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Razzien und Festnahmen in Pirsûs

Auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft von Urfa stürmte die Polizei in den Morgenstunden mehrere Wohnungen in der Kreisstadt Pirsûs (tr. Suruç) und nahm vier Personen fest. Unter den Festgenommen befinden sich die Stadtratsmitglieder Müslüm Karak (DEM-Partei) und Mustafa Özbek (DEM-Partei) sowie Beritan Aslantekin und Abdulrezak Karak. Ihnen allen wird „Propaganda für eine Terrororganisation“ vorgeworfen. Der Paragraf wird zur breiten Inhaftierung jeglicher wirksamer Opposition genutzt. Das Teilen eines Artikels kann ausreichen, jahrelange Haftstrafen zu rechtfertigen.

Während der Razzia wurden Angehörige von Beritan Aslantekin durch Polizei misshandelt und bedroht. Auch die von der Strafprozessordnung vorgeschriebenen „neutralen Zeugen“ waren nicht anwesend. Dennoch beschlagnahmte die Polizei Bücher und Hefter mit dem Emblem der Partei der Demokratischen Regionen (DBP). Die Festgenommenen befinden sich derzeit auf der Polizeidirektion. Die Zahl der Festgenommenen könnte noch weiter steigen.

https://anfdeutsch.com/kurdistan/betagte-dorfbewohner-bei-militaroperation-in-xizan-festgenommen-42362 https://anfdeutsch.com/kurdistan/politische-festnahmen-in-gever-42326 https://anfdeutsch.com/kurdistan/Uberfallartige-razzien-in-lice-42303 https://anfdeutsch.com/kurdistan/vom-militar-getoteter-dorfbewohner-als-terrorist-denunziert-42320

 

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Wahlkampf in Curnê Reş und Pêr geht in Endrunde

Die Kommunalwahlen sind in den nordkurdischen Orten Pêr (tr. Akpazar) in der Provinz Dersim und Curnê Reş (Hilvan) in der Provinz Riha (Urfa) noch nicht vorbei. Am Sonntag wird erneut über das Kommunalparlament und die Ko-Bürgermeister:innen abgestimmt. In Pêr hatte die CHP mit vier Stimmen Vorsprung vor der AKP am 31. März gewonnen. Auf Widerspruch der AKP müssen die Wahlen nun wiederholt werden. Es tritt eine Dersim-Allianz aus CHP und DEM-Partei an. In Curnê Reş hatte die DEM-Partei mit deutlichem Vorsprung am 31. März gesiegt. Während die AKP trotz Wahlbetrugs nur 30,71 Prozent der Stimmen erhalten hatte, lag die DEM-Partei 33,2 Prozent deutlich vorne. Als das Ergebnis bekannt wurde, stürmten Verwandte des AKP-Kandidaten ein Wahllokal und verbrannten die Urnen. Dies diente der AKP als Vorwand, die Wahlen anzufechten. Daher finden am Sonntag erneut Wahlen statt.

Am Donnerstag versammelten sich viele Menschen in der strategisch wichtigen Kleinstadt Curnê Reş zu einer Kundgebung. Der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tuncer Bakırhan, erklärte: „Die Menschen in Curnê Reş werden am 2. Juni eine deutliche Antwort geben und einmal mehr beweisen, wo das kurdische Volk steht. Wir werden den Betrügern eine Lektion erteilen.“ Der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei hatte gemeinsam mit einer Delegation aus den Abgeordneten Ömer Öcalan, Pervin Buldan, Dilan Kunt Ayan, Sinan Çiftyürek sowie die Kandidat:innen Serhan Paydaş und Garip Yeşil eine Kundgebung in der Stadt abgehalten.

Besuch bei Saisonarbeiter:innen auf Baumwollfeldern

Bakırhan und die ihn begleitende Delegation besuchte auch die Saisonarbeiter:innen auf den Baumwollfeldern und sprach mit ihnen über ihre Probleme und die Ansätze der DEM-Partei gegen die Ausbeutung von Saisonarbeitskräften vorzugehen.

Am 2. Juni werden wir erneut gewinnen“

Anschließend fand eine Kundgebung vor dem Wahlbüro der DEM-Partei statt. In seiner Ansprache erinnerte Bakırhan an die ermordeten und verstorbenen kurdischen Politiker:innen aus Riha: „Muhsin Melik wurde bei einem heimtückischen Anschlag ermordet und gab sein Leben für das was wir heute erreicht haben. Ibrahim Ayhan war ein von ihnen gewählter Abgeordneter, er wurde nicht einen Tag lang in Ruhe lassen. Er verlor sein Leben im Exil. Feridun Yazar hat 30 Jahre seines Leben geopfert, um für die demokratischen Rechte des kurdischen Volkes zu kämpfen. Wir sprechen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit durch das Gedenken an diese drei Freunde allen unseren Genossinnen und Genossen aus, die ihr Leben verloren haben, während sie für die Sprache und die Identität des kurdischen Volkes eintraten, für ein würdiges und gleichberechtigtes Leben stritten. Sie mögen heute nicht mehr physisch unter uns sein, aber wir erneuern nochmals unser Versprechen an sie. Kein Opfer wurde umsonst gebracht, keine Mühe wurde umsonst ertragen. Das kurdische Volk hat trotz all der Unterdrückung 79 Stadtverwaltungen in Kurdistan gewonnen. Es hat all die Mühen und Opfer gebracht. Ihr sollt hoch leben.“

Der Gründer der Abteilung des Menschenrechtsvereins IHD in Riha, Muhsin Melik, war am 2. Juni 1994 an seinen von „unbekannten Tätern“ zugefügten Wunden gestorben. Vorher konnte er die „Unbekannten“ noch als Polizisten identifizieren. Ibrahim Ayhan wurde als im KCK-Verfahren Inhaftierter 2011 ins Parlament gewählt. Dennoch konnte er seine Entlassung zum Antreten seines Mandats erst 2014 durchsetzen. 2015 wurde er wiedergewählt. 2018 wurde ihm unter dem Vorwand, er habe durch das Teilen des Bildes von einem gefallenen YPG-Kämpfer „Terrorpropaganda“ betrieben, das Mandat entzogen. Er wurde zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt. Starb aber 2018 im Exil in Südkurdistan an einem Herzinfarkt. Feridun Yazar war ein politisches Urgestein der politischen Freiheitsbewegung in Riha. Er starb 2016.

Die Neuwahlen sind an sich schon Unrecht“

Bakırhan erklärte: „Seien sie versichert, dass die Menschen in Hilvan am 2. Juni die Stadtverwaltung zurückerobern werden, die ihnen gestohlen wurde. Jetzt tun sie [die AKP] so, als ob sie seit Jahren gute Dienste in Hilvan geleistet hätten, sie sprechen von echter Stadtverwaltung. Aber ihr Verständnis von Stadtverwaltung ist Korruption, Unregelmäßigkeit und Ungerechtigkeit. In den Verwaltungen, die von der AKP als echte Stadtverwaltungen bezeichnet werden, herrschen Mietwucher, Diebstahl und Korruption. Es gibt keine ordentlichen Straßen, keine Bürgersteige, kein Wasser, keine Dienstleistungen in den Rathäusern. Die Stadtverwaltungen, die wir von den Zwangsverwaltern übernommen haben, sind so tief in einem Schuldensumpf versunken, dass wir ihn auch in hundert Jahren nicht bezahlen können.

In den Stadtverwaltungen, die wir übernommen haben gab es keine Frauen, es gab keine Dienstleistungen und auch die Armen und Bedürftigen hatten keinen Platz. Wir werden denen, die uns betrügen, an der Wahlurne eine Lektion erteilen. Die Wiederholung der Wahlen allein ist bereits ungerecht.

Drei Tage vor der Wahl begannen nun Einstellungen über die Arbeitsagentur İŞKUR. Bakırhan sieht darin ein billiges Manöver: „Was soll damit schamlos zum Ausdruck gebracht werden? Sie sagen, gebt uns eure Stimmen, wir werden eure Kinder durch die IŞKUR in Arbeit bringen. Was für Lügner, ihr seid seit 22 Jahren an der Macht; warum habt ihr unsere Kinder bis jetzt nicht arbeiten lassen, aber drei Tage vor der Wahl findet ihr angeblich Arbeit für sie. Ihr seid Diebe und Rechtsbrecher ... Ihr denkt, dass die Jugend und die Arbeiter von Hilvan auf diese unter dem Vorzeichen von Gerechtigkeit und Entwicklung verkaufte Lüge hereinfallen werden. İŞKUR wurde hier in den Kreisverband der AKP umgewandelt. Aber IŞKUR ist keine Partei, sondern eine staatliche Institution. Das bedeutet, dass IŞKUR den Menschen zur Verfügung stehen muss. Die AKP stellt sich hin und sagt, dass sie Menschen über İŞKUR in Arbeit bringen werde. Sie werden eingestellt und nach drei Tagen vor die Tür gesetzt. Welches Versprechen hat die AKP bis jetzt erfüllt? Hat sie nicht Gerechtigkeit versprochen, als sie an die Macht kam. Hat es in der Geschichte der Türkei jemals ein so großes Unrecht gegeben, wie es den kurdischen Provinzen in den vergangenen 22 Jahren widerfahren ist?“

Regierungsbeteiligung der DEM-Partei ist nah“

„Wir haben ihnen bei den Kommunalwahlen eine große Lektion erteilt", sagte Bakırhan und fuhr in seiner Rede fort, „Die Tage, an denen wir als DEM-Partei Teil der Regierung der Türkei sein werden, sind nicht mehr weit entfernt. Hat irgendjemand am 31. März einen so großen Verlust für die AKP erwartet? Aber was haben wir getan? Das geehrte kurdische Volk, die Völker der Türkei, die Frauen und Jugendlichen haben denjenigen, die bei der Wahl betrogen haben, eine große Lektion erteilt. Die AKP hat die Wahlen in der ganzen Türkei und in vielen Teilen Kurdistans verloren, und jetzt behauptet sie, dass sie Hilvan einnehmen werde. Die Menschen werden denen, die ihre Identität ablehnen und sie als Terroristen denunzieren, an der Wahlurne die notwendige Antwort geben. Hilvan, du bist ehrenhaft, du bist mutig, du bist stark, du hast dich 40 Jahre lang nicht der Unterdrückung, dem Faschismus, der Repression, dem Kerker, der Armut und dem Elend gebeugt, und du wirst dich auch jetzt nicht den Lügen beugen. Betrachte Hilvan heute, gibt es hier auch nur einen einzigen Ort, an den Frauen gehen können, um sich zu vernetzen oder sich kulturell und künstlerisch zu betätigen, wo die von ihnen produzierten Waren auf den Markt gebracht werden können? Wir werden Arbeitsmöglichkeiten für unsere Jugend und die Frauen schaffen. Die AKP arbeitet für ihre Familien und in ihre eigenen Taschen. Wir versprechen, dass wir für die Menschen in Hilvan arbeiten werden.“

Die AKP hat der Türkei den Frieden genommen“

Der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei betonte weiter: „Sie sagen, dass der Frieden gehe, wenn DEM komme. Ihr Lügner, ihr habt den Frieden in diesem Land zerstört, ihr! Ihr habt die Gefängnisse mit Kurden gefüllt, Kurden dürfen keine Konzerte geben, können ihre Sprache nicht benutzen. Ihr führt überall dort Operationen durch, wo Kurden sind, ihr seid die Kriegstreiber. Wo immer es einen Kurden gibt, seht ihr ihn als Feind. Ihr seid die größte Quelle der Unruhe in diesem Land. Bis zum Abend stehen sie auf dem Podium, mit dem Mikrofon in der Hand, und wedeln mit dem Finger gegen die Kurden. Seid versichert, dass es keine andere Partei gibt, die so viel Unruhe stiftet wie die Regierungspartei. Sie hat so viel Unruhe in der Türkei gestiftet. Die Menschen in der Türkei haben die Nase voll von ihr. Wir sind der Garant für Frieden, Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben. Es gibt Frieden in unseren Kommunen. Es gibt Gerechtigkeit in unseren Kommunen. Seien Sie sicher, dass unsere Freunde, wenn sie am 2. Juni gewählt werden, nicht zwischen denen diskriminieren werden, die sie gewählt haben und denjenigen, die das nicht getan haben. Die Tür der Gemeinde wird für alle Einwohner von Hilvan offen sein. Wer immer eine Dienstleistung wünscht, wer immer eine Dienstleistung braucht, wird vorrangig behandelt. Unsere Ko-Bürgermeister:innen sind hier, wenn irgendwelche Mängel festgestellt werden, sind unsere Telefone rund um die Uhr erreichbar. Seien sie sicher, dass wir, wenn wir eine Ungerechtigkeit, ein Unrecht, eine ungesetzliche Handlung sehen, die ersten sein werden, die sie angehen werden. Aber wir haben es mit einer Regierung zu tun, die vor all den Unrechtmäßigkeiten und Korruption, die von der bisherigen Zwangsverwaltung von Hilvan begangen wurde, die Augen verschlossen hat.“

Auch in Pêr stehen Wahlen bevor

Auch im Bezirk Pêr in der nordkurdischen Provinz Dersîm stehen Wahlen bevor. Am 2. Juni muss der Kommunalwahlgang wiederholt werden. Am Donnerstag besuchte die Delegation der DEM-Partei den Bezirk Pêr und die umliegenden Weiler. Die DEM-Parteimitglieder und Kandidat:innen für das Amt der Ko-Bürgermeister:innen, Naciye Aslan und Orhan Çelebi, sprachen begleitet von Doğan Hatun, dem Ko-Bürgermeister der Stadt Amed, und der Abgeordneten der DEM-Partei, Ayten Kordu, mit den Menschen der Region.

Die Menschen in Pêr werden das Richtige tun“

Ayten Kordu unterstrich, dass man Pêr wie die anderen Kommunen auch gewinnen werde und sagte: „Der Widerstand gegen die Zwangsverwaltung von Wan war eines der größten Beispiele dafür. Wir wissen, dass wir an diesen Regionen einen wichtigen Dienst erbringen werden. Wir haben 78 Stadtverwaltungen gewonnen, eine davon ist Amed. Diese Stadtverwaltungen stehen uns heute zur Seite und werden uns auch in Zukunft unterstützen. Wir bitten sie alle, in dieser Hinsicht zu arbeiten. Wir denken, dass auch die Bevölkerung von Pêr ihrer Verantwortung nachkommen wird, um diese usurpierte Stadtverwaltung zurückzuerobern.“

Die Kurden sind nicht mehr wie früher“

Anschließend ergriff der Ko-Bürgermeister von Amed, Doğan Hatun, das Wort und erklärte: „Der Wille unseres Volkes wurde von den Zwangsverwaltern geraubt. Wenn es hier auch ein Ende der Politik der Zwangsverwaltung sehen will, dann sollte es seinen Blick nach Wan wenden. So wie unser Volk dort als Ganzes seinen Willen eingefordert hat, so wird es, wenn ein solcher Versuch irgendwo wieder unternommen wird, ebenfalls entschlossen dagegen auftreten. Die Regierung hat erkannt, dass die Kurden nicht mehr die Kurden von einst sind. Die Zwangsverwalter haben einen großen Scherbenhaufen hinterlassen, aber unsere Kraft und Macht reicht aus, den Menschen überall dort, wo wir eine Stadtverwaltung gewinnen, zu dienen. Wir werden denen, die uns unseren Willen rauben wollen, mit unserer Praxis entgegentreten.“

https://anfdeutsch.com/kurdistan/dem-partei-startet-wahlkampf-in-curne-res-42107 https://anfdeutsch.com/kurdistan/zwangsverwalter-uber-curne-res-eingesetzt-41741 https://anfdeutsch.com/aktuelles/wahlen-in-zwei-landkreisen-in-riha-annulliert-41692 https://anfdeutsch.com/kurdistan/dem-wahlsieg-in-curne-res-aberkannt-41647

 

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Klage gegen höchstes Gericht: Das geheime Redemanuskript des Verfassungsrichters

FragDenStaat - 31. Mai 2024 - 10:00

Das höchste deutsche Gericht will geheim halten, was es mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besprochen hat – ausgerechnet zum Thema Informationszugangsrechte. Dagegen klagen wir.

Foto-Credit: Eigene Bearbeitung; Nicola Quarz, CC BY-SA 4.0

Großer Besuch in Karlsruhe: Im Juni 2023 empfing das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Delegation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Auf dem Programm des Treffens stand das FragDenStaat-Thema schlechthin: Informationszugangsrechte.

Wir wollen wissen, was das höchste deutsche Gericht mit dem EGMR besprochen hat. Deshalb haben wir von unseren Informationszugangsrechten Gebrauch gemacht und eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an das Gericht gestellt. Doch das Gericht weigert sich, uns die Protokolle, Handouts und sonstigen Materialien des Treffens zu geben. Deswegen verklagen wir das Bundesverfassungsgericht.

Das Bundesverfassungsgericht diskutiert mit seinem Chef

Auch das höchste deutsche Gericht sollte transparent machen, mit wem es sich zu Fachgesprächen trifft und was dabei diskutiert wird. Besonders wichtig ist das, weil der EGMR die Instanz über dem Bundesverfassungsgericht ist. Wer mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe keinen Erfolg hat, kann mit einer Menschenrechtsbeschwerde nach Straßburg gehen.

Der EGMR überwacht die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in 47 europäischen Mitgliedsstaaten. Dazu zählt auch das Recht auf Informationsfreiheit, das von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weitaus offener für Informationsfreiheit gezeigt als das Bundesverfassungsgericht. Dementsprechend interessant ist es, worüber genau sich die beiden Gerichte beim Thema Informationszugangsrechte ausgetauscht haben.

Ein Blumenstrauß an Ablehnungsgründen

Auf unsere Anfrage übersandte das Bundesverfassungsgericht lediglich das Programm und die Tagesordnung des Treffens mit dem EGMR. Die Dokumente gaben aber keinerlei Einblick in konkrete Inhalte der Gespräche. Das Manuskript eines Vortrags von Bundesverfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff zum Thema Informationszugangsrechte möchte das höchste deutsche Gericht nicht herausgeben.

Die Begründung des Gerichts: Das Fachgespräch über Informationszugangsrechte sei Teil seiner rechtsprechenden Tätigkeit – obwohl es nicht um ein Gerichtsverfahren ging. Außerdem sei das erwähnte Redemanuskript nur als Entwurf vorhanden, an dem noch minimale Änderungen vorgenommen worden sein könnten. Schließlich verhindere das Urheberrecht eine Herausgabe des Textes, den ein Bundesverfassungsrichter während seiner von Steuergeldern bezahlten Arbeitszeit geschrieben hat. Ergänzend verwies das Gericht noch darauf, dass das gesamte Fachgespräch über Informationszugangsrechte vertraulich gewesen sei – auch wenn Vertraulichkeit im deutschen Informationsfreiheitsgesetz gar nicht als möglicher Ablehnungsgrund aufgeführt wird.

Unterstützung vom Bundesbeauftragten

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kam zu dem Ergebnis, dass die Ablehnungsgründe des Bundesverfassungsgerichts nicht überzeugend seien und versuchte über Monate hinweg zwischen uns und dem Gericht zu vermitteln. Das BVerfG bleibt jedoch weiter dabei, dass es die Unterlagen nicht herausgeben will. Dies zeigt, wie wenig Macht die Beauftragten für Informationsfreiheit tatsächlich haben, wenn Behörden sich konsequent weigern, IFG-Anfragen zu beantworten.

Die Anfrage an das Bundesverfassungsgericht wurde auch in einer hörenswerten Episode des Podcasts „Follow the Rechtsstaat“ von Niko Härting und Stefan Brink, dem ehemaligen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Baden-Württemberg, erörtert. Die beiden Experten kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass das Bundesverfassungsgericht das Manuskript herausgeben sollte.

Zur Anfrage

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Katja Pink Rechtsanwältin _________________________________________________________________________________ Pink.• Rechtsanwältin • Hohenzollerndamm• 10717 7 Berlin Anwaltsbüro Hohenzollerndamm 7 Verwaltungsgericht Karlsruhe 10717 Berlin Nördliche Hildapromenade 1 76133 Karlsruhe Telefon030 – 88 62 48 59 Telefax030 – 88 62 48 67 E-Mailkanzlei@rechtsanwaeltin -pink.de www.rechtsanwaeltin -pink.de Berlin,21. Mai 2024 Mein Az: P23K243 pi D1/13639 Klage ██ ███ ▍███████████ ▍ ████ ▍████ ▍██████████████ , ▍ - Kläger - Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin Katja Pink, Hohenzollerndamm 7, 10717 Berlin, gegen die Bundesrepublik Deutschland , vertreten durch das Bundesverfassungsgericht, Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe, - Beklagte - wegen Antrag auf Zugang zu Informationen nach dem IFG Honorarkonto IBAN DE57 1001 0010 0728 5371 35 BIC PBNKDEFF Postbank Ndl der Deutsche Bank 1

Gegenstandswert (vorläufig) 5.000,- € Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem Antrag, I. unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheides des Bundesverfassungsgerichts vom 08. August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides desselben Gerichts vom 16. April 2024 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger - gemäß seinem Antrag vom 23. Juni 2023 - Zugang zu den folgenden Informationen durch Übersendung von Kopien, Ablichtungen oder Ausdrucken zu gewähren: Von Richtern, sonstigen Bediensteten oder Mitarbeitern des Bundesverfassungsgerichts verfasste bzw. gefertigte Manuskripte zu Informationszugangsrechten für das Fachgespräch, das am 19. Juni 2023 mit Delegierten des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stattfand. II. der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Eine entsprechende Prozessvollmacht wird als Anlage K 0 eingereicht. Sachverhalt Der Kläger begehrt vom Bundesverfassungsgericht (im Folgenden: BVerfG) Zugang zu den ihrerseits erstellten Manuskripten zum Thema Informationszugangsrechte für das Fachgespräch vom 19. Juni 2023 mit Delegierten des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Mit E-Mail vom 23. Juni 2023 (Anl. K 1, S. 1) beantragte der Kläger beim BVerfG gestützt auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) die Übersendung von Folgendem: 2

„Sämtliche Präsentationen, Aufzeichnungen, Handouts, Protokolle und sonstigen Materialien, die der Vorbereitung des Fachgesprächs mit den Mitgliedern des EGMR am 19.6. zum Thema Informationszugangsrechte diente oder während oder danach entstanden ist.“ Hierbei nahm der Kläger Bezug auf die Pressemitteilung Nr. 55/2023 des BVerfG vom 20. Juni 2023. Danach habe am 19. Juni 2023 eine Delegation des EGMR unter Leitung seiner Präsidentin Dr. Síofra O’Leary das Bundesverfassungsgericht besucht. Die Fachgespräche hätten die Rezeption von Unionsrecht in der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG sowie Fragen der Informationszugangsrechte und der richterlichen Unabhängigkeit behandelt. - vgl. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/ DE/2023/ bvg23-055.html - Es wird auf den Antrag vom 23. Juni 2023 auf Seite 1 f. der Anlage K 1 Bezug genommen. Mit Bescheid des BVerfG vom 08. August 2023 (Anl. K 2) wurde dem Antrag hinsichtlich der Aufzeichnung der Tagesordnung und des Programms (Anl. K 3) stattgegeben und im Übrigen abgelehnt. Die Ablehnung wurde damit begründet, die weiteren vorhandenen Aufzeichnungen lägen in Form von Manuskripten vor, die im vorliegenden Fall dem Begriff der Notizen unterfielen, die gemäß § 2 Nr. 1 S. 2 IFG nicht zu den amtlichen Informationen gehörten. Notizen stellten Aufzeichnungen zur Stützung des Gedächtnisses und dienten z. B. der Vorbereitung später zu fertigender Vermerke, Stellungnahmen, Entscheidungen oder Berichte. Kennzeichnend sei der vorläufige, unverbindliche Charakter der Aufzeichnung. Die Manuskripte hätten der Vorbereitung später durchzuführender Übersetzungstätigkeit während der Veranstaltung gedient. Die Manuskripte wurden damit nicht Bestandteil des Vorgangs und dienten den Dolmetscherinnen lediglich als bloße Gedächtnisstütze zur Vorbereitung auf die Übersetzungstätigkeit. Darüber hinaus berief sich das BVerfG auf den Schutz der Vertraulichkeit der Beratung von Behörden nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG mit dem Hinweis, dass dieser auch noch nach Abschluss eines Verfahrens oder Entscheidungsprozesses anwendbar sei. Vorliegend gehe es um den Schutz eines unbefangenen und freien Meinungsaustauschs innerhalb von und zwischen verschiedenen Behörden, um eine effektive, funktionsfähige und neutrale 3

Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Die Veranstaltung sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen geschützten Diskussionsraum ermöglichen. Die Manuskripte bildeten den Inhalt der Besprechung ab und ließen gesicherte Rückschlüsse auf die konkrete Meinungsbildung der Verfasser zu. Das Bekanntwerden der Manuskripte stünde daher einer sachlich förderlichen Kommunikation entgegen. Bei einer nachträglichen Offenlegung ggfs. auch kontroverser Erörterungen oder Positionierungen wäre ein offener Austausch in einem geschützten Raum künftig nicht mehr möglich. - Ausgangsbescheid vom 08. August 2023 (Anl. K 2) - Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 13. August 2023 beim BVerfG Widerspruch (Anl. K 4) Zur Begründung führt er an, die streitgegenständlichen Manuskripte seien amtliche Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 S. 1 IFG, da diese von den Diskussionsteilnehmern für die Vorbereitung der Dolmetscherinnen und nicht von diesen selbst verfasst wurden. Allein die Tatsache, dass die Manuskripte vor der eigentlichen Veranstaltung und nicht etwa während der Veranstaltung gefertigt wurden, spreche zudem dafür, dass es sich hierbei nicht um „Schmierzettel“ bzw. Notizen handeln könne. Im Einzelnen führte er aus: „Notizen umfassen solche Aufzeichnungen, die als kurzzeitige Gedankenstütze und keinem längerfristigen Zweck dienen (Jastrow/Schlatmann Rn. 14; Sitsen IFG Bund S. 147). Umgangssprachliches Synonym ist der „Schmierzettel“ (Sitsen IFG Bund S. 147). Typische Merkmale für Notizen sind das Weglassen von Förmlichkeiten (Aktenzeichen, Betreff, Gliederung, Unterschrift), die handschriftliche Abfassung und eine nur fragmentarische, skizzenhafte und stichwortartige Darstellung (BPRS/Scheel Rn. 35). Auch Tonbandaufzeichnungen, die lediglich als ein Hilfsmittel für die Protokollerstellung dienen sollen, sind wie Notizen zu behandeln (VG Berlin BeckRS 2016, 136968). Keine bloßen Notizen sind Kurzprotokolle der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemiebekämpfung, wobei unerheblich ist, dass diese keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben und nicht mit den anderen Teilnehmern abgestimmt wurden (VG Berlin COVuR 2022, Seite 466 Randnummer 13). Dasselbe gilt für als Zwischenergebnis für die Dauer des Rechenvorgangs gespeicherte Informationen, wenn der entsprechende Zwischenspeicher beim nächsten Rechenvorgang überschrieben wird (VG Berlin BeckRS 2016, BECKRS Jahr 51724). Demgegenüber sind die Vermerke der Aktenführer und Randbemerkungen auf den Akten als Teil der Originalakte und nicht als Notizen zu bewerten (BPRS/Scheel Rn. 35; Schoch IFG § 2 Randnummer 66)“ (BeckOK InfoMedienR/Debus IFG § 2 Rn. 16) … 4

Ebenso argumentiert auch Schoch in Schoch IFG/Schoch, 2. Aufl. 2016, IFG § 2 Rn. 66: „Notizen sind allein den Zwecken des Verfassers gewidmet und stellen Aufzeichnungen zur Stützung des Gedächtnisses dar; sie dienen z. B. der Vorbereitung später zu fertigender Vermerke, Stellungnahmen, Entscheidungen oder Berichte.“ In diesem Sinne entschied auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 7. Januar 2015 – 1 B 1260/14 –, juris Rn. 26f. m.w.N.“ Es stehe auch nicht zu befürchten, dass künftige Fachgespräche des BVerfG bei einer Herausgabe der streitgegenständlichen Dokumente beeinträchtigt würden. Die Ausführungen des BVerfG würden den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegungslast nicht genügen. So habe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem ähnlichen Fall angenommen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2020 - OVG 12 B 11.19 -, juris, Rn. 34): „(bb) Es ist ferner nicht davon auszugehen, dass die zukünftigen Beratungen des Beirats aufgrund einer Veröffentlichung der Protokolle beeinträchtigt werden. Die generelle Annahme der Beklagten, bei einer drohenden Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen sei eine effektive Arbeit des Beirats nicht mehr sichergestellt, da diese eine kontinuierliche Atmosphäre der Offenheit und Unbefangenheit erfordere, genügt nicht, eine Beeinträchtigung anzunehmen.“ Hinsichtlich der Fachgespräche des BVerfG ließe sich auf Grund der Mitwirkung der Gesprächsteilnehmer an Gerichtsentscheidungen, die Gegenstand des öffentlichen Diskurses sind, die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Herausgabe von Sitzungsprotokollen eines Fachbeirats auf den vorliegenden Fall übertragen (Urteil vom 05. November 2020, a. a. O., Rn. 34 - 36): „Bei Vorgängen, die - wie Verlaufsprotokolle - einer typisierten Betrachtungsweise zugänglich sind, kann die prognostische Einschätzung nachteiliger Auswirkungen zwar auch auf allgemeinen Erfahrungswerten beruhen (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2017, a.a.O. Rn. 17 und vom 13. Dezember 2018, a.a.O. Rn. 26). Das rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, die Tätigkeit des Beirats sei bei einer Offenlegung seiner Sitzungsprotokolle generell gefährdet. 5

Dagegen spricht bereits, dass die Mitglieder des Beirats anerkannte, in jeder Hinsicht unabhängige Wissenschaftler sind, für die mit Blick auf das die Wissenschaft kennzeichnende Bemühen um Wahrheit (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. Januar 1994, a.a.O. Rn. 46) der öffentliche Diskurs eines Themas mit der damit verbundenen Gefahr der Kritik Teil ihrer beruflichen Tätigkeit ist. … Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass im Rahmen einer Diskussion auch vorläufige und nicht ausgereifte, entsprechend angreifbare Argumente in die Auseinandersetzung eingebracht werden können. Mit dieser Situation sind Wissenschaftler jedoch auch bei öffentlichen Tagungen konfrontiert, ohne dass sich daraus generelle Schlussfolgerungen in Bezug auf ihre Bereitschaft zu Wortbeiträgen ziehen lassen dürften. Im Übrigen erscheint zweifelhaft, dass es der Typik der Diskussion in den Sitzungen des Beirats entspricht, dort gedanklich wenig vorbereitete Diskussionsbeiträge einzubringen, da die Themen der Tagesordnung einer Sitzung während der vorherigen Tagung bestimmt werden. Auch die Einbringung von Stellungnahmen, die mit Blick auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit eine besondere Vertraulichkeit erfordern, dürfte mit Blick darauf, dass die Mitglieder des Beirats sich mit hohem fachwissenschaftlichen Wissen mit den von ihnen gewählten Themen sachlich auseinandersetzen, nicht die Regel sein.“ - Widerspruch mit Schreiben vom 13. August 2023, Anl. K 4 - Der vom Kläger angerufene Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (im Folgenden: BfDI) bat das BVerfG um eine Stellungnahme mit dem Hinweis, dass er die klägerseits erhobenen Einwände zum Vorliegen amtlicher Informationen im Sinne von § 2 Nr. 1 S. 1 IFG sowie hinsichtlich des Ausschlussgrundes nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG für zutreffend erachte. - Schreiben des BfDI vom 16.11.2023, Anl. K 5 - Nachdem das BVerfG im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme abschließend mitgeteilt hatte, dass es an seiner Auffassung, es bestehe kein Anspruch auf Herausgabe der streitgegenständlichen Unterlagen, festhalte, wurde das Vermittlungsverfahren mangels Aussicht auf Erfolg vom BfDI nicht weitergeführt. - Schreiben des BfDI vom 14.03.2024, Anl. K 6 - 6

Mit Bescheid vom 16. April 2024 (im Folgenden: WB, Anl. K 7) wies das BVerfG den Widerspruch mit der ergänzenden Begründung zurück, dass der Anwendungsbereich des IFG nicht eröffnet sei. Die Fachgespräche könnten nicht den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben zugeordnet werden. Es fehle an der nach § 1 Abs. 1 S. 2 IFG erforderlichen positiven Feststellung, das BVerfG nehme mit den Fachgesprächen öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahr, wie dies bei den klassischen Aufgaben der Justizverwaltung bspw. der Verwaltung der Gerichtsbibliothek der Fall sei. Die Fachgespräche stellten vielmehr eine verfassungsgerichtliche Tätigkeit der Richterschaft dar. Sie dienten ihr zur „gemeinsamen Rechts-, Fort- und Meinungsbildung“ und sei damit im weitesten Sinne entscheidungsvorbereitende Tätigkeit für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, da diese auf Rechtsvergleichung als Auslegungsmethode bei der Interpretation des Grundgesetzes angewiesen sei. - vgl. WB, S. 6, Anl. K 7 - Rechtsvergleichung erfolge aber nicht nur durch die Lektüre ausländischer Gerichtsentscheidungen, sondern auch auf Grundlage direkten Gedankenaustauschs. Demgemäß finde ein ständiger internationaler Diskurs zwischen den Verfassungsgerichten statt (Hierzu auch Baer, JöR 63 (2015), 389,390, Voßkuhle/Jle, ZaöRV 79 (2019), 481, 497 f., Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung, 2018, S 4 74 ff.). Die Fachgespräche bildeten regelmäßig einen geschützten Raum, in dem aktuelle Rechtsfragen diskutiert und eigene Entscheidungen erläutert werden könnten. Auch wenn sie nicht unmittelbar der Beratung der konkreten Verfahren dienten, bereiteten sie doch auf einer „vorgelagerten abstrakten Ebene konkrete Rechtsprechung vor“. - vgl. WB, S. 10, Anl. K 7 - Ergänzend zu dem hilfsweise geltend gemachten Schutz der Beratungen von Behörden gemäß § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG wurde auch der Schutz der internationalen Verhandlung nach § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG sowie die entsprechende Anwendung des Grundsatzes des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung angeführt und hierzu vertiefend erläutert (vgl. WB, 13 f., Anl. K 7): Das gesamte IFG sei am Leitbild der Exekutive, also an der Bundesregierung und der klassischen Verwaltungstätigkeit der Behörden orientiert. Die Grundsätze des IFG müssten aber für den „atypischen“ Bereich der Verwaltungstätigkeit des BVerfG entsprechend gelten. Bei sinngemäßer Anwendung ließen sich die Fachgespräche jedenfalls als Beratungen im Sinne von § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG oder wegen ihres internationalen Charakters als Verhandlungen im Sinne von § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG qualifizieren bzw. einem geschützten Kernbereich interner Willensbildung zuordnen, der dem für die Bundesregierung anerkannten 7

Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung entspreche. - vgl. WB, S. 13 f., Anl. K 7 - Die Fachgespräche dienten dem innerhalb des europäischen Verfassungsgerichts- verbunds zwingend notwendigen fachlichen Austausch zwischen dem EGMR und dem Bundesverfassungsgericht, ohne welchen beide Institutionen der ihnen gemeinsam obliegenden Aufgabe der Gewährleistung von Grundrechtsschutz in Deutschland und Europa nicht sinnvoll erfüllen könnten. - vgl. WB, S. 14, Anl. K 7 - Das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungs- und Höchstgerichte der europäischen Nationalstaaten, der Gerichtshof der Europäischen Union und der EGMR bildeten einen Europäischen Verfassungsgerichtsverbund. Sie würden gerade auch aufgrund fortschreitender Internationalisierung und Europäisierung in wechselseitig abgestimmter Weise Recht sprechen, wobei inhaltlich divergierenden Entscheidungen nur selten getroffen würden (vgl. Voßkuhle, „Der europäische Verfassungsgerichtverband " in ders. Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte S. 265 (286)). - vgl. WB, S. 14, Anl. K 7 - Die mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichte kooperierten nicht nur im Rahmen des Verfassungsgerichtsverbunds mit dem Gerichtshof der Europäischen Union und dem EGMR, sondern auch untereinander etwa durch die persönliche Interaktion ihrer Richter sowie insbesondere durch die wechselseitige Rezeption ihrer Rechtsprechung. Dadurch werde der Verbund durch Gedanken- und Erfahrungsaustausche auch zum Lernverbund. - vgl. WB, S. 14 f., Anl. K 7 - In Art. 23 GG, der den Verfassungsauftrag festlege, bei der Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, sei die angestrebte Strategie der internationalen Zusammenarbeit bereits angelegt. Die Obliegenheit staatlicher Organe, „die deutschen Grundrechte unter der Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung der EMRK und im Einklang mit der Straßburger Rechtsprechung auszulegen“, sei damit verfassungsrechtliche Pflicht. Gerade im europäischen Raum würden die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen Grundkanon an übereinstimmenden Werten aufweisen, sodass sich ein gemeinsamer Austausch zur Auslegung von Grundrechten, zum Umgang mit bestimmten rechtlichen Problemen, zu Positionen des EGMR und deren Rückwirkungen auf die nationale Rechtsprechung der europäischen Mitgliedstaaten nicht nur als äußerst hilfreich, sondern vor allem als notwendig erweise (Voßkuhle, Rechtsprechung als Herausforderung - Zur Bedeutung des Völkerrechts und der Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ZaöRV 2019, 481 (485)). - vgl. WB, S. 15 f., Anl. K 7 - 8

Dieser der „Rechtsprechung im engeren Sinne vorausgehende Austausch“, der u.a. im Rahmen von Kongressen und Fachgesprächen stattfände, diene folglich einer gemeinsamen Erfüllung von Rechtsprechungsaufgaben. Die einzelnen Gerichte seien darauf angewiesen, Formate unterschiedlichster Art zu etablieren, in denen „deren Mitglieder jenseits ihrer Urteile und Beschlüsse miteinander ins Gespräch“ kämen und „Rechtsfragen diskutieren“ könnten. Selbstverständlich könne auch bei diesen Gesprächsformaten nicht generell festgelegt werden, dass sämtliche Informationen vom Informationsfreiheitsanspruch ausgeschlossen sind. Ebenso wenig könne ein Informationsanspruch pauschal bejaht werden. Dem BVerfG sei in diesen Fällen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, wie er auch der Bundesregierung im Rahmen der Gefährdung außenpolitischer Interessen zustünde („Schoch IFG § 3 Rn. 31“). - vgl. WB, S. 16, Anl. K 7 - Der bilaterale Austausch sei essentiell für die Funktionsfähigkeit der Justiz. Ein Informationsanspruch, der die geschützten Formate unmöglich machte, hätte eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Folge. Das Bekanntwerden der Manuskripte stehe einer sachlich förderlichen Kommunikation entgegen. - vgl. WB, S. 17, Anl. K 7 - Die Fachgespräche zu den Themen „Informationszugangsrechte", ,,Rezeption von Unionsrecht in der Rechtsprechung von EGMR und BVerfG" sowie „Richterliche Unabhängigkeit", sei für die Rechtsprechung beider Gerichte relevant. Die streitgegenständlichen Fachgespräche seien daher darauf ausgerichtet gewesen, die notwendige Vertraulichkeit zu bieten. Die an den Fachgesprächen teilnehmenden Richter hätten sich in Annahme dieses geschützten vertraulichen Rahmens ausgetauscht und sich dabei darauf verlassen, dass im Nachgang eine Veröffentlichung nicht erfolgt. So käme es - zumindest in den Bereichen, in dem man einen solchen geschützten Rahmen setze - in Zukunft zu einer „Flucht in die Mündlichkeit", indem auf sämtliche Hilfsmittel, die später von einer potentiellen Veröffentlichung bedroht wären, verzichtet werde, was den fachlichen Austausch und fundierte Diskussionen zusätzlich erschweren würde - vgl. WB, S. 17 f., Anl. K 7- Darüber hinaus seien die streitgegenständlichen Manuskripte lediglich als Gedächtnisstützen zu qualifizieren, die weiterhin als Entwürfe im Sinne von § 2 Nr. 1 S. 2 IFG anzusehen seien, „auch wenn diese die Sphäre des Verfassers verlassen“ hätten. Die Dolmetscherinnen seien im Rahmen der Simultanübersetzung während der Veranstaltung bloße Boten, die 9

keine eigenen Willenserklärungen, sondern die „Gedanken und Ansichten“ der Verfasser der Manuskripte übermittelten (Stoffels, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB § 164 Rn. 47). Sofern man annehme, dass die streitgegenständlichen Manuskripte nicht nur unmittelbar als Aufzeichnungen zur Stützung des Gedächtnisses der Verfasser selbst dienten, so wären die Dolmetscherinnen gleichsam als ihre „verlängerte[n] Arm[e]“ anzusehen, als würden die Verfasser die streitgegenständlichen Manuskripte „als eigene Gedächtnisstütze verwenden“. - vgl. WB, S. 18, Anl. K 7 - Die als Gedächtnisstütze für die Dolmetscherinnen übermittelten Manuskripte seien überdies auch nicht aktenrelevant. Die Unterlagen dienten ausschließlich als Hilfe für die simultane Übersetzung und hätten für das BVerfG keinen darüber hinausqehenden Informationswert. Sie seien daher als Weglegesachen nach § 10 Abs. 1 S. 2 RegR zu qualifizieren (vgl. Anlage 1 der RegR). Bloße Manuskripte, welche lediglich den Dolmetscherinnen zur Vorbereitung dienten, seien für einen späteren Nachweis der Vollständigkeit, zur Nachvollziehbarkeit und für die Transparenz des Verwaltungshandelns innerhalb der Verwaltung und gegenüber Dritten gerade nicht aktenrelevant. - vgl. WB, S. 18 f, Anl. K 7 - Im Übrigen würde der begehrten Herausgabe der absolute Schutz des geistigen Eigentums gemäß § 6 S. 1 IFG entgegenstehen, da das Erstveröffentlichungsrecht weiterhin bei den Verfassern liege. Eine Veröffentlichung könne vorliegend nicht schon deshalb angenommen werden, weil die Manuskripte den Teilnehmern der Veranstaltung bekannt waren, welche allesamt Mitglieder des BVerfG oder des EGMR waren. Insoweit handele es sich hierbei gerade nicht um einen undefinierbaren Personenkreis im Sinne einer Veröffentlichung gemäß § 15 Abs. 3 UrhG. - vgl. WB, S. 19 f., Anl. K 7 - Zwar stehe einem Anspruch auf Informationszugang das Urheberrecht dann nicht entgegen, wenn die informationspflichtige Stelle über ein urheberrechtliches Nutzungsrecht verfügt, dass die Gewährung des Informationszugang nach dem IFG umfasst. Ein entsprechendes Nutzungsrecht sei dem BVerfG aber nicht eingeräumt worden. - vgl. WB, S. 20 f., Anl. K 7 - Zweck der Übersendung der streitgegenständlichen Manuskripte an das BVerfG sei die Vorbereitung der Simultanübersetzung durch die Dolmetscherinnen während der Veranstaltung gewesen. Ein darüber hinausgehender Zweck sei nicht vereinbart worden. Das Nutzungsrecht beziehe sich damit ausschließlich auf die Nutzung zur Vorbereitung der Übersetzungstätigkeit. Ein darüber hinausgehender Zweck sei nicht vereinbart worden. Das Nutzungsrecht beziehe sich damit ausschließlich auf die Nutzung zur Vorbereitung der 10

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Kategorien: Externe Ticker

Wir sind Ukraine!

Die Ukraine ist ein Hort der Freiheit und der Demokratie, die EU pflegt ihren Garten Eden und Boris Pistorius ist Pazifist. Rückblicke, Ausblicke und Anmerkungen zum blaugelben Stellvertreter-Patriotismus unserer Politik und unserer Medien. Von Rupert Koppold.

Achtung! Die folgenden Zitate haben sich erledigt! Sie sind ungültig, sie sind nur noch: Vorkriegsgeschwätz. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) etwa schrieb am 22. April 2019 über die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine:

„Alles, nur nicht noch mehr Poroschenko, das war die zentrale Botschaft dieser Wahl. Doch Wolodymyr Selenskys kometenhafter Aufstieg ist ebenfalls Ausdruck des kranken ukrainischen Systems: Er war nur möglich, weil ukrainische Medien von Oligarchen dominiert werden, die bestimmen, wer in ihre Fernsehsender kommt – und wer nicht…“

Ja, das waren manchmal verwirrende Zeiten, als die proukrainisch-publizistische NATO-Einheitsfront ihre Stellungen noch nicht ganz gesichert hatte!

Einen Tag später legte die Zeitung sogar nach und schrieb, dass der Oligarch Ihor Kolomoisky nicht nur Selenskyj ins Amt gehievt, sondern auch faschistische Söldner für den Kampf im Donbas angeheuert hatte:

„Auch als Kolomoisky, jetzt in der Ukraine wichtigster Wahlhelfer des neuen Präsidenten Wolodymyr Selensky, zu Beginn des Krieges gegen Russland Anfang 2014 zum Gouverneur seiner Heimat, der Region Dnipro, ernannt wurde, pflegte er den robusten Stil, der ihn zu einem der gefürchtetsten Geschäftsleute des Landes gemacht hatte. Im Kampf gegen die Russen bezahlte Kolomoisky den Aufbau der Freiwilligenbataillone ,Dnipro‘ und ,Asow‘ und bot seinen Männern 10 000 Dollar für jeden gefangenen Russen.“

Wobei mit „Russen“ vermutlich die ostukrainische Bevölkerung und deren Kämpfer gemeint sind, die das Nach-Putsch-Regime nicht anerkennen wollten.

Milliardenklau und Pandora Papers

Auch knapp zwei Jahre später konnte die SZ keine Verbesserung der Lage erkennen. „Ukraine: Korrupt wie eh und je“, so lautete am 25.2.2021 die Überschrift zu einem vernichtenden Text über das System Selenski.

„Ein funktionierender Staat braucht unabhängige Institutionen – die gibt es unter Selenskij weiterhin nicht. Im Gegenteil, 2020 unterstellte er sich faktisch die zuvor halbwegs unabhängige Zentralbank und die Generalstaatsanwaltschaft; so gut wie alle angesehenen Reformer wurden gefeuert. Der Geheimdienst SBU, die atemberaubend korrupten Gerichte, die Gremien zur Richterauswahl und -entlassung: Sie alle bleiben unangetastet.“

Das Fazit des Artikels: „Würden in der Ukraine nicht Milliarden geklaut, bräuchte das Land keine Kreditmilliarden aus dem Westen.“

Im Oktober 2021 tauchten die Pandora Papers auf. Wer führte die Hitliste der Geldwäscher und Steuerhinterzieher an? Der Tagesspiegel:

„Gleich 38 Ukrainer, so viel wie aus keinem anderen Land, werden in den sogenannten Pandora Papers genannt. Unter ihnen auch Präsident Selenski selbst…“

Aber wie gesagt: alles Vorkriegsgeschwätz! Danach gilt in deutschen Mainstreammedien das, was die alt-grünen Ukraine-Propagandisten Ralf Fücks und Marieluise Beck für ihr Zentrum Liberale Moderne als Devise ausgeben:

Im Krieg hat Wolodymyr Selenskyj beeindruckendes Format bewiesen und ist mit seiner Regierung zum Anker für Ukrainerinnen und Ukrainer im Freiheitskampf gegen Putins perfiden Überfall geworden. Alle Kritik an seiner Politik aus der Zeit vor dem Angriff auf sein Land ist angesichts der aktuellen Situation bedeutungslos geworden.“

Journalismus im Kampfanzug

Nun ist die Ukraine über Nacht zu einem leuchtenden Hort der Freiheit und der Demokratie geworden, jetzt geht es nur noch gegen ein abgrundtief böses Putin-Dunkel-Russland, jetzt arbeitet der deutsche Mainstream-Journalismus fast nur noch im NATO-Kampfanzug. Korrespondenten bringen Kameras und Worte in Stellung, lassen Bilder und Sätze gegen den russischen Feind fliegen. So viel Artillerie, so viele Panzer, so viele Flugzeuge und Drohnen waren in deutschen Medien noch nie zu sehen! Harald Welzer und Leo Keller kommen in ihrer Medienanalyse zu dem Schluss:

„An der seit Kriegsbeginn stattfindenden normativen Umformatierung zentraler gesellschaftlicher Ziele und zivilisatorischer Minima – von Frieden auf Rüstung, von Klimapolitik auf Verteidigungspolitik, von diplomatischen Konfliktlösungsstrategien auf militärische – hat der politische Journalismus, wie unsere Befunde zeigen, jedenfalls einen guten Anteil. Bleibt zu hoffen, dass die grosse Eskalation eines entgrenzten Kriegs oder eines Atomkriegs auch dann ausbleibt, wenn so viele ihre Aufgabe darin zu sehen scheinen, sie herbeizuschreiben.“

Der mediale Krieg weitet sich aus, er macht vor nichts mehr Halt. In der Instagram-Begleitung des ZDF- und ARD-Kinderkanals Logo unterhalten sich mit Mädchenstimmen der französische Marschflugkörper Scalp und der britische Storm Shadow mit dem deutschen Taurus – alle drei animiert mit Mund, Nase, Augen – darüber, warum Taurus noch nicht mitfliegen darf. Scalp sagt: „Lass mich raten, du darfst deswegen nicht in die Ukraine, weil euer Kanzler mal wieder zögert und zaudert?“

Eine ungebremste Propaganda- und Desinformationsmaschine rattert Richtung Krieg. Es wird manipuliert, unterdrückt, verzerrt, verfälscht und einfach so dahingelogen. In der Stuttgarter Zeitung zum Beispiel, in welcher der Nordstream-2-Anschlag immer noch von den Russen selbst ausgeführt wurde, blickt Franz Feyder in der Ausgabe vom 25.5.2024 – in welcher der Leitartikel die Wehrpflicht fordert und die Seite 2 dazu Details liefert („Wenn der Geschlechtseintrag zwei Monate vor dem Spannungsfall geändert wurde, gilt er als ungültig“) -, in dieser Ausgabe also blickt Franz Feyder auf Seite drei auf den Majdan zurück. Der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch sei „der russische Statthalter aus Donezk“ gewesen, und: „Putins Mann in Kiew ließ schießen: 107 Menschen bezahlten den Freiheitskampf mit dem Leben.“

Tatsächlich war Janukowitsch ein Politiker, der sich dem Entweder-Oder respektive dem Freund-Feind-Schema beim Thema Osten und Westen verweigerte, dies jedoch in ukrainischem und nicht in russischem Interesse. Auch für das Majdan-Massaker war, wie dies Ivan Katchanovski von der Universität Ottawa in einer detaillierten Analyse belegt, nicht Janukowitsch verantwortlich. Das von unseren Mainstream-Medien ignorierte oder verleugnete Fazit des kanadischen Wissenschaftlers lautet, „dass das Massaker unter falscher Flagge gezielt organisiert und unter Beteiligung von oligarchischen und rechtsextremen Elementen der Maidan-Opposition durchgeführt wurde, um die amtierende Regierung in der Ukraine zu stürzen.“

Faschisten auf die Sockel!

In der Geschichtsschreibung des ukrainischen Regimes, von deutschen Mainstream-Medien willig übernommen, sind die Toten des Maidan zu Märtyrern im Kampf gegen Russland geworden. Dass das Putsch-Regime auch faschistische Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera und seine mörderische OUN-Bande als Gründungshelden des Landes auf den Sockel stellt (auf sehr viele Sockel!) und feiert, wird bei uns entweder als Putin-Propaganda abgetan oder ganz verschwiegen. Und dies nicht nur, weil wir für die Ukraine, wenn sie es selber schon nicht tut, etwas zu verbergen haben, sondern weil Bandera und Co. auch für den Westen mehr als nur peinlich sind.

„Die Freigabe von über 3800 Dokumenten durch die Central Intelligence Agency bietet detaillierte Beweise dafür, dass der CIA seit 1953 zwei Hauptprogramme laufen ließ, die nicht nur der Destabilisierung der Ukraine dienten, sondern auch der Nazifizierung durch Anhänger des 2.Weltkrieg-Naziführers Stepan Bandera…“, schreibt Wayne Madsen in Strategic Culture.

Ausgebildet wurden die OUN-Agenten bei uns, in Westdeutschland! Hauptbasis war München, kooperiert wurde mit der nazidurchsetzten Organisation Gehlen respektive deren Nachfolgeorganisation, dem BND. „The Munich office also supported the ,Ukrainische Gesellschaft fur Auslandstudien‘…“, so heißt es bei Madsen. (Wer sich das aktuelle Kriegsgeschrei unserer russophoben Osteuropaforscher anhört, erkennt eine Kontinuität.) Fünf Milliarden US-Dollar haben die USA laut Staatssekretärin Victoria Nuland seit 1991 ausgegeben für den „regime change“, Pardon!, für das „ukrainische Volk“ und für eine „starke, demokratische Regierung, die dessen Interessen repräsentiert“. Aber faschistisch und rechts und böse ist bei uns sowieso nur das, was unsere Politiker und unsere Medien dazu erklären. Ursula von der Leyen hat am 26.5.2024 im Deutschlandfunk zur Kooperation mit rechten Parteien im EU-Parlament erklärt, „das Kriterium sei, dass die Parlamentarier für Europa seien, für den Rechtsstaat, für die Ukraine – und gegen Russland“.

Wie halten wir’s mit Meloni?

Nicht böse ist zum Beispiel die Neofaschistin Giorgia Meloni, die innig umarmt wird von ihrer Freundin Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, und väterlich abgebusselt von Joe Biden, dem US-Präsidenten.

Denn Meloni ist für die NATO und gegen Russland! Als rechts oder als böse bezeichnet (oder nach rechts gerückt) wird in NATO-Ländern nur, wer sich für Frieden und für Verhandlungen ausspricht. René Pfister schreibt am 24.3.2024 im Spiegel unter der Überschrift „Wie ,Friedenspolitik‘ den Weg in die Katastrophe bahnt“:

„Wenn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Krieg in der Ukraine ,einfrieren‘ will, offenbart sich darin auch das giftige Erbe der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr.“

Ebenfalls im Spiegel prophezeit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats, dass Putin nicht „in der Ukraine haltmachen“ werde. Deshalb:

„Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf Krieg vorbereiten.“

Nachdem die USA Waffenlieferungen an die Ukraine freigegeben haben, jubelt die Moderatorin Sandra Maischberger in ihrer Talkshow vom 24.4.2024: „Eine gute Nachricht!“ Keinen Platz in unseren Medien, so schreibt Jan Opielka am 18.4.2024 im Freitag, haben dagegen Bilder davon, was Waffen anrichten:

„Wir sehen nichts davon, wie ein ukrainischer Soldat, dessen Beine gerade weggesprengt worden sind, ausblutet, noch bei Bewusstsein, verzweifelt schreiend verloren ist. Gefragt ist allein das Interview mit einem Soldaten, der erläutert, wie Befestigungsanlagen errichtet werden. Wir fühlen nichts von der Angst all der ukrainischen und russischen Frontsoldaten, die jeden Tag und jede Minute mit dem Bewusstsein leben müssen, dass sie gleich sterben können.“

Es gilt für Medien, Politik und Kultur nun ein deutscher Stellvertreter-Patriotismus! Immer und überall die ukrainischen Farben zeigen! Wir sind Ukraine! Die Hessener Sektion des Journalistenverbandes DJV gibt jeden Anspruch auf Neutralität und Unabhängigkeit auf, schmückt ihr Logo zur Ukraine-Flagge um und mahnt alle, die aus diesem Land berichten: „Wir denken an Sie und wir fühlen mit Ihnen. Sie sind das Bollwerk gegen Fake News und russische Propaganda. Kritischer und unabhängiger Journalismus (!) ist jetzt so wichtig wie nie.“ Russische Medien wie RT oder Sputnik hat Ursula von der Leyen schon im Februar 2022 aus der EU verbannt. Auch wenn die Europäische Journalisten Föderation (EJF) damals protestiert hat: Der russische Standpunkt darf dem EU-Bürger nicht zugemutet werden. Schuld am Krieg muss ausschließlich Putins imperiale Aggressionspolitik sein.

Ukrainische Opposition? Die Regierung weiß von nichts

Aus der Regierungspressekonferenz des Auswärtigen Amts vom 8.11.2023:

„Maxim Goldarb, ukrainischer Oppositioneller, dessen Partei ,Union der Linken Kräfte‘ im Juni 2022, wie alle anderen linken Parteien auch, verboten wurde, ist wegen Informationstätigkeiten zugunsten des Aggressors angeklagt worden. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Zuvor war seine Wohnung vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU durchsucht worden. Hintergrund ist, dass er zuvor, unter anderem auch auf den NachDenkSeiten, Artikel veröffentlicht hat, die sich mit der Korruption im Verteidigungsministerium und zunehmend autoritären Strukturen im Regierungsapparat befassten. Ist der Bundesregierung dieser Fall bekannt? Wie bewertet sie grundsätzlich das aktuelle Vorgehen der ukrainischen Regierung gegen regierungskritische Politiker und Journalisten?“

Antwort des Regierungssprechers:

„Zu dem konkreten Fall kann ich jedenfalls nichts sagen.“

Maxim Goldarb selber schreibt am 2.4.2024 auf den NachDenkSeiten:

„Wie können Politiker, die sich selbst als Linke bezeichnen, die Fortsetzung des Krieges befürworten und sich an der beispiellosen Militarisierung Europas und der Ukraine seit vielen Jahrzehnten beteiligen? Wie können Politiker, die sich selbst als Linke bezeichnen, das radikal-nationalistische Regime in der Ukraine unterstützen, das alle linken Parteien verboten hat, das die Verwendung der roten Fahne und das Singen der Internationale unter Strafe stellt, das Straßen nach Nazi-Kollaborateuren wie Stepan Bandera, Roman Shukhevych und der SS-Division „Galizien“ benennt und diese als offizielle Staatshelden hofiert?“

„Wie westliche Mainstream-Nachrichten-Medien die Nato-Expansion in den Osten als mitwirkenden Faktor für die russische Invasion 2022 in der Ukraine weglassen“, so betitelt Florian Zollmann von der Newcastle University seine Studie, in der er über deutsche Medien schreibt:

„Die deutsche Auswahl beinhaltete die niedrigste Zahl von Artikeln, welche die Nato-Expansion berücksichtigten, und das entspricht den anderen Ergebnissen, dass die Bandbreite der Debatte in Deutschland enger ist als die in den USA und im Vereinigten Königreich.“

Der NATO-Journalismus, insbesondere der deutsche, hat also kein Korrektiv mehr zu fürchten, alle sind auf (s)einer Seite! Fast alle. In der Berliner Zeitung, große Ausnahme im bellizistisch-russophoben NATO-Chor, schreibt Fabio de Masi am 24.2.2023 über den Verhandlungs- und Friedensaufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer:

„Die öffentlichen Reaktionen auf das Manifest in Politik und Medien haben mir erneut verdeutlicht, wie wenig die Aufklärung doch in Deutschland bewirkt hat. Es graust mir, wie leicht es in einer demokratisch verfassten Gesellschaft fällt, in Zeiten des Krieges in der öffentlichen Debatte einen hysterischen Meinungskorridor zu etablieren, der keinen Widerspruch duldet und tatsächlich an die Kriegsbesoffenheit des Ersten Weltkrieges erinnert.“

Putin stoppen – um jeden Preis

Die NATO-Bellizisten in Politik und Medien dagegen ziehen lieber den 2. Weltkrieg als Vergleich heran. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, so schreibt das Handelsblatt am 11.4.2024, „… hat den Angriff des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine mit der Annexion der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland im Jahr 1938 verglichen. Europa müsse sich auf einen langen Krieg einstellen, sagte Pistorius am Rande der Vorstellung eines Buchs über Winston Churchill. ,Putin wird nicht aufhören, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei ist, das hat er klar gesagt‘, so Pistorius. Genau so klar wie Hitler, der auch immer sagte, dass er nicht stoppen würde.‘“

Dass Putin das nie gesagt hat, hindert Pistorius nicht daran, seinen Hitler-Vergleich am 24.4.2024 auch in Maischbergers Talkshow unterzubringen. Die notorische Waffenbejublerin verlangt sofort kriegerische Konsequenzen:

„Wenn das so ist, wie Sie sagen: ‚Das ist jemand, der den Krieg immer weiter trägt‘ – dann muss man ihn ja um jeden Preis stoppen, oder nicht?“

Zum Hitler-Putin-Vergleich hat der Philosoph Hartmut Rosa im Spiegel gesagt:

„Das Hitler-Argument wird immer dann gezogen, wenn es darum geht, den Kriegspfad als moralisch unbedingt geboten und politisch absolut alternativlos erscheinen zu lassen.“

Der Russe wird auch uns angreifen, darüber sind sich die NATO-Medien einig. Nur der Zeitpunkt ist noch nicht klar. In acht oder in fünf Jahren oder noch früher? Jetzt aber Vorsicht! Es folgt eine Aussage von Putin selbst, zitiert nach Antispiegel (13.4.2024):

„Im Jahr 2022 haben die USA, wenn ich mich richtig erinnere, 811 Milliarden Dollar ausgegeben und Russland 72 Milliarden Dollar. 72 und 811, der Unterschied ist deutlich, mehr als das Zehnfache… Werden wir etwa, wenn man dieses Verhältnis anschaut, in einen Krieg mit der NATO ziehen? Das ist einfach Unsinn.“

Aber die Putin’schen Zahlen sind doch sicher gefaked? Hmm. Nun ja, sie stimmen in etwa mit denen überein, die das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlicht.

Wobei Putin die Militärbudgets der anderen NATO-Mitglieder – also auch das unsere! – gar nicht mitgerechnet hat: dass also die NATO insgesamt etwa 13-mal so viel fürs Militär ausgibt wie Russland. Meine Güte, wie bildet man solche Zahlen bloß ab in den beliebten West-Ost-Militärgrafiken? Die Stuttgarter Zeitung vom 23.3.2024 – jawohl, die schon wieder! – hat es auf ihrer „Sonderseite 75 Jahre Nato“ geschafft.

Indem sie nämlich nicht die NATO gegen Russland stellt, sondern ein „Gegengewicht zur Nato“ heranzieht, nämlich die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), in der neben Russland auch noch China, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und der Iran dabei sind. (Das NATO-Mitglied Türkei ist Dialogpartner.) Man stelle sich vor: Indien und Pakistan endlich mal vereint! Und so ist die NATO nun, was etwa die Truppenstärke angeht, der SOZ unterlegen.

Kanonen statt Butter

„Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand“, fordert im Spiegel (28.3.2024) Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Der Düsseldorfer Rheinmetallkonzern, der gerade als erster Rüstungsbetrieb einen Sponsorenvertrag mit Borussia Dortmund bekanntgegeben hat – auch der Sport darf keine Friedensinsel sein! – rechnet bis 2026 mit einer Verdoppelung seines Umsatzes auf bis zu 14 Milliarden Euro. In der Zeit (7.12.2023) erzählt Boris Pistorius stolz:

„Allein in diesem Jahr haben wir bisher 40 Rüstungsprojekte dem Bundestag zur Genehmigung vorgelegt, die 25 Millionen Euro oder mehr kosten – wenn es gut läuft (!), kommen bis Jahresende noch 15 dazu. Das ist eine Rekordzahl. Nächstes Jahr können wir vielleicht sogar dreistellig werden.“

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge erläutert zur Militarisierung:

„Setzen sich Bum-Bum Boris Pistorius, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Co. mit ihren Hochrüstungsplänen durch, wird sich die schon jetzt auf einem Rekordstand befindliche Armut noch verschärfen.“

Aber Pistorius muss sich im Kampf gegen Russland eben auch um die US-amerikanische Wirtschaft kümmern. Am 10.5.2024 schreibt t-online, der deutsche Verteidigungsminister bemühe sich bei seiner Amerika-Reise darum, „auch die wirtschaftlichen Vorteile herauszustellen, die die deutsche Zeitenwende für die USA bringe. ,Allein mit US-Rüstungsunternehmen haben wir derzeit rund 380 Verträge mit einem Gesamtwert von rund 23 Milliarden US-Dollar‘, sagt er. Es ist ein Argument, das auch in republikanisch regierten Bundesstaaten funktionieren kann. Denn solche Rüstungsaufträge sichern amerikanische (!) Arbeitsplätze.“

Mit US-Waffen will Anton Hofreiter übrigens auch schon lange auch in Sachen Ökonomie verhandeln. „Ohne China beim Namen zu nennen“, so schreibt die Berliner Zeitung am 15.12.2022, „erörterte er folgendes Szenario: ,Wenn uns ein Land Seltene Erden vorenthalten würde, könnten wir entgegnen: ‚Was wollt ihr eigentlich essen?‘ Ohne Seltene Erden käme man ein paar Wochen aus, ohne Nahrung nicht. China ist einer der größten Exporteure Seltener Erden, die Ukraine einer der größten Weizenexporteure der Welt. Oft sei es in der Geopolitik geboten, mit dem Colt auf dem Tisch‘ zu verhandeln.“ Überhaupt diese anderen, diese aggressive antiwestliche Welt! Josep Borrell, EU-Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitik, hat die Situation klar beschrieben:

„Ja, Europa ist ein Garten. Alles funktioniert. Es ist die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je geschaffen hat, alle drei zusammen […] Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen… Die Gärtner müssen sich darauf einrichten.“

Ach, wenn bloß alle so friedlich wären wie wir! Oder, wie es Boris Pistorius, dem hier das Schlusswort gebührt, so unübertrefflich schlicht ausgedrückt hat:

„Pazifist sein heißt, Gewalt und Krieg abzulehnen. In dem Sinne bin ich auch Pazifist.“

Titelbild: Shutterstock / Mo Photography Berlin

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Fahrverbot für Rentner: Droht Entzug des Führerscheins?

Lesedauer 2 Minuten

Der Rentenexperte und Rechtsanwalt Peter Knöppel untersuchte, ob in Deutschland alten Menschen ein Fahrverbot aufgrund ihres Alters erteilt werden kann. Derzeit ist, Knöppel zufolge, die Rechtslage noch klar. Aber: Mit dem EU-Recht könnte sich das ändern.

Der aktuelle Rechtsstand

Laut Knöppel sagt das deutsche Recht eindeutig, dass einem Menschen allein aufgrund seines erreichten Lebensalters nicht der Führerschein entzogen werden darf. Doch, so Knöppel: “Ein Blick in das Internet lehrte mich aber eines besseren.”

Was sagt das EU-Recht?

Im Europäischen Parlament war, laut Knöppel, 2023 die Führerschein-Richtlinie ein Thema. Knöppel zufolge war geplant, unter dem Schlagwort Vision Zero (Null-Unfalltote) Menschen über 70 Jahren den Führerschein nur noch für fünf auszustellen.

Bei Menschen ab 80 Jahren sollte in Zukunft sogar eine Frist von zwei Jahren gelten.

Nach fünf Jahren über 70 Führerscheinentzug?

Ausformuliert wurden diese Richtlinien seinerzeit noch nicht im Detail. Regelungen, die in anderen EU-Ländern bereits gelten, bedeuten nicht, dass Senioren ab einem bestimmten Alter ihren kompletten Führerschein, die praktische und theoretische Prüfung, neu machen müssten.

Sie müssen sich hingegen einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, ob sie generell fahrtauglich sind hinsichtlich ihrer Bewegungsfähigkeit, ihrer kognitiven Fähigkeiten, ihres Seh- und Hörvermögens etcetera.

Wie lautete die Begründung?

Die Begründung innerhalb der EU lautete: Menschen im Alter würden ihr Fahrverhalten ändern und ihre Fahrtauglichkeit würde sinken, zum Beispiel verschlechtere sich die Beweglichkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit verlangsame sich.

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Gemeinsame Position nach der Europawahl?

Knöppel zufolge werden sich EU-Parlament, Kommission und Ministerrat vermutlich nach der Europawahl 2024 auf eine gemeinsame Position zu Einschränkungen beim Führerschein für Senioren verständigen.

Da die Wahlen im Juni sind, wird es voraussichtlich im Herbst diesen Jahres zu einer Entscheidung kommen. Das, so Knöppel “kann ein böses Erwachen auch für deutsche Senioren bedeuten.”

Deutschland müsste EU-Regelungen durchsetzen

Deutschland müsste im nationalen Recht mögliche neue Richtlinien beim Führerschein umsetzen, wenn diese auf EU-Ebene beschlossen sind.

Bereits in der Diskussion innerhalb des Europäischen Parlaments 2023 ging die Tendenz allerdings dahin, dass es den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen werden sollte, ob und wie sie solche neuen Richtlinien umsetzen, zum Beispiel auch, ob Fahrtests für Senioren verpflichtend oder freiwillig sind.

Fahrtauglichkeit statt Alter

Klar geregelt ist in Deutschland im Paragraf 2 Absatz 4 des Straßenverkehrsgesetzes folgendes:

“Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.”

Dieser Gesetzestext schließt einen Führerscheinentzug einzig aufgrund des Alters aus. Er ließe sich aber durchaus so auslegen, ab einem bestimmten Alter einen regelmäßigen medizinischen Test besonders der körperlichen Anforderungen durchzuführen.

Was sagt die Statistik?

Statistisch gesehen sind Senioren keineswegs diejenigen unter den Autofahrern, die die häufigsten Unfälle verursachen.

Ältere Menschen sind gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als jüngere. Allerdings sind bei den Unfällen, an denen sie beteiligt sind, weit häufiger die Hauptverursacher.

2022 waren die mindestens 65-Jährigen in 68,7 Prozent der Fälle Hauptverusacher, mindestens 75-jährige sogar zu 76,6 Prozent. Damit liegen sie sehr weit über den jüngeren Altersgruppen.

Wie sieht es in den Nachbarländern aus?

Die Schweiz verpflichtet alle Fahrzeuglenker ab 75 Jahren ale zwei Jahre zu einer medizinischen Kontrolle der Fahrtüchtigkeit beim Hausarzt. Die Niederlande verlangt ab dem 75. Geburtstag alle fünf Jahre ein solches Attest. In den Dänemark gibt es diese Kontrolle erst ab dem 80. Lebensjahr, dann aber jährlich.

Der Beitrag Fahrverbot für Rentner: Droht Entzug des Führerscheins? erschien zuerst auf Gegen Hartz IV - Bürgergeld Ratgeber und Hartz 4 Tipps.

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  1. Kostenloser Führerschein, Sprachkurse – So will Pistorius junge Menschen zur Bundeswehr locken
  2. DGB-Strategie: Starke Wirtschaft, starker Sozialstaat: Jetzt handeln – für ein erfolgreiches, nachhaltiges und soziales Deutschland!
  3. BASF könnte Deutschland Richtung China verlassen: Jetzt reagiert der Chemiekonzern
  4. Die übergriffige Europäische Union – am Beispiel Rente
  5. Klüngel beim ÖRR: Ehemalige Steinmeier-Sprecherin wird ARD-Führungsfigur
  6. ZDF: Parteigelder in Millionenhöhe ohne Nachweis
  7. Von der Leyen schummelt auch bei der Wahlwerbung
  8. Putin erklärt sich zu Verhandlungen bereit – der Westen schweigt
  9. Der ukrainische Angriff auf die globale Sicherheit
  10. Wie Israel den Internationalen Strafgerichtshof ICC neun Jahre lang einschüchterte
  11. Der Albtraum von Rafah geht weiter
  12. MeToo in Brüssel: Mitarbeitende beklagen eine “Treibjagd auf Frischfleisch”
  13. Familienministerin stellt “Einsamkeitsbarometer” vor
  14. Millionen Kinder in Grossbritannien haben nicht genug zu essen
  15. Wie Borussia Dortmund vom Krieg profitiert

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  1. Kostenloser Führerschein, Sprachkurse – So will Pistorius junge Menschen zur Bundeswehr locken
    Verteidigungsminister Boris Pistorius hat dem SPD-Präsidium Eckpunkte seiner Pläne für die Bundeswehr vorgestellt. Das Wort „Wehrpflicht“ soll dabei nicht gefallen sein. […]
    Junge Menschen sollen mit Anreizen, wie einem kostenlosen Führerschein überzeugt werden, sich freiwillig bei der Bundeswehr zu verpflichten. Auch ein erleichterter Zugang zu Studienfächern für Menschen, die freiwillig Wehrdienst geleistet haben, oder Rabatte bei der Rückzahlung von Studienkrediten und Sprachkurse sollen als Maßnahmen geprüft werden.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung unseres Lesers H.S.: Haben Millionen von Menschen für eine Bratwurst ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt, gibts von Pistorius jetzt sogar einen Führerschein (bekommt man sonst beim Jobcenter kostenlos) oder erleichterten Uni-Zugang für Bildungsferne. Welche Zielgruppe hier freiwillig dienen soll, um Rabatte bei Sprachkursen zu bekommen, soll jeder mal selbst überdenken.

    dazu: Wehrdienst wird doch nicht komplett freiwillig
    Doch bei der Freiwilligkeit soll es laut Pistorius nicht bleiben: Mit dem Ausbau der Strukturen (Kasernen, Ausbilder, Waffen, Munition) soll auch die Zahl der Wehrdienstleistenden steigen. Zielgrößen nennt Pistorius zwar nicht, macht aber klar, dass er eine Regelung anstrebt, auf die auch das schwedische Modell, an dem sich sein Konzept sehr stark orientiert, zurückgreift. “Sollten sich nicht genügend Freiwillige melden, werden wir auch junge Menschen zum Dienst verpflichten müssen.” […]
    Im Verteidigungsfall, das zeigt der Ukraine-Krieg, kann ein langer, erfolgsversprechender Widerstand gegen einen Aggressor nur dann durchgehalten werden, wenn immer wieder neue Kräfte, also Reservisten, zum Einsatz kommen. Hier hat die Truppe erhebliche Lücken aufzuweisen.
    Quelle: Zeit Online

  2. DGB-Strategie: Starke Wirtschaft, starker Sozialstaat: Jetzt handeln – für ein erfolgreiches, nachhaltiges und soziales Deutschland!
    So populär es augenblicklich auch sein mag, Deutschland in die Krise zu reden, so klar ist auch: Wir reden von einem reichen Land! Einem Land, in dem sehr viel Geld vorhanden ist, um notwendige Investitionen in eine gute Zukunft der hier lebenden Menschen und der hier arbeitenden Betriebe und Unternehmen zu ermöglichen. Wir reden von einem Land, in dem unter dem Dogma der schwarzen Null über Jahrzehnte versäumt wurde, Zukunft zu gestalten. Das gilt nicht nur für „die Politik“ von Regierungen unterschiedlichster Couleur, das gilt auch für viele Unternehmensführungen und Wirtschaftsverbände. Und wir reden von einem Land, in dem genug Geld für einen starken Sozialstaat und einen aktiven, investitionsfreundlichen Staat vorhanden ist.
    Heute steht Deutschland vor einer Richtungsentscheidung. Neoliberale Stimmen aus Politik und Lobbyverbänden trommeln für staatliche Sozial- und Ausgabenkürzungen. Sie wollen Unternehmenssteuern senken, deregulieren und Lohnsteigerungen verhindern. Das sind Rezepte aus der Vergangenheit, die bewiesen haben, dass sie nicht zu einer guten Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft beitragen. Wer solche Ideen umsetzen will, drückt uns weiter in die Krise, untergräbt den Sozialstaat und verspielt den Zusammenhalt und die Zukunft unseres Landes.
    Quelle: DGB

    dazu auch: Umverteilung, nur andersrum
    Christoph Butterwegge über die grassierende Armut in Deutschland.
    Armut dringt seit geraumer Zeit stärker in die Mitte unserer Gesellschaft vor, während sich der Reichtum immer mehr bei wenigen Familien konzentriert. Die Armutsbetroffenheit hierzulande hat im Jahr 2022 einen Rekordstand seit der Vereinigung erreicht: 14,2 Millionen Menschen (16,8 Prozent der Bevölkerung) hatten weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung, was für Alleinstehende 1186 Euro im Monat entsprach. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose mit 49,7 Prozent, Alleinerziehende mit 43,2 Prozent und Nichtdeutsche mit 35,3 Prozent auf. Kinder und Jugendliche waren mit 21,8 Prozent stärker betroffen denn je. Zudem nimmt das Armutsrisiko der Senioren seit geraumer Zeit am stärksten zu.
    Quelle: nd

  3. BASF könnte Deutschland Richtung China verlassen: Jetzt reagiert der Chemiekonzern
    Immer mehr Firmen verlassen Deutschland. Berichten zufolge könnte mit BASF auch eines der größten deutschen Unternehmen nach China abwandern. Was sagt der Chemieriese dazu? (…)
    Während in Ludwigshafen die Produktion zurückgefahren wird und Stellen abgebaut werden, investiert das Unternehmen in China zehn Milliarden in eine neue Fabrik. Begründet wird die Entscheidung mit den bereits erwähnten deutschen Standortproblemen. Der Chemiekonzern habe nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr überall Gewinn gemacht, nur nicht in Deutschland.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung Christian Reimann: Könnte sein, dass Bundesminister Habeck nicht weiß, ob er sich freuen oder beklagen soll. Als Wirtschaftsminister sollte es ihm Sorgen bereiten, dass das deutsche Unternehmen Arbeitsplätze nicht mehr hierzulande, sondern in China entstehen lässt. Aber als Minister für Klimaschutz könnte er sich freuen, dass Deutschland auf diese Weise seine Klimaziele erreichen könnte. Ersichtlich wird so jedenfalls auch, dass BASF – anders als wohl Herr Habeck – über keinen Goldesel im Stall verfügt, sondern in Märkte investiert.

  4. Die übergriffige Europäische Union – am Beispiel Rente
    Eine Titelzeile aus dem März 2023: „Spanien und EU-Kommission einigen sich auf umstrittene Rentenreform.“ Kann das sein? Die Gesetzgebung zu Altersversorgungssystemen gehört eindeutig nicht zu den Aufgaben der Europäischen Union (EU). Es ist das Hoheitsrecht jedes europäischen Staates.
    Da sollte auch eine Meldung aus dem Dezember 2022 sehr erstaunen:
    „Im Rahmen des Europäischen Semesters 2019 … wurden 15 EU-Länder aufgefordert, ihre Rentensysteme speziell zu reformieren. Einige von ihnen wurden erneut aufgefordert Reformen des Rentensystems mit dem Next Generation EU-Plan und erneut im Jahr 2022 durchzuführen.“ (Euractiv, 14.12.22)
    Das klingt nicht nur nach massiver Einflussnahme, das wird auch in der Praxis der EU-Kommission verbunden mit unverhüllten Erpressungen durchgesetzt. Unverhüllt heißt allerdings nicht automatisch „öffentlich“ – notwendig wäre es dazu, von den Medien Transparenz herzustellen. Das passiert allerdings nur in homöopathischen Dosen.
    In Frankreich wurde im vergangenen Jahr vorexerziert, was auch im europäischen Rahmen funktioniert. Die geplante Verschlechterung der Rentengesetzgebung durch die französische Regierung war auf heftigsten, millionenfachen Widerstand gestoßen.
    Quelle: Seniorenaufstand
  5. Klüngel beim ÖRR: Ehemalige Steinmeier-Sprecherin wird ARD-Führungsfigur
    Zum dreiköpfigen Leitungsteam des ARD-Hauptstadtstudios gehört vom 1. Juli an Anna Engelke. Eine profilierte Hörfunkjournalistin, die schon seit 1997 lange Jahre über die Bundespolitik berichtet hat, zudem ARD-Korrespondentin in Washington war, die also Reputation erworben und Qualifikation nachgewiesen hat. So gesehen nachvollziehbar. Sie war aber auch fünf Jahre lang, von 2017 bis 2022, Sprecherin von Bundespräsident Steinmeier. In dieser Zeit war sie beim NDR freigestellt. (…)
    Anna Engelke ist kein Einzelfall. Die heutige Intendantin des RBB, Ulrike Demmer, war von 2016 an fünf Jahre lang Regierungssprecherin von Kanzlerin Merkel, und zuvor ebenso Journalistin, unter anderem beim ZDF. Ihre Vorgängerin als Regierungssprecherin war Christiane Wirtz, sie kam als Leiterin der Innenpolitik beim Deutschlandfunk zu Merkel, wurde danach Staatssekretärin im Justizministerium. Ulrich Wilhelm schaffte es sogar vom Regierungssprecher Merkels zum BR-Intendanten und zum ARD-Vorsitzenden. (…)
    Und das liegt natürlich nicht an Zufällen, sondern am System.
    Quelle: Berliner Zeitung
  6. ZDF: Parteigelder in Millionenhöhe ohne Nachweis
    Wer sind die Unternehmen, Verbände, Politiker und Privatpersonen, die Geld an deutsche Parteien zahlen? Bei rund 77 Prozent aller Zuwendungen kann diese Frage mit den Rechenschaftsberichten nicht beantwortet werden. (…)
    Allein 2022 blieb der Ursprung von rund 100 Millionen Euro aus Spenden und Mandatsbeiträgen unbekannt – das ist die europaweit höchste Summe an nicht-öffentlich einsehbaren Zuwendungen an Parteien. Damit schneidet Deutschland in Sachen Transparenz im EU-weiten Vergleich bei der Parteienfinanzierung besonders schlecht ab. Die Gründe dafür liegen im Parteiengesetz. Nur wer mehr als 10.000 Euro zahlt, muss namentlich in den öffentlichen Rechenschaftsberichten der Parteien aufgeführt werden. (…)
    Nach Auswertung der Daten ergibt sich für die Bundestagsparteien folgendes Bild: Mit 36 Millionen Euro nahm die CDU die höchste Summe an Zuwendungen von Personen, also Spenden und Mandatsbeiträge, entgegen, 87 Prozent davon blieben ohne öffentlichen Nachweis – aufgrund der Veröffentlichungsschwelle.
    Quelle: ZDF

    dazu auch: Der CDU-Hardliner, die Großspenden und der mutmaßliche Schleuserchef
    NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) muss zu seinen Kontakten mit Lobbyist Claus B. Rede und Antwort stehen. Der spendete insgesamt fast 30.000 Euro an die Union – und soll Chef eines Schleusernetzwerks sein. Er soll Aufenthaltstitel für Chinesen und Personen aus dem arabischen Raum besorgt haben.
    Es ist keine Stunde vergangen, als Herbert Reul ungehalten wird. „Das mit dem Käuflichsein würde ich dringend bitten, nicht noch mal zu wiederholen, weil dann wird es unangenehm“, warnt Nordrhein-Westfalens Innenminister am frühen Dienstagmorgen im Innenausschuss des Landtags. Soeben hat die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann kritisiert, dass der „Eindruck entsteht, Termine beim Innenminister sind käuflich“.
    Quelle: Welt Online

  7. Von der Leyen schummelt auch bei der Wahlwerbung
    Noch ein Bruch der Transparenz-Regeln: Die amtierende EU-Kommissionschefin hat verschleiert, hinter einer politischen Online-Werbekampagne zu stecken.
    Dies berichten “Politico” und “Netzpolitik”. Demnach hat von der Leyen eine 70.000 Euro teure Online-Werbekampagne schalten lassen, in der sie ihre eigene Arbeit anpreist. Doch das sei nicht ordentlich ausgewiesen worden.
    Quelle: Lost in Europe
  8. Putin erklärt sich zu Verhandlungen bereit – der Westen schweigt
    Reuters berichtete über Gesprächsbereitschaft in Moskau. Putin bestätigte das. Warum es verheerend ist, dass das ignoriert wird. Ein Gastbeitrag.
    Mit Blick auf den Ukraine-Krieg gab es für Kiew und seine Unterstützer zuletzt wenig Hoffnung. Deshalb sollte man eine Chance erkennen, wenn sie sich bietet.
    Jüngstes Beispiel: In der vergangenen Woche veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters einen Bericht, der sich auf vier Quellen stützte, die “mit (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin auf hoher politischer und wirtschaftlicher Ebene zusammenarbeiten oder zusammengearbeitet haben” und “mit den Gesprächen in Putins Umfeld vertraut sind”.
    Demnach sei er bereit, über ein Ende der Kampfhandlungen zu verhandeln.
    Quelle: Telepolis
  9. Der ukrainische Angriff auf die globale Sicherheit
    Der Angriff der Ukraine auf Module des russischen Frühwarnsystems gefährdet nicht zuletzt unsere eigene Sicherheit. Für eine „Kopernikanische Wende in der Sicherheitspolitik“ plädiert Leo Ensel, Konfliktforscher und Publizist. „Im Atomzeitalter ist Sicherheit nur noch zusammen mit, nie aber gegen den ‚Gegner‘ möglich!“, sagt er. – Das Gespräch führte Hans-Peter Waldrich.
    Hans-Peter Waldrich: Herr Ensel, die Ukraine hat am 23. Mai im Nordkaukasus in Armawir und am 26. Mai im sibirischen Orenburg Teile des russischen Atomraketen-Frühwarnsystems mit Drohnen attackiert. Die Radare dienen dazu, einen möglichen nuklearen Erstschlag der NATO zu erkennen. Sie sind Mitglied einer Initiative von Informatikern, KI-Spezialisten und Politikwissenschaftlern, die warnt, solche Angriffe könnten einen Atomkrieg auslösen. Was ist daran so gefährlich?
    Leo Ensel: Zunächst: Ich bin zwar Mitglied der von Informatikern ins Leben gerufenen Initiative gegen einen „Atomkrieg aus Versehen“, aber selbst kein Informatiker, sondern Konfliktforscher. – Man muss aber kein Informatiker sein, um die Tragweite der ukrainischen Angriffe auf Module des russischen Raketenabwehrsystems zu erkennen:
    Die globale „Sicherheitsstruktur“ – wenn man sie überhaupt so nennen darf – zwischen den Atommächten USA und Russland beruht nach wie vor, wie im ersten Kalten Krieg, auf dem „Prinzip der gesicherten Zweitschlagsfähigkeit“. Auf Deutsch: Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter!
    Quelle: Globalbridge

    dazu auch: Drei Fragen zum Angriff auf das russische Atomraketen-Frühwarnsystem: Oberst Reisner antwortet
    Ein mutmaßlicher ukrainischer Drohnenangriff gegen eine Radaranlage des russischen Atom-Frühwarnsystems, das anfliegende interkontinentale Atomraketen erkennen soll, hat angeblich schweren Schaden angerichtet. Das birgt laut Militärexperten Oberst Markus Reisner hochbrisanten Zündstoff für eine neuerliche, gefährliche Eskalation. Oberst Reisner beantwortet die drei Schlüsselfragen:
    Quelle: Bundesheer.at

  10. Wie Israel den Internationalen Strafgerichtshof ICC neun Jahre lang einschüchterte
    Spionage, Hacking, Einschüchterung: Eine „Guardian“-Investigativrecherche enthüllt, wie israelische Geheimdienste über Jahre versuchten, die Verfolgung von Kriegsverbrechen zu vereiteln. Benjamin Netanjahu spielt dabei eine zentrale Rolle
    Als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) jüngst ankündigte, Haftbefehle gegen israelische und Hamas-Führer zu beantragen, war von ihm zugleich eine kryptische Forderung zu hören: „Ich bestehe darauf, dass alle Versuche, die Mitarbeiter dieses Gerichts zu behindern, einzuschüchtern oder in unzulässiger Weise zu beeinflussen, sofort einzustellen sind.“
    Karim Khan machte keine genauen Angaben zu Versuchen, sich in die Arbeit des ICC einzumischen, verwies aber auf eine Klausel im Gründungsvertrag des Gerichtshofs, die eine solche Einmischung als Straftatbestand einstuft. Sollte sich ein solches Verhalten fortsetzen, fügte er hinzu, „wird mein Büro nicht zögern zu handeln“. Khan sagte nicht, wer versucht hatte, auf die Justizverwaltung Einfluss zu nehmen, und wie das genau vor sich gegangen war.
    Nun deckt eine investigative Recherche des Guardian und der beiden in Israel ansässigen Magazine +972 und Local Call auf, wie Israel seit fast einem Jahrzehnt einen andauernden und heimlichen „Krieg“ gegen das Gericht geführt hat.
    Quelle: der Freitag
  11. Der Albtraum von Rafah geht weiter
    Bei Luftschlägen des israelischen Militärs sterben fast 50 Menschen. Israel gerät international weiter unter Druck, setzt seine Offensive jedoch fort.
    Am späten Sonntagabend, gegen 21 Uhr, leuchtet der Himmel über Abed Alla plötzlich rot auf. „Es war, als gäbe es ein Erdbeben“, erzählt er am Telefon aus dem Süden Gazas. Nur fünfzig Meter sei er von der Explosion entfernt gewesen, die das Flüchtlingslager nahe Rafah – in dem auch Alla zuvor Zuflucht gefunden hatte – erschütterte. Ausgelöst wird sie von einem Luftschlag des israelischen Militärs. Nach deren Angaben gilt er zwei hochrangigen Hamas-Mitgliedern, die sich in dem Camp aufhielten.
    Quelle: taz

    dazu: „Einer der schrecklichsten Angriffe“: Was ist in Rafah geschehen?
    Nach dem israelischen Luftangriff in Rafah häufen sich die Hinweise auf ein Massaker unter palästinensischen Schutzsuchenden. Es kommen Fragen auf: War ein Stützpunkt der Hamas das Ziel Israels? Fand er in einer sicheren Zone statt?
    Quelle: der Freitag

  12. MeToo in Brüssel: Mitarbeitende beklagen eine “Treibjagd auf Frischfleisch”
    Im Europaparlament fallen wichtige Entscheidungen – und häufig die Hemmungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen Machtmissbrauch und erzählen: “Es gibt Abgeordnete, vor denen Frauen einander warnen.”
    Es herrscht in der letzten Sitzungswoche des Europaparlaments in Straßburg eine Stimmung wie zum Ende einer Klassenfahrt. Vizepräsident Marc Angel, ein Sozialdemokrat aus Luxemburg, läuft über die Flure wie ein Herbergsvater und verteilt warme Abschiedsworte. Er spricht Abgeordneten Mut zu, portugiesischen Sozialisten, die vom neuen Parteichef von der Wahlliste gestrichen wurden, wie auch konservativen Hinterbänklern mit unsicheren Listenplätzen. Irgendwann beginnt Angel, gegen eine große Sorge anzureden, die hier viele umtreibt: Was, wenn die rechten Europafeinde bei der Wahl im Juni weiter Stimmen gewinnen und mehr Macht bekommen werden? “Die europäische Idee”, sagt Marc Angel, “ist stärker als die populistische Versuchung von rechts.”
    Quelle: stern
  13. Familienministerin stellt “Einsamkeitsbarometer” vor
    Wie das Ministerium vorab mitteilte, geht es dabei um Zahlen und Entwicklungen in einem Zeitraum von 30 Jahren. Untersucht wurde unter anderem das Einsamkeitsgefühl von Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Wohnorts in Ost- oder Westdeutschland. “Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Während der Pandemie hat dieses Gefühl stark zugenommen”, sagte Paus vorab in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Ältere und jüngere Menschen seien demnach am häufigsten betroffen. Daneben auch Menschen, “die intensive Care-Arbeit leisten”, so die Grünen-Politikerin weiter.
    Quelle: tagesschau
  14. Millionen Kinder in Grossbritannien haben nicht genug zu essen
    Bei fast jedem fünften Kind reicht das Geld daheim nicht mehr für täglich ausreichende Mahlzeiten. Mangelernährung nimmt zu.
    Eines der reichsten Länder der Erde, Mitglied der sieben führenden Industrienationen G7, lässt es zu, dass rund 2,4 Millionen Kinder im Land (17 Prozent aller Kinder) keine Ernährungssicherheit haben. Das heisst: Es ist ungewiss, ob sie über einen Monat hinweg täglich genug zu essen bekommen werden. Weitere 10 Prozent der Kinder lebten in Haushalten, bei denen das Geld nur noch knapp fürs Essen reiche, berichtet das «British Medical Journal» (BMJ).
    Es beruft sich auf den Bericht zur Ernährungssicherheit britischer Haushalte für 2022/2023, den das britische Ministerium für Arbeit und Pensionen im März veröffentlichte. Verglichen mit der Bestandsaufnahme von 2019/2020 sind demnach innert weniger Jahre fast eine Million Kinder in Grossbritannien zusätzlich in diese prekäre Lage geraten.
    Quelle: Infosperber
  15. Wie Borussia Dortmund vom Krieg profitiert
    Der Chef eines Fußballklubs verkauft den Sponsorendeal mit einem Rüstungskonzern als gesellschaftliche Pflicht. In Wahrheit zeigt er, wie weit die Militarisierung der Gesellschaft vorangeschritten ist. Leider.
    Wer noch immer glaubt, die sogenannte Zeitenwende sei nicht im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen, kann sich demnächst bei einem Heimspiel von Borussia Dortmund vom Stand der Militarisierung Deutschlands überzeugen: Künftig werden im BVB-Stadion an prominenter Stelle Logo und Schriftzug von Rheinmetall zu sehen sein. Für einen dem Vernehmen nach einstelligen Millionenbetrag jährlich stellt der Verein der Waffenschmiede »reichweitenstarke Werbeflächen, Vermarktungsrechte sowie Event- und Hospitality-Angebote im Stadion und auf dem Vereinsgelände« zur Verfügung.
    Quelle: DER SPIEGEL

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Zum Glück gibt es immerhin noch solche leidlich kritischen Artikel, und das sogar im SPIEGEL. Danke dafür. Im Handelsblatt zum Beispiel wird der Deal zwischen den beiden AGs hochgelobt, weil Rüstung “salonfähig” geworden wäre – es ist widerwärtig.

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Langenhagen: Protestcamp gegen Abschiebung von Ezid:innen

Vor dem Abschiebegefängnis Langenhagen am Flughafen Hannover findet seit letztem Sonntag ein Protestcamp gegen Abschiebungen von Ezid:innen in den Irak statt. Mit Kundgebungen wird gegen die drohende Abschiebung eines jungen Mannes protestiert. Zahlreiche Freund:innen, Verwandte und Angehörige ezidischer Communities kommen seit seiner Inhaftierung in Solidarität mit ihm vor das Gefängnis.

Abschiebungen ezidischer Geflüchteter sollen in Niedersachsen nur mit Zustimmung des Innenministeriums zulässig sein, so der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. auf seiner Internetseite und unterstreicht, dass die Abschiebung einer ezidischen Familie aus dem Landkreis Wesermarsch in der letzten Woche nur im letzten Moment gestoppt werden konnte. Nicht immer nämlich ist den Behörden die Religionszugehörigkeit bekannt.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen betont: „Die Wiederaufnahme von Abschiebungen in den Irak aus Niedersachsen ist eine fatale Fehlentscheidung. Die Lage im Irak ist für zurückkehrende Geflüchtete weiterhin gefährlich. Insbesondere für Ezid:innen ist eine Rückkehr in den Irak unzumutbar! Das gilt unserer Auffassung nach auch für ezidische Genozid-Überlebende, die in Deutschland Haftstrafen verbüßt haben oder gegen die strafrechtliche Ermittlungsverfahren laufen.“

Weiter erklärt der Flüchtlingsrat: „In einem erst kürzlich von Wadi e.V. und PRO ASYL veröffentlichten Gutachten zur Lage der Ezid:innen im Irak wurde deutlich herausgearbeitet, dass das Sinjar-Gebiet im Nordirak, in dem die Ezid:innen seit Jahrhunderten leben, spätestens seit dem Völkermord durch die Terrororganisation Islamischer Staat im Jahr 2014 zu einem lebensgefährlichen Brennpunkt geworden ist. In dem strategisch wichtigen Grenzgebiet zwischen Irak, Syrien, Türkei und Iran prallen die Interessen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, die rücksichtslos um Macht und Einfluss kämpfen, aufeinander – und die Ezid:innen stehen mittendrin und zwischen allen Fronten.

Wir unterstützen deshalb den Protest gegen Abschiebungen, insbesondere von Ezid:innen, in den Irak. Im Fall des derzeit inhaftierten und abschiebebedrohten irakischen Staatsangehörigen läuft ein Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung der Abschiebungshaft, parallel dazu bemüht sich die Anwältin um Schutz im Asylfolgeverfahren. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert einen bundesweiten oder mindestens landesweiten Abschiebestopp von Ezid:innen und grundsätzlich ein Ende der Abschiebungen in den Irak.“

Titelbild: Netzwerk gegen Abschiebungen Hannover

https://anfdeutsch.com/aktuelles/abschiebestopp-fur-ezidische-gefluchtete-zieht-hamburg-nach-41189 https://anfdeutsch.com/aktuelles/thuringen-keine-abschiebung-von-ezidischen-frauen-und-kindern-40475 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/pro-asyl-fordert-sofortigen-abschiebestopp-fur-ezid-innen-40051 https://anfdeutsch.com/menschenrechte/migrationsbeirat-munchen-fordert-schutz-fur-ezidische-gefluchtete-40744 https://anfdeutsch.com/aktuelles/civaka-azad-deutschlands-problem-mit-kurdischen-gefluchteten-40172

 

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Impfschäden vorbeugen und kurieren – mit Dr. Schiffmann’s Spike

Heilnatura, der Hersteller hochwertiger Natur- und Nahrungsergänzungserzeugnisse in bester Bio-Qualität und Kooperationspartner von Ansage!, hat sein früheres Top-Produkt Dr. Schiffmann’s SpikeProtect nochmals von der Formel her verbessert. Das Resultat ist nun Dr. Schiffmann’s SPIKE–  die neueste Version von Spike, vormals SpikeProtect, mit verbesserter Bioverfügbarkeit und noch mehr gesundheitlichen Vorteilen! Die neuen Vorteile von Dr. Schiffmann’s […]

<p>The post Impfschäden vorbeugen und kurieren – mit Dr. Schiffmann’s Spike first appeared on Ansage.</p>

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Interview on location trackers: Google and Apple „are hoping to avoid being banned“

netzpolitik.org - 31. Mai 2024 - 7:23

AirTags can be super useful. But in women’s shelters they’re deadly. Topics such as stalking are a new thing for the standards organization IETF. But this is what was needed when discussing a standard for location trackers. Mallory Knodel says the IETF should be proud of itself to be expanding its mandate.

Location Trackers are often small and can easily be hidden in a bag. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Đức Trịnh

The German version of the interview is available here.

Mallory Knodel is the Chief Technology Officer of the Center for Democracy & Technology and co-chair of the Human Rights Protocol Considerations Research Group of the Internet Research Task Force. She is involved in the development of a standard for location trackers, which was recently announced by Google and Apple.

The idea of the new standard is to make it possible to recognize trackers such as Apple’s AirTags with devices by other companies. We spoke to Knodel about the different interests surrounding the topic of location trackers and whether the new standard will actually benefit stalking victims.

netzpolitik.org: About a year ago, Google and Apple announced an initiative to create an industry standard for location tracking services and recently announced it’s being implemented. Whose idea was it to create this new standard?

Mallory Knodel says she’s in the camp of “these devices should be banned.” - Alle Rechte vorbehalten privat

Mallory Knodel: Google and Apple had committed to working together on an approach that would be device agnostic. While they had their own separate products and their own separate operating systems, they need to leverage all the Bluetooth devices more largely. So they were working together and they had already started drafting a specification. This is similar to when they came together to work on Bluetooth tracking during the Covid 19 pandemic.

And they were open to input, especially from victims or most affected parties. Google and Apple were hosting and listening to feedback from different advocacy organizations and groups.

The reason to do it at the IETF was because a standards body allows for consensus building across the industry, not just these two companies. And the second purpose is because the IETF is totally open. All of its mailing lists are published online. All its meetings are recorded. Its minutes are official. The participation in those meetings is tracked. Intentionally, because there are requirements for intellectual property disclosures. That transparency would allow for some of the advocacy that the group’s most affected were performing to be also on the record.

netzpolitik.org: And then there was a specific working group for this?

Mallory Knodel: Yes, it’s called the Detecting Unwanted Location Trackers Working Group. And that’s an IETF working group.

netzpolitik.org: What was your role in this working group and how did that come to be?

Mallory Knodel: I attend the meetings and I follow the issue for CDT. CDT had weighed in on the effort before Apple and Google took this to the IETF. CDT was really pushing for work to happen in the IETF because we understood the value the to the two outcomes I mentioned before.

Still, a standard isn’t a foregone conclusion. You can’t just take something to the IETF and expect it to be standardized. It is a whole process. So Nick Doty and I introduced the idea that Apple and Google take their white paper to the IETF to see if the work they had already done on what they thought this specification would look like would be of interest to people in the IETF. IETF folks suggested that they host a meeting and talk about whether this should be a standards track document at the IETF. These meetings are called “birds of a feather” (BoF) sessions.

The goal is to determine whether to charter, and what should be the charter of the working group: its tasks, and what it is going to be standardized. The charter is approved by the relevant area director, in this case the security area. Incidentally, the security area director that approved this is now the IETF chair and so this has had a lot of attention. Once the charter is approved the work can begin on the document itself and potentially other documents, too. Based on the charter, there was some room in the charter that other things might come up besides just this very specific document on the Apple/Google scheme to detect location trackers.

“The entire effort assumes that victims’ needs should be considered”

netzpolitik.org: What was this extra room in the charter for? The human rights issues with regard to the location trackers?

Mallory Knodel: The extra space that was created had to do with the protocol itself. The paper that Google and Apple wanted to do was specifically and only focused on the detection of their own trackers.

So some security minded folks said: we can’t just deal with this narrow slice of detecting trackers when they’re unwanted. We might actually have to define some specifications for the way that these trackers work at all. Apple and Google didn’t totally agree but they did open the door just like a tiny bit to allow for that kind of specification.

The human rights issues were actually already present because groups like CDT, the National Network to End Domestic Violence and the Electronic Frontier Foundation had been vocal about their views on the specification. The entire effort assumes that victims’ needs should be considered and threats mitigated.

netzpolitik.org: So how did they get included?

Mallory Knodel: There were lots of reports in the media of people using location trackers to stalk. It’s a terrible thing. So clearly Apple and Google have to do something. After all these reports a lot of people said: don’t sell these trackers, just don’t have them. The human rights cost is too high for a product like this.

At this point there was no regulation of them. So the goal is for them to get ahead of this and to come up with their own solution. These trackers are now ubiquitous and there are lots of companies selling them. And the technical solution is to use this network of anything Bluetooth connected to identify other things that are Bluetooth connected to give signals to the Bluetooth items that have a screen. And that screen can then say to the user: there’s a device that’s been near you for a while.

“You could subscribe right now and effectively be working in the working group”

netzpolitik.org: Why did Apple and Google work together?

Mallory Knodel: They’re doing it for technical reasons. They’re also doing it for PR reasons. Because as an industry, they’re hoping to avoid being banned.

And so they take this idea to the IETF. And end user advocacy groups are going into the IETF along with them. The IETF has virtually no experience with dealing with groups like this. We have the Human Rights Protocol Considerations Research Group (HRPC), but it’s usually treated as like a side show. This case is an example that really helped demonstrate the need for experts within the community to understand not just the technology, but also the human rights angle.

There was a third element, too. For us, as the human rights people in the IETF to get to talk about why this is important to funders, other industry players and especially NGOs. They know about the IETF, but they don’t know what they would do there if they spent time advocating on the design of standards. And so that was a moment for us to bring in more organizations to participate in the IETF because there are now issues that need their attention.

netzpolitik.org: Anyone who wants to can join such a working group?

Mallory Knodel: Exactly. The mailing lists are totally open. You could subscribe right now and effectively be working in the working group.

netzpolitik.org: Is representation an issue then?

Mallory Knodel: The IETF does to some degree track participation, but lightly, without violating participants’ privacy. This is an ongoing goal of my long term work in the IETF: to get more diverse participation in the IETF. I suspect that the IETF suffers from its white male North Americanness to the degree that it does, because often they’re not dealing with issues that are of interest to anyone else in the world.

So it is a self-perpetuating cycle: we’ve had participation from people from India or sub-Saharan Africa in the past, but then they go away often because their work isn’t taken up.

“The entire conversation was replicated in the IETF”

netzpolitik.org: Coming back to the tracker standard: were there any controversies within the working group?

Mallory Knodel: A lot of the debate in the BoFs focused on whether or not this work should happen. It was interesting to me that we had mostly engineers who usually worry just about the network and now they were talking about whether these trackers’s use cases are good or bad.

It was the same debate that happens in the mainstream news: they’re good for tracking property versus these are bad because they’re being used to track humans and we should focus on that over the property use case. You had folks saying “Okay, we’ll talk about people. How about people with dementia? Or children that need to be tracked by their caregivers?” The entire conversation that happens in the mainstream was replicated in the IETF.

netzpolitik.org: What was the outcome?

Mallory Knodel: The outcome is harm reduction. People understood that we weren’t going to be able to solve the fact that these location trackers are on shelves everywhere, and the IETF has an opportunity to make them less harmful.

netzpolitik.org: Do you think that’s a good outcome?

Mallory Knodel: I do. I’m in the camp of “these devices should be banned.” But that’s not a problem that I can solve. It’s wonderful that the IETF has recognized it has a role to play in this kind of harm reduction. So I think it should be proud of itself for slightly expanding its mandate. Dipping into a realm of a technical-social issue, I think is really good for the community.

“And it works. It is useful.”

netzpolitik.org: Do you think the standard and its implementation will actually prevent stalking? Let’s say someone I know puts something secretly into my pocket without telling me – a pretty common situation in an abusive relationship. Would my phone tell me about this?

Mallory Knodel: I think that the company Apple’s already implemented this, Google has implemented some version of it. What they’re trying to do with this is to force everyone to have to do it. And it works. It is useful. I mean, even in the IETF meeting in Prague in November last year, I got into an elevator and immediately got a notification that someone else’s Bluetooth earphones were in the elevator with me. So it does work. This is what victims have been asking for. The National Network to End Domestic Violence has been asking them to do this, and they answered that request.

This potentially makes their products less competitive. The problem was other products have been saying: ”We’re not going to alert thieves that your property’s been stolen. We’re going to be the version of this product that’s better for people who want to track their property.”

I think Apple and Google are hoping that this would be regulated so that all companies have to do this.

netzpolitik.org: Coming back to the perspective of potential victims and a situation where I’m around a specific tracker for a longer period of time. If I have a tracker intentionally on my keyring I don’t want to be alerted all the time. One the other hand if my abusive partner puts a tracker into my pocket and I’m around this partner already all the time: would I still then be alerted?

Mallory Knodel: There’s a way to turn them off. So you wouldn’t get alerted for things that are yours. On the other hand, I could use my headphones to track you. I just need to put something that has this tracking capability. Like with operating-system family accounts, I can see where my family’s devices are because we’ve turned that on. And in a domestic violence situation, there’s a lot more opportunity to mess with those settings. I could pair my headphones with your phone because I have access to your phone and my headphones are in the house all the time. And then when I want to know where you’re going, I could put my headphones in your bag.

This is only tracking things that your interface device – the one that tells you there’s a problem – does not know this other device. It just knows that there’s something out there that’s pinging it with with Bluetooth. And that’s when it tells you there’s this unknown thing that’s been around for a while.

“The IETF standards are all voluntary”

netzpolitik.org: Will it be an obligation for anyone who produces these Bluetooth devices to use the standard or is it voluntary?

Mallory Knodel: The IETF standards are all voluntary. Nobody forces anybody to use them. Companies could definitely just not implement this. One hope is that a regulator might force it for consumer protection reasons.

netzpolitik.org: If a competitor wanted to produce a tracker specifically for stalking: that would still be possible?

Mallory Knodel: Absolutely.

netzpolitik.org: Is the tracker detection going to work for operating systems other than Google or Apple as well?

Mallory Knodel: Hopefully. There have even been suggestions to create products that would just be for detecting trackers that wouldn’t be a phone. Imagine if you walk into a domestic violence shelter and they would hand you a device that’s not a phone. And maybe that device, if you hold on to it for a few hours and there’s a device tracker, then it would tell you that you have one somewhere. Those also are going to be possible with this standard.

netzpolitik.org: Does this have privacy implications, too?

Mallory Knodel: People are concerned that if you can detect the trackers that you can detect things about those trackers that might be privacy violating. When I got into the elevator in Prague, it actually told me “Mark’s iPods are nearby” and so I now know that this person’s name is Mark, and he’s carrying with him a particular brand of expensive head phones. That gives you an idea of how this could go wrong. So you need some privacy protections.

The way the protocol is designed is meant to only give the detecting device aggregated data and not specific data. So in the future what I experienced in the elevator may change. It might just say “someone else’s headphones are nearby ”. And that’s still useful. In another case maybe you want the network to tell people your name or phone number to help retrieve your lost property. It’s a balance. In developing this specification, we have to balance all these different use cases and all these different negative outcomes because we’re trying to achieve different things.

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Systemeinstellungen: #04 Unter Terrorverdacht

netzpolitik.org - 31. Mai 2024 - 6:01

Früh morgens stehen Polizisten mit einem Rammbock vor der Tür des Soziologen Andrej Holm. Gleich werden sie ihn auf den Boden werfen, festnehmen, in eine Einzelzelle stecken. Und viel später wird herauskommen: alles falscher Alarm. In Episode #04 unseres Doku-Podcasts erzählen er und seine Partnerin Anne Roth, was ihrer Familie passiert ist.

Wissenschaftler im Visier. – CC-BY-NC-SA 4.0 Lea Binsfeld/netzpolitik.org


https://netzpolitik.org/wp-upload/2024/05/SE_E04_UnterTerrorverdacht_release.mp3

In den Nullerjahren schreibt die „militante gruppe“ ziemlich hochgestochene Bekennerschreiben. Sie klingen wie akademische Aufsätze, direkt aus dem Uni-Seminar – findet die Polizei. Einer der Gründe, warum plötzlich der Stadtsoziologe Andrej Holm ins Visier der Ermittler gerät. Sie vermuten in ihm offenbar den Vordenker einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung. Und als in Brandenburg jemand versucht, LKWs der Bundeswehr anzuzünden, will die Polizei nicht länger warten: Wenig später steht sie mit dem Rammbock vor der Wohnung.

Es ist die Geschichte eines Wissenschaftlers, der per Hubschrauber quer durch Deutschland geflogen wird, drei Wochen lang in Einzelhaft sitzt – und irgendwann erfährt: Seine Familie und er wurden schon monatelang abgehört.

Wir reden mit Andrej und seiner Partnerin Anne Roth darüber, wie das vor fast 17 Jahren ihr Leben durcheinandergerüttelt hat. Irgendwann wurde das Verfahren zwar eingestellt, aber Spuren hat die Aktion dennoch hinterlassen. Es geht um den berüchtigten Schnüffelparagrafen 129a, geheimnisvolle schwarze Beutel, verdächtigen Teelicht-Windschutz und zwei politisch engagierte Leben.

Höre den Podcast, wo und wie es Dir gefällt:

Hier findest Du alle Folgen von „Systemeinstellungen“.

Die nächste Episode „Kriminelles Klima“ erscheint am 7. Juni.

Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.

Links und Infos Was tun bei einer Hausdurchsuchung?

 

Manuskript zum Nachlesen Prolog

Serafin Dinges: Okay, wir beginnen diese Folge mit einer kleinen Herausforderung. Ich hab hier zwei Texte vor mir. Einer ist von einem Wissenschaftler. Der andere ist ein Bekennerschreiben zu einem Brandanschlag. Glaubt ihr, ihr könntet die beiden unterscheiden? Das ist keine theoretische Frage – sondern ein Beispiel aus einer echten staatlichen Ermittlung. Und die Frage, wie sehr sich diese beiden Texte ähneln. Die Frage wird mit darüber entscheiden, ob die Polizei – schwer bewaffnet – in der Wohnung einer jungen Familie steht. Hier ist der erste Text.

Stimme: Es gibt keinen Automatismus, der die Verelendeten und Geschundenen als Kollektiv mit einer klassenkämpferischen Perspektive ausstattet und wie von selbst gesteuert zum unmittelbaren Handeln führt. Dennoch sind in den vergangenen Jahren der Konfrontation mit den Agenturen der Sozialtechnokratie viele Initiativen und Projekte entstanden, die Mut zur Bewegung machen. Daran ist unmittelbar anzuknüpfen, das heißt, Beispiele zu setzen und Rahmen zu entwickeln, die eine Teilnahme der sozial Marginalisierten und Prekarisierten ermöglichen.

Serafin Dinges: Und das hier ist der zweite Text.

Stimme: Die beschriebene Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen gilt nicht nur im Bereich der Blue-Collar-Arbeit, sondern auch für viele White-Collar-Tätigkeiten. Aus einer sozialstatistischen Perspektive spiegeln sich in diesen Veränderungen die Prozesse der sozialen Polarisierung und der Auflösung der nivellierten Mittelstandsgesellschaft wider.

Serafin Dinges: Könntet ihr herausfinden, was davon das Bekennerschreiben von Menschen ist, die einen Anschlag verübt haben? Super leicht ist es nicht. Beide Texte klingen ziemlich kompliziert. In beiden geht es um Prekarisierung. Aber der letzte, also der zweite, ist ein wissenschaftlicher Text vom Stadtsoziologen Andrej Holm. Und der erste Text ist ein Bekennerschreiben der sogenannten militanten gruppe dazu, wie sie versucht hat, das Berliner Sozialgericht in Brand zu stecken. Das war Anfang seit 2000, da trat die militante Gruppe zum Ersten Mal in Erscheinung. Abgekürzt wird sie mit mg. Die linksradikale Organisation verschickte 2001 zum Beispiel einen Drohbrief mit Munition an den FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff. 2002 warfen sie einen Molotowcocktail an den Eingang eines Sozialamts in Berlin Reinickendorf. Sie haben außerdem versucht, einen Lidl-Neubau anzuzünden. Das hat nicht geklappt. Und sie steckten Polizeifahrzeuge in Brand. Hat auch nicht ganz geklappt. Besonders typisch für die mg waren ihre akademisch klingenden Bekennerschreiben wie das von vorhin. Jahrelang ermittelt die Polizei, um an die Mitglieder der Gruppe heranzukommen. Am 31. Juli 2007 nimmt sie dann drei Männer fest, die versucht haben sollen, Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Und dann haben sie noch einen festgenommen. Den Stadtsoziologen Andrej Holm.

Andrej Holm: Ich arbeite als Wissenschaftler an der Humboldt Universität in einem Arbeitsbereich Stadt- und Regionalsoziologie und beschäftige mich seit bestimmt 30 Jahren mit Stadtentwicklung und Wohnungspolitik und bin auch parallel zu meiner wissenschaftlichen Arbeit immer aktiv in Mieterorganisationen und Stadtteilbewegung gewesen, um aktiven Einfluss auf die Wohnungspolitik in Berlin zu nehmen.

Serafin Dinges: Andrej kämpft also für eine Stadt, die sich alle leisten können. Seine Waffen dabei sind Worte. Wenn Andrej schreibt, dann klingt es manchmal ein bisschen kompliziert. Wissenschaftliche Texte halt. Das wird ihm später zum Verhängnis, denn die Polizei findet, seine Texte klingen den Bekennerschreiben der mg ganz schön ähnlich. Und Ermittlerinnen glauben deshalb irgendwann: Andrej, der könnte gefährlich sein.

Andrej Holm: Und dann war es wirklich wie in so einem Krimi. Also ich hörte Schritte und dann hieß es immer „Raum zwei gesichert. Raum drei, Küche gesichert. Raum drei gesichert.“

Serafin Dinges: Als die Polizistinnen Andrejs Wohnung sichern, als wäre er der Anführer einer gefährlichen Terrorgruppe, da versteht der Stadtsoziologe überhaupt nicht, was gerade los ist. Es ist der 31. Juli 2007 und Andrej ahnt nicht, was noch passieren wird. Und er ahnt nicht, was in den letzten Monaten schon passiert ist. Andrej Holm und seine Partnerin Anne Roth waren Opfer staatlicher Überwachung. Ihre Telefone, ihre Spaziergänge, ihre Einkäufe. Das und noch viel mehr wurde im Verborgenen überwacht. Der Verdacht: Terrorismus. Ich bin Serafin Dingens. Und ihr hört Systemeinstellungen. Eine Produktion von netzpolitik.org. Heute: Unter Terrorverdacht.

Überwachung, kennen wir eigentlich

Serafin Dinges: Wir treffen Andrej Holm und Anne Roth in ihrer schönen Altbauwohnung in Berlin. Wir sitzen auf einer Couch vor einer Wand voller Bücher, in der vermutlich ziemlich alle linken Texte drinstehen, die man so braucht: von Marx Kapital bis zu Biografien von Trotzki oder Che Guevara. Überhaupt liegen überall Bücher oder Laptops oder Stapel Papier. Und auch wenn die Altbauwohnung vielleicht ein bisschen bürgerlicher aussieht: Die beiden Mitte 50-jährigen haben an revolutionärer Energie noch nichts eingebüßt. Schon lange bevor sie es am eigenen Leib erfahren mussten, haben sich Anne und Andrej mit staatlicher Überwachung beschäftigt. Beide waren Anfang der 90er in linken Berliner Strukturen aktiv. Sie haben Häuser besetzt, demonstriert, zum Beispiel gegen Gipfeltreffen wie den G8 in Genua. Wer sich in dieser Szene engagiert, der weiß, dass die Polizei einem immer gern mal über die Schulter schaut.

Andrej Holm: So war es ja ein ständiger Begleiter, dass es auch mal Ermittlungen gegen Einzelne gab. Und so, glaube ich immer so die Angst vor dem Spitzel. Also mit der bin ich zum Beispiel groß geworden. Also dass man in Kneipen nicht über alles reden soll, wenn man nicht genau weiß, wer da zuhört. Und dann ist man vielleicht morgen, wenn man sich zur Aktion oder zur Demo trifft, nicht alleine.

Serafin Dinges: Auch Anne war schon früh politisch engagiert, kommt aus einem alleinerziehenden linken Haushalt, geht gegen Atomkraft auf die Straße. Und dann.

Anne Roth: Irgendwann kam die Volkszählung. Das hat auch einen Bezug zu dem Thema, über das wir heute sprechen.

Stimme: Vom Computer erfasst. Jedem Zugriff staatlicher Neugier ausgeliefert. So sehen sich viele bei der Fragebogenaktion Volkszählung, die ihnen im Mai ins Haus steht.

Serafin Dinges: Die Volkszählung hat 1983 zu Massenprotesten in der Bundesrepublik geführt.

Stimme: Proteste und mitunter.

Serafin Dinges: Handgreifliche Auseinandersetzungen mit den Zählern.

Stimme: Die Verweigerer bleiben zwar in der Minderheit, aber noch fehlen Beweise. Ob der staatliche Gang von Tür zu Tür uns irgendwelche…

Serafin Dinges: Vorteile gebracht hat? Die Regierung wollte mit Fragebögen Informationen über die Bevölkerung erheben und speichern. Aber diese Computererfassung, die war den Menschen nicht geheuer. Sie demonstrierten, klagten und hatten Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht fällte ein historisches Urteil und legte den Grundstein für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Anne Roth: Die Proteste gegen die Volkszählung, für die ich als Jugendliche schon auf die Straße gegangen bin. Ich glaube, ich war einfach immer schon links.

Serafin Dinges: Auch später begleitete Anne das Thema Überwachung in ihrem Beruf.

Stimme: Die parlamentarische Aufarbeitung der NSA Spähaffäre kann beginnen. Der Bundestag setzte heute den geplanten NSA-Untersuchungsausschuss ein. Das Gremium soll klären, wie ausländische Nachrichtendienste deutsche Daten ausgespäht haben und was sie weitergegeben haben.

Serafin Dinges: Als der Bundestag ab 2014 untersucht hat, wie deutsche und US-Geheimdienste zusammenarbeiten, da war sie ganz nah dran. Also nach den Snowden-Enthüllungen. Sie hat für die Linksfraktion am NSA-Untersuchungsausschuss mitgearbeitet. Danach war sie netzpolitische Referentin der Linksfraktion, die mittlerweile aufgelöst ist. Sie recherchierte Themen von digitaler Gewalt bis zu digitaler Überwachung. Und Anne schreibt und bloggt schon ziemlich lange zu diesen Themen. Anne hat auch auf netzpolitik.org schon Texte veröffentlicht.

Anne Roth: Mit solchen Themen beschäftige ich mich seit ungefähr 25 Jahren. Als ich irgendwann mal Politikwissenschaften studiert habe und mich da schon mit Überwachung, Polizei und Auswirkungen auf Grundrechte beschäftigt habe.

Wir sind alle 129a

Serafin Dinges: Dass es zu der Zeit, in der diese Geschichte spielt, tatsächlich zu Überwachung und Hausdurchsuchungen kommt, das zeigt sich vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Dort treffen sich die Regierungschefinnen der acht großen Industriestaaten. Dabei sind auch Deutschland, Frankreich, Russland und die USA. Bei solchen Gipfeltreffen gibt es immer Proteste und Kritik, zum Beispiel gegen eine Politik, die von den reichen Staaten gemacht wird und die Bedürfnisse der ärmeren außer Acht lässt. Im Vorfeld des Gipfels organisieren viele Gruppen ihre Demonstrationen, Aktionen, Blockadeversuche und sogar einen eigenen alternativen Gipfel. Dabei beteiligen sich ganz unterschiedliche Organisationen linksradikale Gruppen, Kirchen, Gewerkschaften, Umweltschützerinnen und andere. Auch Andrej und Anne helfen mit, die Proteste in Heiligendamm zu organisieren. Anfang Juni soll der Gipfel stattfinden und dann Anfang Mai, also ein Monat davor, während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen: ein Schock. 900 Polizistinnen durchsuchen 40 Wohnungen, beschlagnahmen Computer. Gegen 18 Menschen ermitteln sie wegen des Verdachts auf Gründung einer terroristischen Vereinigung. Sie hätten sich unter anderem detailliertes Kartenmaterial zur Umgebung des Gipfels in Heiligendamm beschafft. Bei Andrej und Anne steht die Polizei jetzt noch nicht auf der Matte. Das passiert erst später. In der Wochenzeitung Die Zeit steht damals:

Stimme: Da liegt also die Vermutung nahe, dass es bei der Polizeiaktion nicht darum ging, Straftaten aufzuklären, sondern darum, Informationen zu sammeln, potenzielle Gewalttäter einzuschüchtern und friedliche Demonstranten davon abzuhalten, sich im kommenden Monat an den Protesten gegen den G8-Gipfel Anfang Juni im mecklenburg-vorpommerschen Heiligendamm zu beteiligen.

Serafin Dinges: Es folgen Proteste, Menschen protestieren gegen die Hausdurchsuchungen.

Andrej Holm: Und da sind wir dann ja auch auf auf die so die Demo am Abend gegangen und haben alle gerufen: „Wir sind alle 129a.“

Serafin Dinges: Auch Andrej ruft mit. 129a. Das ist ein Paragraf im Strafgesetzbuch. Darin geht es um die Bildung terroristischer Vereinigungen. Andrej und die Demonstrierenden finden es absurd, dass jemand Protestvorbereitungen als Terrorismus kriminalisiert. Sie wollen deshalb ihre Solidarität zeigen und sagen: Wir alle bereiten uns auf das Gipfeltreffen vor. Also könntet ihr uns genauso gut alle festnehmen. Das uns das wirklich selbst treffen könnte, hatte er damals noch nicht gedacht. Während er uns davon erzählt, unterbricht in Anne.

Andrej Holm: Ich meine, das muss so 2006 gewesen sein.

Anne Roth: Der G8-Gipfel war in demselben Sommer 2007 und du wurdest tatsächlich schon überwacht, als du das gerufen hast. Du wusstest das nur nicht.

Serafin Dinges: Genauso wenig weiß Andrej damals, dass auch gegen ihn längst wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird. Der Paragraph 129a ist bekannt dafür, dass er den Ermittlerinnen jede Menge Instrumente erlaubt. Die Polizei kann dann Telefone abhören, Videoüberwachung, Peilsender an Autos montieren, Staatstrojaner auf Computer und Smartphones schleusen, die Verdächtigen observieren usw. Zu Anklagen oder Verurteilungen führt der Paragraf nur sehr selten. Auch nicht bei den Protestvorbereitungen zu Heiligendamm. Meistens stellt sich heraus: Es sind doch keine Terroristinnen. Juristinnen kritisieren den sogenannten Schnüffelparagrafen daher immer wieder. Er gibt der Polizei viel Macht, ohne dass dafür konkret etwas passiert sein muss.

Andrej Holm: Juristen sagen eigentlich zu 129a, das ist so ein merkwürdiger Fremdkörper in der juristischen Logik, weil sozusagen bereits das Vorbereiten, das Mitglied in so einer Gruppe sein unter Strafe steht und gar nicht sozusagen die vollendete Straftat.

Serafin Dinges: Andrej führt dafür einen Vergleich an.

Andrej Holm: Mein Beispiel war immer: Menschen, die gerne viel, viel mehr Geld haben wollen, als ihnen zur Verfügung steht. Die können ihr ganzes Leben lang davon träumen, eine Bank auszurauben. Solange sie das nicht machen, werden sie dafür nicht bestraft.

Serafin Dinges: Bei der vermeintlichen Bildung einer terroristischen Vereinigung ist das anders. Da reicht es schon, wenn jemand glaubt, eine Gruppe würde etwas organisieren wollen. Das lernt der Theoretiker Andrej Holm bald ganz praktisch.

Die Polizei im Haus

Serafin Dinges: Knapp drei Monate, nachdem Andrej auf der Straße gegen die Hausdurchsuchungen zum G8-Gipfel protestiert hat, steht die Polizei auch vor seiner Tür. Es ist der 31. Juli 2007 frühmorgens. Anne und Andrej sind noch nicht wach. Es wird gerade erst hell. Ihre 2-jährige Tochter schläft bei den beiden im Bett, der Sohn nebenan im Kinderzimmer. Beide sind noch im Vorschulalter. Die Familie wohnt in einer kleinen Wohnung. Der Sohn der beiden hatte am Vortag Geburtstag und sich schon darauf gefreut, heute Morgen mit dem neuen Spielzeug zu spielen.

Anne Roth: Ich weiß jetzt nicht mehr, was das für ein Wochentag war. Jedenfalls war dann irgendwann Kita angesagt für unsere beiden Kleinen. Eben noch Kita-Kinder. Und was ich sonst an dem Tag vorhatte, weiß ich nicht mehr. Aber es wäre einfach ein normaler Wochentag gewesen. Eigentlich.

Serafin Dinges: Aber es kommt anders. Es hämmert an der Tür. Aufmachen! Polizei!

Andrej Holm: Und noch geschafft, mir irgendwie eine Hose überzuziehen und bin dann zur Tür und hab die aufgemacht. Und dann standen da so Polizisten in so einer Kampfuniform und Westen und mit gezogenen Waffen und dann so ein großer Rammbock, der offensichtlich schon bereit war. Und dann stürmten die durch die Tür und warfen mich auf den Boden.

Serafin Dinges: Hätte andere nicht aufgemacht, dann wären die Beamten wohl durch die Tür gebrochen.

Andrej Holm: Macht die Tür auf und da sind sozusagen maskierte, uniformierte Menschen mit Waffen und einem Rammbock vor dir. Da sagst du ja nicht: Guten Morgen, möchten Sie einen Kaffee? Kann ich Sie reinlassen? Was möchten Sie? Haben Sie sich in der Tür geirrt? Also all das, was man hätte sagen können? Es ist mir in dem Moment nicht eingefallen. Zumal Sie auch dann ohne Zögern in unsere Wohnung eingedrungen sind.

Serafin Dinges: Aber bevor er realisieren kann, was da gerade passiert, wird Andrej auf den Boden geknallt und gefesselt. Er liegt überrumpelt im Flur.

Andrej Holm: Das ist wie ein, wie ein Überfall. Und ich glaube, mein mein Gedankengang war: Okay, das sind keine Nazis. Die haben ja gesagt, das sind Polizei.

Serafin Dinges: Das Andrej erst mal dachte, dass es Nazis sein könnten. Liegt wohl daran, dass Rechtsradikale in den 90er und Nuller Jahren immer wieder Hausprojekte angegriffen haben. Und in denen hatte Andrej ja lange gewohnt. Und wer sonst sollte so brutal eine Wohnung stürmen? Hier ist es die Polizei. Aber warum? Davon hat Andrej so gar keine Ahnung. Während all das passiert, ist Anne noch im Schlafzimmer mit ihrer kleinen Tochter. Als sie von den Geräuschen aufwacht, stehen auch schon eine Handvoll Polizisten vor ihr.

Anne Roth: Ich weiß, dass die im Schlafzimmer aufgetaucht sind, mich angebrüllt haben, irgendwie in dieser Zeit mir mitgeteilt haben, dass ich nicht beschuldigt bin, sondern hier nur Zeugin bin. Und ich weiß, dass in meinem Kopf war: „Warum spielt das eine Rolle? Was ist hier eigentlich los?“

Serafin Dinges: An alles erinnert Anne sich nicht mehr. Ist immerhin schon 15 Jahre her und vieles passiert ganz schön schnell. Ihre kleine Tochter bekommt von alldem wenig mit. Mit zwei Jahren. Aber Annes Gedanken sind schnell bei ihrem kleinen Sohn, der im anderen Zimmer schläft. Alleine. Die Beamten fordern sie auf, aufzustehen und den Kindern Frühstück zu machen. Aber erstmal denkt sie an was ganz anderes.

Anne Roth: Es hat unheimlich lange gedauert, bis bei mir im Kopf der Gedanke ankam Das ist jetzt vielleicht der Moment aus den Krimis, wo man den Anwalt anruft.

Serafin Dinges: Anne hat in der Vergangenheit immer wieder mal davon gehört, wie man sich bei Hausdurchsuchungen verhalten soll: in besetzten Häusern, bei der Demovorbereitung. Da reden Aktivistinnen immer wieder über die wichtigsten Punkte. Einer davon ist: Ruhe bewahren. Ein anderer: Keine Aussagen und eine Anwältin informieren. Und am besten schon vorher die Nummern einiger Anwältinnen für den Ernstfall aufschreiben. Aber wenn wirklich die Polizei vor der Tür steht und mit Rammbock und Helmen durch die Tür stürmt, dann vergisst man schnell, was man vorher gelernt hat. Ruhe bewahren wird da ziemlich schwierig. Aber schließlich erinnert sich Anne und wählt die Nummer ihrer Anwältin. Danach versucht sie Normalität zu simulieren und die Kinder und vielleicht auch ein bisschen sich selbst zu beruhigen. Sie macht also erst mal Frühstück, wie die Beamten es vorher gesagt haben.

Anne Roth: Und dann gab es die unglaublich irrwitzige Situation, dass ich da mit zwei Kleinkindern am Tisch saß und daneben stand ein bewaffneter BKAler mit Waffe am Hosenbund und ich dann gefragt habe, ob das möglich ist, dass das nicht so ist, dass die Kinder direkt in diese Waffe gucken. Er hatte die nicht gezogen, er hatte die am Hosenbund, aber sozusagen direkt auf deren Augenhöhe. Dann wurde mir erklärt: Nein, das muss so.

Serafin Dinges: Mit Andrej reden darf Anne nicht. Der wurde mittlerweile im Wohnzimmer aufs Sofa gesetzt, nur mit Hose bekleidet, während die Polizisten in Kampfmontur vor ihm stehen. Bis er sich etwas überziehen darf, muss erst seine Anwältin kommen. Zwischendrin muss Anne noch die Kinder zur Kita bringen. Gerade war sie noch in der Wohnung voller Polizisten. Und jetzt steht sie plötzlich auf der Straße.

Anne Roth: Plötzlich stand ich mit meinen Kindern alleine vor dem Haus und war wieder komplett so in einer völlig anderen Welt und habe mich aber schon in so einem inneren Schockzustand befunden. Habe die Kinder in die Kita gebracht und dann hast du halt so: Einen schönen guten Morgen, wie geht es euch denn? Ja, guten Tag auch. Also kann man natürlich nicht darüber reden, was dir da gerade passiert ist. Und eigentlich ging es aber darum, dass das Kind gestern Geburtstag hatte und lalala. Und das Kind auch so: hmhm. Es war wirklich super absurd.

Serafin Dinges: Als Anne von der Kita zurückkommt, hat die Hausdurchsuchung noch immer nicht begonnen. Aber warum dauert das so lang? Die Polizisten, die jetzt bei Anne und Andrej sind, die sind vom Landeskriminalamt Berlin. Zuständig ist aber eigentlich das Bundeskriminalamt, und das muss erst aus Wiesbaden anreisen. Offenbar hatte man es also ganz schön eilig, die Wohnung zu stürmen. Aber warum eigentlich? Was will die Polizei herausfinden? Und was wirft sie Andrej eigentlich vor? Im Visier hatten sie ihn schon länger, aber ein Ereignis am Tag vorher führt dazu, dass es hektisch wird beim BKA in Wiesbaden. In der Nacht vor der Hausdurchsuchung sollen drei Männer versucht haben, drei Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden auf einem Gelände in Brandenburg an der Havel. Dort waren die LKWs gerade zur Inspektion. Die drei Männer wurden beobachtet, wie sie Brandsätze an die LKWs gelegt und angezündet haben. Polizistinnen bekamen das mit. Das Feuer wurde schnell gelöscht, die beobachteten Männer kurz darauf festgenommen. Die Polizei vermutet: Das hat was mit der militanten gruppe zu tun. In einer Mitteilung des Generalbundesanwalts klingt das später so:

Stimme: Der versuchte Brandanschlag vom 31. Juli 2007 weist hinsichtlich des Anschlags, Ziels der Tatzeit und der konkreten Tatausführung eine Vielzahl von Parallelen zu Anschlägen der terroristischen Vereinigung militante gruppe in der Vergangenheit auf.

Serafin Dinges: Andrej war keiner der drei Festgenommenen. Aber offenbar glaubt die Polizei trotzdem, er hätte was damit zu tun. In der Mitteilung heißt es weiter unten nämlich.

Stimme: Der Beschuldigte Andrej H. Ist gleichfalls dringend verdächtig, Mitglied der mg zu sein. Dies ergibt sich unter anderem aus der Tatsache umfassender konspirativer Kontakte und Treffen, insbesondere mit dem Beschuldigten Florian L.

Serafin Dinges: Florian L ist einer der Menschen, die nach dem Brandanschlag auf die LKWs aufgegriffen wurden. Er ist es, der konspirative Kontakte zu Andrej Holm haben soll. Das klingt nach mysteriösen nächtlichen Treffen im Wald. Mit konspirativ meint der Generalbundesanwalt aber hier zum Beispiel: sie sind sich in der Vergangenheit bei Treffen begegnet und hatten laut Beobachtung der Polizei kein Handy dabei. Oder zumindest kannten die Ermittlerinnen keines orten. Grund genug für das BKA, so schnell es die deutsche Autobahn zulässt, von der hessischen Zentrale nach Berlin zu rasen. Damit geben sie dann auch ein bisschen an, als sie bei Anne und Andrej in der Wohnung stehen.

Anne Roth: Das war auch so ein super unangenehmer Moment, weil da so ein smarter BKAler dann irgendwie mit Begeisterung berichtet hat, wie er mit Tempo 200 über die Autobahn gefahren ist und wie lange das gedauert hat. Von Wiesbaden nach Berlin. Diese Leute…

Serafin Dinges: Andrej weiß zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht genau, was ihm vorgeworfen wird. Aber immerhin geht die Durchsuchung jetzt los und dauert ziemlich lange.

Verdächtige Gegenstände

Anne Roth: Die haben jedes Buch aus dem Bücherregal genommen und da reingeguckt. Und die haben sämtliche technischen Geräte mitgenommen. Das hat ungefähr 15 Stunden gedauert. Also die waren irgendwann spät abends dann damit fertig, weil die eigentliche Sucherei, die hat sozusagen die Hälfte der Zeit in Anspruch genommen und dann kommt das preußische Beamtentum durch, weil das muss dann alles katalogisiert und in Tütchen und mit Etiketten beschriftet werden. Und ich musste mir das dann alles angucken und abzeichnen und weiß ich nicht.

Serafin Dinges: Andrej und Anne haben, wie gesagt, viele Bücher. Andrejs Arbeitszimmer steht voller Literatur. Überall Texte zu allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Themen. Er ist ja Wissenschaftler.

Anne Roth: Absurdeste Situation dabei, dass sie irgendwann aus dem sehr großen Bücherregal des Soziologen Andrej Holm irgendwie das Buch von Bourdieu aus dem Regal gezogen haben und dann irgendwie interessiert ihren Einsatzleiter gefragt haben, ob das irgendwie relevant sei.

Serafin Dinges: Dass Andrej ein Buch von Pierre Bourdieu im Regal hat, das ist nicht besonders überraschend, denn Bourdieu ist so ziemlich DER Soziologe. Wer Soziologie oder überhaupt irgendetwas mit Humanwissenschaften studiert, der kommt an dem französischen Forscher nicht vorbei. Also: nicht verdächtig. Auch relevant finden die Polizisten offenbar einen Kindercomputer von Andrejs Sohn. Mit dem kann man Lernspiele machen zu Farben, Tieren oder zu Buchstaben. So richtig zu Terroristen passt das eigentlich nicht, aber mitgenommen hat die Polizei das Spielzeug trotzdem.

Anne Roth: Und ich kann mich erinnern, so eine Situation irgendwann einmal mit so einem Strahlen im Gesicht reinkam.

Serafin Dinges: Noch verdächtiger war da ein Objekt aus dem Campingbus der beiden.

Anne Roth: Und zwar waren das so in der Mitte durchgeschnitten Plastikwasserflaschen, wo Rauchspuren dran waren und er war total glücklich, dass er jetzt endlich was gefunden hatte, weil Anschlag, Terroristen, usw.

Serafin Dinges: Was die beiden mit den verdächtigen Flaschen gemacht haben? Anne klärt die Polizisten auf.

Anne Roth: Aus ordentlicher linker Perspektive redet man ja nicht mit denen. Aber ich habe in dieser Situation mich dann nicht weiter zurückgehalten und gesagt: Die benutzen wir als Windschutz für Kerzenhalter. Deswegen sind da Wachsreste und Rauch drin. So, und man sah förmlich seine Enttäuschung, dass da jetzt auch noch kein Anschlagsmaterial in dem Campingbus gefunden worden war. Haben sie natürlich trotzdem alles mitgenommen.

Das Personenraster

Serafin Dinges: Nach vielen Stunden ist die Durchsuchung beendet. Die Beamten nehmen nicht nur viele Unterlagen und Geräte mit, sondern auch Andrej. Er wird zuerst mit dem Transporter zum Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm gebracht. Dort wird er erkennungsdienstlich behandelt, wie es in der Amtssprache heißt. Fotos machen, Fingerabdrücke abgeben. Am nächsten Tag fliegt ihn ein Hubschrauber nach Karlsruhe. Dort wird er einem Haftrichter vorgestellt, der entscheiden soll, ob Andrej in Untersuchungshaft kommt. Und wie schon bei der Durchsuchung ist dafür nicht Berlin zuständig, denn es geht ja mutmaßlich um Terrorismus. Das heißt, der Generalbundesanwalt ist für die Ermittlungen zuständig und der Bundesgerichtshof für die Gerichtsverfahren. Und die sitzen beide in Karlsruhe. Ein ziemlich krasses Aufgebot also. Aber noch mehr Aufwand hat sich die Polizei im Vorfeld gemacht. Andrej sieht schwarz auf weiß in seinem Haftantrag: Ein ganzes Jahr lang wurde er schon beobachtet und abgehört, ohne dass er davon je irgendetwas mitbekommen hat. Aber was das eigentlich heißt und was die Polizei alles gemacht hat, das ist für Andrej erstmal gar nicht so wichtig. Er kann das überhaupt nicht verarbeiten. Jetzt gerade ist seine Verhaftung das größere Problem.

Andrej Holm: Der Schock, da er überfallen, verhaftet und in Untersuchungshaft zu kommen, der war zum Anfang natürlich viel, viel größer als der Schock darüber, dass die uns schon ein Jahr überwacht haben.

Serafin Dinges: Der Haftrichter entscheidet. Andre muss in Untersuchungshaft. Deshalb will er wieder zurück nach Berlin. Moabit gebracht. Innerhalb weniger Tage wird Andrej also mehrmals quer durch Deutschland verfrachtet. Er weiß kaum, wie ihm geschieht. In Berlin bekommt er eine winzige Einzelzelle mit Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Waschbecken und Toilette. 23 Stunden am Tag ist er darin alleine. Eine Stunde darf er raus. Der taz erzählt er später, er habe vor allem Kniebeugen gemacht, um ein bisschen Bewegung zu bekommen. Um das zu machen, musste er aber den Stuhl aufs Bett stellen. Weil die Zelle so klein war. Die Bedingungen sind für ihn besonders hart, weil er als Terrorismusverdächtiger als besonders gefährlich gilt. Wie lange er dort noch sitzen wird, das kann er noch nicht ahnen.

Serafin Dinges: Der Spiegel berichtet später, wie die Polizei darauf kam, Andrej und andere zu verdächtigen. Das BKA hatte ein Personenraster entworfen, um festzustellen, wer zur militanten gruppe gehören könnte. In dieses Raster fallen Personen mit einer Reihe von Eigenschaften. Erstens: Verdächtig ist, – Zitat – „wer der Polizei bislang nicht aufgefallen ist und kein klassischer Autonomer ist“. Zitat Ende. Ich glaube, man muss kein ausgebildeter Kriminologe sein, um zu sagen: Das trifft auf die meisten Menschen zu. Zweitens, wer die Fähigkeit hat, Zitat, „wissenschaftlich oder analytisch zu arbeiten und komplexe Texte zu erstellen“.

Das trifft auch recht viele Leute. Alle, die an einer Uni sind oder waren. Mich zum Beispiel. Schuldig im Sinne der Anklage. Ich habe Literaturwissenschaften studiert und ich kann auf jeden Fall komplexe Texte schreiben. Ob sie jemand versteht, ist die andere Frage. Die dritte Eigenschaft ist, wer sich an – Zitat – „Basisstrukturen beteiligt“. Zitatende. Basisstrukturen, das ist so was wie Mieterinnen-Proteste und vermutlich auch die Proteste gegen den G8-Gipfel. Auch damit wäre ich wahrscheinlich verdächtig. Auch ich gehe manchmal auf Demos. Spende an Seenotrettungsorganisationen oder unterschreibe Volksbegehren. Das Personenraster des BKA ist so grob definiert, dass jede Erstsemesterstudentin an einer Berliner Uni verdächtigt werden könnte. Ich wäre auf jeden Fall auch dabei.

Und während Andrej in einer Zelle sitzt, formiert sich Widerstand gegen seine Festnahme. Menschen protestieren vor dem Untersuchungsgefängnis in Berlin-Moabit. Auch Wissenschaftlerinnen solidarisieren sich. Sie sind empört, dass dem Soziologen vorgeworfen wird, der geistige Kopf einer angeblichen Terrororganisation zu sein. Mit dem Grund, dass er dieselben Begriffe verwendet hatte wie die militante gruppe und daher zum intellektuellen Urheber gemacht wurde. Sie fürchten eine Kriminalisierung wissenschaftlicher Arbeit an sich. Nach drei Wochen darf Andrej die Untersuchungshaft verlassen. Aufgehoben ist der Haftbefehl da aber noch nichts. Er ist nur außer Vollzug gesetzt. Das heißt, Andrej darf nach Hause, aber nicht weglaufen. Entspannen kann er also noch nicht. Er könnte jederzeit wieder festgenommen werden. Aber endlich kann er all die Menschen wiedersehen, mit denen er in den vergangenen Wochen, wenn überhaupt, nur durch eine Glasscheibe sprechen konnte. Und die Gelegenheit will er nutzen.

Der schwarze Beutel

Anne Roth: Am nächsten Tag hat Andrej mit seinen Eltern telefoniert. Die haben sich verabredet, für den folgenden Sonntag zum Kaffeetrinken mit Großeltern, Kindern, Enkelkindern. Endlich mal in Ruhe zusammensitzen.

Serafin Dinges: Aber dann sagt seine Mutter am Telefon etwas Ominöses.

Anne Roth: Und dann würde ich mich gerne darüber unterhalten, was in dem schwarzen Beutel steckt.

Serafin Dinges: Wenn man diesen Satz ganz ohne Kontext hört, dann klingt es vielleicht erst mal geheimnisvoll. Was ist das für ein schwarzer Beutel? Das war so: Als Andrej aus der Untersuchungshaft kommt, hat er ein paar Sachen dabei, zum Beispiel seine eigenen Klamotten, die ihm seine Angehörigen zum Gefängnis gebracht haben. Und er hat ein paar Unterlagen, um sich auf seine Verteidigung vor Gericht vorzubereiten. Als er entlassen wird, muss er das Zeug irgendwo reinstopfen.

Anne Roth: Er hatte verschiedene Beutel mit, mit verschiedenen Klamotten und dann diese losen Ordner mit Akten unterm Arm. Und seine Mutter hat ihm dann… Also kennen wir bestimmt alle, diese ganz kleinen, faltbaren Einkaufsbeutelchen, die es so als Schlüsselanhänger gibt. Und so was hatte sie in Schwarz dabei und hat ihm den dann gegeben, um die Aktenordner da rein zu tun.

Serafin Dinges: Die Aktenordner hatte ihm seine Anwältin mitgebracht. Dass diese völlig harmlosen Papiere nun in dem mysteriösen schwarzen Beutel gelandet sind, das wissen die Ermittler innen nicht, während sie weiter Andrejs Telefon abhören. Und sie werden dabei offenbar ziemlich nervös. Und was dann passiert, ist schon fast ein bisschen witzig. Während Andrej auflegt und sich auf das Wiedersehen freut, rotiert im Hintergrund das BKA.

Anne Roth: Es wird vom BKA mitgehört und wir konnten später in den Akten dann nachlesen, dass das zu einer irren Aktivität zwischen BKA und Bundesanwaltschaft geführt hat, weil die daraus geschlossen haben. Offensichtlich gibt es irgendwelches Material. Terroristisches, anschlagsrelevantes Material, was wahrscheinlich bei den Eltern des Beschuldigten in der Wohnung sich in einem Beutel befindet, weil der irgendwie seine Terrormaterialien bei seinen Eltern unter dem Sofa versteckt hat, wo du dich dann auch irgendwie fragst: also jeder ordentliche Linksradikale würde wahrscheinlich irgendwie seine Sprengstoffe nicht bei den Eltern unterm Sofa verstecken, sondern vielleicht eher im Wald oder weiß ich nicht. Aber jedenfalls das BKA denkt: also irgendwas Anschlagsrelevantes liegt bei den Eltern.

Serafin Dinges: Die Ermittler rennen, überlegen, was sie jetzt machen sollen. Die Wohnung von Andrejs Eltern stürmen vielleicht?Das wollen sie dann doch nicht. Aber sie wissen ja, dass die genau am nächsten Tag zu Besuch kommen wollen, um über den schwarzen Beutel zu reden. Eine günstige Gelegenheit, denkt das BKA.

Anne Roth: Sie haben stattdessen beschlossen, die Eltern mit zu überwachen. Und der Plan war dann, wenn die Eltern an dem Sonntag zu uns in die Wohnung kommen und diesen Beutel dabei haben, dass dann unterwegs die gestoppt werden. Und dann wird geguckt, was in dem Beutel ist, weil die davon ausgegangen sind, die bringen den dann mit.

Serafin Dinges: Aber irgendwas muss dann schiefgelaufen sein bei der Beschattung von Andrejs Eltern, denn die werden nicht auf dem Weg abgefangen, sondern die kommen wie geplant nichts ahnend bei der kleinen Familie an.

Anne Roth: Wir saßen bei uns in der Wohnung, haben Kaffee getrunken und waren irgendwie erleichtert, dass wir endlich mal in Ruhe miteinander reden können. Waren schon fertig mit Kaffeetrinken, wollten eigentlich gerade einen Spaziergang machen mit den Kindern, klopft es an der Tür: BKA. Schönen guten Tag. Und das war dann die nächste Hausdurchsuchung, weil ja dann spontan beschlossen werden musste, noch mal zu durchsuchen, um den Inhalt dieses Beutels dann in Augenschein zu nehmen. Wir haben die Tür aufgemacht, die haben gesagt: Hausdurchsuchung, trallala. Und ich hab dann in echt gesagt: Ist das jetzt hier „Verstehen Sie Spaß?“ Weil ich wirklich dachte, das ist jetzt irgendwie… Das kann ja wohl nicht sein.

Serafin Dinges: Aber so war es eben. Die nervösen Beamten stellen fest, dass in dem geheimnisvollen Beutel wirklich nur Ermittlungsakten sind und ziehen wieder ab.

Spendenaufruf

Anna Biselli: Hallo.

Serafin Dinges: Oh, okay. Da ist Empfang ganz schlecht. Wenn das erste Wort schon komplett. Äh. Sag doch mal was.

Anna Biselli: Ich sag noch mal was.

Serafin Dinges: Hallo, Anna Biselli.

Anna Biselli: Hallo, Serafin.

Serafin Dinges: Willkommen zur Werbepause. Mir wurde aber zugetragen, dass Werbepause vielleicht gar nicht so ein gutes Wort ist, weil Leute dann vielleicht skippen. Also nicht skippen. Es ist nämlich keine Werbepause, ist keine Werbung, sondern es ist ein kleiner Spendenaufruf. Und dafür will ich mit Anna Biselli sprechen. Die Autorin dieser Folge und Co-Chefredakteurin von netzpolitik.org. Woran arbeitest du denn gerade?

Anna Biselli: Ich habe gerade eine Presseanfrage verschickt.

Serafin Dinges: An wen?

Anna Biselli: An den Bundesdatenschutzbeauftragten.

Serafin Dinges: Erwartest du dir spannende Antworten?

Anna Biselli: Weiß ich noch gar nicht. Ich habe irgendwie in einem alten Tätigkeitsbericht von vor fünf Jahren was gesehen und dann wollte er datenschutzrechtlich begleiten und seitdem habe ich von dem Ding nie wieder was gehört. Und deshalb habe ich einfach mal nachgefragt, wie’s damit so aussieht. Mal gucken, was zurückkommt. Manchmal weiß man ja nicht, ob es spannend ist.

Serafin Dinges: Okay, also eine tatsächliche Geschichte vom Dranbleiben, wie man das als Journalist macht.

Anna Biselli: Naja, dranbleiben, so nach fünf Jahren, weiß nicht, ob das dann dranbleiben ist, sondern man hat mal wieder an irgendwas gedacht. Aber ja, so in der Richtung.

Serafin Dinges: Doch ich zähl das. Du entscheidest als Co-Chefredakteurin ja auch, was mit dem Geld passiert, mit dem Spendengeld. Wie beeinflusst das dich denn in deinen Entscheidungen, dass du mit Spendengeld umgehst?

Anna Biselli: Das ist natürlich eine krasse Verantwortung, weil das ist ja irgendwie Geld von ganz vielen einzelnen Leuten, vor allem, die uns total gut finden und unterstützen. Und natürlich will man mit dem Geld dann eben auch gut umgehen und eben das so einsetzen, wie es vielleicht im Sinne des Gemeinwohls oder im Sinne aller dieser Leute ist. Und das ist natürlich teilweise schon krass, weil man sich – Ich weiß nicht, habe selten in anderen Kontexten gearbeitet – aber weil man natürlich irgendwie so ein ganz anderes Bewusstsein für das Geld hat, weil es halt nicht so … Das fällt nicht vom Himmel, sondern es kommt eben von ganz vielen Menschen.

Serafin Dinges: Wenn ihr die Unabhängigkeit von netzpolitik.org unterstützen wollt, dann findet ihr alle Infos unter netzpolitik.org/spenden. Wir freuen uns über jede Spende und wir machen weiter und ich lass dich weiter Presseanfragen rausschicken. Dankeschön!

Abgehörte Fernseh-Tipps

Serafin Dinges: Mehr Hausdurchsuchungen gibt es nach dem Zwischenfall mit dem schwarzen Beutel zwar nicht mehr, aber bis Andrej und seine Familie endlich Ruhe haben, dauert es noch ein bisschen. Am 24. Oktober 2007 gibt der Bundesgerichtshof bekannt, dass der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben ist. Also fast drei Monate, nachdem die Beamten seine Wohnung durchsuchten und ihn festnahmen. Er muss also endlich keine Angst mehr haben, jeden Moment wieder in den Knast zu kommen. Aber mit den Ermittlungen ist es noch nicht vorbei und auch die Überwachung von Andrej und Anne läuft weiter. Das wissen die beiden heute, weil sie die Unterlagen sehen durften, selbst wenn die Telefongespräche gar nichts mit Andrej zu tun haben, notieren die Beamten gründlich, was verdächtig sein könnte, sogar wenn Anne mit ihrer Mutter telefoniert und Fernsehtipps austauscht.

Anne Roth: Da ist einfach alles Mögliche drin. Also Telefonate von mir mit meiner Mutter beispielsweise, wo du denkst: Was hat meine Mutter mit allem zu tun? Weil die mich darauf hingewiesen hat, dass ein Fernsehdokumentation über was-weiß-ich-was Heiligendamm oder so kommt und das interessiert dich doch bestimmt. So und das findest du in den Akten und seitdem… Also das wird, glaube ich, mein Leben lang nicht mehr aufhören. Oder jedenfalls nicht so lange, wie meine Mutter lebt. Da habe ich immer innerlich, wenn meine Mutter mich anruft – Das tut sie bis heute und mich auf irgendeine Doku hinweist, die mich bestimmt interessiert – dass jetzt nicht so ein Urgh-Gefühl habe. Weil ich denke, da springt jetzt irgendein Algorithmus an.

Serafin Dinges: Aus den Akten erfahren Sie, dass die Polizei wirklich überall dabei war: beim Altglas wegbringen, beim Fußballschauen, in der Kneipe, beim Einkaufen. Sie haben Telefone abgehört, Videokameras auf den Wohnungseingang gerichtet und Emails mitgelesen.

Andrej Holm: Die waren ja überall dabei, das ist sehr, sehr unangenehm zu finden. Und wenn man drüber nachdenkt, dann zu denken: Also die armen Schweine, also die dir beim Einkaufen hinterher gehen müssen, um dann aufzuschreiben, dass man irgendwie ein – steht dann auch in den Akten, weil es keinen richtigen Begriff dafür gibt – einen WC-Pömpel gekauft hat. Also so ein Gummiding, um Unterdruck herzustellen. Und wo ich dann auch denke: So, dafür gibt der deutsche Staat jetzt sehr viel Geld aus, das vermutlich hochschulgebildete Beamtinnen und Beamte dokumentieren, das Verdächtige Pömpel kaufen und in ihre Wohnung tragen.

Serafin Dinges: Bis dann endlich das Verfahren gegen Andrej Holm eingestellt wird, dauert es noch viel länger, bis zum Juli 2010. Das sind drei Jahre, das heißt drei Jahre, bis nicht mehr gegen Andrej ermittelt wird. Endlich darf er deswegen nicht mehr abgehört und überwacht werden. Er muss nicht mehr fürchten, dass ihn doch noch jemand anklagt mit dem Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a. Bis es dann endlich vorbei ist. Übrigens: Auch die Razzien wegen des G8-Gipfels und die dortigen Ermittlungen, gegen die Andrej noch vor seiner eigenen Hausdurchsuchung protestiert hatte, führen zu nichts. Im Gegenteil. Die vielen Hausdurchsuchungen werden im Nachhinein als rechtswidrig beurteilt. Keine Terroristen entlarvt. Die drei Leute, die einen Tag vor der Razzia bei Andrej die Bundeswehr-LKWs anzünden wollte, die wurden 2009 verurteilt wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, wegen der versuchten Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel und wegen versuchter Brandstiftung. Sie kamen ins Gefängnis. Gegen die Durchsuchungen in seinem Zuhause geht Andrej nicht juristisch vor. Er hat keine Lust mehr und will, dass es endlich vorbei ist. Er will sich auf seine Arbeit konzentrieren. Will, dass Leute ihn wieder als den Soziologen wahrnehmen und nicht als den Terrorverdächtigen. Es reicht ihm.

Andrej Holm: Das war ja die Zeit, wo in Berlin die Mieten anfingen, durch die Decke zu gehen und irgendwie mein Arbeits- und auch Politthema „Gentrification“ tatsächlich zu einem relevanten Thema geworden war. So wurde ich auch für mich zu einer Ermüdung. Ich will nicht immer nur auf auf Überwachung und dieses Verfahren verkürzt werden. Was das auch noch mal dazu beiträgt zu sagen: Jetzt ist es eigentlich ganz gut, wenn es zu Ende ist.

Serafin Dinges: Vier Jahre lang steht Andrej insgesamt im Visier der Behörden. Vier Jahre, in denen die Ermittler einfach nichts finden, das den Terrorismusverdacht gegen ihn bestätigt. Und die Auswirkungen der Überwachung, die begleiten Anne und Andrej während dieser gesamten Zeit und noch weit darüber hinaus. Sie versuchen zum Beispiel, möglichst nicht konspirativ zu wirken, denn sie wissen ja, wie das bei den Ermittlerinnen ankommen kann. Wenn man ganz unbedarft über schwarze Beutel redet, zum Beispiel. Wenn man nur einen Hammer hat, dann sieht eben alles aus wie ein Nagel. Sie sagen also von nun an immer ganz genau, worum es geht, damit die Polizei beruhigt sein kann.

Bloß nichts weglassen

Andrej Holm: Selbst Verabredungen. „Also treffen wir uns dann wie immer.“ Also könnte das irgendwie eine konspirative Verabredung sein, weil Zeit, Ort und Anlass des Treffens nicht kommuniziert wird? Und man dann sagt: „Du meinst also das Cafe in der Schliemann-Straße zum Fußballgucken?“ „Ja, na, was denn sonst?“ Also wo du dann auch denkst, also das sind ja keine normalen Kommunikationswege, oder? Wo ich gemerkt habe, das erklärt man jetzt lieber noch mal!

Serafin Dinges: Manchmal kommt sich andere dabei ganz schön lächerlich vor. Aber er will Missverständnisse vermeiden. Nicht etwa mit seinen Fußballkumpels. Aber mit den Beamtinnen, die im Hintergrund vielleicht mitlauschen zur Überwachung. Dazu kommt das Gefühl, dass er ständig beobachtet wird. Auch wenn beide sich vorher mit Überwachung beschäftigt haben: das einmal selbst zu erfahren, verändert für sie vieles. Vor allem, weil sie immer wieder verunsichert sind. Ein Verbindungsabbruch beim Telefonieren. War das jetzt Zufall? War das gerade ein Knacken? Schlechte Verbindung? Oder hört schon wieder jemand mit?

Andrej Holm: Also das klingt jetzt irgendwie alles so lustig, wenn man es so 15 Jahre später erzählt, aber so de facto war es so, dass das Wissen um die Überwachung auch tatsächlich dein alltägliches Verhalten, vor allen Dingen dein Kommunikationsverhalten massiv verändert und du eigentlich dann nicht mehr offen kommunizierst, sondern immer mitdenkt, wie Dritte das interpretieren könnten, was du gerade erzählst und berichtest. Und das ist also schon eine sehr einschneidende Erfahrung. Auch.

Serafin Dinges: Das alles ist jetzt schon ziemlich lange her. Aber dieses System, das wächst weiter. Und Andrej? Der ist nicht der Einzige, der so eine Erfahrung machen muss, weil die Polizei dachte, er wäre Teil einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung. Nächstes Mal bei Systemeinstellungen:

Alexander Mai: Als Aktivist begeht man eigentlich erst dann Straftaten, wenn man das Gefühl hat, dass man dadurch schlimmere Straftaten verhindert oder zumindest moralisch gesehen schlimmere Sachen durch die Politik oder durch andere Akteure, die vielleicht sich im legalen Rahmen bewegen, aber trotzdem Leben oder Lebensgrundlagen zerstören.

Serafin Dinges: Systemeinstellungen ist eine Produktion von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Host und Producer bin ich Serafin Dinges, Redaktion Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck. Titelmusik von Daniel Laufer. Zusätzliche Musik von Bluedot Sessions und mir. Coverdesign Lea Binsfeld. Besonderen Dank an Lara Seemann und Lena Schäfer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann freuen wir uns sehr über eine gute Bewertung. Und wenn ihr ihn an Freundinnen weiterempfiehlt.

Stimme: Systemeinstellungen ist ein Podcast von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Netzpolitik.org macht mit dieser Arbeit keinen Gewinn und ist spendenfinanziert. Schon ein paar Euro im Monat helfen beim Kampf gegen Überwachung, Netzsperren und digitale Gewalt, für Transparenz, Datenschutz und digitale Rechte. Wenn du diese Arbeit unterstützen willst, spende jetzt unter netzpolitik.org/spenden.

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If you don't understand your enemies and their motivations, Sun Tzu counseled, victory will elude you. Part of the reason President Joe Biden's polls are so awful is that Democrats and their supporters don't have a clue what is driving former President Donald Trump and his MAGA movement. The answer would shock many of them....
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Israel’s Onslaught of Revenge

Forget the dead for a moment and think about the living. We’re talking about a minuscule, 25-mile strip of land on which, before recent events began, an estimated 2.4 million people lived, went to school, worshiped, farmed, did whatever. When Israel responded to Hamas’s nightmarish October 7th attack by bombing northern Gaza into rubble and … Continue reading "Israel’s Onslaught of Revenge"

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On May 20, the chief prosecutor of the International Criminal Court announced that he was seeking arrest warrants for Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu and Defense Minister Yoav Gallant as well as for Hamas leaders Yahya Sinwar, Ismail Haniyeh and Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri. Officials in Washington lashed out against the court and began preparations to … Continue reading "America’s Ugly History with the International Criminal Court"

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Trump Convicted of 34 Counts of Paying Off Hooker Using the Wrong Bank Account, by Andrew Anglin

Honestly bro, I didn’t really follow this story at all. I saw the headlines and maybe heard it mentioned on some podcasts or whatever, but the third Trump campaign is literally the same thing as the third Star Wars trilogy. I don’t think I’ve ever made that analogy before, but it’s really a great one....
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Haiti Devours White Missionaries, by Jared Taylor

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