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Aktualisiert: vor 48 Minuten 23 Sekunden

QSD: IS-Anschlag vereitelt und drei Terroristen festgenommen

1. Oktober 2025 - 14:00

Im Rahmen der laufenden Sicherheits- und Militäraktionen ist Einheiten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), laut einer aktuellen Mitteilung ihres Pressezentrums, gelungen, eine aus drei Mitgliedern bestehende Terrorzelle des selbsternannten Islamischen Staats (IS) in Al-Takihi östlich von Deir ez-Zor festzunehmen.

Die Operation erfolgte der Mitteilung zufolge nach genauer Beobachtung der Bewegungen der Zellenmitglieder, die sich auf Terroranschläge gegen die Sicherheit und Stabilität der Region vorbereiteten. QSD-Einheiten umzingelten demnach den Ort in dem nahe der Kleinstadt Al-Busayrah gelegenen Dorf Al-Takihi und nahmen die Verdächtigen fest, ohne das es zu Verlusten gekommen sei.

Waffen und Dokumente beschlagnahmt

Weiterhin geben die QSD an, während der Operation Waffen und Dokumente beschlagnahmt zu haben, die die Zugehörigkeit der Festgenommenen zum IS belegen und ihre Beteiligung an der Planung terroristischer Angriffe bestätigen, die das Leben von Zivilist:innen bedrohten.

Die QSD betonten abschließend ihr Engagement gegen die Überreste der Terrororganisation IS mit Entschlossenheit weiterzuführen, um sowohl die Bevölkerung wie auch deren Errungenschaften zu schützen, und die Stabilität der Region zu gewährleisten.

Verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in der Region

Anfang der vergangenen Woche hatte das multiethnische Militärbündnis bekannt gegeben, dass zwischen dem 8. Dezember 2024 – dem faktischen Ende der Baath-Herrschaft – und dem 20. September dieses Jahres insgesamt 153 IS-Anschläge in den Gebieten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) verzeichnet wurden. Diese Zahl deute auf eine verstärkte Reorganisierung der Extremistengruppe hin, so die QSD.

Mahmoud al-Hussein von der Generalkommandantur der Asayîş in Deir ez-Zor, erklärte wenige Tage später, dass in der Region seit Wochen verstärkt Patrouillen durchgeführt, Grenz- und Übergangspunkte streng kontrolliert und gezielte Operationen gegen mutmaßliche IS-Zellen durchgeführt würden. Deir ez-Zor ist von den verstärkten Aktivitäten der IS-Überreste besonders betroffen.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/qsd-nehmen-is-funktionar-in-ostsyrien-fest-und-vereiteln-anschlag-48171 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zwei-sicherheitskrafte-bei-anschlag-nahe-deir-ez-zor-verletzt-48134 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/vier-qsd-kampfer-bei-gefechten-mit-is-zellen-in-ostsyrien-gefallen-48128

 

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Syrien: 267 getötete Zivilist:innen im September

1. Oktober 2025 - 13:00

In den von der syrischen Übergangsregierung kontrollierten Gebiete ist das Leben der Zivilbevölkerung nicht sicher. Allein im vergangenen Monat September sind in Damaskus und den umliegenden Dörfern sowie in Homs, Hama, Latakia, Aleppo, Tartus, Idlib, Daraa und Deir ez-Zor 267 Menschen getötet worden.

Beteiligung an Massakern

Die der syrischen Übergangsregierung beteiligen sich regelmäßig an Massakern, wie kürzlich auch ein Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bestätigte. So verübten bewaffnete Männern, die Als-Schaaras Interimsregierung angehören, in dem Dorf Umm Tina in der Nähe der Stadt Dair Hafir (auch Deir Hafer) im Osten von Aleppo ein Blutbad, indem sie Zivilist:innen mit einer Drohne angriffen. Bei dem Angriff wurden acht Menschen getötet.

Etwa 20 Kinder und etwa 15 Frauen wurden im gleichen Zeitraum durch Landminenexplosionen, Kriegsrückstände oder durch Querschläger getötet.

In den gleichen Gebieten Syriens wurden im August 166 Menschen getötet.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mehrere-verletzte-bei-neuen-angriffen-auf-dair-hafir-48085 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/zwei-tote-in-aleppo-bei-drohnenangriff-47819 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/ngo-warnt-vor-gezielten-entfuhrungen-kurdischer-zivilist-innen-in-syrien-48048

 

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Aslan: Das Recht auf Hoffnung nicht länger aufschieben

1. Oktober 2025 - 13:00

Das Ministerkomitee des Europarats hat vom 15. bis 17. September seine vierteljährliche Tagung zu Menschenrechten abgehalten. Hierbei ist unter anderem der Fall der „Gurban-Gruppe“ bezüglich des „Rechts auf Hoffnung“ untersucht worden. Neben dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan gehören auch die politischen Gefangenen Hayati Kaytan, Emin Gurban und Civan Boltan zu dieser Gruppe.

Der Ausschuss gewährte der Türkei erneut eine Frist bis Juni 2026 und verwies auf die für gesetzliche Regelungen eingerichtete parlamentarische Kommission, anstatt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den türkischen Staat und die türkische Regierung einzuleiten, die seit elf Jahren das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum „Recht auf Hoffnung” nicht umgesetzt haben.

In diesem Urteil wurde die 27-jährige absolute Isolation von Abdullah Öcalan im Typ-F-Hochsicherheitsgefängnis Imrali als „Folter“ definiert. Newroz Uysal Aslan, Anwältin von Abdullah Öcalan und Abgeordnete der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), sprach mit ANF und sagte, dass der Europarat mit dieser Entscheidung seine eigenen Grundsätze mit Füßen getreten habe.

Letzter Besuch durch Güvens Hungerstreik möglich

Newroz Uysal Aslan war vor ihrer Wahl zur Abgeordneten der DEM-Partei als Anwältin in der Kanzlei Asrin tätig. Im Gespräch mit ANF begann sie ihre Ausführungen mit einer positiven Bewertung des jüngsten Treffens dreier ihrer Kollegen mit ihrem Mandanten, dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Dies war das erste Treffen Öcalans mit seinem Rechtsbeistand nach sechs Jahren.

Aslan, die zuletzt am 7. August 2019 zusammen mit ihrem Kollegen Rezan Sarıca Imrali für ein Treffen mit Öcalan auf Imrali war, erinnerte sich wie folgt an den Ablauf: „Die Beschränkungen für Anwält:innen begannen, wie Sie sich vielleicht erinnern, im Juli 2011. Wir konnten erst im August 2019 auf die Insel Imrali reisen. Dieser Besuch fand aufgrund der Hungerstreiks und des Todesfastens statt, die unter der Führung von Leyla Güven, Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und Ko-Vorsitzende des Demokratischen Gesellschaftskongresses (DTK), gegen die Isolation auf Imrali initiiert wurden und sich auf viele Teile der Welt ausbreiteten.

Anwaltsbesuche durch willkürliche Entscheidungen verhindert

Dieser Besuch war also kein Schritt des Staates, der auf Rechten oder Politik beruhte, sondern resultierte vielmehr aus der wachsenden Reaktion gegen die Isolation. Tatsächlich wurde nach dem Treffen erneut eine verschärfte Isolation in Imrali verhängt. Mit dem Prozess, der durch Herrn Öcalans „Aufruf für Frieden und einer demokratischen Gesellschaft“ am 27. Februar eingeleitet wurde, konnten drei unserer Kollegen aus der Anwaltskanzlei Asrin zum ersten Mal seit sechs Jahren auf die Insel reisen.

Die Verwirklichung dieses Treffens ist nicht nur im Hinblick auf die rechtliche Aufhebung der Isolation von Bedeutung, sondern auch, weil dadurch deutlich wurde, dass die Besuche von Anwält:innen nicht, wie vom Gericht behauptet, durch Disziplinarmaßnahmen verboten worden waren, sondern durch willkürliche und politische Entscheidungen.

Rechtliche Verbesserungen müssen bei Öcalan ansetzen

Wenn in diesem Prozess eine Rückkehr zum Recht erfolgen solle, betonte die Anwältin, müssten die Bedingungen des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan als Hauptakteur und wichtigster Gesprächspartner verbessert werden. „Anwaltliche Besuche müssen regelmäßig stattfinden. Familienbesuche sollten nicht auf Feiertage beschränkt sein, sondern auf der Grundlage von Rechten, in Übereinstimmung mit innerstaatlichem Recht und internationalen Konventionen, durchgeführt werden. Auch Delegationsbesuche müssen gewährleistet sein; andere Rechte wie Briefe und Telefonate müssen in vollem Umfang angewendet werden. Die Umsetzung dieser Rechte ist bereits eine gesetzliche Verpflichtung. Wenn in diesem Prozess rechtliche Verbesserungen vorgenommen werden sollen, müssen sie auf Imrali beginnen, bei den Bedingungen von Herrn Öcalan“, so Aslan.

Ministerkomitee tritt Gründungsprinzipien mit Füßen

Bezüglich der vorläufigen Entscheidung des Ministerkomitees des Europarates zum „Recht auf Hoffnung“ erklärte Aslan, dass diese weder mit den internen Vorschriften des Komitees noch mit seinen Gründungsprinzipien vereinbar sei. Sie fügte hinzu, dass sie im Fall von Herrn Öcalan nicht der strukturellen Schwere der Verstöße entspreche, denen Tausende von Menschen ausgesetzt sind, die in der Türkei zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurden.

„Zunächst einmal hat der Ausschuss kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Da es sich um ein strukturelles Problem handelt, wäre der betreffende Staat normalerweise verpflichtet, seine Gesetze zu ändern. Der jüngste Aktionsplan der Türkei enthielt jedoch keine Verpflichtungen, keinen Zeitplan und keinen Fahrplan. Im Gegenteil, er sah eine Fortsetzung der Sonderregelung der verschärften lebenslangen Freiheitsstrafe vor“, konstatierte die Juristin.

Das Problem ist politischen Charakters

Mit Verweis auf die vom Ministerkomitee vorgebrachten Vorschläge sagte Aslan: „In seiner vorläufigen Entscheidung verwies der Ausschuss auf die von uns vorgelegten Gesetzesvorschläge zur Änderung der Gesetze über verschärfte lebenslange Freiheitsstrafen und forderte, dass diese in der Generalversammlung diskutiert werden, wobei er auch auf die unter der Großen Nationalversammlung der Türkei eingerichtete ‚Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie‘ hinwies. Damit wurde der politische Charakter des Problems deutlich.

Das Recht auf Hoffnung war zu einer Angelegenheit geworden, die der EGMR, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) und der Europarat unter rechtlichen Vorwänden beharrlich verschleiert hatten. In diesem Sinne kam die Verweisung einer Angelegenheit wie dem Recht auf Hoffnung, das nach elf Jahren hätte überprüft werden müssen, durch den Europarat an eine mit dem politischen Prozess verbundene Kommission einem Eingeständnis ihrer politischen Dimension gleich.

Ein Eingeständnis wovon? Ein Eingeständnis der politischen Natur des Rechts auf Hoffnung. Es war in der Tat ein Eingeständnis, dass die politische Position und die politischen Gründe von Herrn Öcalan der Hintergrund waren, auf dem das Recht auf Hoffnung verweigert wurde.

„Eine wichtige, aber unzureichende Entscheidung“

Aslan fuhr fort: „Wenn das Recht auf Hoffnung seit elf Jahren nicht umgesetzt wird, dann liegt das genau an der politischen Haltung des Ausschusses, seinem Lösungsansatz und seiner Zusammenarbeit mit der Türkei. In dieser Hinsicht war dies eine wichtige, aber unzureichende Entscheidung.

Hätte der Ausschuss die bisherigen Praktiken der Türkei berücksichtigt und statt einer Frist bis Juni 2026 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und die Angelegenheit an die Kommission verwiesen, wäre dies realistischer und seriöser erschienen. Leider hat der Ausschuss keine solche Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass er im Einklang mit den politischen Positionen der Staaten handelt.

Für eine Institution, die auf der Grundlage von Demokratie, Recht, Menschenrechten und Gerechtigkeit existiert und diese Prinzipien in Europa und den Mitgliedstaaten des Rates überwacht, bedeutet eine Haltung entsprechend der politischen Position eines Staates eine Untergrabung und Missachtung ihrer eigenen Prinzipien. Der Ausschuss handelt in einer Weise, die seiner Existenz widerspricht. Von Anfang bis Ende handelt es sich um eine politische Haltung.“

Regierung muss nicht auf Kommission warten

Als ehemalige HDP- und aktuelle DEM-Abgeordnete merkte die Anwältin an, dass sie mehr als 100 Gesetzesvorschläge zum Recht auf Hoffnung eingereicht hätten, die in der Justizkommission und der Untersuchungskommission für Menschenrechte des Parlaments auf ihre Bearbeitung warten. „Die Regierung kann das Recht auf Hoffnung im Parlament verabschieden, indem sie diese Vorschläge diskutiert, ohne auf die Kommission zu warten.

Die Tatsache, dass die Regierung diese Angelegenheit hinauszögert, hängt ausschließlich mit den Bedingungen von Herrn Öcalan zusammen. Ansonsten ist die Türkei verpflichtet, diese vorläufigen Entscheidungen unverzüglich umzusetzen. Es ist die Aufgabe des Ausschusses selbst, dafür zu sorgen, dass diese Verpflichtung erfüllt wird. Es gibt Prozesse der Zusammenarbeit, des Kompromisses, der Verhandlung und des Dialogs zwischen dem Ausschuss und der Türkei. Daher liegt die Verantwortung für die jahrelange Nichtumsetzung der Entscheidungen nicht nur bei der Türkei, sondern auch beim Europarat selbst“, so Aslan.

Ministerkomitee schlägt zwei Wege vor

Die Politikerin und Juristin hob insbesondere einen Unterschied der aktuellen Ministerkomitee-Entscheidung zu vorherigen hervor: „Der einzige wichtige Punkt in der vorläufigen Entscheidung des Ausschusses ist, dass er auf einen konkreten Mechanismus durch die Kommission hingewiesen hat. In früheren Verfahren hat der Ausschuss beispielsweise Daten und Informationen angefordert, aber nicht gesagt: ‚Machen Sie dies konkret.‘

In dieser Zwischenentscheidung schlägt er nun zwei Wege für die Türkei vor: Erstens, die von den Abgeordneten eingereichten Gesetzesvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen und sie an die Generalversammlung zu verweisen; oder zweitens, die bestehende Kommission zu nutzen und das Recht auf Hoffnung als Teil dieses Prozesses in einen Vorschlag umzuwandeln. Das Parlament tagt diese Woche, und wenn die Türkei es wünscht, könnte sie das Recht auf Hoffnung sofort als Gesetzesvorschlag auf die Tagesordnung setzen und verabschieden.“

Das Recht auf Hoffnung muss Priorität erhalten

„Numan Kurtulmuş verwies für gesetzliche Regelungen zeitlich auf Oktober, aber das Recht auf Hoffnung muss in diesen Regelungen rechtliche Priorität erhalten“, so Aslan weiter. „Von Anfang an wurde zunächst durch internationale Untersuchungen und später durch das Urteil des EGMR bestätigt, dass die verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe nicht den internationalen Standards entspricht und der Todesstrafe gleichkommt. Die Türkei wurde gewarnt, dass sie diese Strafe nicht verhängen sollte.“

„Die Türkei hat wiederholt gegen eine internationale Konvention verstoßen, zu deren Umsetzung sie verpflichtet ist, und sie seit elf Jahren rechtlich ausgesetzt. Das Recht auf Hoffnung ist nun ein Recht, das legal nicht mehr aufgeschoben werden kann. Politisch gesehen ist die Forderung, Herrn Öcalan aus der Isolation zu befreien und ihm seine körperliche Freiheit zu gewähren, nicht nur eine ein Jahr alte Forderung, sondern eine 27 Jahre alte. Weltweit wurden Tausende von Aktionen, Mahnwachen, Kampagnen, Konferenzen und Anträgen durchgeführt. Die Frage des Rechts auf Hoffnung ist auch etwas, das rechtlich gesehen die Tür zur Freiheit öffnen könnte“, betonte die Politikerin anschließend.

„Der Staat kann Öcalans Freiheit nicht aufschieben“

Sie fuhr fort: „Die Freiheit von Herrn Öcalan, der den Willen von Millionen Menschen vertritt, ist eine Angelegenheit, die der Staat politisch weder aufschieben noch ignorieren kann. Seine Isolationsbedingungen sind mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie politisch, moralisch und gewissensmäßig von niemandem, der an Demokratie und Frieden glaubt, toleriert oder akzeptiert werden können. In dieser Hinsicht ist das Recht auf Hoffnung eine rechtliche Verpflichtung und politisch einer der allerersten Schritte, die unternommen werden müssen.“

„Wenn die Gesetzgebung zur verschärften lebenslangen Haftstrafe in der Türkei geändert wird, besteht die Möglichkeit, dass Herr Öcalan freikommt. Das Parlament ist das Gremium, das diese Gesetzesänderung vornehmen kann. Die Abgeordneten reichen Vorschläge ein, die dann in der Justizkommission, der Menschenrechtskommission und den zuständigen Ausschüssen diskutiert werden, bevor sie als Gesetzentwurf oder Vorschlag in die Generalversammlung kommen. Dort werden sie debattiert, abgestimmt und im Rahmen des normalen Gesetzgebungsverfahrens verabschiedet“, führte Aslan aus.

Klare Prioritäten für die Parlamentskommission

Die Anwältin schloss mit der Bemerkung: „Die für diesen Prozess geschaffene Kommission ist keine durch Gesetz im Parlament eingerichtete Fachkommission, sondern eine Kommission, die den rechtlichen Hintergrund des Prozesses bilden wird. Das bedeutet nicht, dass die Kommission selbst Gesetze erlassen kann. Sie kann lediglich einen Bericht zu diesem Thema erstellen und der Generalversammlung des Parlaments Empfehlungen unterbreiten, wie z. B. ‚dieses Gesetz sollte geändert werden‘, ‚dies sollte auf diese Weise geschehen‘ oder ‚dieser Schritt sollte unternommen werden‘, und ihre Priorität muss dies sein.“

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/appell-in-strassburg-vielfaltige-stimmen-fordern-freiheit-fur-abdullah-Ocalan-48184 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-partei-frieden-nur-durch-dialog-mit-Ocalan-moglich-48179 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/Candar-Ocalan-muss-angehort-das-recht-auf-hoffnung-umgesetzt-werden-48172

 

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Kabayel über die Bedeutung der Vielfalt für das Alevitentum

1. Oktober 2025 - 11:00

Am 19. Juni schrieb die Musikerin Sabahat Akkiraz auf der digitalen Medienplattform X: „Talat Pascha ist ein Held.“ Letzte Woche schrieb Erdal Erzincan auf derselben Plattform: „Das Alevitentum ist eine alte Tradition, die 72 Nationen umfasst. Es gibt keine ‚kurdischen Aleviten‘ oder ‚türkischen Aleviten‘, sondern es gibt Aleviten, die Kurdisch sprechen, Aleviten, die Türkisch sprechen, oder Aleviten, die Zazaki sprechen. Die Sprache des Alevismus ist die Sprache des Volkes; seine Ritualsprache ist Türkisch. Die Tradition hat uns dies so überliefert.“

Die Ko-Vorsitzende der Föderation der Demokratischen Alevit:innen in Europa (FEDA), Huri Kabayel, beschrieb die Haltung von Sabahat Akkiraz und Erdal Erzincan ANF gegenüber als „Bindung des Alevismus an die monolithische Ideologie des Staates“.

Zunächst möchte ich mit dem Beitrag von Sabahat Akkiraz beginnen. Sowohl turkmenische Alevit:innen als auch kurdische Kızılbaş-Alevit:innen haben unter Massakern gelitten. Wie interpretieren Sie, dass Sabahat Akkiraz, die für ihre alevitische Identität bekannt ist, sagt: „Talat Pascha ist ein Held“?

Die jüngste Lobpreisung Talat Paschas durch die Künstlerin Sabahat Akkiraz ist eine tiefe Wunde für die alevitische Gemeinschaft. Talat Pascha war einer der Architekten der Völkermordpolitik, die der türkische Staat bis heute fortsetzt, und einer der Führer des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ [Ittihad ve Terraki, türkische nationalistische Organisation, die zwischen 1889 und 1926 aktiv war und 1915 den Völkermord an den Armenier:innen organisierte, Anm. d. Red.]. Sein Name wird zusammen mit Cemal Pascha und Enver Pascha mit dem Völkermord von 1915, den Vertreibungen und der den kurdischen Alevit:innen aufgezwungenen Assimilation in Verbindung gebracht.

Tyrannei gutzuheißen, widerspricht dem Alevitentum

Für alevitische Kunstschaffende – insbesondere eine Künstlerin – ist es umso schmerzhafter, einen Völkermörder wie Talat Pascha zu loben, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Der Alevismus ist vielleicht die einzige Religion, die sich auf Frauen konzentriert und Frauen wertschätzt. Dass eine Frau eine solche Aussage macht, widerspricht dem alevitischen Glauben und hat die Alevit:innen tief verletzt.

Den Henker der Völker als Helden zu bezeichnen, ist ein Verrat am alevitischen Weg. Denn der Alevismus gebietet, sich auf die Seite der Unterdrückten gegen die Tyrannei zu stellen. Talat Pascha zu umarmen bedeutet, sich nicht auf die Seite der Unterdrückten, sondern auf die Seite der Unterdrücker zu stellen. Das bedeutet, den Alevismus an die monolithische Ideologie des Staates zu binden.

Erdal Erzincan sagte auch: „Die Sprache des Alevismus ist die Sprache des Herzens, aber die Ritualsprache ist Türkisch. Die Tradition hat uns dies so überliefert.“ Wie realistisch ist diese Aussage Ihrer Meinung nach?

Unmittelbar nach den Äußerungen von Sabahat Akkiraz trat der Musiker Erdal Erzincan mit folgenden Worten in den Vordergrund: „Die rituelle Sprache des Alevismus ist Türkisch, es gibt keine kurdischen oder türkischen Aleviten.“ Dieser Diskurs ist nichts anderes als eine Wiederholung der Assimilationspolitik, die der Staat den Alevit:innen seit Jahren auferlegt.

Die Vielfalt hat die Tradition erhalten

Es stimmt, dass die „Sprache des Herzens“ des Alevismus universell ist, die gemeinsame Sprache der Seelen. Aber das kann kein Vorwand sein, um den Menschen ihre Muttersprachen zu verweigern. In Dersim, Koçgiri und Maraş wurden Hymnen (nefes) auf Kurdisch und Zazaki gesungen; arabische Alevit:innen haben Cem-Zeremonien in ihrer eigenen Sprache durchgeführt, türkische Hymnen waren ebenfalls Teil dieses Reichtums. Zu sagen, „die Ritualsprache des Alevismus ist nur Türkisch“, bedeutet, dieses historische Erbe zu leugnen und eine monolithische Mentalität zu legitimieren.

Die alevitische Tradition ist seit Jahrhunderten ein Symbol des Widerstands gegen die Macht. Vom Osmanischen Reich bis zur Republik war sie Ziel von Massakern, Vertreibung und Zwangsumsiedlungen. Dennoch hat sich diese Tradition bis heute durch Sprache, Hymnen, Zeremonien, mit anderen Worten, durch die Vielfalt der Völker erhalten. Das Alevitentum auf eine einzige Sprache oder eine einzige Identität zu reduzieren, bedeutet, das Wesen dieses Widerstands zu ignorieren.

Es mag etwas absurd klingen, aber ich möchte dennoch fragen: Gibt es, wie Erdal Erzincan sagte, so etwas wie „kurdische Alevit:innen“?

Kurdische Alevit:innen haben historisch gesehen eine doppelte Unterdrückung erlitten, sowohl wegen ihres Glaubens als auch wegen ihrer Identität. Koçgiri, Maraş und Dersim sind die schmerzlichsten Zeugen dafür. Zu sagen, „es gibt keine kurdischen Alevit:innen”, bedeutet, diese historische Realität zu leugnen. Eine solche Leugnung dient nur dem Staat; sie fördert nicht die Einheit der Völker, sondern vertieft ihre Spaltung.

Was bedeuten diese Diskurse, die die Alevit:innen homogenisieren?

Die Wahrheit des Weges bedeutet, auf die Wahrheit des Glaubens zuzugehen. Die Wahrheit findet sich nicht in der offiziellen Ideologie des Staates, sondern im Leben der Völker, in ihren Cem-Zeremonien, in ihren Sprachen und in ihrem Widerstand. Jeder Diskurs, der das Alevitentum homogenisiert, ist eine Abweichung von der Wahrheit des Weges. Der wahre Weg besteht darin, das Recht der Völker zu verteidigen, ihre Sprache, ihre Identität und ihren Glauben frei zu leben.

Heute lautet die zutreffendste Antwort auf die Frage nach der Sprache des Alevismus: Die Sprache des Alevismus ist die Muttersprache der Völker. Das kann Türkisch, Kurdisch, Arabisch sein ... Die „Sprache des Herzens” ist zwar universell, aber das kann kein Grund sein, die Muttersprachen zu leugnen.

Die Kızılbaş-Tradition bleibt ihrem Wesen nur insofern treu, als sie die Vielfalt der Völker umfasst. Jeder Ansatz, der Talat Pascha lobt oder das Alevitentum auf eine einzige Sprache reduziert, dient der assimilationistischen Mentalität der Regierung. Unser Weg ist es, die Wahrheit gegen diese Mentalität zu verteidigen. Nur so können sowohl das Alevitentum als auch unsere Völker befreit werden.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/verfassungs-und-friedenserklarung-alevitischer-frauen-47435 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/alevitische-verbande-wir-sind-konstitutive-kraft-fur-frieden-und-wandel-47363 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/firat-alevitische-und-kurdische-frage-gemeinsam-demokratisch-losen-47489

 

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Britische Gewerkschaften fordern Frieden in der Türkei

1. Oktober 2025 - 9:00

Auf dem Podium des Jahresparteitags der regierenden Labour Party in Großbritannien stand die Unterstützung britischer Gewerkschaften für Initiativen für Frieden und eine demokratische Gesellschaft in der Türkei auf der Tagesordnung.

Den Vorsitz der Podiumsdiskussion hatte Clare Baker, internationale Beauftragte der Gewerkschaft UNITE the union. Der internationale Direkter der UNITE Gewerkschaft und Sprecher der „Freedom for Öcalan“-Kampagne, Simon Dubbins, erinnerte daran, dass die Gewerkschaft mit über einer Million Mitgliedern seit fast zehn Jahren Solidarität mit der kurdischen politischen Bewegung zeigt und jedes Jahr auf dem Labour-Parteitag eine führende Rolle bei diesen Bemühungen einnimmt.

Aus Erfahrungen lernen

In der Podiumsdiskussion, die sich mit Abdullah Öcalans „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ befasste, tauschten britische Gewerkschaften ihre Erfahrungen aus internationalen Friedensprozessen und ihre Sichtweisen zur Solidarität aus. Die Redner:innen betonten die Notwendigkeit, den Prozess auf der Grundlage von Transparenz und Sensibilität durchzuführen und dass die britische Regierung diplomatische Verantwortung übernehmen müsse.

Die Labour-Abgeordnete Rupa Huq berichtete von ihren Erfahrungen mit der Solidarität mit verschiedenen Gemeinschaften, die unter Druck stehen, und vermittelte Perspektiven zum Frieden, die sie aus ihren Treffen mit der kurdischen Freiheitsbewegung und sozialen Strukturen in der Türkei gewonnen hat.

Internationale Kooperation der Gewerkschaften

Mariela Kohon, die als Beraterin im kolumbianischen Friedensprozess tätig war und zur Führung des Gewerkschaftsbundes TUC gehört, hob die Zusammenarbeit des TUC mit KESK und DISK in der Türkei hervor.

Sie merkte an, dass die Erfahrungen aus dem Friedensprozess in Kolumbien und die Integration ehemaliger Kämpfer:innen in die Gesellschaft als Leitfaden für die Türkei dienen könnten. Sie erklärte außerdem, dass das „Rückkehrgesetz“, das voraussichtlich am 1. Oktober im Parlament diskutiert wird, auf der Grundlage einer positiven Integration angegangen werden sollte, um eine demokratische Lösung zu stärken.

Verstärktes Engagement

Am Ende der Podiumsdiskussion kündigten die britischen Gewerkschaften an, in den kommenden Monaten eine direkte Zusammenarbeit mit Gewerkschaften in der Türkei aufzubauen, sich auf die Arbeit in Bakur (Nordkurdistan) zu konzentrieren und diesen Prozess im Rahmen des TUC zu diskutieren. Außerdem bekräftigten sie ihr Engagement für die Aufrechterhaltung der Solidarität für einen dauerhaften und positiven Frieden.

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/Candar-Ocalan-muss-angehort-das-recht-auf-hoffnung-umgesetzt-werden-48172 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/intellektuelle-unterstutzen-Ocalans-friedensaufruf-48111 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/schweiz-bekraftigt-bereitschaft-zur-vermittlung-in-kurdischer-frage-48113

 

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FilmAmed-Festival feiert Filme, Erinnerung und Widerstand

1. Oktober 2025 - 8:00

Mit einer bewegenden Abschlusszeremonie ist in Amed (tr. Diyarbakır) am Abend das 9. FilmAmed Dokumentarfilmfestival zu Ende gegangen. Das fünftägige Festival wurde von der Stadt Amed (tr. Diyarbakır) und der Bezirksverwaltung Payas (Kayapınar) in Kooperation mit der Akademie des Kinos des Nahen Ostens und der Organisation „Sanatça“ unter dem Motto „Wurzeln … Wahre Legenden am Feuer“ veranstaltet. Im Zentrum standen gesellschaftliche Erinnerung, künstlerischer Ausdruck und politische Positionierung.

Im Kongresszentrum Çand Amed endete das Festival mit dem Dokumentarfilm „Li Ber Siya Spîndarê“ von Kenan Diler. Anschließend wurden in einer feierlichen Zeremonie 24 Filme ausgezeichnet – darunter Werke über Frauenrechte, ökologische Kämpfe, politische Verfolgung und kulturelles Erbe.

„Dokumentarfilm ist das Gedächtnis der Völker“

In einer Eröffnungsrede würdigte Dilan Toftik, Vertreterin der Festivalorganisation, die Rolle des Films als Medium für Widerstand und kollektives Gedächtnis. „FilmAmed hat erneut gezeigt: Dokumentarfilm ist Erinnerung, Stimme der Unterdrückten, gelebte Wahrheit“, sagte sie. Sie betonte die politische Verantwortung der Kunst: „Die Aufgabe der Kunst ist es, Wahrheit zu benennen – und die Aufgabe der Wahrheit ist es, Freiheit zu ermöglichen.“

Toftik erinnerte zudem an den türkischen Soziologen Ismail Beşikçi, der während der Festivalwoche eine Hirnblutung erlitt und dem ein Solidaritätspreis verliehen wurde.

Politische Stimmen und persönliche Geschichten

Payas’ Ko-Bürgermeister Cengiz Dündar würdigte in seiner Rede die Geschichten, die das Festival sichtbar gemacht habe: „Wir haben Rojin Kabaiş, Ayşe Gökkan, Uğur Kaymaz und Nagihan Akarsel, den Völkermord in Dersim, das Massaker im Zîlan-Tal und viele andere auf der Leinwand gesehen. Unsere Gemeinschaft vergisst nicht – und wir setzen diesen Kampf fort.“

Ko-Bürgermeisterin Berivan Gülşen Sincar hob hervor, wie das Festival einen Gegenpol zur kulturellen Entfremdung bilde: „Gegen den Versuch, Menschen von ihrer Kultur zu trennen, brauchen wir Kunst – und wir brauchen das Kino.“

Ausgezeichnete Filme

Zu den wichtigsten Preisträger:innen gehörten:

▪ Jury-Spezialpreis: „Görünür Görünmez: Bir (Oto)sansürün Antolojisi“ – entgegengenommen von Erhan Öz für das achtköpfige Regieteam.

▪ Orhan Doğan-Preis für Wahrheit und Gerechtigkeit: „Dargeçit“ von Berke Baş

▪ Leyla-Qasim-Freiheitspreis: „Shot the Voice of Freedom“ von Zainap Entezar

▪ Hevsel-Ökologiepreis: „Habibullah“ von Adnan Zandi

Einer der emotionalsten Momente war die Verleihung des Kemal-Kurkut-Publikumspreises. Geehrt wurde der Journalist Abdurrahman Gök, der durch seine Aufnahmen die tödlichen Polizeischüsse auf den 23-jährigen Studenten Kemal Kurkut beim Newroz 2017 öffentlich gemacht hatte – und deshalb selbst strafrechtlich verfolgt wird.

Kurkuts Mutter, Sican Kurkut, überreichte den Preis unter langanhaltendem Applaus. „Ich habe meinen Sohn verloren, seit neun Jahren kämpfe ich. Diese Mörder müssen bestraft werden – damit unsere Kinder nicht mehr sterben“, sagte sie. Das Publikum rief lautstark „Kemal Kurkut ist unsterblich“ und „Şehid namirin“. In seiner Dankesrede erklärte Gök: „Ich habe keinen Film gedreht – aber Filme sind Erinnerung. Journalist:innen bewahren diese Erinnerung, und genau deshalb werden sie ermordet.“

Abschluss mit starken Botschaften

Weitere Preise gingen unter anderem an die Regisseur:innen Dilan Engin („İçimde Kurumuş Ot“), Ahmet Petek („Ben û Sen“) und Fatma Çelik („Gündem“). Für die Dokumentation „Bizim İsmail“ über İsmail Beşikçi nahm Regisseur Fatin Kanat stellvertretend den Sonderpreis entgegen.

Das Festival endete unter Standing Ovations – und dem klaren Signal, dass Kunst, Erinnerung und Widerstand im kurdischen Kino untrennbar miteinander verbunden sind.

https://deutsch.anf-news.com/kultur/filmamed-festival-eroffnet-mit-jinwar-und-starker-botschaft-48126 https://deutsch.anf-news.com/kultur/filmamed-dokumentarfilmfestival-kehrt-zuruck-46666 https://deutsch.anf-news.com/kultur/kollektive-kunst-als-praxis-von-widerstand-und-hoffnung-46559

 

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Appell in Straßburg: Vielfältige Stimmen fordern Freiheit für Abdullah Öcalan

1. Oktober 2025 - 8:00

Zum Auftakt der Herbsttagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats haben Unterstützer:innen der internationalen Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan – Politische Lösung der kurdischen Frage“ in Straßburg zu verstärktem politischem Druck auf die Türkei aufgerufen. Bei einer Kundgebung am Dienstag vor dem Gebäude des Europarats sprachen Politiker:innen, Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen. Ihr Appell: Die Isolationshaft des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan müsse beendet und ein Friedensprozess in der Türkei zugunsten einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage aufgenommen werden. Die Versammlung des Europarats berät in dieser Woche unter anderem über die Menschenrechtslage in der Türkei.

„Das Recht auf Hoffnung ist der Schlüssel zum Frieden“

Sinan Önal, Politikwissenschaftler und Sprecher der Pressekonferenz, erinnerte daran, dass das Ministerkomitee des Europarats bereits mehrfach rechtliche Reformen in der Türkei eingefordert habe – auch im Zusammenhang mit dem sogenannten „Recht auf Hoffnung“, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2014 in einem Grundsatzurteil bestätigt hatte. Es besagt, dass lebenslange Haft ohne realistische Aussicht auf Entlassung gegen die Menschenwürde und das Folterverbot verstößt.

„Dieses Recht gilt auch für Abdullah Öcalan“, sagte Önal. Delegierte aus mehreren Ländern hätten in Straßburg intensive Gespräche mit Abgeordneten geführt, um Druck für gesetzliche Änderungen auszuüben.

Franziska Stier, Generalsekretärin der linken, feministischen und ökologischen Schweizer Partei BastA, erklärte: „Das Recht auf Hoffnung ist der Schlüssel zu einem nachhaltigen Frieden in der Türkei.“ Öcalan sei seit bald 27 Jahren isoliert, seine Ideen bewegten jedoch Millionen. „Es geht nicht nur um ein individuelles Recht, sondern um die kollektive Hoffnung eines Volkes“, sagte Stier. Der Europarat müsse das Ministerkomitee nun dabei unterstützen, Druck auf die Türkei auszuüben.

 


Fünf Forderungen an die internationale Politik

Stier formulierte zum Abschluss ihrer Rede fünf zentrale Forderungen:

▪ Die Türkei soll das EGMR-Urteil zum Recht auf Hoffnung umsetzen.

▪ Politische Gefangene – allen voran Abdullah Öcalan – müssen freigelassen werden.

▪ Das türkische Parlament soll konkrete Schritte zur Anerkennung kurdischer Rechte gehen.

▪ Die EU, USA und andere Akteure sollen diplomatischen Druck ausüben – etwa zur Beendigung militärischer Operationen und zur Streichung der PKK von Terrorlisten.

▪ Die gesamte Gesellschaft – darunter Frauen, Jugend und zivilgesellschaftliche Organisationen – soll in den Prozess eines demokratischen Neuanfangs einbezogen werden.

„Wir sind keine Opfer mehr“

Weitere Stimmen auf der Pressekonferenz kamen aus Medizin, Medien und Wissenschaft. Ingrid Walbrach-Fickler, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Vertreterin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), sagte: „Ich bin hier, um die Freiheit des kurdischen Volkes und ihr Recht auf kulturelle Selbstbestimmung zu unterstützen.“

Die Physiotherapeutin und IPPNW-Aktivistin Dr. Neşmil Kasumlu, Nichte des 1889 im österreichischen Wien ermordeten PDK-I-Vorsitzenden Abdul Rahman Ghassemlou, betonte in ihrer Rede die zentrale Bedeutung des Rechts auf Hoffnung – insbesondere für Abdullah Öcalan und das kurdische Volk.

„Wir werden Unterdrückung nicht länger hinnehmen. Wir sind keine Opfer mehr“, sagte sie. „Wir können uns selbst befreien, wir sind heute selbst in politischen Ämtern vertreten und handlungsfähig. Wir dürfen nicht länger darauf warten, dass die Welt uns hilft – wir müssen selbst die Initiative ergreifen.“

„Die Hoffnung lebt – noch“

Der belgische Journalist Chris den Hond berichtete von den laufenden Diskussionen im Europarat. „Viele Abgeordnete sehen die Türkei im Widerspruch zu den menschenrechtlichen Standards des Europarats“, sagte er. Das gelte besonders für die Inhaftierung gewählter Abgeordneter, Journalist:innen und Beamt:innen. Auch die fehlende politische Plattform für einen erneuten Friedensdialog sei ein Thema. „Die Hoffnung auf Frieden ist noch da“, so den Hond, „aber es braucht jetzt politischen Willen.“

Die britische Wissenschaftlerin Dr. Sarah Glynn sprach von parteiübergreifender Kritik an Ankara. Es habe bei den Debatten eine breite Unterstützung gegeben – auch außerhalb der linken Fraktionen. „Aber wir müssen den politischen Druck aufrechterhalten, damit den Worten auch Taten folgen“, sagte sie.

„Der Europarat muss handeln“

Fayik Yağızay, Vertreter der DEM-Partei in Straßburg, wies darauf hin, dass die Türkei Mitglied des Europarats ist – und sich damit zur Einhaltung zentraler Konventionen verpflichtet habe. Die einseitige Waffenruhe der PKK und deren angekündigte Auflösung im Frühjahr seien ein ernsthafter Schritt gewesen, so Yağızay. Doch auf türkischer Seite sei bislang keine substanzielle Antwort erfolgt. „Der Europarat muss jetzt handeln – nicht aus politischem Kalkül, sondern weil die Menschenrechte seiner Mitgliedstaaten keine Option, sondern eine Verpflichtung sind“, sagte Yağızay.

https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/Ozturk-abdullah-Ocalan-fordert-politische-reformen-und-Ubergangsgesetze-48062 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/schweiz-bekraftigt-bereitschaft-zur-vermittlung-in-kurdischer-frage-48113 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hisyar-Ozsoy-friedensprozesse-brauchen-Offentlichkeit-und-politische-reformen-48169 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/Candar-Ocalan-muss-angehort-das-recht-auf-hoffnung-umgesetzt-werden-48172 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/bericht-uber-demokratisierung-und-rechtsstaatlichkeit-angekundigt-48101

 

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Nach Zwangsverwaltung: Frauenzentrum Nûjîn in Bismîl wiedereröffnet

30. September 2025 - 22:00

In der nordkurdischen Kreisstadt Bismîl in der Provinz Amed (tr. Diyarbakır) ist am Dienstag das Frauen- und Solidaritätszentrum Nûjîn feierlich wiedereröffnet worden. Die Einrichtung war im Jahr 2017 durch einen staatlichen Zwangsverwalter geschlossen worden und stand seither nicht mehr zur Verfügung.

Mit der Wiedereröffnung unter der bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr gewählten DEM-Partei wird das Zentrum nun erneut seiner ursprünglichen Aufgabe zugeführt: ein sicherer Ort für Frauen, der rechtliche, psychologische und soziale Beratung bietet.

An der Eröffnung nahmen zahlreiche Vertreterinnen aus Politik und Zivilgesellschaft teil – darunter die Ko-Bürgermeisterinnen von Bismîl und Amed, Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung TJA sowie viele Anwohner:innen.

Ort der Solidarität, nicht der Ohnmacht

Zehra Yüksekbağ, Koordinatorin des Zentrums, betonte, dass die Einrichtung ein ganzheitlicher Schutz- und Unterstützungsraum für Frauen sei. Im Mittelpunkt stünden Angebote zur Verhinderung von Gewalt und zur Stärkung der Selbstbestimmung.

Bismîls Ko-Bürgermeisterin Mizgin Ekin unterstrich in ihrer Rede die politische Dimension der Wiedereröffnung: „Dieses Zentrum ist nicht nur ein Gebäude, sondern ein Ort, an dem Frauen sich gegenseitig stärken, solidarisch handeln und soziale wie wirtschaftliche Perspektiven entwickeln. Frauen werden hier nicht als Opfer gesehen, sondern als handelnde Subjekte ihres eigenen Kampfes.“

Die Wiederinbetriebnahme sei zugleich eine klare Antwort auf die Repressionspolitik der Zwangsverwalter, so Ekin weiter: „Mit dem Ruf ‚Jin, Jiyan, Azadî’ – Frau, Leben, Freiheit – werden wir diesen Weg weitergehen.“

Serra Bucak ist Ko-Oberbürgermeisterin von Amed

„Ein Schritt gegen patriarchale Gewalt“

Auch die Lokalpolitikerin Halise Deyar Erkek sowie Ameds Ko-Oberbürgermeisterin Serra Bucak hoben die Bedeutung solcher Einrichtungen hervor. Bucak verwies auf die städtische Kampagne „Unser Wort ist nicht zu Ende – wir stoppen Gewalt gemeinsam“ und kündigte an, den Ausbau frauenpolitischer Infrastruktur fortzusetzen: „Mit solchen Zentren werden wir dem strukturellen Problem patriarchaler Gewalt konsequent entgegentreten.“

Im Anschluss an die Eröffnung wurde eine Kurz-Dokumentation zur Geschichte des Nûjîn-Zentrums gezeigt: Die Einrichtung wurde erstmals 2010 eröffnet, seitdem aber dreimal durch staatlich eingesetzte Zwangsverwalter geschlossen. Der Rundgang durch das neu eröffnete Zentrum bildete den Abschluss der Veranstaltung.

https://deutsch.anf-news.com/frauen/mus-wird-teil-des-un-projekts-frauenfreundliche-stadte-47954 https://deutsch.anf-news.com/frauen/zwangsverwaltung-fordert-raumung-von-frauenzentrum-in-wan-45898 https://deutsch.anf-news.com/frauen/amed-stadt-bietet-kostenlose-heilpflanzen-workshops-fur-frauen-an-47913 https://deutsch.anf-news.com/frauen/kampagne-in-amed-gegen-unsichtbare-gewalt-47821

 

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Mexmûr: Ko-Vorsitzender von Volksrat wieder frei

30. September 2025 - 20:00

Der Ko-Vorsitzende des Volksrats im kurdischen Flüchtlingslager Mexmûr, Ahmed Şehbaz, und sein Fahrer Gabar Nas sind freigelassen worden. Die beiden waren am 18. September nahe Kerkûk von Truppen der irakischen Armee ohne Angabe von Gründen festgenommen worden und befanden sich seither in Gewahrsam. Seit Dienstagabend sind sie wieder auf freiem Fuß.

Şehbaz hatte sich auf dem Rückweg von einer medizinischen Behandlung in Silêmanî befunden, als er vorletzten Donnerstag gemeinsam mit Nas an einem Kontrollpunkt im westlich von Kerkûk gelegenen Hewîce (Hawidscha) gestoppt und festgesetzt wurde. Weder gegen ihn noch seinen Begleiter wurde ein Haftbefehl oder eine formale Anklage bekannt gegeben. Die irakischen Behörden verweigern weiterhin eine Auskunft zu dem Vorgang, hieß es von Seiten des Mexmûr-Volksrats.

Gabar Nas (l.) und Ahmed Şehbaz

Die irakische Regierung verschärft seit dem Frühjahr die Maßnahmen gegen das von Geflüchteten aus Nordkurdistan bewohnte Camp Mexmûr, das offiziell unter UN-Aufsicht steht. Seit dem 10. April gilt ein weitgehendes Embargo gegen das Lager. Der Zugang zu grundlegender Versorgung und Baumaterialien ist eingeschränkt, Arbeiter:innen werden immer wieder bei Fahrten in andere Städte ohne Angabe von Gründen festgenommen.

Auch Ahmed Şehbaz war davon betroffen: Bereits Mitte Mai dieses Jahres wurde er gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Volksrats von Mexmûr nach einer Gesprächsreise mit irakischen Regierungsvertretern auf dem Rückweg aus Bagdad festgenommen. Damals wurde er 37 Tage lang festgehalten. Menschenrechtsorganisationen äußerten wiederholt Sorge über die humanitäre Lage sowie die Einschränkungen in dem Camp.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/ko-vorsitzender-des-volksrats-von-mexmur-nahe-kerkuk-festgenommen-48054 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/kritik-an-schweizer-asylpraxis-gefluchtete-aus-mexmur-warnen-vor-abschiebung-in-die-turkei-47670 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/irakische-militardelegation-im-fluchtlingslager-mexmur-47405

 

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Übergangsregierung errichtet Barrieren in kurdischen Vierteln von Aleppo

30. September 2025 - 20:00

In der nordsyrischen Stadt Aleppo haben Truppen der selbsternannten Übergangsregierung eine deutliche Militärpräsenz in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Vierteln Şêxmeqsûd und Eşrefiyê aufgebaut. Berichten der Nachrichtenagentur Hawarnews zufolge wurden dort mehrere neue Militärposten errichtet und Barrieren aus Erde und Beton aufgeschüttet, die die Zufahrtsstraßen blockieren.

Auch im westlich angrenzenden Viertel Layramoun sei verstärkte militärische Aktivität zu beobachten. Besonders betroffen ist der Bereich rund um den Tariq-Ibn-Ziyad-Park, der offenbar von den Regierungstruppen in einen Stützpunkt umgewandelt wurde. Teile der Truppen sollen sich auch in zivile Gebäude und in das nahegelegene französische Krankenhaus einquartiert haben.

Gemeinsame Kontrollpunkte beeinträchtigt

Die Truppenbewegungen sorgen laut Hawarnews für erhöhte Spannungen in der Stadt. Die neuen Militärstellungen beeinträchtigen die Arbeit gemeinsamer Sicherheitskontrollpunkte, die bisher in Zusammenarbeit mit der Asayîş, der Behörde für Innere Sicherheit der nordostsyrischen Selbstverwaltung, betrieben wurden. Die neue Lage führe zu Unsicherheiten im Zuständigkeitsbereich und zu wachsenden sicherheitspolitischen Spannungen.

 


Auf Bildmaterial von Journalist:innen vor Ort ist zu sehen, wie Fahrzeuge der Übergangsregierung Barrieren errichten, Militärposten aufbauen und an mehreren Stellen strategische Gebäude in Beschlag nehmen. Die genauen Hintergründe der militärischen Mobilmachung sind bislang unklar.

https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/Ubergangsregierung-sperrt-wichtige-verbindung-aleppo-raqqa-48133 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/mehrere-verletzte-bei-neuen-angriffen-auf-dair-hafir-48085 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/kri-baut-mauer-an-grenze-zu-rojava-48151

 

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TJA-Aktivistinnen brechen zum „Freiheitsmarsch“ nach Amed auf

30. September 2025 - 20:00

Aus vielen kurdischen Provinzen sind am Dienstag zahlreiche Frauen in Richtung Amed (tr. Diyarbakır) aufgebrochen, um sich an einer mehrtägigen Demonstration zu beteiligen. Die von der Bewegung Freier Frauen (TJA) organisierte Aktion unter dem Motto „Mit Hoffnung in die Freiheit“ will der Forderung nach Frieden, Gleichberechtigung und demokratischen Rechten öffentlich Gehör verschaffen.

Ziel der TJA ist es, die physische Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan als zentrale Voraussetzung für einen politischen Dialog in der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen. Seine Freilassung und Gespräche mit der im türkischen Parlament eingerichteten „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ seien Voraussetzung für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, hieß es im Aufruf der Demonstration.

Die zentrale Auftaktkundgebung des Frauenmarschs ist für Mittwoch in Amed angekündigt und führt über mehrere Stationen in die türkische Hauptstadt Ankara. Auch Frauen aus Wan beteiligen sich an der Aktion. Rund 40 Aktivistinnen, darunter auch Mitglieder des Rates der kurdischen Friedensmütter, wurden begleitet von Musik, schrillem Trillern und Blumen nach Amed verabschiedet.

Zuvor versammelten sich die Frauen vor dem Provinzbüro der DEM-Partei und zogen unter Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) und „Bê Serok jiyan nabe“ (Ohne Führung kein Leben) in einem gemeinsamen Marsch zum Musa-Anter-Friedenspark. „Unsere Initiative versteht sich auch als feministischer Ausdruck kurdischer Selbstorganisierung und Widerstandspraxis. Sie wird getragen von Frauen, die für Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit für alle eintreten“, erklärte eine Sprecherin.

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/demokratie-plattform-ruft-zu-marsch-von-amed-nach-ankara-auf-48163 https://deutsch.anf-news.com/frauen/dem-mobilisiert-fur-frauenmarsch-zentrale-forderung-freiheit-fur-Ocalan-48130 https://deutsch.anf-news.com/frauen/tja-wir-gehen-mit-hoffnung-in-die-freiheit-48109

 

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Çandar: Öcalan muss angehört, das Recht auf Hoffnung umgesetzt werden

30. September 2025 - 20:00

Der DEM-Abgeordnete Cengiz Çandar hat sich für die Anhörung von Abdullah Öcalan im Parlament zur Lösung der kurdischen Frage ausgesprochen. Çandar erklärte, der Gründer der PKK habe den Friedensprozess maßgeblich geprägt und müsse daher auch vom zuständigen Parlamentsausschuss einbezogen werden. Zudem forderte er die Anwendung des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“, das unter anderem auf die Freilassung langjährig Inhaftierter abzielt.

Der Publizist und Journalist, ehemalige Berater in früheren Dialogprozessen zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat Çandar, äußerte sich vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wiedereröffnung des türkischen Parlaments am 1. Oktober, mit der der politische Prozess zur juristischen Absicherung der Entwaffnung beginnen soll. „Wenn es einen Friedensprozess gibt, dann ist es nur folgerichtig, dass Abdullah Öcalan als dessen zentraler Akteur auch durch die Kommission angehört wird“, so der Abgeordnete.

„Ohne Vertrauen kein Fortschritt“

In Gesprächen mit inhaftierten kurdischen Politikern – darunter Selahattin Demirtaş und Selçuk Mızraklı – habe sich erneut gezeigt, dass trotz breiter Unterstützung in der kurdischen Bevölkerung ein Vertrauensdefizit gegenüber dem Staat bestehe, erklärte Çandar. Studien zufolge liege die Zustimmung zur Entwaffnung in kurdischen Provinzen bei über 80 Prozent, während das Vertrauen in die Umsetzung staatlicher Zusagen lediglich bei rund 40 Prozent verharre.

 


„Die Bevölkerung braucht sichtbare Zeichen dafür, dass ihre Forderungen ernst genommen werden. Ohne konkrete Schritte bleibt das Misstrauen bestehen“, so Çandar. Die Freilassung von Demirtaş und Mızraklı – beide trotz entsprechender Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterhin inhaftiert – wäre seiner Ansicht nach ein solcher Schritt.

„AKP müsste nur ihre eigene Verfassung anwenden“

Mit Blick auf die juristische Grundlage verwies Çandar auf Artikel 90 der türkischen Verfassung, dem zufolge völkerrechtlich verbindliche Urteile des EGMR nationales Recht überlagern. „Die Regierung müsste also nur die eigene Verfassung und Entscheidungen des europäischen Menschenrechtsgericht umsetzen – mehr nicht. Wenn sie das nicht tut, schadet sie dem gesamten Friedensprozess“, warnte Çandar.

Öcalans Rolle: Zeitplan und Inhalte geprägt

Çandar würdigte die zentrale Rolle Öcalans bei der Entwicklung des derzeitigen Prozesses. Dieser habe nicht nur die Beendigung des bewaffneten Kampfes initiiert, sondern auch den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen maßgeblich mitgestaltet. „Die Schritte zwischen dem 27. Februar und dem 11. Juli – vom Aufruf zur Auflösung der Organisation bis zur symbolischen Entwaffnung – wurden entsprechend seiner Vorgaben umgesetzt“, sagte Çandar. Auch die Einsetzung des parlamentarischen Ausschusses zur rechtlichen Begleitung sei eine seiner zentralen Forderungen gewesen.

„Recht auf Hoffnung“ muss folgen

Besondere Bedeutung misst Çandar dem sogenannten „Recht auf Hoffnung“ zu – einem juristischen Konzept, das langjährig Inhaftierten unter bestimmten Bedingungen eine Aussicht auf Freilassung einräumt. Bereits der Vorsitzende der nationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, habe diesen Begriff öffentlich erwähnt. Nun sei es an der Zeit, auch entsprechende Schritte einzuleiten: „Wenn das Thema nicht auf die Tagesordnung kommt, ist das ein Zeichen für politische Blockaden“, so Çandar.

Integration statt Isolation

Mit Blick auf den weiteren Verlauf des Prozesses forderte der Abgeordnete konkrete gesetzgeberische Schritte nach der Sommerpause des Parlaments. Besonders dringlich sei ein Rückkehrgesetz für ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer der PKK sowie eine politische Lösung für zehntausende Gefangene und Exilierte.

„Der symbolische Akt des Waffenverzichts vom 11. Juli muss durch gesetzliche Regelungen abgesichert werden. Sonst verliert er seine Wirkung“, sagte Çandar. Wenn der Ausschuss dem Parlament entsprechende Gesetzesvorlagen vorlege, könne mit breiter Mehrheit ein Rechtsrahmen geschaffen und ein nachhaltiges Friedensklima in der Türkei ermöglicht werden.

Persönliche Rückschau und Ausblick

Zum Schluss äußerte sich Çandar auch persönlich zu einer möglichen Begegnung mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Nach eigenen Angaben bestehe eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für ein solches Treffen. Das letzte persönliche Gespräch der beiden liege bereits über drei Jahrzehnte zurück: „Das war am 16. März 1993 in der libanesischen Bekaa-Ebene – am Tag der ersten Waffenstillstandserklärung“, sagte Çandar. „32 Jahre sind vergangen. Ich würde mich über ein Wiedersehen freuen.“

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/bakirhan-parlament-muss-friedensgesetze-auf-den-weg-bringen-48148 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hisyar-Ozsoy-friedensprozesse-brauchen-Offentlichkeit-und-politische-reformen-48169 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-abgeordneter-Cicek-ohne-imrali-ist-keine-losung-denkbar-48116

 

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DEM-Partei: Frieden nur durch Dialog mit Öcalan möglich

30. September 2025 - 18:00

Vor dem Start des neuen Parlamentsjahres hat der Fraktionsvize der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Sezai Temelli, eine politische Neuausrichtung gefordert. In einer Pressekonferenz im Parlament in Ankara betonte er, dass die demokratische Lösung der kurdischen Frage ins Zentrum des politischen Handelns rücken müsse – und dass ein Dialog mit Abdullah Öcalan, dem auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Begründer, dafür unerlässlich sei.

Temelli sprach sich deutlich für die Wiederaufnahme eines politischen Verhandlungsprozesses aus und forderte das Parlament auf, Verhandlungskanäle zu Öcalan zu öffnen. „Er ist der Hauptakteur, der zentrale Gesprächspartner. Wer den Frieden ernst meint, kann diesen Prozess nicht ohne ihn denken“, so Temelli.

Bezug auf Öcalans Friedensinitiativen

Der DEM-Politiker verwies in seiner Rede auf mehrere politische Entwicklungen im laufenden Jahr, die er als „historisch“ bezeichnete: Am 27. Februar hatte Öcalan einen „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ veröffentlicht. Die PKK hatte diesen Appell im Rahmen eines Kongresses im Frühjahr aufgegriffen und anschließend ihre Auflösung sowie das Ende ihres bewaffneten Kampfes verkündet. Im Juli hatte die kurdische Befreiungsbewegung zudem in einer symbolischen Geste ihre Waffen verbrannt.

Temelli lobte die daraufhin erfolgte Einsetzung einer parlamentarischen Kommission, die sich mit der kurdischen Frage befasst, und verwies auf zahlreiche Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Dabei habe sich ein breiter Konsens herausgebildet: Die kurdische Frage müsse politisch und auf demokratischem Wege gelöst werden.

„Auch wenn unterschiedliche Positionen vertreten wurden – am Ende bestand Einigkeit darüber, dass eine politische Lösung notwendig ist“, so Temelli. Die Aufgabe des Parlaments sei es nun, diesen gesellschaftlichen Konsens ernst zu nehmen und entsprechende gesetzliche Schritte einzuleiten.

Forderung nach Reformen im Strafrecht

Neben politischen Schritten forderte Temelli auch dringende juristische Reformen. Besonders das Strafvollzugsgesetz, das Anti-Terror-Gesetz und das Strafgesetzbuch müssten überarbeitet werden. „Die Situation in den Gefängnissen ist dramatisch – insbesondere für kranke Gefangene und politische Gefangene“, sagte er. Die DEM-Partei fordere die sofortige Freilassung von politischen Gefangenen, darunter auch die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ.

Ziel müsse es sein, „demokratische Integrationsgesetze“ zu verabschieden – also rechtliche Grundlagen für eine Übergangsphase, die Entwaffnung, Reintegration und politische Teilhabe ermöglichen. Der Fokus liege dabei auf einem inklusiven Friedensprozess, der sowohl politische Verantwortung als auch gesellschaftliche Aussöhnung einschließe.

„Verhandlung mit Öcalan darf nicht länger tabuisiert werden“

Zentral sei, dass das Parlament sich der Verantwortung stelle und direkte Gespräche mit Abdullah Öcalan ermögliche. Die Weigerung der zuständigen Kommission, Imrali als Gesprächspartner in Betracht zu ziehen, kritisierte Temelli scharf.

„Es darf kein Tabu sein, mit Öcalan zu sprechen. Im Gegenteil: Wenn man ernsthaft an einer Lösung interessiert ist, führt an einem Dialog mit ihm kein Weg vorbei“, sagte er. Die bisherige Politik der militärischen Abschottung, der Sicherheitslogik und der politischen Blockade habe sich als Sackgasse erwiesen. Es sei Zeit für Mut und politische Initiative.

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Öcalan an ezidische Gemeinschaft: „Nie wieder ein neues Ferman“

30. September 2025 - 18:00

Der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan hat in einer erneuten Botschaft die ezidische Gemeinschaft adressiert und ihr seine anhaltende Unterstützung zugesichert. In dem Schreiben, dessen Inhalt am Dienstag in Şengal veröffentlicht wurde, verspricht Öcalan: Ein neues Massaker wie der durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) 2014 verübte Völkermord dürfe sich nie wieder wiederholen.

„Ich bin kein Ezide, doch ich habe euren Schmerz und eure Identität zu meinem eigenen Anliegen gemacht. Nie wieder werdet ihr ein neues Ferman erleben; nirgendwo wird sich solches Unrecht wiederholen. Ich werde nicht davon ablassen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die das letzte Massaker verübt haben. Ich werde die Spur der entführten Frauen und Kinder nicht aus den Augen verlieren. Für ihre Befreiung und dafür, dass Gerechtigkeit geschieht, werde ich bis zum Ende kämpfen.

Es ist meine Aufgabe geworden, gemeinsam mit euch jene Tage aufzubauen, in denen ihr frei leben und eure Kultur mit Stolz weiterführen könnt. Mein Respekt für euch ist groß. Ich schütze eure Existenz und eure Rechte. Ich habe das wertvolle Geschenk, das ihr mir geschickt habt, erhalten. Ich verspreche, dass wir uns eines Tages in Freiheit begegnen werden – in der Kleidung, die ihr mir geschickt habt. Mit dem Wunsch, uns in freien und starken Begegnungen wiederzusehen.“

Die Botschaft Öcalans ist auf den 8. September datiert und an den Demokratischen Autonomierat von Şengal (MXDŞ) gerichtet, der unter dem Eindruck des vom IS ab dem 3. August 2014 an der ezidischen Gemeinschaft verübten Genozids aufgebaut wurde. Sie gilt als bedeutsames Zeichen politischer Rückendeckung für das ezidische Selbstbestimmungsrecht und die Autonomiebestrebungen in Şengal.

Der Genozid und Feminizid des IS in Şengal

Am 3. August 2014 überfiel der selbsternannte IS die Şengal-Region im nördlichen Irak mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte.

Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.

Die Peschmerga der PDK, die damals in Şengal stationiert waren, hatten sich bei dem IS-Angriff kampflos zurückgezogen. Nur die PKK-Guerilla, die mit einem kleinen Kontingent vor Ort war, und die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) aus Rojava kamen den Ezidinnen und Eziden zur Hilfe und stellten sich den Islamisten entgegen. Gemeinsam kämpften sie einen Fluchtkorridor nach Rojava frei und retteten so zehntausenden Menschen das Leben. Ohne dieses Handeln wären die Verluste der ezidischen Gesellschaft bei diesem Völkermord vermutlich weit höher gewesen.

Foto: Aktion „Abdullah Öcalan zu Gast in Şengal“ der TAJÊ im Rahmen der weltweiten Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage“ im Mai 2024 in Sinûnê © ANF

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/ferman-gedenken-drei-minuten-stillstand-in-Sengal-47370 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/brief-abdullah-Ocalans-an-die-ezidische-gemeinschaft-45628 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/konferenz-in-Sengal-botschaft-von-Ocalan-47134 https://deutsch.anf-news.com/frauen/abschlusspapier-der-ezidischen-frauenkonferenz-in-Sengal-47725 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/knk-fordert-autonomiestatus-fur-Sengal-47371

 

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TOKI baut Mega-Wohnanlage in Şirnex

30. September 2025 - 16:00

In der nordkurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak) hat die staatliche türkische Wohnungsbaubehörde TOKI mit dem Bau eines Großprojekts begonnen, das mit massiven Eingriffen in die Landschaft einhergeht. Betroffen sind die Gebiete Qelaçkê und Bûlbûlê am Rand des Stadtteils Ismetpaşa, rund drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Dort sollen 1.520 Wohnungen sowie öffentliche Einrichtungen entstehen.

Die Bauarbeiten finden auf einer rund 24.000 Hektar großen Fläche statt, die zuvor als öffentliches Gelände ausgewiesen war. Doch Beobachtungen vor Ort zeigen: Ganze Hügel werden abgetragen, Bäume mitsamt Wurzeln aus der Erde gerissen und mit Lkw abtransportiert. Mit Dutzenden Baggern und Planierraupen wird das Gelände planiert – ein großflächiger Eingriff in das Ökosystem.

Natur wird systematisch zerstört

Die Maßnahmen stehen exemplarisch für eine Entwicklung, bei der in kurdischen Provinzen staatliche Institutionen, regierungsnahe Baukonzerne und zentrale Planungsbehörden eng zusammenarbeiten – mit oft verheerenden Folgen für Umwelt und lokale Lebensräume. Von einer systematischen Naturzerstörung sprechen Beobachter:innen vor Ort.

Das Projekt umfasst neben den Wohnungen auch eine Grundschule mit 24 Klassen, ein Einkaufszentrum mit sieben Läden, eine Moschee, ein Trauerhaus sowie Infrastruktur- und Geländegestaltungsmaßnahmen. Insgesamt sollen 94 Wohnblöcke entstehen.

Den Zuschlag erhielten die regierungsnahen Bauunternehmen Egemen İnşaat und Fitaş Emlak als gemeinsame Auftragnehmer. Der Auftragswert liegt bei 4,164 Milliarden Türkischen Lira (rund 85,3 Millionen Euro).

Keine Umweltprüfung, keine Beteiligung

Eine Umweltverträglichkeitsprüfung wurde bislang nicht veröffentlicht. Auch eine Einbeziehung der lokalen Bevölkerung oder zivilgesellschaftlicher Organisationen fand nicht statt. In kurdischen Provinzen ist das kein Einzelfall: Großprojekte wie Wohnsiedlungen, Staudämme oder Minen werden häufig ohne Transparenz und gegen lokale Interessen durchgesetzt – nicht selten mit Unterstützung von Polizei und Militär.

https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/umweltverein-warnt-vor-zerstorung-des-sarim-tals-durch-kraftwerke-48149 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/tausende-protestieren-in-mugla-gegen-turkische-umweltpolitik-48155 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/energieprojekte-setzen-natur-in-wan-unter-druck-48115 https://deutsch.anf-news.com/Oekologie/trotz-protesten-bergbauunternehmen-in-Semrex-setzt-arbeiten-fort-48075

 

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Kurdischer Aktivist in Mêrdîn wegen Parole bei Trauerfeier verurteilt

30. September 2025 - 16:00

Ein Gericht in der Provinz Mêrdîn (tr. Mardin) hat einen kurdischen Aktivisten zu zehn Monaten Haft verurteilt, weil er bei einer öffentlichen Trauerfeier die Parole „Şehîd namirin“ – Gefallene sind unsterblich – gerufen hatte. Das Gericht wertete die Äußerung als „Propaganda für eine terroristische Organisation“.

Der Betroffene, Mithat Yılmaz, war früher als Vorstandsmitglied des Provinzverbands der kurdischen Partei DBP in Mêrdîn aktiv. Im Dezember 2024 nahm er im Bezirk Midyad an einer Trauerzeremonie für die Journalist:innen Nazım Daştan und Cihan Bilgin teil, die bei einem gezielten türkischen Drohnenangriff in Nordsyrien getötet worden waren. Beide hatten über die Entwicklungen am Tişrîn-Staudamm nahe Kobanê berichtet und Angriffe türkischer Besatzungstruppen und verbündeter Dschihadisten auf die Euphrat-Front dokumentiert.

Staatsanwaltschaft sieht „Terrorpropaganda“

Die dreitägige Zeremonie in Midyad, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen, wurde von der türkischen Justiz als „sogenannte Trauerfeier“ eingestuft. Die Staatsanwaltschaft behauptete, die ermordeten Medienschaffenden seien Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gewesen, und wertete den ausgerufenen Slogan als Unterstützung einer „verbotenen“ Organisation.

In der Anklage wurde insbesondere das Zeigen von Porträts von Nazım Daştan und Cihan Bilgin sowie der Ruf „Şehîd namirin“ als Ausdruck ideologischer Nähe zur PKK gewertet. Die Parole sei „verherrlichend“ und diene der „Legitimation terroristischer Akteure“, hieß es.

Verteidigung: Kein Bezug zu verbotenen Organisationen

Yılmaz’ Anwalt Ferhat Ibrahimoğlu wies die Vorwürfe zurück. „Die Getöteten waren Journalist:innen, die während der Ausübung ihres Berufs ermordet wurden.“ Für eine angebliche Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation gebe es keinerlei gerichtliche Belege, es handele sich somit um Verunglimpfung von Toten. Zudem sei der verwendete Slogan „Şehîd namirin“ ein kultureller Ausdruck und durch die Meinungsfreiheit gedeckt, so der Verteidiger. Er verwies auf entsprechende Urteile des Kassationshofs.

Urteil zur Bewährung ausgesetzt

Die 3. Strafkammer in Mêrdîn verhängte dennoch eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Die Vollstreckung wurde jedoch im Rahmen der sogenannten „Aussetzung der Urteilsverkündung“ (HAGB) zurückgestellt. Das bedeutet: Sollte Yılmaz in den kommenden fünf Jahren nicht erneut straffällig werden, bleibt das Urteil ohne weitere Konsequenzen.

https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/ermittlungen-gegen-journalistin-nach-gedenken-an-getotete-kolleg-innen-46994 https://deutsch.anf-news.com/rojava-syrien/bewegender-abschied-von-nazim-dastan-und-cihan-bilgin-44907 https://deutsch.anf-news.com/pressefreiheit/djv-fordert-aufklarung-zum-tod-kurdischer-journalist-innen-44764 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/ihr-auto-war-deutlich-als-presse-gekennzeichnet-44728 https://deutsch.anf-news.com/kultur/heval-birako-spielfilm-aus-rojava-zu-ehren-von-nazim-dastan-48068

 

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Bericht: Systematische Rechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen

30. September 2025 - 16:00

In den Gefängnissen im nördlichen Kurdistan kommt es nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen weiterhin zu systematischen Rechtsverletzungen. Die Anwaltskammer Amed (tr. Diyarbakır), der Juristenverband ÖHD sowie die Gefangenensolidaritätsorganisation TUAY-DER haben einen gemeinsamen Bericht zu den Zuständen in den Justizvollzugsanstalten in Amed, Xarpêt (Elazığ), Ezirgan (Erzincan) und Erzîrom (Erzurum) vorgelegt. Er umfasst den Zeitraum von Juni bis August dieses Jahres und basiert auf über 40 Besuchen in 20 Gefängnissen.

Bei der Vorstellung des Berichts in Amed sprach Rihan Gök von der Gefängnisbeobachtungskommission der dortigen Anwaltskammer am Dienstag von einem „systematischen Repressions- und Isolationsregime“, das weit über die Gefängnismauern hinausreiche. „Diese Politik trifft nicht nur die Inhaftierten selbst, sondern beschädigt auch das soziale und moralische Gefüge der gesamten Gesellschaft“, so Gök.

Isolation, Misshandlung, Einschränkung von Grundrechten

Zu den häufig dokumentierten Verstößen zählen laut Bericht unter anderem:

▪ Einschränkungen bei medizinischer Versorgung

▪ Zwang zu entwürdigenden Durchsuchungen, etwa in Form von Nacktdurchsuchung

▪ Zensur und Verzögerung von Postverkehr – besonders bei Schreiben auf Kurdisch

▪ Disziplinarstrafen auf Grundlage politischer Aussagen oder bei Ablehnung von Reuebekenntnissen

▪ Willkürliche Entscheidungen durch Verwaltungsgremien, die über Haftlockerungen oder Entlassungen befinden

Die Vorstände der Organisationen bei der Vorstellung ihres Berichts

In einzelnen Fällen sei selbst das Recht auf Kommunikation mit Anwält:innen oder Familienangehörigen eingeschränkt worden. Auch werde der Zugang zu sozialen und kulturellen Aktivitäten häufig ohne stichhaltige Begründung verweigert.

Die Ausschüsse innerhalb der Gefängnisse überschritten regelmäßig ihre gesetzlichen Befugnisse, kritisieren die Verfasser:innen des Berichts. Besonders politische Gefangene würden mit ideologischen Befragungen konfrontiert, die darauf abzielten, ihre Haltung oder Identität zu brechen.

„Ohne Aufarbeitung keine Gerechtigkeit“

Gök betonte, dass eine dauerhafte gesellschaftliche Befriedung in der Türkei nur durch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit vergangenen und aktuellen Menschenrechtsverletzungen möglich sei: „Solange es keine Aufarbeitung von Gewalt, Leugnung und Repression gibt, wird es weder Gerechtigkeit noch echten Frieden geben.“

Forderung nach politischen und rechtlichen Reformen

Die beteiligten Organisationen fordern die türkische Regierung auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um den menschenrechtlichen Standards im Strafvollzug gerecht zu werden. Dazu zählen unter anderem:

▪ Die bedingungslose Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan und die Öffnung eines politischen Dialogs

▪ Die Beendigung von Folter, Misshandlung und Isolationshaft

▪ Die Abschaffung ideologisch geprägter Befragungen durch Gefängniskommissionen

▪ Das uneingeschränkte Recht auf Kommunikation, auch in kurdischer Sprache

▪ Die Freilassung schwerkranker Gefangener sowie ein gesicherter Zugang zu medizinischer Versorgung

▪ Ein rechtsstaatliches, transparentes und überprüfbares Vollzugssystem

Empfehlungen für strukturelle Verbesserungen

Im Anhang des Berichts finden sich zudem konkrete Vorschläge für eine Reform des Strafvollzugs in der Türkei. So fordern die Organisationen unter anderem:

▪ Den Ausbau unabhängiger Kontrollmechanismen

▪ Die rechtssichere Durchführung von Disziplinarverfahren

▪ Verbesserte Bedingungen in Hafträumen, insbesondere mit Blick auf Hygiene, Tageslicht und Bewegungsmöglichkeiten

▪ Die Förderung von Bildungs-, Sport- und Kulturangeboten

▪ Den besonderen Schutz und die Unterstützung von behinderten sowie ausländischen Gefangenen

„Vertrauen in Rechtsstaat wird untergraben“

Auch der Vorsitzende der Anwaltskammer Amed, Abdulkadir Güleç, äußerte sich kritisch zu den aktuellen Zuständen. Die dokumentierten Missstände ließen das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat schwinden und führten zu einer wachsenden Resignation, sagte Güleç. Es sei dringend notwendig, dass die Rechte von Gefangenen konsequent geschützt und durchgesetzt würden.

https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/schwer-kranker-gefangener-civan-boltan-soll-in-isolationshaft-47970 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/sincan-bedingte-entlassung-von-zwolf-gefangenen-seit-jahren-verweigert-48026 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/amed-ngos-prangern-drohungen-und-misshandlungen-in-gefangnissen-an-47454

 

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#FreeKenan-Delegation besucht Grab von Theofilos Georgiadis

30. September 2025 - 14:00

Seit zwei Wochen befindet sich eine Delegation der Solidaritätsgruppe #FreeKenan auf Zypern, um sich vor Ort ein Bild von der Situation des kurdischen Aktivisten und Politikers Kenan Ayaz zu machen. Ein besonderes Anliegen war der Delegation der Besuch des Grabes von Theofilos Georgiadis, dem Vorsitzenden des Solidaritätskomitees für Kurdistan, der vor 41 Jahren im Auftrag des türkischen Staates ermordet wurde. Der Besuch wurde durch den Anwalt von Kenan Ayaz, Efstathios K. Efstathiou, ermöglicht.

Wer war Theofilos Georgiadis?

Theofilos Georgiadis wurde am 9. September 1957 im zyprischen Dorf Evrychou geboren. Nach seinem Schulabschluss im Jahr 1975 trat er in die Nationalgarde ein und diente später als Reserveleutnant. In Athen studierte er Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt türkische Sprache – weitere Studien führten ihn nach Frankreich und Deutschland. In dieser Zeit kam er erstmals mit der kurdischen Befreiungsbewegung in Kontakt.

Zurück auf Zypern trat Georgiadis in den Polizeidienst ein und wurde später Pressesprecher im Ministerium für türkische Angelegenheiten. Als exzellenter Kenner der türkischen Sprache bestand seine Hauptaufgabe in der Auswertung türkischer Presseberichte, die er regelmäßig analysierte und in Berichte für die zyprische Regierung überführte.

Stimme des kurdischen Widerstands auf Zypern

Im Jahr 1988 gründete Georgiadis gemeinsam mit anderen Aktivist:innen das „Zypriotische Solidaritätskomitee für Kurdistan“. Mit dem Aufstieg des bewaffneten Kampfes der PKK geriet er ins Visier türkischer Stellen – nicht nur, weil er Veranstaltungen organisierte, sondern auch zahlreiche Artikel schrieb und Interviews zur Situation in Kurdistan sowie zum Völkermord an den Pontos-Griech:innen und Armenier:innen gab. Zur gleichen Zeit engagierte sich Georgiadis intensiv an der Seite der kurdischen Befreiungsbewegung, die sich damals auf ihrem Höhepunkt befand.

Kondolenzbotschaft von Abdullah Öcalan für Theofilos Georgiadis, erschienen in der Zeitschrift Serxwebûn

Er war Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Voice of Kurdistan“, die mit einer Auflage von rund 40.000 Exemplaren in Griechenland und Zypern erschien. Durch seine Arbeit sensibilisierte er zyprische Politiker:innen und Medien für die kurdische Frage – und widersetzte sich der unkritischen Übernahme türkischer Propaganda, die damals häufig ungefiltert über die staatliche Nachrichtenagentur „Anadolu“ verbreitet wurde.

„Die Freiheit Zyperns führt durch die Berge Kurdistans“

Theofilos Georgiadis war überzeugt: „Die Befreiung Zyperns führt durch die Berge Kurdistans.“ Er reiste ins Bekaa-Tal im Libanon, wo sich damals ein Ausbildungslager der PKK befand, und hielt dort Vorträge vor Guerillakämpfer:innen. Zudem organisierte er europaweit Konferenzen, auf denen die Verbrechen der Türkei dokumentiert wurden. So war Georgiadis einer der Hauptorganisatoren der Kurdistan-Konferenz in Brüssel (12.–13. März 1994), auf der Ankara für Menschenrechtsverletzungen an den Kurd:innen und die Besatzung Zyperns scharf kritisiert wurde. Außerdem beschäftigte er sich intensiv mit der Frage der Vermissten, über deren Schicksal er wichtige Informationen sammelte.

Mit großer Weitsicht analysierte Theofilos Georgiadis die politischen Entwicklungen in der Türkei. Bereits 1990 warnte er vor der wachsenden Gefahr islamistischer Kräfte, die nicht moderater, sondern autoritärer auftreten würden als die kemalistische Staatselite. In einem Artikel vom 10. März 1990 schrieb er in der Zeitung Exormisi:

„Lehnen etwa die fanatischen Islamisten von Erbakan oder die islamischen Orden in der Türkei die Expansion der Türkei ab? Was die türkischen Islamisten ablehnen, ist die Säkularität des türkischen Staates und die Vorrangstellung der Laizisten. Falls sie sich durchsetzen, wird die Türkei noch gefährlicher. Vergessen wir nicht die Theorie des Panislamismus, die parallel zur Theorie des Panturkismus entwickelt wurde.“

Diese Prognose bestätigte sich zwei Jahrzehnte später mit der Außenpolitik Recep Tayyip Erdoğans und widerlegte jene, die geglaubt hatten, die Islamisten würden einen friedlicheren Ansatz verfolgen.

Kurdische Frage erstmals im zyprischen Parlament

Es war auch Theofilos Georgiadis, der die kurdische Frage 1993 erstmals in den Außenpolitischen Ausschuss des zyprischen Parlaments brachte. Dort war er persönlich anwesend. Der damalige Außenminister Andreas Michailidis räumte ein, dass die zyprische Regierung die strategische Relevanz der kurdischen Frage bislang verkannt hatte.

Georgiadis vertrat die Ansicht, dass der Sieg des kurdischen Guerillakampfes und die Abtrennung des Territoriums vom türkischen Staat das politische System der Türkei zum Einsturz bringen würden – was auch Zypern zugutekäme. In seinen Artikeln analysierte er die politischen Entwicklungen in der Türkei präzise und machte Vorschläge für eine realistische nationale Strategie. In einem unveröffentlichten Text vom 1. Februar 1994 mit dem Titel „Praktische Wege zur Umsetzung der Volksverteidigung“ entwarf er Vorschläge zur militärischen Selbstverteidigung Zyperns – darunter die Stärkung der Reservisten, die Einberufung von Frauen und den Schutz der Küsten und kritischer Infrastruktur.

Grab von Theofilos Georgiadi in Nikosia

Mordanschlag und politische Folgen

Theofilos Georgiadis‘ Engagement beunruhigte den türkischen Staat und den Parastaat Nordzypern. Am 20. März 1994 wurde der Freund des kurdischen Volkes vor seinem Haus in der Thukydides-Straße in Aglantzia erschossen – die Straße trägt heute seinen Namen. Laut Recherchen hatten türkische Geheimdienste zyprisch-griechische Unterweltkreise mit Geld und Drogen bestochen, um den Mord ausführen zu lassen.

Doch die Ermordung Georgiadis‘ machte auch weltweit auf die Verbrechen des türkischen Staates aufmerksam, die bis heute andauern, und sein Verlust hinterließ ein Vermächtnis für die Fortsetzung des Kampfes um die Befreiung Zyperns. Er selbst sagte dazu:

 „Wir unterstützen den Kampf des kurdischen Volkes, weil die kurdischen Kämpfer auch für Zypern kämpfen. Die türkische Besatzungsarmee bleibt, ob sie sich in Kurdistan oder auf Zypern befindet, eine Besatzungsarmee. Vergessen wir nicht die Worte des vietnamesischen Generals Giap: ‚Eine Front gibt es nicht. Die Front ist dort, wo sich der Feind befindet’.“

Am 12. Juni 1994 wurde der mutmaßliche Haupttäter mit sieben Schüssen in den Kopf tot in einem Berggebiet bei Limassol aufgefunden. Zwei Komplizen kamen später durch Sprengsätze in ihren Fahrzeugen ums Leben. Viele vermuteten, dass sie von den Drahtziehern „zum Schweigen gebracht“ wurden. Im April 1995 erklärte der damalige Präsident Glafkos Klerides, dass alle Mörder von Theofilos Georgiadis tot seien.

Georgiadis und Abdullah Öcalan

Nach dem Mord an Georgiadis hatte Abdullah Öcalan in einem Telegramm an seine Familie und das zyprische Volk seine Anteilnahme bekundet. In dieser Botschaft, die 1994 in der Zeitung Sarkhbon im „Märtyrer-Dossier“ veröffentlicht wurde, schrieb der kurdische Vordenker: „Genosse Theofilos war ein Revolutionär; sein Herz war voller Liebe zur Menschheit und er liebte sein Land mit aufrichtiger Hingabe.“

Die Hamburger Aktivistin Anja Flach legt Blumen am Grab von Theofilos Georgiadis nieder

Gedenken durch die #FreeKenan-Delegation

Heute gilt der Name Theofilos Georgiadis als Symbol des gemeinsamen Kampfes zwischen Griech:innen und Kurd:innen. Das Kulturzentrum der kurdischen Bewegung in Limassol trägt seinen Namen. Die Delegation der Solidaritätsgruppe #FreeKenan war tief bewegt an seinem Grab in Nikosia. Auf dem weißen Marmortafel steht eine Inschrift, die als Vermächtnis des internationalen Kampfes Georgiadis‘ gilt:

„Wir kämpfen noch immer für die Befreiung unseres Landes; lasst uns einander helfen, lasst uns den kurdischen Freiheitskämpfern helfen. Die Freiheit Zyperns wird durch die Befreiung der Berge Kurdistans erreicht.“

Die Delegierten legten Blumen mit grün-rot-gelben Bändern nieder und besuchten anschließend die Gedenkstele an der Stelle des Attentats. Anja Flach, Mitglied der Delegation, erklärte: „Theofilos Georgiadis ist ein Symbol des internationalen Kampfes gegen den türkischen Faschismus und die Besatzung. Er wird niemals vergessen werden. Seit wir den kurdischen Befreiungskampf kennen, ist er für uns ein Vorbild.“

https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/turkische-morde-auf-zypern-wer-war-theofilos-georgiadis-26411 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kenan-ayaz-meine-haft-auf-zypern-ist-eine-politische-entscheidung-48132 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/kenan-ayaz-in-hamburg-zu-uber-vier-jahren-haft-verurteilt-43463 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/besuch-bei-kenan-ayaz-im-gefangnis-von-nikosia-48061

 

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Fünf Jahre nach Hubschrauber-Folter: Keine Fortschritte in den Ermittlungen

30. September 2025 - 14:00

Fünf Jahre nach der teils tödlichen Folterung zweier Dorfbewohner in Şax (tr. Çatak) bei Wan (Van) durch die türkische Armee dauern die Ermittlungen weiter an – jedoch ohne erkennbare Ergebnisse. Die beiden Männer, Servet Turgut und Osman Şiban, waren nach ihrer Festnahme durch Militärs aus einem Hubschrauber geworfen worden. Einer von ihnen starb wenige Wochen später an seinen Verletzungen. Bis heute ist die Ermittlungsakte mit einer Geheimhaltungsverfügung versehen, eine öffentliche Aufklärung bleibt aus.

Wie der Anwalt der Opfer, Hamit Koçak, gegenüber der Nachrichtenagentur MA erklärte, sei im Verfahren bislang kein gezielter Versuch unternommen worden, die tatsächlichen Verantwortlichen zu identifizieren. Stattdessen sei zu beobachten, dass pauschal die Aussagen sämtlicher damals in der Provinz Wan stationierter Angehöriger der Gendarmerie eingeholt würden. „Das Verfahren droht im Sande zu verlaufen“, sagte Koçak.

Ein Todesfall, ein Urteil – aber keine Aufklärung

Der Fall hatte landesweit für Schlagzeilen gesorgt. Am 11. September 2020 waren Servet Turgut (55) und der damals fünf Jahre jüngere Osman Şiban, beide Väter mehrerer Kinder, während der Feldarbeit von Soldaten einer türkischen Operationseinheit festgenommen worden. Nach ersten Misshandlungen wurden beide Männer aus einem Militärhubschrauber gestoßen und weiter gefoltert. Dabei erlitten sie schwere Verletzungen.

Das Militär lieferte Turgut und Şiban anschließend in zwei verschiedenen Krankenhäusern der Provinz ab – dem medizinischen Personal wurde erklärt, es handele sich um „Terroristen“, die bei der versuchten Flucht aus einem Helikopter auf Felsen gestürzt seien und dabei verletzt wurden. Şiban überlebte das Martyrium, bleibt jedoch für den Rest seines Lebens schwer gezeichnet. Servet Turgut verstarb nach zwanzig Tagen im Koma.

Doch statt einer strafrechtlichen Aufarbeitung wurde Osman Şiban später selbst angeklagt. Im April 2023 verurteilte ein Gericht in Mersin ihn wegen vermeintlicher „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis. Ein Berufungsgericht bestätigte das Urteil inzwischen.

Geheimhaltung erschwert juristische Aufarbeitung

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Misshandlungsfall verlaufen seitdem unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Laut Recherchen von MA wurden rund 40 Militärangehörige befragt, darunter Einsatzkräfte, die an der fraglichen Operation beteiligt gewesen sein sollen. Aus den vorliegenden Aussagen geht hervor, dass die beiden Männer zunächst unverletzt in einen Hubschrauber gebracht wurden, später jedoch „unter bislang ungeklärten Umständen“ schwer verletzt auf dem Boden wieder auftauchten – inmitten eines Militärcamps, wo sie von zahlreichen Soldaten fast gelyncht wurden. Ein Aufhebungsantrag gegen die angeordnete Geheimhaltungsklausel blieb bislang erfolglos.

Anwalt Hamit Koçak kritisierte, dass keine zielgerichtete Ermittlungsstrategie zu erkennen sei. „Die Ermittlungen verlieren sich im bürokratischen Formalismus. Es wirkt, als wolle man Zeit gewinnen, statt Verantwortung zu klären“, sagte er. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden seien viele potenzielle Zeugen inzwischen versetzt worden oder hielten sich im Ausland auf.

Rechtsmittel vor Verfassungsgericht und EGMR geplant

Koçak kündigte an, im Namen der Opfer beziehungsweise Hinterbliebenen weitere juristische Schritte einzuleiten. Sollte die türkische Justiz zu keinem Ergebnis kommen, werde man zunächst das türkische Verfassungsgericht anrufen und gegebenenfalls den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weiterleiten.

„Wir sehen hier ein Muster aus der Vergangenheit bestätigt: In Fällen, in denen der Staat selbst involviert ist, bleiben die Täter häufig unbehelligt. Vieles endet im Verfahrensstillstand oder im Ablauf der Verjährungsfristen“, so Koçak. Seine Mandanten sähen ihr Recht auf Leben sowie das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

Zeichnung © Timur Çelik (1960-2025)  „Görgü Tanığı“ (dt. Zeuge)

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/aus-dem-hubschrauber-geworfener-servet-turgut-ist-verstorben-21879 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/revision-verworfen-opfer-von-hubschrauber-folter-soll-ins-gefangnis-46949 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/folteropfer-leidet-noch-immer-unter-amnesie-21827 https://deutsch.anf-news.com/menschenrechte/opfer-von-hubschrauber-folter-erstattet-anzeige-26696 https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/zivilisten-gefoltert-und-aus-hubschrauber-gestossen-21646

 

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Çandar: Öcalan muss angehört, das Recht auf Hoffnung umgesetzt werden

30. September 2025 - 12:00

Der DEM-Abgeordnete Cengiz Çandar hat sich für die Anhörung von Abdullah Öcalan im Parlament zur Lösung der kurdischen Frage ausgesprochen. Çandar erklärte, der Gründer der PKK habe den Friedensprozess maßgeblich geprägt und müsse daher auch vom zuständigen Parlamentsausschuss einbezogen werden. Zudem forderte er die Anwendung des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“, das unter anderem auf die Freilassung langjährig Inhaftierter abzielt.

Der Publizist und Journalist, ehemalige Berater in früheren Dialogprozessen zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat Çandar, äußerte sich vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wiedereröffnung des türkischen Parlaments am 1. Oktober, mit der der politische Prozess zur juristischen Absicherung der Entwaffnung beginnen soll. „Wenn es einen Friedensprozess gibt, dann ist es nur folgerichtig, dass Abdullah Öcalan als dessen zentraler Akteur auch durch die Kommission angehört wird“, so der Abgeordnete.

„Ohne Vertrauen kein Fortschritt“

In Gesprächen mit inhaftierten kurdischen Politikern – darunter Selahattin Demirtaş und Selçuk Mızraklı – habe sich erneut gezeigt, dass trotz breiter Unterstützung in der kurdischen Bevölkerung ein Vertrauensdefizit gegenüber dem Staat bestehe, erklärte Çandar. Studien zufolge liege die Zustimmung zur Entwaffnung in kurdischen Provinzen bei über 80 Prozent, während das Vertrauen in die Umsetzung staatlicher Zusagen lediglich bei rund 40 Prozent verharre.

 


„Die Bevölkerung braucht sichtbare Zeichen dafür, dass ihre Forderungen ernst genommen werden. Ohne konkrete Schritte bleibt das Misstrauen bestehen“, so Çandar. Die Freilassung von Demirtaş und Mızraklı – beide trotz entsprechender Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterhin inhaftiert – wäre seiner Ansicht nach ein solcher Schritt.

„AKP müsste nur ihre eigene Verfassung anwenden“

Mit Blick auf die juristische Grundlage verwies Çandar auf Artikel 90 der türkischen Verfassung, dem zufolge völkerrechtlich verbindliche Urteile des EGMR nationales Recht überlagern. „Die Regierung müsste also nur die eigene Verfassung und Entscheidungen des europäischen Menschenrechtsgericht umsetzen – mehr nicht. Wenn sie das nicht tut, schadet sie dem gesamten Friedensprozess“, warnte Çandar.

Öcalans Rolle: Zeitplan und Inhalte geprägt

Çandar würdigte die zentrale Rolle Öcalans bei der Entwicklung des derzeitigen Prozesses. Dieser habe nicht nur die Beendigung des bewaffneten Kampfes initiiert, sondern auch den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen maßgeblich mitgestaltet. „Die Schritte zwischen dem 27. Februar und dem 11. Juli – vom Aufruf zur Auflösung der Organisation bis zur symbolischen Entwaffnung – wurden entsprechend seiner Vorgaben umgesetzt“, sagte Çandar. Auch die Einsetzung des parlamentarischen Ausschusses zur rechtlichen Begleitung sei eine seiner zentralen Forderungen gewesen.

„Recht auf Hoffnung“ muss folgen

Besondere Bedeutung misst Çandar dem sogenannten „Recht auf Hoffnung“ zu – einem juristischen Konzept, das langjährig Inhaftierten unter bestimmten Bedingungen eine Aussicht auf Freilassung einräumt. Bereits der Vorsitzende der nationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, habe diesen Begriff öffentlich erwähnt. Nun sei es an der Zeit, auch entsprechende Schritte einzuleiten: „Wenn das Thema nicht auf die Tagesordnung kommt, ist das ein Zeichen für politische Blockaden“, so Çandar.

Integration statt Isolation

Mit Blick auf den weiteren Verlauf des Prozesses forderte der Abgeordnete konkrete gesetzgeberische Schritte nach der Sommerpause des Parlaments. Besonders dringlich sei ein Rückkehrgesetz für ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer der PKK sowie eine politische Lösung für zehntausende Gefangene und Exilierte.

„Der symbolische Akt des Waffenverzichts vom 11. Juli muss durch gesetzliche Regelungen abgesichert werden. Sonst verliert er seine Wirkung“, sagte Çandar. Wenn der Ausschuss dem Parlament entsprechende Gesetzesvorlagen vorlege, könne mit breiter Mehrheit ein Rechtsrahmen geschaffen und ein nachhaltiges Friedensklima in der Türkei ermöglicht werden.

Persönliche Rückschau und Ausblick

Zum Schluss äußerte sich Çandar auch persönlich zu einer möglichen Begegnung mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Nach eigenen Angaben bestehe eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für ein solches Treffen. Das letzte persönliche Gespräch der beiden liege bereits über drei Jahrzehnte zurück: „Das war am 16. März 1993 in der libanesischen Bekaa-Ebene – am Tag der ersten Waffenstillstandserklärung“, sagte Çandar. „32 Jahre sind vergangen. Ich würde mich über ein Wiedersehen freuen.“

https://deutsch.anf-news.com/kurdistan/bakirhan-parlament-muss-friedensgesetze-auf-den-weg-bringen-48148 https://deutsch.anf-news.com/hintergrund/hisyar-Ozsoy-friedensprozesse-brauchen-Offentlichkeit-und-politische-reformen-48169 https://deutsch.anf-news.com/aktuelles/dem-abgeordneter-Cicek-ohne-imrali-ist-keine-losung-denkbar-48116

 

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