Unprofessionelle Gedanken zu Präsenz, Absenz und Demenz
Ein sich verschließendes Labyrinth
► von Franz Schandl, Wien/A. | Streifzüge 2022-86
Wenn ich in mich gehe und nichts verdränge, dann fühle ich mich umstellt. So viele Demente in meiner nahen Verwandtschaft gab es noch nie. So weit mir bekannt, sind unzählige meine Vorfahren ohne Anzeichen geistigen Verfalls recht alt geworden. Ganz stimmt das vielleicht nicht, denn meine bis zuletzt rüstige Großmutter hat mit ungefähr 95 damit doch noch angefangen.
Einmal verlief sie sich in ihrem geliebten Wald und kannte sich gar nicht mehr aus. „Wem gehöre ich denn?“, fragte die hochbetagte Frau. Irgendjemand nahm sie an der Hand und brachte sie nach Hause. Dort, bei uns, war sie bis zu ihrem Schluss gut aufgehoben. Zu ihrem Neunzigsten hat sie sich aber noch eine Geburtstagsrede gehalten, die alle Festgäste beeindruckte. Ihr Sohn, mein Vater, wies schon als Endsiebziger Gedächtnislücken auf, die sich allmählich, wenn auch langsam vergrößerten, auch wenn wir manchmal nicht wussten, ob er sich nicht absichtlich dumm stellte, weil er dann mehr bedient wurde. Wäre er nicht vor zwei Jahren gestorben, wäre er inzwischen aber Teil der Statistik. Im vergleichbaren Alter waren seine Mutter und auch sein Vater noch absolut hell.
► Die Betroffenen werden immer jünger.
Auch in meiner Umgebung. Zwei Schwestern meiner Mutter etwa, 77 und 74 Jahre alt. Die Ältere ist schon einige Zeit im Heim, sie erkennt oft nicht einmal ihre Kinder. Ich habe sie ungefähr fünf Jahre nicht mehr gesehen, gelegentlich erzählen mir ihre Söhne von ihr. Sie ist nun bereits sehr lange ausgelagert und praktisch verabschiedet.