Wie Abgeordnete für Unternehmen lobbyieren

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Wie Abgeordnete für Unternehmen lobbyieren
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Wie Abgeordnete für Unternehmen lobbyieren

Bittbriefe von Abgeordneten an Bundesministerien

von Redaktion | abgeordnetenwatch.de

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Mit Bittbriefen an Minister/Ministerinnen werben Abgeordnete regelmäßig um Gunst und Geld für Unternehmen – und nutzen dafür ihr freundschaftliches Verhältnis an die Ministeriumsspitze. Erstmals machen abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat jetzt dutzende Schreiben öffentlich. Sie belegen unter anderem Lobbyarbeit für Rheinmetall und ein Steinkohlekraftwerk.

"Sehr geehrter Herr Minister, lieber Peter": So begann 2018 ein pikantes Schreiben des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor an den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Amthor bat seinen Parteifreund um Unterstützung für ein New Yorker Start-up – und löste damit die nach ihm benannte Lobbyaffäre aus (hier haben wir Amthors Lobbyschreiben veröffentlicht).

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Im Bundeswirtschaftsministerium gehen inzwischen häufiger Briefe an den "lieben Robert" ein. Wenn deutsche Unternehmen Hilfe brauchen, ist der Weg zum Wirtschaftsministerium nicht weit. Ob Standortförderung oder Staatshilfen in Krisenzeiten, die Wirtschaft erwartet Hilfe von ihrem Ministerium. Und der heißt seit Dezember 2021 Robert Habeck.

Die beiden überparteilichen und institutionell unabhängigen Internetplattform abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat.de veröffentlichen nun erstmals dutzende Bittbriefe von Abgeordneten an Bundesministerien, die wir per Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten haben.

Seit Jahresbeginn müssen sich Unternehmen und Verbände im Lobbyregister registrieren, wenn sie Kontakt zu Abgeordneten oder Regierungsmitgliedern aufnehmen. Mit wem sie sich dabei austauschen und worüber, müssen sie jedoch nicht transparent machen. Aus den jetzt veröffentlichten Bittbriefen gehen aufgrund von Schwärzungen zwar meist nicht die Namen der Unternehmen hervor, in deren Interesse ein Abgeordneter vorstellig wurde – dafür aber das Anliegen.

► Schützenhilfe für Rheinmetall

Zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 beschwerte sich beispielsweise ein Bundestagsabgeordneter von CDU/CSU beim damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Der Waffenproduzent Rheinmetall habe noch keine Export-Genehmigung für ein Produkt erhalten.

Bittbrief für Rheinmetall: Lobbyschreiben eines Abgeordneten an ex-Wirtschaftsminister Altmaier aus dem März 2020.

© Screenshot: angeordnetenwatch.de

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Den Grund für die Verzögerung der Exportlizenz vermutete Altmaiers Parteifreund – der Name ist im Dokument geschwärzt – offenbar bei der SPD: "Ich möchte Dich daher bitten, diese angesprochenen Punkte noch einmal in den Blick zu nehmen und auch bei unserem Koalitionspartner anzusprechen. Nach meinem Eindruck liegt hier das Problem", schreibt der Politiker.

Bereits im vergangenen Jahr hatte der Tagesspiegel über Abgeordnetenbriefe an das Wirtschaftsministerium berichtet (die im Artikel erwähnten Schreiben haben wir inzwischen hier katalogisiert). Unsere Anfragen an die Bundesregierung zeigen nun, dass nicht nur das Wirtschaftsministerium, sondern auch zahlreiche andere Ressorts Lobbybriefe von Abgeordneten erhalten.

► Längere Laufzeit für Steinkohlekraftwerk

Als indirekte Lobbyisten für Unternehmen aus ihrem Wahlkreis treten vor allem Abgeordnete auf, die in freundschaftlichem Verhältnis zu Minister:innen stehen. Im März etwa wandte sich ein SPD-Parlamentarier im Namen eines Steinkohlekraftwerks an den "sehr geehrten Herrn Bundesminister Habeck" und "lieben Robert", um für längere Laufzeiten für das Kraftwerk zu werben. Ausgerechnet ein Abgeordneter, der mit dem Grünen-Minister Robert Habeck per Du ist, lobbyierte also auf Briefpapier des Bundestags für die Steinkohle.

Lobbyschreiben eines Abgeordneten an den Wirtschaftsminister aus dem März 2022: "[..], lieber Robert"

© Screenshot: angeordnetenwatch.de

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In den kommenden Monaten werden Bundestagsabgeordnete im Rahmen der Energiedebatte vermutlich noch viele weitere Briefe an den sehr geehrten Wirtschaftsminister schreiben – oft versehen mit dem Zusatz "lieber Robert".

Zu den Abgeordneten-Schreiben an die Minister:innen >> weiter. (64 Dokumente)

Arne Semsrott

Update: Nach einem Hinweis haben wir klargestellt, dass der Brief zum Steinkohlewerk aus einem SPD-Büro kam und haben außerdem einen Satz zur möglichen Parteizugehörigkeit der Absender entfernt, da sich darüber aufgrund der Schwärzungen nur Vermutungen anstellen lässt.

Redaktion

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(bitte auch die äußerst interessanten Lesetipps weiter unten beachten!)
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Lesetipps:

»Wie Abgeordnete für Unternehmen lobbyieren: Bittbriefe von Abgeordneten an Bundesministerien« von Redaktion | abgeordnetenwatch.de, im KN am 17. August 2022 >> weiter.

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»Was machen Bundestagsabgeordnete nebenbei? Abgeordnete als Lobbyisten« von Martin Reyher und Tania Röttger | abgeordnetenwatch.de, im KN am 7. Juli 2022 >> weiter.

»Spendenlisten veröffentlicht: Von wem die Parteien Geld bekamen. Besonders hohe Beträge flossen an CSU und CDU.« von Martin Reyher | abgeordnetenwatch.de, im KN am 20. Mai 2022 >> weiter.

»Die Lobbyjobs ehemaliger Regierungsmitglieder: Was machen eigentl. Joschka Fischer, Roland Koch oder Rudolf Scharping?« von Martin Reyher | abgeordnetenwatch.de, im KN am 3. Mai 2022 >> weiter.

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»Korruption in Deutschland: Amthor, Nüßlein, Löbel. Bei Philipp Amthor kein Problem. Bei Georg Nüßlein u. Nikolas Löbel schon. Warum?« von Thomas Röper, St. Petersburg | Anti-Spiegel, im KN am 7. März 2021 >> weiter.

»Guttenberg lobbyierte auch bei dt. Botschafter in Peking« von Martin Reyher | abgeordnetenwatch.de, im KN am 17. September 2020 >> weiter.

»Union und SPD haben Lobbyregister-Gesetz beschlossen. Einige Verbesserungen – Lücken bleiben« von Timo Lange | LobbyControl, im KN am 13. September 2020 >> weiter.

»Wer sind die unbekannten Geldgeber der Abgeordneten? Millionenhonorare aus anonymen Quellen.« von Martin Reyher | abgeordnetenwatch.de, im KN am 11. August 2020 >> weiter.

»Nebeneinkünfte: Das verdienen die Abgeordneten aus dem Bundestag nebenbei.« von Josephine Andreoli | abgeordnetenwatch.de, im KN am 8. August 2020 >> weiter.

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»Neue Liste: Diese 504 Lobbyverbände haben ungehinderten Zugang zum Bundestag.« von Susan Jörges | abgeordnetenwatch.de, im KN am 19. Februar 2020 >> weiter.


► Quelle: Dieser Artikel wurde am 08. August 2022 von der Redaktion auf abgeordnetenwatch.de erstveröffentlicht >> Artikel. Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0).

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1. Erfolgreiche Lobbyarbeit durch Regierungskontakte: Die geschulten VertreterInnen der Automobil-, Energie-, Immobilien-, Rüstungslobby u.v.m. gehen im Kanzleramt und den Ministerien ebenso ein und aus wie Gewerkschaftsfunktionäre. Foto: TheDigitalArtist / Pete Linforth, UK. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

2. Bittbrief für Rheinmetall: Lobbyschreiben eines Abgeordneten an ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) aus dem März 2020. © Screenshot: angeordnetenwatch.de .

3. "Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck, lieber Robert": Lobbyschreiben eines Abgeordneten an den Wirtschaftsminister aus dem März 2022. © Screenshot: angeordnetenwatch.de .