Populisten und dumme Wähler?

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Populisten und dumme Wähler?
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Populisten und dumme Wähler?

Ihr habt nichts, aber auch rein gar nichts, verstanden.

von Jens Berger / NachDenkSeiten

Während das politische Berlin und die Edelfedern letzte Woche mit einem bösen Kater erwacht sind und nun Gott und die Welt – oder um in ihrer Sprache zu bleiben, Populisten und die dummen Wähler – für den Sieg Donald Trumps verantwortlich machen, scharren Europas Trumps schon mit den Hufen. Im folgenden Jahr wird auch hier gewählt und ein Erfolg der Wilders, Le Pens und Petrys sollte nun auch niemanden mehr so wirklich überraschen. Verblöden wir? Sind wir plötzlich alle zu Rassisten mutiert?

Oder lässt sich die atemberaubende Erosion der traditionellen Politik nicht vielleicht auch durch eine angsterregende Entfremdung der „Eliten“ vom Volk und den kompletten Verlust von Empathie im linksliberalen Lager erklären? Trump, Wilders, Le Pen und Petry sind nicht vom Himmel gefallen. Paradoxerweise wurde und wird ihnen gerade vom linksliberalen Lager der Weg geebnet.

Die Standardreaktion gebildeter, weltoffener deutscher Akademiker auf den Wahlsieg Donald Trumps war eine Mischung aus offen zur Schau getragener Ablehnung und Witzeleien über die amerikanischen Hinterwäldler, die sich von so jemanden hinter die Fichte führen lassen. Klar, so was könnte uns in Deutschland nie passieren … ok, Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber Spaß beiseite. Muss man als aufgeklärter Mensch nicht förmlich über einen Unsympathen wie Trump herfallen? Und darf man sich nicht über Menschen lustig machen, die einen gelb toupierten Westentaschen-Macho wählen, der unter anderen Umständen nur als Persiflage seiner selbst durchgehen würde? Klar, so kann man auf das Phänomen reagieren. Geholfen ist dabei jedoch niemanden und schlauer wird man dadurch auch nicht.

donald_trump_orange_1_sexismus_fuck_assertion_sexism_rape_culture_presidential_election_republikaner_republican_party_republicans_immigration_kritisches_netzwerk.pngDaher ist es im aufklärerischen Sinne auch nicht zielführend, nun empört festzustellen, dass in den USA ein Sexist, ein Betrüger, ein Rassist, ein Großmaul, ein Kapitalist und ein Demagoge gewählt wurde … obgleich all dies natürlich korrekt ist. Ein Trump verschwindet nicht dadurch, dass die linksliberale Bohéme nun verschnupft ist und pikiert das Näslein über diesen bösen „Populisten“ rümpft. Und selbst wenn; wer oder was sollte das Vakuum füllen? Etwa Hillary Clinton? Die Frau, die es noch nicht einmal geschafft hat, bei den weißen Frauen eine Mehrheit zu bekommen?

Derlei Gedankenspiele führen doch zu nichts. Dass Donald Trump die Wahl gewonnen hat, ist nun auch schon Geschichte. Interessanter ist da doch die Frage, warum er gewonnen hat. Warum haben so viele Amerikaner von der klassischen Politik die Nase derart voll, dass sie sogar einen Donald Trump wählen? Weil die Menschen plötzlich dumm geworden sind? Weil sie zu viel Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen und die Segnungen des Qualitätsjournalismus nicht mehr zu schätzen wissen? Aber nicht doch!

Ist es wirklich so schwer, sich in einen ehemaligen Facharbeiter aus Flint, Michigan hineinzuversetzen, der früher ein stolzes und geachtetes Mitglied seiner Gemeinde war, der seine Familie durch die harte Arbeit ernähren konnte und es am Ende sogar geschafft hat, eines seiner Kinder an eine dieser teuren privaten Hochschulen zu bringen? Was mag in diesem Mann vorgehen, der heute von Glück reden kann, dass er noch einen Job im Supermarkt hat, wo er jungen Schnöseln ihre Einkäufe in Tüten verpacken darf und ansonsten nur sieht, wie „sein Amerika“ vor die Hunde geht? Der mitbekommen muss, wie seine Straße, sein Viertel, seine Stadt, sein ganzes County erst deindustrialisiert und dann desillusioniert wurde? Der mitbekommt, wie Hillary Clinton und Co. sich an die Konzerne verkaufen, die Flint den Rücken gekehrt haben? Haben wir Linksliberalen mit unserer tollen Bildung und Ausbildung wirklich nie auch nur den Hauch Empathie gelernt?

Die Fähigkeit, zu erahnen, was in anderen Menschen vorgeht, scheint vor allem dem linken Lager tatsächlich verloren gegangen zu sein. Und dies nicht nur in den USA. Hierzulande ist es doch genauso. Man kann sich auch vortrefflich über die Idioten lustig machen, die jeden Montag in Dresden unter dem Pegida-Motto durch die Altstadt latschen und sich Sorgen über die kommende Islamisierung des Abendlandes machen. Natürlich ist das alles grotesker Unsinn und natürlich haben die meisten der Demonstranten den Schuss nicht gehört. Aber was bringt mir diese „Erkenntnis“? Dass ich die besseren Argumente als ein angetrunkener Hilfsarbeiter habe, der in Dresden einfach nur seinen Frust rausbrüllt? Es sollte mir zu denken geben, wäre es andersherum. Sich auf Twitter oder Facebook damit zu brüsten, „schlauer“ zu sein als einer dieser „AfD-Trottel“, ist für einen linksliberalen Akademiker ungefähr so sinnstiftend, wie die Erkenntnis eines Profi-Boxers, stärker zu sein als ein Fünfjähriger.

► Reden wir also lieber nicht mehr über die Symptome, sondern über die Ursachen.

think_before_you_vote_nachdenken_kritisches_netzwerk_entdemokratisierung_waehlerbetrug_wahlbetrug_parteienverdrossenheit_geralt_pixabay.jpgIn der linksliberalen Lila-Launebär-Welt der Passivhäuser im Freiburger Stadtteil Vauban oder des hermetisch gentrifizierten Kiez auf dem Prenzlauer Berg in Berlin sind die Probleme und Sorgen des Volkes natürlich weit weit weg. Sollen sie doch veganen Dinkel-Kuchen essen! Uns geht´s doch gut – zumindest hier im Viertel. Klar, diesem selbstgerechten Bürgertum, dem offenbar die Deutungshoheit im rot-grünen Lager zugefallen ist, geht es in der Tat gut.

  • Hier muss man sich keine Gedanken darüber machen, warum man trotz formal guter Ausbildung keinen Job bekommt.
  • Hier sind Hartz IV und Grundsicherung sehr abstrakte Themen.
  • Hier denkt man fortschrittlich, postmaterialistisch; und da es uns ja materiell ohnehin (zu) gut geht, stehen nun die weichen Themen auf der Agenda – genderneutrale Toiletten sind dann wichtiger als Chancengleichheit, die Frage, ob schwule Paare Kinder adoptieren können, ist wichtiger als die Frage, wie man Jobs in strukturschwache Regionen bringt.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist dabei die Antwort auf alle sozialpolitischen Fragen und Politik hat dann eine Politik für Minderheiten zu sein. Wer als weißer christlicher Mann gleich drei Mehrheiten[1] angehört, hat da schon mal schlechte Karten.

Man sollte die Geschichte nicht durch einen Mangel an Phantasie beleidigen. Die selbsternannten Parteien der Mitte haben die Empathie verloren und sich von den meisten ihrer Wähler entfremdet. Die Grünen dienen sich dem bürgerlichen Milieu an, dem sie entsprungen sind, die Sozialdemokratie existiert derweil nur noch auf dem Papier – verkauft von gierigen Parteikadern für ein Linsengericht. Und dies nicht nur in Deutschland.

  • Wundern wir uns wirklich darüber, dass solch erbärmliche Karikaturen wie Hillary Clinton, Ed Miliband, François Hollande oder Sigmar Gabriel bei den Wählern durchfallen?
  • Und ist es wirklich so verwunderlich, dass die Getäuschten und Enttäuschten dann sogenannten „Rechtspopulisten“ hinterherlaufen?

Kritiker aufgepasst: Wer es absolut plausibel findet, dass immer mehr Wähler „rechtspopulistisch“ wählen, sagt damit nicht, dass er dies auch gut findet. Im Gegenteil. Dass Trump, AfD und Co. keine Alternative sind, zeigen alleine schon ihre sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Konzepte, die frisch braun lackiert aus dem neoliberalen Gruselkabinett stammen. Diese Erkenntnis ist aber auch nicht neu und hilft uns auch nicht weiter. Da die Menschen es leid sind, immer nur das kleinere Übel zu wählen, stehen sie nun vor der Wahl zwischen Pest und Cholera.

► Gibt es denn gar keine Alternativen?

Doch natürlich. Ein Bernie Sanders hat gezeigt, dass es anders geht. Ein Jeremy Corbyn und eine Sahra Wagenknecht zeigen, dass es anders geht. Doch interessanterweise werden die Sanders, Corbyns und Wagenknechts genau von denen torpediert, die dem linksliberalen Bürgertum angehören. Die Ausverkäufer der Sozialdemokratie machen sich so zu den eigentlichen Steigbügelhaltern der Rechten. Die entscheidende Frage dürfte es da sein, ob dies volle Absicht ist oder ob unsere selbsternannten Eliten in und links der Mitte es wirklich nicht besser wissen?

Wenn Sie auf diese Frage eine Antwort haben, schreiben Sie uns doch bitte an redaktion(at)nachdenkseiten.de. Es gibt Punkte, an denen selbst wir „Welterklärer“ keine Erklärungen mehr haben.

Jens Berger / NachDenkSeiten
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[1] obgleich Männer demographisch idT eine Minderheit sind, werden sie paradoxerweise politisch als Mehrheit angesehen


Quelle: Dieser Text erschien zuerst am 15. November 2016 auf den „NachDenkSeiten – die kritische Website“ > Artikel.

Der Text ist für nichtkommerzielle Zwecke nutzbar, wenn die Quelle genannt wird. Er steht unter Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial.

Bild- und Grafikquellen:

1. Für den Begriff Populismus (lat.: populus, „Volk“) gibt es keine eindeutige Definition. In der politischen Debatte ist Populismus oder populistisch ein häufiger Vorwurf, den sich Vertreter unterschiedlicher Richtungen gegenseitig machen, wenn sie die Aussagen der Gegenrichtung für populär, aber nachteilig halten. Dem Begriff Populismus werden von den Sozialwissenschaften mehrere Phänomene zugeordnet. Einerseits handelt es sich um einen spezifischen Politikstil, eine Form der politischen Rhetorik, andererseits wird Populismus in der Forschung auch als Ideologie eingestuft. Foto: Dr Case. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. #TheBigOrangeHead. The idea is that #TheBigOrangeHead benefits anytime his name or likeness are used. By using #TheBigOrangeHead image you thwart that reality. Also, you might want to think about substituting his name as well. I have suggested #TheBigOrangeHead or John Miller. This image of #TheBigOrangeHead is offered here under Creative Commons license for use by anyone for any purpose. Please link to this page as a courtesy. Read the complete post on DailyKos. Grafik: DonkeyHotey. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

3. "THINK BEFORE YOU VOTE". Illustration: geralt  / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.

honore_de_balzac_von_edelfedern_phrasendreschern_und_schmierfinken_die_schraegen_typen_der_journaille_kritisches_netzwerk_leitmedien_luegenpresse_qualitaetsmedien_medienhuren.jpg4. Volker Pispers: "Was denken sie was in diesem Land los wäre, wenn mehr Menschen wüssten was in diesem Land los ist!" Foto / Idee/ Grafik: siehe Inschrift.

5. Buchcover: "Honoré de Balzac - Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille". Manesse Verlag, ISBN: 978-3-7175-2382-6, Preis € 19,95 [D] |  € 20,60 [A]  | CHF 26,90. eBook epub (epub) ISBN: 978-3-641-19675-2. Preis € 15,99 [D]. Erschienen: 26.09.2016.  

Journalisten? Hohle Schwätzer und vorlaute Kläffer! Zeitungsmacher? Elende Opportunisten! Kritiker? Perfide Ignoranten! Für Balzac waren Presseleute so ziemlich das Letzte. In seinem Bestiarium der Pariser Journaille, hier erstmals ins Deutsche übersetzt, wagt der Autor einen satirischen Rundumschlag – respektlos, böse und herrlich einseitig.

Die Herren von der schreibenden Zunft haben in Balzacs Augen samt und sonders etwas maliziös Wankelmütiges, sind offen korrupt oder von eherner Prinzipienlosigkeit. Angelehnt an die zoologische Artenbestimmung knöpft er sich in seiner Typenlehre nun sämtliche Gestalten der Pressewelt vor: den Leitartikler, den Vulgarisator, das Faktotum, den Lobhudler, den Monothematiker, den Sektierer, den Mann fürs Grobe und was sonst alles über die Flure von Zeitungsredaktionen kreucht und fleucht. Die kritische Inventur des modernen Journalismus ist ein origineller Sidekick in der aktuellen Debatte um die Rolle der Medien. Ergänzt wird die heitere Philippika durch Balzacs Appell an Schriftsteller, ihr Urheberrecht zu verteidigen.

Honore de Balzac (1799-1850), eigentlich der Generation der Romantiker angehörend, bildet zusammen mit Stendhal und Flaubert das große Dreigestirn der französischen Realisten. Ruinöse Unternehmungen als Verleger und Spekulant sowie sein hemmungslos verschwenderischer Lebensstil stürzten Balzac schon in jungen Jahren in gewaltige Schulden und zwangen ihn zeitlebens zu rastloser literarischer Arbeit. Seine fast hundert Titel umfassende, als universelles Sittengemälde seiner Zeit angelegte „Comédie humaine“, ist Geniestreich der Selbstvermarktung und virtuoses Monumentalwerk der Weltliteratur in einem.