Bewusstes Sein und innerer Frieden
Erkenntnis oder eine Frage der Haltung?
von Bibi Novak für NEUE DEBATTE
Ich habe 2014 damit begonnen, Texte zu schreiben, um meine Erkenntnis zu teilen. Ein Anliegen, dessen ich mich seither aufgrund der Tragweite der Erkenntnis mit allen Konsequenzen zu tiefst verpflichtet fühle. Ich werde damit so lange fortfahren, bis ein verlässlicher Mensch den Kern meiner Erkenntnis nachweislich erfasst hat, durchdrungen hat und offenkundig an seine Leute weitergibt …
Die bisherigen Empfänger meiner Texte haben zwar entweder Teile meiner Erkenntnis für ihre eigenen Kanäle, Formate, Arbeiten und ihr Fortkommen verwendet, wozu ich deutlich auch immer wieder ermuntert habe. Denn je mehr das Bewusstsein für das Thema “bewusstes Sein und innerer Frieden” den Menschen ans Herz gelegt werden kann, desto mehr kommen wir als Menschheitsfamilie in den Frieden (innen wie außen). Und das ist insgesamt einwandfrei und wunderbar zielführend, um uns aus der geistigen Sklaverei zu befreien, die uns unbewusst und eindimensional gemacht hat, die uns kurzsichtig, schwerhörig und dadurch unbewusst herzlos und unbewusst ignorant gemacht hat.
Einige haben meine Texte auch geblockt oder mir geantwortet, was mir einfällt, einfach ungefragt eine E-Mail an sie zu versenden, einige haben sich auch mit den Worten “Nehmen Sie mich aus dem Verteiler” oder “Nicht mehr an mich” verabschiedet, wobei ich dazu sagen muss, dass ich ausschließlich nur an Menschen geschrieben habe, die irgendwie in der Öffentlichkeit stehen und ihre Mailadresse zur Kontaktaufnahme öffentlich bereitgestellt haben.
Der Vorwurf der Usurpation ist mir jedenfalls durchaus vertraut (mit Prinzessin Molestia wurde ich verglichen). Ausnahme sind dabei Menschen, die ich persönlich irgendwie kennengelernt habe in Familie, Umfeld und durch Weggefährten, was aber einen sehr geringen Teil ausmacht – von dieser Seite kam ausschließlich Schweigen.
Fakt ist: Die Art, wie wir miteinander umgehen, bestimmt die Tatsache, ob wir Krieg oder Frieden haben – in uns, um uns und multiversell.
Und ich weiß, dass wir alle von klein auf hier in diesen Breitengraden gelernt haben, möglichst cool zu einander zu sein, möglichst schmallippig, möglichst unbeteiligt. Und wir haben auch gelernt, möglichst wenig “an uns heran” zulassen, um möglichst nirgends hineingezogen zu werden und dabei aber möglichst allwissend zu wirken, möglichst über allem stehend und möglichst unantastbar und unangreifbar zu bleiben – mit Pokerface und Vorzeigemaske.
Aber auf diese Art erfahren wir insgesamt betrachtet sehr viel unbewusste Ablehnung voneinander, was uns jedes Mal aufs Neue traumatisiert, auch wenn wir oft stolz darauf sind, dass uns die Ablehnung nichts ausmacht, dass wir ein dickes Fell haben, wodurch jede vermeintliche Kränkung an uns abprallt. Und wir wissen ja, dass Traumaverhalten ein deterministisches Verhalten ist, entweder in Form von Flucht, Kampf oder Starre (je nach dem), was eine gesamtgesellschaftliche Traumaspirale zur Folge hatte und bis heute noch hat.
In Hollywood, Film, Funk und Fernsehen haben wir von klein auf gelernt, dass es cool ist, uns gegenseitig zu verarschen, uns zu mobben, uns selbst und uns gegenseitig nicht ernst zu nehmen, uns Streiche zu spielen, uns dumm, blind, clownesk und taub zu stellen. Man sehe sich die Blockbuster unserer Jugend an wie die Otto-Filme, die Werner-Filme, die Flodders, Nonstop Nonsens, Alf oder aktuell ‘Wonder Woman 1984’ oder ‘Der Prinz aus Zamunda Teil 2’. Da sind überall Protagonisten, die keinerlei Verantwortung für irgendetwas übernehmen, völlig ignorant und kurzsichtig eine Scheiße nach der anderen bauen und sich schließlich am Ende noch dümmer stellen, als sie eh schon sind, um jeglichen Konsequenzen zu entgehen.
Dabei gehen sie gerne auch mal über Leichen, natürlich unbewusst und mit künstlichen Lachern aus der Konserve untermalt (nur in der Tagesschau fehlen noch die Lachkonserven zwischen den Schlachtzeilen).
Diese Haltung, geboren aus dem 'medial-industriellen Hirnverschmutzungskomplex', wohnt uns allen mindestens latent inne, unterstützt durch den 'musikalisch-industriellen Verrohungskomplex' und dem 'chemisch-industriellen Substanzkomplex' durch unsichtbare Zugaben in Wasser, Essen und Luft. Dadurch wird unsere apathische, ignorante Haltung quasi perfektioniert – auch Alkohol, Psychopharmaka und überhaupt jede Pille vernebelt in der einen oder anderen Hinsicht die Sinne.
Der Punkt ist, dass uns diese Haltung, die uns in Dauerschleife lebenslang eingetrichtert wurde, zu einer Lebenswirklichkeit geführt hat, in dem keiner dem anderen mehr trauen kann und nicht viele trauen heute nicht einmal mehr sich selbst.
Wir vertrauen uns gegen Geld fremden Dienstleistungen an, wo wir uns vor unseren Freunden schämen würden. Wenn uns etwas auf dem Herzen liegt, dann vertrauen wir das einem fremden Therapeuten an, wenn wir krank sind, gehen wir zu einem fremden Arzt.
► Wir sind Fremde geworden.
Fremde unter Fremden, Anonyme unter Anonymen. Niemanden geht das Schicksal eines anderen an, im Anonymen fällt es leicht, sich gegenseitig auszunutzen, sich an jemandem zu bereichern, der sich nicht wehren kann.
• Und wer kann sich schutzlos unter Fremden noch wehren?
• Wer übernimmt noch Verantwortung für etwas, was ihm zugetragen wird?
• Wer nimmt sich noch ernst?
• Wer nimmt noch ernst, was passiert?
• Wer mischt sich wirklich noch irgendwo ein?
• Wer greift bei etwas noch ein?
• Wen geht noch irgendetwas an?
Wenn es etwas zu jammern gibt, zu lästern, zu hetzen, abzuurteilen, dann sind ja alle immer gerne dabei …
Wenn beispielsweise jemand hingefallen ist, dann kann man diesen Jemand entweder bewerten, bejammern, beschimpfen, kann jedes Missgeschick dieser Erde auf sein Fallen projizieren – oder aber man kann dem Hingefallenen wieder auf die Beine helfen und ihn stützen.
Wenn einer einen Denkfehler hat, dann kann man sich über die Dummheit dieses Menschen auslassen oder man kann erkunden, wo genau der Denkfehler sich eingeschlichen hat, um dabei vielleicht festzustellen, dass man selber einem Denkfehler aufgesessen ist.
Nur die zweite Variante führt zu einem inneren Wachstum. Die erste Variante führt am Ende ins absolute Chaos. Deshalb ist der einzige Weg in eine friedliche und liebevolle Welt, dass wir, die Glieder in einer universalen Kette, wieder lernen, hinzusehen, hinzuhören und Verantwortung zu übernehmen für alles, was um uns passiert - auch für das, was nicht passiert.
Ich kann entweder mein Leben lang jammern, dass keiner einen Baum pflanzt, oder ich kann selbst einen Baum pflanzen.
Ich kann entweder darüber jammern, dass alle nur jammern oder ich kann meinen Teil zur Aufklärung beitragen, warum die breite Masse so breit, apathisch, luschenhaft und weicheiig ist, auch wenn die Verweichlichten dann erst mal schimpfen wie die Rohrspatzen, weil sie natürlich tödlich beleidigt sind, wenn man deutlich ausspricht, dass die Haltung, die die allermeisten in diesem Land haben, eine induzierte Geisteskrankheit ist, die das Klima im Lande zu einem Krebsgeschwür gemacht hat - zu einem Krebsgeschwür aus lauter kleinen Herzlosigkeiten, Unfreundlichkeiten, Unachtsamkeiten, Zerstreutheiten, Kurzsichtigkeiten, Schwerhörigkeiten und Brettern vorm Kopf und Splittern in den Augen der Anderen, die deswegen durchs Dorf getragen werden.
Helfen wir uns gegenseitig oder vernichten wir uns gegenseitig? Das ist hier die Frage!
Die Schmallippigkeit und Unfreundlichkeit meiner meisten Kollegen hat mich persönlich jedenfalls sehr viele Nerven gekostet, teilweise beinahe den Letzten. Von Hilfsbereitschaft, Offenheit und Loyalität habe ich von meinen Friedensforscherkollegen bisher jedenfalls noch nicht viel erlebt, was ich persönlich sehr verwirrend finde, wo doch grade viele von denen immer Nächstenliebe predigen und bedingungslose Liebe oder zumindest behaupten, wirklich investigative Journalisten zu sein ….
Aber bei diesem Thema wird irgendwie durchgehend komplett blockiert!
Wie können wir als Menschheitsfamilie jemals heilen, wenn aus Prinzip niemand mehr irgendetwas an sich heranlässt?
Wir Menschen bilden alle eine ultimative Kette. Wir haben die Wahl, ob wir alle rufen “Scheiß Kette” oder “Das Glied ist scheiße und das Glied ist scheiße und das und das und das und das!!!” Oder ob jeder einfach das beste Glied ist, das er sein kann und seine umliegenden Glieder nach Kräften dabei unterstützt, damit auch sie die besten Glieder sein können!
Wollen wir selbst unser Bestes geben, um uns selbst und alle anderen zu stärken, um vereint eine möglichst geniale Kette zu sein, oder wollen wir uns gegenseitig Vorwürfe machen, uns schwächen, uns gegenseitig ignorieren und alle so tun, als ob uns die Kette nix anginge???
Das jedenfalls ist für mich die ultimative Frage und der Kern meiner Erkenntnis.
Bibi Novak
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Bibi Novak kommt ursprünglich aus der Oberpfalz und lebt heute in Dresden. Sie beschäftigt sich seit den 1990ern mit Fragen aus den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften. Einen Schwerpunkt legt sie auf die Ursachen der Entfremdung und den Wegen, die aus dieser herausführen, denn "es lohnt sich für alle, die irgendwie auf Lebensqualität stehen".
Lesetipps von H.S.:
»Der Weltmeister: Auf der Empore der Selbstgefälligkeit
Nichts ist wichtiger als eine mit dem sozialen Umfeld korrespondierende Selbstwahrnehmung. Wer sich abkoppelt von dem Gedanken, dass das eigne Wirken etwas mit der Außenwelt zu tun hat, befindet sich bereits in einem introspektiven Labyrinth. Das mag für eine bestimmte Periode interessant sein, in Bezug auf die Existenz als soziales Wesen ist es auf Dauer fatal.
Was auffällt, ist, dass das Phänomen einer nicht mit den Erfahrungen der Außenwelt in Einklang stehende Selbstwahrnehmung zu einer Massenerscheinung mutiert ist. Immer öfter, überall und in jeder Ritze des gesellschaftlichen Daseins drängt sich eine Art isolationistische Wahrnehmung der eignen Person, der eigenen sozialen Gruppe und selbst des eignen Landes in den Vordergrund.« by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE, im KN am 21. Februar 2021 >> weiter.
»Die Perfidie des Selbstbetrugs
Es ist zu vermuten, dass das Phänomen allgemein bekannt ist. Man führt sein Leben, geht seiner Wege und denkt, so sei das im Allgemeinen. Der Schluss, dass die eigene Weise das sei, was als normal zu gelten habe, ist relativ logisch und nachvollziehbar. Nur trifft er, dass wissen wir auch alle, nur sehr selten zu.
Die Beziehung: Zu spezifisch sind die jeweils eigenen Lebensumstände und zu divers sind die Individuen, die auf sie treffen. Es deutet sich bereits an, dass die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft nicht unbedingt als unkompliziert zu bezeichnen sind. Hätten wir alle diese Erkenntnis vor Augen, wenn wir miteinander verkehrten, dann wäre vieles leichter. Aber dem ist nicht so.« by Gerhard Mersmann / NEUE DEBATTE, im KN am 21. Juli 2020 >> weiter.
»Über die Schwierigkeit des Koreaners, „ich“ zu sagen.
Schon mehrmals ist hier darauf hingewiesen worden, dass die Menschen der asiatischen Völker überwiegend noch in einem gruppenhaften Bewusstsein leben, in dem die Gesetze der Sippe, des Stammes, der blutsverwandten Gemeinschaft das Vorherrschende sind, denen der einzelne Mensch in seiner Lebensgestaltung untergeordnet ist. In ihm ist dementsprechend ein individuelles Ich-Bewusstsein nicht in dem Maße ausgebildet, wie es sich in den europäischen Völkern historisch entwickelt hat und Grundlage eines Freiheitsstrebens in allen Lebensgebieten geworden ist. Dies kommt natürlich auch in der Sprache zum Ausdruck und soll am Beispiel des Koreanischen aufgezeigt werden.« von Herbert Ludwig / FASSADENKRATZER, im KN am 30. Januar 2020 >> weiter.
Buchtipp: Leitschuh, Heike: »Ich zuerst! Eine Gesellschaft auf dem Ego-Trip«. Westend Verlag GmbH, FFM. Erschienen am 2. Oktober 2018. Klappenbroschur 256 Seiten. ISBN 978-3-86489-228-8, Preis 19,00 € [D]. Auch als EPUB erhältlich, 978-3-86489-721-4, Preis 14,00 € [D].
Die Ichlinge kommen – bedroht das ständige Konkurrenzdenken unsere Gesellschaft?
Neoliberales Gedankengut schadet unserer Gesellschaft und lässt die Solidarität und den Respekt der Menschen untereinander schwinden. Immer mehr Menschen denken nur noch an sich, an die Karriere und die eigenen Bedürfnisse und behandeln ihre Mitmenschen deshalb mitunter wie den letzten Dreck. In der Politik und den Medien wird das Problem vernachlässigt und in seiner ganzen Tragweite bislang überhaupt nicht erkannt. Höchste Zeit also, umzudenken und gegenzusteuern, sowohl mit einer anderen Politik, als auch bei jedem Einzelnen von uns. Denn keiner will in einem Land leben, in dem jeder nur noch sich selbst der Nächste ist und nur noch das zählt, was sich rechnet. (Klappentext)
Vorwort aus »Ich zuerst! Eine Gesellschaft auf dem Ego-Trip«.
Die Ichlinge kommen – bedroht das ständige Konkurrenzdenken unsere Gesellschaft?
Bestimmt kennen auch Sie Beispiele aus Ihrem Alltag, bei denen Sie sich mächtig über Ihre Mitmenschen ärgern. Nicht nur beim Autofahren, nein, das ist ja ein ganz alter Hut. Aber vielleicht wenn Ihnen mal wieder jemand ganz charmant die Schwingtür im Kaufhaus vor die Nase knallt. Oder wenn mal wieder jemand im Zug oder im Restaurant neben Ihnen sinnlos laut telefoniert. Oder wenn die jungen Mütter neben Ihnen im Café seelenruhig ihre Latte Macchiato trinken, während ihre Kinder die Gäste tyrannisieren. Vielleicht haben Sie dann auch schon mal gedacht: »Die Leute werden doch immer egozentrischer!«
Das mögen kleinere Irritationen und Unpässlichkeiten des Alltags sein. Doch es kommt immer schlimmer. Bei mir brachten drei Meldungen das Fass zum Überlaufen. In dem Sinne, dass ich keine Lust mehr hatte, mir das alles entgeistert anzusehen, sondern mich zumindest auf diesem Wege, also mit dem Buch, zu wehren: Die Nachrichten, dass Patienten die Erste-Hilfe-Notaufnahme mit einer Lappalie missbrauchen und dann dort auch noch randalieren. Weil es ihnen zu langsam geht. Die Nachrichten, dass Gaffer sich an Unfällen aufgeilen, filmen und die Rettungskräfte behindern. Auch aktiv. Die Nachrichten, dass von Jahr zu Jahr mehr Bahnbedienstete beleidigt und auch körperlich attackiert werden. Teils heftig. Ich wollte genauer wissen, was in unserem Land vorgeht, und habe mit Menschen gesprochen, die selbst zum Opfer wurden. Was sind die Ursachen dieses brutal rücksichtslosen Verhaltens, wollte ich wissen. Und gibt es Auswege?
Vor ein paar Jahren schon war mir ein vermehrt rüpelhaftes Verhalten im Alltag aufgefallen. »Die Flegel« wollte ich mein Buch zunächst nennen und vor allem über Beschäftigte in Unternehmen schreiben, die unter dem oft unverschämten Verhalten ihrer Kunden leiden. Interviews bei Fluggesellschaften, im Einzelhandel oder bei der Bahn bestätigten meine These, dass es da ein echtes Problem gibt. Allerdings wollten die Unternehmen darüber nicht öffentlich reden, denn schließlich wollten sie ihre Kunden nicht kritisieren. Ich sah keine Chance, genügend Informationen zu bekommen, und so legte ich das Projekt erst einmal beiseite. Dann erschien 2012 das Buch des Journalisten Jörg Schindler Die Rüpel-Republik, das unsoziales Verhalten in der Gesellschaft generell aufs Korn nahm. Ich fand das Buch sehr gut und ließ meine Idee fallen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, Schindlers Ergebnissen noch etwas Neues hinzuzufügen.
Doch einige Jahr später hat sich die Lage geändert, und zwar zum Schlechteren. Sei es im Zug, im Café, im Krankenhaus oder in der Politik: Das Rüpelhafte ist in der Öffentlichkeit zur Normalität geworden und es setzt sich zunehmend im privaten Leben fort. Heute gibt es noch weit mehr Anzeichen dafür, dass sich der Umgang der Menschen untereinander erheblich verschlechtert hat, und es gibt auch einen neuen Befund: Es ist nicht nur das Benehmen, das zu wünschen übrig lässt. Es geht viel tiefer. Empathie und Solidarität, zwei ganz wesentliche Grundpfeiler einer humanen Gesellschaft, erodieren zunehmend. Das ist zumindest meine Wahrnehmung, und es ist die Wahrnehmung vieler Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe. Auch mit der Deutschen Bahn, die nun über das Problem redet. Offenbar ist eine Schmerzgrenze überschritten.
Immer häufiger treffen wir auf Zeitgenossinnen1, die sich selbst extrem wichtig nehmen. So wichtig, dass sie alle paar Meter ein Foto von sich aufnehmen und das dann in die Welt verschicken müssen. Die Selfie-Manie ist der oberflächliche Ausdruck einer Entwicklung, bei der das Ich immer wichtiger wird und das Wir an Bedeutung verliert. Unter der Egomanie leiden Beziehungen, im Kleinen wie im Großen. Dieser Ego-Kult ist ein Teil dessen, um das es mir geht. Es ist sogar noch der harmlosere Teil, wenn Menschen versuchen, ihren Körper, ihre Erscheinung, ihr ganzes Leben zu optimieren – um im täglichen Konkurrenzkampf besser bestehen zu können. Die Ursachen dafür sind keineswegs trivial, die Erscheinungsformen schon eher.
Ist die gesamte Gesellschaft auf dem Ego-Trip? Zum Glück (noch) nicht. Es gibt jedoch ernsthafte Anzeichen dafür, dass dies eines Tages so sein könnte – wenn wir nicht höllisch aufpassen. Schon jetzt ist deutlich erkennbar, dass eine Ideologie, die nur für wertvoll hält, was sich ökonomisch rechnet, die die Menschen in eine fortwährende Konkurrenz zueinander schickt, tiefe Spuren in unseren Herzen und Hirnen hinterlassen hat. Meine Gespräche und Recherchen haben dafür etliche und deutliche Anzeichen ergeben.
Sie werden sich die Frage stellen, ob es schon mal besser war mit der Solidarität. Die Antworten fallen wohl unterschiedlich aus, je nach den Lebenserfahrungen und -umständen. Was ist der Bezugspunkt für den Vergleich? War es früher tatsächlich besser? Wenn ja, wann und warum? Wie hat sich Solidarität historisch entwickelt? Nehmen wir das Thema Flüchtlinge: Auf der Flucht vor Nazideutschland wurden Juden keineswegs überall mit offenen Armen empfangen. So wenig wie die Sudentendeutschen nach dem Krieg. Was also ist meine Referenz, wenn ich sage, solidarisches Verhalten ist auf dem Rückzug? Vieles ist empirisch nicht klar nachvollziehbar, Daten und Fakten gibt es dazu nicht. Dennoch haben, so wie ich, viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, das Gefühl, dass unsere Kultur und unsere Gesellschaft derzeit einen Umbruch erleben. Alle haben dazu ihre ganz eigenen Geschichten. Und es ist mehr als ein Gefühl, dafür sind die Beispiele zu zahlreich und wiederkehrend.
Ich erzähle die Geschichten von Menschen aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, und ich erzähle die Geschichten, die ich selbst erlebt habe. Das zusammen ergibt ein Bild, das nicht immer eindeutig und manchmal sogar widersprüchlich erscheint. Deutlich wird jedoch, dass wir uns ändern müssen, um nicht bald schon in einem Land leben zu müssen, in dem sich jeder nur noch selbst der Nächste ist.
Heike Leitschuh, September 2018
Vorwort aus »Ich zuerst! Eine Gesellschaft auf dem Ego-Trip«. Westend Verlag GmbH, FFM. Erschienen am 2. Oktober 2018. Klappenbroschur 256 Seiten. ISBN 978-3-86489-228-8, Preis 19,00 € [D]. Auch als EPUB erhältlich, 978-3-86489-721-4, Preis 14,00 € [D].
► Quelle: Dieser Artikel wurde am 22. März 2021 erstveröffentlicht auf der Webseite NEUE DEBATTE - "Journalismus und Wissenschaft von unten" >> Artikel. Alle auf NEUE DEBATTE veröffentlichten Werke (Beiträge, Interviews, Reportagen usw.) sind – sofern nicht anders angegeben oder ohne entsprechenden Hinweis versehen – unter einer Creative Commons Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International; CC BY-NC-ND 4.0) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen diese von Dritten verbreitet und vervielfältigt werden.
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Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, studierte Literaturwissenschaften, Politologie und Philosophie. Beruflich durchlief er die Existenzen als Lehrer, Trainer, Berater und Leiter kleiner und großer Organisationen. So war und ist er Leiter verschiedener Bildungsinstitutionen, arbeitete als Regierungsberater in Indonesien, reformierte die kommunale Steuerung von schulischer Bildung in Deutschland, leitete diverse Change-Projekte und war Personalchef einer deutschen Großstadt. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Geistige Sklaverei: Je mehr das Bewusstsein für das Thema “bewusstes Sein und innerer Frieden” den Menschen ans Herz gelegt werden kann, desto mehr kommen wir als Menschheitsfamilie in den Frieden (innen wie außen). Und das ist insgesamt einwandfrei und wunderbar zielführend, um uns aus der geistigen Sklaverei zu befreien, die uns unbewusst und eindimensional gemacht hat, die uns kurzsichtig, schwerhörig und dadurch unbewusst herzlos und unbewusst ignorant gemacht hat. Foto: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
2. Nichts ist wichtiger als eine mit dem sozialen Umfeld korrespondierende Selbstwahrnehmung. Wer sich abkoppelt von dem Gedanken, dass das eigne Wirken etwas mit der Außenwelt zu tun hat, befindet sich bereits in einem introspektiven Labyrinth. Foto: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
3. Tagesschau: Bitte waschen Sie Ihre Hände. Ihr Gehirn waschen wir. Grafik: gefunden bei NachDenkSeiten.
4. Ausgrenzung, Beschuldigung, Hass, Stigmatisierung, Rassismus . . . Wenn es etwas zu jammern gibt, zu lästern, zu hetzen, abzuurteilen, dann sind ja alle immer gerne dabei … Illustration: adonesFAO / Fábio Almeida de Oliveira Adônes, Santo Antônio do Descoberto/Brasil. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.
5. Erfahrung oder Vorurteil - wo liegt der Unterschied? Der Unterschied liegt darin, dass die einen sich für die klügeren, weiseren, erfahreneren Menschen halten, die aus der Geschichte gelernt haben und deshalb ihre (oft falschen) Erwartungen über das Verhalten ihrer Umwelt als begründete Sorgen und Ängste darstellen, während sie die Sorgen und Ängste als Vorurteile verurteilen. Ignoranz ist dabei sehr hilfreich. Cartoon: Rilsonav / Rilson S. Avelar, Contagem/Brasil. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Cartoon.
6. Buchcover: »Ich zuerst! Eine Gesellschaft auf dem Ego-Trip«. Westend Verlag GmbH, FFM. Erschienen am 2. Oktober 2018. Klappenbroschur 256 Seiten. ISBN 978-3-86489-228-8, Preis 19,00 € [D]. Auch als EPUB erhältlich, 978-3-86489-721-4, Preis 14,00 € [D].