Auf dem Weg zu einem neuen Sozialstaat?

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Auf dem Weg zu einem neuen Sozialstaat?
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Auf dem Weg zu einem neuen Sozialstaat?

von Christoph Butterwegge / NachDenkSseiten

Was die SPD ändern muss, wenn sie Hartz IV tatsächlich hinter sich lassen will. Mit den sog. Hartz-Gesetzen wurden zahlreiche Verschlechterungen für Langzeiterwerbslose, Geringverdiener/innen und Arbeitsuchende eingeführt. Folgende neun Regelungen müssten zurückgenommen, abgeschafft bzw. geändert werden, wenn man „Hartz IV hinter sich lassen“ möchte, was sowohl Andrea Nahles wie auch Robert Habeck als Vorsitzende der SPD und der Bündnisgrünen für ihre Parteien seit Kurzem in Anspruch nehmen.

Nahles möchte Hartz IV in ein „Bürgergeld“ (so nennt die FDP ihr Konzept eines Grundeinkommens, das nicht bedingungslos ist) umwandeln und schlägt mehrere Änderungen vor, die zur Belebung der Diskussion über eine Erneuerung des Sozialstaates beitragen, jedoch nicht befriedigen können.

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1.

Die Höchstbezugsdauer des Arbeitslosengeldes (I) wurde auf höchstens 18 Monate verringert; die Anwartschaftszeit, während der man Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt haben musste, um Leistungsansprüche zu erwerben, verlängert; die Rahmenfrist, in der das geschehen sein musste, von drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt.

Mehr als zwei Drittel aller Erwerbslosen befinden sich heute im Hartz-IV-Bezug und bloß noch ein knappes Drittel im Versicherungssystem. Immer mehr Erwerbslose erhalten nie Arbeitslosengeld (I), sondern fallen gleich in Hartz IV.

Deshalb müssen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (I) und die Rahmenfrist über die ab 1. Januar 2020 geltenden 30 Monate verlängert werden, während die Anwartschaftszeit von zwölf (bzw. unter bestimmten Voraussetzungen sechs Monaten) verkürzt werden sollte, um bei einer größeren Zahl der Erwerbslosen den sofortigen Fall in die Grundsicherung zu verhindern.

2.

Gerhard-Schroeder-Hartz-IV-Neoliberalismus-Armut-Arbeitsarmut-Erwerbsarmut-Niedriglohn-Niedriglohnsektor-Prekarisierung-Kriegsverbrecher-Kritisches-Netzwerk In seiner berühmt-berüchtigten „Agenda“-Rede hat Gerhard Schröder mit der Forderung nach einer „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ am 14. März 2003 die zentrale Legitimationsformel für Hartz IV präsentiert. Dabei wurde am 1. Januar 2005 gar nichts zusammengelegt, sondern mit der Arbeitslosenhilfe zum ersten Mal seit 1945 eine den Lebensstandard von Millionen Erwerbslosen (noch halbwegs) sichernde Lohnersatzleistung abgeschafft. An deren Stelle trat mit dem Arbeitslosengeld II eine höchstens noch das soziokulturelle Existenzminimum sichernde Fürsorgeleistung, die als Lohnergänzungsleistung gedacht war.

Dies war der harte, materielle Kern von Hartz IV, dem heute öffentlich kaum noch Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es gab im Jahr 2004 ca. 2,2 Millionen Bezieher/innen von Arbeitslosenhilfe, die für Kinderlose 53 Prozent und für Eltern mit unterhaltsberechtigten Kindern 57 Prozent ihres letzten Nettogehalts vor der Entlassung betrug. Dass sich die Kinderarmut seit 2004 fast verdoppelt hat, ist wesentlich auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und den Bruch mit dem Lebensstandardsicherungsprinzip des bundesrepublikanischen Sozialstaates zurückzuführen.

Andrea Nahles hat die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe in der FAZ (v. 17.11.2018) zwar zu Recht als den „Urfehler von Hartz IV“ bezeichnet, zieht daraus aber keine Konsequenzen, sondern bietet als Scheinlösung nur die Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezugs für 50-Jährige und Ältere sowie die Einführung des „Arbeitslosengeldes Q“ (Leistungsverlängerung im Falle einer beruflichen Weiterbildung oder Umschulung) an.

Will man „nicht hinter Hartz IV zurück“, also keine Lohnersatzleistung wie die Arbeitslosenhilfe einführen, kann man den Lebensstandard von Langzeiterwerbslosen auch durch ein im Extremfall bis zur Rente gezahltes Arbeitslosengeld (I) sichern, dessen Höhe sich gleichfalls nach dem letzten Nettoentgelt richtet. Wie bei der früheren Anschluss-Arbeitslosenhilfe im Prinzip unbefristet anspruchsberechtigt müsste sein, wer nicht ein höheres Lebensalter, sondern nur eine bestimmte Mindestversicherungsdauer aufweist. Denn warum soll jemand, der Ende 40 ist, jahrzehntelang beschäftigt war und Beiträge gezahlt hat, nach kurzem Bezug von Arbeitslosengeld (I) genauso wenig Unterstützung erhalten wie jemand, der noch nie berufstätig war?

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3.

Mit der Einführung von Hartz IV war eine Pauschalierung der Regelsätze verbunden, die inzwischen Regelbedarfe heißen und zu niedrig sind, um in Würde leben, sich gesund ernähren und ordentlich kleiden zu können. Dies gilt nicht bloß, aber insbesondere für Kinder: Während der Regelbedarf von (alleinstehenden) Erwachsenen 424 Euro beträgt, erhalten Kleinkinder 245 Euro, Schulkinder 302 Euro und Jugendliche 322 Euro.

Besonders kinderreiche Familien leiden darunter, dass mit dem Inkrafttreten von Hartz IV die wiederkehrenden einmaligen Leistungen, etwa für die Reparatur einer Waschmaschine und die Anschaffung eines Fahrrades oder eines neuen Wintermantels für schnell gewachsene Kinder, weggefallen sind.

christoph_butterwegge_armut_armutsbekaempfung_gerechtigkeit_buergerversicherung_reichtumsfoerderung_kritisches_netzwerk_soziale_grundsicherung_integration_hartz_iv_kinderarmut.jpg Einerseits müssten die Regelbedarfe deutlich erhöht werden, was Andrea Nahles ablehnt; andererseits sollten jene Beihilfen wiedereingeführt werden, die geeignet sind, bedürftigen Eltern und ihren Kindern in besonderen Fällen zu helfen. Wenig sinnvoll wäre eine Kindergrundsicherung, deren Konzept Nahles bis zum Ende 2019 vorlegen will, zumindest dann, wenn sie nicht einkommensunabhängig gezahlt würde. Denn eine Familien- und Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip, die Kinder unabhängig von der materiellen Situation ihres Elternhauses besserstellen will, würde noch mehr Geld kosten als eine zielgenaue Unterschützung von Leistungsbedürftigen.

Nahles suggeriert mit Sätzen wie „Der Umbau des Hartz-IV-Systems in ein Bürgergeld kostet nicht viel“ (Kölner Stadt-Anzeiger vom 06.02.2019), dass ein neues, partnerschaftliches, solidarischeres und menschlicheres Sozialstaatsmodell, wie die SPD es propagiert, beinahe zum Nulltarif zu haben ist. Mehr soziale Gerechtigkeit und einen besseren Zusammenhalt muss sich eine reiche Gesellschaft wie die deutsche jedoch schon etwas kosten lassen.

4.

Einen Berufs- und Qualifikationsschutz gibt es bei Hartz IV nicht mehr, weil CDU/CSU und FDP im Vermittlungsausschuss jene Teilverbesserungen, die Ottmar Schreiner und andere linke Sozialdemokrat(inn)en Bundeskanzler Gerhard Schröder nach harten innerparteilichen Kämpfen abgerungen hatten, im Vermittlungsausschuss wieder aus dem Gesetzentwurf hinausverhandelt haben.

Wenn das Jobcenter darauf besteht, muss eine medizinisch-technische Assistentin deshalb jetzt im Getränkemarkt und ein Betriebstechniker als Pförtner arbeiten, wenn sie nicht ihren Anspruch auf Unterstützung einbüßen wollen. Möglich wurde es auch, dem mehr als ein Jahr arbeitslosen Diplomingenieur einen 1-Euro-Job aufzudrängen, um seine Arbeitswilligkeit zu testen. Warum soll dieser, wenn er staatliche Transferleistungen erhält, eigentlich nicht – dem Motto „Fördern und Fordern“ gemäß – einen öffentlichen Park fegen oder in einer Schule bei der Essensausgabe helfen? Nun, ganz einfach deshalb, weil das nicht seiner Ausbildung entspricht, für ihn entwürdigend ist und oft dazu führt, dass ein für die entsprechenden Tätigkeiten besser geeigneter Arbeitnehmer seine Stelle verliert.

Aus diesen Gründen muss der Berufs- und Qualifikationsschutz wieder im Sozialgesetzbuch (SGB) verankert werden.

5.

Christoph_Butterwegge_Krise_und_Zukunft_des_Sozialstaates_Kritisches_Netzwerk_Sozialstaat_Wohlfahrtsstaat_Buergerversicherung_bedingungsloses_Grundeinkommen_ArmutsbekaempfungHartz IV ist mit verschärften Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitsaufnahme verbunden. Arbeitslosengeld-II-Bezieher/innen müssen jeden Job annehmen, auch wenn er weder nach Tarif noch ortsüblich entlohnt wird. Auch dies haben CDU/CSU und FDP, denen die Hartz-Gesetze nicht weit genug gingen, im Vermittlungsausschuss durchgesetzt.

Von den immer noch 4 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher(inne)n sind 1,2 Millionen gar nicht arbeitslos, sondern „Aufstocker/innen“, die so wenig verdienen, dass sie von ihrem Lohn nicht leben können. Nicht zuletzt wegen dieser Bestimmungen hat Hartz IV hierzulande den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen, in dem fast ein Viertel aller Beschäftigten tätig sind und der mittlerweile das Haupteinfallstor für Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut sowie für spätere Altersarmut bildet. Mehr als 100 Milliarden Euro hat der Staat seit 2005 an Erwerbsaufstocker/innen gezahlt und damit letztlich Unternehmen subventioniert, die Lohndumping betreiben.

Deshalb müssen die Zumutbarkeitsregelungen entschärft, dürfen Hungerlöhne vom Staat nicht mehr gesetzlich legitimiert und die Kosten dafür sozialisiert werden.

6.

Ein wesentlicher Bestandteil von Hartz IV sind harte Sanktionen, die nötig sind, um Zwangsmaßnahmen der Jobcenter wie die oben genannten durchsetzen zu können. Bei der ersten Pflichtverletzung, die darin bestehen kann, dass man einen (der eigenen Qualifikation nicht entsprechenden) Job ablehnt, ein (vielleicht bereits schon einmal absolviertes) Bewerbungstraining nicht antritt oder eine (ungeeignet erscheinende) Weiterbildung abbricht, wird der Regelbedarf um 30 Prozent gekürzt; bei der zweiten Pflichtverletzung um 60 Prozent; bei der dritten Pflichtverletzung droht eine Totalsanktionierung, bei der das Jobcenter die Mittel für den Lebensunterhalt streicht, aber auch die Miet- und Heizkosten nicht mehr übernimmt. Noch härter trifft es Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene unter 25 Jahren, die schon bei der zweiten Pflichtverletzung riskieren, ihre Wohnung zu verlieren.

hartz_4_iv_sanktionen_jobcenter_arbeitslosengeld_altersarmut_arbeitslosigkeit_angst_arge_armut_verarmung_kritisches_netzwerk_zukunftsperspektive_existenznot_sozialabbau Die rigide Sanktionspraxis der Jobcenter hat sich ebenso wenig bewährt wie die den Leistungsberechtigten oktroyierte Eingliederungsvereinbarung. Schon durch eine Sanktionsdrohung wird massiver Druck auf die Betroffenen ausgeübt, der sie teilweise in die Resignation und in die Depression treibt. Indem man junge Menschen im Extremfall zur Obdachlosigkeit verurteilt, führt man sie nicht etwa „auf den rechten Weg“ zurück, sondern veranlasst sie höchstens, sich auf ungesetzliche Weise durchs Leben zu schlagen.

Die unsägliche Rohrstock-Pädagogik längst vergangener Zeiten hat in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts nicht zu suchen, denn mit alttestamentarischer Strenge bewirkt man keine Verhaltensänderung im positiven Sinne, sondern oft genug das Gegenteil. Sanktionen sind nicht bloß inhuman und verfassungswidrig, sondern auch kontraproduktiv. Sie müssen von den politisch Verantwortlichen so schnell wie möglich beseitigt werden, falls das Bundesverfassungsgericht diese nicht durch sein in Kürze anstehendes Urteil dazu zwingt.

Der bisherige, sanktionsbewehrte Zwang zur Erwerbstätigkeit für alle Bewohner/innen sollte entfallen, aber durch eine moralische Pflicht zur Erwerbstätigkeit für jene Menschen ersetzt werden, die dazu aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation, gesundheitlichen Verfassung und psychischen Konstitution fähig sind. Sanktionen sind entbehrlich, weil die Menschen unter den genannten Voraussetzungen arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen, sich nützlich zu machen und/oder der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Andrea Nahles lehnt nur die härtere Sanktionierung von Unter-25-Jährigen und die Verweigerung der Übernahme von Wohnkosten, aber nicht Sanktionen als solche ab.

7.

Hartz IV übernahm das wie viele andere Bestandteile dieses Gesetzespaketes aus der Weimarer Republik (dort hieß ein Reformer mit ganz ähnlichen Vorstellungen, wie sie die von dem damaligen VW-Manager Peter Hartz entwickelt wurden, übrigens Gustav Hartz) stammende Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft – damals hieß es noch „Familiennotgemeinschaft“ – aus dem Fürsorgerecht. Hierdurch wurden selbst Personen, die weder mit Leistungsbedürftigen verwandt noch ihnen gegenüber unterhaltspflichtig waren, als Teil einer „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“ zur Kostenübernahme angehalten, um die Zahlungen der Jobcenter zu minimieren.

Hartz_IV_Armut_Altersarmut_Kritisches_Netzwerk_Kinderarmut_Agenda_2010_Regelsatz_bedingungsloses_Grundeinkommen_Mindestlohn_Armutsschere_Jobcenter_Sanktionen_SozialabbauDamit verbunden waren teilweise bis in den Intimbereich von Hartz-IV-Bezieher(inne)n hineinreichende Auskunftsersuchen, Kontrollmaßnahmen und Überwachungspraktiken von Sozialdetektiven der Jobcenter, zu denen sich Andrea Nahles bisher ebenso wenig äußert wie zu der später erfolgten Beweistlastumkehr für zusammenwohnende Personen.

Eine ausgeweitete Sippenhaft darf es nicht geben, weshalb die Bedarfsgemeinschaft aus dem Sozialgesetzbuch zu streichen ist. Auch müssen Volljährige einen eigenen Haushalt gründen können, ohne die Erlaubnis des Jobcenters einzuholen.

8.

Mit den ersten Hartz-Gesetzen wurden die Hürden jener Bedürftigkeitsprüfung schrittweise erhöht, der sich alle Transferleistungsempfänger/innen unterziehen müssen. Gegenüber der ursprünglichen Regelung bei der Arbeitslosenhilfe verringerte sich das Schonvermögen.

Langzeiterwerbslose mussten selbst eine der Altersvorsorge dienende Kapitallebensversicherung und/oder eine selbstgenutzte Immobilie, die sie besaßen, veräußern, bevor sie Arbeitslosengeld II erhalten konnten. Später wurde das Altersvorsorge-Schonvermögen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher/innen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht und auch der Besitz einer selbstgenutzten Eigentumswohnung bzw. eines Eigenheims ermöglicht.

Andrea Nahles und die SPD wollen das Schonvermögen weiter erhöhen. Dies erscheint zweckmäßig, obwohl davon eher besser situierte Leistungsberechtigte profitieren, während vor allem in den ostdeutschen Bundesländern viele Antragsteller/innen überhaupt kein Vermögen besitzen, das geschont werden könnte. Robert Habeck schlägt vor, dass 100.000 Euro, der Altersvorsorge dienende und staatlicherseits geförderte Versicherungsansprüche sowie selbstgenutztes Wohneigentum anrechnungsfrei bleiben. Aufgrund der bürgerlichen Wählerklientel von Bündnis 90/Die Grünen ist Habeck an dieser Stelle äußerst großzügig und schießt bei der Anhebung des Schonvermögens über das Ziel eines auch die Mittelschicht vor Standardlebensrisiken schützenden Sozialstaates hinaus.

9.

Ausgerechnet im Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das Europa 2010 beging, fassten die damaligen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP den Entschluss, den Arbeitslosengeld-II-Bezieher(inne)n das Elterngeld ab 1. Januar 2011 auf die Transferleistung anzurechnen (und davon abzuziehen), den Zuschlag zu streichen, der bis dahin beim Übergang vom Bezug des Arbeitslosengeldes (I) zum Bezug von Arbeitslosengeld II zwei Jahre lang gezahlt wurde, und für Hartz-IV-Bezieher/innen auch keine Beiträge mehr in die Gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung für Erwerbslose, die bisher Pflichtleistungen waren, wurden gestrichen oder zu bloßen Ermessensleistungen der Jobcenter.

Alle diese Verschlechterungen, zu denen sich Andrea Nahles nicht geäußert hat, müssen rückabgewickelt werden, um Hartz IV überwinden und ein neues Sozialstaatsmodell begründen zu können. Ziel muss eine soziale Grundsicherung sein, die den Namen im Unterschied zu Hartz IV wirklich verdient, weil sie armutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei ist.

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Armutsfest wäre eine solche Mindestsicherung unter der Voraussetzung, dass ihr Zahlbetrag zusammen mit den Miet- und Heizkosten, die nicht pauschaliert werden dürfen, zumindest im Bundesdurchschnitt über der Armuts(risiko)schwelle der Europäischen Union läge: Das sind laut dem Mikrozensus 2017, der umfassendsten Sozialstatistik der Bundesrepublik, für einen Alleinstehenden 1.000 Euro.

Bedarfsdeckend zu sein heißt bei der sozialen Mindestsicherung, dass spezifische Bedarfe, etwa im Fall einer Behinderung, geltend gemacht werden können. Schließlich sollte die soziale Mindestsicherung ohne Sanktionen auskommen, wenngleich eine moralische Verpflichtung fortbesteht, dass seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit selbst sicherstellt, wer dazu gesundheitlich, psychisch und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Lage ist.

Christoph Butterwegge
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Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich hat er sein Buch „Armut“ in einer aktualisierten Neuauflage bei PapyRossa (Köln 2019) veröffentlicht, ISBN 978-3-89438-625-2. Im Jahr 2018 sind seine Bücher „Hartz IV und die Folgen“, „Grundeinkommen kontrovers“ sowie „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ erschienen.

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pin_green.gifChristoph Butterwegge: Soziale Ungleichheit im Alter. (Dauer 29:12 Min.)

Spaltungslinien, Altersarmut und demographischer Wandel. Die gesellschaftlichen Imperative eines aktiven, produktiven, gesunden und optimierten Alter(n)s sind auf dem sozialen Auge blind – wachsende Ungleichheiten in der Ausstattung mit finanziellen, gesundheitlichen und Bildungsressourcen spielen in der gesellschaftlichen Neuverhandlung des höheren Lebensalters kaum eine Rolle. Eine privilegierte Minderheit wohlhabender, gut gebildeter Senioren/­innen wird zum Maßstab einer anerkannten Altersaktivität erkoren, den die mit weniger ökonomischem und kulturellem Kapital gesegneten Älteren nur verfehlen können.

pin_green.gif Christoph Butterwegge - Armutsforscher (ARD-alpha, Dauer 44:08 Min.)


Quelle: Dieser Text erschien als Erstveröffentlichung am 07. Februar 2019 auf den „NachDenkSeiten – die kritische Website“ >> Artikel. Die Formulierungen der Übernahmebedingung für Artikel der NachDenkSeiten änderte sich 2017 und 2018 mehrfach. Aktuell ist zu lesen:

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NachDenkSeiten_Kritisches_Netzwerk_Helmut Schnug_Illerich

KN-ADMIN Helmut Schnug suchte zur Rechtssicherheit ein Gespräch mit Albrecht Müller, Herausgeber von www.Nachdenkseiten.de und Vorsitzender der Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung (IQM) e. V. Herr Müller erteilte in einem Telefonat und nochmal via Mail am 06. November 2017 die ausdrückliche Genehmigung. NDS-Artikel sind im KN für nichtkommerzielle Zwecke übernehmbar, wenn die Quelle genannt wird. Herzlichen Dank dafür.

ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.


Bild- und Grafikquellen:

1. Nahles präsentiert den "Sozialstaat 2025": Unser neues Projekt heisst Sozialstaat 2025! - Ob es uns 2025 noch gibt . . ? Karikatur von Kostas Koufogiorgos. Koufogiorgos wurde 1972 in Arta, Griechenland geboren, studierte nach dem Abitur 1989 Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Athen und begann zeitgleich als Karikaturist für verschiedene griechische Zeitungen und Magazine zu arbeiten.

Seit dem Umzug 2008 nach Deutschland veröffentlicht er seine Karikaturen in verschiedenen Tages-, Wochen- und Online-Zeitungen, z.B. im Handelsblatt, in den Ruhrnachrichten, im Hamburger Abendblatt, im Weser Kurier, der Fuldaer Zeitung, der Neuen Osnabrücker Zeitung, im Flensburger Tageblatt, den Lübecker Nachrichten, der Passauer Neuen Presse, der Ostsee-Zeitung, der Magdeburger Volksstimme, der Freien Presse, der Mainpost, dem Westfälischen Anzeiger, dem Tageblatt (Luxemburg), der Neuen Rheinischen Zeitung  u.a. Des Weiteren findet man seine Arbeiten in Magazinen (z.B. „Nebelspalter“, „Der Spiegel“), Fachzeitungen (z. B. „vida“), Onlineportalen (z.B. „web.de“, „gmx.de“, "msn.com"), und zahlreichen Bildungsmedien.

2008 wurde sein Buch „Minima Politika“ (mit Wolfgang Bittner) veröffentlicht, 2011 folgte „Frau Schächtele will oben bleiben“ (mit Monika Spang)  sowie 2016 "S(tuttgart) 21 - Karikaturen" und das "Jahr 2017 in bunten Bildern". 2012 erhielt er eine Auszeichnung beim Deutschen Preis für die politische Karikatur „Mit spitzer Feder“. 2016 folgten eine Auszeichnung beim Deutschen Preis für die politische Karikatur und ein 3. Preis des BJV zum Tag der Pressefreiheit. In Griechenland ist er der Karikaturist der Athener Tageszeitung „Eleftherotypia“.

Kostas Koufogiorgos lebt mit seiner Frau, einer Kunst-Restauratorin, in Stuttgart - Bad Cannstatt und hat in Haigerloch-Stetten ein Gemäldeatelier als Rückzugsort. >> www.koufogiorgos.de  >> Direktlink zur Karikatur.

2. Gerhard Schröder - SPD-Wahlplakat 2005, leicht modifiziert mit Protest gegen die Hartz-IV-Gesetze. Fotograf: © Diplomsoziologe / Dr. phil. Michael Westdickenberg, Berlin. Danke für die ausdrückliche Freigabe zur Veröffentlichung im KN. Die Bildrechte verbleiben beim Autor. Quelle: Flickr.

3. Butterwegge-Zitat:

»Um die Altersarmut zu bekämpfen, reicht es beispielsweise nicht, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren. Denn das Problem bei denjenigen, die prekär beschäftigt und von Altersarmut bedroht oder betroffen sind, ist ja, dass sie gar nicht genügend Rentenanwartschaften erworben haben. Es wäre zwar notwendig, das Sicherungsniveau vor Steuern wieder auf 53 Prozent anzuheben, um den Lebensstandard derjenigen zu sichern, die lange gearbeitet haben. Aber um Altersarmut zu verhindern, würde auch dies nicht ausreichen. Gut ist, dass in dem [geplanten] Rentenpaket die Zurechnungszeit für die Erwerbsminderungsrente erhöht wird. Allerdings kommen nur Neurentner in den Genuss dieser Verbesserung, während die armen Bestandsrentner nichts davon haben.« (Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher). >> Zitatquelle.

Foto o. Textinlet: © Raimond Spekking, Software-Berater und freier Fotograf >> https://www.mediawiki-beratung.de/. Quelle: Wikimedia CommonsBildbeschreibung: MAISCHBERGER am 24. Januar 2018 in Köln. Produziert vom WDR. Thema der Sendung: »Ganz unten: Wie schnell wird man obdachlos?« Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“ (CC BY-SA 4.0). Bildbearbeitung (Inlet): Wilfried Kahrs nach einer Idee von KN-ADMIN Helmut Schnug.

4. Buchcover "Armut" von Christoph Butterwegge, Pocketformat, 138 Seiten. Erschienen im PapyRossa Verlag in 4., aktualisierter Auflage 2019, ISBN 978-3-89438-625-2, Preis 9,90€. »Basiswissen« bringt in handlicher Form leicht verständliche kritische Einführungen in Grundbegriffe aus Politik, Geschichte, Gesellschaft und Ökonomie.

»Armut« ist ein brisanter, weil politisch-normativer, emotional besetzter und moralisch aufgeladener Begriff. Christoph Butterwegge diskutiert den Armutsbegriff, wirft einen Blick auf die Geschichte der Armut und vermittelt die theoretischen Grundlagen. Er stellt die Hauptrichtungen der Armutsforschung vor, erläutert die gängigen Methoden der Armutsmessung und hinterfragt die statistische Datenlage, wie sie die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung dokumentieren. Neben den unterschiedlichen Erscheinungsformen und den Folgen der Armut für die Betroffenen wie die Gesellschaft beschäftigen ihn die Entstehungsursachen und die wenig überzeugenden Erklärungsansätze der (­Medien-)Öffentlichkeit. Abschließend geht es um den Kampf gegen die Armut sowie die Frage, welche Maßnahmen hierbei Erfolg versprechen und ob das bedingungslose Grundeinkommen ein Patentrezept darstellt.

Inhaltsverzeichnis: (5 Kapitel)

Einleitung . . . . 6

1. »Armut« – ein heftig umkämpfter, aber kein Kampfbegriff . . . . 8

2. Die bisherige Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung: Daten statt Taten? . . . . 33

3. Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung: Warum die Regierenden eine unsoziale Politik machen . . . . 59

4. Der fragwürdige Umgang mit Armut und Armen . . . . 78

5. Scheinbare und wirkliche Alternativen zur Armut . . . . 104

Literaturauswahl . . . . 129

5. Buchcover "Krise und Zukunft des Sozialstaates" von Christoph Butterwegge, Erschienen im VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018 in 6. überarbeiteter Auflage, 456 Seiten, ISBN 978-3-658-22104-1, Preis für Hardcover-Ausgabe 39,99€. (als eBook 29,99€ >> ISBN 978-3-658-22105-8).

Heute leugnet kaum noch jemand, dass sich der Sozialstaat in einer tiefen Krise befindet, aber ist es tatsächlich die Krise des Sozialstaates, oder wird dieser nur zum Hauptleidtragenden einer Entwicklung, deren Ursachen ganz woanders liegen? Um welche Sachfragen und Kontroversen es bei der Diskussion darüber geht, macht dieses Buch deutlich. Sein Verfasser stellt Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des Weltmarktes („Globalisierung“), dem demografischen Wandel sowie den Strategien von Parteien und gesellschaftlichen Interessengruppen her.

Inhaltlich schlägt Butterwegge einen weiten Bogen von den Bismarck’schen Sozialreformen im 19. Jahrhundert über die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates nach dem Zweiten Weltkrieg sowie seinen „Um-“ bzw. Abbau in der Gegenwart bis zu einer solidarischen Bürgerversicherung, die seiner Meinung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen vorzuziehen und am ehesten geeignet ist, das historische Projekt der Gewährleistung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit durch Staatsintervention fortzusetzen. Daneben werden konkrete Alternativen zur gegenwärtigen Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Familienpolitik erörtert.

Inhaltsverzeichnis: (9 Kapitel)

Grundlagen und Organisationsstrukturen des Sozialstaates

Das „goldene Zeitalter“ des Wohlfahrtsstaates: Auf-, Ab- und Ausbau des Systems der sozialen Sicherung

Vom Modellfall zum Auslaufmodell? – Medienberichterstattung und Akzeptanzprobleme des Sozialstaates

Wirtschaft, Soziales und Wohlfahrt in der (Sinn-)Krise

Die rot-grüne Regierungspolitik: Auflösung des „Reformstaus“ oder Verschärfung des Sozialabbaus?

Die zweite Koalition von CDU, CSU und SPD: Sozialpolitik paradox – großzügig und kleinkariert

Die neuerliche Koalition von CDU, CSU und FDP: mehr Freiheit durch weniger soziale Sicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit?

Die nächsten beiden Koalitionen von CDU, CSU und SPD: Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung

Alternativen zum neoliberalen „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates

6. END HARTZ IV SANKTIONEN: BVerfG weist Richterklage zu den ALG-II-Sanktionen zurück. Weiterhin werden tausende Menschen in Existenznot geraten. Sanktion ist zugleich Strafe und Legitimation. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress .

7. HARTZ IV Graffito. "Hartz IV .. this is what Sozialdemokratie looks like..." Foto: Flickr-User "seven resist". Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0).

8. Andrea Nahles (SPD) hat am 11. Februar 2019 das so genannte „Sozialstaatskonzept“ ihrer Partei vorgestellt und verkündete dabei: „Wir lassen Hartz IV hinter uns.“ Ha, ha, ha . . Ihr glaubt auch alles was Euch die SPD vorsetzt. Tatsächlich ist das SPD-Konzept ein zusammengerührtes Gericht aus Etikettenschwindel, falschen Versprechungen und neuen sozialen Angriffen, angerichtet in einer klebrigen Soße aus hohlen Phrasen über „Solidarität“, „Menschlichkeit“ und „Chancen“, die selbst im stärksten Magen Brechreiz verursacht. Foto: berlinerfotograf / James Rea. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Foto.

9. Butterwegge-Zitat:

»Altersarmut stellt weder ein Zufallsprodukt noch ein bloßes Zukunftsproblem, sondern eine bedrückende Zeiterscheinung dar, die politisch erzeugt ist. Sie trifft hauptsächlich Opfer der neoliberalen Reformen und Menschen, die für den Wirtschaftsstandort „nutzlos“ sind, weil sie wirtschaftlichen Verwertungsinteressen nicht oder nur schwer zu unterwerfen sind. Armut ist für alte Menschen besonders deprimierend, diskriminierend und demoralisierend, weil ihnen die Würde genommen und ein gerechter Lohn für ihre Lebensleistung vorenthalten wird.

Darüber hinaus wirkt Altersarmut als Drohkulisse und Disziplinierungsinstrument, das Millionen jüngere Menschen nötigt, härter zu arbeiten und einen wachsenden Teil ihres mühselig verdienten Geldes auf den Finanzmärkten anzulegen, um durch private Vorsorge einen weniger entbehrungsreichen Lebensabend verbringen zu können.« (Prof. Dr. Christoph Butterwegge). Originalfoto: © Butterwegge. Bild-Text-Grafik erstellt durch Wilfried Kahrs (WiKa) nach einer Idee von KN-ADMIN Helmut Schnug.

10. Buchcover: "Leitfaden Alg II / Sozialhilfe von A-Z". Standardwerk für Arbeitslosengeld II-Empfänger. 31. Auflage, Februar 2021, Lieferung voraussicht. im April 2021. Herausgeber: Harald Thomé u.a.; © Verlag: Digitaler Vervielfältigungs- und VerlagsService, Frankfurt/M. (DVS); Kt., 902 Seiten, ISBN 978-3-932246-68-5; Preis: 19,00 € inkl. Versandkosten. >> http://www.dvs-buch.de/ .

Inhalt:

Die 31. Auflage des bekannten "Standardwerks für Arbeitslosengeld II-Empfänger" (Spiegel 43/2005) ist im Februar 2021 erschienen. Der Leitfaden wird vom Autorenteam rund um Frank Jäger und Harald Thomé vom Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. in Wuppertal herausgegeben. Der Verein Tacheles hat das Ratgeberprojekt für Leistungsbeziehende, Berater/-innen und Mitarbeiter/-innen in sozialen Berufen aufgrund der Pensionierung von Prof. Rainer Roth von der AG TuWas übernommen.

Harald-Thome-Leitfaden-ALG-II-Ausgabe-31-Sozialhilfe-Kritisches-Netzwerk-Tacheles-Arbeitslosengeld-Sozialhilfe-Grundsicherung-Erwerbsminderung-Pauperisierung-PraekarisierungDer Ratgeber beruht auf vielen Jahren Beratungs- und Schulungspraxis und einem bewährten Konzept, das im Laufe von über 40 Jahren "Leitfadenarbeit" entwickelt wurde.

Er stellt zugleich mit den Regelungen des Arbeitslosengelds II auch die Regelungen der Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung dar. Als einziger umfassender Ratgeber für das SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) und das SGB XII (Sozialhilfe) ist er deswegen für Beratungszwecke und als Nachschlagewerk sowohl für Rechtsanwender als auch für Laien besonders geeignet.

Im ersten Teil werden in 92 Schlagworten alle Leistungen ausführlich in übersichtlicher und bewährt verständlicher Form erläutert. Der zweite Teil behandelt in 34 Schlagworten, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen und sich erfolgreich gegen die Behörde wehren können.

Die Rechtsprechung und Gesetzgebung sind mit Stand vom Januar 2021 eingearbeitet und kritisch kommentiert. Auch der Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, ihre sozialen und wirtschaftlichen Ursachen und die Zielsetzung aktueller Sozialgesetzgebung fehlt nicht.

Die Autoren wollen mit diesem Leitfaden BezieherInnen von Sozialleistungen dazu ermutigen, ihre Rechte offensiv durchzusetzen und sich gegen die fortschreitende Entrechtung und die Zumutungen der Alg II-Behörden zu wehren. Sie wollen dazu beitragen, dass sie bei SozialberaterInnen, MitarbeiterInnen der Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Anwältinnen und Anwälten fachliche und parteiische Unterstützung für die rechtliche Gegenwehr erhalten, die dringend benötigt wird. Jäger und Thomé empfehlen Erwerbslosen, sich lokal zu organisieren und gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Um dem zunehmenden Abbau der sozialen Sicherung und der damit einhergehenden Ausweitung von Niedriglohn und schlechten Arbeitsbedingungen zu begegnen, treten sie dafür ein, dass solidarische Bündnisse zwischen Erwerbslosen, Beschäftigten und anderen vom Sozialabbau betroffenen Gruppen geschmiedet werden, die dem Sozialabbau und Lohndumping den Kampf ansagen.

Die Autoren üben detaillierte Kritik an der Höhe des Existenzminimums oder der rechtswidrigen Ausdehnung von Unterhaltsverpflichtungen. Sie decken die leeren Versprechungen der Politik auf, die vorgeben, die Verschärfung des Sozialrechts würde Langzeitarbeitslosen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschaffen.

Gerade weil sich die Behörden immer rigider über geltendes Recht hinwegsetzen, ist dieser Leitfaden nötiger denn je. (Quelle: Verlagstext! >> http://www.dvs-buch.de/.).