Im Streit um türkische Wahlkampfauftritte in Deutschland hat Recep Tayyip Erdoğan Deutschland Nazi-Methoden vorgeworfen. Hamed Abdel-Samad, Politologe und Islamkritiker, fordert von der Poltik eine härtere Gangart gegen den türkischen Präsidenten und islamistische Machtansprüche. Ein Kommentar.
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"Erdoğan will aus dem Faschismus eine Staatsdoktrin machen"
von Hamed Abdel-Samad
Ich erinnere mich schmunzelnd an die Aussagen von naiven Islam-Experten und Politikern als sie in Erdoğan und seiner AKP eine Chance für die Versöhnung von Islam und Demokratie sahen. Sie hätten wissen müssen, dass Islamisten keinen zwei Herren dienen dürfen, und dass sie die Demokratie nur als Mittel verstehen, um an die Macht zu kommen, um dann die Demokratie abzuschaffen.
Die Türkei lebt seit dem gescheiterten Putschversuch im letzten Sommer im Ausnahmezustand. Alle, die gegen Erdoğan sind oder ihm gegenüber kritisch stehen, werden aus ihren Jobs in Bildung, Justiz und Medien gejagt. Sie werden geschlagen, eingeschüchtert oder ohne Prozesse ins Gefängnis gesteckt. Das ist Faschismus. Nun will der Sultan aus dem Ausnahmezustand einen Dauerzustand und aus dem Faschismus ein Staatsdoktrin machen. Wenn aber westliche Staaten nicht zulassen, dass er in ihren Ländern Propaganda für ein Unterdrückungssystem macht, dann sind sie, nicht er, die Faschisten, die Demokratie nicht achten. Verrückte Welt!
Traurig ist, dass die meisten Türken, die hier in Freiheit aufgewachsen sind, diesem paranoiden Chauvinisten zujubeln und seine autokratische Politik aktiv unterstützen. Und nicht sie, sondern wir, sollten aufpassen, was wir sagen, sonst verletzen wir ihre Gefühle und gefährden den inneren Frieden. Am Ende heißt es 99,9% der hier lebenden Muslime sind friedlich. Aber Frieden heißt nicht die Abwesenheit von Gewalt, sondern von der Geisteshaltung und den Rahmenbedingungen, die Gewalt erzeugen. Und genau diese Haltung und Rahmenbedingung unterstützt nun die Mehrheit der Türken in Deutschland.
Der innere Frieden wurde aber längst gefährdet als im Namen der Toleranz, die intoleranten türkischen Nationalisten und Islamisten, von der Türkei aus gelenkt, hier Erdoğan-Politik machen durften.
Nun wissen viele westliche Beobachter, aber leider längst nicht alle, dass Erdoğan kein Demokrat ist und dass er eigentlich eine Gefahr für die innere Sicherheit Europas darstellt. Nur weiß keiner wie man mit ihm am besten umgehen sollte. Die deutsche Politik geht mit ihm so um, als würde Deutschland die Türkei brauchen aber nicht umgekehrt. Man lässt sich erpressen und nimmt die Menschenrechtsverletzungen und die Einmischung in die deutsche Politik hin. Nicht nur das, man lässt sich von einem Faschisten als Nazi-Land beschimpfen. Wo sind die Anwälte, die Jan Böhmermann gejagt haben, weil er Erdoğan beleidigt hatte? Nun hat Erdoğan ganz Deutschland beleidigt. Kann man nun ein Prozess gegen ihn starten? Wird die Kanzlerin dies zulassen, wie sie es im Fall Böhmermann getan hatte?
"Jahrzehnte lang hatte man im Namen der Toleranz zugelassen, dass die Intoleranten ihre Infrastruktur aufgebaut haben."
Man sollte ein anders Signal senden, an Erdoğan und auch an die Deutsch-Türken, die ihm kritiklos zujubeln. Respekt ist keine Einbahnstraße. Wer Chauvinismus und Diktatur zujubelt, darf kein Partner Europas, kein NATO-Partner werden. Wer den Erdoğan-Kult pflegt, darf nicht unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Hass gegen Kurden und Gülen-Anhänger und den Westen insgesamt Predigten halten. Moscheen, die dies tun, müssen ohne wenn und aber vom Verfassungsschutz beobachtet und notfalls geschlossen werden. Aber genau diese Verbände sind die Partner des deutschen Staates für Integration und die angebliche Bekämpfung von Radikalisierung. Jahrzehnte lang hatte man im Namen der Toleranz zugelassen, dass die Intoleranten ihre Infrastruktur aufgebaut haben. Und jetzt wundert man sich, warum die Integration scheitert!
Neulich wurde ein Bekannter von mir in Hamburg von Deutsch-Türken verprügelt, weil er bei einer Pro-Erdoğan-Kundgebung ein "Free Deniz"-Plakat trug. Nicht seine Angreifer, sondern er wurde als Provokateur bezeichnet, weil er sich für die Freiheit des in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten einsetzt. Das kenne ich auch aus persönlicher Erfahrung mit Islamkritik.
Ich erinnere daran, dass solche Kundgebungen mit dem Argument zugelassen wurden, dass wir ein demokratisches Land sind und Redefreiheit für ein hohes Gut halten! Und hier beginnt das Problem. Wir erwarten von uns selbst die Einhaltung der demokratischen Spielregeln, sanktionieren aber andere nicht, wenn sie diese Regeln mit Füßen treten. Wir lassen sie von den Vorzügen der Demokratie profitieren, obwohl sie die Demokratie verachten und abschaffen wollen.
Das muss sich ändern! Denn Faschisten werden nicht milder wenn man ihre Aggressivität stillschweigend hinnimmt, sondern sie werden noch wilder. Manchmal muss man die Grenzen nur klar aufzeigen. Ich verstehe nicht, warum unsere Politiker das nicht tun wollen.
Hamed Abdel-Samad
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Hamed Abdel-Samad: Der Autor ist einer der profiliertesten Islamexperten im deutschsprachigen Raum. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete Hamed Abdel-Samad als Wissenschaftler in Erfurt und Braunschweig sowie in Japan, wo er sich mit fernöstlicher Spiritualität befasste. Bis Ende 2009 lehrte und forschte er am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München. Danach entschloss er sich, vollberuflich Autor zu werden.
Abdel-Samad wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt durch sein Werk "Mein Abschied vom Himmel" (2009). Nach der Veröffentlichung des Buches, in dem der Autor sich anhand seiner eigenen Geschichte kritisch mit dem Islam auseinandersetzt, wurde in Ägypten eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen, sodass er danach unter Polizeischutz leben musste.
Das Werk Der islamische Faschismus: Eine Analyse entstand in der Folge eines 2013 gehaltenen Vortrags. Abdel-Samad sieht darin neben der übereinstimmenden Entstehungszeit in den 1920er-Jahren inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Islamismus und Faschismus. Das Werk wurde innerhalb der Massenmedien breit rezipiert und wurde zum Bestseller.
In seinem im Herbst 2015 erschienenen Werk Mohamed – Eine Abrechnung vertritt Abdel-Samed die Auffassung, Mohammed sei ein gekränkter Außenseiter, krankhafter Tyrann, Narzisst, Paranoiker und Massenmörder gewesen. Das, woran die islamische Welt kranke, könne nur geheilt werden, wenn Muslime sich von den multiplen Krankheiten des Propheten lösen würden: Selbstüberschätzung, Paranoia, Kritikunfähigkeit sowie die Neigung zum Beleidigtsein. Auch das verzerrte Bild Gottes, das zum Vorbild für Despoten geworden sei, müsse infrage gestellt werden
Lesetip:
"Präsidialsystem in der Türkei: Ein Blick auf die geplanten Verfassungsänderungen" - weiter.
► Quelle: Erstveröffentlichung des Interviews am 13. März 2017: "Humanistischer Pressedienst" > > zum Artikel.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Banner des Internetportals Humanistische Pressedienst (hpd). Die Rechte verbleiben bei hpd!
2. ERDOWAHN: Jeder mit klaren Verstand sieht, dass Erdoğan kein Demokrat ist und dass er eine Gefahr für die innere Sicherheit Europas darstellt. Nur weiß keiner wie man mit ihm am besten umgehen sollte. Die deutsche Politik geht mit ihm so um, als würde Deutschland die Türkei brauchen aber nicht umgekehrt. Man lässt sich erpressen und nimmt die Menschenrechtsverletzungen und die Einmischung in die deutsche Politik hin. Grafik: tiburi / Tibor Janosi Mozes • Barcelona/Spain. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Bild.
3. Hamed Abdel-Samad bei einer Buchlesung im Literaturhaus München, April 2014. Foto: Metropolico.org. Quelle: Flick. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).
4. Hamed Abdel-Samad auf der Frankfurter Buchmesse 2015. Foto: © JCS. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.