok (tr. Gaziantep) eine öffentliche Versammlung für Bürger:innen abgehalten. Hierbei ist der aktuelle Dialogprozess und insbesondere die Rolle des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zum Thema gemacht worden.

Neben Çetin Arkaş, ehemaliger politischer Gefangener und Mitglied von Öcalans „Imrali-Sekretariat“ im Dialogprozess 2013-2015, haben auch Ayla Akat Ata von der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, kurz TJA) und Raziye Öztürk von der Anwaltskanzlei Asrin an der Versammlung teilgenommen. Die Atmosphäre der Zusammenkunft ist durch anhaltende Parolenrufe der Teilnehmenden geprägt gewesen.

Gleichberechtigung entscheidend im Prozess

Raziye Öztürk ist Mitglied des Verteidigungsteams des Begründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Anwältin begann ihre Ausführungen mit der Übermittlung der Grüße von Öcalan und sagte: „Abdullah Öcalan ist eine Persönlichkeit, deren Rolle ein kollektives Spiegelbild unter dem kurdischen Volk findet. Daher müssen die Parteien bei der Durchführung dieses Prozesses gleichberechtigt sein.“

Die ungleichen Bedingungen, unter denen Öcalan sich derzeit einbringen kann, erschwerten einen Erfolg, meint die Verteidigerin: „Aus diesem Grund legen wir auch großen Wert auf die physische Freiheit von Herrn Öcalan und seine Fähigkeit, unter freien Bedingungen zu arbeiten. So wie die staatliche Seite sich mit allen beraten und Treffen abhalten kann, muss auch Herr Öcalan in der Lage sein, sich mit anderen Gegenparteien zu treffen und auf sie zuzugehen.“

„Wir sind die Hoffnung“

Die TJA-Vertreterin Ayla Akat Ata betonte in ihrem Beitrag derweil neben der Initiativkraft der Ideen Öcalans auch seine aus Erfahrungen resultierende Bedeutung für den Prozess. Seit 1993 sei er Teil der aktiven Bemühungen um Frieden. Seinerzeit rief die PKK zum ersten Mal offiziell einen einseitigen Waffenstillstand aus und es gab Verhandlungen mit dem damaligen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal.

„Er hat diese Gespräche mit dem Staat geführt, sie bewertet und kennt ihre Ergebnisse. Von der Erklärung vom 27. Februar bis heute ist der von ihm vorgebrachte Wille das gesammelte Wissen aus diesem gesamten Prozess. Rêber Apo [Abullah Öcalan] handelt auf der Grundlage dieses Wissens. Demzufolge müssen auch wir eine Organisation aufbauen, die diesem Wissen entspricht“, erklärte Akat Ata. Mit Bezug zu den öffentlichen Versammlungen, die nach Öcalans Friedensaufruf stattfanden, sagte die Aktivistin: „Wenn wir von einer demokratischen Lösung, dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und Frieden sprechen, dann müssen wir seinen Worten Gehör verschaffen.“

Sie schloss ihre Rede mit den Worten: „Wir werden uns selbst vertrauen. Die Hoffnung liegt bei uns, wir sind die Hoffnung. Die Hoffnung sind genau die Menschen, die heute diese Halle gefüllt haben.“

Eine Frage der Würde

Während der Jahre 2013 bis 2015, in denen ein Dialog zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung geführt wurde, war Çetin Arkaş Teil des „Imrali-Sekretariats“ von PKK-Begründer Abdullah Öcalan im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali. In seiner Ansprache auf der aktuellen Versammlung betonte er, dass die physische Freiheit von Abdullah Öcalan, den er als Hauptgesprächspartner des Prozesses bezeichnete, gewährleistet und seine Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen.

„Abdullah Öcalan ist jemand, der unter schwierigsten Bedingungen seine Überzeugungen vertritt. Er hat ein sehr starkes Geschichtsbewusstsein und ist ein intelligenter Mensch, der genau weiß, was er tut. Ich sage dies mit großer Überzeugung: Abdullah Öcalan ist jemand, der nicht täuscht und nicht getäuscht werden kann. Das haben wir im Laufe der Geschichte schon oft gesehen und erlebt. Wenn sich ein Verständnis entwickelt, das die Existenz des kurdischen Volkes als eine Frage der Würde betrachtet, sind wir bereit, sie zu akzeptieren. Wir werden die Vergangenheit nicht vergessen, um an unserem Groll festzuhalten, sondern damit sie sich nie wiederholt.“

„Wir werden Frieden schaffen, indem wir einander verstehen“

Angesichts der weitergeführten Praxis der Zwangsverwaltung, politischer Inhaftierungen und der Isolation Öcalans forderte Arkaş Veränderungen. Während des vergangenen Jahrhunderts seien die kurdisch-türkischen Beziehungen von Verletzungen und Problemen, kulturellem Leid und wirtschaftlichen Niederlagen geprägt gewesen. Frieden hingegen verlangte gegenseitiges Kennenlernen. Er sei der Weg, um weitere Verluste zu verhindern.

„Wir werden Frieden schaffen, indem wir einander verstehen; dieser Prozess kann nicht durch einseitige Auflagen in eine gesunde Richtung gehen. Wir möchten dies noch einmal betonen. Beide Seiten müssen sich der Wahrheit stellen“, konstatierte Arkaş.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/frieden-beginnt-mit-vertrauen-49288 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-delegation-und-davutoglu-sprechen-uber-rechtliche-grundlage-fur-friedensprozess-49280 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/grosses-treffen-fur-frieden-und-demokratie-in-wan-49263

 

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Entführungen in Homs und Latakia betreffen auch Kinder

17. Dezember 2025 - 10:00

In Latakia und Homs ist es in den letzten Tagen zu zahlreichen Entführungen gekommen. Während die Sicherheitslage in den Gebieten unter der Kontrolle der syrischen Übergangsregierung weiterhin instabil ist, gibt es bislang keine offiziellen Angaben zum Schicksal der Entführten, berichtet die Nachrichtenagentur Hawar News (ANHA). Die Atmosphäre der Unsicherheit aufgrund religiöser Konflikte, die sich gegen die alawitische Gemeinschaft richtet, verschärft sich weiter.

Eines der Entführungsopfer soll demnach die 16-jährige Marah Muhannad Darwish sein. Sie sei am Montag gegen 14 Uhr in der Nähe einer Apotheke in Homs auf dem Weg zum Haus ihres Großvaters entführt worden. Seitdem habe man nichts mehr von der jungen Frau gehört.

Bei einem weiteren Vorfall in Homs wurden Berichten zufolge die Alawitin Yasmin al-Amouri und ihr dreijähriger Sohn Elia al-Hassan am Samstag entführt. Sie verschwanden auf dem Rückweg von ihrem Elternhaus.

Entführungen auch in Latakia

Ähnliche Vorfälle wurden auch aus Latakia gemeldet. So fehlt offenbar von Basel Nasr Saqour bereits seit Freitagmorgen jede Spur. Der 36-Jährige wurde zuletzt bei seiner Arbeit im Dorf Jabal al-Nuwiya nördlich von Latakia gesehen.

Darüber hinaus wird berichtet, dass der 20-jährige Ali Haitham Assaf und der 17-jährige Hadi Nizar Assaf seit Samstag vermisst werden. Beide Jugendlichen sollen beim Verkauf von Milch im Dorf Al-Muzayri'a entführt worden sein.

All diese Entführungen richteten sich gegen Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft in Homs und Latakia. Diese Situation befördere, so Stimmen von vor Ort, weiterhin religiös motivierte Verbrechen und eine Atmosphäre der Unsicherheit in Syrien.

Titelbild © ANHA

https://deutsch.anf-news.com/frauen/alawitin-aus-homs-wir-erleben-einen-systematischen-volkermord-49273 https://deutsch.anf-news.com/frauen/von-historischer-marginalisierung-zu-religioser-verfolgung-49099 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/in-syrien-findet-ein-neuer-volkermord-statt-49024 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/totung-eines-ehepaars-lost-konfessionelle-gewalt-in-homs-aus-48976

 

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Würdigung der Sängerin Eyşe Şan in Amed

17. Dezember 2025 - 10:00

Mit einem zweitägigen Programm aus Theateraufführungen, einer Podiumsdiskussion und einem Konzert ehrt die Stadtverwaltung von Amed (tr. Diyarbakır) Eyşe Şan, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der kurdischen Musik. Der Todestag der Ausnahmekünstlerin jährt sich am 18. Dezember zum 29. Mal.

Organisiert vom Ministerium für Kultur, Kunst und Soziales werden an beiden Tagen Eyşe Şans Leben, ihr künstlerisches Schaffen und ihr Vermächtnis für die kurdische Musik unter verschiedenen thematischen Überschriften diskutiert.

Konzert mit 20 Künstler:innen

Das Gedenkprogramm beginnt am Abend des 17. Dezembers um 18:30 Uhr mit einer Theateraufführung im Ali Emiri Kulturzentrum. Das von Berfin Zenderlioğlu vorbereitete Stück, das sich mit dem Leben von Eyşe Şan befasst, wird dem Publikum vorgestellt.

Am zweiten Tag des Programms, dem 18. Dezember, wird um 13:00 Uhr eine Gedenkfeier am Grab von Eyşe Şan auf dem Friedhof von Yeniköy abgehalten. Am frühen Abend findet dann im Ali Emiri Kulturzentrum eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Eyşe Şans musikalisches Leben“ statt. Moderiert von Saliha Ayata, werden Berfin Zenderlioğlu mit einem Vortrag zum Thema „Eyşe Şan als Musikerin und Künstlerin“ und Zeynep Yaş, Leiterin der Abteilung für Kultur, Kunst und Soziales, mit einem Vortrag zum Thema „Eyşe Şans Leben und ihr Platz in der kurdischen Musik“ zu Wort kommen.

Im Anschluss daran wird ein Sonderkonzert mit Werken von Eyşe Şan gespielt. Mit mehr als Künstler:innen auf der Bühne werden Eyşe Şans Stimme und Musik erneut in Amed erklingen.

Eyşe Şan

Eyşe Şan wurde 1938 in Amed als ältestes Kind mehrerer Geschwister geboren. Aufgrund ihrer traditionellen Herkunft hatte sie große Schwierigkeiten, ihr Gesangstalent zu entfalten.

Ihre künstlerische Laufbahn begann mit einer Kassette, die sie im Alter von 15 Jahren veröffentlichte. Insbesondere schuf Şan im Lauf ihres Lebens eine Reihe kurdischer Dengbêj. Sie starb am 18. Dezember 1996 in Izmir an Krebs und hinterließ den nachfolgenden Generationen ein wertvolles und großartiges künstlerisches Erbe.

Die hatte als ihren letzten Willen festgehalten, in Amed beerdigt werden zu wollen. Dieser Wunsch konnte ihr im Sommer dieses Jahres, 29 Jahre nach ihrem Tod, erfüllt werden.

https://deutsch.anf-news.com/kultur/kunstlerin-eyse-San-29-jahre-nach-ihrem-tod-in-amed-beigesetzt-46739 https://deutsch.anf-news.com/kultur/premiere-von-ich-bin-eyse-San-in-koln-29843 https://deutsch.anf-news.com/kultur/dengbej-kunst-ziert-stadtbild-von-tatos-47822

 

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„Frieden beginnt mit Vertrauen“

17. Dezember 2025 - 8:00

Der südafrikanische Jurist, frühere Senator und Verfassungsexperte Mohammed Bhabha war einer der Architekten des demokratischen Übergangs nach dem Ende des Apartheid-Regimes. Bei der „Internationalen Konferenz für Frieden und Demokratische Gesellschaft“ in Istanbul vorletztes Wochenende sprach er über die Erfahrungen des südafrikanischen Befreiungskampfes und die Herausforderungen einer gerechten Friedensordnung. Im Gespräch mit ANF plädiert Bhabha für Dialogbereitschaft, strategische Koordination und vor allem für den Aufbau gegenseitigen Vertrauens – nicht nur als Grundlage für Friedensprozesse, sondern auch als Prüfstein für die moralische Reife politischer Bewegungen.

„Mein Urgroßvater wurde gemeinsam mit Gandhi verhaftet“

Statt einer direkten Formel zur Lösung der kurdischen Frage vorzulegen, schildert Bhabha den langen Weg zur Freiheit, den er im Kampf gegen das rassistische Apartheid-Regime in Südafrika mitgestaltet hat. Seine zentrale Botschaft: „Vor allem muss gegenseitiges Vertrauen und Dialog aufgebaut werden.“

Bhabha betont seine indische Herkunft und wies darauf hin, dass seine Familie seit vier Generationen in Südafrika lebt. Sein Großvater sei zur Zeit Gandhis aus Indien eingewandert. „Mein Urgroßvater wurde gemeinsam mit Mahatma Gandhi verhaftet und sie saßen in derselben Zelle. Später wanderte er nach Südafrika aus. Damals war mein Vater erst 13 Jahre alt. Die Generation meines Urgroßvaters legte großen Wert auf Bildung – nicht zuletzt, weil ihnen selbst der Zugang zu guter Bildung verwehrt war. Sie wollten, dass ihre Kinder und Enkel eine fundierte Ausbildung erhalten. In Südafrika gibt es eine zentrale Abschlussprüfung – fünf Mitglieder unserer Familie haben sie erfolgreich bestanden“, so Bhabha.

„Die Universität wurde zur Keimzelle politischer Bewusstwerdung“

Unter dem Apartheid-Regime war es Schwarzen und People of Color untersagt, reguläre Schulen zu besuchen. Daher sah sich diese Generation gezwungen, eigene Bildungseinrichtungen zu gründen. Landesweit standen nur zwölf medizinische Zentren zur Verfügung, die von Schwarzen aufgesucht werden durften. Die wenigen zugänglichen Universitäten entwickelten sich in dieser Situation zu Brutstätten des politischen Widerstands. „Ich selbst politisierte mich während meines Jurastudiums und begann, den African National Congress (ANC) zu organisieren“, erzählt Bhabha. Viele seiner Kommiliton:innen verließen das Land nach dem Abschluss – sie flohen vor der Repression. „Wir lebten in einem System permanenter Putschgefahr. Studentische Anführer wurden systematisch verhaftet. Länder wie Irland, Ägypten, Indien oder die Niederlande nahmen viele von ihnen auf.“

„Wir planten alles mit hoher Organisationskraft“

Auch Bhabha wurde im Verlauf seines politischen Engagements verhaftet, war jedoch vor allem als Rechtsanwalt für inhaftierte Mitstreiter:innen tätig. Die Bewegung sei in dieser Zeit hochgradig organisiert gewesen, so Bhabha: „Wir hatten Juristen, wir hatten Ärzte. Wenn Genossen angeschossen wurden, verfügten wir über Strukturen, um sie medizinisch versorgen zu lassen. Wir Anwälte waren Teil dieses Systems. Für Verhaftete gab es Unterstützungsnetzwerke. Alles wurde mit großer strategischer Weitsicht geplant. Einige gingen ins Ausland, um internationale Kontakte zu knüpfen, andere blieben im Land, um eine eigene Gesundheits- und Rechtsstruktur aufzubauen. Manche sollten Führungspersönlichkeiten werden, andere kämpften im bewaffneten Widerstand. Wir konnten nicht alle in den bewaffneten Kampf schicken – die Bewegung musste viele Rollen erfüllen.“

„Schulen, Krankenhäuser, Strände – uns war alles verboten“

Im Unterschied zur Situation der Kurd:innen in der Türkei habe das Apartheid-Regime in Südafrika eine vollständige Abriegelung der nichtweißen Bevölkerung betrieben, so Bhabha. „Während Kurden in der Türkei Zugang zu Schulen oder medizinischer Versorgung haben, war uns alles verwehrt. Schulen, Krankenhäuser – für uns verboten. An den Strand durfte ich nicht – gesetzlich untersagt. Ein winziger Abschnitt war für uns vorgesehen, aber dort war kaum Platz.“ Auch persönliche Beziehungen wurden durch rassistische Gesetzgebung kriminalisiert: „Es war verboten, mit weißen Frauen eine emotionale Beziehung einzugehen. Wer dabei erwischt wurde, kam ins Gefängnis. Schwarze Männer wurden dann der ‚sexuellen Gewalt‘ bezichtigt – manche wurden sogar hingerichtet. Als ich 15 war, wurde das Gesetz über ‚Gruppenbereiche‘ erlassen. Damit wurde auch das Geschäft meines Vaters zerstört.“

„Wir durften nicht dieselben Busse oder Züge wie Weiße benutzen“

„Wir durften nicht in dieselben Busse oder Züge steigen wie die Weißen – das war Apartheid“, berichtet Mohammed Bhabha. Aufgrund seiner helleren Hautfarbe sei seine Situation mitunter noch komplizierter gewesen: „Als Kind stand ich stundenlang an Haltestellen, weil die Fahrer nicht einordnen konnten, ob ich weiß oder schwarz war. Die Busse für Schwarze fuhren einfach weiter, wenn sie unsicher waren – ebenso die für Weiße. Erst später kam ich auf die Idee, schwarze Frauen zu bitten, mich einfach mitzunehmen, wenn sie einstiegen.“ Bei aller Härte des Systems gab es auch Momente der Selbstbehauptung: „Nicht alles war tragisch. Wir hatten unsere eigene Musik, unsere eigene Kunst, unseren eigenen Jazz. Das war großartig.“

Drei Säulen des Erfolgs im Kampf gegen Apartheid

Den Erfolg des Widerstands gegen das Apartheid-Regime führt Bhabha auf drei strategische Säulen zurück:

Internationale Diplomatie: „In den 1980er Jahren waren Ronald Reagan Präsident der USA und Margaret Thatcher Premierministerin Großbritanniens – beides Gegner unserer Bewegung. Dennoch gelang es uns, mit schwarzen Kongressabgeordneten in den USA und mit der Labour-Partei in Großbritannien in Kontakt zu treten. Ohne eine moralische Grundlage lässt sich keine Bewegung aufbauen, also fokussierten wir uns zuerst auf diplomatische Beziehungen und eine klare Botschaft: Nicht ‚Afrika den Afrikanern’, sondern: Apartheid ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Botschaft konnten Reagan und Thatcher zwar ablehnen, aber nicht verhindern, dass sie sich weltweit verbreitete.“

Arbeitskämpfe: „Die Wirtschaft war auf uns angewiesen. Die Bergbauindustrie war ohne schwarze Arbeitskräfte nicht denkbar, denn 95 Prozent der Arbeiterklasse waren Schwarze. Mit täglichen Streiks machten wir das Land unregierbar.“

Der bewaffnete Arm mit moralischen Grenzen: „Wir waren keine große militärische Macht. Unsere Kämpfer wurden unter anderem von Muammar al-Gaddafi ausgebildet, Jassir Arafat unterstützte uns, auch die IRA zeigte Solidarität. Aber wir wussten: Unser Modell durfte moralisch nicht scheitern. Deshalb griffen wir niemals Zivilisten an, sondern konzentrierten uns ausschließlich auf strategische Ziele. Natürlich wurden Fehler gemacht, aber der Konsens innerhalb der Bewegung lautete: Keine Angriffe auf zivile Einrichtungen. Nur so konnten wir internationale Unterstützung gewinnen. Denn auch wenn man im Recht ist, darf man nicht zu unethischen Mitteln greifen, sonst verliert man die moralische Legitimation.“

„Die Kirche spielte eine entscheidende Rolle“

Ein zentraler Faktor bei der Einbindung der weißen Bevölkerung in den südafrikanischen Befreiungsprozess war nach Bhabhas Worten die Kirche. „Etwa 90 Prozent der Bevölkerung waren Christen“, erklärt er. Es sei gelungen, moralischen Druck auf Glaubensgemeinschaften auszuüben, sodass viele Kirchen begannen, sich offen gegen die Apartheid zu positionieren. Dies markierte den Beginn der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft.

„Wir haben internationalen kirchlichen Gruppen und Glaubensgemeinschaften klargemacht, dass Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. In dieser neuen moralischen Atmosphäre begannen auch Weiße, sich uns anzuschließen“, berichtet Bhabha. Einige von ihnen agierten sogar verdeckt in den Reihen der Bewegung. „Manche übernahmen stille Aufgaben – wir haben bewusst nicht jedem eine Waffe in die Hand gegeben. Ein Krieg wird an vielen Fronten geführt: Juristen, Aktivisten, Kämpfer –jeder hat eine Rolle. Einer meiner weißen Freunde war Polizist. Anfangs war er als Spitzel unter uns, doch später wurde er ein wirklicher Verbündeter.“

„Am Anfang steht ein Tee oder Kaffee“

Den wichtigsten Ausgangspunkt eines jeden Friedensprozesses sieht Bhabha im Aufbau von Vertrauen und Dialog: „Es beginnt wirklich mit einem Tee oder Kaffee. Wenn man einen ernsthaften Weg zur Lösung gehen will, braucht es zuerst gegenseitiges Vertrauen.“ Beide Seiten müssten sich mit Überzeugung dem Prozess verpflichten. „Du musst zulassen, dass dein Feind zu deinem Partner wird. Aus dieser Partnerschaft entsteht dann ein Ergebnis – und das ist kein leichter Weg.“

Ein zentrales Element dieses Vertrauensaufbaus sei die Frage, ob die andere Seite es ernst meine. „Wenn man sie an den Verhandlungstisch bringt, lernt auch sie, dir zu vertrauen.“ Als Nelson Mandela freigelassen wurde, hielten viele in der weißen Bevölkerung ihn noch für einen Terroristen. „Heute gilt er als Nationalheld. Das zeigt: Vertrauen ist ein Prozess. Je mehr man selbst aufrichtig ist, desto mehr wird auch die Gegenseite ihre Aufrichtigkeit zeigen.“

Der moralische Kompass sei dabei entscheidend: „Wir mussten unser ethisches Fundament aufrechterhalten. Nachdem wir das geschafft hatten, sagten wir zur Regierung: ‚Geht nun und sprecht mit euren eigenen gesellschaftlichen Gruppen.‘ So testeten wir ihre Ernsthaftigkeit. Schließlich wurde ein Referendum über Veränderungen abgehalten. Nicht alle, aber eine deutliche Mehrheit unterstützte sie. Wir behielten die moralische Oberhand und genau das war der Schlüssel zum Erfolg.“

„Mit Mandelas Freilassung war der Point of No Return erreicht“

Ein zentrales Element der internationalen Anti-Apartheid-Bewegung waren globale Boykotte, wie Mohammed Bhabha betont. „Weiße Südafrikaner liebten Rugby. Aufgrund unserer Boykottkampagnen durften sie jedoch an keinem internationalen Wettbewerb mehr teilnehmen. Also sagten wir ihnen: Wenn ihr euch auf den Verhandlungsprozess einlasst, werdet ihr wieder internationale Rugbyspiele bestreiten dürfen.“ Dies sei ein bewusst eingesetzter Hebel gewesen, so Bhabha. Zum Vergleich fügt er hinzu: „Ein kurdischer Fußballspieler kann in der Türkei heute in einem Team spielen. In Südafrika hingegen war es Schwarzen schlicht verboten, auf einem Spielfeld zu stehen. Auch Rugby oder Cricket durften wir nicht spielen.“

Auch gegenüber der Wirtschaft setzte man gezielt Anreize: „Wir sagten: Stellt euch vor, wie viel Geld ihr verdienen könntet, wenn die Sanktionen aufgehoben würden. Das war sozusagen das Prinzip ‚Zuckerbrot und Peitsche‘.“ Dennoch, betont Bhabha, habe man die bewaffnete Auseinandersetzung nicht sofort beendet – auch nicht nach der Freilassung Nelson Mandelas: „Die Apartheid war schließlich noch nicht gefallen. Aber wir wussten: Mit seiner Freilassung war der Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gab. Sie markierte zugleich den Beginn eines echten Dialogprozesses. Für uns war Mandelas Entlassung der erste konkrete Schritt in Richtung Verhandlungen – ein Test für die Ernsthaftigkeit der Gegenseite.“

„Zwei Jahre geheime Gespräche vor Mandelas Freilassung“

Was die Öffentlichkeit nicht wusste: Der eigentliche Dialog hatte schon Jahre vor Mandelas Freilassung begonnen – hinter verschlossenen Türen. „Noch bevor man öffentlich miteinander spricht, muss es geheime Vorverhandlungen geben. Diese Gespräche bilden die Grundlage des gesamten Prozesses“, erklärt Bhabha. Auch wenn Mandela erst 1991 freikam, begannen die verdeckten Gespräche bereits 1986/87. Rund zwei Jahre dauerten sie an.

„Wir nahmen direkten Kontakt zu den Nachrichtendiensten unseres Gegners auf und machten klar, dass wir auf einen Bürgerkrieg zusteuerten. Sie stimmten uns zu und ihre Geheimdienste halfen dabei, die politischen Führungskräfte zu überzeugen.“ Auf Regierungsseite wussten anfangs nur drei oder vier Personen von den Gesprächen. „Dann begannen wir, ein politisches Klima zu schaffen, das Mandelas Freilassung möglich machen würde.“ Doch der Weg war gefährlich: „Kaum saßen wir am Verhandlungstisch, begannen Bomben zu explodieren. Rechtsextreme Gruppen, die um ihre Macht fürchteten, griffen ein.“ Dennoch setzten die Gespräche sich fort.

„Mein größtes Bedauern: Wir hätten wirtschaftlich viel mehr erreichen können“

Am Ende des Gesprächs äußert Mohammed Bhabha auch Selbstkritik – insbesondere in Bezug auf die ökonomische Transformation nach dem Ende des Apartheid-Regimes. „Mein größtes Bedauern betrifft das wirtschaftliche Modell. In den Verhandlungen hätten wir mehr für die Umverteilung wirtschaftlicher Macht tun müssen. Diese Frage schmerzt mich bis heute“, gesteht er.

Man habe die Machtstrukturen innerhalb der Wirtschaft und deren Netzwerke unterschätzt. „Man kann noch so viele Gesetze im Parlament verabschieden – die Wirtschaft funktioniert nach ihren eigenen, ungeschriebenen Regeln. Es ist ein geschlossenes System, das nicht einfach seine Tore öffnet.“

Auch drei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit sei das Bild ernüchternd: „69 Prozent der industriellen Eigentümer sind weiterhin weiße Männer.“ Trotz zahlreicher wirtschaftspolitischer Gesetzesinitiativen halte ihr Widerstand an. Dennoch bleibt Bhabha hoffnungsvoll: „Seitdem uns der Zugang zum Bildungssystem offensteht, bedeutet jeder neue schwarze Absolvent auch neue Hoffnung. Die Schritte hin zu einer demokratischeren Wirtschaftsordnung wird die nächste Generation gehen müssen.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/abschlusserklarung-der-istanbuler-friedenskonferenz-49208 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/holloway-Ocalans-theorie-gibt-der-revolution-neue-relevanz-49193 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/paech-kurdische-identitat-braucht-kollektive-rechte-49151

 

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Gedenken in Paris: Kurdische Organisationen fordern Aufklärung von Anschlägen

17. Dezember 2025 - 8:00

Mit mehreren Veranstaltungen erinnern kurdische Organisationen in Frankreich an die tödlichen Anschläge auf kurdische Aktivist:innen in Paris in den Jahren 2013 und 2022. Die Kurdische Frauenbewegung in Frankreich (TJK-F) und der Demokratische Kurdische Rat in Frankreich (CDK-F) riefen zur Teilnahme an Gedenkveranstaltungen, Demonstrationen und Podiumsdiskussionen auf. Die Morde sind bis heute nicht aufgeklärt, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung.

Am 9. Januar 2013 waren die drei Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Kurdistan-Informationszentrum in der Pariser Rue La Fayette von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes erschossen worden. Fast zehn Jahre später, am 23. Dezember 2022, wurden bei einem Angriff auf ein kurdisches Kulturzentrum ganz in der Nähe erneut drei Menschen von einem Franzosen getötet: die Politikerin Evîn Goyî, der Musiker Mîr Perwer und der Aktivist Abdurrahman Kızıl.

Straflosigkeit schafft den Nährboden für neue Verbrechen

„Beide Taten richteten sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern gegen die kurdische Freiheitsbewegung insgesamt. Diese Angriffe galten dem Kampf für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und dem friedlichen Zusammenleben der Völker“, erklärten TJK-F und CDK-F. Trotz zahlreicher Forderungen sei die politische Dimension der Anschläge nie vollständig aufgearbeitet worden. Besonders das Attentat von 2013 sei ein staatlicher Mord im Herzen Europas gewesen, der bislang straflos geblieben sei.

Die Organisationen warnten vor den Folgen einer anhaltenden Straflosigkeit. „Straflosigkeit schafft den Nährboden für neue Verbrechen, Schweigen macht mitschuldig“, hieß es weiter. Man werde nicht zulassen, dass die Verbrechen in Vergessenheit geraten.

In der Erklärung wurden die Getöteten als Persönlichkeiten gewürdigt, die sich in verschiedenen Bereichen engagiert hätten: „Sakine Cansız war eine Pionierin der kurdischen Frauenbewegung, Fidan Doğan hat sich für den interkulturellen Dialog eingesetzt, Leyla Şaylemez stand für die Hoffnung und den Widerstand der Jugend. Auch Evîn Goyî, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl haben sich in Exil und Diaspora für Menschenrechte, Kultur und politische Teilhabe engagiert. Ihr Kampf ist nicht vorbei und wird von uns weitergeführt“, erklärten die beiden Organisationen.

Veranstaltungen zum Gedenken

Für die Jahrestage sind folgende Programmpunkte angekündigt:

▪ 23. Dezember, 11:00 Uhr: Gedenkveranstaltung im Ahmet-Kaya- Kulturzentrum, Paris

▪ Besuch des Grabes von Nazif Aktaş, einem 1985 getöteten Revolutionär, mit einer kurzen Zeremonie

▪ 23. Dezember, 19:00 Uhr: Große Gedenkveranstaltung im Espace Venise, 30 Route de Groslay, Sarcelles (95200)

▪ 9. Januar, 12:00 Uhr: Gedenken vor dem Kurdistan-Informationsbüro in Paris

▪ 10. Januar, 10:00 Uhr: Zentraler Gedenkmarsch ab Bahnhof Gare du Nord

Die TJK-F und der CDK-F rufen die kurdische Community sowie Frauen, Jugendverbände, demokratische Organisationen, politische Gruppen und solidarische Öffentlichkeit zur Teilnahme auf. Man wolle gemeinsam ein Zeichen gegen politische Gewalt und für Gerechtigkeit setzen. „Wir werden die Attentate von Paris nicht vergessen. Die Erinnerung an unsere Gefallenen wird in unserem Einsatz für Freiheit und Frieden weiterleben“, erklärten die Veranstalter:innen.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/paris-staatsgeheimnis-luften-straffreiheit-beenden-44969 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/demonstration-die-morder-sind-bekannt-frankreich-schweigt-in-paris-44961 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/cdk-f-antikurdischer-terror-wird-verharmlost-und-entpolitisiert-36514 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/der-anschlag-in-paris-und-die-verschwundene-tasche-des-taters-40294
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