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Brandschutz unterirdisch: Die Tunnel von Stuttgart 21 sind gemeingefährlich

Offene Briefe, offene Fragen. Gegner des Bahnprojekts verlangen vom DB-Konzern und Eisenbahn-Bundesamt, Zweifel am S21-Brandschutzkonzept auszuräumen. Die Adressaten antworten einfach nicht. Das erhärtet nur den Verdacht: Man hat etwas zu verheimlichen – und viel zu verlieren. Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist dabei wohl das nichtigste Problem. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Skandalisieren tut manchmal not, mithin lässt sich damit Unheil abwenden. Stuttgart 21 ist ein Skandal, durch und durch. Von der Anbahnung über die Projektierung, die politische Durchsetzung, die Finanzierung bis hin zur baulichen Realisierung: ein riesengroßer Eklat, der indes vom Mainstream zu einer lästigen Betriebsstörung verniedlicht wird. „Nun ja, läuft nicht alles bestens, aber haut schon irgendwie hin.“ Dabei wird in der hiesigen Medienlandschaft ein Aspekt des zig Milliarden Euro verschlingenden Chaosprojekts praktisch gar nicht verhandelt: Sobald einmal in Betrieb, droht es für Hunderte, mithin Tausende Menschen zur Todesfalle zu werden.

„S21 hat das Potenzial, Europas größtes Krematorium zu werden“, hatte schon vor sechs Jahren Hans-Joachim Keim nach Durchsicht des 33-seitigen Brandschutzkonzepts gewarnt. Der Ingenieur war Gutachter des Gletscherbahnunglücks im österreichischen Kaprun, bei dem im Jahr 2000 infolge eines Feuers 155 Menschen durch Rauchvergiftung starben. Aus Sorge, bei Stuttgart 21 könnte sich Ähnliches oder Schlimmeres ereignen, beklagte der Experte ein „Staatsverbrechen“ und weiter: „Es ist Wahnsinn, was die da machen.“

Schluss mit Naturgesetzen

„Die da“ sind die Deutsche Bahn (DB) und ihre Projektpartner, also Baden-Württemberg, die Stadt, die Region und der Flughafen Stuttgart. Die Kritik an ihrem Treiben ist in den Jahren nicht verstummt, sie wurde sogar immer lauter, weil sich mit den Baufortschritten immer mehr technische Unwuchten und Gefahrenquellen abzeichneten. Und dann gibt es da noch diese Planänderung: Lange Zeit hatte die Bahn mit Zügen einer maximalen Auslastung von 1.757 Passagieren kalkuliert, neuerdings jedoch perspektivisch mit solchen, die bis zu 3.681 Menschen fassen und durch die diversen zum künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof führenden Tunnel rollen sollen. Aber trotz verdoppelter Fahrgastzahl ist das Brandschutzkonzept immer noch das alte.

Das muss man nicht verstehen, und die Macher geben sich auch gar nicht die Mühe, es zu erklären. Stattdessen ließ unlängst ein DB-Sprecher verlauten, das S21-Sicherheitspaket sei „von der Art der eingesetzten Züge unabhängig“, was so viel bedeutet wie: Ob nun zehn Fahrgäste oder 3.000 unterwegs sind, die Chance jedes Einzelnen, sich im Unglücksfall in Sicherheit zu bringen, ist in beiden Fällen gleich groß. Realitätsverweigerung ist eine der stärksten Konstanten bei S21. Jetzt kommen sogar die Naturgesetze unter die Räder.

Mauern und Aussitzen

Gutachter Keim hatte den Verantwortlichen seinerzeit vorgehalten, „kein Gefühl für Paniksituationen“ zu haben, „sie können sich nicht vorstellen, wie man unter Stress und Angst reagiert“. Die Fluchtwege bei S21 sind stellenweise 90 Zentimeter breit, üblich sind zwei Meter und mehr. Sie liegen auch nicht auf der Höhe des Ausstiegs, sondern einen Meter tiefer, und die Rettungsstollen zur benachbarten Tunnelröhre befinden sich im Abstand von 500 Metern. Wie sollten Menschen unter diesen Bedingungen „mit einem Rollstuhl durchkommen“, fragte sich Keim, „es wird dort Staus geben“. Spätestens bei den viel zu eng konzipierten Fluchttreppen würden sich die Flüchtenden „gegenseitig zerdrücken – wie bei der Love-Parade“. Und Keim äußerte diese Bedenken schon, als die Bahn noch mit der Hälfte an Insassen rechnete.

Christoph Engelhardt, Physiker und Gründer des Faktencheckportals WikiReal.org, hat vor einem Monat gemeinsam mit seinen Mitstreitern vom Aktionsbündnis gegen S21 und den Ingenieuren22 in einem Offenen Brief an die S21-Projektgesellschaft Stuttgart–Ulm GmbH (PSU) um Stellungnahme zu einer Reihe von Schlüsselfragen gebeten. Allen voran solle deren Chef Olaf Drescher bitte einen Experten benennen, der das behauptete „Universalbrandschutzkonzept“ bestätige, und „lassen Sie ihn oder sie für diese Einschätzung eine nachvollziehbare Begründung abgeben“. Bis heute wartet er vergebens auf Antwort. „Ein nie dagewesenes komplettes Abtauchen der PSU“ habe er erleben müssen, sagte er am Donnerstag den NachDenkSeiten, die selbst wiederholt bei der Bahn nachgehakt haben. Einmal hieß es, zur „Korrespondenz mit Dritten“ äußere man sich nicht, am Mittwoch dann, man habe dem „nichts hinzuzufügen“. In Wahrheit äußert man sich gar nicht beim Staatskonzern, man mauert, sitzt aus und hofft, dass die Sache keine Kreise zieht.

Simulation vorgetäuscht

Aber die Projektgegner lassen nicht locker und haben sich in einem nächsten Schritt an das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) gewandt. Das ist die „letzte Instanz“ in puncto Brandschutz und Wächterin über die sogenannte Tunnelrichtlinie, der gemäß bei einer Feuerkatastrophe die „Selbstrettung“ der Zuginsassen und des Zugpersonals gewährleistet sein muss. Allerdings ist diese Vorgabe nie wirklich erfüllt worden.

Ja, es gab einmal diese ominöse Simulation eines Schweizer Planungsbüros. Über deren Herausgabe wurde juristisch jahrelang gestritten, obwohl diese schon vor acht Jahren gelöscht worden sein soll, wie das Verwaltungsgericht Stuttgart unlängst zugunsten der Bahn urteilte. Dabei hieß es noch vor zehn Jahren, das Material liefere den „Beweis“, dass sich die Passagiere eines voll besetzten Doppelstockzuges bei einem Brandfall im Fildertunnel – dem mit neun Kilometern längsten Zulauf zum künftigen Hauptbahnhof – innerhalb von elf Minuten in Sicherheit bringen könnten. Auf Grundlage des Computermodells hatte der Arbeitskreis Brandschutz, dem die Bahn, das Regierungspräsidium Stuttgart und die Stuttgarter Feuerwehr angehören, grünes Licht zum Brandschutzkonzept gegeben.

Kalter Kaffee …

Später stellte sich heraus: Der digitale Testlauf hatte kein „Heißereignis“, sondern ein „Kaltereignis“ durchgespielt. Was fehlte, war ein Feuer und noch viel mehr. Rauch- und Hitzeentwicklung? Mobilitätseingeschränkte Personen? Panikverhalten der Flüchtenden? Nichts davon war Gegenstand der Untersuchung, wie auch ein Anwalt der Bahn vor Gericht einräumte. Außerdem operierte sie einzig mit „Best-Case-Szenarien“, also nur mit den günstigsten Unglücksumständen, etwa dem, dass ein Zug exakt mittig zwischen zwei Notausgangsquerschlägen zum Stehen kommt. Maßgebend ist nach den EBA-Bestimmungen aber ein „Worst-Credible-Scenario“, also die Unterstellung der denkbar größten Widrigkeiten – sprich ein Feuerinferno bei voll besetztem Zug und maximaler Entfernung zum Rettungsstollen.

„Mit den Grundrechenarten sowie den etablierten und von der Bahn selbst verwendeten Erfahrungswerten der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes lässt sich einfach nachrechnen, dass in den S21-Tunneln das Selbstrettungsziel von 15 Minuten um Faktoren verfehlt wird“, befand Engelhardt. Die Gründe listet er in seinem neuesten Offenen Brief an EBA-Präsident Stefan Dernbach auf. Gegenüber vergleichbaren Tunneln sei die Rettungswegbreite in den S21-Tunneln halbiert, die Kapazität der Züge viermal so groß und die Verrauchung etwa doppelt so schnell wie von der Bahn angenommen. Das Risiko, zu Tode zu kommen, wäre damit um den Faktor 16 größer als üblich. Kein Zugtyp habe eine Chance auf rechtzeitige Evakuierung, „nicht einmal ein Schienenbus“.

… und ein Hefekuchen

Aber warum ist das Tunnelinnere eigentlich so beengt? Schuld ist das Mineral Anhydrit im Stuttgarter Untergrund, das bei Berührung mit Wasser aufquillt „wie ein Hefekuchen“. Zum Schutz gegen hohen Außendruck, der die Fahrtrasse anheben oder die Wände zerbersten könnte, wurden die Röhren dicker als üblich gebaut, wodurch innen weniger Platz bleibt. Hätte man normal dimensioniert und dafür noch viel mehr Gestein aus der Erde gebaggert, wären die Kosten ins Astronomische gestiegen – was sie auch so schon tun. Und weshalb hat das EBA alle Baufreigaben für den Tiefbahnhof samt Zulauftunneln im Rahmen der Planfeststellung erteilt? „Ursache für dieses Desaster ist die größte Wahrnehmungsverweigerung aller Zeiten“, äußerte Engelhardt. „Über Jahrzehnte wurde bei dem Projekt der politische Wille über die Fakten gestellt, Gesichtswahrung wurde jeder Evidenz vorgezogen, das rächt sich nun.“

Offenbar haben sich auch die Aufseher und Kontrolleure die Wahrnehmung vernebeln lassen. So zieht sich das Bundesamt auf die Position zurück, wonach „Zeit- und Leistungsvorgaben für die Evakuierung eines Zuges oder für das Erreichen des sicheren Bereiches (…) in den Richtlinien zu Eisenbahntunneln nicht enthalten [sind]“. Dennoch steht darin etwas von „Selbstrettung“, deren Gelingen vor allem eine Frage der Zeit ist. Und in den S21-Tunneln mit ihrer Enge und mitunter starken Neigung, wodurch der sogenannte Kamineffekt verstärkt und damit eine rasche Verrauchung noch begünstigt wird, bliebe im Unglücksfall eben extrem wenig davon, viel weniger als in praktisch sämtlichen vergleichbaren Tunneln Europas.

Baustopp sofort!

Angesichts dieser Ausgangslage müsse der EBA-Chef einen „sofortigen Baustopp“ für S21 verfügen, fordern die DB-Kritiker. Bei geltenden Standards sei eine Inbetriebnahme nicht zu verantworten, ebenso wenig sei zu rechtfertigen, dass weitere Milliardensummen an Steuergeld „absehbar in eine Bauruine investiert werden“, heißt es in besagtem Schreiben. Werde der Aufforderung nicht unmittelbar Folge geleistet, müsse man darauf bestehen, innerhalb von zwei Wochen wenigstens Antworten zum bisher von der PSU ignorierten Fragenkatalog zu erhalten.

Auf eine Anfrage der NachDenkSeiten reagierte die EBA bis Verstreichen der eingeräumten Frist nicht. Nach den Regularien der Bundesbehörde sind „das ganzheitliche Brandschutzkonzept der Vorhabenträgerin sowie die Flucht- und Rettungskonzepte für die einzelnen Bauwerke (…) kontinuierlich“ fortzuschreiben und „müssen zur Inbetriebnahme in geprüfter Form vorgelegt werden“. Demnach könnte vor Inbetriebnahme durchaus noch eingegriffen werden. Das allerdings liefe wohl darauf hinaus, das ganze Projekt zu begraben, weil es – anders als etwa der Hauptstadtflughafen BER – brandschutztechnisch als irreparabel gilt.

„Wir müssen uns der unangenehmen Wahrheit stellen, dass wir vor der größten Fehlplanung der Geschichte stehen“, konstatierte Engelhardt. „Wir stehen damit auch vor dem größten Gesichtsverlust unseres Landes. Aber wegen der unabweislichen Brandschutzmängel wird mit jedem Tag des Weiterbaus dieser Gesichtsverlust nur noch größer.“ Werden die Macher also die Notbremse ziehen? Wohl kaum. Bisher hat das EBA noch stets so getan, als laufe bei S21 alles regelgemäß. Prognose: Dabei bleibt es. Und der Skandal? Der wird noch monströser, hoffentlich nicht tödlich …

Titelbild: IG Digital Arts/shutterstock.com

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DAANES: „Schweigen bedeutet Komplizenschaft“

Die selbstverwalteten Regionen in Nord- und Ostsyrien stehen unter dem Dauerfeuer des türkischen Staates. Erst am Donnerstag wurde eine Frau getötet und fünf weitere Zivilist:innen bei den letzten Angriffen verletzt. Eine Rakete traf das Haus von Fateem Al-Dandan in Umm Alsateh. Die 55-jährige Frau war sofort tot, ihr 57-jähriger Mann wurde schwer verletzt. Die Türkei und ihre dschihadistischen Fußtruppen hatten am Donnerstag elf Dörfer bei Minbic unter Artilleriebeschuss genommen und etwa 200 Geschosse eingesetzt. Dabei wurden mindestens fünf weitere Personen, unter ihnen zwei 17-jährige Zwillingsgeschwister verletzt. Angriffe wie diese stellen einen eklatanten Bruch des Kriegsvölkerrechts dar. Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) erklärte im Angesicht der Attacken: „Das AKP-Regime setzt seinen Krieg gegen unsere Regionen in der Absicht fort, den Frieden in der Region zu stören. Es geht dem türkischen Staat darum, Konflikte zu provozieren und damit seiner inneren Krise zu entkommen.

Das Regime in Ankara versucht mit allen Mitteln, Krieg und Terror wiederbeleben

In Fortsetzung ihres völkermörderischen Angriffskriegs haben der türkische Besatzungsstaat und seine Söldner den Kanton Minbic und davor den Kanton Şehba angegriffen. Aufgrund dieser Angriffe wurde eine unserer Bürgerinnen getötet. Viele andere, unter ihnen auch Kinder wurden verwundet. Diese Angriffe richten sich auch gegen die Anstrengungen im Kampf gegen den Terror.

Als Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien verurteilen wir diese Angriffe und betonen, dass wir niemals in der Verteidigung unserer Errungenschaften nachgeben werden. Wir fordern die Kräfte, die sich um Deeskalation und Entspannung bemühen, auf, aktiv zu werden und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Denn das Schweigen dieser Kräfte bedeutet eine direkte Unterstützung des türkischen Besatzungsstaates. Diese Situation bringt nicht nur an sich schon Leid und Probleme hervor, sondern wird auch die ökonomische Lage der Migrant:innen in unserer Region verschärfen. Die Angriffe sorgen für Chaos in der gesamten Region, insbesondere dort, wo sich die Lager befinden, in denen Angehörige von IS-Verbrechern untergebracht sind.

Wir fordern auch die zuständigen Institutionen des internationalen Rechts auf, den Rechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung und insbesondere den Angriffen auf das Recht auf Leben der Zivilbevölkerung Einhalt zu gebieten.

Wir sprechen den Familien der Getöteten unser Beileid aus und wünschen den Verletzten eine rasche Genesung.“

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/eine-tote-und-funf-verletzte-bei-angriffen-auf-minbic-42294 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/besatzungsangriffe-auf-westen-von-minbic-42271 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/13-jahriger-erliegt-nach-artillerieangriff-seinen-verletzungen-42253 https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/flachenbrande-nach-artillerieangriffen-auf-minbic-42251

 

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  1. In schlechter Verfassung
  2. Dirk Oschmann zu 75 Jahre Grundgesetz: Der Westen feiert sich, der Osten guckt zu
  3. Wenn die Politik in der Schweiz versagt, muss das Volk eingreifen
  4. Wegen Russland: Janet Yellen droht deutschen Banken mit Sanktionen
  5. Nato-Truppen in der Ukraine? Macrons Vorschlag gewinnt an Zustimmung
  6. Justus Franz und die deutschen Kulturzwerge
  7. Soziale Ungleichheit: Reichtum rückverteilen!
  8. Stress in der Hängematte
  9. Europawahl: BSW-Spitzenkandidat De Masi: „Große AfD-Nähe im politischen Establishment“
  10. EU-Abgeordneter Nico Semsrott: „Ich hab’s versucht“
  11. „Konsequenzen“ für Georgien
  12. Assange darf Berufung vor dem britischen High Court gegen seine Auslieferung an die USA einlegen
  13. Zwang zum Digitalen: Ich! Will! Analog! Sein!
  14. Müntefering kritisiert Wagenknecht – „Hat die Frau noch alle Tassen im Schrank?“

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. In schlechter Verfassung
    Das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes wird pompös zelebriert — auch von jenen, die es in den letzten Jahren mit Füßen traten.
    „Bitte packen Sie jetzt das Grundgesetz weg!“ Von wann und von wem stammt dieses Zitat? Von einem bekennenden Staatsdelegitimierer? Von einem Querdenker? Einem Reichsbürger? Einem AfD-Politiker/Wähler? Einem Russen? Weit gefehlt. Die Worte sagte ein uniformierter Staatsbediensteter, mit maskiertem Mund. Bei einer Grundgesetz-Demo am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz im Mai 2020 forderte ein breitschultriger Polizist mit besonders affiger Schutzmaske eine junge Frau dazu auf, ihr Grundgesetz wieder einzupacken, welches sie demonstrativ vor der Brust hielt. Dies sei eine nicht zulässige politische Meinungsäußerung. Die Frau wolle eine „Message“ austragen und das dürfe sie hier an diesem Ort nicht. Diesen geschichtsträchtigen Moment filmte NuoViso-Moderator und Manova-Podcaster Aron Morhoff mit seinem Handy. Der Clip erfuhr dankenswerterweise durch die Weiterverbreitung über Eva Hermanns Telegram-Kanal eine große Reichweite. Heute, da 75 Jahre Grundgesetz gefeiert werden, sind diese zwei Minuten sehr gut gealtert, zeigen sie doch die bodenlose Heuchelei der Grundgesetz-Feierlichkeiten. Unter dem Hashtag #RichtigErinnern werden sämtliche Menschheitsverbrechen der Corona-Zeit dokumentiert. Am Tag des Grundgesetzes sollten die ersten 20 Artikel einem Realitätscheck unterzogen werden. Es sollte geklärt werden, inwieweit die darin verankerten Grundrechte nicht nur angetastet, sondern regelrecht traktiert wurden.
    Quelle: Manova

    dazu: IPPNW fordert Rückbesinnung auf Friedensgebot im Grundgesetz
    Die IPPNW fordert anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes eine Rückbesinnung auf das Friedensgebot des deutschen Grundgesetzes, das mit der Präambel und dem Artikel 1, Abs. 2 und weiteren Regelungen fest verankert ist. Die Politik der „Zeitenwende“ und der Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ stehen dazu im eklatanten Widerspruch. Kriege werden als Mittel der Politik wieder salonfähig oder gar als alternativlos dargestellt während heroische Tugenden und mit ihnen problematische Männlichkeitskonstruktionen neu aufgelegt werden.
    Quelle: IPPNW

  2. Dirk Oschmann zu 75 Jahre Grundgesetz: Der Westen feiert sich, der Osten guckt zu
    Am 23. Mai feiert der Westen sich selbst und seine Verfassung, der Osten bleibt mal wieder außen vor. Denn seit 1990 gilt: Für die Ostdeutschen ist es eine Demokratie zum Zugucken, nicht zum Mitmachen. Mit fatalen Folgen
    Sieht man sich die weihrauchgeschwängerten Lobreden zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes an, bekommt man den Eindruck, dies sei ein heiliger Text, der nicht nur besonders geschätzt wird, sondern der auch nicht angetastet oder gar verändert werden darf. Dabei war das Grundgesetz 1949 ausdrücklich als Provisorium geschaffen worden, mithin als etwas, das lediglich eine Zeit lang dienen sollte, bis man eine dauerhaft gültige Lösung gefunden haben würde.
    Überhaupt sind Gesetze nichts Heiliges, sondern bloßes Menschenwerk. Sie werden gemacht, geändert oder ganz verworfen, weil Wirklichkeiten sich ändern oder neu interpretiert werden. Dementsprechend ist auch das Grundgesetz in seiner Geschichte immer wieder geändert worden. Nur einmal, als es wirklich darauf angekommen wäre, ist nichts passiert, nämlich 1990, als die Wiedervereinigung Deutschlands anstand.
    Quelle: Dirk Oschmann in der Freitag

    dazu auch: Daniela Dahn zu 75 Jahre Grundgesetz: Vertane Chancen, Siegerpose, keine Nachdenklichkeit
    Das Grundgesetz ist gut, aber es hätte noch viel besser sein können: Vor 35 Jahren haben im Zuge der Wiedervereinigung Borniertheit, Ignoranz und Unsicherheit den ganz großen Wurf verhindert
    In guter Verfassung zu sein, ist eine besondere Gunst. Das Grundgesetz ist eine ziemlich gute Verfassung. Man kann froh sein, es zu haben. Hatte ich mich angesichts der oft abweichenden Praxis zunächst als Verfassungspatriotin gesehen, hat die Einsicht in politischen Kontext später partielles Kontra bewirkt. Was ziemlich gut ist, könnte auch besser sein. Oder müsste sogar.
    Quelle: Daniela Dahn in der Freitag

    und: 75 Jahre Grundgesetz: In welchem Format diskutieren wir ergebnisoffen?
    „Anmut sparet nicht noch Mühe…“: Warum nach 33 Jahren Deutsche Einheit eine Verfassungsdiskussion erneut vonnöten scheint.
    Es sind sich so viele so einig. Zumindest viele im Politik- und Medienbetrieb. Es ist doch alles gut, nichts muss geändert werden. Ein wenig feiern, ein wenig den Osten Deutschlands bespielen, und wir machen genau so weiter wie bisher. Was wir allenfalls benötigen: eine Volksabstimmung, damit auch für den letzten Zweifler aus dem Reichsbürgerumfeld klar wird, dass das bisher nicht demokratisch legitimierte Grundgesetz der drei Westzonen Deutschlands von 1949 dann doch von der großen demokratischen Mehrheit gewollt und 75 Jahre später von dieser legitimiert ist.
    So wünscht es sich der einzige Ministerpräsident der Linken, nämlich Bodo Ramelow aus Thüringen. Für diesen Gedanken bekam er diese Woche viel Platz in der FAZ eingeräumt. Der thüringische Ministerpräsident und die Herausgeber der FAZ scheinen nicht die einzigen Exponenten im deutschen Politik- und Medienbetrieb zu sein, die sich ein Weiter-so wünschen. Doch vieles um uns herum verändert sich, und ausgerechnet das Grundgesetz soll von strukturellen Optimierungen ausgenommen werden?
    Quelle: Berliner Zeitung

  3. Wenn die Politik in der Schweiz versagt, muss das Volk eingreifen
    Die Schweiz ist, im Vergleich mit anderen Ländern, noch immer eine relativ direkte Demokratie. Insbesondere haben die Bürgerinnen und Bürger das Recht, mit einer Unterschriftensammlung – Initiative genannt – und mindestens 100’000 gültigen Unterschriften einen politischen Vorschlag zu machen und dazu eine Volksabstimmung zu verlangen. So geschehen zum Thema Neutralität, nachdem der Bundesrat mit der überstürzten pauschalen Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland die historisch gewachsene Neutralität massiv beschädigt wenn nicht ganz zerstört hat. Globalbridge.ch hat deshalb schon mehrere Beiträge zum Thema Neutralität der Schweiz publiziert und wird weitere bringen. (cm)
    Quelle: Globalbridge
  4. Wegen Russland: Janet Yellen droht deutschen Banken mit Sanktionen
    Banken müssen raus aus Russland. Doch warum haben die USA mit der „General License No. 81“ Sanktionen gegen russische Banken im Energiehandel ausgesetzt
    Die Finanzministerin der USA, Janet Yellen, hat die deutschen Banken aufgefordert, Schlupflöcher zur Umgehung der Sanktionen gegen Russland zu schließen. Bei einem Treffen mit Bank-Managern in Frankfurt am Main drohte Yellen am Dienstag, die deutschen Banken könnten im Falle der Nichtbefolgung selbst sanktioniert und von Dollar-Transaktionen abgeschnitten werden.
    Quelle: Berliner Zeitung
  5. Nato-Truppen in der Ukraine? Macrons Vorschlag gewinnt an Zustimmung
    Die Vorstellung von Nato-Bodentruppen in der Ukraine schien vor wenigen Monaten noch wie ein Luftschloss des französischen Präsidenten, doch nun soll der Vorschlag immer mehr Zustimmung bei den Nato-Partnern finden. Dies sagte ein Sprecher der Partei von Präsident Emmanuel Macron im Gespräch mit dem US-Portal Newsweek.
    Quelle: FR Online
  6. Justus Franz und die deutschen Kulturzwerge
    Der weltberühmte Dirigent feiert im Mariinski-Theater seinen 80. Geburtstag. In Deutschland ist er verfemt. […]
    Zur Propaganda gehört auch die Unterwerfung des Kulturbetriebs. 1985 hat Justus Frantz das Schleswig-Holstein Musik-Festival gegründet. Heute wird er wegen seiner Kontakte nach Russland zu seiner eigenen Konzertreihe nicht mehr eingeladen. Mit den Sendungen „Achtung Klassik“ und „Klassik für alle“ hat er jahrelang ein Millionenpublikum begeistert. Heute will das ZDF nichts mehr von ihm wissen. Justus Frantz hat als einer der ersten den Friedensaufruf von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer unterzeichnet. Diesen Mut hat man ihm die Kulturschickeria nie verziehen. Auch seine Freundschaft zu Valery Gergiev wird ihm zur Last gelegt. Der gilt den selbsternannten Tugendwächtern im Westen als Putin-Versteher. Den Posten als Chefdirigent in München hat er verloren, weil er den russischen Einmarsch in die Ukraine nicht ausdrücklich verurteilt hat.
    Quelle: Patrik Baab im Overton Magazin
  7. Soziale Ungleichheit: Reichtum rückverteilen!
    Wenn wir alle in Würde leben wollen, können wir uns Hyperreiche nicht leisten. Es braucht einen höheren Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer.
    Will man die ökonomische Ungleichheit verringern und zugleich verhindern, dass sich Deutschland sozial noch tiefer als bisher spaltet, muss die Steuergerechtigkeit erhöht und der Reichtum stärker besteuert werden, zumal Armutsbekämpfung viel Geld kostet. Steuern und Steuerpolitik sind aber für die meisten Deutschen ein Buch mit sieben Siegeln.
    Das komplizierte Steuersystem macht es schwer, Besitz-, Kapital- und Gewinnsteuern als wichtigstes Instrument einer Rückverteilung des Reichtums ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Weil sie ihre eigene Steuerbelastung in aller Regel überschätzen, lehnen viele Menschen auch Steuererhöhungen für wirklich Reiche aus der Befürchtung heraus ab, dass sie selbst davon betroffen sein könnten.
    Quelle: Christoph Butterwegge in der taz
  8. Stress in der Hängematte
    563 Euro — das ist die aktuelle Höhe des Regelsatzes beim Bürgergeld. Wie kann man davon leben? Ein Langzeitarbeitsloser berichtet aus seinem Alltag.
    Man sagt ihnen nach, in der sozialen Hängematte zu liegen und den Staat Unsummen zu kosten. Sie seien bildungsfern, hätten nichts zu tun und gammelten nur vor dem Fernseher herum. Im Privatfernsehen werden solche Langzeitarbeitslosen besonders gerne gezeigt. Man spricht allerorten über sie — aber nicht mit ihnen. Wir allerdings tun es. Und zwar in der dritten Folge unseres Arbeiterpodcastes: Lars Richter (Name geändert) — Langzeitarbeitsloser. Roberto De Lapuente hat sich mit ihm unterhalten.
    Quelle: Manova
  9. Europawahl: BSW-Spitzenkandidat De Masi: „Große AfD-Nähe im politischen Establishment“
    Die Europawahl ist die erste Wahl des „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Im Interview räumt Spitzenkandidat De Masi mit rechten Vorurteilen auf. […]
    Ganz im Gegenteil setze man sich durch seine Politik von der AfD ab. Man lehne Lohnkürzungen strikt ab. Die AfD hingegen habe, wie CDU, SPD, FDP und Grüne, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro im Bundestag abgelehnt. Die AfD hätte sich wie viele andere etablierte Parteien für die Rentenprivatisierung stark gemacht, vom BSW würde sie kritisiert werden. Sie unterstütze die deutsche Hochrüstung, was dem BSW komplett widersprechen würde. „Da würde ich dann argumentieren, dann gibt es offenbar eine große AfD-Nähe in weiten Teilen des politischen Establishments“.
    Vielmehr betont er, dass sich die Protestwähler lieber dem BSW anschließen und die Koalition für die Belebung der AfD verantwortlich sei.

    „Es ist ja wohl nicht zu leugnen, dass seit unserer Entstehung die AfD in den Umfragen schwächer geworden ist. Es ist übrigens durch eine groß angelegte Studie belegt, dass die Politik der Ampel, zum Beispiel die Kürzung von öffentlichen Investitionen oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die kleinen Leute, rechte Parteien stärkt. Wir sehen ja die Korrelation: Die AfD ist während der Ampel-Koalition erheblich stärker geworden. Der Vorwurf ist also, dass die derzeitig politisch Verantwortlichen die AfD doch stärken.“
    – Fabio De Masi, Spitzenkandidat des BSW, im Interview mit unserer Redaktion

    Quelle: der Westen

  10. EU-Abgeordneter Nico Semsrott: „Ich hab’s versucht“
    Satiriker Nico Semsrott hat nach fünf Jahren genug vom EU-Parlament. Ein Gespräch über institutionelles Chaos, nötige Deals und animalische Leistung. […]
    Naivität ist die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt irgendetwas versucht. Menschen versuchen Dinge, weil sie sich des Umfangs einer Aufgabe nicht bewusst sind. Genauso funktioniert auch Politik. Selbst Profipolitiker, die vorher im Bundestag oder im Landtag saßen, sind überrascht, wie kompliziert EU-Politik funktioniert. Ein Beispiel: Wenn über ein Verbot des Verbrennermotors abgestimmt wird, dann entscheiden nicht die EU-Institutionen alleine, sondern es gibt eine Querverbindung von deutschen Automobilherstellern zur FDP. Dann blockiert die FDP das in der Bundesregierung und somit im Europäischen Rat gemeinsam mit anderen Staaten. Die Anzahl der Spieler ist einfach extrem hoch, es gibt Chaos­elemente, und ich behaupte, niemand versteht das Ganze vollständig.
    Quelle: taz
  11. „Konsequenzen“ für Georgien
    Berlin und die EU erhöhen ihren Druck auf die Regierung Georgiens und unterstützen Proteste der Opposition gegen das neue Transparenzgesetz. Das Gesetz ist kürzlich von der Mehrheit des georgischen Parlaments verabschiedet worden. Es soll Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die vor allem aus NATO-Staaten finanziert werden und die Regierung der Partei Georgischer Traum stürzen wollen, zur Offenlegung der Herkunft ihrer Gelder zwingen. Damit soll es die Voraussetzungen dafür schaffen, sie von ihren ausländischen Geldgebern im transatlantischen Westen abzuschneiden. Die Verabschiedung des Gesetzes, das teilweise wörtlich einem US-Gesetz entspricht, gegen das Georgiens Staatspräsidentin aber jetzt ihr Veto eingelegt hat, hat zu öffentlichen Zerwürfnissen nicht zuletzt mit hochrangigen deutschen Politikern geführt; der SPD-Politiker Michael Roth, einst Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat sich in Tiflis persönlich in eine Protestdemonstration eingereiht. Georgien wendet sich ökonomisch von Europa ab und weicht im Ukraine-Krieg von westlichen Vorgaben ab: Es sucht neutral zu bleiben und die Handelsbeziehungen mit Russland nicht zu schädigen.
    Quelle: German Foreign Policy
  12. Assange darf Berufung vor dem britischen High Court gegen seine Auslieferung an die USA einlegen
    Der High Court beschränkte sich im März dieses Jahres darauf, die Auslieferung aufgrund des britischen Rechts nicht zu genehmigen, weil ihm die Todesstrafe drohen und er aufgrund seiner ausländischen Staatsbürgerschaft in den USA benachteiligt werden könnte. Zudem könnte ihm sein Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt werden. Der High Court erlaubte der US-Regierung, Zusagen zu machen, um diese Bedenken auszuräumen, die diese am 16. April auch gab. […]
    An die schwammigen Formulierungen der Zusicherungen gebunden, war der US-Anwalt James Lewis gezwungen, völlig neue Argumente vorzubringen, die in früheren Anhörungen noch nicht thematisiert wurden. Sie zeigten vor allem, dass Washington die Absicht hat, Assange das Recht auf Meinungsfreiheit zu verwehren. Lewis war nicht in der Lage zu behaupten, dass die Zusicherung der USA hinsichtlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung irgendetwas derartiges sei, und argumentierte im Wesentlichen, dass eine solche Zusicherung in keinem Fall gerechtfertigt sei.
    Er beharrte darauf, dass Assange nicht aufgrund seiner Nationalität diskriminiert werde, indem ihm der Schutz des ersten Verfassungszusatzes verweigert werde. Für ihn gelte der erste Verfassungszusatz einfach rechtlich nicht in vollem Umfang, weil er kein US-Bürger ist, so Lewis.
    Quelle: WSWS

    Anmerkung Moritz Müller: Ein Artikel der auf Deutsch auf etliche Details eingeht, die am Montag vom High Court angehört wurden.

    dazu auch: Assange kann Auslieferung vor dem High Court anfechten
    Quelle: NachDenkSeiten

    und: The Slow-Motion Execution Of Julian Assange Continues
    Quelle: Popular Resistance

    Anmerkung Moritz Müller: Eine ungeschminkte Sicht der Dinge von Pulitzer Preisträger Chris Hedges

  13. Zwang zum Digitalen: Ich! Will! Analog! Sein!
    Ob Bank, Arztpraxis oder Carsharing – alle setzen auf digitalen Zugang. Wer nicht digital ist, wird ausgeschlossen.
    Neulich versuchte ich, einen Termin bei einem Orthopäden zu bekommen. Doch niemand ging ans Telefon. Auf der Webseite der Praxis nur der Hinweis „Terminvereinbarung bitte über Doctolib“. Wenige Wochen zuvor kam Post von der Bank: Ich möge mir doch die neue App zulegen, das alte Banking-Verfahren werde sicher bald eingestellt. Ähnliches beim Handy-Anbieter: Bitte die App nutzen, statt die Hotline des Kundenportals anzuwählen. Die ist ohnehin irgendwo tief im Impressum versteckt.
    Und so geht es weiter. Für mich lohnt es sich nicht, ein eigenes Auto vor der Tür zu haben, also vergleiche ich Carsharing-Anbieter. Der vielversprechendste verlangt nicht nur das Installieren der App, sondern auch die Nutzung von Google-Diensten beziehungsweise die eines iPhones. Um es anders zu sagen: Der Digitalisierungsterror macht vor nichts und niemandem halt. Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.
    Quelle: taz

    dazu auch: Recht auf Leben ohne Digitalzwang
    Wir fordern den deutschen Bundestag auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen.
    Wir fordern den deutschen Bundestag auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen und damit gesetzlich zu verankern.
    Quelle: digitalcourage.de

  14. Müntefering kritisiert Wagenknecht – „Hat die Frau noch alle Tassen im Schrank?“
    Franz Müntefering regt sich sehr über ein Wahlplakat des Bündnis Sahra Wagenknecht zur Europawahl auf. Der frühere SPD-Vorsitzende kritisiert die Politikerin scharf. Er wirft ihrem Ehemann Oskar Lafontaine Faulheit vor und äußert sich zur K-Frage in seiner Partei. […]
    Über Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine sagte Müntefering mit Blick auf ihre frühere Zusammenarbeit in der SPD: „Er war faul, das hat mich immer gestört an ihm.“ Dass Lafontaine 1999 ausgestiegen sei, „schadet uns bis heute“. „Ich war eigentlich nach der 1998-Wahl der Meinung, wir können 15, 20 Jahre regieren. Nach sieben Jahren waren wir am Ende, und das hat im Wesentlichen Lafontaine ausgelöst.“
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Münteferings “Argumentation” ist amüsant. Erst wirft er Oskar Lafontaine Faulheit vor und den Ausstieg aus der Spitzenpolitik, um im nächsten Satz zu behaupten, dass das Ende der Regierung Schröder Lafontaines Werk gewesen wäre. Ein wenig Konsequenz in der Argumentation wäre prima: ist Lafontaine unersetzlich, oder sollten Müntefering und Schröder nicht froh sein über den Ausstieg des “faulen” Mitstreiters? Und wie hat der faule Lafontaine das Ende der Regierung Schröder geschafft: etwa dadurch, dass er jahrelang am Seitenrand stand? Hat der Regierungsverlust gar nichts zu tun mit Hartz IV und Rentenkürzungen und der asozialen rot-grünen Agenda-2010-Politik, die – ohne Lafontaines Eingreifen – die Umfragewerte der SPD in Richtung 25% gedrückt und zum Verlust der SPD-Ministerpräsidentschaft in NRW geführt hatten, sodass Schröder im Mai 2005 eine vorzeitige Neuwahl des Bundestags ankündigte? Nebenbei beschädigt Müntefering den amtierenden Kanzler seiner Partei enorm, indem er Boris Pistorius als nächsten Kanzlerkandidaten ins Spiel bringt. Mit solchen “Parteifreunden” braucht man keine anderen Feinde mehr.

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Sozialhilfe: Das Sozialamt schnappt sich das Erbe

Lesedauer 2 Minuten

Auf viele Erben wartet eine böse Überraschung. Der verstorbene pflegebedürftige Vater, die Ehefrau, die im Pflegeheim lebte und Sozialhilfe empfing, hinterlässt ihnen ein Häuschen oder etwas Bargeld.

Kaum kommt die Nachricht über die Erbschaft, da greift auch schon das Sozialamt danach, um den Erben ihr Erbe wegzunehmen.

Pflicht zur Erstattung

Den Erben mag das vorkommen wie behördliche Wegelagerei. Doch was scheint wie das Handeln institutioneller Strauchdiebe ist rechtlich vorgeschrieben.

Erben eines vom Sozialamt Unterstützten sind nach Paragraf 102 SGB XII verpflichtet, die Kosten für geleistete Sozialbeiträge für die vergangenen zehn Jahre dem Sozialamt zu erstatten – sofern das Erbe dies zulässt.

Dabei darf das Amt von den Erben nicht mehr Geld verlangen als das Erbe enthält. Den überschüssigen Betrag müssen die Erben dann nicht mehr zahlen.

Es gilt eine Drei-Jahres-Frist

Für Erben ebenfalls wichtig ist die gesetzte Frist. Das Sozialamt muss die Summe für die geforderten Sozialleistungen innerhalb von drei Jahren nach dem Tod des Leistungsberechtigten von den Erben einfordern.

Danach besteht kein Anspruch mehr, und das Sozialamt geht leer aus.

Rückforderungen gelten auch für Hausbesitz

Die Erstattungsforderungen an die Erben gelten auch für vererbte Immobilien.

Wer Sozialhilfe erhält darf ein Häuschen oder eine Wohnung besitzen, bei Einzelpersonen in der Größe von 90 Quadratmetern. Stirbt der oder die Leistungsberechtigte und vererbt das Wohneigentum, dann wird das Sozialamt fordern, die Immobilie zu verkaufen, um die Sozialleistungen der letzten zehn Jahre zu bezahlen.

Aufpassen: Freibetrag

Das Sozialamt darf allerdings nicht auf jeden Cent zugreifen, der von Hilfebedürftigen an Hinterbliebene geht. Es gilt ein Freibetrag von 3378 Euro. Erst wenn die Leistungen des Sozialamts an den Verstorbenen höher waren, kann es das Erbe einkassieren.

Es gibt kein “postmortales Schonvermögen”

Erben haben kaum Möglichkeiten, diesen Zugriff auf ihr Erbe abzuwehren. Das stellte das Bundessozialgericht klar. Es betonte 2019, dass es kein “postmortales Schonvermögen” gebe. Im Verfahren ging es um eine 83-jährige Witwe, die ihr Häuschen verkaufen sollte, um dem zuständigen Sozialamt 15.316 Euro Kosten für das Pflegeheim ihres verstorbenen Mannes zu erstatten. (Az. B 8 SO 15/17 R).

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Mehrere Einzel-GdB können zur Schwerbehinderung GdB 50 führen – Wichtiges Urteil

Was ist die Rechtsgrundlage?

Paragraf 102 des Sozialgesetzbuches XII (Sozialhilfe) regelt den “Kostenersatz durch Erben”. Dieser gilt ausdrücklich nicht bei Erwerbsminderung und bei Grundsicherung im Alter, sondern bezieht sich auf ausgezahlte Sozialhilfe.

Angewandt werden diese Regelungen hauptsächlich bei der “Hilfe zur Pflege”, also bei der Übernahme der Kosten für Pflege / Heimunterbringung durch das Sozialamt.

Erben sind per Gesetz dazu verpflichtet, die Kosten der Sozialhilfe der letzten zehn Jahre vom Erbe zu bezahlen.

Was müssen die Erben erstatten?

Wie bereits beschrieben, gilt ein Freibetrag, der dem sechsfachen des monatlichen Regelbedarfs eines Alleinstehenden entspricht. Erst darüber darf dass Sozialamt zur Kasse bitten.

Wichtig: Lebten der / die Verstorbene und der Erbe / die Erbin in häuslicher Gemeinschaft zusammen, dann können sogar über 15.000 Euro Erbvermögen vor dem Zugriff des Sozialamts gerettet werden.

Die Härteklausel

Es gibt zudem eine allgemeine Härteklausel. Das Sozialamt darf das Erbe nicht einfordern, wenn das “nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde”.

Kein genereller Schutz der Wohnung

Ausdrücklich stellte das Bundessozialgericht aber klar, dass es keinen generellen Schutz für Erben vor dem Zugriff des Sozialamts auf geerbtes Wohneigentum gibt – auch dann nicht, wenn sie selbst seit Jahrzehnten darin leben.

Wohnungslos durch Erbschaft

Da es kein “postmortales Schonvermögen” gibt, müssen Hinterbliebene also auch die geerbte Wohnung verkaufen, um die Erstattungsforderungen des Sozialamts zu erfüllen. Zu erben bedeutet in diesem Fall auf der Straße zu stehen.

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Abschiebungen: Hunderttausende Euro, um Handys von Geflüchteten zu knacken

netzpolitik.org - 24. Mai 2024 - 8:32

Recherchen für den netzpolitik.org-Podcast „Systemeinstellungen“ zeigen, wie Bundesländer viel Geld für Handy-Kontrollen von ausreisepflichtigen Geflüchteten aufwenden. Fachleute bezweifeln den Sinn der Ausgaben und bezeichnen den Grundrechtseingriff als „reine Schikane“.

Markus Söder und Joachim Hermann bei der Eröffnung des Landesamtes für Asyl und Rückführung: Auch hier werden Geräte durchsucht. – Alle Rechte vorbehalten Michael Trammer / IMAGO

Deutsche Bundesländer zahlen jährlich mehrere Hunderttausend Euro, um Handys von Ausreisepflichtigen zu durchleuchten. Allein aus Bayern fließen vom Landesamt für Asyl und Rückführungen dafür jedes Jahr 200.000 Euro Lizenzgebühren, wie Recherchen von netzpolitik.org für den Podcast „Systemeinstellungen“ zeigen. Von dem Geschäft profitiert Cellebrite, eine israelische Firma für digitale Forensik.

Von Cellebrite versprechen sich Unternehmen und Behörden: mit nur wenigen Klicks in ein Smartphone eindringen und die Daten darauf systematisch durchsuchen – selbst dann, wenn man keine Zugangsdaten hat. Das Unternehmen vertreibt Geräte und Software, mit denen man Computer oder Smartphones knacken und durchsuchen kann.

Dabei geht es nicht mehr nur um Strafverfolgung – mehrere Bundesländer haben sich mittlerweile Produkte von Cellebrite angeschafft, um damit Smartphones von Geflüchteten zu durchsuchen. Ihr Ziel: effektivere Abschiebungen. Die Ausländerbehörden suchen dafür nach digitalen Hinweisen auf die Identität oder Staatsbürgerschaft von ausreisepflichtigen Ausländer:innen. Diese sind seit 2015 per Gesetz verpflichtet, ihre Geräte durchsuchen zu lassen, wenn sie keinen gültigen Pass vorlegen oder ihre Identität auf anderen Wegen nachweisen können.

Bundesländer kaufen bei Cellebrite ein

In der Vergangenheit hatten Ausländerbehörden die Geräte teils von Hand durchsucht. Teils holten sie sich aber Amtshilfe von Polizeibehörden oder vom Zoll. So macht es etwa Hamburg, wo das Landeskriminalamt im Auftrag der Behörde Geräte auswertet. Eine richterliche Genehmigung braucht es dazu nicht. Doch die Auswertung darf nur eine Person machen, die „die Befähigung zum Richteramt hat“, also auch das zweite juristische Staatsexamen bestanden hat.

Mittlerweile haben mindestens fünf Bundesländer eigene zentrale Stellen eingerichtet, die Ausländerbehörden bei ihren Aufgaben unterstützen sollen – auch bei der „Identitätsfeststellung“ mit Hilfe von IT-Forensik. Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben dafür auch Forensik-Werkzeuge eingekauft. Das schreiben die zuständigen Ministerien auf Anfrage von netzpolitik.org.

In Bayern etwa zahlt das Landesamt für Asyl und Rückführungen 200.000 Euro im Jahr als Lizenzgebühren, um mit Cellebrite-Produkten die Smartphones von Ausreisepflichtigen auszuwerten. Seit 2022 durchsucht eine eigene „Fachstelle Identitätsklärung“ hier hunderte von Geräten im Jahr im Auftrag der bayerischen Ausländerbehörden.

In Baden-Württemberg übernehmen die Regierungspräsidien diese Funktion, schreibt das zuständige Landesjustizministerium, sie hätten zu diesem Zweck ebenfalls Produkte von Cellebrite angeschafft. Die Regierungspräsidien stehen zwischen der Landesregierung und den Kommunen und bündeln Aufgaben. Zuständig für Abschiebungen im Land ist das Präsidium in Karlsruhe. Ob nur hier oder auch in den anderen drei Präsidien Geräte ausgewertet werden, darauf hat das Ministerium noch nicht geantwortet.

Auch, wie viel das Land für die Lizenzen zahlt, ist bislang nicht klar. Eine Anfrage wollte das Ministerium erst nach Redaktionsschluss beantworten. Wir ergänzen den Beitrag, sobald wir die Zahlen erhalten.

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„Welche Bundesländer setzen welche Forensik-Werkzeuge gegen Geflüchtete ein?“ direkt öffnen

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„Gegenstand vertraulicher Vertragsverhandlungen“

In Niedersachsen können Ausländerbehörden seit April 2022 Datenträger an die Landesaufnahmebehörde (LAB NI) schicken. Auch dort kommen Produkte von Cellebrite zum Einsatz, schreibt das niedersächsische Innenministerium: Zwei Mitarbeiter:innen extrahieren die Daten und schicken Sie dann zur Auswertung an die Ausländerbehörden. Seit Beginn seien mehr als 80 Datenträger von Ausländerbehörden eingegangen.

Auf die Frage nach der Software schreibt ein Sprecher: „Es handelt sich um die Software Cellebrite, diese kommt auch in den niedersächsischen Polizeidienststellen zum Einsatz.“ Zu den Kosten will sich das Ministerium nicht äußern und verweist auf „vertrauliche Vertragsverhandlungen“.

In Rheinland-Pfalz wiederum will die Landesregierung nicht mitteilen, mit welchen Produkten Geräte durchsucht werden, nur dass dazu Ausrüstung angeschafft wurde. Hier ist seit 2021 die Zentralstelle für Rückführungsfragen in Trier zuständig, die 36 Ausländerbehörden im Land bei Abschiebungen zu unterstützen. Sie organisiert Sammelabschiebungen, aber hilft auch bei der forensischen Spurensuche. Formell ist sie bei der Stadtverwaltung Trier angedockt, finanziert wird sie vom Land.

Im Haushaltsplan des zuständigen Familienministeriums sind für die Zentralstelle jeweils mehr als zwei Millionen Euro für die Jahre 2023 und 2024 angesetzt. Wie viel davon in Lizenzen für Software fließt und um welches Unternehmen es sich handelt, will das Land nicht mitteilen. Die Antwort würde „in die Rechte des Anbieters eingreifen“.

Auch in Nordrhein-Westfalen will das Familienministerium den Anbieter und die Kosten nicht preisgeben. Hier übernehmen seit Herbst 2023 die Zentralen Ausländerbehörden Bielefeld und Essen die Durchsuchung von Geräten – im Auftrag aller anderen Ausländerbehörden.

Cellebrite gegen Aktivisten und Journalistinnen

Cellebrite wurde 1999 in Israel gegründet und stellt mittlerweile verschiedene Hardware- und Softwareprodukte zur Sammlung und Analyse von Daten her. Bekannt ist das Unternehmen vor allem für Produkte, mit denen man sich Zugang zu eigentlich gesperrten Smartphones verschaffen kann, auch für das als besonders sicher geltende iOS-Betriebssystem von Apple.

Mit einer einmaligen Anschaffung von Software ist es aber nicht getan: IT-Forensiker müssen ihre Produkte ständig aktualisieren. Schließen Geräte- und App-Hersteller Sicherheitslücken, die Cellebrite ausgenutzt hatte, muss das Unternehmen neue Schwachstellen finden.

Cellebrite brüstet sich damit, bei digitalen Ermittlungswerkzeugen Marktführer zu sein. Der Börsenwert des Unternehmen wurde zuletzt auf 2,4 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Das Unternehmen steht jedoch seit Jahren in der Kritik, weil seine Produkte auch in autoritären Staaten gegen Journalistinnen, Aktivisten oder unterdrückte Minderheiten eingesetzt wurden: Russland, Bahrain und Myanmar sollen Kunden gewesen sein. Die chinesische Regierung soll mit Cellebrite-Produkten das Handy des Hongkonger Aktivisten Joshua Wong geknackt haben, erst 2020 hat Cellebrite auf Druck hin Hongkong und China die Lizenzen entzogen.

Vorwürfe zu bewussten Menschenrechtsverletzungen weist das Unternehmen immer wieder zurück. Man gehe etwa nur auf Kundenanfragen ein, bei denen man glaube, „dass sie rechtmäßig und ohne Verletzung der Datenschutzgesetze oder Menschenrechte handeln“.

Deutsche Behörden auf der Kundenliste

Auf der Kundenliste des Unternehmens stehen auch viele Behörden aus Deutschland. Die Zollverwaltung setzt etwa Produkte von Cellebrite ein, auch mehrere Landeskriminalämter arbeiten damit in der Ermittlung. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2015 kommen die Produkte aber immer öfter auch zum Einsatz, um die Geräte von Ausreisepflichten zu durchsuchen.

In Berlin etwa hat die Ausländerbehörde eine Zeit lang mit dem Landeskriminalamt zusammengearbeitet, um Geräte entsperren und durchsuchen zu lassen. Die Zuarbeit wurde inzwischen wieder eingestellt. Sie habe sich nicht gelohnt. Die Ausländerbehörde durchsucht aber weiterhin Geräte, mittlerweile von Hand.

In Hamburg öffnen seit einiger Zeit das Landeskriminalamt und Hauptzollamt der Ausländerbehörde die Tür zu den Handydaten. Abgeordnete kritisieren, eine parlamentarische Kontrolle sei nicht möglich, weil die rot-grüne Landesregierung keine Informationen zur Art und Funktionsweise der IT-Werkzeuge preisgibt.

Durchsuchung als „reine Schikane“

Auf der Bundesebene setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Handyforensik ein. Die Behörde kann die Daten von Personen auslesen, die ohne Papiere in Deutschland ankommen und Schutz beantragen. Das BAMF nutzt dafür Produkte des schwedischen Konkurrenten MSAB. Die Daten sollen später im Asylverfahren Anhaltspunkte liefern, ob Asylsuchende die Wahrheit zu ihrer Herkunft und Identität sagen. Allein von 2017 bis 2019 waren dafür mehr als 11 Millionen Euro veranschlagt.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die mit strategischen Verfahren Grundrechte schützt, hält diese Durchsuchungen für nicht verfassungskonform. Vor Gericht hat der Verein gegen das BAMF gewonnen: Die Behörde darf nicht mehr gleich zu Beginn von allen Schutzsuchenden das Handy verlangen. Sie muss zunächst prüfen, ob es mildere Mittel zur Feststellung von Identität und Herkunft gibt.

Fachleute bezweifeln, dass die Handydurchsuchungen überhaupt Vorteile für das erklärte Ziel Identitätsfeststellung bringen. Das BAMF etwa schaut auf Anrufhistorie, Browserdaten oder auch Geodaten auf den Geräten, um Sprachen oder Länderbezüge herauszufinden. Diese seien aber wenig aufschlussreich, um auf die Identität oder Staatsbürgerschaft einer Person zu schließen, kritisiert die Anwältin Sarah Lincoln, die bei der GFF zu den Fällen arbeitet. Die Durchsuchungen bezeichnet sie als „reine Schikane“.

Die Bundesregierung will trotzdem unbedingt an der Maßnahme festhalten. In einer aktuellen Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts hat sie nicht nur klargestellt, dass die Durchsuchungen weiter stattfinden sollen, sondern die Befugnisse der Behörden noch erweitert: Sie dürfen nun auch in die Privaträume von Menschen eindringen, die abgeschoben werden sollen, um darin nach Dokumenten oder Geräten zu suchen.

Podcast erzählt Geschichte eines Betroffenen

Was die beschriebenen Gesetze für betroffene Menschen bedeuten, zeigen wir in der dritten Episode des Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“. Die Geschichte handelt von einem Geflüchteten, der seit mehr als zehn Jahren in Deutschland lebt. Aber er hat keine Papiere, seine Staatsbürgerschaft ist ungeklärt. Zu seinem Schutz trägt er im Podcast das Pseudonym David erhalten. Bei einem Routinetermin kassiert die Ausländerbehörde seine Handys ein, will darauf nach Spuren seiner Identität und Herkunft suchen – und stürzt David ins Chaos.

#03 Deutschland gegen David

Die Geschichte von David ist nicht zuletzt deshalb besonders, weil sich Betroffene kaum an Nachrichtenmedien wenden, um ihre Erlebnisse aus erster Hand zu berichten. Teils, weil sie bereits abgeschoben wurden; teils, weil sie Angst vor den Behörden haben. Auch wir konnten bislang vor allem berichten, was Behörden und Regierungen selbst bekannt gaben oder im Rahmen von parlamentarischen Kontrollen offenlegen mussten. Die Berichterstattung ist von Zahlen und nüchternen Fakten geprägt. Die Perspektive der Menschen, deren Geräte der Staat durchsucht, fehlte. Aber im Podcast spricht David: über seine Angst, seine Resignation – und darüber, was es für ihn bedeutete, dass er selbst seine Geräte weggenommen bekam.

Hinweis: In einer früheren Version des Textes haben wir die Landesregierung Hamburgs falsch beschrieben. Wir haben diesen Fehler korrigiert.

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Istanbul: 27 Personen wegen 1. Mai-Protesten inhaftiert

Die am 21. Mai bei Razzien im Zusammenhang mit den 1. Mai-Protesten in Istanbul festgenommenen Personen wurden am Donnerstag inhaftiert. Gegen 27 Personen, unter ihnen Vertreter:innen linker Organisationen und Parteien wie der TIP, der Revolutionären Jugend, der Föderation der sozialistischen Räte, der TÖP, der EHP, SEP und der Initiative sozialistischer Räte und der Korrespondent der „Gazete Patika“. Ali Kadir Güler, wurden vom Gericht in Istanbul-Çağlayan Haftbefehle wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ erlassen.

Bereits am 1. Mai selbst hatte es in Istanbul mehr als 200 Festnahmen gegeben. Die Polizei ging mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Tränengas gegen Protestierende vor, die zum Taksim Platz marschieren wollten. Mit Verweis auf ein Urteil der Verfassungsgerichtshofs wollten die Demonstrierenden trotz Verbot durch den Gouverneur zu dem Platz mit großer symbolischer Bedeutung ziehen. Im Nachgang wurden mindestens 60 weitere Personen festgenommen, mindestens 76 Personen befinden sich mittlerweile im Zusammenhang mit dem 1. Mai in Untersuchungshaft.

https://anfdeutsch.com/pressefreiheit/buro-von-sendika-org-in-istanbul-durchsucht-42272 https://anfdeutsch.com/aktuelles/mindestens-15-festnahmen-in-istanbul-42267 https://anfdeutsch.com/aktuelles/zahl-der-inhaftierungen-nach-1-mai-gestiegen-42091

 

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KJAR: Die „Jin Jiyan Azadî“-Revolution ist nicht vorbei

Die Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans (KJAR) hat vom 7. bis 9. Mai ihren 4. Kongress abgehalten. An dem Kongress in den Bergen Kurdistans nahmen Delegierte aus verschiedenen Arbeitsbereichen teil. Zentrales Thema waren die „Jin Jiyan Azadî“-Revolution und die organisierte Selbstverteidigung von Frauen in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran.

 


Der Kongress wurde mit einer Rede von Deniz Derya und einem Gedenken der Gefallenen im Freiheitskampf eröffnet. Deniz Derya, Koordinationsmitglied der KJAR, widmete die dreitägige Veranstaltung dem PKK-Begründer Abdullah Öcalan, allen Freiheitskämpfer:innen und Frauen und dem kurdischen Volk und sagte: „Dass dieser Kongress stattfindet, ist unseren für Freiheit gefallenen Weggefährtinnen zu verdanken. Sie haben ihr Leben geopfert, damit dieser Kampf weitergeht und immer stärker wird. Unser Kongress ist eine Antwort auf Herrschaft und Sexismus. Wenn die Jin-Jiyan-Azadî-Revolution Erfolg hat, werden die Frauen frei sein und die Gesellschaft demokratisch.“

Bedeutung von Abdullah Öcalan

Als erstes Thema auf der Agenda wurde über die Bedeutung von Abdullah Öcalan für Kurdistan und die kurdische Frauenbewegung gesprochen. „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) bezeichnet den Kern der kurdischen Frauenbefreiungsideologie und steht nicht nur für Widerstand, sondern für den Willen, die Kraft und die Organisation zum Aufbau eines neuen Systems unter der Führung von Frauen. Der Autor dieser Formel ist Abdullah Öcalan, Begründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Seit den 1980er Jahren betonte er in seinen Reden und Schriften immer wieder, dass ein freies Leben ohne die Befreiung der Frauen nicht möglich ist. Öcalan befindet sich seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und wird vollständig von der Außenwelt isoliert. Seit März 2021 gibt es von dem kurdischen Vordenker und seinen drei Mitgefangenen kein Lebenszeichen mehr. In der Diskussion auf dem KJAR-Kongress wurde hervorgehoben, dass der 2022 nach dem Tod von Jina Mahsa Amini ausgebrochene Aufstand, mit dem die Parole „Jin Jiyan Azadî“ weltweit bekannt wurde, in Inhalt und Form dem Ansatz Abdullah Öcalans entspricht.

Die „Jin Jiyan Azadî“-Revolte

Der zweite Tagesordnungspunkt war eine Auswertung des Aufstands. Die Delegierten bewerteten die Geschehnisse in Rojhilat und Iran seit 2022 als eine Revolution, mit der der Mittlere Osten erneut seine auf die Menschheit ausstrahlende Wirkung bewiesen habe. „Der Frauenkampf hat eine neue Etappe erreicht. Die Jin-Jiyan-Azadî-Revolution ist ein Lichtblick, der auf die ganze Welt auswirkt. Die kurdischen Frauen kämpfen seit vielen Jahren für Freiheit und haben dafür einen hohen Preis gezahlt. Die Revolution ist ein neuer Höhepunkt dieses Kampfes“, sagte eine Teilnehmerin.

In einem Redebeitrag wurde darauf hingewiesen, dass es in Rojhilat bereits Anfang September 2022 zu Massenprotesten kam. Der Auslöser war der Tod von Şilêr Resuli, die in Mêrîwan aus einem Fenster stürzte, um der Vergewaltigung eines Geheimdienstmitarbeiters zu entgehen. Der Mord an Jina Amini zwei Wochen später habe die Wut der Frauen explodieren lassen, so die Rednerin:

„Nachdem die Menschen in Mêrîwan für Şilêr auf die Straße gegangen sind, setzten sich Menschen im gesamten Iran für Jina ein. Überall in Rojhilat und Iran rebellierten Frauen gegen das Leben, das ihnen vom iranischen Regime aufgezwungen wurde. In den letzten acht Jahren gab es mehrere Massenaufstände gegen das Regime, aber sie wurden mit brutaler Gewalt unterdrückt. Tausende Menschen wurden verhaftet und ermordet. Dieser Aufstand ist jedoch anders. Erstmalig haben sich alle Völker, Glaubensrichtungen und Klassen daran beteiligt, angeführt von Frauen und Jugendlichen. Es herrscht seit Jahren große Unzufriedenheit mit dem Regime, die aufgestaute Wut hat sich bei dem Jina-Aufstand entladen. Die Jin-Jiyan-Azadî-Revolution ist nicht vorbei, sie wird nicht aufhören.“

Arbeitsbereiche der KJAR

In der dritten Sitzung wurden die verschiedenen Arbeitsbereiche der KJAR diskutiert. Die Kernaufgabe ist es, Frauen in Rojhilat, Iran und Europa zu organisieren. Die bestehenden Bereiche sollen mit Komitees für Gefangene, Ökologie und Selbstverteidigung erweitert werden. Eine Delegierte der Guerillaorganisation HPJ (Hêzên Parastina Jinên Rojhilatê Kurdistanê) wies auf die Rolle von Frauen in der Strategie des Revolutionären Volkskriegs hin. Ein weiterer Schwerpunkt waren die Verhaftungen von Frauen und die Hinrichtungen durch das iranische Regime. In der Diskussion wurde betont, dass Hunderte Frauen im Gefängnis sind, weil sie für Freiheit kämpfen. Eine dieser Frauen sei Zeynab Jalalian, die seit 16 Jahren ununterbrochen Widerstand gegen die Torturen im Kerker leiste.

Aufruf zum gemeinsamen Kampf

Auf dem Kongress wurden Richtlinien für die nächsten zwei Jahre verabschiedet und ein aus 15 Frauen bestehender neuer Leitungsrat gewählt. Die frühere Ko-Vorsitzende der PJAK, Zîlan Vejîn, erklärte zum Abschluss: „Wir haben detailliert über wichtige Themen gesprochen und über Lösungsansätze diskutiert. Um die Probleme aller Frauen zu lösen oder zu beenden, müssen wir zusammenhalten. Wir rufen alle Frauen aus Rojhilat und Iran dazu auf, gemeinsam mit uns für Freiheit zu kämpfen.“

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https://anfdeutsch.com/frauen/kampagne-nein-zur-hinrichtung-ja-zum-freien-leben-42247 https://anfdeutsch.com/frauen/kurdische-aktivistinnen-im-evin-gefangnis-im-hungerstreik-42215 https://anfdeutsch.com/frauen/kjar-schlagt-zehn-punkte-projekt-fur-iran-vor-34938 https://anfdeutsch.com/hintergrund/der-iran-wird-nicht-mehr-derselbe-sein-36048

 

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The Message of Israel’s Torture Chambers Is Directed at Us All, Not Just Palestinians, by Jonathan Cook

‘Black sites’ are about reminding those who have been colonised and enslaved of a simple lesson: resistance is futile On a misty November morning 21 years ago, I was desperately trying to remain camouflaged. Concealed in the foliage of an orange grove in Israel’s rural Galilee, I hurriedly took photos of a drab concrete building...
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Giving Ukraine Missiles to Shoot Into Russia Is a Declaration of War, by Mike Whitney

Congressman calls for direct strikes on Russia ---House Foreign Affairs Committee chairman Michael McCaul shows a map of potential targets in Russia In a desperate attempt to stave off a humiliating defeat in Ukraine, "Secretary of State Antony Blinken has reportedly asked President Biden to greenlight Ukrainian missile strikes on targets deep inside Russia." The...
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AP Finally Reports Israel Is Losing the War, So This Is Now a Big News Story, by Andrew Anglin

The way the Western media functions is super bizarre. Basically, we have all of these different sources of information now – social media and foreign media – but Western society acts like something isn’t true until there is a big report from a legacy media outlet. We’ve been reporting that Hamas still exists and hasn’t...
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Constant Killing: The Pentagon’s .00035% Problem

Yes, the number of deaths in Gaza in the last seven months is staggering. At least, 35,000 Gazans have reportedly perished, including significant numbers of children (and that’s without even counting the possibly 10,000 unidentified bodies still buried under the rubble that now litters that 25-mile-long stretch of land). But shocking as that might be … Continue reading "Constant Killing: The Pentagon’s .00035% Problem"

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Nakba Resurrected – How the Gaza Resistance Ended Segmentation of Palestine

Inadvertently, Israel has pressed the reset button on its war with the Palestinian people, taking back the so-called conflict to square one. Save a few self-serving Palestinian officials affiliated with the Palestinian Authority (PA), most Palestinians do not seem consumed with the return to the peace process, or even engaged in discussions about two state … Continue reading "Nakba Resurrected – How the Gaza Resistance Ended Segmentation of Palestine"

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My Stolen Rent Check Shows Why America Is Broken, by Ted Rall

When my landlord's management company informed me that they hadn't received my rent check, I was surprised. As is true of most Americans, housing is by far my biggest expense, so of course I noticed when the money vanished from my account. The mystery deepened when I conjured up an image of the canceled check...
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"Migrants" Big Business As Biden Regime Imposes Them from Broadway NY to Armpit ME, by John Derbyshire

[Adapted from the latest Radio Derb, now available exclusively on VDARE.com] Here’s the late Judy Garland with "Give my regards to Broadway …" Ah yes, Broadway; the Great White Way, the Street of Dreams. Does any thoroughfare in the United States have such a romantic, evocative name? And on West 50th Street, halfway between Broadway...
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Who Speaks for France?, by Timothy Vorgenss

In two weeks, on June 9, the French will go to the polls to elect 81 of the 720 members of the European Parliament, the European equivalent of the US Congress. There are now two nationalist parties in France, both competing for the same votes. What is the difference between the two? The Rassemblement National...
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Cops Using Food as a Weapon Against UCLA Anti-Israel Protesters, by Andrew Anglin

The Jews have a very limited number of weapons in their arsenal, and they will use the same ones against Palestinians or Americans who support Palestine. They will use serious violence against you and then they will starve you. New York Post: Campus security took up positions as the encampment began to grow. All campus...
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The Murder of a Civilization, by Paul Craig Roberts

A month ago I wrote about the Shieldmaiden, Eva Vlaardingerbroek, a young female Dutch lawyer, who has undertaken the task of encouraging white Europeans to take a stand against the replacement of countries consisting of ethnic nationalities, such as Germans, English, French, Italians, Dutch, Spanish, Hungarians, with towers of babel. In our world today, as...
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Systemeinstellungen: #03 Deutschland gegen David

netzpolitik.org - 24. Mai 2024 - 6:00

Kein Asyl, keine Papiere, keine Perspektive: In der Bürokratie ist David nicht vorgesehen. Bei einem Routinetermin dann der Schock: Die Ausländerbehörde kassiert seine Handys ein – und stürzt ihn tiefer ins Chaos. In Episode #3 unseres Doku-Podcasts erzählt er seine Geschichte.

Deutschland gegen David – CC-BY-NC-SA 4.0 Lea Binsfeld/netzpolitik.org


https://netzpolitik.org/wp-upload/2024/05/SE_E03_David_release.mp3

Einen Fall wie David, den dürfte es aus Sicht der deutschen Bürokratie eigentlich nicht geben. In Deutschland darf er nicht bleiben, sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Aus Deutschland raus kann er aber auch nicht, denn kein Staat will ihn aufnehmen. Arbeiten, das würde David gerne, aber auch das wird ihm nicht erlaubt.

Als David eines Tages aufs Amt geht, überschlagen sich die Ereignisse. Die Ausländerbehörde kassiert unerwartet seine Handys ein, will darauf nach Spuren seiner Identität und Herkunft suchen – und David versteht die Welt nicht mehr.

„Deutschland gegen David“ ist die dritte Episode unseres neuen Doku-Podcasts Systemeinstellungen – wenn der Staat bei dir einbricht. Es geht um Menschen, die unvermittelt im Visier des Staates landen. Weil sie sich für Klimaschutz engagieren zum Beispiel, weil sie kritische Wissenschaft betreiben oder Asyl suchen. Was macht das mit ihnen, wenn sie plötzlich von der Polizei umzingelt werden? Wenn ihre Smartphones einkassiert werden? Wenn die Familie monatelang überwacht wird? Das hört ihr wöchentlich, jeden Freitag.

Transparenzhinweis: Auf seinen Wunsch haben wir die Stimme von David, der eigentlich anders heißt, mit einer Software für automatisierte Sprachverarbeitung verzerrt.

Höre den Podcast, wo und wie es Dir gefällt:

Hier findest Du alle Folgen von „Systemeinstellungen“.

Die nächste Episode „Unter Terrorverdacht“ erscheint am 31. Mai.

Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.

Links und Infos Was tun bei einer Hausdurchsuchung?

 

Manuskript zum Nachlesen Prolog: Selbstbild, Fremdbild

Serafin Dinges: Es ist ein komisches Gefühl, anders beschrieben zu werden, als man sich selbst sieht. Also anders, als man sich selbst beschreiben würde, wenn man plötzlich ein ganz fremdes Bild gespiegelt bekommt. David geht es schon sein ganzes Leben lang so.

Serafin Dinges: Aber das heißt, wie andere sie beschreiben würden, ist anders, als sie selbst sich beschreiben.

David: Die anderen beschreiben mich so als aggressiv, als …weiß ich nicht. Die haben Angst vor mir. Keine Ahnung.

Serafin Dinges: Wie beschreiben Sie sich selbst?

David: Ich beschreibe mich selbst so… ich bin ein Mensch mit Charakter und so. Wie kann ich mich beschreiben? Ich finde kein Wort. Die Leute wegen meine Stimme. Ich hab so …das ist wie Gott hat mir gegeben. Ich würde gern so mit Frauenstimme reden, so um die Leute hier in Deutschland zu gefallen.

Serafin Dinges: Er würde gerne anders aussehen, anders klingen, hätte gerne eine Frauenstimme, einen kleineren Körper. Solche Dinge sagt David oft. Das ist nicht sein richtiger Name und seine Stimme ist verzerrt. Wir erklären gleich, warum. Aber so viel sei gesagt: Seine Stimme ist tief und kräftig. Eindrucksvoll. Es gibt von David so was wie zwei verschiedene Versionen. Die eine ist die, wie er sich selbst beschreibt. Wie er da vor uns steht. Und der andere David ist der, wie ihn der deutsche Staat sieht. Dass David mit uns spricht, das ist nicht selbstverständlich. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Er ist gegenüber dem Staat besonders wehrlos. Aber genau deshalb wollten wir unbedingt mit ihm sprechen. Denn David ist staatenlos, soll schon lange abgeschoben werden. Und um das zu schaffen, geht der deutsche Staat an einige Grenzen. Es gibt Gesetze, die erlauben es Beamt:innen, tief in die Privatsphäre von geflüchteten Menschen zu schauen. In ihre Apps, Fotos, Chatnachrichten. Aber mit Betroffenen zu sprechen ist schwierig. Meine Kollegin Chris Köver berichtet schon seit Jahren zum Thema und hat lange Zeit niemanden gefunden. Bis ihr eines Tages David schreibt.

David: Ist mein Körper. Die sollen mich akzeptieren.

Serafin Dinges: Die Geschichte von David ist eine deutsche Geschichte, eine von Kriminalität, von Rassismus und einer Bürokratie, die das alles möglich macht. Von einem, der dem Staat komplett ausgeliefert ist, und einer Abteilung in Bayern, die nichts anderes macht, als in den Handys von Menschen herumzuschnüffeln, die hier um Hilfe bitten. Ich bin Serafin Dinges und ihr hört Systemeinstellungen. Ein Podcast von netzpolitik.org. Heute: Deutschland gegen David.

Wir treffen David

Serafin Dinges: Es ist Oktober 2023. Schon ganz schön kalt. Meine Kollegin Chris Köver und ich sind gerade in einer kleinen Stadt in Bayern angekommen. Wo genau, können wir nicht verraten. Ziemlich malerisch ist es hier, also für einen Hauptbahnhof. Man schaut vom Vorplatz direkt auf Weinberge. Links neben uns ein McDonald’s. Rechts und links LeCrobag. In der Bahnhofshalle ist viel los. Ich tausche mich gerade mit Chris über spannende Details aus dem Alltag als investigativer Journalist aus.

Serafin Dinges: Ich habe eine Steuerberaterin. Habe das länger immer direkt bei Elster gemacht….

Serafin Dinges: Aber gerade da, wo es richtig spannend wird….

Serafin Dinges: Umsatzsteuerpflicht.

Chris Köver: Das könnte er sein.

Serafin Dinges: …sieht sie David: der Grund, warum wir hier sind. David ist ziemlich groß und kräftig. Und er ist schwarz. Wir erwähnen das, weil es später noch wichtig wird und weil es ein Grund dafür ist, warum er anders wahrgenommen wird, als er sich selbst sieht. Er schiebt ein Trekkingrad, hinten am Gepäckträger in ein paar schwarze Fahrradtaschen. Er trägt eine Outdoorjacke, eine Baseballkappe und Jeans. Alles in blau. Wir erfahren später auch noch, warum er mit dem Rad und dem Gepäck unterwegs ist. Er weiß an vielen Tagen noch nicht, wo er die Nacht verbringen wird. Er schläft mal auf dem Sofa von Bekannten, mal im Hotel oder eben draußen mit Isomatte und Schlafsack. Wir setzen uns erst mal mit ihm vor den McDonalds in die Sonne und er fängt sofort an zu erzählen.

David: Ja, ich bin in Frankreich aufgewachsen. Ich bin von meinem Land abgehauen. Da weiß ich nicht, wie, aber so.

Serafin Dinges: Er erzählt, er hat mal hier, mal da gelebt. Frankreich, Belgien, Schweden tauchen auf. Zig verschiedene Städte in Deutschland. Am Telefon hat er uns das mal so erzählt.

David: Ich habe viel gereist. Ich war nie so in einer Platz fixiert. Ich hab so viel gereist. Manchmal wusste ich nicht, wo bin ich?

Serafin Dinges: Seine Geschichte, die ist verwirrend. Wir wissen nicht genau, ob die Reise in seiner Erinnerung verschwommen ist oder ob er manches lieber nicht so genau erzählt, um sich zu schützen. Was wir auch nicht wissen: Wo genau David geboren ist, das will David uns nicht sagen. Oder er kann es nicht. Für uns ist das auch nicht so wichtig. Für den deutschen Staat aber dreht sich alles um diese eine Frage. Es ist der Kern dieser Geschichte von Deutschland gegen David. Wo wurde David geboren? Und wie weit darf der Staat gehen, um das herauszufinden und ihn dann dorthin abzuschieben? Aber bevor wir in Davids Geschichte einsteigen, müssen wir noch mal kurz erklären, warum wir eigentlich hier sind. Dazu ist meine Kollegin Chris Köver hier. Hallo, Chris.

Chris Köver: Hi, Serafin.

Serafin Dinges: Chris, Du berichtest für netzpolitik.org über alles Mögliche, von Tiktok-Algorithmen bis zu künstlicher Intelligenz. Aber wir sind hier wegen einem ganz besonderen Thema, mit dem du dich beschäftigst. Worum geht es?

Chris Köver: Ich recherchiere ja schon seit einigen Jahren zu Ausländerbehörden. Die dürfen in ganz bestimmten Fällen die Handys von Menschen durchsuchen. Nämlich dann, wenn diese Leute keine Papiere vorzeigen können, ihre Identität nicht auf anderen Wegen nachweisen können. Das sind ja Methoden, mit denen sonst eher die Polizei arbeitet. Der Zoll. Forensische Analyse von Geräten. Und da geht es eigentlich eher darum, Straftaten aufzuklären. Aber im Fall von Ausländer:innen ohne Papiere, die ausreisepflichtig sind, da darf das dann auch die Ausländerbehörde machen.

Serafin Dinges: Und warum ist das jetzt so besonders, dass du David gefunden hast? Und wo hast du den denn überhaupt gefunden?

Chris Köver: Eigentlich hatte er uns gefunden. Wir hatten gerade einen Beitrag veröffentlicht, vor ungefähr einem Jahr, und kurz darauf mache ich mein Postfach auf und sehe, da ist eine Mail drin, die hatte keinen Betreff, da stand kein Name unten drunter und sinngemäß stand da drin: Ich habe den Beitrag gelesen und ich wollt sagen, mir ist das auch passiert mit einer Ausländerbehörde in Bayern Und ich war in dem Moment einfach total aufgeregt, weil ich dachte: Wow, das ist es. Endlich haben wir da mal jemanden gefunden. Wir hatten für die vergangenen Recherchen alle möglichen Wege genutzt. Ich habe ganz viele Informationsfreiheitsanfragen gestellt und darüber eben möglichst viel versucht herauszufinden. Aber das blieb eben trotzdem einfach abstrakt. Es ging um Zahlen. Wir hatten keine Menschen dahinter.

Serafin Dinges: Und du hast dich jetzt die letzten Monate durch Davids Akten gewühlt und versucht, seine Geschichte nachzuvollziehen und zu verifizieren. Was wissen wir denn jetzt?

Chris Köver: David ist auf der Flucht. Irgendwann vor ungefähr 15 Jahren, das ist nicht so ganz klar, wann genau, kommt er das erste Mal nach Deutschland. Oder taucht zumindest das erste Mal auf dem Radar der der Behörden in Deutschland auf. Da ist er nach eigenen Angaben etwa 17 Jahre alt, also noch minderjährig. Er wird so behandelt, als hätte er einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Aber dieser Antrag wird dann abgelehnt. Und der Grund, der da genannt wird, ist, dass laut den Dokumenten Schweden für ihn verantwortlich sein soll. Angeblich ist es so, dass er dort das erste Mal in die EU eingereist ist oder zumindest erfasst worden ist. Und in der EU gilt ja die sogenannte Dublin-Verordnung. Das heißt, das erste Land, in dem jemand registriert wird, ist dann auch für den Asylantrag zuständig.

Serafin Dinges: Er soll jetzt also aus Deutschland nach Schweden abgeschoben werden.

Chris Köver: Genau. Aber er wird nicht abgeschoben.

Wie ein Geist

Serafin Dinges: In diesen Jahren in seinen frühen Zwanzigern, da lebt David mehr oder weniger auf der Flucht vor den Behörden. Er ist eigentlich ausreisepflichtig und ohne Erlaubnis zu arbeiten schlägt er sich eben so durch.

David: Ich habe gelebt wie ein Geist.

David: Er wird einmal ohne Papiere gefasst und sitzt drei Monate im Gefängnis. Nach Schweden abgeschoben wird er aber nicht. Warum, können wir nicht genau nachvollziehen. Aber vielleicht hat es damit zu tun, dass er in dieser Zeit anfängt, sich verfolgt zu fühlen, mit starken psychischen Problemen zu kämpfen hat, auch wegen traumatisierende Erfahrungen mit Polizei und Behörden. Er wechselt zwischen Gefängnis und Psychiatrie hin und her. Heute hat er einen Schwerbehindertenausweis. Als er wieder aus dem Gefängnis entlassen wird, beginnt David, sich selbst zu helfen.

David: Keine Unterstützung, keine Familie. Da muss ich etwas machen. Und dann habe ich angefangen mit andere Leute von Straße wieder zusammen. Aber dieses Mal schlechte Leute.

David: Was heißt das genau?

David: Ja, das heißt, mit Leute, die machen, die machen kriminelle Sachen.

Serafin Dinges: In dieser Zeit, in der David mit „schlechten Leuten“ unterwegs ist, da hat er auch eine Freundin, die in Deutschland lebt. Und die beiden bekommen ein Kind und damit ändert sich seine rechtliche Situation. Er ist jetzt Vater und als Vater soll er bei seinem Kind bleiben können. Er klagt gegen seine Abschiebung und die wird erst mal aufgeschoben, bis die Sache geklärt wird. Aber er klaut auch weiter, kleine Dinge, die man leicht wieder verkaufen kann.

David: Ich klaue Parfum einfach, weil da kann man wieder verkaufen.

Serafin Dinges: ist teuer, ist klein.

David: Ja, klein und da kann man wieder auf 30, 20 Euro. Fünf Stück, hatte man schon 100 Euro. Und das war’s. Und eine Zeit, wir haben meine Tochter, da war Waschmaschine schon kaputt. Wir haben kein Geld für Waschmaschine und da hat mich so mein Stolz gekratzt, so als Mann und so, und dann hatte ich hier viele Parfüm geklaut.

Serafin Dinges: David sagt aber auch, wenn er könnte, dann würde er lieber arbeiten. Der Stress der Kriminalität macht ihm zu schaffen.

David: Und doch vom kriminellen Sachen, da lebt man nicht immer, weil ist so viel Stress. Druck. Angst. Ja. Ist nicht einfach auch kriminell zu werden, ist nicht so, ist nicht so… Arbeit ist besser. Arbeit, weißt du, ohne Stress. Stress von Arbeit ist nicht wie Stress, wenn man klaut. Und das habe ich erlebt.

Serafin Dinges: Aber arbeiten gehen, das darf David nicht. Der Staat erlaubt ihm das nicht. Doch er möchte seine Tochter unterstützen, sagt er, und klaut weiter. Aber am Ende kommt es, wie es nicht anders kommen kann.

David: Die hat mich erwischt. Habe ich ein Jahr und da dieses Jahr habe ich alles verloren. Frau weg, Tochter weg, alles weg.

Serafin Dinges: Er landet wieder im Gefängnis und von hier an geht es abwärts. Seine Freundin trennt sich von ihm. Er verliert den Kontakt zu seiner Tochter. Chris, wir haben lange mit David gesprochen. Er hat uns eine ganze Menge erzählt. Seine Biografie, das hab ich schon erwähnt, ist ganz schön kompliziert. Was haben wir getan, um das, was er uns da erzählt, zu verifizieren?

Chris Köver: Also erst mal ist das, was er erzählt hat, mit all den Unstimmigkeiten und auch Lücken erst mal eine ganz typische Fluchtgeschichte. Was wir aber haben, sind ja zusätzlich die Dokumente, die er uns gezeigt hat. Es sind Dokumente aus der Psychiatrie. Es sind Abschiebebescheide dabei, es sind Gerichtsurteile. Außerdem wissen wir ja auch aus unseren bisherigen Recherchen und von dem, was Fachleute zum Thema sagen, dass das, was er uns erzählt hat, plausibel ist. Normalerweise wäre es jetzt so, dass wir jetzt auch noch andere Leute anrufen würden, unabhängige Quellen suchen würden, um uns das bestätigen zu lassen und auch die Ausländerbehörde selbst kontaktieren würden. Das haben wir in diesem Fall nicht getan, weil David uns von Anfang an ganz klar gesagt hat, dass er das nicht will.

Serafin Dinges: Und darum geben wir ihm hier auch einen anderen Namen und eine andere Stimme. Er ist eine Quelle, die wir schützen. Und wir erzählen die Geschichte jetzt aber trotzdem. Warum?

Chris Köver: Also es war eine ganz bewusste Entscheidung, die wir getroffen haben. Weil wir gesagt haben, auch wenn wir bestimmte Dinge nicht verifizieren können: Diese Perspektive ist so unglaublich rar und damit so wertvoll, das ist eine Perspektive, die fehlt in der gesamten bisherigen Berichterstattung. Man muss sich das klar machen: Das sind Leute, die sind in einer sehr prekären Situation. Die sind entweder zu diesem Zeitpunkt schon abgeschoben worden, das heißt es ist noch viel schwieriger, sie zu finden. Wenn sie noch in Deutschland sind, dann haben sie wahrscheinlich Angst davor, abgeschoben zu werden, sprechen aus den Gründen nachvollziehbar nicht. Das heißt, dass wir da eine Person haben, die bereit ist zu sprechen, die unbedingt sprechen will, ihre Geschichte erzählen will, das ist unglaublich selten und sehr wertvoll. Wir haben Davids Perspektive und die wollten wir auch öffentlich machen.

Wer darf bleiben?

Serafin Dinges: Während David im Gefängnis sitzt, geht es für ihn weiter bergab. Er hätte in dieser Zeit bei einem Gerichtstermin erscheinen müssen. Es ist die mündliche Verhandlung seiner Klage gegen seine Abschiebung. So eine Art Showdown: auf der einen Seite David, auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Mutter seines Kindes hatte die Vaterschaft schon anerkannt. David steht in der Geburtsurkunde. Er soll jetzt aber trotzdem noch mal vor Gericht erscheinen und argumentieren, warum er bei seinem Kind bleiben will. David kann aber nicht zu dem Gerichtstermin. Er sitzt noch im Gefängnis und er sagt, er hätte nie eine Einladung zu dem Termin bekommen. Am Ende sind weder er noch sein Anwalt mit dabei. Trotzdem ist für das Gericht der Fall damit abgeschlossen. In der Begründung steht später: Das Gericht ist nicht mehr davon überzeugt, dass der Kläger überhaupt Vater einer Tochter geworden ist. David hätte keine Geburtsurkunde vorgelegt. Dabei stand im ersten Beschluss noch, das Gericht hätte die Urkunde schon bekommen. Alles sehr seltsam. Irgendwas ist da juristisch schiefgelaufen, das ist klar. Aber was genau? Das verstehen wir auch nicht. Am Ergebnis ändert das nichts. David Klage wird abgewiesen und er muss raus aus Deutschland. Aber in abzuschieben ist schwierig, denn Deutschland weiß nicht, wohin mit ihm. Er hat keinen Pass, hat überhaupt keine Ausweispapiere. Kein Land will ihn zurücknehmen. Zu diesem Zeitpunkt kann er auch nicht mehr nach Schweden, weil die Frist für seine Abschiebung dorthin nach den Dublinregeln der EU längst verstrichen ist. David ist staatenlos.

Serafin Dinges: Menschen wie David, die sind in der Bürokratie nicht vorgesehen. Also tut der deutsche Staat alles, was in seiner Macht steht, um David wieder in diese Bürokratie einzugliedern. Und während David im Gefängnis sitzt, hegt jemand anders einen Plan aus. Ungefähr zur gleichen Zeit anderswo in Deutschland, in Berlin, um genauer zu sein, da setzt ein Politiker, ein alter Bekannter, zu einer Rede an. Am 2. Juli 2015 im Bundestag. Der CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht über ein neues Gesetz zum Bleiberecht. Wer soll in Deutschland bleiben dürfen und wer nicht?

Thomas de Maizière: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir zum ersten Mal ein dauerhaftes, stichtagsunabhängiges Bleiberecht für Menschen, die auch ohne regulären Aufenthaltsstatus besondere Integrationsleistungen in Deutschland erbracht haben, die gut integriert sind, die Deutsch können, die ihren Lebensunterhalt sichern und die nicht in besonderer Weise straffällig in Erscheinung getreten sind. Diesen Menschen eröffnen wir ein dauerhaftes Bleiberecht. Wir sagen ihnen, wie immer hierhergekommen seid, Ihr seid gut integriert, ihr gehört zu uns. Ihr bleibt hier. Ihr seid hier herzlich willkommen.

Serafin Dinges: Das Aufenthaltsrecht soll also für manche Menschen geöffnet werden. Wenn der Innenminister hier herzlich willkommen sagt, dann macht er aber auch eine klare Trennung zwischen denen, die dazugehören, und denen, die nicht dazu gehören. David, der gehört nicht dazu. David kann nicht alleine seinen Lebensunterhalt sichern. Darf er gar nicht. Er ist strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er entspricht in vielerlei Hinsicht genau dem Schreckensbild, das Thomas de Maizière damals zeichnet. Die Ausländerbehörde hat dann ein paar Werkzeuge in der Hand, um festzustellen, ob er nicht doch Staatsbürger irgendeines Landes ist. Sie schreibt an Botschaften, zum Beispiel. Oder sie verschickt einfach Fingerabdrücke.

David: Schon in 2014 die haben meine Fingerabdrücke überall in Afrika geschickt.

Serafin Dinges: In der Hoffnung, dass die dann in irgendwelchen Datenbanken der Länder auftauchen. Aber kein Match. Rund 100.000 Menschen leben wie David mit ungeklärter Staatszugehörigkeit in Deutschland. Knapp 20.000 sind davon wie er ausreisepflichtig. Um mit Menschen wie ihm umzugehen, verabschiedete der Bundestag 2015 ein neues Gesetz. Es soll dafür sorgen, dass Ausländerinnen ohne Aufenthaltsrecht, die eigentlich nicht mehr in Deutschland sein dürften, auch tatsächlich abgeschoben werden.

Thomas de Maizière: Wir brauchen aber genauso nach den schnelleren Verfahren für die, die abgelehnt worden sind und keine Bleibeperspektive haben, eine konsequentere Rückkehrpolitik. Es muss klar unterschieden werden zwischen jenen, die Anspruch auf Schutz haben, und jenen, die diesen Anspruch nicht haben.

Serafin Dinges: Das Gesetz sieht eine ganz besondere neue Verschärfung vor. Es soll den Behörden erlauben, auch Handys der Asylsuchenden zu durchleuchten.

Thomas de Maizière: Es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland Schutz haben will, ehrlich angibt, wie er heißt und aus welchem Land er kommt. Wenn der Ausländer seine Identität verschleiert, dann soll das kein Bonus für das Asylverfahren sein, sondern sollen in Zukunft auch die Handys, die Datenträger dieses Menschen ausgelesen werden, damit wir feststellen, wer er ist und woher er kommt.

Serafin Dinges: Das heißt, wenn „der Ausländer“ nicht kooperativ genug bei der Feststellung seiner Identität ist, dann darf also auch sein Handy durchsucht werden. Nicht sofort, aber immer dann, wenn der Staat nicht mit anderen Mitteln herausfinden kann, wer jemand ist und woher er kommt. Zum Beispiel weil „der Ausländer“ auch bei einer Botschaft keine Ersatzpapiere bekommt. Oder wenn das mit den Fingerabdrücken zu nichts führt. In der Hoffnung auf einen Hinweis auf die Identität darf die Ausländerbehörde dann auch das Handy durchsuchen. Mit Einschränkungen. Ganz intime Dinge soll die Ausländerbehörde dabei eigentlich nicht sehen und auch nicht verwerten dürfen. Das nennt sich im Juristendeutsch Kernbereichsschutz. Gemeint ist der Teil der Privatsphäre, der so privat ist, dass er vor Blicken des Staates besonders geschützt bleiben soll. Aber lässt sich vermeiden, dass eine Mitarbeiterin der Behörde beim Durchscrollen der Nachrichten auch die Liebeserklärung an die Partnerin findet? Oder dass beim Auswerten der Fotos auch Nacktbilder auf dem Bildschirm auftauchen? Diese Nachrichten und Bilder dürfen laut dem Gesetz nicht in den Auswertungsberichten landen. Aber das Paradox bleibt: Damit am Ende nur das im Bericht landet, was dort auch sein darf, muss ja irgendjemand erst mal die Nachrichten und Bilder durchsuchen und die Person sieht dabei im Zweifel alles. Für ausreisepflichtige Menschen wie David gilt das Grundrecht auf den Schutz ihrer Privatsphäre also nur beschränkt. Jemand darf selbst ihre intimsten Informationen durchsuchen, wenn es darum geht, herauszufinden, wie sie heißen und woher sie kommen. Um dann zu entscheiden, was davon in einem Bericht landen und gespeichert werden darf. Das sieht das neue Gesetz vor und wird so 2015 verabschiedet. In den Jahren nach der Verabschiedung des Gesetzes bekommt David immer wieder Abschiebebescheide.

Stimme: Sie wurden mit dem Bescheid von beeeeep aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

Serafin Dinges: Mindestens vier. Dreimal ist er in Abschiebehaft.

Stimme: Somit ist gegen sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Ihre Abschiebung aus der Haft/Unterbringung wird angedroht.

Serafin Dinges: Der Ton der Schreiben wird immer schärfer, aber auch immer hilfloser.

Stimme: Sollte eine Abschiebung aus der Haft/Unterbringung heraus nicht möglich sein, werden sie aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Entlassung zu verlassen.

Serafin Dinges: Das Problem ist: Selbst wenn David ausreisen wollte, es gibt kein Land, das sich für ihn verantwortlich sieht. Kein Land, wo er ohne gültige Papiere hin könnte. Man würde ihn nicht mal ins Flugzeug steigen lassen ohne irgendein Dokument. Allerspätestens beim Versuch der Einreise wäre Schluss.

Eskalation auf der Ausländerbehörde

Serafin Dinges: Und dann, im Sommer 2022, hat er wieder einen Termin bei der Ausländerbehörde. Er erträgt damals das Herumsitzen und Nichtstun nicht mehr, sagt, er will unbedingt arbeiten. Dafür braucht er aber eine Erlaubnis. Er hat schon öfter gefragt, aber die Ausländerbehörde macht jedes Mal klar, dass er keine Arbeitserlaubnis bekommen wird. Er will es aber trotzdem noch mal versuchen, sagt er. Er setzt sich in den Zug, in die nächste Stadt, in der seine zuständige Ausländerbehörde ist, fährt ein paar Stationen mit dem Bus und dann geht er durch eine der verschiedenen Pforten und Sicherheitskontrollen des Gebäudes. Wie immer gibt er dort alle möglichen Gegenstände ab. Sicherheitskontrolle eben.

David: Und dann bin ich rein. Die haben genommen. Ich hab gesagt, okay, es ist Hauskontrolle. Kriege ich wieder, wenn ich rein in Gebäude. Dann bin ich rein in Gebäude. Und ich hab gesagt, wo die sind mein Handy. Haben gesagt: Nee, kriegen Sie kein Handy.

Serafin Dinges: David hat an dem Tag drei Handys dabei. Zwei gehören ihm. Eins hat er von einer Freundin geliehen. Das Sicherheitspersonal will ihm die Handys nach der Sicherheitsschranke nicht zurückgeben. Er denkt, dann bekommt er sie später wieder. Er geht zu seinem Termin mit einem Sachbearbeiter. Doch das Gespräch kann gar nicht stattfinden, denn plötzlich kommt eine weitere Beamtin ins Zimmer.

David: Oh, dann kommt die Frau plötzlich. Ja. Nehmen Sie sein Handy. Das ist Papier, das wir Ihr Handy nehmen können.

Serafin Dinges: Und die sagt, David werden seine Handys abgenommen. Sie legt ihm einen Zettel vor, der erklärt, warum. Den Zettel versteht David in dem Moment aber überhaupt nicht. Sie behandeln ihn wie ein „Stück Mist“, erzählt er uns.

David: Da kommt Security, fünf oder vier. Der hat alle Handy drei. Ich habe gesagt: Bitte, ich kann Nummer raus. Nee, nee, kriegste nicht. Sag mir die Name. Ich habe gesagt, ist mein Handy, ich will Nummer raus und schreibe. Ne andere, die haben ihre kaputt Handy gemacht so. Ich hab gesagt: Was erzählen Sie? Ich will mein Handy.

Serafin Dinges: David möchte sich wenigstens die Nummern notieren, die er im Handy gespeichert hat. Aber der Security sagt, sie wollen ihm das Handy nicht in die Hand geben. Er könnte es ja kaputt machen. Das hätten andere schon davor gemacht.

David: Sie haben alle drei Handy genommen. Eine ist kaputt. Funktioniert nicht ohne SIM-Card. Nix. Und andere von meine Freundin, habe ich ausgeliehen. Und meine Handy, auf meinen Namen mit SIM-Karten dran.

Serafin Dinges: Für David ist das ein Trigger-Moment. Er wollte heute hier nur über seine Arbeitserlaubnis sprechen. Und plötzlich eskaliert die Situation immer mehr. Er wird völlig unvorbereitet getroffen, hat nicht damit gerechnet, dass plötzlich eine Handvoll teils uniformierter Menschen um ihn herumstehen, die etwas von ihm wollen. Er kämpft ohnehin schon mit dem Gefühl, verfolgt zu werden. Und jetzt nehmen ihm diese Menschen seine Geräte ab.

David: Ja, und ich habe meine Paranoia gekriegt. Und ja, ich bin psychisch krank. Ich bin schwerbehindert. Ich hab Problem. Ich hab Paranoia, das war mir passiert schon öfter. Die haben Angst bekommen oder weiß ich nicht.

Serafin Dinges: Schwarze Männer wie David, besonders große, werden oft als aggressiv und gefährlich eingeschätzt.

David: Und die können nicht die Situation schätzen. Die hatten Angst, weil ich mir so große Mann.

Serafin Dinges: Und David muss die Konsequenzen tragen, weil das Sicherheitspersonal Angst vor ihm hat.

David: Die haben Angst, weil weiß ich nicht.

Chris Köver: Und als sie dann Paranoia bekommen haben, haben sie dann… Sie haben gemeint, sie sind auch laut geworden?

David: Ja, laut. Ich habe gezittert und so. Ich war so … Ich konnte nicht sitzen so, ich hab aufgestanden. Hat mein Kopf kaputt gemacht auf einmal. Ich habe nie so, dass die Hand nehmen können. Habe ich nie gedacht.

Serafin Dinges: David denkt, dass seine Paranoia in dem Moment missverstanden wurde, als ein „Der muss da was im Handy versteckt haben, was wir nicht entdecken sollen“. Die Beamt:innen glauben, er hat Angst davor, dass sie etwas rausfinden. Dabei hat er nur Angst vor den Beamt:innen.

David: Und die haben gedacht, Ich habe Angst, dass ich etwas im Handy. Aber ich habe Angststörung. Ich bin krank. Wenn ich fühle mich so bedroht oder so, da reagiere so. Das war normale Reaktion für mich als kranker Mensch.

Serafin Dinges: David versteht in dem Moment auch überhaupt nicht, warum ihm die Geräte überhaupt abgenommen werden. Es liegt da zwar dieser Zettel, der das erklären sollte. Aber ganz ehrlich: So einen Zettel, der auf Amtsdeutsch erklärt, auf Grundlage welcher Paragraphen einem grade Geräte abgenommen werden, wer kann das in so einer Stresssituation wirklich verarbeiten? Noch dazu, wenn das eigene Deutsch nicht perfekt ist. David wird später gegen den Vorgang klagen. Die Klage wird abgewiesen, aber in der Klageschrift wird aus diesem Zettel zitiert.

Stimme: Mit Bescheid der Regierung von beeeep vom 1.3. wurde der Kläger verpflichtet, seine mobilen Datenträger zur Auswertung für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit… Zudem wurde er aufgefordert, die entsprechenden Zugangsdaten mitzuteilen… § 48 Absatz drei Aufenthaltsgesetz durchsucht werden. Er habe die Maßnahme zu dulden.

Serafin Dinges: Dieser Bescheid also soll David an dem Tag auf der Behörde übergeben worden sein. Die Unterschrift verweigerte er. Alle drei Handys werden ihm abgenommen. Es klingt, wenn man die Dokumente der Klage liest, als hätte die Behörde rein rechtlich alles richtig gemacht. Sie hat zumindest nichts gemacht, was das deutsche Gesetz nicht genauso vorsieht. Die Behörde ist hier einfach die Hand, die ausführt, was die Politik sich ausgedacht hat. Nur offenbar hat niemand David wirklich verständlich gemacht, was auf dem Papier steht. Dass es ein Gesetz gibt, dass es den Beamten erlaubt, sein Handy zu durchsuchen. Und so eskaliert die Situation. Die Beamten rufen die Polizei, aber die lässt ihn gehen. Aber seine Handys bleiben. David ist hinterher schockiert. Traurig.

David: Der Moment war, ja war… Ich hab geweint. Weil Handy ist alles drin, Bücher, alles drin. Die ist meine auch Unterhaltung, so, ich unterhalte mich mit Musik. Alles drin. Bücher, Kontakt mit Freunde. Und einfach weg. Ja, ja. Aber die Art und Weise hat mich nicht gefallen. Ehrlich, Ich hab nie gedacht, das würde hier in Deutschland so … Okay, ich habe mich kriminelle Sachen gemacht, was mein Handy genommen worden. Bis jetzt ein Jahr. Ich war traumatisiert. Ich war aufgeregt. Ich war kurz in Psychiatrie hier. Ja, ich hab alles verloren.

Was geht verloren?

Serafin Dinges: David hat nicht viel. Die meiste Zeit verbringt er mit Nichtstun und Warten, sagt er. Auf seinen Handys dagegen spielt sich deshalb ein Großteil seines Lebens ab.

David: Ja, ich hab viel benutzt für Musik und so. Bücher auch. Ich hab so viele Bücher drauf. Foto von meiner Tochter, weil dieses Handy ist alt seit 2017. Foto. Gespräch mit meiner Tochter, Video von meine Tochter. Ja, Familie und so. Foto von meiner Ex-Freundin. Foto vom andere Freundin. Das war’s.

Serafin Dinges: Mit seinem Handy hat er auch den Zugang zu seinem Facebook-Account verloren. Zurücksetzen kann er den Account ohne sein Handy ebenfalls nicht. Seit über einem Jahr ist er jetzt ausgesperrt.

David: Da hatte ich kein Geld für neue Handy zu kaufen und SIM-Karte. Was ich nur mein. Und da war ich vom Welt abgeschottet.

David: Für den deutschen Staat ist das Einbehalten von Davids Handys ein ganz normaler Amtsvorgang, Teil der Pflichten, die David als ausreisepflichtiger Mensch eben per Gesetz hat. Für David aber ist das Wegnehmen seines Handys ein Raub. Er ist erschüttert, dass der Staat das darf, und hat damit endgültig das Vertrauen in Deutschland und in seine Behörden verloren.

Serafin Dinges: Wir wollen an dieser Stelle kurz etwas ansprechen. David ist krank, wie er selbst sagt. Er fühlt sich verfolgt, hört manchmal Stimmen. Das sind Symptome, die zum Beispiel bei einer Schizophrenie vorkommen können. Das Stigma rund um solche Erkrankungen ist groß. Immer wieder gibt es Medienberichte von Gewalttaten, die von Menschen in einer Psychose begangen werden. Das Verhalten von Betroffenen kann manchmal ganz schön verwirrend für Außenstehende sein. Aber das heißt nicht, dass Menschen mit einer Schizophrenie automatisch gefährlich sind. Sie haben vielmehr ein stark erhöhtes Risiko, selbst Opfer von Gewalt zu werden oder Suizid zu begehen. Das Wichtigste ist, dass Betroffene Hilfe bekommen. Die Symptome der Krankheit können gut behandelt werden mit Medikamenten und Therapien. Und David ist in Behandlung. Seit Jahren schon.

Werbepause

Chris Köver: Okay, warte mal kurz.

Serafin Dinges: Hallo.

Chris Köver: Hörst du mich?

Serafin Dinges: Jetzt. Hallo, Chris. Willkommen zur Werbepause.

Chris Köver: Hallo, Serafin. Schön, dass ich in der Werbepause auftreten darf.

Serafin Dinges: Was machst du denn gerade?

Chris Köver: Äh, ich bin gerade dabei, eine Liste mit Daten durchzugehen, auf die wir aufmerksam gemacht worden sind. Und ich versuche, diese Leute zu identifizieren und dann irgendwie Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Über LinkedIn oder Facebook oder wie auch immer.

Serafin Dinges: Mehr kannst du gerade nicht verraten, aber mehr Zeit haben wir auch nicht in der Werbepause. Ich habe auch nur zwei ganz kurze Fragen für dich. Nummer eins. Wer bezahlt uns denn eigentlich dafür, dass wir das ja alles gerade machen?

Chris Köver: Die Spender:innen, also eigentlich ausschließlich unsere Leser:innen, die regelmäßig Geld spenden dafür, dass wir diese Arbeit machen.

Serafin Dinges: Und die zweite Frage, ganz leicht: Was sollen denn Hörer:innen machen, wenn sie den Podcast gut finden und uns auch unterstützen wollen?

Chris Köver: Hm, anderen davon erzählen fände ich natürlich schön, damit möglichst viele Leute den Podcast auch hören. Und wenn sie es können, freue ich mich natürlich auch, wenn sie uns mit einer Spende unterstützen.

Serafin Dinges: Okay, das war’s auch schon. Alle Infos gibt es dann noch mal am Ende und ich würde sagen weiter mit dem Podcast und ich lass dich weiter deine Daten auswerten.

Chris Köver: Super, Danke.

Serafin Dinges: Bis bald. Tschau.

Wie im Gefängnis

Serafin Dinges: Wir lassen uns von David auch seine Asylunterkunft zeigen. Also von außen zumindest. Rein können wir nicht. Journalist:innen sind dort nicht so gern gesehen. Es ist eine ehemalige Kaserne.

Chris Köver: Ist er da? Ne, noch nicht.

Serafin Dinges: Mehrere 100 Menschen leben hier, die meisten in Vierbettzimmer, Gemeinschaftsküche auf dem Gang. Am Eingang ist eine Schranke und ein Wachposten.

Chris Köver: Links ist so eine bröckelnde Baracke, wo man nicht genau weiß Ist das jetzt… Gehört das irgendwie dazu? Mit einem Bauzaun davor. Und dann dieses Pförtnerhäuschen, das irgendwie gar kein Häuschen ist, sondern so ein richtiges Gebäude. Sieht aber, könnte so ein Krankenhauseingang sein oder so. Das ist ein bisschen so modern, orange angestrichen. Ein Weinberg auch. Man schaut auf so einen Weinberg hinter der Aral-Tanke. Sonst ist das halt echt Ausfallstraße.

Serafin Dinges: Seit fast 15 Jahren lebt David zumindest offiziell hier. Aber wirklich leben tut er hier gar nicht.

Serafin Dinges: Wie viel Zeit verbringst du hier?

David: Keine Zeit. Wenn ich komme hier duschen. Manchmal. Ein bisschen schlafen und abhauen.

Serafin Dinges: Er fühlt sich hier wie im Gefängnis, erzählt er.

David: Ist wie Gefängnis. Sogar schlimmer. Ne, ich mecker nicht, ist nämlich okay, in Ordnung. Aber die Umgebung und so, fühle mich nicht wohl. Erinnerung, ich fühle mich so depressiv.

Serafin Dinges: Er schläft kaum. Und wenn, dann lieber im Vorraum einer Sparkasse als hier. Und manchmal einfach gar nicht. Mit der Asylunterkunft verknüpft David schlechte Erinnerungen.

David: Ich habe letztes mal Abschiebung erlebt. Da war so viel Polizist, eine da, eine da. Ich glaube, das ist Abschiebung. Ja, kann man nicht irgendwo abhauen, ne? Was Zaun.

Serafin Dinges: Also das alles ist komplett eingezäunt.

David: Komplett. Komplett. Hier keine Chance.

Serafin Dinges: Viele seien lieber auf der Straße oder im Gefängnis als hier, erzählt David.

David: Viele sind verrückt geworden, Viele, die sind wieder kriminell. Paar Junge kenne ich so lange Zeit, die sind wieder im Knast. Das heißt sehe, jeder ist wie. Wie kann man sagen.. Diese Spirale: wieder raus hier, bisschen so und dann wieder in Knast. Ist verflucht dieser Platz, ehrlich, sage ich. Ist verflucht.

Serafin Dinges: Jetzt, wo wir kurz davor sind, uns von David zu verabschieden, schauen wir ihn noch mal an. Er ist mit seiner Kraft sichtlich am Ende. Bewegt sich nur langsam. David ist ungefähr so alt wie ich, Anfang 30, aber er sieht älter aus. Die letzten Jahre haben Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Er bewegt sich wie jemand, der sich klein halten will. Schüchtern fast oder scheu. Wie jemand, der nicht weiter auffallen will. Dabei ist er eigentlich ein witziger Mensch. Immer wieder kommt sein Humor durch.

David: Und ehrlicherweise Ich habe Kriminalität in Deutschland, in Deutschland gelernt. Wo große Dichter sind geboren. Sind große Dichter vom Deutschland, aus Deutschland.

Serafin Dinges: Sagt, im Land der Dichter und Denker hat David nur Kriminalität gelernt. Er sagt, er würde sich gerne in Deutschland was aufbauen, wollte eine Ausbildung machen, an die Abendschule gehen oder arbeiten.

David: Ich will kein Geld vom Steuerzahler. Will ich nicht. Ich kann arbeiten, ich bin noch jung und so. Warum soll ich um andere Leute für mich bezahlen so mein Leben? Da mag ich nicht. Wissen Sie, diese Unterkunft. Ganzen Tag die Leute machen nichts. Sie rauchen Shisha, trinken Tee. Drei Monate oder vier Monat oder sechs Monate. Alter, der Mann wird krank.

Serafin Dinges: Hat 15 Jahre lang dabei zugesehen, wie andere das geschafft haben und an ihm vorbeigezogen sind. Er durfte nichts und inzwischen will er es auch nicht mehr. Als wir ihn fragen, was er sich eigentlich wünschen würde, sagt er: Er will nur noch seine Ruhe.

David: Dass sie mich in Ruhe lassen. Ist mein Ziel, dass ich nicht wieder in Knast lande, das ist mein Ziel.

Serafin Dinges: Und jetzt, ein Jahr, nachdem ihm die Behörde seine Handys weggenommen hat, steht er immer noch hier. Vor einer Asylunterkunft. Eine Abschiebung ist nicht in Sicht. Die Handys hat auch nicht wieder. Und wir fragen uns in der Stelle: Wozu das alles dann?

Wozu das alles?

Sarah Lincoln: Und da haben wir festgestellt, dass die Ergebnisse oft überhaupt nicht verwertbar sind.

Serafin Dinges: Das ist Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte oder kurz der GFF. Der Verein verklagt gerne mal zum Beispiel Bundesbehörden, um Grundrechte durchzusetzen. Und die GFF beobachtet das Gesetz, das David zum Verhängnis wurde, schon länger, wertet aus, ob es sein genanntes Ziel auch erfüllt. Sie schauen also, ob die Auswertung der beschlagnahmten Handys überhaupt dazu führt, dass die Behörden rausfinden, wo eine Person wirklich herkommt.

Sarah Lincoln: Das ist extrem fehleranfällig, dass man da dann eben oft dann auch auf die falsche Fährte gelockt wird. Und tatsächlich zeigen die Zahlen, dass in den allerwenigsten Fällen überhaupt Widersprüche festgestellt werden zu den Angaben, die die Leute selber gemacht haben.

Serafin Dinges: Andersrum gefragt: Was könnte denn auf so einem Handy drauf sein, was helfen würde? Also abgesehen von vielleicht einer Notiz, in der steht: Ich habe übrigens mal einen Pass in dem Garten dort vergraben.

Sarah Lincoln: Ich glaube, es geht tatsächlich vorgelagert darum, dass man sich Hinweise auf die Identität bzw. Die Staatsangehörigkeit erhofft. Und dann würde man eben nach Geodaten suchen. Wobei das bei Leuten, die schon lange hier sind, gar nix bringt. Dann gucken, mit wem steht die Person im Kontakt und aus welchen Ländern kommen diese Menschen? Also Telefonnummern, Vorwahlen. Man würde sich die Chats angucken. In welcher Sprache wird hier mit wem kommuniziert und auf welches Herkunftsland weist das hin? Fotos etc., solche Dinge. Also über den Verbleib des Passes oder die Möglichkeit einen neuen Pass zu bekommen, wird das Handy gar nix aussagen können.

Serafin Dinges: Aber es ist quasi, ich schaue, ob es in WhatsApp nen Familienchat gibt und schau wo die Familien alle sind, die alle anderen Mitglieder in dem Chat.

Sarah Lincoln: Genau. Man guckt sich die Nachrichten an und schaut sich an, woher die Leute kommen, wem die Person Kontakt steht, Familienangehörige etc. aus dem Herkunftsland, die Sprachen, bestimmte regionale Besonderheiten der Sprache etc..

Serafin Dinges: Tausende von Handys hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit 2017 ausgelesen und durchsucht. In einem Großteil der Fälle sind die Daten einfach nicht brauchbar. Der Rest bestätigt vor allem die Angaben, die die Geflüchteten selbst gemacht haben. So wirklich nützlich ist der ganze Aufwand und die womögliche Grundrechtsverletzung also nicht.

Sarah Lincoln: Im Zweifel wird es oft so sein, dass man schon auch weiß, woher die Person kommt, dass die Person das auch angegeben hat, woher sie kommt und dass das Problem dann eher ist, an einen Pass zu kommen.

Wo ist Davids Handy?

Serafin Dinges: Wir haben das ja bei David schon gesehen. Das Handy wurde ihm vor über einem Jahr abgenommen. Getan hat sich seitdem nicht viel, außer, dass ein Gericht seine Klage dagegen zurückgewiesen hat. Wir wissen, wie und wo David das Handy abgenommen wurde. Aber das ist ja nur der Start der Reise des Handys. Chris, was wissen wir denn darüber, was danach mit Davids Handy passiert ist?

Chris Köver: Also was genau mit seinem Handy passiert ist, wissen wir natürlich nicht. Aber wir recherchieren ja schon länger zu dem Thema. Und wir wissen, was grundsätzlich mit Handys in Bayern passiert in so einer Situation. Also in anderen Bundesländern, in Berlin zum Beispiel, war es so, da durften Mitarbeiter:innen der Ausländerbehörde selbst die Handys durchsuchen und haben die dann einfach entsperrt oder entsperren lassen, sich die Pins geben lassen und durften dann eben durch die ganzen Inhalte blättern, die auf so einem Handy dann zu sehen sind. In Bayern läuft es aber anders. In Bayern gibt es eine eigene Behörde für Abschiebungen. Die heißt Landesamt für Asyl und Rückführungen. Die machen zum Beispiel Sammelabschiebungen. Die besorgen Papiere, damit Menschen, die ausreisepflichtig sind, abgeschoben werden können, all sowas. Und in dieser Behörde gibt es auch eine eigene Fachstelle, die nennt sich Fachstelle Identitätsklärung. Und die macht seit vergangenem Jahr auch diese forensischen Handydurchsuchungen. Das heißt, das ist wie so eine Art Servicestelle gedacht. Die ganzen Ausländerbehörden in ganz Bayern können jetzt die Handys, die sie Menschen abgenommen haben, dorthin weiterleiten. Und die Mitarbeiter:innen in diesem Landesamt knacken dann die Handys, durchsuchen sie mithilfe von Software und schicken am Ende nur noch einen Bericht zurück an die Ausländerbehörde über das, was sie in dem Handy gefunden haben, was irgendwelche Rückschlüsse auf die Identität oder die Sprachen erlaubt, die dort gesprochen werden.

Serafin Dinges: Das heißt, David Handy liegt jetzt vermutlich bei dieser Behörde, wurde vermutlich dorthin geschickt.

Chris Köver: Ja, also es würde zumindest zeitlich hinhauen.

Serafin Dinges: Und wie oft passiert das? Also, warum dauert es so lange, dass Davids Handy zurückgeschickt wird, jetzt über ein Jahr?

Chris Köver: Genau weiß ich das nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass das einfach was mit den Ressourcen zu tun hat. In dieser Fachstelle Identitätsklärung, das hat uns die Behörde damals gesagt, arbeiten nur drei Leute, und von denen macht eine einzige Person die forensische Auswertung. Gleichzeitig haben die uns gesagt, dass da hunderte Geräte hingeschickt werden aus den Ausländerbehörden. Allein zu Beginn des letzten Jahres. Also im Zweifel kann es gut sein, dass Davids Handy da einfach schon seit einer ganzen Weile herumliegt und darauf wartet, dass es mal drankommt.

Serafin Dinges: David hat ja sein Passwort nicht weitergegeben. Können die das Handy damit knacken?

Chris Köver: Ja, die können das knacken. Die haben sich selbst die Software angeschafft, mit der sonst Polizeibehörden oder der Zoll arbeiten. Das heißt, die haben jetzt die technischen Möglichkeiten, auch Geräte zu knacken, zu denen sie keine Zugangsdaten haben.

Eine Geschichte ohne Ende

Serafin Dinges: Dieses Gesetz, das all diese Maßnahmen erlaubt, das dafür sorgt, dass es diese Behörden gibt, die Handys durchleuchten, manuell oder automatisiert, das Gesetz ist nicht nur umstritten. Die GFF sagt sogar, es ist verfassungswidrig.

Sarah Lincoln: Weil der Eingriff auf der einen Seite zu schwerwiegend ist und der Nutzen quasi gar nicht bis gering ist. Und da kommt man dann, hat man ein Verhältnismäßigkeitproblem. Und man muss dazu sagen, es ist ja auch nicht gesetzlich geregelt, dass nur bestimmte Daten ausgewertet werden dürfen und eben besonders persönliche oder intime Daten dann ausgespart werden. Also man gibt es aus der Hand und damit ja auch die Kontrolle darüber, was damit geschieht. Und die Behörde kann sich im Zweifel ja alles angucken auf dem Handy.

Serafin Dinges: Die GFF ist gegen die Handydurchsuchungen des BAMF, also des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, vorgegangen. Sie hat gemeinsam mit mehreren Personen, deren Handys das Bundesamt durchsucht hat, vor verschiedenen Verwaltungsgerichten dagegen geklagt. Und gewonnen. Das Gericht in Berlin hat bestätigt: Die Durchsuchung durch das BAMF war rechtswidrig. Nicht grundsätzlich, aber zumindest in diesem einen konkreten Fall. Denn die Betroffene, eine Frau aus Afghanistan, hatte ein anderes Dokument, das ihre Identität bestätigte. Das BAMF hatte das aber nicht vorher überprüft, sondern gleich das Handy verlangt. Nicht erst als letzte verbleibende Möglichkeit, wie das eigentlich sein sollte, sondern viel früher. Dieser pauschale Ansatz, erst mal bei allen, die keinen Pass dabei haben, die Handydaten auswerten, das geht so nicht, sagte das Gericht. Ein juristischer Erfolg und eine Schlappe für das BAMF. Dachte man kurz.

Serafin Dinges: Aber was tut die Bundesregierung? Statt das Gesetz abzuschaffen, hat sie erst mal klargestellt, dass sie keinesfalls vorhat, die Handydurchsuchungen aufzugeben. Das Bundesinnenministerium erklärt uns auf Anfrage, einfach ausgedrückt: Die Durchsuchungen von Handys gehen weiter. Man muss jetzt nur etwas strenger sein, wen man durchsucht. Und die Bundesregierung macht nicht nur weiter. Vor kurzem hat sie das Gesetz sogar noch mal verschärft. Als Teil der neuen Asylgesetzgebung gilt jetzt, dass in Zukunft auch die Wohnräume der geflüchteten Personen durchsucht werden dürfen, um dort direkt nach Geräten zu suchen. Das heißt, die Beamtinnen müssen nicht mehr warten, bis jemand wie David im Amt vorbeikommt, um ihm die Handys abzunehmen. Sie können einfach in sein Schlafzimmer spazieren und dort nach Handys suchen. Wenn also das Ziel, die Identität einer Person unwidersprechlich final festzustellen, wenn dieses Ziel also nicht erreicht wird, was bringt dieses Gesetz dann? Und warum wird es noch mal verschärft? Sarah drückt sich vorsichtig aus.

Sarah Lincoln: Ja, da kann ich auch nur mutmaßen, aber ich würde mal davon ausgehen, dass da so eine latente Unterstellung ist, dass die Leute irgendwie selber schuld sind und nicht genug tun, um ihre Ausreise oder ihre Abschiebung möglich zu machen. Dass man denen mal so ein bisschen zeigen will, wo der Hammer hängt oder so ein bisschen Druck erzeugen. Und ich würde da echt von Schikane sprechen.

Serafin Dinges: Bei David ist diese Botschaft jedenfalls angekommen. Das Ziel, soweit er das wahrnimmt, ist nicht seine Herkunft nachzuweisen, sondern David ist sich sicher Der Staat will ihn nach und nach in die Verzweiflung treiben und hofft, dass er irgendwann von alleine das Land verlässt.

David: Abendschule wurde mich auch untersagt. Alles. Ich kann nichts machen. Die machen so Politik. Ich sage ehrlich so ganz offen, das ist die Europolitik, dass man keine Möglichkeit hat.

Chris Köver: Das heißt aber, es gibt eigentlich keinen Ort, wohin Deutschland Sie abschieben könnte. Und gleichzeitig, wenn Sie jetzt hier sind, dürfen Sie hier aber auch nichts machen. Keine. Sie haben keine Perspektive, Sie können keine Ausbildung machen, keine Abendschule, dürfen nicht arbeiten.

David: Nee, darfst du gar nichts machen hier.

Serafin Dinges: Was da gemacht wird mit David. Dieser ganze Prozess der Identitätsfeststellung. Das hat was Absurdes. Dass der deutsche Staat Jahre an Zeit und Ressourcen darin investiert, um festzustellen, wer ein Mensch ist, der da gerade in Fleisch und Blut vor uns steht. Um das zu schaffen, werden immer neue Stufen der Eskalation erklommen. Der Staat dringt immer tiefer in Davids Privatsphäre ein. Egal, ob es zu einem Ergebnis führt oder nicht. Solange es nur nicht so aussieht, als würde man nichts tun. Und David? Der lebt gern in Deutschland. Der wollte hier eine Ausbildung machen, die Abendschule besuchen, vor allem arbeiten und dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Aber dann ist da noch der andere David, den wir über die Dokumente kennengelernt haben. Den der Staat konstruiert hat. Ein renitenter Ausländer, der ohne Erlaubnis eingereist ist und seit mehr als 15 Jahren mit ungeklärter Identität hier lebt und sich allen Anweisungen und Belehrungen des Staates immer nur widersetzt hat, der straffällig geworden ist und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Dieser David ist ein Stapel Akten, dem das eine richtige Dokument fehlt. Der Pass. Und er ist ein Problem, das der Staat einfach nicht loswird. Es sieht nicht so aus, als könnten die beiden Davids noch mal miteinander vereint werden. Fragt sich nur, ob es sich wirklich lohnt, so viel Zeit und Geld in den einen David zu investieren, während der andere sich komplett im Stich gelassen fühlt.

Serafin Dinges: Diese Geschichte. Deutschland gegen David. Sie hat kein Happy End. Sie hat nicht mal irgendein Ende. Sie hört einfach nicht auf. David darf nicht bleiben. David darf nicht gehen. Er darf nicht arbeiten und darf auch nicht kriminell sein, klar. Es darf ihn nicht geben. Aber es gibt ihn auch jetzt. Jetzt gerade. In dieser Sekunde, wenn ihr diesen Podcast hört. Das Land der Dichter und Denker, wie David das selbst nennt, dieses Land will nicht darüber nachdenken, was aus Menschen wie David werden soll. Und dann stellt sich SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz Ende 20 23 hin und sagt: Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.

Serafin Dinges: Systemeinstellungen ist eine Produktion von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Host und Producer bin ich, Serafin Dinges. Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck. Titelmusik von Daniel Laufer. Zusätzliche Musik von Blue Sessions und mir. Coverdesign: Lea Binsfeld. Besonderer Dank an Lara Seemann und Lena Schäfer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann helft ihr uns sehr, wenn ihr uns eine gute Bewertung gibt und empfehlt ihn gerne weiter. Bis zum nächsten Mal. Nächste Woche bei Systemeinstellungen:

Andrej Holm: Machst die Tür auf und da sind maskierte, uniformierte Menschen mit Waffen und einem Rammbock vor dir. Da sagst du ja nicht: Guten Morgen. Möchten Sie einen Kaffee? Kann ich Sie reinlassen? Was möchten Sie? Haben Sie sich in der Tür geirrt? Also all das, was man hätte sagen können. Es ist mir in dem Moment nicht eingefallen. Zumal wir auch dann ohne Zögern in unsere Wohnung eingedrungen sind.

Anne Roth: Also so, so ein Szenario, was du sozusagen als Aktivistin, als Linke weißt, dass es das gibt und immer denkst, das wird mir aber nicht passieren. Also ich bin ja jetzt nicht gefährlich. So, wenn es dir doch passiert, eine totale Fassungslosigkeit zu denken. Das ist jetzt ein schlechter Film. Das kann doch nicht wahr sein.

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