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Aktualisiert: vor 48 Minuten 38 Sekunden

Syrische Übergangsregierung streicht Minderheiten-Feiertage

5. Oktober 2025 - 19:00

Ein neues Feiertagsdekret der syrischen Übergangsregierung hat landesweit für Unmut gesorgt. Das Dekret lässt wichtige kulturelle und religiöse Feiertage der kurdischen, assyrischen und anderer Bevölkerungsgruppen unberücksichtigt. Kritiker:innen werfen der Übergangsregierung vor, damit die ausgrenzende Politik früherer Regierungen fortzuführen und die kulturelle Vielfalt des Landes zu missachten.

Konkret geht es um das am Sonntag veröffentlichte Dekret Nr. 188, das offizielle Feiertage festlegt. Nicht berücksichtigt wurden darin unter anderem Newroz, das kurdische Neujahrsfest am 21. März, das auch in Ländern wie Iran, Afghanistan und mehreren zentralasiatischen Staaten begangen wird und 2010 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt wurde; Akitu, das Neujahrs- und Frühlingsfest der syrisch-aramäischen und chaldäischen Gemeinschaften, das jährlich am 1. April gefeiert wird und auf eine mehr als 6000-jährige Tradition in Mesopotamien zurückgeht; sowie das „Fest der Freude an Gott“ der religiösen Minderheit der Murshidiyya vom 25. bis 27. August.


Auch der „Märtyrertag“ am 6. Mai, der an 21 prominente arabische Nationalisten – darunter Schriftsteller, Journalisten, Juristen und Lehrer – erinnert, die im Jahr 1916 auf Anordnung des osmanischen Gouverneurs von Syrien Cemal Pascha in Damaskus und Beirut hingerichtet wurden, sowie der Weltlehrertag am 5. Oktober fanden keinen Eingang in die Liste der offiziellen Feiertage. Beobachter:innen werten das als Rückschritt für das gesellschaftliche Zusammenleben in Syrien.

„Ein Rückfall in zentralistische Politik“

Kritik kommt insbesondere aus den von der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) kontrollierten Gebieten des Landes. Dort gilt sowohl Newroz als auch Akitu seit Jahren als offizieller Feiertag. Vertreter:innen lokaler Institutionen äußerten sich enttäuscht und warnten, das Dekret sende ein negatives Signal an die vielfältigen Bevölkerungsgruppen Syriens.

„Diese Entscheidung ignoriert die Realität eines multiethnischen und multireligiösen Landes“, sagte ein Vertreter aus der Region. Der Ausschluss zentraler kultureller Feste werde als Versuch gewertet, „die kulturelle Identität und Präsenz dieser Gemeinschaften aus dem öffentlichen Bewusstsein zu drängen“.

Wiederholung früherer Ausgrenzungspolitik

Das neue Dekret erinnert auch an frühere Maßnahmen des ehemaligen syrischen Baath-Regimes, das über Jahrzehnte hinweg Feiertage wie Newroz ignoriert oder in ihrer Bedeutung umgedeutet hatte. So war etwa im Jahr 1988 der 21. März – Tag des Newroz-Festes – per Dekret offiziell als „Muttertag“ festgelegt worden, ohne den kurdischen Feiertag zu erwähnen. Nord- und Ostsyrien sieht im aktuellen Schritt der selbsternannten und von Islamisten der Dschihadistenallianz „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) geführten Übergangsregierung eine bewusste Kontinuität dieser Politik. Regelungen, die kulturelle Rechte nicht respektieren, könnten „weder gerecht noch tragfähig“ sein, hieß es.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/feiern-zum-assyrischen-neujahrsfest-akitu-45787 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/newroz-feiern-in-nord-und-ostsyrien-45673 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/1-mai-wird-feiertag-in-nord-und-ostsyrien-41999

 

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QSD melden über 70 Festnahmen bei Einsatz in Ain Issa

5. Oktober 2025 - 19:00

Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben gemeinsam mit den Sicherheitskräften der Autonomieverwaltung (Asayîş) eine großangelegte Sicherheitsoperation gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und die organisierte Kriminalität nahe der Kleinstadt Ain Issa durchgeführt. Nach Angaben der QSD wurden dabei 71 Personen festgenommen, darunter auch mutmaßliche IS-Zellen und Mitglieder krimineller Netzwerke.

Die Aktion fand demnach in der Ortschaft al-Hishah (ku. Hişê) und ihrer Umgebung, rund 15 Kilometer östlich des Stadtkerns von Ain Issa, statt. Beteiligt waren Sondereinheiten der QSD sowie Einsatzkräfte der Asayîş für innere Sicherheit und deren Anti-Terror-Einheit HAT. Ziel sei es gewesen, gewaltbereite Strukturen zu zerschlagen, die für Anschläge, bewaffnete Übergriffe, Raubüberfälle und Drogenhandel verantwortlich gemacht werden.

Video der QSD-Pressestelle zeigt Szenen der Operation in Ain Issa

Laut den QSD war die Operation Ergebnis umfangreicher nachrichtendienstlicher Vorarbeit und einer gezielten Beobachtung der Region. Bei den Einsätzen seien Waffen, Munition und Material sichergestellt worden, die mutmaßlich zur Vorbereitung oder Durchführung von Anschlägen verwendet wurden. Die Durchsuchungen hätten nach Angaben unter Berücksichtigung des Schutzes der Zivilbevölkerung stattgefunden.

Bevölkerung begrüßt Sicherheitsmaßnahmen

Das multiethnische Bündnis erklärte, der Einsatz habe breite Zustimmung in der lokalen Bevölkerung erfahren. „Anwohnerinnen und Anwohner haben die Operation als wichtigen Beitrag zur Stabilität der Region gewertet und ihre Unterstützung für die Sicherheitskräfte bekräftigt“, hieß es in der Mitteilung. Die QSD kündigten auch an, ihre Aufklärungs- und Sicherheitsaktivitäten fortzusetzen, um verbliebene IS-Zellen und Strukturen der organisierten Kriminalität weiter zu bekämpfen. „Unsere Arbeit wird andauern, um die Bevölkerung vor Terror und Verbrechen zu schützen.“

Strategisch wichtige Stadt

Die Kleinstadt Ain Issa befindet sich südlich der türkisch besetzten Region um Girê Spî (Tall Abyad) und ist als Verbindungsglied zwischen den Kantonen Firat und Cizîrê von strategischer Bedeutung. Seit 2019 befindet sich die an der wichtigen Verkehrsstraße M4 gelegene Stadt im Rahmen eines Zermürbungskrieges im Fadenkreuz der Türkei und ihrer islamistischen Milizen, Phasen mit hoher Intensität wechseln sich mit Phasen niedriger Intensität ab. Dutzende Dörfer in der Region sind durch die türkische Militärgewalt bereits zerstört und entvölkert worden. Darüber hinaus legten mehrere Luftoffensiven der Türkei in den letzten Jahren weite Teile der Infrastruktur Ain Issas in Schutt und Asche.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/ain-issa-ein-toter-nach-explosion-von-blindganger-46355 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-besatzungsangriffe-gegen-firat-kanton-dauern-an-45474 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/strassensanierung-bei-ain-issa-bauarbeiten-wieder-aufgenommen-46858

 

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Kraftwerke gefährden Wasserfall Çirava Êzîdiyan

5. Oktober 2025 - 17:00

Der Çirava-Êzîdiyan-Wasserfall bei Bêgirî (tr. Muradiye) in der nordkurdischen Provinz Wan (Van) ist durch den Betrieb mehrerer Wasserkraftwerke von Austrocknung bedroht. Wie Umweltgruppen schon länger berichten, ist die Wassermenge des Flusses Bendîmahî, der den Wasserfall speist, in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Grund dafür sei die Inbetriebnahme mehrerer Kleinwasserkraftwerke, die in der Region gebaut wurden.

Nach offiziellen Angaben befinden sich derzeit acht Kraftwerke entlang des Flusslaufs in Betrieb, darunter zwei direkt im Einzugsgebiet des Wasserfalls. Das größte unter ihnen, die Anlage „Muradiye Ayrancılar“, wurde 2011 eröffnet und produziert nach Unternehmensangaben mehr als 124 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Die Anlage gilt als die leistungsstärkste ihrer Art in der Provinz.

Trotz des Schutzstatus als Naturdenkmal und nachhaltiges Schutzgebiet, den der auf Türkisch als Muradiye-Wasserfall bekannte Çirava Êzîdiyan im Mai 2023 erhielt, zeigen sich in der Umgebung zunehmend ökologische Schäden: Die Wasserführung ist deutlich zurückgegangen, Bäume und Pflanzen trocknen aus, und in den Gewässern rund um den Wasserfall mehren sich Berichte über tote Fische.

Bedrohte Fischarten und Auswirkungen auf Landwirtschaft

Insbesondere die im Wan-See heimische Perlenbarbe (Alburnus tarichi, auch Vankarpfen), die für die Region von ökologischer wie wirtschaftlicher Bedeutung ist, sieht sich in ihrem natürlichen Lebensraum gefährdet. Durch den verringerten Wasserstand und den gestörten Verlauf des Bendîmahî-Flusses sind laut Anwohnenden die traditionellen Wanderwege der Fische unterbrochen – die Bestände seien stark rückläufig.

Auch die Landwirtschaft und Tierhaltung in den umliegenden Dörfern sind nach Angaben von Bewohner:innen erheblich beeinträchtigt. Der Wasserfall und der Fluss sind nicht nur ein Naturwahrzeichen, sondern auch lebenswichtige Ressourcen für die lokale Bevölkerung.

Appell an die Behörden

Umweltschützer:innen und Anwohner:innen fordern von den Behörden dringende Maßnahmen, um das Ökosystem zu schützen und weitere Schäden zu verhindern. Die Nutzung natürlicher Ressourcen dürfe nicht zur Zerstörung ökologischer Lebensräume führen, betonen sie. Der Wasserfall in Bêgirî sei ein „Naturerbe von nationaler Bedeutung“, dessen Schutz im Interesse zukünftiger Generationen liege.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/energieprojekte-setzen-natur-in-wan-unter-druck-48115 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/kiesabbau-von-umstrittenem-unternehmer-bedroht-zilan-fluss-48233 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/durre-im-xurs-tal-lebensgrundlage-von-uber-10-000-menschen-bedroht-47939

 

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Kongra Star ruft zu Protesten am 9. Oktober auf

5. Oktober 2025 - 17:00

Die Frauenbewegung Kongra Star in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien hat das internationale Komplott gegen den kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan scharf kritisiert. Auf einer Kundgebung am Sonntag in Qamişlo bezeichnete die Organisation die damaligen Ereignisse als Angriff auf „die Menschheit insgesamt“ und sprach sich erneut für Öcalans Freilassung aus.

Am 9. Oktober 1998 musste Öcalan auf internationalen Druck durch die Türkei und die NATO Syrien verlassen und begab sich auf eine Odyssee durch verschiedene Länder Europas für einen Friedensprozess, die am 15. Februar 1999 in eine internationale Geheimdienstoperation mit der Folge seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus der griechischen Botschaft in Nairobi auf die türkische Gefängnisinsel Imrali mündete.

 


Protest gegen fortgesetzte Haft

Die Erklärung wurde von der Lehrerin Esmehan Sedûn im Namen der Koordination von Kongra Star verlesen. Darin hieß es: „Wir verurteilen das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan. Es richtete sich nicht nur gegen eine Person, sondern gegen alle, die für Frieden, Demokratie und Frauenrechte eintreten.“ Sedûn erklärte, Öcalans Ideen hätten weltweit Bedeutung für die Gleichstellung von Frauen und den Aufbau eines freien Lebens. Seine Isolation sei Ausdruck patriarchaler Herrschaftssysteme, die durch seine Ideen in Frage gestellt würden.

Obwohl Öcalan seit 1999 unter Isolationshaft steht, seien seine Gedanken weiterhin „eine Quelle für Frieden und Menschenrechte“, erklärte die Sprecherin weiter. Kritisiert wurde auch, dass weder die türkische Regierung noch internationale Akteure bislang konkrete Schritte für eine politische Lösung der kurdischen Frage unternommen hätten.

Aufruf zur Beteiligung an Protesten am 9. Oktober

Kongra Star rief zugleich zur Teilnahme an Demonstrationen zum 27. Jahrestag von Öcalans erzwungenen Ausreise aus Syrien und damit dem Beginn des Komplotts auf. Gleichzeitig solle gegen die türkisch-dschihadistische Besetzung der nordsyrischen Städte Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) protestiert werden, die sich in diesem Monat zum sechsten Mal jährt.

Zum Abschluss der Kundgebung skandierten Teilnehmerinnen Parolen wie „Ohne den Vorsitzenden kein Leben“, „Nieder mit der Sklaverei“ und „Jin Jiyan Azadî – „Frau, Leben, Freiheit“ – eine Losung, die sich in den letzten Jahren über die kurdische Befreiungsbewegung hinaus international verbreitet.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-friedensprozess-braucht-klare-politische-und-juristische-grundlagen-48225 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalans-pladoyer-fur-den-freien-menschen-als-horbuch-download-38839 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hatimogullari-ohne-konkrete-schritte-wird-dieser-prozess-nur-verschleppt-48229

 

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Zivilist bei Beschuss nahe Dair Hafir verletzt

5. Oktober 2025 - 15:00

Bei einem Drohnenangriff nahe der nordsyrischen Gemeinde Dair Hafir ist am Sonntag ein Zivilist verletzt worden. Wie aus Quellen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) verlautete, wurde der Angriff durch eine Drohne ausgeführt, aus der mehrere Projektile abgeschossen wurden. Quelle der Attacke waren demnach bewaffnete Gruppen, die den Truppen der syrischen Übergangsregierung nahestehen.

Der Verletzte wurde in der Nähe des Grenzübergangs Dair Hafir getroffen und anschließend in ein Krankenhaus gebracht, hieß es weiter. Wie schwer seine Verletzungen sind, wurde zunächst nicht bekannt.

Die Region rund um das östlich von Aleppo gelegene Dair Hafir ist in den vergangenen Wochen mehrfach Ziel ähnlicher Angriffe gewesen. Besonders schwerwiegend war ein Vorfall in der Nacht vom 20. auf den 21. September: Damals wurden bei einem Drohnenangriff auf das Dorf Umm al-Tina acht Zivilisten getötet und drei weitere verletzt. Die QSD machten pro-türkische Dschihadisten unter Kontrolle der syrischen Übergangsregierung verantwortlich.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/strassensperre-der-syrischen-regierung-behindert-reiseverkehr-im-nordosten-48245 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zahl-der-toten-nach-angriff-auf-dair-hafir-auf-acht-gestiegen-48069 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/Ubergangsregierung-errichtet-barrieren-in-kurdischen-vierteln-von-aleppo-48181

 

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Straßensperre der syrischen Regierung behindert Reiseverkehr im Nordosten

5. Oktober 2025 - 15:00

Truppen der syrischen Übergangsregierung haben am Sonntagmorgen eine zentrale Verbindungsstraße zwischen der Stadt Salamiyya im Landesinneren und dem Kanton Tabqa im Nordosten Syriens blockiert. Die Sperrung betrifft die Straße über Athriya und Khanasser, die als strategisch wichtige Verbindung zwischen den Gebieten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und dem übrigen Staatsgebiet gilt.

Die Straße war in den vergangenen Tagen verstärkt genutzt worden, nachdem Regierungstruppen bereits am 27. September die Route von Dair Hafir nach Aleppo gesperrt hatten. Viele Reisende wichen daher auf die längere Strecke über Salamiyyaaus, um nach Aleppo zu gelangen.

Am Morgen kam der Verkehr jedoch erneut zum Erliegen: Dutzende Busse und Fahrzeuge stauten sich am südlichen Zugang bei Tabqa. Nach Angaben von Fahrern errichteten Einheiten der islamistischen Regierung in Damaskus an mehreren Kontrollpunkten Erdwälle, um den Durchgang vollständig zu blockieren.

Nach wie vor befinden sich Hunderte Fahrzeuge im Stau. Viele Passagiere sind Studierende auf dem Weg zu Universitäten oder Patient:innen, darunter auch Krebskranke, die medizinische Behandlungen in Aleppo wahrnehmen wollten. Offizielle Angaben zu den Hintergründen der Sperrung lagen zunächst nicht vor.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/Ubergangsregierung-sperrt-wichtige-verbindung-aleppo-raqqa-48133 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mehrere-verletzte-bei-neuen-angriffen-auf-dair-hafir-48085 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/Ubergangsregierung-errichtet-barrieren-in-kurdischen-vierteln-von-aleppo-48181

 

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Paramaz Kızılbaş und eine Sternstunde am Miştenûr - Reupload

5. Oktober 2025 - 15:00

Der Miştenûr ist ein etwa 50 Meter hoher Hügel südöstlich von Kobanê. Er liegt an strategischer Stelle und überblickt die ganze Stadt. Seine Einnahme würde einen ungehinderten Einfall in Kobanê ermöglichen. Genau das geschah im Herbst 2014, beim großen Kampf um Kobanê, als die bis dahin für die meisten Menschen unbedeutende Stadt im Norden Syriens zum Symbol des Ringens zwischen Gut und Böse wurde. Miştenûr ist der Ort, an dem Arîn Mîrkan, eine junge YPJ-Kommandantin aus Efrîn, am 5. Oktober 2014 einen Versammlungspunkt des IS überrannte und inmitten der Dschihadisten die Handgranaten in ihrem Brotsack zündete. Ihr Widerstand versinnbildlichte den Durchhaltewillen der Verteidiger:innen Kobanês und machte dem Westen, der sie entweder als „Selbstmordattentäterin” feierte, oder dieser „Aufopferungsaktion”, die den Kampf schlussendlich zu Gunsten der YPG und YPJ wendete, hilf- und verständnislos gegenüberstand, auf drastische Weise deutlich, um welchen Preis es für Rojava ging. Und er markierte den Wendepunkt in der „Schlacht” gegen den IS. In 134 Tagen Widerstand für jedes Viertel, jede Gasse und jedes Haus in Kobanê brachten die YPG und YPJ der „größten Terrormiliz des 21. Jahrhunderts” die erste, aber vor allem entscheidende Niederlage bei.

„Immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt.“ Stefan Zweig

In seinem Weltbestseller „Sternstunden der Menschheit” versammelt der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig vierzehn Miniaturen, die von historischen Begebenheiten erzählen, deren Auswirkungen die Geschichte der Menschheit verändert haben. Der Bogen spannt sich von der römischen Diktatur über die Schlacht bei Waterloo bis hin zum gescheiterten Versailler Frieden. Im Mittelpunkt der Erzählungen steht die seelische Verfassung der ausschließlich männlichen und vor allem europäischstämmigen Akteure. Vermutlich wäre es müßig zu spekulieren, ob Zweig auch heute noch das heroische Geschichtsbild im Sinne des Historikers Heinrich von Treitschke - „Männer machen die Geschichte“ - vertreten würde. Doch beim Blick auf die Revolution von Rojava kommt man nicht drum herum, Zweigs Annahme, dass nicht kollektive Kräfte, sondern stets große Charaktere das Weltgeschehen bewegten, zu belächeln.

Ağırnaslı bei der „Karawane der Gefallenen“

Als der seit Ende September mit Panzern, schweren Geschützen und einem unerschöpflichen Reservoir an Truppennachschub aus der Türkei angegriffene Miştenûr am 5. Oktober 2014 für eine Zeitlang in die Hände des IS fiel, war auch Suphi Nejat Ağırnaslı Teil des kollektiven Widerstands von Kobanê. Ob er bereits an diesem Tag starb oder erst später, ist nicht eindeutig geklärt. In jedem Fall geriet er am Todestag von Arîn Mîrkan in IS-Gefangenschaft. Am 7. Oktober gaben die YPG, denen er angehörte, bekannt, dass sich Ağırnaslı der „Karawane der Gefallenen“ angeschlossen hat. Erst nach der Befreiung des Miştenûr irgendwann im darauffolgenden Januar konnte die Suche nach seinem Leichnam aufgenommen werden. Es sollten noch elf Monate vergehen, bis man fündig wurde.

Das Grab von Suphi Nejat Ağırnaslı in Kobanê

Suphi Nejat Ağırnaslı wurde 1984 in Söke, einer Stadt an der Ägäisküste, in eine linke Familie geboren. Seine polizeilich gesuchte Mutter Nuran, die nach den Militärputschen 1971 und 1980 eine Weile im Gefängnis saß, brachte ihn abends auf die Welt, am nächsten Morgen flüchtete sie mit dem Neugeborenen auf dem Arm aus dem Krankenhaus. Suphis Großvater Niyazi Ağırnaslı war in den 1960er Jahren Senator der Arbeiterpartei TIP und gehörte 1971 zu den Rechtsanwälten der revolutionären Führer der 68er-Bewegung Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan. Benannt wurde Suphi Nejat nach zwei Gründern der historischen Kommunistischen Partei der Türkei (TKP), Mustafa Suphi und Ethem Nejat, die 1921 gemeinsam mit allen restlichen dreizehn Mitgliedern des TKP-Zentralkomitees in Trabzon von Kemalisten ermordet wurden.  

Ende der achtziger Jahre verließen Suphi Nejat und seine Familie aus politischen Gründen die Türkei. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Griechenland ließen sie sich 1990 in Duisburg nieder. Dort besuchten Suphi Nejat und seine Schwester zunächst eine Vorschule für „Migrantenkinder“, bevor sie auf eine Regelschule kamen. Das soziale Umfeld der Eltern, die weiterhin politisch aktiv waren und in linken Vereinen ein- und ausgingen, prägte die beiden. Elif Berivan fiel auf, weil sie einmal auf die Frage, wer denn ihr Idol sei, mit dem Namen Rosa Luxemburgs antwortete. Später legten Lehrer:innen den Eltern nahe, Suphi Nejat nicht in Vereine mitzunehmen. Der Junge male Hammer und Sichel und behaupte, es sei die Fahne seiner Heimat. Das bekannteste Symbol des Marxismus-Leninismus wurde nach der russischen Oktoberrevolution entwickelt und steht für die Einheit von Arbeiter- (Hammer) und Bauernklasse (Sichel).

Als Grundschüler in Duisburg und als Kämpfer in Kobanê

„Niemals vergessen, niemals vergeben, niemals aufgeben“

Sein Abitur machte Suphi Nejat am Duisburger Clauberg-Gymnasium, zum Studium ging er zurück in die Türkei. Nach einem ersten Anlauf an der Istanbuler Marmara-Universität, wo er sich im Studiengang englischsprachige Soziologie eingeschrieben hatte, wechselte er an die Bosporus-Universität. Das Thema seiner Masterarbeit waren die vielen Todesfälle beziehungsweise „Arbeitsmorde“ unter den ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern auf den Schiffswerften in Tuzla. Die Danksagung widmete er einleitend mit den Worten „Niemals vergessen, niemals vergeben, niemals aufgeben“ Süleyman Yeter, einem Arbeitsrechtler bei der Gewerkschaft Limter-İş (die Beschäftigte in Werften sowie in Lagerhäusern und in der Seeschifffahrt vertritt), der 1999 festgenommen und im Polizeigewahrsam zu Tode gefoltert wurde.  

Aufgrund seines politischen Aktivismus wurde Suphi Nejat immer wieder festgenommen. Medial tauchte sein Name zum ersten Mal Ende April 2011 nach seiner ersten Festnahme im Zusammenhang mit den sogenannten KCK-Operationen auf. Als bekannt wurde, dass seine Literaturrecherchen und von ihm übersetzte Texte -  Suphi Nejat hatte sich schon während seines Studiums einen Namen als angesehener Übersetzer linker Texte und Bücher, darunter Arme, Bettler und Vaganten: Überleben in der Not 1450–1850 von Martin Rheinheimer, oder der Revolutionstheorie des Franzosen Louis-Auguste Blanqui gemacht und schrieb eigene Artikel, vor allem zur kurdischen Frage – in der Anklage gegen ihn als Beweis für eine Mitgliedschaft in der PKK angeführt wurden, veröffentlichten seine Mitstudierenden einen Aufruf mit der Überschrift „Stellt auch Foucault vor Gericht!“.

Nach seiner Freilassung Anfang Mai sagte er in einem Interview mit Bianet: „Sobald sich in der Türkei Sozialisten und libertäre Menschen mit den Kurden zusammenschließen – ganz gleich ob auf politischer Ebene oder im intellektuellen Bereich – wird eine Hexenjagd gegen sie veranstaltet. Diese Hexenjagd findet unabhängig davon statt, auf welche Weise die Annäherung oder Auseinandersetzung mit der kurdischen Frage vonstattengeht. In diesem Land wird eine Operation gegen Menschen geführt, die sich für Arbeit, Freiheit und die gesellschaftliche Kohäsion einsetzen. Ein verantwortungsbewusster Mensch zu sein bringt eben gleichzeitig mit sich, mit irgendetwas beschuldigt zu werden.”

Die „KCK-Operation“ genannte Verhaftungswelle begann nur einen Tag, nachdem die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) am 13. April 2009 ihre Waffenruhe bis zum 1. Juli verlängert und in ihrer Deklaration davon gesprochen hatte, dass „zum ersten Mal die Möglichkeit besteht, die kurdische Frage in einem Umfeld der Waffenruhe zu lösen“. Die Operation, die mit der Verhaftung von Politiker:innenn und Vertreter:innen von NGOs begann, ergriff wellenförmig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und betraf auch Bürgermeister:innen, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Verteidiger:innen der Menschenrechte und Rechtsanwält:innen. Am Ende der Operation im Jahre 2011 waren etwa 10.000 Menschen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der PKK bzw. KCK verhaftet worden.


Entführungsversuch mitten in Istanbul

Einen Monat nach seiner Festnahme versuchten Personen, die sich als Polizisten ausgaben, Suphi Nejat in Istanbul aus einer Straßenbahn heraus zu verschleppen. Er machte die Sache öffentlich und erklärte bei einer Pressekonferenz in der IHD-Zentrale: „Wären meine Freunde nicht gewesen, hätte man mich verschwinden lassen.“ Damit spielte er auf die Praxis des „Verschwindenlassens” an. Seit den 1980er Jahren gelten in der Türkei tausende Menschen, größtenteils Kurdinnen und Kurden, als „verschwunden”. Mitte der 90er Jahre, als der schmutzige Krieg des türkischen Staates gegen die PKK besonders blutig war, erreichte diese Methode ihren Höhepunkt. Schätzungen gehen von über 17.000 „Verschwundenen“ durch „unbekannte Täter“ – das heißt durch parastaatliche und staatliche Kräfte - während dieser dunklen Periode unter Ministerpräsidentin Tansu Çiller aus. Die Leichen wurden in Massengräbern, Höhlen oder in stillgelegten Industrieanlagen verscharrt, auf Müllhalden geworfen, in Brunnenschächten und Säuregruben versenkt oder wie in Argentinien durch den Abwurf aus Militärhubschraubern beseitigt. Oft waren die Betroffenen von der Polizei oder der Armee zu Hause abgeholt worden, oder man hatte sie in die Wache vor Ort zu einer „Aussage“ bestellt, oder sie waren bei einer Straßenkontrolle des Militärs festgehalten worden. Das ist oft das letzte, was ihre Angehörigen vom Verbleib der Vermissten wissen.

Weder Armenier noch Alevite, und auch kein Kurde

In Rojava legte sich Suphi Nejat den Nom de Guerre Paramaz Kızılbaş zu. Kızılbaş, also „Rotköpfe“, waren seit etwa der Mitte des 15. Jahrhunderts Anhänger:innen des schiitischen Sufi-Ordens der Safawiden. Heute wird der Ausdruck in bestimmten Regionen als Synonym für die Schia und Alevit:innen verwendet. Paramaz war der Codename des armenischen Guerillakämpfers Matteos Sarkissian, der zu den ersten Sozialist:innen im Osmanischen Reich gehörte und am 15. Juni 1915 zusammen mit 19 Mitstreitern von der sozialdemokratischen Huntschak-Partei am Beyazıt-Platz in Istanbul im Zuge des Völkermords an den Armeniern hingerichtet wurde.

„Ob Stalingrad oder Kobanê - Unsere [Widerständigen] kämpfen immer mit der gleichen Entschlossenheit” | SGDF

Dass Suphi Nejat diesen Kampfnamen annahm, war eine klare politische Botschaft. Denn weder war er ein Alevite noch Armenier. Und er war kein Kurde. Aber er wusste, was sein Entschluss bedeutete, im August 2014 nach Kobanê zu gehen, um in den Reihen der YPG gegen den IS zu kämpfen. Denn es waren seine Ideen und Gedanken, die er sein Leben lang verteidigt hatte, und die nun im Kampf praktische Gestalt annahmen. Es war die Zeit, als die Terrormiliz die Şengal-Region in Südkurdistan überfallen und einen Genozid an der ezidischen Bevölkerung verübt hatte. Gerade einmal sechs Wochen später richtete sie sich erneut – die Versuche Kobanê einzunehmen begangen schon Ende 2013 – und diesmal mit einer noch größeren Mobilisierung gegen Kobanê. Der Kanton war damals von drei Seiten von den Dschihadisten eingekreist, auf der vierten Seite stand die türkische Armee. Tausende Söldner griffen mit hochtechnologischem Kriegsgerät an, demgegenüber versuchten die YPG/YPJ, Kobanê mit Kalaschnikows, Maschinengewehren und Pistolen zu halten.

Von seiner Familie oder seinen Freund:innen verabschiedet hatte sich Suphi Nejat nicht. An der Tür zu seinem Zimmer, dass er ordentlich aufgeräumt hinterlassen hatte, hing nur ein Zettel mit dem Hinweis: „Der September naht.” Man dachte, er sei aufgebrochen nach Lateinamerika, wo er schon immer hin wollte. Fast ein Jahr lang hatte er deshalb einen Spanischkurs besucht. In einem Brief, den er in Kobanê verfasste, schrieb er später:

„Als gewöhnlicher junger Mensch traf ich aufgrund meiner gewöhnlichen Widersprüche eine einfache Entscheidung. In erster Linie habe ich diese Wahl für mich selbst getroffen. Es ist kein Weg zu einem erhabenen Zweck, für den ich mich entschieden habe. Mit Menschen, die nicht erhaben sind, wollte ich lediglich das Leben und diese trostlose und verdinglichte Welt verzaubern. Ich habe gelernt, dass meine Widersprüche nicht überwunden werden können, weil sie sozialer Natur sind, und nur durch Organisierung auf einer höheren Ebene gesellschaftsfähig sein können. Dies hier ist der Punkt, an dem ich in meinem bisherigen Leben der Wahrheit am nächsten bin. (...) Mit der Hoffnung, dass Ihr im Westen der Türkei die Samen eines großen Auswegs sät, der das Leben ganz gewöhnlicher Arbeiter faszinieren und ganz gewöhnliche Helden zum Vorschein bringen wird, und die federführende Organisation der Suche nach der Wahrheit erschaffen werdet. Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle! Die Phantasie an die Macht!”

An einem Tag im Oktober starb er. Der Tod des Suphi Nejat Ağırnaslı, des Paramaz Kızılbaş, dem Sozialisten und Internationalisten, der weder Armenier noch Alevite, und auch kein Kurde war, aber all diese Identitäten und noch viel mehr in seiner Person vereinte, hatte viele Menschen schwer getroffen. Sein Vater, der Autor Hikmet Acun, beschrieb seine Gefühlslage nach der Nachricht vom Tod des eigenen Kindes damals mit den Worten: „Ich habe meinen Sohn, meinen Genossen, meinen Bruder Nejat in Kobanê verloren. Er hätte ein glänzendes Leben vor sich haben können. Aber er entschied sich für die revolutionäre Solidarität. Er hielt sein Wort und hat mich nicht enttäuscht. Er hat bewiesen, dass er ein Teil von mir ist. Ich verneige mich vor ihm voller Respekt.“

Der Miştenûr nach der Befreiung vom IS

„Solche dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Laufe der Geschichte. […] Ich habe sie so genannt, weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen.“ Stefan Zweig

Was er mit dem eingelösten Versprechen meinte, behielt Hikmet Acun für sich. Als man im Dezember 2015 die sterblichen Überreste seines Sohnes fand, war sofort klar, dass Suphi Nejat Ağırnaslı in Kobanê beigesetzt werden würde. Diesen Wunsch hatte er den YPG als „internationalistischer Revolutionär“ in einer Willenserklärung mitgeteilt. Begraben wurde er auf dem Gefallenenfriedhof „Şehîd Dîcle“, neben hunderten seiner Freundinnen und Freunde. Hikmet Acun kehrte nach der Zeremonie nicht wieder in die Türkei zurück. Er lebt und arbeitet heute in Rojava.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/kobane-symbol-fur-den-demokratischen-aufbruch-45116 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/onkel-rifat-von-der-grenze-12239 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/ape-nemir-die-seele-von-kobane-ist-tot-43926 https://deutsch.anf-news.com/frauen/arin-mirkan-symbol-des-widerstands-von-kobane-14371

 

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Nach Jahrzehnten in Haft: Kurdischer Gefangener hofft auf politischen Wandel

5. Oktober 2025 - 15:00

Nach mehr als drei Jahrzehnten in türkischer Haft ist der kurdische politische Gefangene Ahmet Temiz im September aus dem Gefängnis entlassen worden. Der heute über 50-Jährige war 1994 in Amed (tr. Diyarbakır) festgenommen und später von einem Staatssicherheitsgericht wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Organisation zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Über seine Haftzeit, die Umstände der Entlassung und seine politischen Hoffnungen sprach Temiz nun mit ANF.

„Als mir meine Entlassung mitgeteilt wurde, war ich aufgewühlt“, sagte Temiz. „Ich hatte mir diesen Moment immer wieder vorgestellt. Aber dass so viele Menschen mich empfangen würden – damit habe ich nicht gerechnet.“ Der Kurde wurde in verschiedenen Haftanstalten im Land festgehalten, darunter in Amed, Amasya, Ankara und Tekirdağ.

 


Die Haftentlassung war in der Vergangenheit mehrfach hinausgezögert worden. Begründet wurde dies damit, dass Temiz keine Reue gezeigt, sich nicht vom politischen Kontext seiner Verurteilung distanziert und weiter Kontakt zu anderen politischen Gefangenen gepflegt habe. Auch wurde ihm vorgehalten, seine „Schuld“ nie anerkannt zu haben.

„Gefängnisse in Orte des Widerstands verwandelt“

Trotz der langen Haftzeit spricht Temiz von innerer Stärke – getragen durch politische Überzeugung und Solidarität. „Unsere größte Kraftquelle war immer der Blick nach draußen: auf den Kampf unseres Volkes“, sagte er. „Wenn man sich diesem Ziel verpflichtet fühlt, dann können selbst engste Zellen einen nicht begrenzen.“ Die politischen Gefangenen hätten die Haftanstalten „in Orte des Widerstands“ verwandelt, so Temiz weiter. Die Missstände und Menschenrechtsverletzungen seien zwar allgegenwärtig gewesen, doch für viele hätten sie eine nachgeordnete Rolle gespielt: „Was uns aufrechterhielt, war der Gedanke an das, was draußen geschieht.“

Kritik am Strafvollzug und an systematischen Einschränkungen

Besonders kritisch äußerte sich Temiz über die Zustände in türkischen Gefängnissen. Die geltenden Gesetze würden in der Praxis oft ignoriert, sagte er. „Das Vollzugssystem ist in hohem Maße auslegungsfähig – und diese Auslegung erfolgt meist zu Ungunsten der Inhaftierten.“ Insbesondere politische Gefangene seien systematischen Einschränkungen ausgesetzt – etwa beim Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Büchern und Zeitungen oder im Kontakt mit Angehörigen. Auch die juristische Auseinandersetzung mit den Missständen sei selten erfolgreich: „Die Justiz bietet kaum effektive Mittel zur Durchsetzung unserer Rechte.“

Hoffnung auf politische Lösung, Unterstützung für Öcalan

Mit Blick auf die aktuelle politische Lage in der Türkei äußerte Temiz vorsichtige Hoffnung. Anlass dafür sei die vom kurdischen Repräsentanten und PKK-Begründer Abdullah Öcalan angestoßene Initiative zur Wiederaufnahme eines Friedensprozesses. Öcalan, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali in politischer Geiselhaft des türkischen Staates sitzt, hatte mit seinem am 27. Februar veröffentlichten „Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft“ einen entsprechenden Impuls gegeben.

„Ich war noch im Gefängnis, als ich von der Initiative erfuhr“, sagte Temiz. „Wir waren bewegt und zugleich vorsichtig optimistisch. Abdullah Öcalan hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass er politische Prozesse gestalten kann. Wir glauben an seine Rolle als Wegweiser.“ Eine politische Lösung könne jedoch nur unter veränderten Bedingungen gelingen: „Herr Öcalan muss unter freiheitlichen Bedingungen wirken können. Der Friedensprozess braucht Raum, Dialog und Vertrauen.“

Geteilte Freude

Seine eigene Entlassung beschreibt Temiz als einen „sehr emotionalen Moment“, zugleich aber auch als schmerzlich: „Ich bin frei, doch Tausende Freundinnen und Freunde bleiben in Haft. Meine Freude bleibt deshalb unvollständig.“ Die größte Hoffnung bleibe, dass alle politischen Gefangenen – allen voran Öcalan – in einem künftigen demokratischen Prozess eine Rolle spielen könnten.

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/bericht-systematische-menschenrechtsverletzungen-in-turkischen-gefangnissen-48175 https://deutsch.anf-news.com/frauen/politische-gefangene-nach-31-jahren-haft-freigelassen-47572 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/sincan-bedingte-entlassung-von-zwolf-gefangenen-seit-jahren-verweigert-48026 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/egmr-rugt-turkei-bucherverbot-in-gefangnissen-verletzt-meinungsfreiheit-48146 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/imrali-gefangener-veysi-aktas-aus-haft-entlassen-47260

 

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Kurdischer Politischer Gefangener in Iran hingerichtet

5. Oktober 2025 - 13:00

Am Samstag wurde in Iran der kurdische politische Gefangene Saman Mohammadi Khiyareh heimlich hingerichtet. Die iranische Justiz warf ihm die Ermordung eines regierungsnahen Geistlichen im Jahr 2009 vor, berichtet das Kurdistan Human Rights Netwirk (KHRN). Vollstreckt wurde die Hinrichtung im Ghezel-Hezar-Gefängnis in der westlich von Teheran gelegenen Stadt Karadsch.

Saman Mohammadi Khiyareh war im Dezember 2013 im Alter von 23 Jahren von Beamten des iranischen Geheimdienstministeriums festgenommen worden und saß seither im Gefängnis. In den zwölf Jahren habe er nie Hafturlaub erhalten und sei während der Verhöre schwer gefoltert worden, so das KHRN. Die ersten vier Jahre seiner Haft verbrachte er in Einzelhaft im Gefängnis in seiner Geburtsstadt Sine (Sanandadsch), später wurde er in den Trakt 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses verlegt. Unter Zwang abgelegte Selbstbelastungen hätten schließlich als Grundlage für das Todesurteil gedient.

Saman Mohammadi Khiyareh | Foto: KHRN

Das Todesurteil gegen Khiyareh war von der Abteilung 15 des Revolutionsgerichts in Teheran unter Vorsitz des berüchtigten „Todesrichters“ Abolqasem Salavati verhängt worden. Die Anklagepunkte lauteten neben Mord auch auf „Feindschaft gegen Gott“ sowie „Mitgliedschaft in terroristischen Gruppen mit Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten“. Seine Verhaftung erfolgte erst vier Jahre nach der Ermordung des regimetreuen sunnitischen Geistlichen Mamousta Sheikh al-Islam. Außer dem unter Folter erzwungenen Geständnis habe es keine Beweise für eine Beteiligung Khiyarehs an der Tötung gegeben, so das KHRN.

Alle Rechtsmittel, einschließlich Anträge auf Neuverhandlung oder Aussetzung der Strafe, seien in den vergangenen Jahren von den zuständigen Justizbehörden abgelehnt worden. Offizielle Stellen hätten den Fall zudem wiederholt mit Protesten der Grünen Bewegung gegen die Islamische Republik in Verbindung gebracht und Saman Mohammadi Khiyareh auch beschuldigt, an der Tötung von Sicherheitskräften beteiligt gewesen zu sein. Die Familie des 35-Jährigen sei vorab nicht über die Hinrichtung benachrichtigt worden.

Mehr als 1.000 Todesurteile in diesem Jahr

Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren die rigorose Anwendung der Todesstrafe in Iran. Der Regime-Justiz werfen sie vor, Hinrichtungen auch zur Einschüchterung kritischer Stimmen zu nutzen. Laut Amnesty International sind in diesem Jahr bereits mehr als 1.000 Todesurteile in Iran vollstreckt worden. Nach Angaben der NGO Iran Human Rights handelt es sich um die höchste Zahl der dokumentierten Exekutionen seit mindestens 30 Jahren.

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/teilnehmer-der-jin-jiyan-azadi-proteste-hingerichtet-47839 https://deutsch.anf-news.com/frauen/iran-todesurteil-gegen-menschenrechtlerin-sharifeh-mohammadi-bestatigt-47547 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/monatsbericht-fur-september-2025-22-hinrichtungen-im-iran-48195

 

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Agraringenieur: Landwirtschaft in Kurdistan wird systematisch zurückgedrängt

5. Oktober 2025 - 13:00

Der Agraringenieur Abdussamed Ucaman hat der türkischen Regierung vorgeworfen, die Landwirtschaft in den kurdischen Provinzen systematisch zu schwächen. In einem Gespräch mit ANF erklärte er, dass gezielte politische Entscheidungen und strukturelle Hindernisse die bäuerliche Produktion in Kurdistan nahezu unmöglich machten.

„In Kurdistan erleben wir eine bewusste Verdrängung landwirtschaftlicher Strukturen – durch Kriegsführung, staatliche Ausgangs- und Zutrittsverbote und fehlende wirtschaftliche Förderung“, sagte Ucaman. Obwohl die Region über fruchtbare Böden, vielfältige Kulturen und günstige klimatische Bedingungen verfügt, sei die lokale Produktion massiv zurückgegangen.

 


Ucaman erinnert daran, dass das nördliche Kurdistan früher bis zu 65 Prozent des landwirtschaftlichen Bedarfs der Türkei gedeckt habe. Heute jedoch seien Ackerflächen durch Staudammbauten, militärische Sperrzonen und hohe Betriebskosten zunehmend unbrauchbar geworden. „Viele Dörfer wurden seit den 1990er-Jahren geräumt, die Menschen zur Aufgabe der Landwirtschaft gezwungen. Das hat massive soziale und wirtschaftliche Folgen“, so der Experte.

„Agrarpolitik ignoriert Ursachen“

Die gegenwärtige Agrarpolitik sei nicht in der Lage, auf diese komplexen Probleme zu reagieren, so Ucaman. „Statt Ursachen zu analysieren, wird nur an Symptomen gearbeitet. Viele Entscheidungsträger haben weder fachlichen Bezug zur Landwirtschaft noch den Willen, eine nachhaltige Strategie zu entwickeln.“

Hinzu komme der Einfluss internationaler Konzerne und neoliberaler Marktmechanismen, die Kleinbäuer:innen in eine ausweglose Lage brächten. „Die Produktionskosten sind so hoch, dass die Landwirt:innen ihre Erzeugnisse kaum noch verkaufen können. Die Folge ist ein gestörter Versorgungskreislauf.“

Militärische Sperrgebiete, monatlich verhängte Ausgehverbote in ländlichen Regionen sowie Anbauverbote hätten die Produktion weiter zurückgedrängt. Dabei, so Ucaman, könne allein Kurdistan mit einer strategisch geplanten Landwirtschaft die gesamte Region versorgen. „Kurdistan verfügt über enormes Potenzial – mit seinem Boden, Klima, Wasserzugang und der agrarischen Tradition. Doch dieses Potenzial wird derzeit systematisch zerstört.“

Forderung nach Schutz und Förderung

Um die Lage zu stabilisieren, müssten landwirtschaftliche Flächen gesetzlich geschützt und Landwirt:innen gezielt gefördert werden, fordert Ucaman. Der Staat müsse Landwirtschaft als strategischen Bereich begreifen und entsprechende Mittel bereitstellen. „Ohne Genossenschaften ist der einzelne Landwirt den Großkonzernen ausgeliefert. Es braucht staatlich unterstützte Strukturen, um faire Preise und nachhaltige Produktion zu gewährleisten.“

Darüber hinaus seien gezielte Maßnahmen zur Verarbeitung, Lagerung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte notwendig. Auch die Wiederbelebung lokaler Saatgutkulturen müsse Teil der Strategie sein. „Nur durch gezielte Förderung, Schutzmaßnahmen und eine Rückkehr zu lokal angepasstem Wissen kann die Landwirtschaft in Kurdistan erhalten bleiben“, so Ucaman abschließend.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638 https://deutsch.anf-news.com/frauen/geothermieprojekt-in-Cewlig-bedroht-traditionelle-lebensweisen-47650 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/umweltverein-warnt-vor-zerstorung-des-sarim-tals-durch-kraftwerke-48149 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/energieprojekte-setzen-natur-in-wan-unter-druck-48115 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/protest-in-merdin-dorf-fordert-ruckgabe-von-weideflachen-48051

 

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Zum Weltlehrertag: DEM-Partei verlangt demokratische Bildungsreform

5. Oktober 2025 - 13:00

Die DEM-Partei hat anlässlich des Weltlehrertags am 5. Oktober eine umfassende Reform des Bildungssystems in der Türkei gefordert. In einer Mitteilung kritisiert die Partei prekäre Arbeitsbedingungen von Lehrkräften sowie politische Einseitigkeit im Schulwesen. Zentrale Forderung: das Recht auf Bildung in der Muttersprache müsse verfassungsrechtlich garantiert werden.

„Während Lehrkräfte weltweit als Vertreter:innen von Wissenschaft, Arbeit und Aufklärung gefeiert werden, kämpfen sie in unserem Land mit Armut, Unsicherheit und politischem Druck“, heißt es in der Erklärung des bildungspolitischen Ausschusses der Partei. Die Einkommen vieler Lehrkräfte lägen unter der Armutsgrenze – mit negativen Folgen für die gesamte Gesellschaft.

Die DEM-Partei spricht von einem seit Langem autoritär geprägten Bildungssystem, in dem anstelle einer demokratischen und wissenschaftsbasierten Ausrichtung zunehmend nationalistische, religiös-konservative und assimilierende Inhalte Einzug hielten.

„Wir halten es für essenziell, politische Lösungen für ein säkulares und gleichberechtigtes gesellschaftliches Zusammenleben zu diskutieren und umzusetzen“, betont die Partei. „Zentral ist für uns ein Bildungssystem, das auf Rechten basiert – insbesondere das Recht auf Unterricht in der Muttersprache.“

Gleichzeitig fordert die DEM-Partei die Abschaffung aller gesetzlichen Regelungen, die Diskriminierung und kulturelle Ausgrenzung fördern. Die Grundlage dafür sei das Ende eines einheitlichen, auf kulturelle Homogenität zielenden Bildungsideals, das seit über einem Jahrhundert in Kraft sei.

„Frieden ist nur möglich, wenn wir eine Gesellschaft schaffen, in der verschiedene Identitäten und Kulturen als gleichberechtigte Bürger*innen zusammenleben können“, so die Erklärung weiter. Dafür sei es notwendig, sich politisch klar von antidemokratischen Praktiken der Vergangenheit zu distanzieren.

Die wichtigsten Forderungen der DEM-Partei:

▪ Der Lehrplan soll nach wissenschaftlichen, säkularen, demokratischen und mehrsprachigen Grundsätzen neu gestaltet werden.

▪ Das Recht auf Bildung in der Muttersprache soll verfassungsrechtlich abgesichert werden.

▪ Rassistische, assimilierende und rückschrittliche Tendenzen in der Bildungspolitik sollen beendet werden.

Die Partei betrachtet das Bildungssystem als Schlüssel für gesellschaftlichen Frieden, kulturelle Vielfalt und soziale Gerechtigkeit.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/kurdische-sprachverbande-friedensprozess-braucht-kulturelle-gleichstellung-46965 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Offentlicher-dienst-in-der-turkei-beschaftigte-legen-landesweit-arbeit-nieder-47573 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/egitim-sen-muttersprache-braucht-rechtsgarantie-und-lebendigkeit-45957

 

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Kurdisches Diplomatie-Komitee sendet Solidarität an Frauenmarsch

5. Oktober 2025 - 11:00

Der von der Bewegung freier Frauen (TJA) organisierte Protestmarsch unter dem Motto „Mit Hoffnung zur Freiheit“ dauert inzwischen fünf Tage an. Gestartet am 1. Oktober in Amed (tr. Diyarbakır), führte der Weg über Riha (Urfa), Dîlok (Antep) und Adana, wo die Teilnehmerinnen jeweils von mehreren Tausend Menschen empfangen wurden. Nächste Station ist Mersin.

Die Demonstration will der Forderung nach Frieden, Gleichberechtigung und demokratischen Rechten öffentlich Gehör verschaffen. Ziel der TJA ist es, die physische Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan als zentrale Voraussetzung für einen politischen Dialog in der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen. Unterstützt wird die Initiative von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien.

Nun hat sich auch das Gemeinsame Diplomatiekomitee kurdischer Parteien und Organisationen mit einer Solidaritätsbotschaft an die Teilnehmerinnen gewandt. In einer Erklärung betonte das Komitee, man habe sich am Vortag in Brüssel zu seiner 31. Sitzung getroffen. Im Mittelpunkt der Beratungen habe unter anderem die Suche nach politischen Lösungsansätzen für die kurdische Frage in der Türkei gestanden.

Mit Blick auf den laufenden Frauenmarsch heißt es in der Mitteilung: „Wir schöpfen Kraft aus der Entschlossenheit und dem unbeirrbaren Willen der kurdischen Frauen, die für eine freie Zukunft einstehen. In allen vier Teilen Kurdistans haben Frauen große Opfer gebracht und die Widerstandsbewegungen maßgeblich geprägt. Heute sind sie weltweit als Symbol des Freiheitskampfes anerkannt – und eine tragende Säule unseres nationalen Strebens.“

Das Komitee appellierte an die türkische Regierung, „den Mut und die Ausdauer der Demonstrantinnen zu sehen“ und konkrete politische sowie rechtliche Schritte zur Umsetzung der Forderungen nach Freiheit zu unternehmen. Zudem äußerte das Gremium die Hoffnung, dass der Protestmarsch zu einem Impuls für die Freilassung Öcalans werden könne.

„Im Geiste der Losung ‚Jin, Jiyan, Azadî‘ – Frau, Leben, Freiheit – sind wir überzeugt, dass dieser Marsch zu einem erfolgreichen Ergebnis führen wird“, heißt es abschließend. Die Erklärung endet mit den Worten: „Unsere Grüße und unser Respekt gelten allen Beteiligten.“

Breite Unterstützung aus Politik und Zivilgesellschaft

Unterzeichnet wurde die Erklärung von insgesamt 32 politischen, religiösen und zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Syrien, Irak, Iran, der Türkei und Europa. Zu den Mitzeichnenden gehören die Außenkommission des Nationalkongress Kurdistans (KNK), Patriotische Union Kurdistans (YNK), Demokratische Partei Kurdistans – Iran (HDK-Î), Gorran, Partei der demokratischen Einheit (PYD), KCDK-E, Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK), Kommunistische Partei Kurdistans (KKP), Europäische Union der Suryoye (ESU), Föderation der Ezid:innen Kurdistans (NAV-YEK) und die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E).

https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauendemonstration-erreicht-adana-tausende-fordern-Ocalans-freilassung-48237 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-an-tja-marsch-die-sprache-der-gleichberechtigung-nutzt-uns-allen-48236 https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauenmarsch-fur-freiheit-von-tausenden-in-dilok-empfangen-48222 https://deutsch.anf-news.com/frauen/tja-frauenmarsch-erreicht-geburtsort-von-abdullah-Ocalan-48213

 

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„Der Fall Kenan Ayaz ist ein Beispiel transnationaler Unterdrückung“

5. Oktober 2025 - 9:00

Kenan Ayaz, kurdischer Aktivist und Politiker, wurde 2023 von Zypern nach Deutschland ausgeliefert und in Hamburg wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Solidaritätskampagne #FreeKenan besuchte in der zweiten Septemberhälfte die geteilte Insel im Mittelmeer, um die aktuelle Lage von Ayaz, der inzwischen wieder zurück in Zypern ist, vor Ort zu untersuchen. Im Rahmen dieser Reise führte die Delegation ein Gespräch mit dem zyprischen Strafverteidiger Efstathios Efstathiou, der Kenan Ayaz juristisch begleitet. Das Interview beleuchtet die politischen Hintergründe der Auslieferung, die Rolle der deutschen Justiz im Umgang mit kurdischen Aktivist:innen sowie die derzeitigen Haftbedingungen und rechtlichen Perspektiven von Ayaz in Zypern.

Herr Efstathiou, könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Mein Name ist Efstathios Efstathiou. Ich bin Strafverteidiger aus Zypern und habe gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen kurdische Freiheitskämpfer sowohl in Zypern als auch im Ausland verteidigt. Ich habe Kenan Ayaz vertreten, wie zuvor bereits Çerkez Korkmaz – stets auf Basis nicht nur juristischer Argumente, sondern auch im Sinne von Gerechtigkeit, Menschenrechten und dem friedlichen Zusammenleben der Völker, wie es Theofilos Georgiadis für ein freies Zypern und ein freies Kurdistan vorgesehen hatte.

Als Team von Anwält:innen aus Zypern haben Sie den gesamten Prozess gegen Kenan Ayaz in Hamburg begleitet. Wie beurteilen Sie die Haltung der deutschen Justiz gegenüber dem kurdischen Befreiungskampf?

Der Prozess in Hamburg war eindeutig politisch motiviert. Das deutsche Justizsystem agierte als verlängerter Arm der türkischen Politik zur Unterdrückung der kurdischen Bewegung. Anti-Terror-Gesetze wurden pauschal angewendet; der legitime politische Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung wurde kriminalisiert. Das Gericht ignorierte die historische und politische Realität der kurdischen Sache. Dies ist ein klassisches Beispiel für transnationale Unterdrückung, bei der Deutschland im Interesse der Türkei handelt.

Die Haftbedingungen in Deutschland waren für Kenan Ayaz extrem belastend – insbesondere vor dem Hintergrund seiner zwölfjährigen Inhaftierung in der Türkei und der traumatischen Erfahrung, dass sein jüngerer Bruder sich nie von Folterungen erholte und daran früh verstarb. Wie ist die Situation nun in Zypern?

In Deutschland war Kenan extrem harten und isolierenden Haftbedingungen ausgesetzt. Diese zielten darauf ab, seine Würde und politische Identität zu untergraben. In Zypern sind die Bedingungen zwar ebenfalls restriktiv, jedoch wesentlich humaner. Seine Rechte werden respektiert, er hat Zugang zu Kommunikation, erfährt Unterstützung durch die Gemeinschaft und wird von Solidarität getragen. Das stärkt seine Widerstandskraft erheblich.

Im Gegensatz zum Fall Çerkez Korkmaz 2019 konnte die Auslieferung von Kenan Ayaz nach Deutschland nicht verhindert werden. Worin liegt der Unterschied?

Beide Fälle waren klar politisch motiviert. Doch die Umstände unterschieden sich: Çerkez Korkmaz wurde im Zusammenhang mit Aktivitäten in den Jahren 2013–2014 gesucht – einer Zeit, in der in Kurdistan ein aktiver bewaffneter Konflikt herrschte. Das Bezirksgericht Larnaca erkannte den politischen Charakter der Verfolgung an, berief sich auf humanitäres Völkerrecht und lehnte die Auslieferung ab.

Im Fall von Kenan Ayaz hingegen verlegte die deutsche Staatsanwaltschaft die Anklage auf das Jahr 2018 – zu einem Zeitpunkt ohne bewaffneten Konflikt. Damit wurde eine Gesetzeslücke genutzt, um die humanitäre Ausnahmeregelung zu umgehen. Zudem intervenierte das deutsche Justizministerium direkt und bestand auf der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls. Den zyprischen Gerichten blieb dadurch kein rechtlicher Spielraum, um die Auslieferung zu verhindern.

Wie gelang es Ihnen, Kenan Ayaz nach Zypern zurückzuholen, damit er hier seine Strafe verbüßen kann? Im Fall von Mehmet Çakas hatte Italien dies verweigert.

Das war ein bedeutender juristischer Erfolg. Das Gericht in Larnaca machte die Auslieferung Kenans von der verbindlichen Bedingung abhängig, dass er im Falle einer Verurteilung in Deutschland nach Zypern zurückgebracht wird, um dort seine Strafe zu verbüßen. Eine Überstellung oder Abschiebung in die Türkei wurde ausdrücklich ausgeschlossen.

Diese rechtliche Absicherung erfolgte auf Grundlage des EU-Rahmenbeschlusses 2008/909 zur Überstellung von Strafgefangenen. Anders als im Fall von Mehmet Çakas, wo Italien keine entsprechenden Garantien durchsetzte, war die zyprische Entscheidung ein klares politisches und juristisches Signal: Zypern wird Kenan Ayaz nicht an die Türkei ausliefern.

Wie ist die rechtliche Situation von Kenan Ayaz derzeit? Er hat angegeben, dass seine Entlassung für den 19. Juni 2026 vorgesehen ist.

Nach zyprischem Recht können Haftstrafen bei guter Führung gemildert oder zur Bewährung ausgesetzt werden. Das bedeutet, dass die in Deutschland verhängte Strafe nicht vollständig abgesessen werden muss. In Kenans Fall liegt das kalkulierte Entlassungsdatum bei guter Führung auf dem 19. Juni 2026, obwohl die formelle Strafe vier Jahre und drei Monate beträgt. Diese Regelung stellt sicher, dass seine Rechte als Gefangener gewahrt bleiben.

Wie ist seine aktuelle Situation im Gefängnis? Gibt es eine realistische Aussicht auf Entlassung?

Kenan ist derzeit im Zentralgefängnis von Nikosia untergebracht – unter Bedingungen, die seine Würde respektieren. Er hat Zugang zu Kommunikation, erfährt Unterstützung und Solidarität von außen. Auch wenn das Leben in Haft nie einfach ist, ist seine Situation in Zypern deutlich humaner als in Deutschland oder der Türkei.

Der rechtliche Rahmen bietet reale Perspektiven auf Strafminderung und vorzeitige Entlassung. Wichtig ist auch: Kenan setzt seinen politischen Kampf für ein freies Kurdistan und ein freies Zypern aus dem Gefängnis heraus fort – ganz im Sinne von Theofilos Georgiadis.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/wir-bestehen-darauf-dass-kenan-freigelassen-wird-48224 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/freekenan-delegation-besucht-grab-von-theofilos-georgiadis-48174 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kenan-ayaz-meine-haft-auf-zypern-ist-eine-politische-entscheidung-48132 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kenan-ayaz-vor-ruckfuhrung-nach-zypern-klage-vor-egmr-angekundigt-47662 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/besuch-bei-kenan-ayaz-im-gefangnis-von-nikosia-48061

 

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Frauendemonstration erreicht Adana: Tausende fordern Öcalans Freilassung

4. Oktober 2025 - 22:00

Der Protestmarsch unter dem Motto „Mit Hoffnung in die Freiheit“, organisiert von der kurdischen Frauenbewegung TJA, hat am Sonnabend die südtürkische Stadt Adana erreicht. Es ist der vierte Tag der überregionalen Demonstration, die am letzten Mittwoch in Amed (tr. Diyarbakır) gestartet ist und am 7. Oktober mit einer Abschlusskundgebung vor dem türkischen Parlament in Ankara enden soll.

Die Demonstrierenden wurden in Adana von einer großen Menschenmenge mit Fackeln, Blumen, Applaus und dem Ruf „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) empfangen. Viele zeigten vom Straßenrand und von Balkonen aus ihre Solidarität. Im Stadtteil Dağlıoğlu versammelten sich die Demonstrierenden zu einer Kundgebung, begleitet von kurdischer Musik und Tanz.

Gedenken an Nagihan Akarsel

Die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Großstadt Mêrdîn (Mardin), Devrim Demir (DEM) erklärte, der Marsch stehe für Einheit, Würde und die Hoffnung auf Veränderung. Sie verwies auf Abdullah Öcalans Friedensappell vom 27. Februar und sagte: „Frieden ist möglich – aber nur, wenn Abdullah Öcalan und alle politischen Gefangenen freigelassen werden und sprachliche Rechte anerkannt sind.“

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Demir erinnerte auch an die Journalistin und Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel, die am 4. Oktober 2022 in Südkurdistan im Auftrag des türkischen Geheimdienstes ermordet wurde. „Heute ist ihr Todestag. Wir tragen ihr Vermächtnis weiter. Wir Frauen fordern die Freiheit von Abdullah Öcalan“, so Demir.

Ein Marsch für Wahrheit und Würde

Die DEM-Abgeordnete Adalet Kaya erklärte in ihrer Rede, der Marsch sei mehr als nur eine politische Demonstration. „Es ist eine Suche nach Wahrheit und Freiheit“, sagte sie. „Seit vier Tagen laufen wir – nicht nur körperlich, sondern mit Hoffnung im Herzen und mit der Forderung nach demokratischer Lösung.“

Kaya verband den Protest mit einem Appell an die Öffentlichkeit: „Der Marsch steht für das Recht auf Hoffnung.“ Dieses Recht werde Tausenden Inhaftierten in der Türkei verweigert. „Doch Hoffnung ist ein Grundrecht – und ihre Verweigerung ist unmenschlich“, sagte sie. Deshalb, so Kaya, richte sich der Marsch auch „an die Würde der gesamten Gesellschaft“.

Ziel: Die physische Freiheit Öcalans

Die Demonstration von Amed nach Ankara will der Forderung nach Frieden, Gleichberechtigung und demokratischen Rechten öffentlich Gehör verschaffen. Ziel der TJA ist es, die physische Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan als zentrale Voraussetzung für einen politischen Dialog in der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen. Seine Freilassung und Gespräche mit der im türkischen Parlament eingerichteten „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ seien Voraussetzung für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, hieß es im Aufruf der Demonstration.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ocalan-an-tja-marsch-die-sprache-der-gleichberechtigung-nutzt-uns-allen-48236 https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauenmarsch-fur-freiheit-von-tausenden-in-dilok-empfangen-48222 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hatimogullari-ohne-konkrete-schritte-wird-dieser-prozess-nur-verschleppt-48229

 

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Öcalan an TJA-Marsch: Die Sprache der Gleichberechtigung nützt uns allen

4. Oktober 2025 - 22:00

Der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan hat sich in einer schriftlichen Botschaft an die Teilnehmerinnen der von der Bewegung Freier Frauen (TJA) organisierten Demonstration „Mit Hoffnung in die Freiheit“ gewandt. Die Erklärung wurde nach dem gestrigen Gespräch der Imrali-Delegation mit dem 76-Jährigen veröffentlicht.

Öcalan begrüßte den am 1. Oktober in der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır) gestarteten Friedensmarsch als wichtigen Beitrag zur demokratischen Auseinandersetzung in der Türkei. Die Aktion soll am 7. Oktober vor dem türkischen Parlament in Ankara in eine Abschlusskundgebung münden.

„Ich bin davon überzeugt, dass die von TJA-Frauen initiierte ‚Mit Hoffnung in die Freiheit‘-Demonstration einen bedeutenden Beitrag zu demokratischen Verhandlungen leisten kann“, heißt es in der auf den 3. Oktober datierten Botschaft Öcalans. Weiter heißt es:

„Ich spreche und handle im Sinne einer verhandelnden Demokratie – einer Form, die sich nach drei Jahrhunderten von Gewalt und Krieg als zeitgemäßer Lösungsweg entwickelt hat. Verhandlung muss Grundlage jeder Beziehung sein – auch zwischen Mann und Frau. Denn traditionelle Rollenverhältnisse basieren auf Dominanz des Mannes und Gehorsam der Frau – ein Modell, das inakzeptabel ist.“

Öcalan ruft dazu auf, gesellschaftliche, familiäre und politische Konflikte durch Dialog und mit einer „Sprache der Gleichberechtigung“ zu lösen. „Niemand sollte dem anderen autoritär oder befehlend begegnen. Eine gleichberechtigte Sprache wird uns allen zugutekommen“, so Öcalan. Er schließt seine Erklärung mit einem Gruß an alle Teilnehmerinnen des Marsches: „Ich grüße alle Weggefährtinnen der ‚Mit Hoffnung in die Freiheit‘-Demonstration mit Respekt. Ich würdige ihren Einsatz und ihre Verbundenheit zur Freiheit.“

Demonstration für Frieden und Öcalans Freilassung

Der von der TJA organisierte Protestmarsch will auf die anhaltenden politischen und sozialen Probleme in der Türkei aufmerksam machen – insbesondere auf die Situation von Frauen und die ungelöste kurdische Frage. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach Frieden, Gleichberechtigung und demokratischen Rechten.

Ein zentrales Anliegen der TJA ist zudem die physische Freiheit Abdullah Öcalans, die sie als notwendige Voraussetzung für einen neuen politischen Dialog betrachten. Seine Freilassung sowie Gespräche mit der im Parlament eingerichteten „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ seien zentrale Punkte für eine nachhaltige Lösung, hieß es im Aufruf zur Demonstration.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/frauenmarsch-fur-freiheit-von-tausenden-in-dilok-empfangen-48222 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hatimogullari-ohne-konkrete-schritte-wird-dieser-prozess-nur-verschleppt-48229 https://deutsch.anf-news.com/frauen/tja-frauenmarsch-erreicht-geburtsort-von-abdullah-Ocalan-48213

 

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Hîlar-Fest für Geschichte, Kultur und Kulinarik in Erxenî

4. Oktober 2025 - 18:00

Mit einem Festakt vor den historischen Hîlar-Höhlen im kurdischen Landkreis Erxenî (tr. Ergani) hat am Samstag das 2. Hîlar-Fest für Geschichte, Kultur und Gastronomie begonnen. Das mehrtägige Festival in der Provinz Amed (Diyarbakır) wird von der DEM-geführten Stadtverwaltung organisiert und soll das kulturelle Erbe der Region bewahren und erfahrbar machen.

Neben lokalen und überregionalen Gästen nahmen Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien an der Eröffnung teil. Auf dem Festgelände wurden traditionelle kulinarische Techniken vorgeführt – darunter die Zubereitung von Ayran nach alter kurdischer Meşk-Methode, das Kochen und Stampfen von Weizen, sowie die Herstellung von Traubenprodukten wie Fruchtleder und Sirup. Die hergestellten Speisen wurden an Besucher:innen verteilt.

Die Hîlar-Höhlen gelten als eine der bedeutendsten prähistorischen Stätten Mesopotamiens und sind Teil eines archäologischen Areals, das bis in das präkeramische Neolithikum zurückreicht. Die Felsformationen rund um Hîlar wurden in der Antike als Siedlungsraum, Grabstätten und Speicheranlagen genutzt. Ihre Nähe zur bedeutenden Fundstätte Qota Berçem (tr. Çayönü) – einer der ältesten bekannten neolithischen Siedlungen der Welt – macht Hîlar zu einem wichtigen Ort für die Erforschung früher Ackerbaukulturen und Sesshaftigkeit in Nordmesopotamien.


„Tief verwurzelte Geschichte“

In einer Eröffnungsrede erinnerte Şiyar Güldiken, Ko-Bürgermeister von Erxenî, an die Bedeutung der Region für die Menschheitsgeschichte: „Hier begann die Geschichte. Hier wurde zum ersten Mal gesät, geerntet, gesiedelt und domestiziert. Wir waren am Anfang der Geschichte dabei – und wir werden auch in Zukunft hier sein.“ Zugleich verband er die historische Bedeutung mit einem Appell für Frieden: „Auf dem Boden, auf dem die ersten Samen gesät wurden, sollen auch die Samen des Friedens wachsen.“

Kulturelles Erbe weitergeben

Die Ko-Bürgermeisterin Birsen Azak Bayar betonte die Verantwortung, das Wissen um die rund 12.000-jährige Geschichte Hîlar’s an kommende Generationen weiterzugeben. „Unsere Identität macht uns als Menschen aus – deshalb müssen wir sie schützen und bewahren“, sagte sie.

Nach den Ansprachen hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, die archäologische Stätte der Hîlar-Höhlen zu besichtigen. Der Wissenschaftler Doç. Dr. Savaş Sarıaltun führte durch das Gelände und erläuterte die historische Relevanz der Höhlen, die zu den frühesten Siedlungsspuren Mesopotamiens zählen.

Das Hîlar-Fest wird unterdessen mit Podiumsdiskussionen, Konzerten und weiteren kulturellen Veranstaltungen fortgesetzt.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/tausende-jahre-alte-siedlung-bei-farqin-entdeckt-47923 https://deutsch.anf-news.com/kultur/seltener-mosaikfund-in-erxeni-davidstern-mit-kreuz-entdeckt-47390 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/kalksteinbruch-bei-lice-bedroht-historische-birkleyn-hohlen-46980

 

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Grabbesuch bei Nagihan Akarsel in Konya

4. Oktober 2025 - 16:00

Drei Jahre nach der Ermordung der kurdischen Autorin, Journalistin und Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel ist in ihrem Heimatdorf Xelîkan (auch Xalîka Jêr, tr. Gölyazı) in der zentralanatolischen Provinz Konya ihrer gedacht worden. Akarsel war am 4. Oktober 2022 im südkurdischen Silêmanî erschossen worden – mit elf Schüssen aus der Waffe eines Auftragsmörders des türkischen Geheimdienstes.

An dem Grabbesuch bei Nagihan Akarsel nahmen unter anderem Vertreter:innen der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), der Frauenbewegung TJA sowie des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) teil. Die Zeremonie begann mit einer Schweigeminute, begleitet von den Rufen „Jin, Jiyan, Azadî“ – Frau, Leben, Freiheit.

„Wir sind mit ihr aufgewacht“

Zeynep Yalçın, Mitglied der DEM-Frauenkoordination in Zentralanatolien, würdigte Akarsels Wirken mit eindringlichen Worten: „Sie wollten sicherstellen, dass sie stirbt – weil ihre Gedanken, ihr Kampf und ihr Leben gefährlich waren für jene, die Veränderung fürchten.“ Der Mord habe nicht nur Schmerz hinterlassen, sondern auch einen Weckruf ausgelöst: „Seitdem lesen wir ihre Texte, ihre Analysen – und wir führen ihren Kampf weiter.“

„Sie war der Inbegriff des Widerstands“

Die DEM-Abgeordnete Gülderen Varlı bezeichnete Akarsel als Symbolfigur der kurdischen Frauenbewegung. „Sie war der Widerstand selbst – mit ihrer Stimme, ihrer Analyse, ihrer Sprache“, sagte Varlı. Der Mord an Akarsel sei kein Einzelfall, sondern Teil einer historischen Kontinuität patriarchaler Gewalt: „Immer wieder wurden Frauen, die für Freiheit standen, durch gezielte Angriffe zum Schweigen gebracht. Doch Nagihan hat mit ihrem Wirken das Gegenteil erreicht.“

„Keine ihrer Spuren wird vergessen“

In ihrer Ansprache betonte Varlı, dass Akarsel nicht nur politische Analysen verfasste, sondern auch „die verschüttete Geschichte der Frauen“ niederschrieb. Ihre Vision sei ein freies Kurdistan und eine freie Türkei gewesen. „Sie hat uns viel hinterlassen – ihre Gedanken, ihre Haltung, ihre Sprache. Und wir versprechen ihr: Keine dieser Spuren wird verloren gehen. Weder ihr Stift, noch ihr Wort, noch ihr Bewusstsein.“

Auf dem Grabstein steht ein Zitat aus einem ihrer Texte: „Sagt ein Wort, durch das ich zu uns werde, damit das Leben gemeinsam ist und Freiheit allen gehört.“ Mit diesem Satz, so Varlı, bleibe das Vermächtnis von Nagihan Akarsel als Auftrag, ihre Arbeit fortzusetzen, lebendig.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/gedenken-an-nagihan-akarsel-in-silemani-48231 https://deutsch.anf-news.com/frauen/im-gedenken-nagihan-akarsels-48206 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/staatsvertreter-raumt-anschlag-auf-nagihan-akarsel-ein-34366

 

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Kiesabbau von umstrittenem Unternehmer bedroht Zîlan-Fluss

4. Oktober 2025 - 16:00

Er galt als einer der Hauptverantwortlichen für den Tod von Dutzenden Menschen beim verheerenden Erdbeben 2011 in der kurdischen Provinz Wan (tr. Van) – jetzt steht der Unternehmer Salih Ölmez erneut in der Kritik: Im Kreis Erdîş (Erciş) hat er am ökologisch hochsensiblen Zîlan-Fluss ein Kieswerk in Betrieb genommen, das laut Umweltschützer:innen schwere Schäden anrichtet und bedrohte Tierarten gefährdet.

Der Fluss gilt als einer der wichtigsten Naturlebensräume der Region. Dennoch betreibt Ölmez dort mehrere Sand- und Kiesgruben – trotz des offiziellen Status als „besonders schützenswertes sensibles Gebiet“. Auf der Baustelle im Ortsteil Çelebibağ sind Bagger, Förderanlagen und Lkw im Dauereinsatz. Das Flussbett wird sichtbar verändert, die Kiesmassen auf umliegende Flächen umgelagert.

Neben seltenen Vogelarten wie Kranichen, Steppenten und Sichelstrandläufern sind auch mehrere endemische Fischarten vom Eingriff betroffen – darunter zwei Arten, die weltweit ausschließlich im Zîlan-Fluss sowie im Wan-See vorkommen, der von dem Bach gespeist wird: Barbatula ercisianus und Barbus ercisianus.

Wasserkanäle versiegen – Erdrutsche befürchtet

Laut Anwohner:innen drohen die Bewässerungskanäle in benachbarten Dörfern durch die Eingriffe zu versiegen. Viehweiden seien kaum noch zugänglich, das Risiko von Bodenabsenkungen, Überschwemmungen und Erdrutschen steige deutlich. „Der Fluss wird Stück für Stück zerstört“, sagte ein Dorfbewohner.

Genehmigungslage unklar – Kritik an Intransparenz

Ob für die Arbeiten eine gültige Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt, ist bislang unklar. Auch bleibt offen, ob der Eingriff in dieser Form durch geltendes Umweltrecht gedeckt ist. Laut lokalen Angaben wurde die Betriebslizenz für den Kiesabbau von der staatlichen Verwaltung des Landkreises Erdîş erteilt.

Die betroffenen Dorfbewohner:innen gaben an, über die Maßnahmen nicht informiert worden zu sein. Sie kritisieren, dass der Fluss „im Interesse eines einzelnen Unternehmens“ ausgebeutet werde. Ein Anwohner sagte: „Man hat uns weder gefragt noch aufgeklärt. Unsere Lebensgrundlage wird für den Profit zerstört.“

Alte Vorwürfe, neue Empörung

Salih Ölmez war nach dem schweren Erdbeben in Wan im Jahr 2011 in den Fokus geraten. 39 Menschen kamen damals in Erdîş ums Leben, als das von ihm errichtete „Sevgi Apartmanı“ einstürzte. Ein Verfahren gegen ihn endete mit einem Freispruch, die Akte verjährte später. Für viele Familien der Opfer blieb das Verfahren unbefriedigend, von einem „versäumten Recht auf Gerechtigkeit“ war die Rede. Jetzt sorgt Ölmez erneut für Empörung – diesmal nicht mit Beton, sondern mit schwerem Gerät in einer der empfindlichsten Naturlandschaften Ostanatoliens.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/energieprojekte-setzen-natur-in-wan-unter-druck-48115 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/wan-Okologie-rat-setzt-auf-basisdemokratischen-umweltschutz-47166 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/toki-baut-mega-wohnanlage-in-Sirnex-48177 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/umweltverein-warnt-vor-zerstorung-des-sarim-tals-durch-kraftwerke-48149 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/Okologische-vernichtung-als-strategie-47638

 

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Anti-Drogen-Plattform „Şiyar Be!“ nun auch in Şirnex aktiv

4. Oktober 2025 - 16:00

In der nordkurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (tr. Şırnak) ist eine Initiative gegen Drogenmissbrauch ins Leben gerufen worden. Die Plattform versteht sich als Teil der im April in Amed (Diyarbakır) gegründeten Bewegung „Şiyar Be!“ („Sei wachsam!“) und will auf die zunehmende Verbreitung von Drogen und damit verbundene soziale Probleme aufmerksam machen.

Die Gründung wurde am Samstag mit einer öffentlichen Erklärung auf dem Cumhuriyet-Platz bekannt gegeben. Unterstützt wurde die Initiative von der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie lokalen Gewerkschaften. Teilnehmende trugen Schilder mit Aufschriften wie „Nicht zum Rausch, sondern zur Wachsamkeit“, „Freiheit statt Sucht“ und „Der Widerstand gegen Drogen heißt Şiyar Be“.

Drogen als soziales Symptom

Die Erklärung wurde auf Türkisch von Mehmet Ertan von der Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen und auf Kurdisch von Esma Erener, Ko-Vorsitzende des Bezirksverbands der DEM-Partei, verlesen. Darin wurde betont, dass Drogenmissbrauch, Prostitution und soziale Zerrüttung nicht nur individuelle Probleme seien, sondern Ausdruck einer systemischen Krise, genährt von Armut, Perspektivlosigkeit und politischen Machtverhältnissen. „Diese Mittel dienen der inneren Zersetzung der Gesellschaft und stärken gleichzeitig die Interessen der Herrschenden“, sagte Ertan.

Die Plattform rief dazu auf, organisierte gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, um sich gemeinsam gegen diese Entwicklungen zu wehren. „Drogenkonsum ist keine reine Privatsache – es ist eine Frage des gesellschaftlichen Gewissens und der gemeinsamen Zukunft“, so Ertan weiter. Eine der Hauptursachen für die teils staatlich geförderte Ausbreitung sei das Fehlen organisierter Gegenwehr in der Bevölkerung.

Organisieren, aufklären, handeln

Nur eine bewusst handelnde, gut organisierte Gesellschaft könne langfristig ihre Werte schützen und soziale Probleme bewältigen, hieß es in der Erklärung. Die Plattform wolle daher Aufklärungsarbeit leisten, lokale Netzwerke aufbauen und Menschen zur Selbstorganisation ermutigen. „Die Lösung liegt in der Hand der Gesellschaft. Unsere Werte gehen nicht durch äußere Gewalt verloren, sondern durch unser eigenes Schweigen. Brechen wir dieses Schweigen gemeinsam“, so Ertan.

Die Aktion endete mit der Parole „Umarme das Leben, nicht die Droge“. Im Anschluss verteilten Teilnehmende Informationsmaterialien an Passant:innen und besuchten lokale Geschäfte, um für die Initiative zu werben.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/psychologe-in-amed-soziale-bindung-als-schlussel-gegen-drogenabhangigkeit-48058 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/plattform-Siyar-be-nimmt-arbeit-in-Elih-auf-47529 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/protestmarsch-in-merdin-gegen-wachsenden-drogenkonsum-47731 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/Siyar-be-neues-bundnis-gegen-drogen-und-gesellschaftliche-zerstorung-46078

 

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Gedenken an Nagihan Akarsel in Silêmanî

4. Oktober 2025 - 16:00

In der südkurdischen Metropole Silêmanî ist am Jahrestag der Ermordung von Nagihan Akarsel eine Gedenkveranstaltung abgehalten worden. Am Ort des Attentats im Stadtteil Bextiyarî versammelten sich am Samstag zahlreiche Menschen, um der Journalistin, Autorin und Mitbegründerin des Jineolojî-Forschungszentrums zu gedenken.

Die Zeremonie begann mit einer Schweigeminute. Anschließend wurden an der Stelle, an der Akarsel am 4. Oktober 2022 von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes erschossen wurde, Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet.

Verlust hinterließ eine tiefe Wunde in der kurdischen Gesellschaft

In einer von der politischen Aktivistin Sara Reza verlesenen Erklärung hieß es, der Mord an Akarsel habe „eine tiefe Wunde in der Seele der Gesellschaft hinterlassen“. Akarsel sei nicht nur Forscherin und Publizistin gewesen, sondern auch eine treibende Kraft beim Aufbau des kurdischen Frauenarchivs sowie der Frauenbibliothek in Silêmanî. Ihre Gedanken und ihr Werk seien zum Ziel geworden – sie selbst zur Gefallenen.

„Nagihan war eine Frau, deren stärkste Waffen Gedanken, Wissen und ihr Stift waren“, sagte Reza. Ihre Arbeit sei Teil eines größeren Kampfes um Selbstbestimmung, Geschichtsschreibung und kollektive Erinnerung von Frauen gewesen. „Wir werden uns nicht nur mit Trauer begnügen, sondern ihre Träume weiterverfolgen und verwirklichen“, so die Erklärung weiter.

Ihre Worte haben längst Grenzen überschritten

Die Rednerin verwies auch auf die internationale Dimension von Akarsels Wirken: Ihre Worte, Bücher und Ideen hätten längst Grenzen überschritten – von Kurdistan bis Europa und darüber hinaus. „In mehreren Ländern werden derzeit Veranstaltungen zur Veröffentlichung ihrer Schriften vorbereitet.“ Auch dies sei Teil ihres anhaltenden Erbes.

„Die Identität der freien kurdischen Frau ist heute zu einem Symbol geworden, das weltweit Anerkennung findet. Frauen schöpfen Hoffnung aus ihrer Geschichte und ihrem Widerstand“, so Sara Reza. Nagihan Akarsel habe dazu beigetragen, dass das Wissen und die Erinnerungen von Frauen aus den Archiven zurück in die Gesellschaft getragen würden. Die Gedenkveranstaltung endete mit einem Appell an die Fortsetzung des feministischen und kollektiven Kampfes, den Akarsel zeitlebens geführt hatte.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/im-gedenken-nagihan-akarsels-48206 https://deutsch.anf-news.com/frauen/erklarung-der-internationalen-initiative-gerechtigkeit-fur-nagihan-akarsel-43745 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/staatsvertreter-raumt-anschlag-auf-nagihan-akarsel-ein-34366

 

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